1889 / 283 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 26 Nov 1889 18:00:01 GMT) scan diff

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nit genannt haben, so geshah das, weil Rußland bei den Gegen- füßlern liegt, Es ist viel weiter von uns entfernt als Deutschland. Das panslavistishe Rußland denkt nur an Eroberungen, an Er- oberungen an der Donau, in Kleinasien, in Turkestan, am Japanischen Meere. Krieg ist der feste Glaube des Slaven. Für ihn giebt es keinen Frieden, kein Schiedsgeriht, er will nur die Macht der Waffen. Und nur zu seinem eigenen Nußen! Ganz anders ift die Geistesanlage des Deutschen. Er will bewahren, was er erwarb. Gewiß, dieser Gedanke ist \ckmerzlich für einen Franzosen, aber man muß seinen Schmerz für \sich behalten, wern man nickcht stark genug ist, um ihn zu zeigen. Deutschland waffnet aufs Aeußerste, weil es einen Krieg für möglich hält, in dem seine Erwerbungen in rage gestellt werden könnten. Es wird aber keinen einzigen oldaten bezahlen, um in Europa neue Provinzen zu erobern. Es will verhindern, durch Waffengewalt der Provinzen beraubt zu werden, deren es \sich durch die Waffen be- mächtigt hat. Es ist das ein selbstisher Standpunkt, aber weit un- gefährliher für den Nahbkar, als die russishe Anschauung Man muß scine Nachbarn nach Gebühr würdigen Der Deutsche ist se1bstisch; er trägt uns unfere beleidigenden Auslassungen nach und hat Besorgniß vor unseren Launen, aber er bewaffnet \ich gegen uns nur für den Fall, daß wir von den Worten zu Thaten übergehen sollten. Der wahre Grund des allgemeinen Unbehagens in Europa liegt an einer anderen Stelle: Rußland will die Donau, wenn nicht als russishen Strom, so doch als einen Strom, der Provinzen durhfließt, die Rußland unbedingt gehorchen . ….. . Wenn es hier- über zwischen Rußland und Oesterreiß zum Zusammenstoß kommt, so wünschen wir, daß Frankrei neutral bleibe und es dem slavishen Ehrgeiz überlasse, den Kampf aus eigener Kraft zu führen, gleichviel ob Oesterreich in ihm allein bleibt oder von seinen Bundesgenossen unterstüßt wird. Ob Rußland in diesem Kampfe siegt oder geschlagen wird, es kann Frankreih von gar keinem Nußen sein, Wenn aber Frankreih an diesem Kriege theilnimmt, so wird der Dreibund einfach zwei Millionen Soldaten mehr mobil machen und seinen Finanzen und Steuerzahlern die ; oppelte Anstrengung zumuthen. Fünf- bis sechshunderttausend Menschen werden mehr getödtet werden, aber das Endergebniß bleibt dasselbe. Das ist traurig, aber was nüßt es, zu träumen! Die Statistik ist da, um zu zeigen, daß, so lange der Dreibund besteht, es so und nicht anders sein wird.“

Rußland und Polen. St. Petersburg, 24. November. Die bereits telegraphisch im Auszuge mitgetheilte Rede des Kaisers, mit welcher Se. Majestät am 20. d. M. gelegentlich der Feier des 500jährigen Jubiläums der russischen Artillerie die Ansprache des General: Feldzeugmeisters, Großfürsten Michael Nikolajewitsh beantwortete, hatte nah der „St. Pet.-Ztg.““ folgenden Wortlaut :

„Meine Herren Artilleristen! Ich bin glücklih, daß ih Sie «

beute an dem 00 jährigen Jubiläum eines Uns Allen theuern Tages begrüßen kann, und glüdlich, daß dieses seltene Jubiläum in die E Meiner Regierung gefallen ist. JIch danke Ihnen Allen von erzen, den anwesenden und abwesenden, gegenwärtigen und früheren Artilleristen für den unwandelbar tapferen Kriegsdienst und bin überzeugt, daß Unsere Artillerie, ebenso wie Unsere ganze Armee sih auf den S{lachtfeldern auszeichnen wird, wie ebedem. Gott wolle verhüten, daß das bald geschähe und der Herr wolle Uns diese schwere Prüfung ersparen, aber falls es geschieht, so bin Jh überzeugt, daß Unsere tapfere Artillerie, ebenso wie alle übrigen Waffengattungen, für die Ehre und den Ruhm Unseres theuern Vaterlandes einstehen wird. Ein „Hurrah“ Unserer Artillerie.“

26. November. (W. T. B.) Der diesseitige Ge- sandte in Persien, Fürst Dolgoruki, ist auf seine Bitte jeines Postens enthoben und ihm der Wladimir: Orden zweiter Klasse verliehen worden.

Jtalien. Rom, 25. November. (W. T. B.) Die Thronrede, mit welcher der König heute die Kammern id lautete nah dem „W. T. B.“ im Eingang folzender- maßen: |

„Ich empfinde Stolz darüber, und alle Italiener können diesen Stolz theilen, daß das Werk der Einheit und Freiheit Italiens in solher Weise gefestigt ist, daß wir weder Hinter- halte noch Gefahren zu fürhten brauchen. Ftalien hat in dreißig Jahren geleistet, was für andere Nationen die Arbeit von Jahrhunderten war. Mein Vater hat dem Vaterlande die Unab- hängigkeit gegeben, ich konnte demselben mit Ihter Unterstützung die Gleichheit aller Bürger geben. Heute sind Alle dazu be- rufen, an der Verwaltung des Siaats mitzuwirken, indem die vollständige Theilnahme am öffentlihen Leben allen Klassen der Gesellschaft zugestanden und die Gewähr dafür geboten ist, daß die aufrihtige Gesinnung der Wähler an der Urne zu Tage trete. Mit Freuden können wir die neuen Vertretungen der Ge- meinden und Provinzen als den gesezmäßigen Ausdruck des Volks- willens begrüßen. Die Anwendung des neuen Gemeinde- und M ov inotaluesetas hat dargethan, daß in Italien wohl Uneinig- eit unter einzelnen Individuen bestehen kann, daß aber das Volk fest zusammensteht, daß es Vertrauen zu den Einrichtungen des Staats hegt und eines Sinnes ist in der Liebe zum Vater- land. Fahren Sie einträhtig im Studium der fozialen Probleme fort, welhes nunmehr Niemand außer At lassen sollte, und rücksihtlich dessen jeder Verzug ein Fehler wäre. Ich will, daß der Nuhm meiner Herrschaft hauptsählich in dem Wohl- reen der kleinen Leute bestebe, damit aus der Uebereinstimmung Aller der größte Ruhm für Jtalien erwachse.“

Die Thronrede ias sodann verschiedene Vorlagen an, namentlih in Betreff der Reform der Wohlthätigkeitsanstalten, des Schutzes für das Leben der Arbeiter bei der Ausübung ihres Berufes, ferner Gesetzentwürfe zur Verbesserung der Lehbrergebälter, sowie um den Unterricht in ten Elementarschulen einhbeitlih zu gestalten und die Staatsverwaltung zu vereinfahen und wohlfeiler zu machen.

Italien habe die Krise überwunden, unter welcher Landwirthschaft und Handel Jahre hindurch zu leiden gehabt hätten. Um denselben Zeit zur vollständigen Erholung zu gönnen, werde die Regierung vom Parlamente erst dann neue Steuern verlangen, wenn das Staatsbudget sih dur die natürli®e Steigerung der öffentlihen Einnahmen werde gehoben baben und wenn die Zunahme des öffentlihen Wohlstandes es gestatten werde, an den- selben heranzutreten, ohne ihn einer allzu fühlbaren Bedrückung aus- zuseßen. Dies werde aber nur in dem Falle geschehen, wenn die geringe Differenz zwishen den Einnahmen und Aus- gaben, welche das Parlament im Vereine mit der Regierung zu beseitigen trachte, fortdauern würde.

Ueber die auswärtige Politik sagt die Thronrede : „Sie haben in dem Wetteifer allgemeiner, lebhafter Thâtigkeit die italienishe Produktion begünstigt. Dieser Schuß darf indessen niht aus Mißtrauen und Argwohn hervorgehen, welche ohne allen Nuten die Völker trennen, noch darf er Reformen verhindern, welche, indem sie die Grenzschranken niedriger u:achen, den Austausch der Erzeugnisse erleihtern und die internationalen Beziehungen freundschaftliher gestalten. Sie haben die industrielle Ent- wickelung des Landes jetzt auf eine solide Grundlage gestellt. Die Regierung wird Ihnen vor)chlagen, den Differential- Tarif zwischen Jtalien und Frankreich aufzuheben, welchen Sie in einem Augenblicke des Uebergangs als zeit- gemäß billigten, Dieser Differential-Tarif würde abcr, ferner aufrechterhalten, uns hindern, zu einem freieren, jedo - jederzeit festen Handelssystem zu gelangen, welem meine Regierung sich nit entziehen wird, wenn sie unterstüßt wird. Durch die genannte Maß- regel, dur die stetige Befolgung einer ebenso festen wie würdigen Politik streben wir nah jener Ruhe der Gemüther, welche dem heite- ren Charakter des italienishen Volks entspricht und die beste Garantie des Friedens ist. Der Friede scheint in Europa heute mehr als je gesichert zu scin, Dank den Rathschlägen der Großmächte, Dank

meiner und meiner Verbündeten Bestrebungen. Die Fragen, welhe den en \tôren könnten, sind jedoch nicht sämmtlich beseitigt. ir werden daher fortfahren, mit wachsamer Sorgfalt, jedoch ohne unseren Staatshaushalt zu sehr zu belasten, den Bedürfnissen unserer Armee und Marine zu entsprechen, welche die Vertbeidiger unserer Einheit und Unabhängigkeit und mit unserem Ret der beredte Ausdruck unserer Interessen in der Welt find. Aber ich hege das Vertrauen, daß es, Dank der Weisheit der Regierungen und der klugen Vorsibt der Völker, niht nöthig sein wird, die’von Allen vorbereiteten Waffen zur Anwendung zn bringen. Wir werden die Waffen auch in Afrika nieder- legen können, wo der Erfolg, welher Denjenigen zufällt, die ihn zu verdienen wußten, unsere Polit:k derartig begünstigt hat, daß uns aus- gedehnte Besißungen gesichert sind und eine weite Aktionssphäre künftig unserem Einfluß geöffnet ifl. Internationale Verein- barungen, über welde unter unserer Theilnahme zur Zeit ver- handelt wird, werden uns, wie wir boffen, den Ruhm verschaffen, in einem Kontinent, wo die Barbarei noch in grausamster Form die Menschlichkeit verleßt, derselben wirksame Dienste zu leisten. Jn- zwischen werden wir in unseren neuen Gebieten, bei dem Herrscher, sowie bei der Bevölkerung, welche- zu unserer ehrlihen Freundschaft Vertr-uen haben, der Civilisation Eingang und Geltung ver- schaffen. Wie in früheren ruhmreihen Zeiten, wo das italienische Genie die Grenzen der bekannten Welt ausdehnte, werden Alle aus unserem Werke Nutzen ziehen. So gedenke ih mit meiner Regierung und s Ihnen den Namen des neuen Jtalien zu cinem gesegneten zu tnachen.“

Aus Anlaß der Eröffnung des Parlaments hatte sih vom Quirinal bis zum Kammergebäude eine zahlreiche Menschenmenge versammelt, welche den König, die Königin und die übrigen Fürstlichkeiten bei der Fahrt nah dem Par- lamentsgebäude lebbaft begrüßte. Auch beim Eintritt in den Saal und beim Verlassen desselben wurden den Majestäten Sei- tens der Deputirten, der Senatoren und des Publikums große Ovationen dargebracht. Die Königin hatte sih in der Königlichen Loge niedergelassen; zur Rechten Zhrer Majestät befand sih der Kronprinz, welcher, da er noch nit groß- jährig ist, niht an der Seite des Königs Plaß genommen hatte. Zur Linken der Königin saß der Großherzog von Sachsen-Weimar. Der König, der zur Rechten den Herzog von Aosta, zur Linken den Herzog von Genua hatte, verlas die Thronrede auf dem Thronsessel sißend. Die Vinister und der gesammte Hofstaat hatten in der Nähe des Königs Aufstellung genommen; in der Diplomatenloge befand sich die äthio- pishe Mission. Die Thronrede wurde an vielen Stellen mit lebhaften Beifallsrufen aufgenommen, so insbesondere nah den Worten „daß wir weder Hinterhalte noch Gefahren zu fürhten brauchen“, ferner nah dem Passus, worin von den internationalen Beziehungen gesprochen wird, und nah den Worten, mit denen der König der Bemühungen des Dreibundes um die Erhaltung des Friedens gedachte. Nach Beendigung der Thronrede erschollen lang anhaltender Beifall und stürmische Hochrufe auf den König.

Sämmtliche Abendblätter sprechen sich über die Thronrede des Königs mit großer Befriedigung aus; der auf die auswärtige Politik und die Erhaltung des Friedens B Theil der Thronrede findet besonders lebhaften

eifall.

Der vaticanishe Correspondent der „Polit. Corresp.“ betont, daß die Gerüchte von Einwendungen des hei- ligen Stuhls gHen die angebli geplante Verlobung des Kronprinzen von Jtalien mit der Prinzessin Clementine von Belgien vö!lig unbegründet seien. Der Vatican könne eine Verbindung des katholijhen Prinzen mit einer katholischen Prinzessin-nur wünschen. Auch konnte der heilige Stuhl dem angeführten, angeblichen Plane gegenüber gar nicht in die Lage kommen, Stellung zu nehmen, da in diesem Falle keinerlei Dispens erforderlih wäre. Er werde daher auch künftig keinerlei Gelegenheit haben, Einsprache zu erheben.

Das Programm für die parlamentarischen Arbeiten ist, wie die „P. C.“ schreibt, ebenso wie die Thronrede in einem am 19. d. M. stattgehabten Ministerrath festgestellt worden. Jm Budget wurde das Defizit auf 32 Vüllionen herabgemindert ; dasselbe würde bloß 20 Mil- lionen betragen, wenn die Anschaffung des neuen rauchlosen Pulvers für die Armee niht einen Mehraufwand von 12 Millionen bedingte. Ein vorübergehendes Defizit von 32 Millionen i} aber für einen Staat mit den Hülfsquellen Italiens eine geringe Last, und der Staats-Schatz-Minister hat bereits seine Ueberzeugung dahin ausgesprochen, daß dieser Fehlbetrag ohne Appell an den öffentlihen Kredit sowie ohne Neubelastung der Steuerzahler durch eine Vermehrung der Einnahmen und durch zeitgemäße Reformen auf dem Ge- biete des Abgabensystems sich werde decken lassen. Der Finanz-Minister {loß sich den Erklärungen seines Kollegen vollkommen an und wies an der Hand statistisher Daten nach, daß die Staatseinnahmen zusehends zunehmen und in dieser Richtung die besten Hoffnungen für die Zukunft be- stehen. Das Finanz- Exposé wird in der ersten Hälfte des Monats Dezember der Kamm er vorgelegt werden und dazu beitragen, den bösgwilligen Gerüchten über die finanzielle Miß- lage Jtaliens Schranken zu segen. Wenn man bedenkt, daß die im allgemeinen sehr ungünstige Ernte, das entschiedene Mißjahr nicht im Stande war, die Steuerkraft des Landes zu ershüttern und die Staatseinnahmen zu vermindern, so wird man die finanzielle und wirthschafilihe Lage Ztaliens gewiß niht in einem düsteren Lichte erblicken können.

Schweiz. Bern, 25. November. (W. T. B.) Die Sessionen des Nationalraths und des Ständeraths sind heute eröffnet worden; in dem ersteren hielt der Präsident Haeberlin, in dem legzteren der Präsident Hoffmann die Eröffnungsrede. Beide Präsidenten erwähnten dabei das Ges über Einseßung eines Bundesanwalts; Präsident Hoff- mann 0A hervor, daß dem Bundesrath mit der Ablehnung der Volksabstimmung über dieses Geses ein Vertrauensvotum ertheilt worden sei. Nach dem offiziellen Text sagte er: „Das Vertrauensvotum, welches die Bundesbehörden erhalten haben, wird dieselben ermuthigen, auch fernerhin getreu den Ueber- lieferungen unseres Landes ebenso eur die Erfüllung seiner völkerrehtlihen Verpflichtungen zu sichern, als stark im Be- wußtsein seines guten Rechts jeden Angriff auf ¡seine Freiheit und Selbständigkeit zurückzuweisen.“

Velgien. Brüssel, 22. November. Die in der Sigzung der Anti-Sklaverei-Konferenz vom 19, November ein- geseßte Kommission, welche über die an Ort und Stelle O den Sklavenhandel zu ergreifenden Maßregeln zu

exrathen hat, ist, wie die M. „A. Z.“ meldet, am 21. d. M. usammengetreten. Jhr gehören die Vertreter Deutschlands, elgiens, Spaniens, des Kongo-Staates, Frankreihs, Englands, Jtaliens und Portugals an. Zum Vorsißenden wurde der englishe Delegirte Lord Vivian berufen. Es wurden der Kommission zahlreihe Vorschläge unterbreitet, welche in

der Vollversammlung der Konferenz vom 27. November der allgemeinen Erörterung unterzogen werden sollen. Unterdessen scheint eine der s{hwierigsten Fragen, mit denen die Konferenz sih zu befassen hat, nämlih die Frage der Schiffsdurg@: suchung, der Lösung näher gebraht, Dank dem Meinungs: austaush zwishen den englishen und französischen Delegirten. Bekanntlih wollte England auf der Afrika: Konferenz den Antrag stellen, daß jedes einem der auf der Konferenz vertretenen Staaten gehörige Schiff das Recht haben solle, vorbeifahrende Schiffe, welche verdättig erscheinen, eine Sklavenladung zu führen, anzuhalten und zu dur{suchen. Jn dieser Form war der Axtrag in Folge des Widerstandes Frankreihs aus\ihtslos. Deshalh haben die englischen Vertreter ihren französishen Kollegen einen Vermittelungsvorshlag unterbreitet , wonach große Dampfer, welche unter der Flagge eines auf der Afrikqa- Konferenz vertretenen Staats fahren, von der Durchsuchung befreit sein sollen. Kleinere Fahrzeuge jedoch sollen troß des Aufhissens bekannter Flaggen angehalten werden können, damit der Kapitän genöthigt werde, den Nachweis zu erbringen, daß er wirklih zur Führung jener Flagge berehtigt sei. Be: kanntlich lieben es Sklavenschiffe, um Unannehmlichkeiten zy begegnen, falshe Flaggen aufzuziehen. Mit diesem Ver: mittelungsvorschlag erklärten sih die französischen Delegirten einverstanden, und so ist denn die beste Aussicht auf eine ersprießlihe Thätigkeit der Konferenz vorhanden.

29. November. (W. T. B) Die von der

Anti-Sklaverei-Konferenz zur Prüfung der Fragen betreffs Unterdrücung des Skkavenhandels aur See eingeleßte Kommission wurde heute durch den Vorsißenden der Konferenz in ihre Thätigkeit eingeführt und beschloß, die Behandlung der tehnishen Fragen an eine S péezial- kommission zu verweisen, welher General-Direktor Arendt (Belgien), Contre - Admiral Humann (Frankreich), Arthur Havelock und Marine-Kapitän Arthur Moore (Großbritannien), die Fregatten - Kapitäne Capello und Augusto de Castilho (Por. ugai), Rimsky-Korssakoff und Professor de Martens (Ruß: land) angehören. Das Specialcomité wird einige seiner Mit: glieder bestimmen, welhe über deren Arbeiten an die obige Kommission Bericht erstatten sollen. Lettere beaustragte mit der Abfassung des Hauptberihts an die Konferenz die De- legirten Bourrée (Frankrei), John Kirk (Großbritannien), und de Martens (Rußland). Die Kommission zur Prüfung der Fragen betreffs Unterdrückung des Sklavenhandels zur See wird am Donnerstag zusammentreten, um die Vorschläge in Empfang zu nehmen, welche als Unterlage für ihre Arbeiten und für diejenigen des Spezialcomités dienen sollen.

__ Von den in Rom erscheinenden Zeitungen wird, wie die „P. C.“ schreibt, die Brüsseler Antisklaverei-Konferenz mit großer Anerkennung besprochen. Wie au der Ausgang der: jelben sein möge, sagt die „Riforma“, das Crispi'sche Organ, und wenn auch die daselbst erlangten Vortheile feine unmittelbaren sind, so wird aus den Diskussionen immerhin ein höchst werthvolles Material für eine mehr oder weniger ferne Zukunft hervorgehen, welche durch die politischen Begebenheiten, die si in Afrika abspielen, bestimmt wird. Wenn sih die Konferenz auch ohne bestimmtes Ergebniß auflösen sollte, so werden die Mächte sich dennoch entschließen müssen, 1hre Thätigkeit der Sklavenfrage entschiedener zuzuwenden, und Diejenigen, welhe die ganze Größe dieser Frage begriffen haben, werden _sih in ihrem Vorgehen bestärkt fühlen. Jtalien kann sich mit Selbstgefühl sagen, daß es zu den leßteren gehört und seine Aufgabe, seitdem es den Fuß auf den afrikanishen Kontinent geseßt, als eine huma- nitäre betrachtet und durchgeführt hat. Ztalien nimmt somit auf der Brüsseler Konferenz einen Ehrenplag ein und wird sich allen ernstgemeinten und praktischen Vorschlägen, welche in dieser Richtung gemacht werden, anschließen.

Der vormalige nordamerikanische Gesandte in Berlin, |

Pendleton, ist in vergangener Naht im Hotel Bellevue hierselbst in Folge eines Schlaganfalls gestorben.

Afrika. Egypten. Kairo, 25. November. (R. B.) Der O sammelt um Omdurman eine Streitmacht, um die Stellung von Dongola zu verstärken; man glaubt, er beabsihtige einen neuen Einbruch über die egyp- tishe Grenze, um für die Niederlage bei Toëki Nahe zu nehmen. Die Derwische haben ihren Posten am Nil bis Suarda vorgeschoben, machen wiederholt Einfälle in Abessy- nien und sind Herren des größten Theiles dec Aequatorial- Provinzen.

Zanzibar. Das „Bureau Reuter“ meldet aus Zanzibar vom 29. d. M.: Der Agent der Witu-Gesellshaft Toeppen zeigt an, daß bei dem vom Sultan von Witu an der See küste zwishen Kipini und Kwihu erriteten Zoll hause eine fünsfprozentige Steuer von allen ein- und aus- geführten Artikeln erhoben werde.

Parlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (23.) Sizung des Neichstages, welcher die Staatssekretäre Dr. von Boetticher und Graf von Bismarck sowie andere Bevollmächtigte zum Bundes- rath nebst Kommissarien b-iwohnten, theilte der Präsident zu- nächst mit, daß gestern Abend 111/, Ühr der Abg. Clauß, Vertreter für den 16. sähsishen Wahlkreis, in seiner Heimath plöglih verstorben sei. Das Haus ehrte das Andenken des Dahingeschiedenen durch Erheben von den Sigzen.

Auf der Tagesordnung stand die zweite Berathung des Entwurfs eines Geseyes, betreffend die Feststellung des Reichs haushalts-Etats für das Etatsjahr 1890/91, und zwar Spezial-Etat des Auswärtigen Amts. Die Berathung wurde fortgeseßt mit Kapitel 5 des Ordi- nariums „Gesandtschaften, Konsulate und Schußt- gebiete“, Titel 4 (Bern).

Staatssekretär Graf von Bismarck wiederholte die in der Budgetkommission abgegebene Erklärung, daß Seitens der verbündeten Regierungen durchaus keine Abneigung bestehe, über einen Niederla\ssungsvertrag mit der Schweiz in Berathung zu treten oder einen solchen abzuschließen. Einftweilen laufe der gegen- wärtige Vertrag noch bis zum nächsten Juli; Eile thue also nicht Noth. Wenn der Vertrag gekündigt worden, so sei es in erster Linie geschehen, weil sich zwischen der eihsregierung und der befreundeten Schweiz Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation einzelner Bestimmungen er- geben hätten. Die Redaktion der betreffenden Paragraphen werde so einzurichten sein, daß Meinungsverschiedenheiten in

ukunft ausgeschlossen seien. Aus diesem Grunde empfehle es 1h nicht, die Kündigung einfach zurückzuziehen. Bis zum Jahre

1877 hätten übrigens die besten Beziehungen bestanden, ohne daß ein Niedetlafungävertrag vorhanden gewesen; im Noth- alle würde man sich also au ohne einen solchen einrichten fönnen. Es bestehe aber durhaus keine Abneigung gegen einen neuen Vertrag. i

Abg. von Kardorff bat im Jnteresse des Zustande- fommens des Vertrages von einer weiteren Verhandlung des Falles Wohlgemuth abzusehen. ; : :

Auf Antrag des Abg. Delius wurde die Diskussion über den Titel geshlossen, der Titel seibst bewilligt; ebenso ohne Debatte die Titel 5—14. (Schluß des Blattes.)

S@&lußbericht über die gestrige Sißung des Reichstages e S E A

Heute Abend findet wieder cine Sißung der Kommission für das Sozialistengeseß statt.

Heitungsstimmen.

Ueber die politische Lage, welche durch die Seitens der Kommission für das Sozialistengeseß erfolgte Ver- werfung der Ausweisungsbefugniß entstanden ist, schreibt die Münchener „Allgemeine Zeitung“: :

„Die Wortführer der nationalliberalen Partei in der Reichstags- kommission für das Sozialistengeseß haben die Ausweisungbefugniß, welche der Entwurf für die Regierung in einem gegenüber dem bis- herigen Rechtszustande sehr einges{chränkten Maße in Ansyruch nimmt, nit \{lechthin und unter allen Umständen ver- worfen, sondern sie nur als Bestandtheil eines Gesetzes abs gelehnt, welches an keine bestimmte Gültigkeitsfrist gebunden ist. Sie wollen den übrigen Inhalt des Geseßes auf die Dauer be- willigen, die Auêsweisungen womöglih ganz beseitigt schen und, wenn die verbündeten Regierungen darauf bestehen, die Befugniß allenfalls „auf Zeit“ einräumen. Hieraus geht hervor, taß die Meinurgsver- \chiedenheit, welhe den Entwurf in Gefahr gebracht hat, ‘keine grundsäßliche ist, und s scheint fast, als ob von den national- liberalen Vertretern fo entschieden gegen die fragliche Maßnahme als dauernde Einrichtung Stellung auch deshalb genommen worden wäre, weil man annahm, die verbündeten Regierungen würden \{ließlich doch nachgeben und, um das d: zu retten, auf die Ausweisung verzihten. Wie aber, wenn man fich hierin irrt, wenn der betreffende Paragraph für die verbündeten Regierungen wirklich „unantastbar“ ist? Die nationalliberale Partei steht hier vor einer starken politischen Verantwortlichkeit und ist um so mehr darauf hingewiesen, eine Verftändigung herbeizuführen, als eben das bisher ausgesprohene Non possumus nicht auf grundsäßliher Gegnerschaft beruht. Aus Regierungskreisen hört man die Meinung äußern, daß in dem Entwurf schon weit- ehende Rücksihten auf die Stellung der natonalliberalen

artei genommen worden seien und daß Minister Herrfurth au bei der Vertretung der Vorlage eine Mäßigung bewiesen habe, die ein größeres Entgegenkommen gerade von den gemäßigten Liberalen verdiente In der Kommission ist die große Gescäftigkeit des Abg. Dr_ Windthorst aufgefallen, weihe in demselben Maße zunahm, als die Schwierigkeiten für das Gesctz in der vorgelegten Fassung sich steigerten, Diesmal wird er aber ni§t als der „Vater aller OVindernisse“ gelten dürfen, fondern er spekulirt nur mit gewohntem Fleiße auf Fehler, welche er von einer großen Nachbarpartei gern begangen sehen möchte.

Zu der Debatte über Kolonialpolitik im Reichstage be-

merken die „Hamburgischen Nachrichten“: :

„Die Reichstagsverhandlung vom vorigen Freitag konnte zwar in ihrem fkolonialpolitishen Theil nicht viel mehr sein als ein Sar- müzel vor der eigentlihen Schlacht; sie bot aber als solches großes Interesse. Zunächst. ist troß aller Bemühungen des Abg. Windthorft, die Sachlage zu verdunkeln, die Ansicht bekräftigt worden, daß die vorjährige Ab)\{chwenkung des Centrums aus den Reihen der Kolonial- gegner eine endgültige war. Welche Bedeutung _dieser Um- schwung für die kürftige Gestaltung der überseeishen Unter- nehmungen Deutschlands gewinnen kann, geht u. A. daraus berver, daß Fürst Biêmarck die weitere Ausdehnung der folonialpolitischen Aktion des Reichs in der Hauptsache von dem Rückhalt abhängig ge- macht hat, welcher dafür im Volk und Parlament gefunden werde. Man darf sicher fein, daß von allen unglücklichen Wahlspekulationen, denen der Freisinn sein wiederboltes Fiasko ¿u verdanken hat, keine so verfeblt ist, als die, welhe sich auf den angeblihen Mangel an Popularität der kolonialen Bestrebungen des Reichs ftütte.

Nichts beweist dies so deutlih wie der Umschwung des Centrums, das mit der Volksstimmung in solchen Dingen sehr gut zu renen versteht. Und selbst dem Abg. Richter scheint bereits eine Ahnung hiervon aufgestiegen zu sein; wenigstens läßt sih seine demonstrative Bereitwilligkeit, die in Berlin zur Bearbeitung der kfolonialen An- gelegenheiten fehlenden Kräfte zu bewilligen, kaum anders erklären; denn die Begründung dieser Zustimmung mit der Ab- ht, er wolle der Megierung die Gelegenheit ab- chneiden, sich bei künftigen fkolonialpolitisben Niederl agen mit Mängeln in der Registratur entschuldigen zu können, wird \{chwerlich Jemand für baare Münze nehmen. Hr. Richter fürchtet offenbar, daß seiner Partei die Verweigerung der nöthigen Hülfskräfte für die Bearbeitung der kolonialpolitischen Sawen in ähnlicher böser Weise von der öffentliven Meinung, resp. den Wählern heimgezahlt werden könnte, wie es seiner Zeit bei Verwerfung des von Fürst Bismarck als notbwendig bezeichneten ferneren Direktors für das Auswärtige Amt ge- \chah, Obne Zweifel regt sich in den Kreisen der freisinnigen Wähler eine ftarke Opposition gegen die tolonialfeindlihe Haltung ihrer Partei im Reichétage andererseits entsteht Hrn.Richter ein höchs\t peinliches Dilemma dadur, daß die beiden Garanten des parlamentarischen Besißstandes des Freisinns, Centrum und Sozialdemokratie, bezüglich der Kolonial- politik entgegengeseßter Meinung sind; die Folge davon ist, daß Hr. Richter immer entweder den einen oder den anderen seiner beiden Gönner verlegen, also die Interessen seiner Partei s{ädigen muß. Daß sich der Abg. Bamberger in dieser Lage dazu ents{loß, die Rüdsiht auf das Centrum preiszugeben, liefert im Zusammenhang mit der an die Adresse der Sozialdemokratie gerihteten Verwahrung gegen die Unterstellurg, seine Partei vertrete kapitalistische Interessen, den besten Beweis dafür, daß der Freisinn seine Hoffnung für die Wahl diesmal im Wesentlichen auf die Hülfe der Sozialdemokratie gestellt hat. Dies entspriht avch vollkommen der Thatsache, daß in dem Verhältniß zwischen Freisinn und Sozialdemokratie die trennenden Momente immer weiter hinter den einenden zurüdcktreten.“

Ueber Fleischpreise und Fleishzoll schreibt die „Leipziger. Zeitung“: y i O „Im Reichstage ist von deutsch-freisinniger Seite die Aufbebung des Cingangszolls für Schweinefleish, von fozialdemokratischer Seite die Aufhebung des Fleisbzolls überhaupt, im sächsischen Landiage vom Abg. Philipp die Aufhebung der partikularre{chtlichen Slahtsteuer eantragt, sämmtlice Anträge sind mit dem Hinweise auf die ein- getretene Fleishvertbeuerung begründet, und es ist damit von den Antragstellern die Ansihht vertreten worden, daß die Sleishvertheuerung dieses Jahres wesentlich mit durch Zölle und Steuern herbei- geführt, von der Beseitigung derselben daher ein Rückgang der Fleisch- preise zu erwarten sei. i „Die Zollherabsezung des Tarifs von 1865 hatte cine Er- h öhiung des Fleischpreises, die Zollerhöhung des Jahres 1885 aber einen Rückgang der Fleishpreise zur Folge. Nur in Folge der Zollerhöhung des Jahres 1879 \tieg der Fleischpreis, aber nit so ho, wie er 1873, 1874, 1876 und 1877, den Jahren mit den niedrigsten Zollsäten, gestanden hatte. Die Sleischpreise jener Jahre mit den niedrigsten Zollsäßen sind überhaupt die höchsten in dem ganzen

24 jährigen Zeitraum bis zum Juli 1889. Erft die leßten drei M S gs lagten höhere Preise zum Theil zweifellos in Folge des Einfuhrverbots. i :

Sir beobachten bei den Fleishpreisen ganz dieselbe Erschei- nung, die bei dem Vergleih einer längeren Periode das Verhältniß zwischen Getreidepreisen und Getreidezöllen bietet: Die Zölle an sih sind ohne jede Wirkung auf die Preise, im Gegentheil, öfter haben Zollsteigerungen Preisfälle als Preiésteigerungen zur Folge gehabt. Sind leßtere bedeutend, so haben sie in erster Linie gewöhnli andere Ursachen, so bei der jeßigen Preishöhe des Getreides den geringen Ernteertrag, bei der jetzigen Preishöbe des Fleishpreises die Vieh- einfuhrverbote. Auch diese beiden Ursachen sind es- aber nit aus\ließlich, welhe die Preissteigerung herbeigeführt haben. Vielmehr kommt dazu, daß wir uns seit etwa Mitte vorigen Jahres nach fünfundzwanzigjährigem Preisrückgang wieder in einer Periode steigender Preise befinden, die von 39 Artikeln der amtlichen deutshen Statistik bereits 33 erfaßt hat, daß man daher um die Annahme allgemeiner Ursachen, welhe neben den Ein- fuhrverboten und dem Ernteausfall auf die Erhöhung der Nabrungs- mi1telpreise eingewirkt haben, s{lechterdings nicht herumkommt. S{on seit November 1888, also lange vor dem Einfuhrverbot, sind die Fleischpreise im stetigen Steigen; im November 116 », stieg der Preis bereits vor dem Ausfuhrverbot langsam aber sicher, im Monat um ein, zwei Pfennige zunehmend, bis auf 129 Z im Juli. Dieselbe Erscheinung zeigt, was den leßten Zweifel be- seitigen muß, auch die Preisbewegung _des Auslandes. Wie der Hr. Staatssekretär Dr. von Boetticher im Reichstage mit- theilte, stieg in den Monaten April bis August d. I. der amerifanishe Sinken in London von 62—66 auf 70-—74, der dänische Speck von 44—53 auf 65—71, in Paris das Schweinefleisch von 1——1,18 Æ auf 1,38—1,75 Æ, in Amsterdam das Schweinefleisch von 0,36—0,40 auf 0,47 bis 0,53. Die Wirkung dieser allgemeinen Ursachen, welhe den Wel tpreis bilden, ist mächtiger als der Einfluß von Zöllen und Steuern eines einzelnen Landes, er wird daher fortdauern, au wenn man den Fleis{zoll und die Sthlacht- steuer ermäßigen bezw. beseitigen wollte, die auf die Preisbildung bisher so gut wie keinen Einfluß gebabt haben. Wir glauben daber, daß Diejenigen, die von der Ermäßigung oder Beseitigung der Zölle und Steuern einen Preisrückzang des Fleisches erwarten, sich täuschen.“

Neue Berichte über Stanley und Emin Pascha be- finden sih in der Ersten Beilage.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Lage der Landwirthschaft.

Der allgemeine Wohlstand is im Regierungsbezirk Breslau in Folge des wider Erwarten s{hlechten Ergebnisses dec diesjährigen Ernte und in Folge der immer weiteren Entwerthung des Grund- besißes im Nückgange begriffen. Die Ausfihten für die Landwirth- chaft find äußerst ungünstige und deren Woblstandéverhältnisse werden noch mehr als bisher zurückgehen, da die Einnahmen aus den geringen gewonnenen Produkten bei Weitem nit ausreihen werden, um nur die Ausgaben zu decken. Nach statistischer Zusammenstellung sind im Regierungébezirk Breslau im verflossenen Halbjahre 148 G üter im Subhastation8wege zum Verkauf gekommen.

Zur Arbeiterbewegung.

Wie aus Breslau berichtet wird, haben in den leßten Monaten dort abgehaltene öffentlihe Arbeiterversammlungen zugleih als Mittel zur Agitation für die Gründung eines sogenannten „Sozialistenbeims“ dienen sollen. Dieses von Bruno Geiser aus- gegangene Projekt bezweckt, durch Kauf oder Pachtung ein Grundstück zu Versammlungszwecken zu gewinnen, um dadur der Schwierigkeit der Be- schaffung eines Versammlungslokals und zugleich auch der Abhängig- keit der Schankwirthe wegen Hergabe eines folhen überhoben zu fein. Zur regeren Förderung dieser Angelegenheit bildete sich cine sozialdemo- fratishe Kommission Behufs Beschaffung der nöthigen Geld- mittel. Zur weiteren Förderung der ozialdemokratishen Bewegung hat 2c. Geiser au ein sogenanntes „Volksbildungs- Institut“ ins Leben gerufen, welches wöchentlib mehrmals in öffentlichen Lokalen Zusammenkünfte für angeblich lernbegierige Sozial- demokraten abbält und wo Geiser in der Stenographie, kaufmännischer Buchführung und in der deutschen Literatur und Sprache Unterricht ertheilt.

y Die Kundgebungen der fozialdemokratishen Vereine, den 1. Mai 1890 als Feiertag zu begehen, haben sich in den leßten Tagen so gewaltig gebäuft, daß es an diesem Tage, wie die „Magdeb. Ztg.“ meint, zu Aufsehen machenden Demonstrationen kommen wird. Es foll am 1, Mai 1890 jede Arbeit ruhen, und damit foll die Bewegung für den Achtflundentag eingeleitet werden. Von den zablreichen Vereinen in Berlin, welche den 1. Mai 1890 als Feiertag crklärt haben, seien hier der Fachverein der Tapezirer, der Steinmécyerverein, der Fachverein der Lederarbeiter, der fozialdemokratis%e Watlverein für Teltow, Beeskow-Storkow und der Arbeiter-Bildungsverein erwähnt, welde von Tausenden von Sozialdemokraten besucht waren. Im letzteren Verein zeigte sih wieder einmal, {reibt man dem eHannov. Courier“ aus Berlin, daß die Sozialdemokraiie immer mehr die internationalen Fäden anspinnt. Der Berliner Arbeiter- bildungsverein hat nämlih beschlossen, den Londoner Bâtcker- gesellen eine Sympathie-Adresse, wenn möglih „im Klange des Metalls“, zu s{chickcn. Jedenfalls verdient auch der Umstand Erwähnung, daß es immer mehr und mehr in Arbeiterversammlungen Sitte wird, mit einem Ho auf die internationale Arbeiterbewegung auseinanderzugeben. | :

Der Strike der Koblenarbeiter in den Departements des Nord und Pas de Calais ift, wie dem „Journal des Débats* aus Arras vom 23. d. M. gemeldet wird, als beendet zu betrahten, da nur 180 von 3500 Arbeitern die Arbeit bis jeßt nit wieder aufgenommen haben.

Die Frauen- und Kinderarbeit in Belgien. i

Das von den belgishen Kammern angenommene Geseh über die Ordnung der Ftrauen- und Kinderarbeit erstreckt \sich, wie wir dem „Hamburgishen Correpondenten“ entnehmen, avf die Bergwerke, Gruben, Steinbrüche, Baupläte, Hüttenwerke, Manufakturen, Fabriken, auf alle als gefährlich, ungesund oder lästig anerkannten Etablisse- ments, wie auf diejenigen, in denen die Arbeit mittelst Dampfkessel oder mittelst mechanischer Kraft verrihtet wird und auf Land- und Wassertränsporte. Kinder unter 12 Jahren dürfen niht mehr beschäf- tigt werden. Mädchen unter 14 Jahren werden nit mehr zu den unter- irdishen Arbeiten in den Bergwerken, Gruben und Steinbrüchen zugelassen. Kinder und jugendli(e Arbeiter unter 16 Jahren, wie weibliche Personen unter 21 Jahren sollen vor 5 Uhr Morgens und nah 9 Uhr Abends niht medor beschäftigt werden, doch kann der König unter bestimmten Bedingungen A usnahmen zulassen. Kinder und jugendliche Arbeiter von weniger als 16 Jahren dürfen täglich nur zu zwölfstündiger Arbeit8zeit mit mindestens 14 Stunden Rubepause angehalten werden. Alle Arbeiter unter 16 Jahren und Frauen sollen nur 6 Tage in der Woche arbeiten, doch dürfen die Behörden Ausnahmen unter der Bedingung zulassen, daß ihnen allwöchentlih Zeit zur Erfüllung ibrer religiösen Pflichten und alle 14 Tage ein Ruhetag ver- bleibt. Weiblie Per'onen dürfen erst 4 Wehen nah ihrer Entbindung zur Arbeit wieder zugelassen werden. Vom 1. Januar 1892 ab dürfen Frauen und Mädchen unter 21 Jahren nicht mehr zu unterirtishen Arbeiten in den Bergwerken, Gruben und Steinbrüchen Zulaß finden. Weibliche Personen über 21 Jahre dürfen unbeschränkt in der Tiefe der Gruben arbeiten. Alle jugendlichen Arbeiter unter 16 Jahren und alle Arbeiterinnen unter 21 Jahren müssen zur Feststelung ihrer Person ein Arbeitsbuch

führen, Drei Jahre nad der Veröffentlihung dieses Gesetzes soll

der König, also die Regierung, nach Anhörung der Behörden die Dauer des Arbeitstagez und der Ruhepausen für die Kinder und juzendlihen Arbeiter von weniger als 16 Jahren und für die weib- lihen Arbeiter unter 21 Jahren je nah der Art der Beschäftigungen und nach den Erfordernissen der Industriezweige, Handwerke und Gewerbe feststellen. Die übrigen Bestimmungen des Geseges sichern nur seine Ausführung. Faßt man das ganze Gesetz zusammen, fo ergiebt si als geseßlich festgestellt nur dreierlei: 1) die Nichtzulassung der Kinder unter 12 Jahren zur Arbeit in bestimmten Industriezweigen; 2) zwölfstündiger Arbeitstag für alle Arbeiter unter 16 Jahren und eine vierwöhentlihe Rubepause für entbundene Arbeiterinnen ; 3) Aus\{chluß der Frauen und Mädchen unter 21 Jahren aus den unterirdishen Grubenarbeiten vom Jabre 1892 ab. Die ganze Ordnung der übrigen Frauen- und Kinderarbeit kann die Regierung na ihrem Ermessen bestimmen.

Das Eisenbahnneß der Vereinigten Staaten.

Die sftatistishen Angaben über das Eisenbahnwesen der Ver- einigten Staaten im Jahre 1888 liegen in der Einleitung zu Poors jährlich ersheinendem „Manual of Railroads“ für das Jahr 1839 vor. Diesen Angaben zufolge verfügten die Vereinigten Staaten am 1. Januar über ein Cisenbahnneß von ca. 156100 (engl.) Meilen, wozu im ersten Semester des Kalenderjahres no diverse Tausende von Meilen hinzugekommen sind. Im Vor- jabre waren bloß 149 281 Meilen im Betriebe, die Zunahme betrug also im Jahre 1888 6801 Meilen gegea eine Zunahme von 12 872 im Iahre 1887. Diese leßtere war die bedeutendste Jahreszunahme überbaupt, welhe die Statistik des amerikanishen Eisenbabn- netzes zeigt; ihr zunächst kommt die Zunahme des Jahres 1882 mit 11 569 Meilen. Von der totalen Meilenzahl des gesammten Eisen- bahnnepes der Welt entfällt die Hälfte auf die Vereinigten Staaten. Am Schluß des Jahres 1888 betrug die Gesammtlänae aller &isen- bahnen der Union 156 082 Meilen, särumtli% in 60 Jahren gebaut, sodaß durchfchnittlich während dieses Zeitraums nahezu 2600 Meilen per Jahr konstruirt wurden. Ende 1865 belief #ch das gesammte Eisenbahnney der Union avf 35085 Meilen. Scit dieser Beit, also seit 23 Jahren, sind 121 000 Meilen neuer Eisenbahnen, dur{chschnitt- lih also 5260 Meilen per Jahr, zweimal der Jahresdurchschnitt der gesammten oben ecwähnten G9jährigen Periode und 5,3mal der a A des ersten Zeitraumes von 35 Jahren, gebaut worden.

Land- und Forstwirthschaft.

Verbot der Einfuhr von ungarischen S{weinen.

Aus Opveln wird der „Schlesishen Zeitung“ gemeldet: Nat- dem in den Shlachthäuscrn zu Beuthen und Myslowitz unter den dort eingebrahten S&weinen wenige Tage nach der Einf:hr Ausbrüche von Maul- und Klauenseuche festgestellt worden sind und damit die Einschleppung der Seucte aus Steinbruh nah Stlesien konstatirt ift, erläßt der Regierungs-Präsident soeben durH tine Sonder- ausgabe des Amtsblattes nachfolgende Verordnung: „Im Axsbluß an die lande8polizeilichen Verordnungen vom 22. August. 11. Sep- tember, 20. September und 9. Oktober d F. mache ih bierdur be- kannt, daß mit Rücksicht auf die in neuester Zeit vorzekomuzenen Ausbrüche von Maul- und Klauenseuche unter deu in den hiesigen Bezirk aus Ungarn eingeführten Schweinen auf Grund des 8, 7 des MReichsgesetzes, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viebseuchen, vom 23. Juni 1880 in Verbindung mit § 3 des preußishen Ausführungsgeseßes vom 12, März 1881 die Ein- fuhr von ungarischen Schweinen in den Regierungs- bezirk Oppeln bis auf Weiteres untersagt wird. Die- jenigen Transporte, welhe na&wweislich am 24 d. M. bereits ver- ¡aden und von Sreinbrulh abgesandt worden sind, können über Oder- berg und Dziediß in die öffentlichen Schlachthäuser zu Beuthen, Gleiwiß, Mysëlowitz und Ratibor zur sofortigen Abschlachtung ein- geführt werden, falls bei der thierärztliven Untersuhung an den Grenzübergängen die einzuführenden Transporte frei von Maul- und Klauenseuche befunden werden.“

Tiflis, 25, November. (W. T. B,) Die landwirthschaft - lide Ausftellung wurde geschlossen. Eine goldene Me- daille erhielten Eckert (Berlin), Ramson und Simms (London) Mars Söhne (Paris).

Verkehrs - Anstalten.

Die Post von dem am 23, Oktober aus Shanghai ab- gegangenen Neich8-Postdamvpfer „Neckar“ ist, wie ,W. T. B.“ meldet, in Brindist eingetroffen und gelangt für Berlin voraus- sihilih am 27. d. M. Vormittazs zur Ausgabe. - :

Hamburg, 26. November. (W. T. B.) Die Postdampfer „Flandria“ und, Wieland“ der Hamburg- Amerikanischen Patetfahrt-Aktiengesell\chaft haben, von Nero-York kom- mend, ersterer gestern Abend 5 Uhr Scilly, leßterer heute 1 Uhr Mcrgens Lizard passirt.

London, 25. November. (W. T. B.) Der Caftle-Dampfer eHawardene-Castle“ hat heute auf der Ausreise Lissabon passirt. Der Castle-Dampfer „Dunbar Castle“ ist am Sonnabend auf der Ausreise in Durban (Natal) angekommen.

Theater und Mufik.

Köntalihes Schauspielhaus. : Die für Sonntag, den 1. Dezember, angekündigte, zu Gunsten dés Hrn. Saville zu veranstaltende Matinée, in welher Moser's „Ultimo“ zur Aufführung gelangen follte, hat auf einen späteren Sonntag vers{choben werden müssen, weil augenblicklih die Kräfte der versciedenen Theater, die jene Vormittagsvorstellung zu unterstüßen bereit waren, durch Proben und Vorbereitungen von neuen Bühnen-

werken allzu!chr in Ausprub genommen sind.

r €& Sing-Akademie. :

Gestern gab der Verein zur Veranstaltung vonMuster- Militär-Concerten sein erstes Concert im Saale der Sing- Akademie, Der Zweck dieser Unternehmung ift zunähst: die Mittel der von dem Hochseligen Kaiser Wilbelm 1. ge- ne5migten Unterstüßungsfasse möglihs| zu vergrößern und zu- gieih die Militär- Musik auf eine böbere Stufe künstlerischer Bedeutung zu erheben. An der Spiße des für diese Veran- staltungen eingeseßten Verwaltungs - Comités stehen der General von der Goltz, der Graf von Sclieffen und der Garnison- und Hof-Prediger Dr. Frommel. Das Programm des Concerts enthielt eine reiche Anzabl von Musikstücken, die aus sehr ge- lungenen Arrangements von Chören, Ouverturen, Opernphbantasien und Klavierstücken bestanden, mit Ausnahme des „Kaisermar|ches“ von Wagner und des bckannten „Torgauer Militärmarsches“. Unter den Arrangements waren besonders die Ouvertüre zu „Egmont“, die „Tannbäuser-Ouvertüre“ und die „Friedentfeier“, eine Ouvertüre von Reineckte, von sehr ergreifender Wirkung. Auch der Kaiser- marso und die große Phantasie aus Wagner's „Walküre* würden mit großem Beifall aufgenommen. Die Ausführung, die, was Prâzision in der Zusammenwirkung und \{chwungvolle Vortrags- weise betrifft, nihts zu wünschen übrig licß, batte für dies erste Concert das Musikcorps des „Pommerschen Füsilier-Regi- ments“ (Nr. 34) aus Stettin übernommen, das si unter Leitung seines einsichtsvollen Dirigenten Jancovius sehr tüchtig zeigte. Der Oberft dieses Regiments von Petersdorff war mit fünf Offizieren zu diesem Concert von Stettin hierher gekommen Außer- dem hatten sih mebrere böbere Miiitärpersonen biesiger Garnison ein- gefunden. Dak; der Besuch im AUlgemeinen nur ein sehr wenig zahlreicher war, hatte wobl scinen Grund in der gleichzeitigen Concert-Aufführung der Philharmonie. Die Schallwirkung wurde daher bei der Leere des Saales eine übkermäßig starke. Das zweite Concert, zu welchem sih drei Militär-Musikcorps im Victoria-Theater vereinigen sollen, findet

am Sonntag, den 8 Dezember, Mittags 12 Uhr, statt, und bringt Wieprecht's Tongemälde „Die Schlacht bei Leipzig“ zur Aufführung.