1889 / 273 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 15 Nov 1889 18:00:01 GMT) scan diff

M E 2E T P e ay ma Ly e E Zte s R s r * Rein S 2M E E E E T Es N hw - 4 E S La L R H

Anmerkung. Die Namensunters&riften der Mitglieder des Vorstandes können mit Lettern oder Fa.fimile-Stempela gedruckt werder, dcch muß jede Anweisung mit der eigenbärdigcen Namens- untersckrift eines Kor!trolbeamten versehen werden

Die Anwcitiung ift zem Unterschiede auf der ganzen Vlatibreite unter den beider: leßten Zinescheinen mit davon abweichenden Lettern in nastehenter Art abzudrucken :

. . ter Zinsschein. | . . ter Zinëschein.

Anweisung.

Parlamentarische Nachrichten.

Séhlußbericht der gestrigen (15.) Sizung des Reichs- tages; Fortseßung der Etatsberathung. i

Bei dem Etat des Reihsamts des Jnnern, Titel 1 der Besoldungen „Staatssekretär 50000 “, kommt Abg. Frohme auf seine neulihe Kontroverse mit dem Staats- ekretär von Boettiher über die Berichte der Fabrik- inspektoren hinsihtlich der Lohnbewegung zurück. Ein Urtheil wie das des Herrn Staatssekretärs, sagt er, ist sehr ernst zu nehmen, weil die Behörden im Lande nur zu sehr geneigt sind, sich danach zu richten. Wo liegt die Grenze zwischen berechtigten Besirebungen der Arbeiterkoalitionen und den sogenannten umstürzlerishen, zu verhindernden Bestrebun-

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gen, welche die Fabrikinspettoren gerügt haben? Wenn der Staatssekretär mit den Fabrikinspektoren überzeugt ist, daß es sid bei der Lohnbcwegung der Arbeiter in der Hauptsache vielfach um die Erregung von Unzufriedenheit, um das Ver- folgen agitatorisher Zweckde zu Gunsten der Sozialdemokratie handle, so muß er im Stande sein, die Beweise da- für zu erbringen. Die sozialdemokratishen Bestrebungen haben an sich mit der Lohnbewegung, mit den Strites aarnihts zu thun. Jn erster Linie ist der Arbeiter tensch, und als solher den Geseßen der herrshenden Oekonomie, allen Fährlichkeiten der modernen Produktions- weise unterworfen, und als Arbeiter, niht als Sozialdemofrat hat er dagegen zu kämpfen. Die Forderungen der Sozial- demokcratie gehen weit über das hinaus, was durch die Strikes erreiht werden fann. Jch weise es entschieden zurüdck, die Strikes mit den Bestrebungen der Sozialdemokraten irgend- wie zu identifiziren. Der amerikanische Arbeitskommifsar in New-York denkt über die Strikes ganz anders, als unsere Gewerberäthe. Es müsse ein großes und ftarkes Motiv sein, das einen Mann bewegen könne, die Arbeit einzustelen und sich selbst alles Erwerbes zu berauben. Selbst wenn er eine Unterstüßung erhalte, so sei das nur eine Hülfe, niht ein Lohn für jeine Bedürfnisse. Die Strikes hätten geholfen, die Löhne zu er- höhen, die Arbeitszeit zu verkürzen und überhaupt die Lage der Menjchen zu verbessern. Diese objektive und unparteiische Beurtheilung der Strikes fällt gegenüber densBerichten unferer Fabrikinspektoren sehr vortheilhaft auf. So spricht z. B. der Fabrikinspektor des Hamburger Aufsichtsbezirkes von „ver- meintlihen“ Beschwerden in den Arbeiterversammlungen und Fachvereinen. Andererseits sucht man die Gutachten der Handels- ammern und Berufsgenofsenschaften für die Aufsihtsbeamten zu erlangen, als wenn diese brauchbarer wären, als die Urtheile der Fachvereine. Der Staatssekretär ha: meine Aus- führungen über das Trucsystem angegriffen. Jn dem von ibm citirten Bericht heißt es, es seien nur vereinzelte Fälle der Anwendung des Trucksystems wahrgenommen worden. Drei ganze Fälle werden angeführt! Nun ‘beweist aber die neueste amtliche Justizstatistik für 1888, daß ungefähr 150 Fälle von strafbarem Truckunfug vorgekommen sind. Haben die Fabrikinspektoren die übrigen 147 Fälle nit „wahrgenommen“? Auch in anderer Beziehung lassen die Berichte der Fabrikinspektoren Objektivität vermissen. Jh gebe zu, daß eine ganze Anzahl von Wohlfahrts- einriGtungen verdienstlih ist, wenn sie niht gebraucht werden, um den Arbeiter in cine um so größere Abhängigkeit von dem Unternehmer zu bringen. Leider ist dies sehr vielfah bei den Arbeiterwohnungen der Fall. Fn Nienburg wurden die Arbeiter quasi aus ihren Wohnungen hinausgeworfen, nah- dem ihr ÄArbeitsvertrag sich in Folge des Umstandes geendigt hatte, daß sie einen Fachverein gründen wollten. Eine Er- wähnung dieser und ähnlicher Thatsachen würde sich in den Berichten wohl verlohnen. Staatssekretär von Boetticher: Der Herr Vorredner hat au beute wieder in seinem Vortrage gezeigt, daß er den Generalberidt über die Fabrifinspektorenberidte nit dur&wez forafältig studirt hat. Dies ergiebt sich zunächst aus seines Bemerkungen über das Trucksvstem, bezüglih defsen der Herr NVerredner meinen Ausführungen in der lettten Sißung die Kriminal- itatist? gegenüter gebalten hat, aus der becvorgebt, daß wegen Ueber- tretung der Vorschriften gegen die Anwendung des Trucksystems eine größere Antat] von Per!onen bestraft worden ist, als si aus den Berichten der Kabrikinspekteren cntnebmen läßt. Er bat an mi die Frage gerichtct, wie es sich erkläre, daß, während die Berichte der Fabrikinspi:ktoren nur eine geringe Zabl von Bestrafungen konstatiren, die Krimiralstatistik eine weitaus größere Zahl enthalte. Ja, wenn der Herr Abgeordnete die Güte gehabt bât!e, den eincn Passus des Géneralberichts über das Trucksysiem dur die Lektüre des folgenden Vasjus zu vervollständigen, dann würde er si die Antwori auf jeine Frage selber baben g¿ben können und würde nicht genöthigt gewesen sein, ieine Frage an mi zu richten Aus decm folgerden Passus ergiebt sid nämli ter thatsäélid duraus zutreffende Zusiand, daß das Truck!vstem weitaus am meisten no in der Hausinduftrie in An- wendung fommt. Das ift bier in dem Generaiberiht auëdrüdlid ausgeführt, und da die Hautindustrie, soweit «s sch nidt um Be- triebe handelt, in mwelcen eine regelmäßige Beuußurg von Dampf- kraft stal:findet, nit unter dcr Kertrole der Fabrikaufsihtébeamten steht, fo folgt bieraus die Richtigkeit meiner Behauptung, daß die Angzben der Verichte der Fabrikinspektoren. weibe si ledigli auf diè Fabrikintustrie erstrecken, ein im Wescn:liwen vollständiges Bi'd vor der Anwendung des Trucksystems in der Fabrikindustrie erceten. Alo, mneive-Herren, die größere Zahl der Kriminalstatistik kommt in der Hauvtsahe auf das Konto der Hau®industrie. Daneben will i& ja car ni&t leugnen, daß die Fabrikinspektoren nicht von allen Fälien der Uebertretung der Vorshriftcn gegen das Trucksvftem Kerntnis erlangt baben, allein die Thatsace seht fet, daß das Truck- ivstem in immer geringerem Ut-fange in Anwendung kommt. Diese Tir atsace ergiebt sid erfreul’icer Weise auc aus ter Kriminal- staticif Gs Kind beispiciéweise im Iabr 1886 206 rcchtékrôäftige Ents@cidungen in Sachen bezüglich der Anwendung tes Trucksystems ergazgen, im Jahre 1887 dagegen nur 193; im Jahre 1886 sind 194 Verurtbetiongen . vorgekommen, im Iabre 1887 - dagegen nur 172, uod wenn ic die Zahl des Herrn - Akgeordneten, die er aus dem Jahre 1888 angegeben hat und dic mir bier nicht vor- liegt, ret verstanden babe, so ist au-für das Jabr 1888 ein weiterer Rüdckagang dieser Befstrafungen zu konstatiren. Nun, meine Herecr, bat mich der Herr Vorredner gefragt, wo die Grenze zwischen den erlaubten Bestrebungen der Arbeiter, ins-

fein

besortere den erlaubten Bestrebungen der sozialdemokratishen Paritei und zwischen den verbotexecn umftürzlerishen Bestrebungen zu finden sei. Wenn er der leßten Siturg Ihrer Sozialiftenkommission bei- gewohnt bättz, so wücde er au diese Frage nit zu ftellen nöthig gehábt baben, dann wütde er aus den dortigen Verbandlungen erseben baben, daß diese Frage einz sogenannte quaestio facti ift. Es laffen i& nämli die umfttürzleris®en Bestrebungen viht fo definiren, daß -eine über jeden Zweifel erhabene Anwendung des Sozialistenocseges in jedem Fae gesidert ersheint, sondern ibr Vorliezen ist cben cine Tha1frage. Wir baben sol@er Be- ftimmungen in unserer Kriminalgesezgebrng mebrere, bei - denen die ftrafbare Handlung sid nicht dur feite Grenzen bestimmen läßt, und da bekanntlich die Praxis sehr vielfältig ist und eine umstürzlerische Besirebung, die heute als solche anerkanxt wird, worgen dur eine andere, bis dahin noch unbekannte, neu erfundene erseßt werden fann, so werden Sie die erforderli@e Belebrvng darüber, was erlaubt und was unerlaubt ift, ledigli aus den Sprien der Behörden und Ge- richte, welche für diese Sacen berufen sind, entnebmen können.

Dann bat der Herr Vorredner uns einen Extrakt aus einem Bericht eines amerikanischen Fabrik-Aufsichtébeamten verlesen und bat uns namentlich zu Gemüthe geführt, daß dieser Beamie anerkannt babe, daß die Strikes dazu geführt baben, die Löbne zu verbeftern. Meine Herren, das will ih ja gar nit in Abrede stellen, daß Arbeiter- foalitionen, die zum Zweck des Strikes eingegangen werden, auch dazu fübren fönnen, die Löhne zu verbessern, und wenn diese Strikes zu einer gerechtfertigien Lohnaufbefserung fübren, so ist dagegen nit das Mindeste zu erinnern. Wie der Herr Abgeordnete dazu kommt, aus meiner neulihen Aeußerung, daß Niemand das Koalitionére@t der Arbeiter beschränken wolle, die Befürchtung zu entnehmen, daß diese Aeußerurg die Behörden dazu führen werde, ihre Thätigkeit nun noch mebr gegen die Arbeiter und zu Gunsten der Arbeitgeber zu entwickeln, das ift mir in der That unverständlib; im Gegentbeil, giaube i, fönnten tie Bebörden doch hôöbfteus daraus entnehmen, daß bei der Reich2verwaltung der Wunsch besteht, der Koalitionsfreihcit in thren beretigten Grenzen den weitesten Spielraum zu lasen. Nun weiß ih aber, daß in der That die Koalitionsfreiheit nit blos zur Ver- folgung berechtigter Arbeiterbestrebungen, fondern daß fie aub zur sozialdemokratishen Propaganda, zur Aufreizung dec Arbeiter gegen die Arbeitgeber benußt wird, und, meinz Herren, in diescr Bezichung fteben wir nach wie vor auf dem Standpunkt, daß eine sol@e unbere&tigte Ausnußung der Koali- tionsfreibeit allerdings unterbunden werden mu*.

Wenn der Herr Vorredner ih weiter darüber beklagt bat, daß die Fabrifkinspektoren sich nit, wie das in anderen Ländern geschieht, der Arbeiter annehmen und ibnen in ibren berechtigten Forde- rungen gegenüber den Arbeitgebern ibren Schuß angedeiben lasten, 10 liegt da, wo dies der Fall ift, diese betrübende Er:ceinung ledigli an dem Verhalten der Ärbeiter selbst. Auch darüber giebt der Berit, wie er Ihnen vorliegt, cinigen Aufs{luß. So sagt beisptieléweise der Aufsictébeamte în Hamburg: /

Im Aufsichtsbezirke Hamburg war tie Stellung der Aufsicbts- beamten iu den Arbeitgebern auch in diesem Iabre eine ret befricdigerde, während der Verkebr mit den Arbeitern nit vor- geschritien ist. Diese sckcheinen cs vorzuziehen, vermeintlihe BVe- {werten in den Versammlungen der Facvereine zur Sprache ¿u bringen. N

Also die Arbeiter baben si in dieser Bezieburg mindestens in feinem böberen Grade wie früber der Vermittelung der Fabrik- insvektoren bedient, und id fan nur wünschen, daß das Vertrauen der Arbeiterwelt zu den Fabrikir.spektoren zunebmen möge. It balte dicse Vermittelung und dafür reen nit “blos die fn anderen Ländern, sondern au die bei uns gemachten Erfahrungen —, i sage, i balte diese Vermittelung für eine im beiderseitigen und auch im allgemeinen Interesse aukßerordentli® nüßli®e und jedenfalls für wünsceréwerther als die Vermittelurg der Fachvercine, die mindestent eine gewisse Vermutbung dafür in si tragen, daß in ihnen nit blef die bere&tigten Interessen der Arbeiter verfolgt werden, sondern daß dort auch von Agitatoren im sozialdemokratischen Sinne Propaganda getrieben wird. s

Weiter habe ich decn Auéführurgen des Abg. Frobhme zur Zeit nicts entgegen zu halten.

Die Abgg. Baumbach und Schrader beantragen :

„Die ver“ Üündeten Regierungen zu ersuden. dem Reicêtage den Entwurf cines Reicsgesetzes vorzulegen, beireffend die weitere Aus- bildung der Arbeitershußgeseßgebung in Ansehung der Frauen- und Kinderarbeit. :

Hierzu beantragt Abg. Freiherr von Stumm: Hinter den Worten „in Ansehung“ einzuschalten: „der Sonntagsruhe, jowie“.

Die Anträge werden mit zur Debatte gestellt.

Abg. Baumbach: Die Vorlegung der einzelnen Berichte der preufischen Fabrikinspektoren neben dem Genera!beriht ist ein Fortschritt, über den ih mich umsomehr freue, als der Minister von Boetticher im Abgeordnetenhause sih früher ent: schieden dagegen erklärte und die Tendenz des Antrags Hite- Lieber, der diese Vorlegung wünschte, eine Kontrolmaßregel gegenüber der Regierung nannte. Die Lohnfrage kann aller- dings von den Fabrikinspektoren kaum erschöpfend behandelt werden, da namentlich in Preußen die Ausfsichtsbezirke derselben zu groß find. Während in Sachsen auf 14000 Arbeiter ein Aufsichtsbeamter fällt, kommt in Berlin und Charlottenburg auf 134 000 Arbeiter ein Fabrikinspektor mit einem Assisienten. Da können die Fabrik- inspektoren die Verhältnisse und namentli die Lohnverhält- nisse niht gründlih prüfen. Das Trucksystem_ findet sich hauptsächlih in der Hausindustrie, namentlich in Oberfranken, und ih selbst habe die bayerishe Regierung darauf auf- merksam gemacht. Aber auch die Frage der Anwendung des Trucksystems in der Fabrikindujtrie haben die Fabrik- inspektoren niht ershöpfend behandelt. Der Fabrikinipektor meinec Heimath verwaltet dieses Amt nur als Neben- amt und kann niht Alles überwachen, und ich selbst habe einzelne Fälle der Anwendung des Trucsystems zur Anzeige gebraht. Die Hauptfrage ist, ob aus den Erhebungen der Fabrikinspeïtoren über die Lohnzahlungen sih geseßgebe- rische Maßnahmen herleiten lassen. Zur Abschaffung des blauen Montags sind verschiedene Experimente gemacht worden. Man hat am Freitag die Löhne bezahlt, dann aber einen blauen Sonnabend gehabt. Jn einzelnen Bezirken hat man die Löhne der verheiratheten Arbeiter nicht an sie selbst, son- dern an ihre bessere Hälfte gezahlt. Aber daraus folgten Mißhelligkeiten, da sih die verheiratheten Arbeiter ihren un- verheiratheten Kollegen gegenüber in ihrer wirthschaftlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlten. Die Frage der Aus- zahlung der Löhne ‘an die jugendlihen Arbeiter direkt ist jehr s{hwierig. Man kann aber niht gleih den Schuß der Geseßgevung dafür anrufen. Jh meine mit dem Fabrik- inspektor von Badev, daß die Auszahlung an die jugendlichen Arbeiter direkt geseßlich nicht v-rboten werden könne, sondern die Arbeitgeber zu Gunsten dec jugendlichen Arbeiter handeln müßten. Arbeiterausshüsse können eine wohlthätige Wirkung ausüben. Thatsächlih nimnt die Zahl der jugendlichen Arbeiter in Deutschland erheblih zu. Sie ist von 155642 in 1886 auf 192 165 in 1888 gestiegen. Jn Sachsen allein ist die

ahl von 34 713 in 1887 auf 38 061 in 1888 gestiegen. Die Zahl der Kinder, welche in sächsischen Fabriken arbeiten, ist von 10 652 in 1887 auf 11 009 in 1888 gestiegen. Wenn nun der Abg. Dr, von Frege behauptet, daß in Sachsen das Verhältniß zwischen

Arbeitgebern und Arbeitern ein so vorzügliches sei, fo rat gegen diese rosige Auffassung die Zunahme der a \chen Stimmen, welche von 33289 in 1871 auf 1492

gestiegen ist. (Zwischenrufe rechts: Darin sind auch die Stimmen der Freisinnigen enthalten!) Jch denke, es giebt in Sachsen gar feine Freisinnigen? Bei dieser Zabl find noch nit einmal die nicht wahlberechtigten erwahjenen Arbeiter einbegriffen. Der Abg. Dr. von Frege ¡ollte also in der Schilde rung der vorzüglihen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern in Sachsen etwas vo er sein. Die Zunahme der Kinderarbeit sollte doch die ver bündeten Regierungen veranlassen, endlich einmal mit der geseßlihen Beschränkung derselben vorzugehen. Gegen- über vorgekommenen Mißverständnissen erkläre ich, daß id von Anfang an gegen die Kinderarbeit in Fabriken gewesen; bestritten war nur, ob die gewerblihe Arbeit der Kinder überhaupt, auch in der Hausindustrie, unterjagt werden soll Bezüglich der Frauenarbeit waren die verschiedenen Parteien des Reichstages über eine ganze Reihe wichtiger Fragen ein: verstanden, fo daß hier ebenfalls als Wunsch des Reichtagez wohl ausgesprochen werden darf, die verbündeten Regierungen möchten einen entsprehenden Gesegentwurî vorlegen, Auch in säthsisGen Fabriken kommt noch vor, worauj

ih wiederum den Abg. Dr. von Frege ganz besonders auf: F

merksam mathe, daß Arbeit:rinnen in den Fabriken übernachten, namentlich in den Blumenfabriken an der bö: mischen Grenze. Eine Verordnung für den Regierungsbezir! Köln giebt ebenfalls zu Betrachtungen Anlaß, darin wird vor: geschrieben, daß die Schlafräume der weiblihen Arbeiter von denen der männlichen gesondert sein und daß die weiblichen | “i wad bei ihrer Beschäftigung auf den Ziegelfeldern ein: leidung tragen müssen, welhe wenigjiens bis zu den Knieen reiht und die Brujt vollständig bedeckt. Daraus, daß dies: Vorschrift für nothwendig erahtet wurde, kann man ent nehmen, wie die Zustände vorher gewesen sein mögen Gegen die Ergänzung des freisinnigen Antrags durch den Antrag von Stumm über die Sonntagsarbeit haben wir an fi niùts einzuwenden, obglei da die Dinge doch anderz liegen. Der Antrag is von freisinniger Seite troß dei detaillirten Geseßentwurfs des Centrums eingebraht worder, weil bei dem Hochdruck, mit dem gegenwärtig dahin gearbeit wird, die Session noch vor Weihnachten zu schließen, da Centruméantrag voraussihtlih nicht zur Berathung kommen wird. Der Abg. Kühn hat neulih in einer Wählerversamw- lung die Freisinnigen und namentlich mich des Mangels ar Arbeiterfreundlihkeit geziehen, weil der Normalarbeitstag niht in den Antrag aufgenommen ist. Wenn das die ganze Arbeiterfreundlihkeit is, für den elfstündigen Normal: arbeitêtag mit seinen Ausnahmebestimmungen für die Vs hörden, wie er von dem Centrum und den Sozialdemokraten vorgeschlagen wird, zu stimmen, dann ist die Arbeiterfreund- lichkeit billig zu kaufen. Ein elfstündiger Normalarbeitäta könnte sogar shädigend wirken, weil wir vielfa bereits ein türzgre Arbeitszeit haben. Wenn man etwas auf diefer Gebiet thun will, dann muß man die verschiedene Arbeiter: branchen getrennt behandeln. Bei dem großen westfälisher Kohlenstrike war die Forderung der Deputation an di Kaiser die achtstündige Normalshiht. Was wollen Si da mit Jhrem elf- oder zehnstündigen Normalarbeitstag? Eine -absolute Arbeitszeit ist allerdings durhaus wünschenz werth, aber ih glaube, daß dur Ausübung des Koalitionz rechts, das ih den Arbeitern vollständig gewahrt wüns, und auhch schließlih durch den Strike, die ultimo ratio di Arbeiters, das auf diesem Gebiet Erreihbare auch errei werden fann und wird. Jn Bezug auf den Sirike führte it im vorigen Jahre aus, daß die österreihishen Fabrikinspektore es verstanden hätten, große Strikes auf gütlichem Wege beizulegen. Der Staatssekretär von Boetticher entgegnete damals darau, die Instruktion der deutshen Jaspektoren stimme wörtlih mi der der österreichischen überein; Strikes können doch nit bl zu dem Zweck geschaffen werden, damit die Fabrikinspektorz darin eine große Rolle spielen; man müsse sie abwarten. Di Strikes haben nun nit lange auf sich warten lassen; wo i aber der deutshe Fabrikfinspettor in den deutshen Strikes qr blieben? Die Jnstruktion mag ganz ausgezeichnet sein, ä wäre nur erfreulih, wenn man ersehen könnte, daß sie au S wird. Hr. von Boettiher hat mit Stolz auf di Bestrafungen von Uebertretungen der Gewerbeordnun: Seitens der Fabrikinspektoren hingewiesen; interessanter wär mir zu hôren, daß fle bei den Strikes gewirkt und ein Vertrauensstellung bei den Arbeitern gewonnen hâätter. Nah den Berichten der FJnspek:ioren sieht es aus, als ob dieselben ihre Hauptaufmerksamkeit daras gerichtet hätten, ob Sozialdemokraten bei dem Strike beth ligt find oder niht. Die Betheiligung von Sozialdemokrate am Strike ändert doch an der Frage garnichts, ob der Stri gerechtfertigt ist oder niht. Bei der großen Zahl de Sozialdemokraten in Sachsen is es ja natürlich, daz, wenn in Dresden ein Strike ausbriht, Sozialdemokratæ dabei find; da braucht sih der Fabrikinspektor nicht weiter dz Kopf zu zerbrehen. Die Regierungen betonen stets, nur aw den Umsturz gerichtete sozialdemokratishe Bestrebungen unte? drücken zu wollen: wie reimt sich das damit? Bei dem wt? fälischen Strike ist übrigens niht nachgewiesen, daß sozi2- demoftratishe Arbeiter es waren, die den Strike geleitet od: an ihm betheiligt waren. Die Ansprüche der westfäliscz Kohlenarbeiter waren keine unberehtigten. Die Abkürzuns der Arbeitszeit, der Wunsch, über die ahtstündige Sis hinaus nur nah vorausgegangener Vereinbarung zu arbeiter, und das Verlangen eines Arbeiterausshusses waren keine ur berechtigten Forderungen der Strikenden. Die Art und Weil wie die Arbeiter ihre Forderungen geltend maten, war ebt falls durhaus maßvoll. Deswegen will ih aber Strike keinesweas empfehlen und als wünschenswerth hir gestellt haben. Jeder Strike ist an sih ein Unglück. Jh wt?! auf die wirthschaftlihen Folgen , die verlorenen n den ungeheuren Produfktionsverlust für die betheiligte Zndunre und die mitbetheiligten Jndustrien hin. Jn der Regel habez die Strikes noch dazu fast gar keinen Erfolg für die Ar beiter, denn die Arbeitgeber haben einen gewihtigen Bunde genofjen, den Hunger. Der Arbeiter besonders, der l? Familie zu unterhalten hat, wird sich s{ließlich imm?! fügen müssen, und deshalb sind Strikes möglichst verhüten. Anläßlih des westfälishen Kohlenstrikes 1 die merkwürdigsten Vorshläge gemaht worden. Wenn l niht irre, war es ‘ein Mitglied der freikonservativen Part? das sogar eine Verstaatlihung der Kohlenbergwerke in Aut sicht nahm. Einige haben eine Beschränkung der Koalition® eiheit, andere, wie die Dortmunder Handelskammer, eine &

g des Kontraktbruhs gefordert. Jh erbitte mir 103

0 in 1887|

Herrn Staatssekretär eine Antwort, ob wirklich nah diesen ihtungen hin Erwägungen stattfinden, ob man insbesondere an eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit und an eine Be- strafung der Anstifter eines Strikes denkt. Zu meiner Ver- wunderung ist der Abg. Oechelhäuser, dessen Arbeiterfreundlichkeit

außer Zweifel ist, in seinem Buche über die sozialen Tages- fragen nicht direkt für eine Bestrafung des Kontrakibruchs

eingetreten; er hat aber die Frage besonders bei Berufs- fategorieen, in denen Strikes tief in das wirthschaftliche Leben der Nation einshneidende Folgen haben, doch für diskutabel

erklärt. Für mi, und, wie ih annehme, auch für meine.

eunde ist sie es niht, denn die Bestrafung des Kontrakt- ruchs würde ein Sonderreht für die Arbeitgeber bedeuten, da in tausend anderen Lebensverhältnifsen ein solcher strafios ist, wie 4. B. bei den Handwerkern, die den Besteller im Stiche lassen. Eine Vorlage über Einführung der gewerblichen Schiedsgerichte ift immer nit zu Stande gekommen. Die Bedenken, welche egen das von der Stadt Berlin vorgesGlagene Statut Seitens 8 Ober-Präsidenten geltend gemaht sind, zeigen, daß si der statutarische A überhaupt nit empfiehlt, sondern daß eine reihsgesezlihe Regelung wünschenswerth ijt. Was der Ober- Präsident für die Stadt Berlin als unannehmbar bezeihnete, ist in verschiedenen anderen Orten iz: Kraft. Daß das Schiedsgeriht Zeugen vereidigen kann, ift weder in der Civilprozeßordnung noch im Gerichts- verfasungsgeseß untersagt. Wenn eine Berufung auf den Rechtsweg noch für zulässig erahtet werden sollte, würde die Bedeutung und das Ansehen des Schiedsgerichts über- haupt in ras gestellt sein. Die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle über 21 Jahre alten Arbeiter ijt in Franffurt a. M., Stuttgart, Leipzig und Nürnberg statutarisch festgesezt, und wäre der Abg. Miquel hier anwesend, würde er zugeben müssen, daß auch das Frauenstimmrecht in Frankfurt a. M. fi gut bewährt hat. Warum sollte sich das mcht auch in Berlin durch- führen lassen? Jh bitte auch um Auskunft, wie weit die in Aussicht gestellte Vorlage über die gewerblizen Schieds- gerihte gefördert ist. Zwar wird mit ihrer Einführung nicht jeder Strike und jeder Zwist zwischen Arbeiter und Arbeit- geber beseitigt, denn der vollfiändige toziale Friede ist ebenso- wenig, wie der politishe zwischen den verschiedenen Völkern, für immer herzustellen, aber zu einer Abschwächung der Gegen- säße sind die Swiedzgerihte wohl geeignet, und die ver- bündeten Regierungen sollten wohl ihre Verantwortlichkeit bedenken, wenn sie sih ihnen gegenüber ablehnend verhalten, na6dem der Reichstag ihnen bereits mit großer Majorität zugestimmt hat.

Staatssekretär von Boetticher:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat cine fo große Fülle von Gegenständen zur Sprache gebracht, daß es mir nicht mögli sein wird, auf alle einzeln einzugehen. Aber ih werde gerne seine Wünscbe, namentli foweit sh dicielben auf eine Aeuferung über die \{chweben- den Angelegenheiten erstrecken, zu befriedigen fuWen urd deébalb zu rät meine Bemerkungen auf die angereote Fraze nach der Vorlage cincs Gesetzes über die E:rriétung von Gewerbegerihten ri@ten. Meine

o. Herren dewÖerr Beriedner ist etwas zu stürmis in dem Veriangen, daß die vorjährige Resolution des Reictêtages bereits jeßt einen Geseßtz- entwurf gzzeitigt hz2ben müsse, und er ift etwas ungerecht gegen den Bundetratb, wenn er in dieser Bezteßun. behauptet, daß daselbe jener Resolution kein Entgegenkommen gezeigt habe. Das Gegentkcil ist vielmehr der Fall: der Bundeërath hat die Resolution des Reithê- tages den kompeterten Auës@üfsen ¿ur Vorberathung Übergeben. Diese Ausibüse baben bereits einen Gesetzentwurf Über die

Errichtung vocn Eerwerbegerihten auëgearteitet, fie find jeßt damit beschäftigt, die Frage zu erörtern, inwieweit es an- gezcia!t sein môêdte, den Gewerbegerichten auch die Furkticnen von Einigungéämtern ¿u übertraacn, und darf erwarten, daß dem Reichstage in nit zu fecner Zeit aub ein Gesetzentwurf zugehen wird, der das Sebnen des Hrn. Atga. Dr. Baumbaw zu befriedigen veriprict. Daß das in dieser Session de# Reicbêétages geschehen werde, kann ic allerdings nicht in Auesibt stellen, und selbft wenn der Gesetzentwurf fertig rorläge, so würde ich doch Anstand nebmen müssen, mich noch für eine Einbringung deëselben auäzuspreWen. nacdem auc schon der Hr. Abg. Dr. Baumbach über große Ueberlastung gecklagt vat und über die Nöibigung zu einem so angcestrengten Arbeiten, daß es bier nit mehr auêzubalten wäre.

Damit fann wobl diesen Gegenstand verlassen, indem i niét allein no6mals daé Entgegcnkommen deé Bundesratbs fkforstatire, sondern au wiederholt hervorbebe, daß di: Sache in der Bearbeitung vegrifsen tit.

Mas sodann die Refolution, die ja das Haupttkema in der Rede

des Hrn. Dr. Baumba war, anlangt, die an die verbündeten Re- gierungen zu ricterde Aufforderung zur Förderung der Arbeiterschutgesetcebung, so bin ic allerdinos zu meinem Bedauern nicht in der Lage, etw2s Anderes sagen zu fénnen, alé roas id in längerer Rede im vorigen Jahre im Reichs- tage ausgeführt habe. Der Bundesrath bat damals nach meinen Ausführungen aus den in denselben eingehend dargelegten Gründen den Arbeiters@ußanirägen gegenüber eine ablebnende Haltung ange? nommen, und ist inzwischen nichts ecingetreien, waë den Bunde2- rath bätte veranlassen fönnen, fic von Neuem mit der Frage zu be- \cäftigen und von seiner ablehnenden Haltung abzugeben. Sonah bin ih also auc heute ni&t im Stande, in Aussicht zu ftellen, daß eine crneute Anregung von Seiten des Reichstages einen anderen Erfolg als den der früheren Anregung haben wird. _ Dann, mei: e Herren, bat der Herr Vorredner die Tkâtigkeit der Fabrifinsvektoren aut seinerseits in den Lerei feiner Kritik ge;ogen und insbesonderè beklact, daß sich avs den Berièten derselben nit ergebe, daß unsere Fabrikaufsibtsbeamten fi in derselben nüßlien und gedeihliwen Weise wie die öfterreiwischeui der Vermittelung von Streitigkeiten zwischen den Arbeitgebern und Arbteitnehmern unter- ziehen. Die Berite tes litten Aabres, meinte er, enthielten wenigstens in dieser Bezicbung nichts, und so müsse angenommen werden, daß au namentli& zur Vorbeugung von Strikes die Ver- mittelung von Fabrikaufsiétébecamter nit eingetreten- wäre. Das mag rictig scin, meine Herren, allein worin liegt der Grund? Der Grund liegt darin, daß die Thätigkeit der Fabrik- aufsidtsbeamten für diesen Zweck ri&t in Anspru gerommen worden ift. Es ift nicht die Aufaabe der Aufsitébeamten, und sie besteht au ni@t in Desterreich darin, si ex officio zwischen die Parteien ¿u drängen und eine von tenselben gar nidt gewolite Vermittlerrolle zu übernehmen, die Sache en1wickeit sich vielmehr au in Oesterreich jo, daß eine der streitenden Parteien die Vermittelung des Fabrik- irspektors begehrt. Darüber ist gar kein Zweifel, und es liegt dies auch innerhalb der dur die betreffenden Vor- riften geregelten Brfugnisse der Fabrikinspektoren, daß fie ch dieser Vermittelung zu unterziehen haben, wenn dieselbe von Seiten der Interessenten erbeten wird. Man kann es ja beklagen, daß si aus dem Umf:and, daß die Fabrikirspektoren nit zur Bei- legung von Arbeiterautsiänden in Arspruch genommen werden, noch nicht datjerige Maß von Vertrauen ergiett, wel&es wir dem Inftitut der Fabrikinspektoreu 1ünschen müssen. Vielle:-ch! kommt dabei aber aub, wena_ man den Unterschied erwägt, der in_ dieser Bezie- bung in Oesterrei gegenüber unseren Verbältnissen- si zeigt, die Neigung und die Stimmung der Bevölkerung, und vielieiht auch da2 Maaß sozialiftis&er Einwirkung mit in Vetracht, welches bei uns ftärker ift als in Oesterreich.

Der Herr Vorredner glaubte nun, aus einer Aeußerung, welle ih tem Hen. Abg. Frobme gegenüber gethan habe, entnehmen ¡u müssen, daß es in der Absiht der

L Bio mir nicht bewußt, dazu die Ver- in mir ni , dazu die Ver- anlafsung gegeben zu haben. Ih babe dem Hrn. Abg. Frohme viel-

verbündeten Regierungen liege, Arbeiter einzuschränken.

mebr vorgestern und beute gesagt, daß Niemand daran denke, die Koalitiontfreibeit der Arbeiter ¿zu bes{ränken, und daraus würde also sfinngemäß und wortgemäß der Schluß zu ziehen sein, daß in dieser Beziebung bei den rerbündeten Regierungen keine Absicht auf Ein- schränkungen besteht.

Wenn nun der Herr Vorredner ferner ars meiner Bemerkun Veranlaffung genommen hat, die Frage zur Erörterung zu ziehen, o es angezeigt sei, auf dem Wege de3 Gesehes eine Bestrafung des Kontraktbruchs einzuführen, so kann ic ihm in dieser Beziehung die berubigende Mittbeilung machen, daß bis jeßt weder bei der S noch bei der Reichsregierung eine Netgung dazu bervor- getreten

__ Endli, meine Herren, möbte ih no mit ein paar Worten auf die Zunahme der Kinderarbeit kommen. Es ift ja gewiß unzweifelbaft fein günstiges Zeichen, wenn die Kinderarbeit, d. h. die Arbeit jugendlicher Arkeiter unter 14 Jahbrer, in größerem Umfange zunimmt. Anders lieat dagegen die Frage der Zunahme in der Beschäftigung der jungen Leute, also der jugendlihen Arbeiter über 14 Jabre. Man wird zugeten müfsen und es ift für das vergangene JIakr zu konstatiren, daß diefe Auffaffung, die ih soglei§ ausspreben werde, au in den Kreisen der Fabrikaufsi@tébeamten getheilt wird man wird zugeben müssen, daß es keineswegs ein unerfreu- liches Zeichen für die Lage unserer Industrie ift, wenn jugezdiiche Perfonen, abgeseten von den Kindern, in erhöhtem Maße bescäftigt werden, vorausgeseßt, daß dadurch den erwa&Ssenen Arbeitern keine s{ädigende Konkurrenz geschaffen wird. So lagen aber die Dinge für die beiden letztvergangenen Iakre ; denn, meine Herren, während wir im Jahre 1886 gegenüber dem äFabre 1884 eine Verminderung in der Zabl der beschäftigten jungen Leute um rund etwa 1009 Köpfe zu verzeiwnen batten, hat im Iabre 1588 cegenüber dem Jahre 1886 die Beschäftigung der jungen Leute um 34 683 Köpfe zugenommen. Die Periode von 1884—1886 wies rur cine Zunabme der Kinderbeshäftigung, dagegen eine Abnahme der Beszäftigung junger Leute ra. Demagegenüber ift das Ergebniß der Periode ron 1886/88 unglei® günstiger, da nicht allein die Kinder- arbeit. also die Besck&äftigurg der Kinder von 12 bis 14 Iahren, eine um 139% geringere Zunabme erfahren bat, als in der vorbergebenden Pericde, sozdern auch die Zunabme in der Beschäftigung junger Leute cire crbeblih größere gewesen ist, als bei der Kinderarbeit. Von sämmtlichen bei@äfticten jugendlihen Arbeitern waren nämli im Jahre 1886 13,5 9/0, dagegen im Iabre 1888 nur 11,9 9/9 Kinder. Sie sehen also, daß die Beschäftigung der Kinder, wenn au die absolute Zabl derselben zugenommen, doch relativ si® ermäßigt bat. Wir schen und ih glaube mit Recht in dieser Zunahme der Besêftiavng junger Leute ein erfreuliwes Zeugnis für den Auf- s@wrng der Industrie; denn man kann nick&t behaupten und nicht naweisen, ta diese Bescbäftigung jugendlicher Personen dazu gefübrt babe, daf erwadsenen Arbeitern damit die Arbeit entzogen worden ift.

Abg. Freiherr von Stumm: Eine so breite Behand- lung der Resolutionen, wie fie gestern und heute hier ftatt- gefunden hat, ist geradezu unerhört. Jh bin acht Jahre lang niht Mitglied des Reichstages - gewesen, aber das muß ich sagen, die damalige Majorität hätte ch das nicht gefallen

lassen, ohne mit Scchlußanträgen zu kommen, und doch waren |

die Verbandlungen nicht weniger interessant. Der Abg. Baum- bah hat die Frage der Fabrikinspektoren, den Normal- arbeitstag, den westfälishen Strike, die Bestrafung des Kontrakt- brus, die gewerblihen Schiedsgerihte nicht blos ge- fireift, sondern mit der größten Ausführlihkeit behandelt. Fch wundere mi nur, daß er nicht auch die Samoafrage angeregt hat. Die Frage der Fabrikinspektoren könnte ih nah den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs für erledigt halten. Diese Beamten haben die Aufgabe, zur Harmonie der Gesell- schastsklassen beizutragen, während die Sozialdemokratie gerade von der Disharmonie derselben lebt. Deshalb die Angriffe Frohme's gegen diese Beamten. Der Abg. Baumbach sollte bei jeinen Angriffen gegen die Fabrikinspektoren doch bedenken, daß wir nur mit ihrer Hülfe und im Vertrauen auf fie seinem Antrage zustimmen können. Wir können diesen Beamten für ihren Fleiß bei Abfassung ihrer Berichte nur dankbar sein. Jh balte die Sahe für spruchreif, aber nicht im Sinne der Arbeitersußanträge, die weit über das Ziel hinausschießen. Den richtigen Weg hat allein die Gewerbenovelle von 1878 betreten, indem fe den Arbeiter vor Ausbeutung aber auch vor dem theoretish wohlgemeinten, aber praktisch gefährlihen Bestreben schüßte, ihm statt Brot Steine zu geben. Das Letztere geshah durch eine Modifi- kation des Trucksystems dahin, daß die Abgabe von Lebens- mitteln unter dem Kostenpreise in Zeiten der Noth ftatt des Lohnes straflos bleiben solle. Auch die Aufhebung des abso- luten Verbots der Nachtarbeit der jugendlichen Arbeiter und die Zulassung der Kinder über 14 Jahre zur Arbeit hat ih als heilsam erwiesen, uit nur in RNückfiht auf die Erwerbs- fähigkeit, sondern auch als Schußwehr gegen Zuchtlofigkeit und Vagabundage. Die Nachtarbeit der Frauen ift in gesundheitlicher und sittlicher Beziehung bei Weitem nicht so gefährlich, als man ge- wöhnlih annimmt. Ein totales Verbot dieser Arbeit halte ih jedenfalls für bedenklich. Jn der Hausindustrie und felbst in der Landwirthschaft werden die Frauen bei Naht sehr viel angestrengter beschäftigt, als in manchen Zweigen der Fndusirie. Beschränkt man den Frauen aber diese Erwerbsthätigkeit, so treibt man sie geradezu der Proftitution in die Arme. Jch für meinen Theil halte die Regelung der Sonntagsarbeit für noch wichtiger, als die der Frauen- und Kinderarbeit, aber auch hier schießen die Anträge über das Ziel, 1878 ließen wir die Feiertage vollständig aus dem Sonntags- {us heraus, weil die konfessionellen Feiertage in einzelnen Ländern verschieden sind, und weil wir die Feiertags- ruhe vom rein menshlihen Standpunkte aus regeln wollten. Jeßt macht das Centrum zwishen Sonntags- und Feiertags- ruhe gar feinen Unterschied und will den Dispens von der absoluten Arbeitsruhe von dem Belieben des Bundesraths abhängig machen. Dagegen muß ih vom Standpunkt meiner JFndustrie entshieden Verwahrung einlegen. Mit so weit- gehenden Anträgen ist dem Arbeiter nicht gedient; und ih fonftatire vor dem Lande, daß gerade die Arbeiter- kreise dem Bundesrathe dankbar find für seine ablehnende Haltung zu diesem Antrage. Jch will lieber die heutigen Zu- stände aufrecht erhalten, als die Arbeiter unter die Zwangs- jade solher Anträge bringen. Jh bitte auch das Centrum für den Antrag Baumbach zu stimmen; es präjudizirt dadur jeiner Abstimmung nicht, zumal der Antrag des Centrums, der voraussihtlich in eine Kommission verwiesen wecden wird, in dieser Session unerledigt bleiben wird.

Abg. Freiherr von Franckenstein: Wir find nit in der Lage, für den Antrag Baumbach zu stimmen, weil wir bereits am 25. Oktober einen formulirten Antrag, betreffend die Frauen: und Kinderarbeit, eingebraht haben. Damit haben wir nicht eingeräumt, daß wir kein Interesse an der Regelung dieser hohwichtigen Angelegenheit haben. Meine politischen Freunde haben seit S , langen Jahren hier bewiesen, für wie dringend sie diese Sache en. enn auf

allen Seiten des Hauses der dringende Wunsch besteht, in dieser Frage eine Regelung herbeizusühren, so wird man im Laufe dieser Session, mag fie auh noch so kurz sein, diese Frage regeln können.

Abg. Oechelhäuser: Zunächst danke ih dem Abg. Baum- ba für die Ehrenerklärung, die er mir gegeben hat. Was seinen Antrag betrifft, so erkläre ih im Namen meiner politischen gi daß wir es für geradezu selbstverständlich halten, daß wir ganz auf der Seite seines Antrages stehen. Wir können uns auch dem Bedenken des Hrn. von Frandcken- stein niht anshließen, daß wir eine formelle Fnkonsequenz begingen, wenn wir diese Resolution befürworteten, während wir im vorigen Jahre einen formulirten Geseßentwurf an- genommen haben und während auch in diesem Jahre von ihm und seinen Freunden der Antrag wieder eingebraht worden ist. Eine Lösung dieser Frage können wir nur von der Jnitiative des Bundesraths unter Mitwirkung des Reichs- Lade erwarten. Um so bedauerlicher ift die Antwort des Staats- sekcetärs von Boetticher für das Gefühl weiter Kreise, vor Allem dieses Hauses, welches unter seiner Führung an der sozial: politishen Gesezgebung mitgearbeitet hat, eines Mannes, der sih das höchste Verdienst um das Zustandekommen dieser Gesege erworben hat, die erst in der Folge vollständig werden gewürdigt werden können, ih meine die Erklärung, es sei seit dem leßten ablehnenden Votum der verbündeten Regierungen nichts vorgekommen, was fie veranlafsen könnte, die Frage von Neuem wieder aufzunehmen. Gerade die großen Arbeiterbewegungen der lezten Zeit sollten dazu auffordern, losgelöst von gelehrten Schul: meinungen, Leben und Geseßgebung in Kontaft zu bringen. Gerade ich will die Lohnfrage der Strike is nur ein Symptom ohne jede Einmishung der Beamten geregelt sehen, und zwar dur eine Einigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Aber in diese Lohnfrage spielen unendlih viele andere wihtige Fragen hinein, vor Allem der Arbeiter- shus. Geschieht hier nihts von den verbündeten Regierungen, dann, muß ih sagen, werden ganze Strömungen des öffent- lichen Lebens von der Geseßgebung losgelöft. Jh wünsche und hoffe, daß bei den nächsten Wahlen nit ein einziger Kan- didat si seinen Wählern präsentiren darf, der nicht das Ver- sprechen abgiebt, auf der Bahn dieser Anträge unentwegt fort: zuschreiten.

Abg. Dr. von Frege wendet sich gegen die von dem Abg. Baumbach gegen ihn gerichteten Angriffe. Hr. Baumbach habe bei seinen Ausführungen die Zunahme der Bevölkerung übersehen, ebenso die Zunahme der jugendlihen Arbeiter außerhalb der Fabriken. Die Zunahme der Hausarbeit be- flagen wir auch, fönnen fie aber nit mit einem Geseßzes- paragraphen beseitigen. M e En Sal Hil es, zumal in Thüringen, besser geworden. Was die Zunahme der sozialdemokratishen Stimmen be- trifft, so erklärt sie fich au aus der Dihhtigkeit der Bevölkerung, aus der Einwanderung fremder Sozialdemokraten, der größeren Wahlbetheiligung und der Stimmabgabe solcher Wähler, welche auf dem Boden der Freifinnigen stehen und aus taftishen Gründen für die Sozialdemokraten eingetreten find. Hoffentlih werden die Kartellparteien bei den nähsten Wahlen um so fester zusammenhalten. Die Fabrikinspektoren haben sfch sehr wichtige Verdienste um den sozialen Frieden erworben. J erinnere nur an die Beilegung des Strikes im Zwicauer Kohlenrevier. Ein Hauptübelstand ift es, daß die jugendlichen Arbeiter, sobald sie die S&ule verlassen haben, in die Städte gehen, während unsere Landwirthschaft sh ihre Arbeitskräfte weither aus dem Osten holen muß. Es 1ft dem jugendlichen Arbeiter viel zuträgliher, wenn er auf dem Lande arbeitet und ein tühtiger Landwirth oder Handwerker wird, anstatt Fabrikarbeiter zu werden. Darin wird uns Hr. Baumbach allerdings niht unterstüßen, weil er dies für eine agitatorishe Forderung ansieht. Dadurch würden aber die Uebelstände der Verhältnisse der jugendlichen Arbeiter am Besten gehoben werden. Auf dem Lande kann auch das fittlihe Verhalten der jugendlihen Arbeiter überwacht werden, was in den großen Städten ganz unmöglich ift. Hier liegt also eine soziale Frage vor, an deren Lösung alle Parteien mitarbeiten sollten. Unsere alten erprobten Arbeiter auf dem Lande sind keine Sozialdemokraten, aber die jungen Leute, denen aus der Zeit des wirthshaftlihen Aufshwungs in den siebziger Jahren die Genußsucht anhaftet, bilden die Elemente der Sozialdemokratie. Als wir neulich in der Budget- fommission im Interesse der kleinen Eisenbahnbeamten die Einschränkung der Sonntags-Extrazüge beantragten, schrieb die freisinnige Presse: Die Abgg. von Frege und Hahn haben sih wieder als die rihtigen Mucker erwiesen, fie wollen den armen Leuten die Sonntagsfreude verkfümmern. Das wollen wir keineswegs. Wir wollen gerade die armen kleinen Beamten \{hügen. Namens meiner Freunde erkläre ib, daß wir dem Antrage Baumbah, troßdem uns die Annahme durch die heutigen Ausführungen des Abg. Baumbah sehr ershwert ist, im FJnterefse der Sache zustimmen werden, daß wir uns aber vorbehalten, die Arbeitershußgeseßgebung gründlich anzufassen. Der Reichs- kanzler hat das Haus einmal aufgefordert, selbst mit Fnitiativ- anträgen vorzugehen. Das if auch geschehen; bei der jeßgigen Geschäftslage des Hauses sehen wir aber in dieser Session davon ab.

Staatssekretär von Boetticher:

F bedaure sebr, mi noch mit einigen Worten gegen eine Aus- führung des Hrn. Abg. Oecbelbäuser wenden zu müssen, der mir und dem Bundesrath einen, wie ih glaube, nit gerechtfertigten Vorwurf gemabt bat. Ih babe in meiner früberen Auslafsung gesagt, daß die Gründe, rwelche den Bundesrath bestimmt bätten, in der Arbeiter- shußfrage bisßer eine von der Auffaffung des Reichstages abweihende Stellung einzunehmen, von mir des Längeren im Januar diescs Jahres entwickelt seien, und ih babe binzugefügt, daß inmittelst nichts eingetreten sei, was eine Veränderung der Stellungnahme des Bundesraths bätte herbeiführen müssen. Diese Aeußerung bat Hr. Oetelbäuser zum Ausgangspunkt seines Angriffs auf den Bundesrath und mi genommen, und wie recht ih mit meiner Behauptung habe, das wird mir gestattet sein, in wenigen Worten auszuführen.

Hr. Oetelbäuser hat gemeint, daß die große Arbeiterbewegung, insbesondere am Rhein, in Westfalen und in Schlesien, die Strikes wobl eine Veranlaffung für den Bundesrath bätten bilden können und müfsen, um der Arbeiterschußfrage aufs Neue die Aufmerksamkeit ¡uzuwenden.

Ich könnte mich gegenüber diefer Ausführung auf den formellen Standpunkt zurückziehen, M nit der Bundesrath der Berufene ift die Initiative zu ergreifen, sondern daß im Bundesrath die einzelnen Regierungen es sind, welche von ibnen für nüßlih erachtete Anträge zu ftellen haben. Ih ziehe mih aber auf diesen Standpunkt nicht ¡urück, sondern will materiell daran erinnern, daß die Strikebewegun- gen mit demjenigen Theil des Arbeitershußzes, welcher bisher in diesem Hause zu Beschlüfsfen geführt hat, und welcher