1910 / 32 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 07 Feb 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht: den Regierungsassessor Dr. Peters in Mayen zum Landrat und i den bisherigen Gymnasialoberlehrer Dr. Weinrowsky, zurzeit in Drossen, zum Seminardirektor zu ernennen.

Finanzministerium.

“e MAETN O Ar H O e N E STED Nach hier vorliegenden Proben werden zurzeit Feuer- anzünder der gewöhnlihen Art und Größe in den Handel gebracht, die an einem Ende mit einer durh Reibung an der Streichfläche einer sogenannten Schwedenschachtel zur Ent- Aammung zu bringenden Zündmasse versehen sind. *# S

Diese Feueranzünder sind, wie ih im Einverständnis mit dem Herrn Reichskanzler (Reichsschaßamt) bemerke, als steuer- pflichtige Zündwaren anzusprechen, weil sie als Stäbchen aus Holz, gepreßten Pflanzenfasern und ähnlichen Stoffen im Sinne des § 1 Abs. 2 der Zündwarensteuerausführungsbestimmungen angesehen werden müssen.

Aus der Steuerpflicht dieser Erzeugnisse ergibt sich, daß auf ihre Hersteller auch die für die Zündwarenfabriken erlassenen Steuervorschriften Anwendung finden, und daß sie nah § 8 des Zündwarensteuergeseßes dem Steueraufschlag von 20 vom Hundert unterliegen, falls wie anzunehmen ist die Fabrik erst nah dem 1. Juni 1909 betriebsfähig hergerichtet worden ist.

Jch ersuche, die nachgeordneten Stellen mit entsprechender Anweisung zu versehen. Der Bedarf an Abdrucken dieser Verfügung ist alsbald anzuzeigen.

. Berlin, den 25. Januar 1910.

Der Finanzminister. Jm Austrage: Köhler. An sämtliche Oberzolldirektionen (einschl. Erfurt) mit Ausnahme derjenigen zu Berlin. L ti a ca iti ge «via 8h t gi G D G S rar A RRMEE T Abschrift auf den Bericht vom 23. Dezember v. J. Nr. 29 029 zur gefälligen gleihmäßigen Beachtung.

Den Absay 3 des § 1 der Zündwarensteuerausführungs- bestimmungen halte ih in Uebereinstimmung mit dem Herrn Reichskanzler (Reichsschazamt) auf die vorliegenden Feuer: anzünder nicht für anwendbar.

Die vorgelegten Proben folgen anbei zurü.

Berlin, den 25. Januar 1910.

Der Finanzminister. Im Auftrage: Köhler. An die Königliche Oberzolldirektion hier.

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Der Katasterkontrolleur, Steuerinspeïtor Toepel in Lichtenberg ist zum Katasterinspektor bei der KöniglichenZRe- gierung in Oppeln ernannt worden.k ui de

Verseßt sind: die Katastérkontrolleure, Steuerinspektor Loebell von Delißsh nah Charlottenburg und Buck von Katscher nach Delißsch.

Bestellt ist: der Katasterlandmesser Schönherr in Allen- stein zum Katasterkontrolleur in Katscher.

Der Ansiedlungskommissionssekretär Blech in Posen ist zum Rentmeister bei der Königlichen Kreiskasse in Schroda und

der Regierungssekretär Becker in Berlin zum Rentmeister bei der Königlichen Kreiskasse in Mansfeld ernannt worden.

Verseßt sind die Rentmeister bei Königlichen Kreiskassen: Ts\chuschke von e nach Lübben und Groß von Bleckede nah Harburg.

Ministerium des Jnnern.

Dem Landrat Dr. Peters ist das Landratsamt im Kreis Mayen übertragen worden.

Ministerium der geistlihen, Unterrichts- und Medizinglangelegenheiten.

Dem Seminardirektor Dr. Weinrowsky ist das rossen verliehen worden.

Direktorat des Lehrerseminars in

Der Stadtassistenzarzt Dr. Theodor Fricke aus Duis burg ist zum Kreisarzt ernannt und mit der Verwaltung des Kreisarztbezirks Kreis Simmern beauftragt worden.

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Königliche Akademie der Künste. Wettbewerb um den Dr. Hugo Naußendorff-Preis auf dem Gebiete der Malerei r Das Sr 1910.

Der Preis besteht in einem Stipendium von 4000 #4 und wird jedes zweite Jahr abwechselnd für Maler und Bildhauer aus geschrieben.

Der Wettbewerb für 1910 wird hiermit für Maler eröffnet. Zur Konkurrenz werden nur unbemittelte Bewerber christlicher Religion beiderlei Geschlechts verstattet, welhe eine der deutschen Kunstakademien oder der diefen gleihstehenden Kunstshulen des Deutschen Neichs, das Staedelshe Kunstinstitut zu Frankfurt a. M. oder die Meisterateliers beim Schlesischen Museum für bildende Künste* zu Breslau besuchen oder zur Zeit der Ausschreibung des Stipendiums nicht länger als ein Jahr verlassen haben.

Die Bewerber sind verpflichtet, sih bei der Meldung über ihre bisherigen Studien und ihr Können durch Zeugnisse ihrer Lehrer und durch Vorlegung eigener Arbeiten auszuweisen. Diese Arbeiten dürfen die Zahl 10 nicht überschreiten, müssen von: dem Bewerber selbständig gefertigt und innerhalb der leßten zwei Jahre vor dem Ablieferungs- termin ausgeführt oder wenigstens vollendet worden sein.

Bewerbungen, die \chriftlich zu geschehen haben, sind bis 5. November 1910, Mittags 12 Uhr, an die Königliche Akademie der Künste zu Berlin W. 64, Pariser Plaß 4, einzusenden. Bis zum gleichen Zeitpunkte muß die Ablieferung der Konkurrenz- arbeiten erfolgt sein. Außerhalb Berlins Wohnende haben ihre Be- werbungsgesuche tunlihs durch Vermittlung desjenigen Kunstinstituts einzureichen, bei dem sie ihren Studien obliegen oder auf dem sie zuleßt ihre Studien gemacht haben.

Dem Bewerbungsgesuche sind beizufügen:

1) ein ausführliher Lebenslauf,

92) ein Verzeichnis der für die Konkurrenz bestimmten Werke, welches mit der pflihtgemäßen Versicherung zu versehen ist, daß die Arbeiten von dem Bewerber selbständig gefertigt und inierbalb der leßten zwei Jahre vor dem 9. November 1910 ausgeführt oder wenigstens vollendet worden sind,

3) das Befähigungszeugnis des Lehrers oder Anstaltsvorstehers,

4) das Besuchsattest eines deutshen höheren Kunstunterrichts- inftituts,

9) amtlihe Nachweise darüber, :

a. daß der Bewerber ein Deutscher ist,

b. daß er si zur christlichen ReligiM bekennt,

C. daß er zur Zeit des Ausschreibens das 32. Lebensjahr nicht überschritten hat, und

d. daß er nach den eigenen Verhältnissen und denen seiner Eltern einer Unterstüßung bedürftig sei.

__ Gesuche, denen die vorstehend unter 1 bis 5 aufgeführten Schrift- stücke nicht beiliegen, bleiben unberücsihtigt. Die Einsendung der Gesuche hat getrennt von den Arbeiten zu aalaen,

Der Sieger is verpflichtet, eine einjährige Studienreise aus- zuführen, deren Ziel in das eigene Ermessen desselben gejtellt ist, aber von dem Senate vorher genehmigt sein muß, Zu diesem Ywee ist die beabsichtigte Reiseroute in dem Bewerbungsgesuch genau anzugeben. Falls der Besuch Italiens vorgesehen ist, kann dem Stipendiaten bei einem etwaigen längeren Aufenthalt in Nom während des Stipendien- jahres eins der vom Staate angemieteten Künstlerateliers mietfrei überlassen werden, wenn ältere Ansprüche auf solhe nicht zu berüdck- sichtigen sind.

Die Auszahlung des Stipendiums erfolgt in vier gleihen Raten. Bor Auszahlung der dritten Rate hat der Stipendiat dem Senat einen ausführlihen Reiseberiht zu erstatten und einen vom Senat. zu bestimmenden Studiennachweis zu erbringen.

Die Studienreise ist spätestens ein Jahr nah Zuerkennung des Preises anzutreten. Die leßtere erfolgt am 18. November 1910. Nach getroffener Entscheidung findet eine öffentlihe Ausstellung der Konkurrenzarbeiten statt. (

Das Stipendium kann bei Nichterfüllung der dem Stipendiaten obliegenden Pflichten entzogen werden. Für diejenigen auswärtigen Bewerber, welche ihre Bewerbungen durch Vermittlung der oben er- wähnten Kunstinstitute einreichen, übernimmt die Stiftung die Kosten der einfachen Fraht vom Orte des Kunstinstituts nah Berlin und zurück an den Einsender, jedoch mit Ausschluß der etwaigen Kosten für zurückgeforderte Em Mlaen.

Berlin, den 6. Februar 1910.

Der Senat der Königlichen Akademie der Künste, Sektion für die bildenden Künste.

A. Kampf.

Kriegsministerium.

Der Oberleutnant der Reserve, bisher Oberleutnant im Jnfanterieregiment Freiherr von Sparr (3. Westfälischen) Nr. 16, Gynz von Rekowski ist als etatsmäßiger Militär intendanturassessor bei der Juntendantur der Verkehrstruppen angestellt worden.

Nichtamtliches. Deutsches Reich.

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Preußen. Berlin, 7. Februar.

Seine Majestät der Kaiser und König nahmen heute vormittag im hiesigen Königlichen Schlosse den Vortrag des Chefs des Zivilkabinetts, Wirklichen Geheimen Rats von Valentini entgegen und besuchten, „W. T. B.“ zufolge, vorher

den Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg. È®

In der am 5. d. M. unter detn Vorsiß des Staats- ministers, Staatssekretärs, des Junern Delbrück abgehaltenen Plenarsißzung des BuündeFats wurde über die Böschluß- nahme des Reichstags zu dem Entwurf eines Geseßzes, betreffend die Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, Mitteilung gemacht und über die weiteren Maß- nahmen zur Ausführung des Geseßes Beschluß gefaßt. Außerdem wurde dem Entwurf eines Stellenvermittelungsgeseßes die Zu stimmung erteilt. /

Die vereinigten Ausschüsse des Bundes8rats für Handel und Verkehr und für Justizwesen hielten heute eine Sißung.

Am 5. d. M. der Generalkonsul a. D., Geheimer Legationsrat verstorben.

Ein Mann von großen Fähigkeiten, ausgestattet mit einem festen Willen, jederzeit bereit, die Verantwortung für das von ihm als recht Erkannte zu übernehmen, hat der Ver storbene in langer treuer Dienstzeit Hervorragendes geleistet. Es war ihm nicht vergönnt, bis zuleßt im Dienste zu ver bleiben. Sein geshwächter Gesundheitszustand nötigte ihn, im Jahre 1906 seinen Abschied nachzusuchen, der ihm von Seiner Majestät dem Kaiser unter Bezeigung besonderer Anerkennung seiner Verdienste bewilligt wurde.

Dr. Knappe trat als preußischer Gerichtsassessor im Jahre 1883 in das Auswärtige Amt ein. Seit dem Jahre 1885 war er in der Südsee tätig, zunächst als Vizekonsul, später als Konsul in Apia. Nachdem er vorübergehend von 1890 bis 1893 die Stellung eines Direktors der Nationalbank in Prätoria bekleidet hatte, ging er im Jahre 1894 als Konsul nach Canton und wurde 1899 zum Generalkonsul in Schanghai ernannt, wo er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienste eine an Erfolgen reiche Tätigkeit entfaltete. Vermöge seiner Erfahrung und Einsicht, seines lauteren Charakters und seiner steten Hilfsbereitschaft hat sih Dr. Knappe überall die Achtung und Liebe aller derer erworben, die ihîn dienstlih und außer dienstlih näher traten. Jm Auswärtigen Amt wird sein Andenken unvergessen bleiben.

ist hierselbst in der Kolonie Grunewald Dr. Knappe

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M.S. „Iltis“ am 4. Februar in Canton eingetroffen und geht morgen von dort wieder in See.

S. M. S. „Scharnhorst“ mit dem Chef des Kreuzer geschwaders und S. M. S. „Leipzig“ sind am 4. Februar in Pulo Weh auf Sabang (Niederländisch-Jndien) eingetroffen.

Frankreich.

Jn dem vorgestern abgehaltenen Ministerrat erklärte der Minister des Aeußern Pichon, „W. T. B.“ zufolge, daß die Vorschläge, die er in St. Petersburg, London und Nom gemacht habe, um griechish - türkishe Ver- wicklungen zu verhindern, zu einer Einigung geführt hätten und von den vier Schußmächten dem fkretischen Erekutivkomitee offiziell mitgeteilt werden würden. Die

von dei Regierungen in Konstaytinopel und q gebenen Erklärungen ließen die Annahme zu, 16 Schwierigkeiten mehr zu befürchten seien. Ferneßhilte der Minister Briand mit, daß in dem übershiym®Len Gebiete der normale Zustand wiederkehre Whgaß die Folgen des Unglücks begrenzter sein werden, als kj be fürchtet habe. Die Furcht vor einer Epidemie sei ges&mden Ein neuer Kredit werde von der Kammer gefordert wn

4 Rußland.

‘Auf Befehl des Kaisers Nikolaus ist, wie das „W. ‘93 - meldet, eine Altersgrenze für Offiziere eingißrt worden.

abge- feine

Die Reichswehrko mm ission der Duma hat sich ix die Notwendigkeit der Schaffung einer Militärluft\ch# flottille ausgesprohen und das Kriegsministeriuum «a gefordert, die Ausarbeitung von Maßnahmen zur Bekämpfu der Luüftschiffflotte eines möglichen Gegners zu beschleunigen.

Türkei.

Der Sultan hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ dem Flottenverein ein Zwölftel seiner Zivilliste, rund 23 000 Pfund, für die Zwecke der Flotte gestiftet.

Der griechische Gesandte Gryparis hat, obiger Quelle zufobge, dem Minister des Aeußern Rifaat Pascha dic offizielle Erklärung abgegeben, daß die Befürchtungen in betreff der griehishen Nationalversammlung unbegründet seien. Jhre Einberufung sei zurücßzuführen auf Gründe der Wiederherstellung der Ordnung und Nuhe im Jnnern sowie auf den Wunsch, auswärtige Schwierigkeiten zu vermeiden und die Kammerwahlen aufzuschieben, die im September d. J. oder im Januar folgenden Jahres stattfinden. Die hellenische Negierung hoffe, die Pforte werde die Bedeutung dieser Maßnahme würdigen, welche Zeugnis ablege von dem aufrichtigen Wunsche, die guten Beziehungen zur Türkei aufrecht zu erhalten.

__ Die Zeitung „Jkdam“ dankt namens der ottomanischen öffentlichen Meinung der Presse Deutschlands, Oesterreich Ungarns, Englands und Frankreichs für die Unterstüßung, die sie der Türkei in der Kretafrage erwiesen habe. E

_ Die Kammer hat vorgestern nah längerer Debatte den Handelsvertrag zwischen der Türkei und Montenegro, der auf der Meistbegünstigungsklausel beruht, angenommen. Gegenüber der Forderung des Deputierten von Skutari, daß die Debatte bis zur Regelung der Grenzfragen vertagt werde, kündigten der Großwesir Hakki Pascha und der Minister des Aeußern Nifaat Pascha die baldige Vorlage eines entsprechenden Abkommens mit Montenegro an. Hierauf bewilligte die Kammer die zur Beurlaubung der ausgedienten Truppen und zur sofortigen Einberufung der diesjährigen Nekruten notwendigen Kredite. Das Rekrutenkontingent beträgt ungefähr 53 000 Mann. :

Asien.

Der persische Minister des Aeußern Ala es Saltaneh ist, „W. T. B.“ zufolge, zurückgetreten. Mit der interimistischen Verwaltung des Ministeriums is der Unterstaatssekretär Samat el Mulk betraut worden, der das volle Vertrauen des Medschlis genießt.

Parlamentarische Nachrichten.

___ Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sißungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sih in der Ersten und Zweiten Beilage.

In der heutigen (17.) Sißung des Hauses der Ab geordneten, welher der Justizminister Dr. Beseler bei wohnte, wurde zunächst zum Mitgliede der Staatsschulden fommission der Abg. Lückhoff (fr. kons.) wiedergewählt und darauf die. zweite Beratung des Etats der Justizver waltung bei dem Titel der dauernden Ausgaben „Ge halt des Ministers“ fortgesetzt.

Abg. Dr. Liebkneht (Soz.): Gerade die Sozialdemokraten halten die Rechtspflege für eine der höchsten und edelsten Aufgaben des Staats, bei denen der Staat gewissermaßen über sich selbst bin- auswächst. Bei unseren gegenwärtigen Verhältnissen tn Preußen fann man aber die Justiz ruhig als Aschenbrödel unserer Staate- institutionen bezeichnen, weil die einzelnen Ressorts unserer Negierung die Nechtspflege zur Unterdrückung der Mehrheit des Volkes benutzen. Dies ergibt sich aus dem ganzen Verhältnis der Justiz zur Verwaltung. Wir sind nicht geneigt, an der Zahl der Richterstellen irgendwie zu sparen, wir werden immer für die Bermehrung eintreten. Dagegen würden wir uns einem Plan, besondere Richter für größere und be sondere für kleinere Objekte zu bestellen, entschieden widersetzen, weil wir darin eine Bevorzugung der Wohlhabeuden vor ten Minderwohlhabenden sehen müßten. Das Geld für die Erfüllung der notwendigen Staatsaufgaben liegt auf der Straße, der Staat muß ih nur bemühen, es da zu holen, wo es zu holen ist. Eine Bevorzugung der Militäranwärter vor den Zivilanwärtern im Justizdienst verwerfen wir. Dem Justizressort stehen wir Sozial demokraten wenigstens mit relativer Sympathie gegenüber, es ist fün uns Gold gegenüber dem Ressort des Innern und des Kultus; aber wir müssen doch klagen über die Anwendung der Geseße gegen uns, zum Beispiel in bezug auf das Berbot des Streikpostenstehens, de1 Behandlung der Jugendlihen usw. Vor gewissen Strafkammern wird das Publikum in einer Weise behandelt, daß es nur mit Furcht und Schrecken und Zähneklappern vor Gericht erscheint. Wegen der Unabhängigkeit der Richter dürfen die Richter allerdings niht von der Regierung oder vom Parlament rektifiziert wen, aber sie müssen sich die öffentlihe Kritik gefallen lassen : allerdings soll es keine Denunziation sein, wenn ih Nichter in ihrer Abwesenheit angreife, man kann im Parlament eben niht immer nur Anwesende angreifen. Der Justizminister hat in manhen Fällen durch sein Verhalten die Gerichte geradezu zur Klassenjustiz ermutigt. Auf die Kriminalität wirken die wirtshaftlien Verhältnisse ein, wie selbst der Abg. Viereck im vorigen Jahre anerkannt hat, ebenso der Alkoholgenuß ; der bekannte, tüchtige Psychiater Dr. Bär hat in einer Statistik festgestellt, daß unter den Verurteilten 43,9 9/6 Alkoholiker sind. Zur Bekämpfung dieser Wurzel der Verbrehen haben die Gewerk schaften und die Organisation des Proletariats viel getan. Wieviel Verbrechen hat nicht der Zolltarif durch die Verteuerung der Lebens mittel verursacht! Die Unterdrückungspolitik is die wirklich Schuldige an der Zunahme der Kriminalität; auch die Kirche ist nicht von Schuld freizusprehen. In dem Entwurf zur Abänderung der Strafprozeßordnung is davon die Rede, das eine rasche Justiz notwendig sei. Wir legen weniger Wert auf “bie. Sirigleit als. darauf, daß r latt der Klassen justiz eine gerehte Justiz bekommen. Ein gerehter Richter muß von dem Grundsatz ausgehen, daß man lieber zwanzig Schuldige laufen läßt, als einen Unschuldigen einsteckt. Von keinem Stande muß man so viel Vertrautheit mit der Welt und mit dem Leben verlangen, wie gerade von dem Nichterstand. Der Abg. Boehmer hat gesagt, daß durh den Fall der Frau von Schönebeck das Vertrauen in di medizinischen Gutachten ersbültert worden sei. So bedauerlich id den Kall“ finde so _ich doch sagen, daß: so und [o

oft drei erihtlihe Instanzen verschiedene Urteile fällen. Wenn wir S atalderaoräten so weit gehen würden wie der Abg. Boehmer, so müßten wir ein noch viel s{hlechteres Urteil über die Justiz fällen. Die Rechtsanwälte geben sih einer großen Selbst- Kuschung hin, wenn sie glauben, daß sie gleihberehtigte Faktoren in der Rechtspflege seien. Schon «die Disziplinargewalt des Gerichts- vorsitzenden, Ordnungsstrafenzu verhängen, beweist das Gegenteil. Die Ab-

neigung gegen die Rechtsanwälte spricht sich auch darin aus, daß die Kosten der Verteidigung nur ungemein selten der Staatskasse auferlegt werden. Fn Berlin gibt es einige Nichter, die es nicht dulden wollen, daß sich während der Verhandlung der Vecteidiger mit dem Angeklagten in irgend einen Meinungsaustausch einläßt, obwohl das oft gar nit zu vermeiden ist, und sogar mit Ordnungsstrafen dagegen einschreiten. Wie kann man da von einem vertrauensvollen, von gegenseitiger Wertschäßung getragenen Verhältnis zwishen Richtern und Nechtsanwälten reden! Die Schuld dafür liegt aber niht an der Anwaltschaft. Die freie Advokatur ist vielen maßgebenden Kreisen sehr unbequem und das relativ große Maß von Unabhängigkeit der Anwälte ihnen ein Dorn im Auge; diese Kreise wollen auch die Anwaltschaft der Fuchtel der Regierenden unterworfen wissen. Die neue Einteilung der Gerichtsorgänisation für Groß-Berlin hat zu einer {weren Beeinträchtigung der Interessen des rechtsuchenden Publikums, zu einer Verlangsamung und Verteuerung der Rechtspflege geführt, und dabei geht das Gerücht, daß die Verwaltung beabsichtige, ein neues Landgericht 1V, natürlich auch irgendwo außerhalb des eigent- lichen Berlins zu schaffen. Die Ausführung dieses Planes wäre geradezu verhängnisvoll. Eine außerordentlich bedauecrliche Ér- scheinung ist die Ershwerung der Akteneinsiht dur die Verteidigung, nit weniger au die Bestellung von Referendaren als Offizial- verteidiger bei denselben Kammern, bei denen sie ständig beschäftigt und von denen sie in hôchstem Maße abhängig sind. Hinsichtlich der Belehrung des Angeklagten über sein Recht, gegen das Urteil Berufung einzulegen, wird häufig mit der s{limmsten Oberflächlichkeit verfahren. Gine Wirkung der Ueberlastung der Nichter und der fehlerhaften Gerichtsorganisation ist es au, daß vielfah bei den Strafkammer- verhandlungen nur der vorsitende Richter und der Referent die nöôötige Aufmerksamkeit aufwenden, während die beisißenden Nichter innerhalb derselben umfangreiche Arbeiten erledigen. Cine derartige Nebenbeshäftigung müßte ausdrücklich verboten werden. Ist doch sogar in Berlin der Fall konstatiert, daß, aus YZeit- mangel, wie ih annehme, ein Nichter das Urteil bereits abgeseßt mitbrahte, ehe die Verhandlung überhaupt begonnen hatte. Geradezu empörend wirkt, und zwar niht nur auf die sozialdemo fratishen Nechtsanwälte, die Praxis mancher Gerichte, Beweis- anträgen der Verteidigung, die den Nichtern als überflüssig er scheinen, zwar s\tattzugeben, aber gleichzeitig gegen den Angeklagten einen Haftbefehl zu erlassen. Ferner hätte die Justizverwaltung die Pflicht, von dem Institut der allgemeinen Gerichtsärzte abzugehen und Spezialärzte heranzuziehen; der fiskalische Gesichts- vunkt darf dabei nicht den Aus\{chlag geben. Der Fiskalismus der Gerichte ist überhaupt ein sehr wenig erbauliches Kapitel; ganz besonders unshôn präsentiert erx sich bei der Bemessung der Ent- schädigung unschuldig Verurteilter. Gegen die Ausschreitungen von Schutleuten, die ih Mißhandlungen zu \{hulden kommen la}jen, wird fast niemals vorgegangen, auch wenn die Gerichtsverhandlungen darüber niht den geringsten Zweifel zulassen; diese Leute wie alle nihtrihterliden Justizorgane hâtten aus der Voruntersuchung als voreingenommen von vornherein auszufcheiden.

(Schluß des Blattes.)

Die Oelbergstiftung.

Am 9. April dieses Jahres wird die feierlihe Einweihung der Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung auf dem Delberge bei Jerusalem (Oelbergstiftung) als Ordenshaus des Johanniterordens in Gegenwart Ihrer Königlichen Hoheiten des Prinzen und der Prinzessin Eitel-Friedrih vorgenommen werden. Die Geschichte der Stiftung ist wenig bekannt. Eine Reihe interessanter tatsähliher Mitteilungen sind in dem 14. Jahresbericht der Auguste Victoria-Pfingsthausstiftung zu Potsdam, welche die Bauten auf dem Oelberge ausführt, erschienen, denen wir hier im wesentlichen folgen.

Sn den ersten Novembertagen des Jahres 1898 empfingen die Kaiserlihßen Majestäten in ihrem Zeltlager in Jerusalem eine Abordnung der Gemeinden in Palästina, welche die Errichtung eines Erbolungsheims mit Gemeindesälen für die deutshen Bewohner Palästinas auf dem Oelberg erbat. Seine Majestät der Kaiser sagte dies zu. Das Kuratorium der Auguste Victoria-Pfingsthausstiftung über nabm die Arbeit. Die Stiftung erwarb auf dem Oelberg eine Reihe von Grundstücken und erbaute auf ihnen eine Anftalt, die Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung, die in der Sommer- und Fieberzeit vorzugsweise deutschen Diakonissen und Missionsarbeitern, fodann auch sonstigen Deutschen in Palästina ein Erholungsheim bieten, Reisenden deutscher, wie anderer Nationalität und ohne Unter schied der Konfession offenstehen, als Haushaltungs- und Fort bildungsschule für deutshe Mädchen, hauptsächlich Palästinas benußl werden und endlich Wohltätigkeitszwecken dienen soll. Am 27. Januar 1907 unters{rieben die Majestäten, die Prinzen und die Prinzessin Victoria Luise die Stiftungsurkunde, zu Ostern 1907 wurde der (Grundstein feierlich gelegt. Die Anstalt ist derzeit im wesentlichen fertiggestellt und auch im Innern betriebsfähig eingerichtet und wird später von der Balley Brandenburg des Johanniterordens über nommen werden als eine Wiedergeburt jenes alten berühmten Fohanniterhospizes auf dem Muristan, der seit 1898 die shöne Erlöser kirche trägt.

Das Kuratorium hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten aller Art zu kämpfen, vor allem mit den ganz eigenartigen Verhältnissen im Orient, deren Unberechenbarkeit immer wieder alle Kalkulationen über den Haufen warf. Verträge, Anschläge, Vereinbarungen erforderten endlose Unterhandlungen, um s\chließlich doch nit oder nur zum Teil innegehalten zu werden. Die Gelände ankäufe waren schwierig, die mohammedanishen Arbeiter, an sich fleißig und bescheiden, blicben zum Ausruhen oft tagelang vom Bau fort, Wasser zum Bauen mangelte oft und mußte teuer gekauft werden. Steine und Kalk waren an Ort und Stelle vorhanden, alles andere bis auf den leßten Dachziegel mußte in Europa beschafft, auf Schiffen verfrachtet und unter unsäglihen Umständen und oft unter Verlusten in Jaffa ausgebootet werden. Die türkische Negierung hatte zollfreie Einfuhr genehmigt, aber bei der Zollbehörde gab es natürlich endlose Bedenken und Förmlichkeiten, die nur durch lange Unterhand lungen überwunden werden konnten. Dazu kamen Verluste durch das Wetter; das Schiff mit den Dachziegeln und vielen Fliesen geriet in die Seebeben von Messina, wobei die Hälfte der Ladung zerbrah. Das Schiff mit den Nolljalousien s{heiterte Dei Sala. Der Negierungsbaumeister Leibnißb von der Firma Gause u. Leibnitz, der die Pläne entworfen hatte, fonnte infolge von Ueberarbeitung, Krankheit und anderen Verpflichtungen fast drei Jahre lang niht nach Jerusalem gehen. Jrrtümer, Miß- verständnisse und ungenügende Berichterstattung hierher verursachten \{ließlich bäufig Verwirrung, bis vom April 1909 an der Architekt Otto Hoffmann, als stellvertretender Oberbauleiter, Ordnung in die baulichen Angelegenheiten brachte und das Werk rasch förderte. Daß unter solchen Umständen der erste Kostenanshlag von 1906, der sih auf 1860000 f belief, überschritten wurde, nimmt nicht wunder: der endgültige Anschlag stellte sih auf 2255 000 4. Natürlich ist an eine Nentabilität des Baues uberhaupt niemals gedacht worden, da er vor allem der Wohltätigkeit dienen follte. Fast zwei Drittel der gesamten Mittel sind gedeckt worden durch Gaben Jhrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin und durch eine Stiftung der Frau Laura Oelbermann-Cöln, der Vorsitzenden der „Evan- gelischen Frauenhilfe“ in der Nheinprovinz, die vor 4 Jahren die Summe von einer Million Mark spendete. Das leßte Drittel ist zum größten Teil von etwa 8 Personen gestiftet, wozu dann noch kleinere Beträge

von etwa 30 bis 40 Personen kommen, welche Mitglieder der Delberg- Stiftung, des Evangelisch-Kirchlichhen Hilfsvereins und des Evan- gelischen Bauvereins sind, alles Vereine, die unter dem Protektorat der Kaiserin stehen. Die ® gesamte innere Einrichtung wurde in Berlin besorgt. Dabei erhielt die Stiftung Porzellan und Glas, den größten Teil der Bestecke, Gartenmöbel, Bücher, Bilder, Kronleuchter und einen Teil der elektrischen Beleuchtung geschenkt; die Lieferanten der Möbel, Wäsche, Defen, Kücheneinrihtungen, Fliesen gewährten-Frmäßigungen. Jahresbeiträge leisten unter anderem der Kaiserlihen Majestäten und andere Mitglieder der Kaiserlichhc@ Familie, JahreszuWüsse u. a. der Iohanniterorden, die Auguste Victoria-Pfingsthausstiftung, das Kuratorium der Kaiser Wilhelm?Gedächtniskirche, der Evangelische Kirchenbauverein für Berlin. Die Ballei Brandenburg des Iphanniter- ordens übernimmt das Hospiz, dessen Gesamtwert auf, 25 Million angenommen wird, nah vollendeter Fertigstellung. Der Orden hat das Hospiz schon jeßt seinem Schutze unterstellt, hat auch vier Mit- glieder, darunter den Drdenskanzler von Wedel und den Ordenswerkmeister Grafen vonder Schulenburg, in das Kuratorium der StifÄÉing entsendet. An der Spitze des Kuratoriums \tehen neben Freiherrn von Mirbach, der Generalleutnant z. D. Freiberr von Gayl, Kabinettsrat von Behr-Pinnow, Jlegierungsrat Dr. von Brakenhausen, Assessor Dr. Werner Freiherr von Mirbach, Kammerherr Freiherr von Kleist und Kammerherr, Major a. D. von Hardt. Neben diesem Kurätorium steht ein aus zahlreichen Mitgliedern, aus hohen Staats- und Kirchenbeamten sowie vielen Iohanniter-Nittern, Offizieren, Großindustriellen usw. ge ares Hilfskomitee, bei dem sich auch der Fürst und die Fürstin Bülow vefinden. Für den Betrieb des Hospizes ist mit der Direktion der Diakonissenanstalt zu Kaisersroerth ein besonderer Vertrag geschlossen worden; eine lcitende Schwester Theodore Barkhausen und fünf Schwestern weilen bereits zum Teil {on seit bald einem Jahre in Jerusalem.

__ So erhebt sh denn, so gut als vollendet, auf dem Oelberge ein stattlicher, weitläufiger Gebäudekömplex mit hohem gewaltigem Turme, dem Glocenturm der eingebauten Himmelfahrtkirche, in streng romanischem Stil, dem Stil des alten Ordenshauses auf dem Muristan, ein Bau, der gegenüber den stolzen Bauten anderer Nationen und Konfessionen an gleicher Stelle das Deutshtum und die evangelische Kirche würdig vertritt. Die Himmelfahrtkirhe im besonderen ist eine Stiftung der Majestäten und ven sechs Mitgliezgrn der oben- genannten Vereine. Von dem gewaltigen Turm der Kirche werden vier s{öòne Glocken ihr herrliches Geläut über die heilige Stadt, bis nah Bethlehem und nach dem Toten Meere hin erschallen lassen. Die größte Glocke, mit dem Namen „Herrenmeister“, ist ein Geschenk des Generalkonsuls von Bary_ in Antwerpen, die zweite ein solches des Kaisers, die dutte der Kaiserin die vierte des Kuratoriums. Sie sind auf die Töne g, h, d, e abgestimmt. Die Lage der Stiftung auf dem Delberg muß als besonders günstig für ihre Zwecke bezeihnet werden. Auch Touristen werden gern die Ge- legenheit ergreifen, fich an einem der verhältnismäßig gesundesten Orte in der Nähe von Jerusalem nunmehr auch längere Zeit aufhalten zu fönnen. Ist doch gerade vom Oelberg aus der Blick auf Jerusalem, zumal, wenn die Sonne hinter der heiligen Stadt versinkt, gewaltig und ergreifend wie kaum ein anderer.

Die Einweihung der Oelbergstiftung und der Marietikirhe auf der Dormition sind auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers auf den 9. und 10. April festgeseßt. Hierzu werden in Ver tretung der Majestäten der Herrenmeister des FJohanniter- ordens, Prinz Eitel - Friedrich und feine Gemahlin am 6. April, Morgens, in Jaffa und Abends in Jerusalem eintreffen und im Gebäude der Stiftung absteigen, wo sie von den Vertretern des Ordens und des Kuratoriums empfangen werden. Am 13. April wird, ebenfalls in Anwesenheit des Prinzlichen Paares, die fünfzig jährige Jubelfeier im Syrischen Waisenhause in Jerusalem statt finden. Der Aufenthalt in Jerusalem wird bis 13. April dauern. Zahlreiche deutsche Pilger beider Konfessionen rüsten sich zur Fahrt nah dem Heiligen Lande, um dort ihre Zusammengehörigkeit als Christen und als Deutsche zu bekräftigen.

Zu Weihnachten 1909 genehmigte Seine Majestät der Kaiser, daß zur Erinnerung an die Begründung der Stiftung auf dem Oel berge ein Erinnerungskreuz mit dem Namen „Oelberg-Kreuz“

gestiftet wurde, das Seine Königliche Hoheit der Prinz Eitel-Friedrih |

als Herrenmeister des Johanniterordens mit Allerhöchster Genehmigung besonders an die um die Stiftung verdienten Männer und Frauen ver leihen dürfe. Das Kreuz bat genau die Form des alten Jerusalem Kreuzes, wie es Gottfried von Bouillon als Siegel und Zeichen führte; auf der Mitte des Kreuzes is ein weißes Johanniterkreuz aufgelegt. Das Kreuz wird am weißen Bande an einem kleinen goldenen Gehänge getragen, das die verschlungenen Buchstaben A. V. S. (Auguste Victoria-Stiftung) bildet. Am Weihnachtsabend über reichte der Herrenmeister die beiden ersten Kreuze dem Kaiser und der Ka1!)erin.

Nr. 4 des „Eisenbahnverordnungsblatts", heraus- gegeben im Ministerium der öffentlihen Arbeiten, vom 3. Februar, hat folgenden Inhalt: Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen in den Fürstentümern Waldeck und Pyrmont vom 11. März 1870. Vom 22. November 1909. Be fanntmachung des Reichskanzlers vom 10. Januar 1910, betr. die zut Ausftellung von Leichenpässen befugten Kaiserlihen Vertretungen. Erlaß des Ministers der öffentlihen Arbeiten vom 23. Januar 1910 betr. Eisenbahnbetriebsnebeninspektion Gumbinnen. Nachrichten.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Der Arbeitgeberverein für das Holzgewerbe, Ortsverband Barmen, hat, wie die „Köln. Ztg.“ meldet, beschlossen, der Kom mission zu den bisherigen Vertragsverhandlungen fein volles Ein verständnis und Vertrauen auszusprechen, sih mit der Einführung der wöchentlichen 54 stündigen Arbeitszeit vom 1. Juli 1911 ab und einer staffelweisen Lohnerhöhung einverstanden zu erklären, aber entschieden die Einführung eines Durchschnittslohns abzulehnen.

Die Gewerkschaften der Lithographen, Steindrucker,

Steindruckereihilfsarbeiter und Buchbinder haben in München den Mitgliedern des Schußgverbandes deutsher Stein druckereibesitzer einen gemeinsamen Tarifvertrag unterbreitet, der be deutende Lohnforderungen und sonstige weitgehende Forderungen ent bält. Da der Schutverband, wie die „Voss, Ztg." berichtet, den Tarifvertrag abgelehnt hat, ging die Arbeiterschaft von München zunähst gegen einen großen Betrieb in München vor. Die eingeleiteten Einigungsverhandlungen zwischen den beteiligten Verbänden sind troy Entgegenkommens der Arbeit geberschaft auch in der strittigen Frage der Arbeitsordnung von den Arbeitervertretern abgebrohen worden. Der Schutzverband hat sich daher veranlaßt gesehen, die Kündigung aller organisierten Gehilfen zunächst für seine bayerishen Mitglieder und eine Woche später für feine sämtlihen deutshen Mitglieder anzuordnen, wenn inzwischen eine Einigung nicht erzielt sein sollte. } Die gewerkschaftlih organisierten A rbeiter der Firma Carl Zeiß in Jena haben am Donnerstag in einer bon 1400 Personen besuchten Versammlung eine Nesoluttion gefaßt, nah der sie den jüngst gewählten Arbeiterauësschuß für nicht rechtskräftig erklären und es ablehnen, die mit diesem Ausschuß ¡getroffenen Maßnahmen an zuerkennen.

Kunft und Wissenschaft.

Die Vereinigung für staatswissenschaftlihe Fort- bildung veranstaltet auch in diesem Frühjahr einen sech8wöcchigen Fortbildungskursus für solche Personen, die neben der allgemeinen Bildung bis zu einem gewissen Grade auch eine staatswissenschaftliche Borbildung theoretisher oder praktisher Art besißen und eine Er- weiterung und Vertiefung ihrer Kenntnisse auf dem Gebiete der wirt- schaftlichen und juristishen Staatswissenschaften erstreben. Der soeben

ausgegebene Szuudienplan des Kursus umfaßt Fachvorlesungen, Einzel-

Führungen durch die Königlichen Museen, eintägige und halbtägige Ausflüge und eine sehstägige Studienreise in das Moselgebiet. Die Fach- vorlesungen behandeln Fragen der allgemeinen Verwaltung, der Volks- wirtschaft und der industriellen und landwirtschaftlihen Technik. Im einzelnen haben angekündigt: Professor Dr. von Philippovich- Wien, „die Unternehmung in wirtschaftliher und sozialer Beziehung, ; Professor Dr. Liefmann- Freiburg, „die Entwicklungstendenzen im modernen Bankwesen und das Finanzierungsgeschäft“ ; Wirklicher Geheimer Rat, Professor“ Dr. A. Wagner- Berlin, „das deutshe Geldwesen“; Professor Dr. Serin g - Berlin, „Deutsch lands weltwirtshaftlihe Stellung und die Steigerung der Produk tivität seiner Arbeit“ ; Professor Dr. Janna sch- Berlin, „die Aufgaben der deutschen Handelspolitik“ ; Privatdozent Dr. Brink - mann- Poppelsdorf, „der tehnische Fortschritt in der modernen Landwirtschaft“ ; Professor Dr. Eugen Meyer- Berlin, „die Quellen elektrischer Kraft in Deutschland und ihre Nußbarmachung“ ; Ministerial- direktor, Wirkliher Geheimer Nat Dr. Thiel - Berlin, „die Be- strebungen Ár Verbreitung des technischen Fortschritts in der Land- wirtshaft“; Oekonomierat Dr. Nabe, Direktor der Landwirtschafts- fammer Halle a. S., „das Genossenschaftswesen in der Landwirt haft“; Negierungsrat a. D. Borchert, Direktor der Landwirt- \haftskammer Stettin, „die innere Kolonisation in Ostdeutschland, ihre wirtschaftlihe und s\oziale Bedeutung“; Dr. Hartmann, Direktor der deutschen Mittelstandskasse Posen, „die Neform des agrarishen Privatrechts und die Praxis des Entschuldungs- verfahrens"; Professor Dr. Bücher - Leipzig, „Groß- und Klein betrieb im Gewerbe“; Professor Dr. Schumacher - Bonn, „die großindustrielle Organisation mit. besonderer Berücksichtigung der westdeutshen Eisenindustrie“; Geheimer Oberregierungsrat Dönhoff - Berlin, „gewerbliche Unterrichts- und Gewerbebeförderung in Preußen“; Geheimer Regierungsrat Dr. Wiedfeldt- Berlin, „Koalitionen der Arbeitgeber und die Arbeitertarifverträge" ; Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund - Berlin, „kommunale Wirtschafts- und Sozialpolitik“; Geheimer Oberfinanzrat Schwarz - Berlin, „Anleihewesen und Finanzpolitik der Großmächte“ ; Senatspräsident Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. Strußz - Berlin, „die bevorstehende preußishe Steuerreform in Staat und Ge meinde“ ; Professor Dr. Hinte - Berwaltungsorgani

vorträâge allgemeinen Inhalts,

Berlin, „die sation in England, Frankreich und Deutschland in geshihtlicher Be- trahtung"; Senatspräsident Wirkliher Geheimer VDberregierungsrat Genzmer-Berlin, „die Reform der s\taatlihen Verwaltung in Preußen“ ; Oberstlandesgerichtsrat Meyer -München, „die Reform des Strafrechts“ : Oberlandesgtrichtsrat Dr. Schult - Berlin, „die Neform des Strafprozesses“. Einzelvorträge werden gehalten von dem Geheimen Kirchenrat, Professor 1). Troeltsch - Heidelberg, Professor Dr. Volkens - Berlin, dem Geheimen Regierungsrat Professor Dr. von Savigny - Münster, Professor Dr. Sombart- Berlin, Professor Dr. Fischer - Berlin, Professor Dr. Kraepelin- München, Professor Dr. Schach ner - Jena, Professor Dr. Eberstadt - Berlin, Professor Dr. Sering - Berlin, Professor Dr. Mathesius - Berlin, Professor Dr. - Ing. Stauber Berlin. Die Museumsführungen erstreden sich auf die Nationalgalerie, das Kaiser Friedrih-Museum und das Kunstgewerbe- musfeum. An jedem Donnerstag finden Ausflüge statt, die ein Bild von der Möglichkeit und Notwendigkeit der Steigerung der Produfktivität deutscher Arbeit auf gewerblihem und landwirt|chaft- lichem Gebiete geben sollen. Die Ausflüge werden jeweils am Tage vorber durch einen Vortrag eingeleitet. Die sechstägige Studienreise in das Moselgebiet (8. bis 13. Mai), die von dem Professor Dr. Sering geleitet wird, dient dem Studium von land- wirts{aftlihen und gewerblichen Betrieben, von Handel und Industrie und gibt unter anderem auch Gelegenheit zur Besichtigung des Museums der römischen Altertümer und mittelalterlihen Kunstwerke in Trier und der Schlachtfelder bei Meß. Am Mittwoch, den 30. März, Vormittags 11 Uhr, findet eine Eröffnungssitzung im Hörsaal 1 der Vereinigung in der Alten Bauakademie, Schinkel- vlatz 6, statt. Die Vorlesungen beginnen am 31. März und endigen am 7. Mai. Meldungen zur Teilnahme an dem Kursus sind baldmöglichst, spätestens bis 2. April, an die Geschäftsstelle der Ver einigung, W. 64, Behrenstraße 70, zu richten, die auf Wunsch Studienyläne verabfolgt und auch fonst über alle Einzelheiten des Kursus Auskunft erteilt.

Land- und Forftwirtschaft.

während des zweiten Drittels Fanuar 1910.

Der Stand der Felder ist in ganz Italien im allgemeinen zu friedenftellend. Bei dem vorwiegend schönen Wetter konnten die Feld- und Waldarbeiten fortgeführt werden. Immerhin ersehnt man ¿ur Hemmung einer vorzeitigen Entwicklung der Vegetation in Nord- und Mittelitalien eine niedrigere Temperatur. Die im allgemeinen gut bestandenen Weiden lassen auf Sardinien infolge des Mangels an Feuchtigkeit, der sich auch in Sizilien bemerkbar macht, zu wünschen übrig. (Bericht des Kaiserlichen Generalkonsulats in Genua vom 31. ZSanuar 1910)

in Falten des Monats

tensitand

Verkehrsanftalten.

Laut Telegramm aus Saßnitz trifft die Post aus Schweden und Norwegen, die heute vormittag 9 Uhr in Berlin fällig war mit sechs\stündiger Verspätung ein. Grund: starker Nebel auf See.

Theater und Musik.

Kammerspielhaus.

Ie l vard und Marc Heury, hatten für den Sonnabendnachmittag „Lieder und Stimmungen“ auf ihr Programm gestellt; sie wollten in ihren Vorträgen Neues bieten durch die Betonung des literaris{en, musikfalisWen und maleris{en Elements. Ein feiner maleris{her Sinn betätigte sich auch in den Kostümen und in der Art und Anordnung der Vorhänge, die den Hintergrund für das leichte Spiel abgaben; der intime Neiz des gesprochenen oder des gesungenen Wortes wurde dadurch bedeutsam gehoben. Den französfishen edern liek Marc Henry jedesmal eine ge\chickte launige Erläuterung voran geben, die in den Sinn der Dichtung näher einführte. Zwei getrennte (Gebiete, die alte und die neue Zeit, begegneten sich ür diesen Vorträgen ; und der Gegensatz zwischen der stark realistishen modernen Dichtung und den empfindsamen, naiven Liedern vergangener Tage trat um }o efffektvoller hervor, da er mit großer Stilsicherheit in künstlerisher Form lebendig gemacht wurde. Sicherlih war aber die Freude an den altfranzösishen Volksliedern und: an den empfindsamen Gesängen aus der Zeit Louis Philippes ungetrübter als an den Gegenwartspoesien, die das wilde Treiben auf dem Großstadtpflaster in ihren Bereich ziehen oder in unliebsamer Form erotishe Bilder zeichnen. Im all- gemeinen lag eine Art verwegner Ueberbrettlstimmung über diesen Darbietungen, welhe wohl dur ihre stilehte und geistvolle Wieder gabe Beifall herausforverten, der doh den einzelnen Dichtungen an 1h nit immer zugestanden werden konnte.

"vei, von München her wohlbekannte Künstler, Marya D

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