1869 / 39 p. 6 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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der selbst nach dexr Schlacht von Langensalza noch die Hand- Dea bes Königs Georgs bestimmte, hauptsächlich das ent- \cheidende Moment für die hannoversche Politik gewescn ist. Jedenfalls machten wir vor dem Kriege dem hannoverschen Hofe nicht den Eindruck siege8gewisser Eroberer. Man glaubte im Gegentheil, der Moment sei gekommen, um das Ney über unserm Kopf zusammen zu ziehen; man rechnete auf die Uebermacht, die der bundbrüchige Beschluß vom 14. Juni gegen uns ins Feld führen sollte; man rechnete, daß mit dem demnächst ver- stümmelten Preußen es möglich sein werde, diejenigen deutschen Reformen, über die im Herbste 1863 der Fürstentag in Frank- furt a. M. tagte, ins Leben zu führen, während das unver- stümmelte Preußen stark genug gewesen war, um durch seine einfache Abwesenheit dieses Projekt damals zu vernichten. Sie werden mir in dieser Frage einiges Urtheil zutrauen dürfen, da es keinen Mann in Preußen giebt , der länger als ih mit der deutschen Politik amtlich beschäftigt gewesen ist, und ich habe die Coalition, die uns im Jahre 1866 siege8gewiß gegen- Übertrat, in wechselnden Formen seit dem Jahre 1851 in Frankfurt a. M. zu bekämpfen gehabt, zuerst in dem Bedauern, daß man uns den Frieden von Olmüß bewilligt habe, daß die Schwarzenbergsche Politik nicht mit Gewalt und Entschlossen- heit durchgeführt worden sei , nachher in vielfachen Versuchen, in gemäßigterer oder stärkerer Weise jene Politik wieder auf- zunehmen und scließlih im Glauben an die Ueberlegenheit der bewaffneten Bundeëmacht im Frühjahr 1866, indem man nur die Ziffern der Bundes-Armce in Berebnung zog, aber ihre Verfassung nicht so kannte, wie wir sie kannten gegen unserer Feinde Erwartung. Wenn wir der uns angedrohten Gcfahr der Vernichtung entgingen und als Sieger das Recht in der Hand hatten, die Verhältnisse zu reguliren, so kann man cs wohl nicht eine ungerehte Eroberung nennen, die wir, nach- dem man uns das Schwert in die Hand gezwungen, s{ließlich machten, indem wir lediglich an unsre eigne Sicherheit für die Zukunft dachten. A

Nicht die Frage, ob 2 Millionen Deutsche mchr oder

weniger in einem S taatskörper vercint sein sollten, war die |-

entscheidende, sondern allein die Frage unserer Sicherheit. Es war der Beweis geführt, daß wir in kriegerischen Situationen eine so tüchtige Truppe, wie der hannoversche Bolks- stamm sie liefert, nicht in unserm Rücken belassen durften, die Pflicht der Selbsterhaltung zwang uns, die Wiederkehr ähnlicher Konstellationen in unserem wie im

deutschen Interesse zu hindern, durch die hannoversche Politik

war uns die Beseitigung des Königreichs Hannover aufgezwun- gen. Es konnte das, sobald der Krieg entschieden, keine uner- wartete Wendung für die hannoverschen Staatsmänner sein. Jch bin selbst in der Lage gewesen, sowohl mit den Rathgebern, die König Georg in der leßten Zeit seiner Regierung um sich gehabt hatte, als auch früher wiederholt alle Even- tualitäten zu besprehen, und ich hatte jederzeit mit voller Offenheit gesagt, Hannover habe in Zeiten der Gefahr nur eine sichere Politik, nämlich die: sich an Preußen anzuschließen. Unterliegt Preußen, so wird man Hennover nicht viel thun. Es wird dann vielmehr die klügste Politik sein, den Mittelstaat zu stärken auf Preußens Kosten. Siegt aber Preußen, so giebt es Teinen sichern Schuß, als den, mit Preußen verbündet gewesen zu sein. Das preußische Königs8h aus roürde sich an Verbündeten nicht vergreifen können, mit denen es die Verbindung vom sieben- jährigen Kriege her siegreich erneuert hätte. Es war diese Po- litik so einfach und natürlich, daß nur leidenscbaftlice Verblen- dung, Herrschsucht und die dynastische Eifersucht auf die falsche Bahn hat lenken können. Wenn wir nach dem Vertrage von Prag nah weiteren Mitteln zur Befestigung des Friedens umsahen, so schien uns eines dersel ben darin zu liegen, dem durch Fehler und Verblendung gefallenen Fürstenhause eine seiner Vergan- genheit würdige Stellung zu sichern, damit es sih mit dem Worte trösten könne, daß neues Leben aus den Ruinen blüht. Die natürliche Stellung dieses Hauses, aus der es durch die Ver- schiedenheit des Erbfolgerechts in England und Hannover gerissen, bot sich in dem Reiche, an welches das Haus König Georgs durch ebenso glorreiche Erinnerungen geknüpft war, wie die im Jahre 1866 es für uns sind, in dem Reiche, welches durch die Borfahren des Königs Georg, durch Wilhelm von Oranien an der Spitze englischer und deutscher , auch brandenburgischer Truppen, vor 200 Jahren einer verderblichen Regierung entrissen wurde. Wir dachten uns den König Georg in dem Titel, den er noch führt, als Herzog von Cumberland, und waren Überzeugt , daß er und seine Nachkommenschaft seiner Vergangenheit und seiner Stellung entsprechend dotirt sein “müsse. Diese Erwägung allein hat uns bestimmt, nicht aber der Glaube an irgend privatrechtliches Vermögensrechzt eines KriegSfeindes, der seinen Frieden mit uns noch nicht geschlossen hat. Es ist jeßt ungefähr Jahresfrist, daß die Königliche Re- gierung sowohl im andern Hause, - wie diesem gegenüber, ihren

Einfluß aufgewendet hat, um dem Hause des Königs Georg eig bindung zu verschaffen. Als eine Abfindung sahen wir cs an, weil wir viel mehr gaben, als König Georg be- sessen halte. Die Zweifel, welche das Herrenhaus binsichtlich der Jeitgemäßheit einer solhen Abfindung geltend machte, waren begründet durch die Gleichzeitigkeit der Verhandlungen mit den bekannten Vorgängen in Hießing auf der silbernen Hochzeit, Diese Quweifel mußten auch im Sinne der Regierung von großem Gewichte sein, wir konnten uns unmöglich berechtigt halten, einen Fürsten, der uns noch als Kriegs8feind behandelie und entschlossen schien, diese Rolle fortzuführen, die Mittel da- zu zu gewähren. Wenn wir dennoch die Vollendung der geseß- lichen Grundlage der Abfindung nicht aufhielten, so ges{ah es, um feinen Qweifel an dem Ernste aufkommen zu lassen, mit dem wir diese Abfindung sicher stellen wollten. Wir wollten uns dem Vorwurfe nicht aussehen, die preußische Regierung hätte eine unwürdige Komödie mit- dieser Sache gespielt und wäre vor dem geseßlichen Abschlusse zurückgetreten. Bei der Lügen- haftigkeit der feindlichen Blätter wäre unser Berhalten jedenfalls entstellt worden. Wir legten deshalb Gewicht darauf, unseren guten Willen außer Jweifel- zu stellen, und wir wollten zugleich eine geseßlich gesicherte Basis für zukünftige Berhandlungen schaffen, sobald uns König Georg oder seine Erben Bürgschaft für ihr Verhalten gewähren würden. Wenn uns das Vertrauen täuschte, welchcs wir in Fürstliches Ehrgefühl seßten, das Vertrauen, daß auch die slillschweigenden Bedingungen und Vorausseßungen des Vertrages gehalten werden würden, so waren wir überzeugt, daß die Geseßgebung des preußi- schen Staats bereit und im Stande. sein werde, den Schaden, den der Bruch dieses Vertrauens dem Lande zufügen könnte, in einhbeitliher Beschlußnahme der Faktoren der Geseß- gebung von diesem Lande abzuwehren. Daß Sie dies thun werden und mit großer Majorität thun werden, darüber bin ich nicht zweifelhaft. Jch habe aber doch zur Erläuterung des Beschlusses, von dem ich überzeugt bin, daß Sie ihn fassen werden, meine Stellung als Mitglied des Hauscs und die Stellung der Regierung mit den eben gesprochenen Worten klarer bezeichnen wollen. A

In der General - Diskussion über den Geseßentwurf, betreffend die Beschlagnahme des Vermögens des ehemaligen Kurfürsten von Hessen sprach der Minister-Präsident nach dem Berichterstatter Herrn von Meding: :

In der Kommission ist von mehreren Seiten gelkend ge- macht worden, daß das Verfahren gegen Se. Königliche Hoheit den Kurfürsten im Vergleich mit dem gegen den König Georg ein besonders sirenges wäre, indem weniger Beschwerdepunkte gegen den Kurfürsten vorlägen. Jch kann diese Ansicht nicht theilen. Jh würde sie theilen, wenn es sih um eine Konfisca- tion des Vermögens handelte. Es handelt sich aber um eine Maßregel, deren Folgen jederzeit bescitigt werden können, wenn Se. Königliche Hoheit der Kurfürst solde Bürgschaften giebt, welche die gesebgebende Gewalt in Preußen davon Überzeugen,

daß eine Wiederholung des bisher Erlebten nicht zu befürchten -

steht. Mir scheint, daß im Gegentheil der Fall des Kurfürsten von Hessen noch einfacher liegt, als der des Königs von Hanno- ver: beide Herren haben sich von den geschlossenen Verträgen los- gesagt, der König Georg durch Handlungen, der Kurfürst von Hessen aber durch ausdrückliche Erklärungen, die schriftlich vor- liegen, die amtlich durch meine Vermittelung an Se. Majestät den König gerichtet sind, dur das bekannte an alle europäische Regierungen gerichtete Manifest. Jch darf dieses als bekannt vorausseßen , obschon ich mich nicht erinnere, daß cs in den Kommissionsberichten des Hauses gedruckt gewesen wäre, es ist dazu zu lang. Es enthält die heftigste und beleidigendste Kritik der Politik der preußischen Regierung und {ließt mit der Auf- forderung der curopäiscbben Mächte, an die es gerichtet ist, durch thatkräftigen Beistand den Kurfürsten wieder in seine Länder einzuseßen, also die Provinz Hessen vom preußischen Staate wieder los8zureißen. Jch sehe dieses Manifest als eine unmittelbare Betheiligung des Kurfürsten an den bedauerlichen Agitationen ciner Presse an, deren Thätigkeit darauf gerichtet ist, den europäi- schen Frieden und besonders den Frieden Deutschlands zu stören. Jch würde mich nicht berechtigt glauben , gegen Preßthätigkeit auf diesem Wege einzuschreiten, wenn nicht der Kurfürst dur seine Losfsagung von dem Vertrage die geseßliche Handhabe dazu ge- boten hätte. Diese Handhabe nicht zu benuyen , würde eine {were Vernachlässigung der Interessen des Landes involviren. Ungefährlich find diese Agitationen in keiner Weise; Sie kennen dieselben aus den Blättern, die Sie lesen, und Sie können si daraus ein Bild davon machen, wie dergleichen Entstellungen der Thatsachen in denjenigen Ländern, wo man sie zu kon- troliren nicht so gut in der Lage ist, wie bei uns, in Ländern, wo man die Lüge über hiesige Verhältnisse nicht gleich an der Stirne zu erkennen vermag, daß dort die Eindrücke stärker sind als bei uns, Es ist an sich ein verbrecherisches Beginnen, zwei

nicht zu bewahren

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große Nationen in der Mitte der europäischen Civilisation, die beiderseits den ernsten Willen hegen , mit einander in Frieden zu leben, die feine wesentlihen Jnteressen haben, welche fie tren- nen könnten, in den Krieg hineintreiben zu wollen und \ich zu diesem Zwecke mit einem großen Aufwande von Geldmitteln der gedruckten Lüge zu bedienen. Jch brauche nicht in allgemeinen Anschuldigungen zu bleiben; Keinem von Ihnen werden die Manöver entgangen sein , die darauf gerichtet sind, durch die Presse in Frankreich, bei einer im Punkte der Ehre und Tapfer- keit lebhaft empfindlichen Nation, den Eindruck zu verbreiten, als wolle Deutschland seine durch seine Einigkeit gewonnene Erstar- fung zu einem Angriffskriege gegen Frankreich oder in irgend einer feindlichen Richtung gegen Frankreich benußen. Diese Lüge

begegnet Ihnen alle Tage in französischen Blättern; ih brauche

Sie nur auf die Sammlung falscher Nachrichten aus den leßten Tagen aufmerksam zu machen, die in beiden Ländern künstlich verbreitet werden und bei denen man nicht begreift, ob man mehr über die Frechheit der Erfindung oder über die Einfalt und Leichtgläubigkeit der Leser und den großen Kreis erstaunen soll, der solche absurde Nachrichten ernsthaft nimmt ; aber es zeigt das eben, wie wenig man mit den wirklichen Ver- hältnissen bekannt ist; Sie haben die Fabeln gelesen von einem »Familien-Conseil«, das in Preußenzur Berathung über kriegerische Eventualitäten gehalten worden sei, eine Art Conseil, welche bei uns das Staatsrecht und das Königliche Hausrecht nicht kennt, von militärischen Conseils, von der Rasirung des Glacis in Mainz, weil an der Promenade ecinigeSträucher verpflanzt werden, ferner von einer Aufforderung, die die KöniglicheRegierungan die süddeutshenStaaten gerichtet haben soll, fichin Kriegsbereitschaft zu seßen bis zum 1. April, indem Oesterreich und Frankreich dasselbe thâten, und ih weiß nicht, was für Umtriebe, die wieder in Ruminien stattgefunden haben sollen ; das is aber nur eine Fortsehung des Verleumdungssystems, nah dem diese Nation sich gegen die Ruhe von ganz Europa hartnäckig vershworen haben soll. Alle diese Nachrichten würden an und für fich unbedeutend sein; sie sichen gewöhnlich zuerst in leicht zugäng- lichen Winkelblättern, gewinnen ader dann eine ganz andere Bedeutung dur die Mitwirkung der Telegraphen. Wenn 3. B. in der »Bayerischen Landes-Zeitung« steht, Preußen habe Süddeutschland zur Kriegsbereitschaft aufgefordert, so lacht in Deutschland ein Jeder darüber; wenn dies aber als eine Nachricht von ungewöhnlicher Wichtigkeit von beflissenen Leuten, die dazu besonders angestellt find, sofort in alle Welt telegraphirt wird, so gewinnt durch das Tele- graphiren die erfundene Nachricht eine Bedeutung, die fie an und für si nicht gehabt hat. Wir haben uns gegen die Autorität des Gedruckten erst allmählich abstumpfen können und das ist namentlich seit 1848 gelungen ; bis dahin hatte für einen großen Theil der Bevölkerung alles Gedruckte seine besondere Bedeutung ; Jeder, der auf dem Lande nur das- Amtsblatt las, von der Bibel und dem Gesangbuche nicht zu reden, hielt das Gedruckte für wahr, weil es- gedruckt war, ungeachtet des üblichen Sprichworts: er lügt wie gedruckt; es wird vielleicht au dahin kommen zu sagen: er lügt wie telegraphirt, denn gegen den Mißbrauch, der mit diesem Beförderungsmittel ge- trieben wird, find bisher die wenigsten Leute noch auf der Hut; sie denken nicht an den Reichthum von Geldmitteln, der e Jemanden möglih macht, zum Telegraphiren aller in drei bis vier Sprachen überseßten Tendenzlügen in verschiedenen Weltstädten Lectoren zu bezahlen, die nur damit beschäftigt sind, Zeitungen durzulesen und zu sehen, ob fich eine Allarm- nachricht findet; findet er keine, so hat er fie zu machen und telegraphirt sie nun als aufregendes Sympton an ver- schiedene ausländische Blätter. So wird die öffentliche Meinung in Frankreich bearbeitet; umgekehrt wird sie bei uns in Deutsch- land daher aufgeregt, als ob wir alle Tage einen Angriff Frank- reichs auf Deutschland zu gewärtigen hätten. Es liegt im wohl- verstandenen Jnteresse beider Nationen, daß diesen verlogenen Intriguen nach Möglichkeit cin Ende gemacht, und daß die Geldmittel dazu abgeschnitten werden. Die Königliiche Regierung hat seit Jahr und Tag ihre volle Thätigkeit auf die Zersireuung falscher Krieg8gerüchte verwendet : fie hat in diesem Augenblick die Ueberzeugung, daß die europäischen Regierungen von fried- lichen Intentionen beseelt find, und sie hat das Bedürfniß, daß das Publikum endli zu demselben Glauben und zum Ver- trauen auf friedliche Zustände gelange. Schon im Interesse der nationalen Würde sind die Quellen abzuschneiden, aus denen deutsche Blätter besoldet werden, die in shamloser Oeffentlichkeit

F eine starke und kriegstüchtige, aber ebenfalls friedliebende Nation, Y wie die Franzosen, zum Kriege gegen Deutschland auffordern

und offen die Hoffnung aussprechen, . das Vaterland Deutsch- land werde In diesem Kriege unterliegen. Mir sind in der Presse Vorwürfe gemacht worden, daß ich solchen Erscheinungen gegenüber die diplomatische Ruhe, die meine Stellung erfordert, vermöchte; ih muß nun aber sagen: wer

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über solche Niederträchtigkeit nicht in Zorn geräth, hat ein anders organisirtes Nationalgefühl, als mir eigen ist.

Im Abgeordnetenhause erklärte in der Sizung am 13. d. M. in der Diskussion über den Geseßentwurf, betreffend die Ausstellung gerichtlicher R Een nach dem Ab- geordneten Roscher der Justiz-Minister Dr. Leonhardt:

Meine ten Ich meinerseits trage nicht das mindeste Be- denken, die erantwortlichkeit für das Geseh zu übernehmen, bin auch gar nicht zweifelhaft, daß die Gerichte mit dem Geseße sehr gut marschiren fönnen, um mich des Ausdrucks des Herrn Vor- redners zu bedienen. Der Herr Vorredner is mit dem Ge- see recht sehr unzufrieden und hat cs lebhaft getadelt; er fann ja diesem Gefühle dadurch Ausdruck geben, daß er gegen das Geseh stimmt. _Daß der Herr Vorredner gegen das Gesetz so eingenommen ist, ist mir ganz erklärlih. Als ih den Geseßt- entwurf im Herrenhause einbrachte, bemerkte ih hon, daß gegen denselben vom juristishen Standpunkte ab ganz erhebliche Be- denken geltend gemacht werden können, und diese Bedenken sind so zu sagen auch gar nicht zu widerlegen. Es kommt nur dar- auf an, ob denn der bona fide-Verkehr unter den Menschen nicht einige Rücksicht in Anspruch zu nehmen hat gegenüber den juristischen Prinzipien und den juristishen Bedenken, und ih meine, daß das doch wohl der Fall is. Jch glaube, wenn im Allgemeinen für den bona fide-Verkehr durch ein Geseh wohlthätig gewirkt wird, so kann man es sich auch wohl einmal gefallen lassen, daß gegen die Rechtsprinzipien, gegen das strictum jus einmal verstoßen wird. Meine Herren! das tritt sehr häufig im Rechtsleben, wie auch in sonstigen Ver- hältnissen ein. Der Herr Vorredner scheint nach seinen An- deutungen anzunehmen, es würde der Gesezentwurf besonders einem Unterrichter Schwierigkeiten machen; darin täuscht er sih sehr. Schwierigkeiten findet nur der eigentliche Jurist, welcher fkritisiren will, aber niht der Richter, welcher das Geseg anwenden soll im einzelnen Falle, auf Verhältnisse, die ihn umgeben. Der Herr Abgeordnete meint, die Königliche Staatsregierung sei nicht in der Lage, das Landrecht in den neuen Provinzen einzuführen: fie ‘wolle deshalb nur eine Novelle zum Landrecht einführen. ch weiß nicht, mit welchem Rechte dies Geseh eine Novelle zum Land- recht genannt wird. Wenn der Herr Vorredner einmal diesen Geseyentwurf vergleichen will mit den landrechtlihen Be- stimmungen, so wird er finden, daß das gar nicht der Fall ist. Wenn das landrechtliche Gebiet allein in Betracht káme, so wäre gar kein Bedürfniß zur Geseßgebung vorhanden. Man ist mit den landrechtlichen Vorschriften und der landrecht- lichen Praxis aus8gekommen. Die Sache wurde aber angeregt durch die Verhältnisse in Neuvorpommern; hier wünschte man für ein gemeinrechtlihes Gebiet ähnliche Vorschriften. Das Bedürfniß wurde anerkannt, und nun frägt es sich, is denn nicht auch für die übrigen Provinzen ein Bedürfniß anzu- erkennen, den Gedanken des Landrechts auszudehnen auf das Übrige Recht8gebiet, nicht etwa die landrechtlichen Bestim - mungen, sondern den Gedanken? Und dieser Gedanke hat Ausdru gefunden in dem Geseßentwurf. Meine Herren, nun ist der Geseßentwourf den obersten Gerichtshöfen der betreffenden Provinzen mitgetheilt worden, und da is mir uner- wartet gewesen , daß dieser Geseßentwurf bei diesen obersten Gerichtshöfen fast ungetheilten Beifall gefunden hat; nur das Celler Appellation®gericht hat einige Bedenken angeregt, aber einen Standpunkt, wie der Herr Vorredner zum Geseßentwurfe einnimmt, hat es keineswegs zu dem seinigen gemacht. Meine Herren, Sie können sih meiner Meinung nach bei dem Geseß- entwurf vollständig dadurch beruhigt fühlen, daß die betreffen- den Vorschriften des Landrechts und der landrechtlichen Praxis, obwohl sie keineswegs in der Weise ausgeführt sind, wie das in dem Geseßentwurfe der Fall ist, dennoch ganz allgemein be- währt gefunden worden find. Wenn der Gedanke im Land- recht, d. h. im Leben, bewährt gefunden worden is , dann be- zweifele ich gar nicht, daß er sich auch im Rechtsleben der übrigen Provinzen bewähren wird, unbekümmert um alle juristischen Zweifel, die erhoben werden mögen.

Uebrigens hat der Herr Vorredner sich oft recht allgemein ausgedrückt und Vorwürfe dem Geseßentwourf gemacht, ohne zur Begründung derselben irgend ein Etwas beizubringen, Vor- zugsweise hat er den §. 6 in Betracht gezogen, und da seine Spezialanträge auf den §. 6, soweit ih mich besinne , nicht gehen , so will ih diese Punkte einmal berühren. Also: Der Herr Vorredner hat bemerklich gemacht, der §. 6 stelle das ge- meine Recht auf den Kopf. Ich weiß nicht, auf welche Weise dadur das gemeine Recht auf den Kopf zu stehen kommen soll, kann mithin auch nur einen ganz generellen Widerspruch einer solchen Behaup- tung entgegenstellen. Ferner behauptet der Herr Vorredner, dieser Paragraph sei erst genießbar geworden dur die Amendements, welche gestellt worden seien theilweise im Herrenhause und theil- weise von Jhrer Kommission. Nun habe ich aber diese beiden

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