1909 / 291 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Dec 1909 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 7. Sigung vom 9. Dezember 1909, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) -

Auf der Tagesordnung steht die êtste Beratung dés preis haubhalizetäis und des Haushaltsetats für die Shußgebiete auf das Rechnungsjahr 1910.

Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:

Meine Herren! * Der Etat, in dessen Beratung Sie heute eintreten, ist mit * besonderer Vorsicht aufgestellt. Das _zu tun, war für die verbündeten Regierungen die erste praktische Forderung aus den Ereignissen der leßten Session. Die Ein- nahmen sind der Herr Reichsschaßsekretär wird das noh* näher ausführen so veranschlagt, daß sih nach menschlicher Vor- aussicht das „Jst“ mit dem „Soll“ decken wird. Allen Anforderungen für die Aufrehterhaktung unserer Wehrmacht ist genügt. Allgemeine Nichtshnur war es, in keinem Ressort das Maß des unbedingt Not- wendigen zu überschreiten. Der Anleihebedarf ist, so weit wie irgend möglich, einges{hränkt.

Mit den verbündeten Regierungen werden die Parteien darin übereinstimmen, daß es unsere erste Aufgabe ist, dem Neich eine solîde Finanzgebarung zu sichern (sehr richtig! rechts), und bei' der Lösung dieser Aufgabe werden auch diejenigen Parteien wieder zusammen arbeiten müssen, die über den Steuern auseinandergeraten find, mögen ihre politischen Differenzen sonst fortdauern oder nicht.

Meine Herren, auf die Vorgänge der damaligen Zeit greife ih niht zurück. I kann mir davon feinen Nußen |für die uns vor- liegenden Geschäfte versprechen. (Sehr richtig! bei der Neichspartei.) Nur einen Punkt muß ich kurz berühren. Man hat gefragt und man hat zum Teil diese Frage mit scharfen Vorwürfen begleitet —, weshalb die Negierungen in den nachträglichen Kampf über die Steuervorlagen nicht eingegriffen hätten. Meine Herren, es ist niht richtig, daß sich die Regierungen in diesem Kampfe untätig verhalten hätten. Was in den Streitigkeiten unmittelbar greifbar war, das waren unrichtige Berechnungen über die BVerteuerung, die einzelne Verbrauchsgegenstände dur die neuen, auf sie gelegten Steuern erfahren. Diesen unrichtigen Berechnungen sind die Ne- gierungen in einer großen Neibe von Berichtigungen und aufklärenden Artikeln entgegengetreten. Sie haben es allerdings getan, ohne sich in die Parteipolemik einzumischen. Das, meine Herren, haben die Negierungen unterlassen, niht aus irgend welchen theoretischen Gründen, niht weil es ihnen etwa an Mut gefehlt hätte, für die Beschlüsse der Parteien einzutreten die sich am leßten Ende über die Bewilligung von Steuern in genügender Höhe ver ständigt hatten, sondern lediglih, weil sie feinen prak- tischen Erfolg voraussehen konnten. Verhindert hätten sie die leidenschaftlihe Agitation nicht. Dazu war die allgemeine politishe Erregung zu groß. Dafür ist die Kritik an jeder neuen Steuer zu leiht. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Anstatt zw beruhigen, hätten die Negierungen lediglich ihrerseits den Kampf immer aufs neue wieder angeregt.

Veber die Verantwortung, die auch die Regierungen übernahmen, als sie den Beschlüssen des Neichstags zustimmten, sind sie si nie im Zweifel gewesen, ebensowenig wie sie sich au nur einen Augen- blick den Vorwürfen entzogen haben, die wegen dieser Zustimmung gegen fie gerichtet worden sind. Aber genau wie im Juli dieses Jahres sind die Negierungen noch heute fest davon überzeugt, daß es nur mit dieser Zustimmung möglich werden konnte und möglich ge- worden ist, Ihnen einen Etat vorzulegen, der eine allmähliche Ge- sundung unserer Neichsfinanzen verspricht. (Beifall rechts.)

Meine Herren, in der Thronrede sind die hauptsächlichsten gesetz- geberishen Arbeiten bezeichnet, die den Neichstag diesen Winter be- schäftigen werden. Man bat zum Teil erwartet, daß ih neben diesem aktuellen Programm der Gegenwart noch ein allgemeines Programm der Zukunft entwickeln würde. Diese Erwartung entspringt, wie mir scheint, in erster Linie Parteibedürfnissen. Daher denn auch das weitere Verlangen nach programmmäßigen Erklärungen darüber, auf welche Parteikonstellation ich mich zu stüßen gedähte. Meine Herren, ofen gestanden, was für Vorstellungen sind es, welche diese Frage eingeben fonnten! (Sebr rihtig!) So entschieden es die Parteien von jeher abgelehnt haben und no ablehnen, Negierungsparteien zu sein und ih persönlich, meine Herren, kann über diese Ablehnung doch nicht im Zweifel sein —, ebensowenig wird in Deutschland jemals eine Negierung Parteiregierung fein können. (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten. Bravo! rechts. Glocke des Präsidenten.)

Meine Herren, mit den Schwierigkeiten, die \sih daraus ergeben, hat noch jeder deutshe Staatsmann zu kämpfen gehabt (sehr richtig !), und an diesem Verhältnis, das ein geschihtliches ist, das in der Eigen- art unseres Parteiwesens und in unseren staatlichen Institutionen be- gründet ist (Sehr richtig!), hat auc die leßte Krisis keinen Deut geändert. (Sehr wahr! rets.)

Meine Herren, gewiß, der Nadikalismus hat ein lebhaftes Interesse daran, ganz Deutschland in zwei politische Lager zu trennen, je nach der Stellung, die die einzelnen Parteien zu einzelnen Teilen der Steuervorlagen eingenommen haben. Er macht ausgezeichnete Geschäfte dabei. (Sehr richtig! in der Mitte.) Aber, meine Herren, dieser Dualismus ist eine Fiktion, die zwar zu Parteizwecken ausgenußt wird, die aber troß der Verbitterung, die bei uns eingezogen ist, auf die Dauer nur fest- gehalten werden kann, wenn zum Schaden unserer politishen Ent- wicklung große Parteien auf ihre Geschichte, auf ihre Traditionen und auf ihre Ziele verzihten wollen. (Bravo! rechts und in der Mitte. Widerspruch links.) Und, meine Herren, was \{chlimmer noch ist: ih kann keinen Vorteil sehen, den das Land davon hätte, wenn es ge- länge, den Gegensaß, der sich über den neuen Steuern entwidckelt hat, nun für alle“ Ewigkeit auf unsere gesamte politische Entwicklung fortwirken zu lassen. (Sehr wahr!)

Absprechende Kritik, meine Herren, hat die gegenwärtige Situation dadurch besonders zutreffend kennzeihnen zu können geglaubt, daß man von einer Periode der Stagnation sprichßt man braucht auch das geschmackvolle Wort des Fortwurstelns (Heiterkeit) —, weil den Neichstag diesen Winter nur geschäftsmäßige Vorlagen, keine Fragen von hochpolitischer Bedeutung beschäftigen werden. Meine Herren, ih sehe nichts von Stagnation. Wenn der Neichstag die ihm an- gekündigten Vorlagen erledigt, dann wird er mit Genugtuung darauf zurückblicken können, reie Arbeit geleistet zu haben. (Zustimmung.)

Und ist es denn richtig, meine Herren, daß diese Vorlagen \o geshäftsmäßig nüchtern seien, so jeden politischen Interesses entbehrten ? Wenn man auf manche Stimmen draußen hört, dann gewinnt man

allerdings den Eindruck, als ob unsere politischen Nerven bereits so abgestumpft wären, daß bedeutsame Vorlagen der Sozialpolitik, der Rechtspflege, wie sie Ihnen angekündigt worden sind, Fragen, die jahrzehutelang aufs heftigste von den Parteien umstritten worden sind, dèren Wsung als ein dringendes politisches Bedürfnis bezeichnet wurde ih sage, meine Herren, man gewinnt den Eindruck als ob Fragen von dieser Bedeutung in dem Augenblick wo man praktis an ihre Wsung herantritt, jedes politische Interesse verloren hätten, als ob nur ganz s{charf gewürzte Kost , womöglich grundstürzende Aenderungen staatlicher Institutionen überhaupt noch genießbar wären.

Meine Herren, ih schließe meine Augen niht vor der partei- politischen Erregung, die das Land durzieht. Aber troßdem bin ich der Ansicht, daß es tveite Kreise des Volkes gibt, welche auf die Dauer nicht von der politischen Sensation und nicht von der Verärgerung leben wollen. (Sehr wahr!) Meine Herren, was das Volk in erster Linie verlangt, das ist doch, daß es" in seiner werktätigen Arbeit mag sie nun wirtschaftliher oder kultureller Art sein hier und draußen auf dem Weltmarkt nicht durch Unruhe oder Experimente gestört, sondern dur eine Politik der Stetigkeit und Festigkeit im Innern und nah außen gestüßt und gefördert wird. (Lebhafte - Zustimmung.)

Meine Herren, und glaubt man denn nun wirklich, daß diesem Verlangen, dieser Vielgestaltigkeit der Bedürfnisse unseres Volkes, die sich je nah der Eigenart der einzelnen Volksstämme, je nach der Verschiedenheit der wirts{haftlichen BVorbedingungen im Süden und Norden, im Osten und im Westen unseres Vaterlandes mit ganz verschiedener politisher Nuancierung ausgebildet haben, gedient wäre, wenn auch nur die geseßgeberischen Borlagen, von denen ih sprach, unter das eine Schema gestellt werden, das nichts anderes kennt als die Schlagworte : Nadikalismus und Negaktion ? (Sehr richtig!) Das würde jede gesunde Entwicklung, jeden vernünftigen Fortschritt unmöglich machen.

Gewiß, meine Herren, zu dem Leben einer jeden Nation gehört der politische Kampf (sehr richtig! links); aber keine Nation verträgt es, durch fensationell zugespißte parteipolitische Streitigkeiten dauernd in Atem gehalten zu werden. (Sehr richtig! rechts.) Das muß im leßten Ende den Nerv jeden staatlichen Lebens, das Vertrauen im Innern und das Ansehen nah außen hin töten. (Beifall rechts und in der Mitte.)

Und, meine Herren, dazu sind unsere Zeiten nicht angetan ; win können uns nicht den Luxus gestatten, uns bei Vergangenem auf zuhalten oder untätig zu bleiben. Wer s\ih wie Deutschland seine Stellung in nüchterner Arbeit erworben hat, kann sie auch nur in folher Arbeit behaupten. Und wie lassen Sie Deutschlands Ge schichte an sih vorüberziehen es niht eine einzelne Partei, eine einzelne Parteirihtung gewesen ist, die Deutschland fein Gepräge ge geben hat, sondern wie dabei alle Kräfte des Volkes mitgewirkt haben, so muß es au in Zukunft bleiben.

Darin s\priht sich nicht der in den leßten Wochen fo viel be spöttelte Ruf nach positiver Mitarbeit aus oder gar ängstliche Sorge um die Schaffung einer momentanen parlamentarischen Majorität. Nein, meine Herren, nit das. Aber die Ueberzeugung, daß es einen wang zum Schaffen gibt, den die Volksgemeinschaft jedem ihrer Glieder auferlegt, und die Gewißheit, daß dieser Zwang auch die gegenwärtigen Irren und Wirren überdauern wird. ( Lebhafter Bei- fall, Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Staatssekretär des Reichsschaßamts Wermuth:

Meine Herren! Jch habe die Ehre, bei Jhnen gleichzeitig einen Nachtragsetat für 1909 und den Hauptetat für 1910 einzuführen. Vielleicht darf ih glei hier die Bitte aussprechen, den Nachtragsetat so zeitig wie irgend möglich, wenn irgend tunlih, noch vor Weih naten zur Abfertigung bringen zu wollen. Es sprechen dafür ganz wesentliche finanztechnische Nücksichten. Daß aber der Nachtragsetat und der Hauptetat heute in der Diskussion mit einande: verbunden werden, das kann ich lebhaft begrüßen. (Unrube.) (Glocke des Präsidenten.)

Denn beide hängen eng mit einander zusammen, sie sind ein Kopf mit zwei Gesichtern, ein Januékopf, von dem das eine Gesicht durchaus in die Vergangenheit gerichtet ist, während das andere in die uns be vorstehende neue Finanzperiode hineinsieht.

Meine Herren, der Nachtragsetat bringt Ihnen fast lauter alte gute Bekannte, denn er beruht auf dem § 2 des Finanzgeseßes und auf den Besoldungsgeseßen. Aber er enthält gleichzeitig ein fehr ernst stimmendes Fazit über die gesamte finanzielle Entwicklung einer geraumen Reihe von Jahren. Der Nachtragsetat liquidiert die Mehrbeträge an Besoldungen, welche für das Jahr 1909 zu zahlen waren, mit 90 Millionen Mark und die Nachzahlungen an Be soldurgen mit 60 Millionen Mark, ferner verfügt er dem Gesetz entsprechend über die Fehlbeträge zum Neichshaushaltsetat vom Jahre 1907, welche er aus dem Extraordinarium in das Ordinarium übernimmt, und für 1908, welche er sofort dem Extraordinarium überweist, über die gestundeten Matrikularbeiträge von 1906, 1907, 1908 und über die den Kopfbetrag von 80 - übersteigenden Matrikularbeiträge für das Jahr 1909. Endlich wirft er auh noch einen Teil der Unter- stüßungen aus, welhe das Tabaksteuergesez für unterstüßungs- bedürftige Tabaksarbeiter vorgesehen hat. So gelangt der Nachtrags- etat zu einem Gesamtbetrag von 680 Millionen Mark. Hiervon gehen ab 75 Millionen, weil die Stempelsteuern seit 1. April d. & sämtlih zu. reihseignen Steuern geworden sind, und 85 Millionen an neuen Zöllen und Steuern, welhe wir für das Jahr 1909 veranschlagt haben. Es bleibt also ein Gesamtanleibebedarf von mehr als 520 Millionen Mark übrig.

Meine Herren, hier liegt es klar vor uns, wie wir mit bedächtiger Schnelle von gestundeten Matrikularbeiträgen über Fehlbeträge in den Einnahmen und Ausgabesteigerungen bis zur A nleih e gelangt sind. Was ursprünglich nicht beabsichtigt oder jedenfalls nicht klar ausgesprochen war, ist im Endeffekt denno eingetreten: es sind in großem Umfange Ausgaben, welche durhaus vom Ordinarium Hätten bestritten werden müssen, {ließlich durch Anleihen gedeck worden. (Sehr richtig! in der Mitte.) Jegt sehen wir es zahlenmäßig vor Augen, in welcher Weise wir bereits eine Neihe von Jahren hindur an einem ronischen Defizit gelitten haben. (Sehr richtig! rechts.) Das ist nun freilich keine neue Entdeckung von mir (fehr richtig! links), sondern es war der Anstoß zu den neuen Reichsfinanzgeseßen. Aber nachdem diese Finanzgeseße jeßt zustande gekommen sind, muß unbedingt der Aus- gangspunkt gefunden werden, müssen wir unbedingt einen Anfang damit machen, durch einen auf Jahre hinaus berehneten Finanzplan unsere

gesamte Finanzgebarung so zu führen, daß eine Entwicklung wie die hinter uns liegende “vermieden wird. (Sehr rihtig! in der Mitte.) Es wird meine Aufgabe sein, Ihnen, meine Herren, darzulegen, wie weit der Etat von 1910 den Versuch macht, eine solche Entwicklung wenigstens anzubahnen. Dabei werde ih mir gestatten, die einzelnen Hauptabschnitte, die Matrikularbeiträge, die sonstigen Einnahmen, die Ausgaben des außerordentlihen Etats und die Ausgaben des ordentlichen Etats nah einander durchzugehen und dabei den Nachtragsetat mit dem Etat zu verbinden. Die üblichen Zahlenreihen werde ih mir gestatten, gelegentlich einzuflechten, weil ein allzu ununterbrochenes Aneinanderreihen von Zahlenreihen erfahrungsmäßig entweder ermüdet oder Zwiesprahe weckend wirkt (Zuruf von den Sozialdemokraten : Ein origineller Gedanke! Glode des Präsidenten.)

Die Ausgaben des ordentlichen Etats stellen \sih insgesamt auf 2 660 560 586 M, die eigenen Einnahmen des Neichs {ließen mit 2 432 048 586 M ab. Die einzige Ueberweisungssteuer, die jeßt noch vorhanden ist, die Branntweinsteuer ist geschäßt auf 180 Millionen Mark. Es verbleibt also durch ungedeckte Matrikularbeiträge zu decken ein Betrag von 48 512 000 M, d. h. 80 „4 auf den Kopf der Bevölkerung, oder genau derjenige Betrag, welcher im Jahre 1909 dur das Finanzgeseß den Bundesregierungen endgültig auf erlegt worden ist. Meine Herren, in diesem Ansatz erblicke ih meiner- seits den Angelpunkt des ganzen Etats. Es hat sich darnach dur Benußung der neuen Einnahmen und dur vorsichtige Behandlung der Ausgaben als möglich erwiesen, von vorne berein den unbestimmten

Deckungskoeffizienten, die Matrikularbeiträge, so zu gestalten, wie es der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitshaft der Bundesstaaten ent- spricht. Es ist also, wie {on durch das Finanzgeseßz, jeßt aber hoffentlich definitiv verlassen worden das Verfahren der leßten Jahre, mittels dessen von den Bundesstaaten zunächst nur ein mäßiger Teil der Matri- fularbeiträge eingefordert wurde, während die Zahlung des Nestes in die zukunft verschoben blieb. Es liegt mir sehr ferne, über das interessante Experiment aburteilen zu wollen, welches das Gesez vom 3. Juni 1906 unternommen hat, aber wie dieses Crperiment gegen den Willen feiner Urheber \hließlih ausgeschlagen ist, hat es unseren Finanzen sicherlich nit zum Heile gereiht. (Sehr richtig!) Die Bundesstaaten sind jahrelang unter dem Druck einer shweren Zahlungspflicht ge- halten worden; die Finanzen des Neichs sind in eine Unsicherheit ge- raten, die, wie Ihnen {on ein Blick in die Kolumnen des Nachtrags etats zeigt, rein technisch kaum noch erträglih war; die gestundeten Matrikularbeiträge sind von Jahr zu Jahr gestiegen; sie betrugen im Jahre 1906 28 Millionen, im Jahre 1907 38 Millionen, im Jahre 1908 80 Millionen und im Jahre 1909 die ungedeckten und über 30 4 hinausgehenden Matrikularbeiträge gar 242 Millionen Mark. (Hört! hört!) Und \{ließlich sind diese vier ausgeseßten Kinder, da sie fanden, daß es .sich im Vaterhause am besten wohnen lasse, reu mütig wieder in unsere Arme zurückgekehrt. (Heiterkeit.)

Meine Herren, dieses Verfahren birgt gleichzeitig die sehr s{chwere Gefahr in sih, daß man die Ausgaben auf Einnabmen einvichtet, welche nicht tatsählich eingehen. Wenn die Etatsaufstellung irgendwie flar und wirksam sein soll, so muß {on bei den Vorverhandlungen zum Etat volle Sicherheit darüber bestehen, welche Einnahmen fich ergeben werden. Nur \o lassen sich die Ausgaben den Einnahmen an- passen, und nur fo lassen {ih die Interessen der fordernden Ver- waltungen mit den Interessen der Neichsfinanzverwaltung, mit den Interessen der NReichsfinanzen wirksam verflehten. Jh beabsichtige nicht, irgendeinen Exkurs auf verfassungsrechtlihe oder geseßliche Be- stimmungen zu veranstalten. Was ih vom rein praktischen Stand- punkt betonen möchte, ist ledigli: es dürfen zur Balanzierung des Etats die Matrikularbeiträge nur insoweit verwendet werden, als die bestimmte Absicht und Aussicht besteht, daß sie auch wirklich eingehen, und damit müssen die Matrikularbeiträge die feste Mauer bilden, an welche die Etatsaufstellung sich anlehnen kann.

Bon diesem Gesichtspunkt aus \{eint mir bedeutungsvoll, daß der Etat für 1910 genau denselben Betrag einsetzt, wie er für 1909 erhoben wird, denselben Betrag, zu dessen Zahlung die Bundesstaaten sich zunähst auf die Dauer von fünf Jahren bereit erklärt haben. Man wird ernstlich bestrebt sein müssen, auf diesem Wege weiter zu gehen; es ist der einzige, der zur Gefundung unserer Finanzen führen kann.

Das seßt freilih voraus, daß die Matrikularbeiträge in dieser Höhe auch tatsächlich aus den eigenen Mitteln der Bundesstaaten der Neichskasse zufließen. Wenn durch die Gestaltung der Einnahmme- verhältnisse nahträglich ein Auf und Ab, ein Schwanken nah oben oder unten auch in den Matrikularbeiträgen herbeigeführt werden kann, fo verliert die Etatsfeststellung wiederum ihren festen Halt. Es wird ernstlih zu erwägen fein, ob nicht auf dem Boden der geltenden verfassungsrehtlichen und geseßlichen Bestimmungen hiergegen irgend eine Vorkehrung getroffen werden kann.

Das führt mich zu den übrigen Einnahmen.

Meine Herren, mit den Einnahmeschäßungen für 1908 haben wir ungewöhnliß ungünstige Erfahrungen gemacht. Ih muß Ihnen die betreffenden Kolumnen hier turz vorlesen. Die Cinnahmen aus den Zöllen sind um nicht weniger als 121 Millionen Mark hinter dem Etats-Soll zurückgeblieben (hört! hört! links), die aus den Neichsftempelabgaben um rund 9 Millionen, darunter aus Personenfahrkarten um 5 Millionen (hört, hört! rets), aus der Grbschaftssteuer um 12 Millionen und aus der Brausteuer um 4 Millionen. Die Post- und Telegraphenverwaltung hat bei einer Minder- einnahme von über 20 Millionen Mark, einen MinderübersGuß von 16 Millionen Mark ergeben. (Hört, hört! rechts.) Der Uebershuß der Neichseisenbahnen hat sich 10 Millionen Mark unter dem Etats: Soll géhalten; aus dem Bankwesen sind dem Neiche 9 Millionen Mark weniger als veranschlagt zugeflossen. Kleine Steigerungen bet einzelnen Steuern, so bei der Zuersteuer um 2,6 Millionen Mark, und eine Steigerung des Münzgewinns haben nicht verhindern können, daß das gesamte Ist der Einnahmen 188 Millionen Mark hinter dem Soll zurücgeblieben ist. In dem Nachtragsetat erscheinen zwar nur 122 Millionen Mark ‘als Fehlbetrag. Allein das ist rein rechnerish. Es ist nämlich formell für 1908 ein Ausgabeminus von 125 Millionen Mark und ein Ausgabemehr von nur 61 Millionen Mark zu verzeichnen, fodaß 64 Millionen Mark Minderausgaben den 188 Millionen Mark Mindereinnahmen gegenüberständen. Aber diese 64 Millionen Mark verflüchtigen sich vollständig, wenn man berüsihtigt, daß davon 93 Millionen Mark entgangene Einnahmen aus dem Fonds für Witwen- und Waisenversorgung waren, welche fowohl in Einnahme wie in Ausgabe haben abgeseßt werden müssen, und daß fernerhin die

vorgesehene Schuldentilgung hat zurüdckgestellt werden müssen. Wenn man das berücksihtigt, so ergibt sich nit ein Ausgabeminus, sondern ein Ausgabeplus von 13 Millionen Mark, und wir kommen dann auf einen gesamten Fehlbetrag von 200 Millionen Mark für das Jahr 1908. Dieses. Minus ist ganz überwiegend entgangenen Einnahmen zuzuschreiben.

Meine Herren, diese Zahlen enthalten eine überaus ernste Mahnung zur vorsichtigsten Shäßung der Einnahmen. Die Schäßung für 1908 war an fih formell vollkommen korrekt. Sie wählte meist den 24 monatigen Durchschnitt, welcher feit längerer Zeit derartigen Schäßungen zu Grunde gelegt wird. Aber hieraus ergibt fich eben, wie ungünstig ein solher schematischer Grundsaß wirken kann, wenn er ohne Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Zeitabschnitts durchgeführt wird. Die e Schäßung für 1908 griff mit ibrem 24monatigen Durchschnitt in die ungewöhn- lih reihen und prosperierenden Jahre 1906 und 1907 zurück und legte also die Ergebnisse zweier fetter Jahre zu Grunde, um ein mageres Jahr, das vor uns lag, abzushäßen. Darin ruht eine große Gefahr. Es ist dringend dazu zu raten, daß wir die wirtschaftlichen Verhältnisse bei den Abschäßungen mehr als bisher berücksichtigen, wenn au, wie ih bereitwillig zugebe, die Festhaltung eines Durch- shnittsgrundsatzes an sih und, wenn nicht abweichende besondere Ver hältnisse ein, anderes gebieten, ihre großen Vorteile hat.

Vor allem aber, meine Herren, muß davor gewarnt werden, daß wir die Abshäßung der Einnahmen beeinflussen lassen dur die Nücksicht darauf, daß wir für Ausgaben Naum und Deckung schaffen wollen. (Sehr gut! in der Mitte.) Das i} dasjenige, was wir beim Weingesetz so lebhaft perhorreszierten, nämli das Strefen und Verlängern der Einnahmen. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Wie hlecht es ih in einem solchen Prokrustesbett \{lafen läßt, und wie übel das Erwachen ist, dafür ist der Nachtragsetat éin lautredendes Beispiel. (Sehr richtig !)

Für 1909 sind die Aussichten auf Erfüllung der Schätungen nicht so ungünstig wie für 1908. Das liegt zum Teil daran, ‘daß die Einnahmen aus den Zöllen {hon um 37 Millionen Mark niedriger geshäßt sind als für 1908. Wir sind deshalb auch in der Lage ge wesen, das Wagnis, kann ih wohl sagen, zu unternehmen, die Zölle für 1910 beinahe ebenso hoh zu veranschlagen, wie es für 1909 ge sehen ist. Ermutigt sind wir dazu auch durh die Beobachtung, daß in der Tat in den leßten Monaten ein gewisses Anziehen der Einnahmen aus den Zöllen {ich geltend gemaht hat. Es liegt mir fecn, zu prophezeien kurzfristige Prophezeiungen möchten immer etwas bedenklich sein (Heiterkeit) —; aber foviel darf man doch wohl sagen : eine gewisse langsame, aber stetige Aufwärtsbewegung der Konjunktur niaht sich jeßt in unserem Erwerbsleben geltend. Dazu kommt, daß die leßte Ernte unseren inländishen Markt wieder nachhaltig gekräftigt hat.

Das hat nun freilih zur Folge, daß hinter unsere Schätzung bei den Zöllen wiederum das Fragezeichen der Einfuhrscheine tritt. Es ist nicht zu verkennen, daß in diesem Jahre die Einfuhrscheine eine noch stärkere Wirkung geäußert haben als im Jahre 1908 (hört! hört !): allerdings vorwiegend infolge der Ausfuhr von Noggen, welche be- kfanntlih die Einfuhr von Noggen seit längerem wesentli über- steigt. Beim Hafer hat ih im Anfang des Jahres eine entschiedene Umkehr des Verhältnisses vom vorigen Jahre geltend gemacht: hier überstieg die Einfuhr die Ausfuhr ganz bedeutend. Allein in dem leßten Monat hat sich das Verhältnis do schon wieder etwas ge- vandelt, und im Oktober dieses Jahres hat die Ausfuhr den Betrag der Einfuhr {on beinabe wieder erreiht; ein leises, aber fräftiges Anziehen der Ausfuhr macht sih da doch au chon geltend.

Die Unsicherheit, die aus den Schäßungen gerade der Zölle hervorgeht, hat zur Folge, daß der Fonds für die Witwen- und Waisenversorgung ungemein wer abzuschäßen ist. Jh möchte dabei hervorheben, daß wir für dieses Jahr nach den bis jeßt vorliegenden Schäßungen ein gewisses Ergebnis für den Fonds erwarten dürfen. Indessen sicher ist das bis jeßt nicht; es bleibt bis zum leßten Monat vollflommen ins Unsichere gestellt, und für 1910 ist es noch viel weniger möglich, einen bestimmten Betrag dieses Fonds einzuseßzen. Wir müßten dann zunächst die Einnahmen aus den Getreide-, Vieh- usw.- Zöllen um einen fiktiven Betrag steigern, um erst den Grundbetrag zu erreichen, von welchem ab der S 15 des Zolltarifgesetzes den Witwen- und Waisenversicherungsfonds zu rechnen vorschreibt. Das haben wir nicht tun wollen, babe; aber selbstredend die Fürsorge ge troffen, daß alle Cinnahmebeträge dem Fonds zugeschrieben werden. Die Frage hat insofern nur eine rein rechnerische Bedeutung.

Ein zweites Moment der Unsicherheit ergibt \sih aus der Bor- einfuhr, die dur die neuen Zoll- und Steuergeseßze veranlaßt worden ist. Diese Voreinfuhr hat für Tabak zweifellos {on Ende vorigen Jahres eingesetzt, für Kaffee und Tee im Anfang dieses Jahres. Daß sie bedeutend gewesen ist, wollen Sie daraus ersehen, daß wir den Zollertrag aus dieser Voreinfuhr allein für das laufende Jahr auf 30 Millionen Mark veranschlagen. Natürlich wird für die FFolge- zeit ein erhebliches Sinken der Cinfuhr stattfinden. Das hat fich in früheren Fällen dieser Art auf Jahre erstreckt: ih fönnte Fhnen einen Fall nennen, wo es bei einer Aenderung der Tabaksteuer gar 9 Jahre gedauert hat, ehe der vor der Aenderung bereits erreichte Beharrungs- zustand wieder erreiht war. So lange werden wir dieses Mal unter keinen Umständen zu rechnen haben, aber Vorsicht bei der Abschätzung der Zölle, der alten wie der neuen, ist doch auch jetzt entschieden geboten.

Dasselbe, meine Herren, gilt von den neuen Steuern. Jch möchte hier ausdrücklich bemerken, daß wir der Abschäßung der neuen Steuern vollkommen dieselben Grundlagen gegeben haben, wie sie den Finanzgeseßen zugrunde lagen; wir haben keinen Anlaß gehabt, die den Finanzgeseßen zugrunde liegen- den Schäßungen abzuändern. (Hört! hört! rechts.) Aber, meine Herren , darüber ist man sich doch bei Erlaß des Steuer- gefeßes auf allen Seiten einig gewesen, und dafür sprechen auch alle Grfahrungen, daß die für den Beharrungszustand gedachten Ein- nahmen nicht {on im Uebergangszustande des ersten Jahres ein- gehen. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Wir müßten uns dann die ganze Voreinfuhr, die ganze Vorversorgung und die tastenden Versuche, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, einfach wegdenken.

Unter diesen Umständen, meine Herren, sind die verbündeten Regierungen bei der Abschäßung der neuen Zölle und Steuern zu folgenden Ergebnissen gelangt.

Die Gesamtsumme beläuft fih auf 500 Millionen Mark. Davon gehen aber ab zunächst 25 Millionen Mark an erhöhten Matrikular-

beiträgen, 35 Millionen Mark Zuersteuer, 20 Millionen Mark Fahrfkartensteuer, 3 Millionen Mark Ortsporto und auch das Méhr bon 4 Millionen Mark Erbschaftssteuer; das macht zu- sammen 87 Millionen Mark. Diefe Beträge haben wir selbst- redend vollkommen in voller Höhe in den Etat eingestellt. (s bleiben also 413 Millionen Mark, und von diesen 413 Millionen Mark haben die verbündeten Negierungen für das Jahr 1910 etwa fünf Siebentel nah sorgfältiger Begutachtung der einzelnen, die Summe zusammensetenden Posten eingestellt. Unter den fünf Siebenteln sind 52 Millionen Mark neue Zölle und der Nest neue Steuern. So ergibt sih von dem Gesamtbetrage von 500 Millionen Mark für das Jahr 1910 etwa ein Betrag von drei Vierteln.

Auf diese Weise gelangen wir für das Jahr 1910 zu einer Ein nahme an neuen und an alten Zöllen und Steuern zusammen- genommen von 1456 Millionen Mark, im Gegensaß zu einer Ein- nahme von 1163 Millionen Mark aus den alten Zöllen und Steuern nah Abzug des Witwen- und Waisenfonds, welche für das Jahr 1909 veranschlagt sind. Wir haben dann im Jahre 1910 noch zu erwarten ein Mehr an Posteinnahmen, an Mehreinnahmen der Neichsdruckerei und einiger anderer Ver waltungszweige, dagegen wieder eine Mindereinnahme im Bank wesen, und gelangen auf die Weise zu einem Gesamtbetrage von 907 Millionea Mark mehr im Jahre 1910 gegen 1909. Für den Nachtragsetat 1909 haßen wir, wie ich bereits andeutete, die neuen Zolle und Steuern auf 85 Millionen Mark. Hier ist natürlich wegen der Voreinfuhr doppelte Vorsicht geboten. Auf der anderen Seite aber gibt uus einen ziemlih sicheren Grundstock das Ergebnis der Nachverzollung und Nachversteuerung, das nch auf etwa 25 bis 90 Millionen Mark beläuft.

Meine Herren, gestatten Sie mir hier noch ein kurzes Wort über die Ausführung der neuen Steuergeseße. Jh habe schon be- merken dürfen, daß wir keinerlei Erfahrungen gemacht haben, welche uns dazu leiteten, die Grundlagen der Schäßungen zu den neuen Steuern als unzutreffend ansehen u mussen. (Hört, hört! ta der Mitte.) Auf der anderen Seite aber, meine Herren, befinden wir uns ja zunächst in den allerersten Stadien des Uebergangszustandes. Vor wenigen Monaten sind erst die neuen Finanzgeseße in Kraft getreten, die leßten von ihnen seit ungefähr zwei Monaten. Die Ausführungsbestimmungen zu diesen Geseßen repräsentieren sowohl an äußerem Umfang wie an innerer Kompliziertheit ein ganz enormes Werk. Cs wird noch eine Weile dauern, ehe sich das Publikum und die Behörden vollständig an die neuen Bestimmungen gewöhnt haben. In einzelnen Beziehungen, so bei der Talonsteuer, sind sogar Schwierigkeiten entstanden, welche den Gedanken an eine authentische Jnterpretation des Gesetzes nahe- legten; ih darf allerdings hinzufügen, daß es gelungen ist, den weitaus größten und schwierigsten Teil dieser Frage im Wege der Verständigung zu erledigen. Sie schen aber, meine Herren, eine wie zarte und schonungsbedürftige Pflanze die neuen Einnahmen noch sind, und es wird dringend nötig sein, daß wir zunächst eine ganze Weile ruhig abwarten, wie die Ausführung der Geseße und deren Srgebnis sih gestaltet. Das seßt freilich voraus, daß wir doppelte Vorsicht walten lassen in der Anseßzung neuer Ausgaben, die eine neue Deckung erheischen. (Allseitig Zustimmung.) Heißt es sonst : feine Ausgabe obne Deckung so wird es hier ganz besonders heißen müssen: keine Ausgabe ohne Deckung, welche nit absolut sicher garantiert ist. (Sebr richtig bei der Neichspartei.)

Ich gelange jeßt, meine Herren zu den Ausgaben des außer ordentlichen Etats. Vorher gestattete ih mir bereits, zu bemerken, daß wir in erheblichem Umfange Ausgaben, die wir eigentlih durch das Ordinarium hätten bestreiten müssen, auf das Extraordinarium übernehmen. Es sind das die Besoldungsvermehrungen für das Jahr 1909, die Besoldungsnachzahlungen für 1908 und der nicht abgrenzbare Kreis von Aufgaben, der eigentlih dur die ungedeckten, nicht ein gegangenen Matrikularbeiträge hätte bestritten werden sollen. Wir haben also auf indirektem Wege, aber fehr stark, durchbrochen die Grundsätze, welche in der Denkschrift zum Etat von 1907 und noch viel mehr die Grundsäße, die in der Denkschrift zum Finanzgesetze aufgestellt waren. Jeßt, meine Herren, wird es aber un bedingt heißen müssen: keine neue Ausgabe nichtwerbender Art auf Anleihe! (Sehr rihtig! in der Mitte und links.) Es ist nicht alsbald möglich, alles, was wir bisher auf Anleihen ge nommen haben, ohne weiteres auf das Ordinarium zu übernehmen. Dazu sind die Bestimmungen der Geseße, auf denen die betreffenden Ausgaben beruhen, zu zwingend und zu wichtig. Wir können die Ausgaben für die Flotte, für die Festungen, ferner auch für die Er- weiterung des Kaiser Wilhelm Kanals, für die Telephonanlagen nicht ohne weiteres auf das Ordinarium überführen, son deswegen nicht, weil wir die nähsten Jahre genug zu tun haben, um die Lücke aus- zufüllen, welche durch die ungedeckten Matrikularbeiträge sich charakterisiert, und weil wir außerdem die später noch zu erwähnende Abbürdung vornehmen sollen. Aber immerhin ist es do gelungen, die Anleihe um einen nicht unerheblichen Betrag zu reduzieren. Sie sinden {hon im Etatsgeseß für das Jahr 1909 eine Anleihe von 202 Millionen Mark. 1908 waren es noch wesentlich mehr. Aber auch für 1909 Fönnte ih den Betrag von 148 Millionen Mark, der im Nachtragsetat steht, ökfonomish auf das Jahr 1909 mitrehnen. Dann würde ih für 1909 eine Anleihe von 350 Millionen oder 200 Millionen Mark mehr ergeben, als der Etat für 1910 einseßt. Aber au. wenn man nur die Anleihen der Haupt- geseße von 1909 und 1910 vergleicht, so ergibt sich immerhin für leßteres Jahr ein Minus von 50 Millionen Mark. Meine Herren, ih behaupte in keiner Weise, daß man sih mit diesem Ergebnis zu- friedengestellt erklären darf. Aber so ist es doch auch nicht, wie es jeßt in der Offentlichkeit mehrfah geheißen hat: [eider ließe der Etat für 1910 wieder mtt einem großen Defizit ab, mit einem Defizit, das die Väter der Finanzreform nit hätten vorausfehen können. Das Gegenteil ist der Fall. Jn der Denkschrift zum Finanzgeseßz ist für die nähsten fünf Jahre eine Anleibe allein für Ausgaben nicht- werbender Art von 800 bis 900 Millionen Mark vorgesehen, und wenn Sie dazu die Ausgaben werbender Art rechnen und die Verträge auf fünf Jahre verteilen, so werden Sie finden, daß dabei ein viel höherer Betrag herauskommt, als er im Etat für 1910 steht.

An si wäre ja auch der Betrag der Anleihe nicht furchterregend. Wenig günstig ist cs, daß er zeitlih zusammentrift mit den be- deutenden Beträgen, welche wir durch den Nahtragsetat auf Anleihe übernehmen müssen. Jch möchte indessen zur Beruhigung des Geld-

marktes doh nit unterlassen, ausdrücklich hervorzuheben, daß es

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keineswegs in der Absicht liegen kann, diese großen Beträge nun als- bald und unvermittelt insgesamt auf Anleihe zu vergeben. Der Ge- famtbetrag fann nit ewig wie eine dunkle Wolke über unseren Finanzen hängen bleiben : aber wir werden doch das möglichste tun müssen, um ihn zu zerteilen. Für eine derartige Zerteilung sorgt auch {on das Reichsfinanzgesetz vom 15. Juli d. J. indem es vor- schreibt, daß der Fehlbetrag für 1909 das sind ungefähr 240 Mil- lionen Mark auf die Jahre 1911 bis 1913 abgebürdet werden foll. Für diesen Betrag das ist mehr als zwei Fünftel des Anleihe- betrages des Nachtragsetats ergibt sih also s{chon von vornherein eine andere Behandlung als für den Nest. Und mit dem Nest wird man fo verfahren müssen, daß nicht eine allzu unvermittelte und allzu starke Belastung des Geldmarktes eintritt. -

Ih möchte mir bier eine Bemerkung gestatten, die mit der Finanzierung der Anleihen zusammenhängt. Wenn auh nicht behauptet werden kann und foll, daß unsere

Finanzen {on einen Höhepunkt erreicht hätten, so wird doch der Kursstand unserer Neichs- und Staatsanleihen sehr wesentlich au noch durch andere Momente beeinflußt als dur die Ungunst der Finanzlage. Das ist der außerordentli starke Andrang von fest ver- zinslihen Papieren aller Art zu dem Geldmarkt und die dadurch ver- anlaßte temporäâre Abneigung des Käufers gegen den Erwerb solcher Papiere. Auch wenn unsere Finanzen wieder einen günstigen Stand erreiht baben werden, ist damit keineswegs garantiert, daß unsere Anleihen den ihnen zukommenden Kurss\tand wteder einnehmen werden ; denn sie sind verstrickt in das gewaltige Neß der fest verzins lichen Anleibepaviere aller Art und werden von diesen mit herab- gezogen. Cs fragt sich, ob sich nicht hier Besserung schaffen läßt.

Im Zusammenhang mit der Finanzierung der Anleihe möchte ih noch erwähnen, daß der Ctatsgeseßentwurf Fhnen vorschlägt, den vor- übergehenden Kredit des Reichskanzlers von 600 Millionen auf 450 Millionen herabzuseßen. Fch hoffe, daß das als ein Zeichen wiederkehrender Gesundung angesehen werden darf. Die Herabseßung ist deswegen möglich, weil ein großer Teil der Ausgaben, die wir jeßt auf den Nachtragsetat und damit auf Anleihe übernehmen, {on auf den laufende: Betriebsmitteln des Neichskanzlers gelastet hat. Wenn wir jeßt auc niht die Absicht haben, alle diefe Beträge sofort durch Anleihe zu decken, so fallen sie doc den laufenden Betriebsmitteln nicht mebr zur Last; und diese werden dadurch ent - lastet. Eine weitere Entlastung tritt dadur ein, daß vom 1. Januar des nächsten Jahres ab die Borschüsse für die Unfallversicherungs- genossenschaften in Wegfall gelangen. Ferner bin ich bestrebt, die Vorschüsse, welche die Neichsfasse an den Neichsinvalidenfonds ge- leistet hat, allmählich wieder einzuholen durch die Veräußerung von Wertpapieren. Eine günstige Gelegenheit hat sih dazu vor kurzen geboten, als ein nambafter Betrag der im Postscheckwesen ein- gegangenen Gelder angelegt werden fonnte in Wertpapieren, welche dem Bestand des RNeichsinvalidenfonds entnommen waren:

Sie müssen mir gestatten, noch einmal auf den Fehlbetrag von 1909 zurückzukommen. Er beträgt, wie ich son bemerkte, 240 Millionen Mark. Wenn die Einnahmen aus den Zöllen und Steuern mehr als 85 Millionen betragen sollten, so vermindert sich der Fehlbetrag dementsprechend. Wenn aber die alten Einnahmen von 1909 hinter den Schäßungen zurückbleiben sollten, fo vermehrt sich der Fehlbetrag wiederum. Ih darf deshalb diese Stelle benußen um den üblichen Ueberblick über die Ergebnisse des laufenden Ctatsjahres zu geben. Dabei habe ich {hon die alten Zölle und Steuern erwähnt und dargelegt, wie unmöglich es ift, {on jeßt zu einer bestimmten Schäßung für das laufende Jahr zu kommen. Lasse ih die alten Zölle und Steuern außer auch nur kleiner Fehlbetrag für 1909 erwarten läßt. Zunächst baben wir durch dieses Jahr bei den Bankeinnahmen mit einem erbeblichen Ausfall, nämlich von 19 Millionen Mark zu rechnen. Dann wird ein Minderüberschuß der Post- und Telegraphenverwaltung im Be- frag von 3# Millionen eintreten, und zwar Mindereinnahmen von 10 Millionen und Minderausgaben von 67 Millionen. Die Neichs eifenbahnen werden voraussichtlih den veranschlagten Uebershuß bringen. Minderausgaben sind zu erwarten bei dem allgemeinen Pensionsfonds in Höhe von 2 Millionen und bei der Neichs\{huld. Im wesentlichen haben ih alle Verwaltungen mit den ibnen zur Verfügung stehenden Mitteln einzurichten verstanden. Mehrausgaben bei einem Titel stehen Ersparnisse oder Mehreinnahmen bei einem anderen gegenüber.

Das Reichsamt des Innern hat eine Mehreinnahme von 5 Million zu verzeichnen, hervorgerufen durch den nit erwarteten Mehraufwand an Familienunterstüßungen der Uebungsmannschaften. Die Heeresverwaltung hat an Löhnen für Zivilhandwerker, an Kafernen- wirtschaftskosten, beim Medizinalwesen, beim Ankaufen von Nemonten Mehrausgaben gehabt, denen Ersparnisse bei der Naturalverpflegung und den Transportkosten gegenüberstehen. Wenn der Heeresetat ing- gesamt mit einer Mehrausgabe von rund 92 Millionen Mark ab- {ließen wird, so ist dies allein auf die Beschaffung eines zweiten Truppenübungsplatzes für das Gardekorps zurückzuführen. Der bierfür erforderlihe Aufwand von 64 Millionen Mark war von den ver- bündeten Regierungen bekanntli in einem Nachtragsetatsentwurf an- gefordert, welher nicht mehr zur Verabschiedung gelangt ist. Aus den in der Budgetkommission gepflogenen Verhandlungen war in- dessen die Zustimmung des Reichstags zu einer außeretats- mäßigen Verausgabung, wie den Herren bekannt ist, ¡u ent- nehmen. Hiermit im Zufammenhang steht eine außeretatsmäßige Einnahme von 1,5 Millionen für den Verkauf eines Teiles des Tempelhofer Feldes. Uebrigens wird der gesamte Aufwand für den Truppenübungsplaßtz grundsäßlih durch entsprechende Einnahmen aus entbehrlich werdendem Gelände gedeckt.

Die Marineverwaltung kann auf Ersparnisse in Höhe von etwa 1 Million Mark rechnen. Beteiligt hieran sind insbesondere die Titel für Besoldungen, Zulagen, Landverpflegungsgelder und Schieß- übungen.

Meine Herren, ih gelange \{ließlich zu den A u 8gaben des ordentlihen Etats von 1910. Es ist neuerdings wieder- holt davon die Rede gewesen, daß die ursprünglichen Anforderungen an den Etatsentwurf für 1910 im Laufe der Etatsverhandlungen eine wesentlihe Kürzung erfahren hätten. Man hat \ich verwundert ge- fragt, ob denn folhe Kürzungen bei den großen Mehreinnahmen, die wir zu erwarten hätten, überhaupt noch nôtig seien, und ander- seits, ob die Anforderungen der Verwaltung an den Etat so groß gewesen seien, daß derartige Kürzungen notwendig, jaæ

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»etraht, so muß ich feststellen, daß ih ein, wenn