1910 / 43 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 19 Feb 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 39. Sigung vom 18. Februar 1910, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Nach der - namentlichen Abstimmung über den Antrag des Zentrums, betreffend Beseitigung der Beschränkungen der religiösen Freiheit, und die dazu von den Sozialdemokraten be- antragten Zusäße, worüber in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, tritt das Haus in die Spezialberatung des Etats des Reichsamts des Jnnern ein.

Die in den leßten Tagen bei den einzelnen Geseßen erörterten sowie in der Reichsversiherungsordnung enthaltenen Stoffe werden in den Verhandlungen nicht berührt werden.

Die Debatte wird eröffnet über den ersten Ordinariums der Ausgaben „Staatssekretär“. Zu Titel sind nicht weniger als 33 Resolutionen eingebracht.

Abg. Dr. Mayer - Kaufbeuren (Zentr.): Die Entwicklung der Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkt zeugt von einer E, lichen Produktions- und Konsumkraft des Deutschen Reichs. Unsere Gesamthandelsbilanz ist stark und steigend passiv; troßdem hat unsere Zahlungsbilanz ih in den leßten Jahren weiter gebessert. Auch unsere Landwirtschaft hat 1909 weitere Fortschritte gemacht in dem Bestreben, den Inlandskonsum auch durch die Inlandsproduktion zu decken. Sehr bedauerlich bleibt unsere Abhängigkeit vom Aus- lande in bezug auf Baumwolle. Ein ganz gefährliches Kapitel ist auh die Abhängigkeit vom amerikanischen Petroleum: die neuesten Machinationen des Petroleumwelttrusts gehen dahin, auch die leßte freie Petroleumproduktion, nämlih die österreichisch-galizische, fich untertänig zu machen. Auch die Eisenproduktion reiht noch nicht aus, uns vom Auslande unabhängig zu machen, im Gegenteil steigert sih mit jedem Jahr der Bezug Deutschlands an Eisenerzen vom Aus land, und wir werden in zunehmendem Maße von Schweden abhängig. Die s{chwedische Regierung hat die sogenannten A-Erze, also die besten, von der Ausfuhr ausgeschlossen; wie deckt sih diese Maß- nahme mit dem \{wedishen Handelsvertrag? Es scheint, als ob man in Schweden auf Ausfuhrzölle hinsteuert. In Oberschlesien wird die Schleuderpolitik der deutshen Nohstoff- und Halbzeugkartelle nah dem Auslande ruhig fortbetrieben, was eine Benachteiligung der inländischen verbrauchenden Industrien und eine Verschärfung der ausländishen Konkurrenz zur Folge hat. In Frankrei, wo man jeßt mit der Revision des Zolltarifs beschäftigt ift, geht man damit um, die Under, die eine solhe S(leuder politik zulassen, durch Zollvershärfungen noch extra zu bestrafen. Deutschland besißt im Auslande wenig Handelssachverständige, ab- gesehen von den Konsuln. Es follten deren mehr angestellt und ent sendet werden; jedenfalls muß man auf diesem Wege rascher weiter gehen. Das Jahr 1910 steht wieder im Zeichen aufsteigender wirt schaftliher Entwicklung nah zweijähriger Depression. Im allgemeinen ist der Fortschritt in Deutschland ein langsamer, stetiger und gesunder, mit einziger Ausnahme der Börse, die wieder der überheizte Dampf kessel geworden ist, als welchen sie Ballin vor drei Jahren bezeichnete. Die Bedenken, die wir gegen das neue Börsengeseß gehabt und ge äußert haben, sind durch die Erfahrungen nur bestätigt worden. Immerhin fkonnte die Plazierung der neuen großen Anleihe des Neiches und Preußens zu günstigeren Bedingungen als früher erfolgen: aber dazu war notwendig, daß in den Neichs finanzen Ordnung geschaffen wurde. Die Industrie hat sh gleihfalls in vorsichtiger Reserve vorwärts bewegt, mit Ausnahme Oberschlesiens, wo die Kohlenproduktion übermäßig ausgedehnt wurde. Wir haben {on vor 2 JIahren eine informatorische Neichsaufsicht über die Kartelle und Trusts verlangt; unser An trag ist damals angenommen worden und liegt heute in Form einer Resolution wieder vor. In Oesterreich is ein ganz ähn licher Antrag 1908 zur Annahme gelangt: der frühere Präsident Noosevelt hat sih etwa auf denselben Standpunkt gestellt, und Taft ist ihm darin nahgefolgt. Manches ist ja seitdem geshehen, was im Geiste unseres damaligen Beschlusses liegt: die preußishe Regierung hat im Oktober 1208 die Ausnahmetarife für Kohlen nah dem Westen aufgehoben, was dem Kohlensyndikat sehr unangenehm war. In dieselbe Kerbe hat die Marineverwaltung gehauen, indem sie das Kohlensyndikat zu einer Ermäßigung der Preise zwang. Dadurch ist dem Neichsfiskus und dem Steuerzahler im Reiche ein hübsches Sümmchen gespart. Bisher war der Fiskus in seiner Kohlen politik sehr unglücklih, jeßt hat er endlich eine rihtige Kohlenpolitik eingeschlagen, und ich möchte nur wünschen, daß er zukünftig noch früher vorgeht. Es hat im vorigen Jahre eine Konferenz in Düsseldorf stattgefunden, die sich mit den Verhältnissen der Siegener und Sauerländer Eisenindustrie beschäftigte. Vielleicht ist der Staatssekretär in der Lage, uns darüber cine Auskunft zu geben. Die Standard-Oil-Company {ließt mit den Detaillisten Berträge ab, die auch gegen die gute Sitte verstoßen. Das ist doc im böchsten . Grade bedenfktlich. Ih möchte die Aufmerksamkeit der Regierung auch auf das Hefesyndikat hinlenken, das durch seine Preis bildung in der Lage ist, die Brotpreise zu beeinflussen. Auf die Frage der Schiffahrtsabgaben gehe ih nicht näher ein. Ich will nur sagen, daß der größte Teil meiner Freunde lebhaft wünscht, daß der Bundesrat niht durh Ueberstimmung der übrigen Bundesstaaten, sondern dur eine Einigung möglich bald eine Lösung dieser Frage hberbeiführt. Leider hat die Regierung die von uns vorgeschlagene Mühlenumsatzsteuer abgelehnt. Vielleicht könnte sie dur eine Differenzierung von Mehl und Getreide eine Besserung herbeiführen. Der neue Hansabund hat Statuten aufgestellt, mit denen eigentlich jeder einverstanden sein kann, fie enthalten aber nichts über die Zollpolitik, die Sozialpolitik, den Schuß des Hant werks usw. Da muß man sih fragen, welche Existenzberehtigung er neben den anderen Berbänden hat. Niemand wird etwas Unbilliges darin finden, wenn Handel und Industrie in unparteiisher Weise fih zufammenfinden. Aber zwischen dem fkaufmäunishen Mittel- stand und dem Großhandel bestehen Interessengegensäte. Handwerker und kleine Kaufleute gehören nicht in eine Interessenvertretung von Großkaufleuten. Deshalb haben auch zahlreiche Vertretungen von Handwerkern und fleinen Kauf leuten ihre Mitglieder vor dem Beitritt zum Hansabund gewarnt. Unsere Stellung zum Hansabund ist eine zum Teil ablehnende, zum Teil abwartende. Neuerdings hat der Hansabund ein Flugblatt über die wirtschaftlichen Ziele des Zentrums erlassen. Unsere Wirtschafts politik haben wir zugunsten aller Erwerbsstände getrieben, bevor es einen Hansabund gab. Diese Politik werden wir weiter treiben, neben oder gegen den Hansabund.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern Delbrü:

Meine Herren! Der verehrte Herr Vorredner hat an mich eine Reihe von einzelnen Fragen gerihtet. Ich habe nicht die Absicht, diese Fragen jeßt zu beantworten: ih hoffe, daß es mir gelingen wird, das im Zusammenhang mit verwandten Materien zu tun, die wahr-ck \cheinlih hier im Laufe der Debatte zum Gegenstand der Erörterung werden gemacht werden. Aber ih werde bei der Beantwortung dieser Detailfragen in diesem Jahre Ihre Nachsicht in gewissen Grenzen in Anspruch nehmen müssen. Die Zeit meiner Amtsführung ist zu kurz, und das Maß der wichtigen Geschäfte, das mich in den lezten Monaten in Anspruch genommen hat, is zu groß gewesen, als daß ich alle Einzelfragen so hätte durharbeiten können, daß ih sie in diesem Jahre so beantworten könnte, wie ih fie hofe im nächsten Jahre beantworten zu fönnen. Um fo mehr aber, meine Herren, möchte ih Sie bitten, mir einige allgemeine Bemerkungen über die Aufgaben meiner Ressorts und über die Ziele der Politik zu gestatten, die ih hier zu vertreten habe.

Titel des diesem

Meine Herren, es liegt nicht in meiner Absicht, ein Programm zu entwickeln, eines solhen bedarf es niht. Aus einem fehr einfachen Grunde: die Ziele, die das Reichsamt des Innern in jahrzehntelanger Konsequenz verfolgt hat und weiter verfolgen muß, liegen für jeder- mann klar zu Tage, und die Bahnen, auf denen zu diesen Zielen ge- strebt werden muß, sind im allgemeinen so fest abgesteckt, daß kein Staatsmann, er möchte einer Partei angehören, welher er wolle, von dieser Stelle aus ungestraft den Versuch machen könnte, aus diesen Bahnen auszubrechen.

Aber, meine Herren, trotzdem ist es vielleicht nicht unzweckmäßig, wenn in dem Augenblicke, wo ein neuer Mann an dieser Stelle zum ersten Male seinen Etat zu vertreten hat, kurz die Frage: woher und wohin der Fahrt? mit wenigen Sätzen erörtert wird.

Vielleicht ist es auch zweckmäßig, einige allgemeine Betrachtungen in unsere Debatte cinzuknüpfen, weil es in der Natur der Sache liegt, daß bei der Fülle politisher und geseßgeberisher Details, die uns belastet, in den Kämpfen über diese Einzelheiten leiht der Blick von den allgemeinen Zielen abgelenkt wird, die uns alle, die verbündeten Negierungen und die Mehrzahl dieses hohen Hauses, nicht trennen, \fondern verbinden.

Meine Herren, ih bitte bei der Frage: „woher der Fahrt?“ mit wenigen Worten etwas weiter ausholen zu dürfen. Mit der Er richtung des Deutschen Reichs hat für Deutschland eine Periode ihren Abschluß gefunden, die ausgefüllt war mit Kämpfen um politische Ideale, und ihr ist eine Periode wirtschaftliher Kämpfe gefolgt. An die Stelle eines hochgespannten politishen und wirtschaftlichen Individualismus ist ein ausgeprägt sozialistischer Zug, ein Zug zur Konzentration aller wirtschaftlichen Kräfte, ein Streben nah Konzentration der Massen zur gemeinschaftlichen Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Ziele getreten. Und der soztalistishe Zug unserer Zeit ist so stark gewesen, daß er nicht nur unserer politishen und unserer wirtschaftlichen Ent wicklung innerhalb der leßten Jahrzehnte, sondern auch unserer wissen- schaftlichen, cthischen und ästhetischen Entwiklung das charakteristische Gepräge gegeben hat.

Meine Herren, man wird, wenn man dem Grunde der Dinge nachgeht, sagen können, daß zwei Momente für die Orientierung unserer inneren Politik innerhalb der leßten zwei Jahrzehnte be- stimmend gewesen find: die extensive Entwiklung von Handel und Industrie sowie die völlige Veränderung unserer internationalen und nationalen Verkehrsverhältnisse. Die Umwälzungen, die sich auf diefen Gebieten vollzogen haben und noch vollziehen, find so tiefgreifend, daß beinahe kein Gebiet unseres Volkslebens, kein Gebiet unseres Wirt- \chaftslebens davon unberührt geblieben ist. Und die Wirkungen auf den anderen Gebieten sind so stark gewesen, daß in der Geseßgebung nicht Handel und Industrie, sondern ganz andere Fragen dur Jahr zehnte hindurch dominiert haben.

Zuerst meldete sich als industriellen Entwicklung die soziale Frage. Die Kämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Sorge für die wirtschaftliche und soziale Selbständigkeit, für die Hebung unseres Arbeiterstandes haben in weitem Umfange durch Jahrzehnte die Gesetzgebung des Neichs beherrsht. Die Erfolge, die wir auf diesem Gebiete zu ver- zeichnen haben, mögen groß fein, abgeschlossen ist diese Entwicklung noch nicht.

Die zunehmende Industrialisierung mit ihren tiefgreifenden Folgen für die Entwicklung des Arbeitsmarktes is aber auch an anderen Zweigen unseres Volkslebens niht spurlos vorübergegangen, und sie hat besonders stark in die Verhältnisse unseres zweiten großen Er werbsstandes, in die Verhältnisse der Landwirte, ceingegriffen. Die Dinge, die sich dort vollzogen haben, find nicht allein veranlaßt dur Arbeits- und Lohnfragen: die Lohn- und Arbeits\{hwierigkeiten auf dem Gebiete der Landwirtschaft find nur ein IöInzidenzyunkt unserer landwirtschaftlihen Entwicklung gewesen. Die Schwierig keiten nahmen dort ihren Anfang in der völligen Veränderung unserer Marktverhältnisse, infolge der Entwicklung unseres einheimischen und auswärtigen Cisenbahnwesens und in der gewaltigen Entwicklung der Schiffahrt, die in der Preisbildung unserer landwirtschaftlichen Produkte eine fo starke Verschiebung brachte, daß viele landwirt schaftliche Eristenzen, große und kleine, allein dadurch an den Nand des Verderbens gebraht wurden. (Sehr richtig! rets.) Diese aus der Weltkonjunktur sih ergebenden Schwierigkeiten wurden noch weiter verschärft dadurch, daß einen großen Teil unserer Land wirtschaft, und zwar unse! östlihen Landwirtschaft in einem Augenblick trafen wo t Dre

Naturaliwirtshaft mit der Geldwirtshaft noch im Kampfe lag

Konsequenz unsere1 zunehmenden

(sehr rihtig! rechts), und infolgedessen das kaufmännishe Rüstzeug, das der Landwirt beute brauht und über das er heute verfügt, den Wenigsten zu Gebote stand. Auch die Sorge für die Landwirtschaft hat reihlich und nah haltig die Geseßgebung der lezten Jahrzehnte, und wir können wobl sagen, niht ohne Erfolg ausgefüllt.

Am verderblihsten und für den Volkswirt und Gesetzgeber am unbequemsten hat aber die Industrialisierung und Entwicklung unseres Handels zum Großen eingewirkt auf diejenigen Schichten, die von rechts und links angegriffen wurden, auf den sogenannten Mittelstand. Ich verstehe darunter den selbständigen, gewerblichen Mittelstand, an dessen Erhaltung jedem Staate und jedem ernsten Politiker viel gelegen sein muß. (Lebhaftes sehr richtig!) Infolgedessen hat die Mittelstandspolitik uns bisher in diesem Hause ebenso wie in den Parlamenten der Einzelstaaten ernsthaft beschäftigt, und sie wird uns noch manche, ih bin mir darüber klar, schwierige und {hwer lösbare Aufgaben bieten, weil wir hier nicht in der glücklichen Lage sind, einer neuen fraftvollen Entwicklung die Bahn frei zu machen, sondern weil wir hier genötigt sind, einem bestehenden Berufsstand, der von rechts und links in seiner Existenz bedroht ist, den Uebergang in neue Verhältnisse zu ermöglichen. In dieser Sprödigkeit der Materie liegen die Schwierigkeiten, die speziell die Mittelstandspolitik Ihnen und den verbündeten Regierungen ge- boten hat und auh weiterhin bieten wird.

Daneben haben uns naturgemäß unsere wachsende Industrie, die handelspolitishen Bedürfnisse unserer Industrie bestimmte Nichtlinien uaserer Zoll- und Handelspolitik gegeben, und ih möchte das jeßt {hon betonen, wir wollen nicht vergessen, daß für die Handelspolitik, auf deren Höhepunkt wir jeßt stehen, nicht in erster Linie die Interessen der Landwirtschaft, fondern die Interessen der Industrie den Anstoß und die Richtlinien gegeben haben. (Sehr wahr! rechts.)

Nun, meine Herren, 25 Jahre lang beschäftigt \sih das deutsche Bolk, beschäftigt ih der Reichstag, und beschäftigen \ih die ver-

bündeten Regierungen mit diesen Fragen. Man wäre wohl berechtigt, die Frage aufzuwerfen, sind denn nun auf diesem Gebiete die Auf- gaben nicht abgeschlossen, sind nicht neue, wichtigere und größere Auf gaben aus den Verhältnissen heraus hervorgewachsen, die uns* in nädhster Zeit in Anspruch nehmen werden? Gewiß, meine Herren, 25 Iahre sind eine lange Zeit, und in 25 Jahren intensiver und steter Arbeit vershiebt sich vieles in den Aufgaben, die ein großes Volk beschäftigen, aber so wie die Dinge heute liegen, kann man nicht sagen, daß auf irgend einem dieser Ge- biete wir in der Lage wären, die Waffen niederzulegen und zu fagen, wir haben genug getan. Wohl liegen {hon in der Entwiklung, welche die Dinge genommen haben, die Ansäße zu neuen Problemen, die uns im Laufe der Jahre mit wahsendem Druck in Anspruch nehmen werden, aber ih habe die Ueberzeugung, die Aufgaben, wie ih sie eben charakterisiert habe, werden jedem Staatsmann, der an meiner Stelle steht, im Laufe der nächsten Zeit mit unwiderstehlicher Gewalt festhalten und nötigen, an ihnen zu arbeiten. i

Meine Herren, von all den Problemen, die ih hier eben be- \prochen habe, hat feines eine so gewaltige Stoßkraft entwickelt als das, was wir gemeinhin in dem Worte „Sozialpolitik“ zusammen- fassen. Das hat seinen Grund nicht allein darin, daß die un- mittelbar beteiligten Klassen, die Arbeiter, es verstanden haben, sich innerhalb und außerhalb diefes Hauses eine entschlossene und wirkungsvolle Vertretung zu schaffen : das liegt niht allein darin, daß über die Kreise der Arbeiter hinaus große Parteien dieses Hauses jenen Fragen ein besonderes und andauerndes Interesse entgegengebracht haben; fondern das liegt darin, daß das deutsche Volk in diese sozialen Fragen eigentlich die Summe seines ganzen Idealismus hineingelegt hat. Nicht allein der Gesetzgeber, niht allein der Politiker be- schäftigt sich augenblicklich in Deutshland mit sozialen Fragen ; sondern der soziale Zug, von dem ih vorhin gesprochen habe, er geht durch unsere Wissenschaft, er geht durch unsere Literatur, er geht durch unsere \{chöône Literatur, und selbst die Werke unserer bildenden Kunst sind nicht frei von einem gewissen sozialen Zug. Dieser soziale Zug durchdringt unser ganzes bürgerliches Leben, bis zu der etwas bizarren Form, in der wir heutzutage gewöhnt sind, unsere Wohl- tätigkeit zu üben: überall finden wir denselben Drang, sich wie man es etwas trivial auszudrücken pflegt sozial zu be tätigen. So lange diese Grundauffassung das deutsche Volk bewegt, so lange das deutsche Volk seinen Idealismus in diesen Fragen FÉonzentriert, - wird niemand daran denken können, unserer Sozialpolitik andere Richtlinien und ein wesentlich anderes Gepräge zu geben, als sie es heute hat. Allerdings wird man sich fragen müssen: haben die Mittel, die wir aufgewandt haben, denn überall die Erfolge gezeitigt, die wir uns wünschen konnten? Werden win niht im Laufe der Zeit auch diese Fragen von anderen Gesichts punkten auffassen müssen?

Nun, meine Herren, wir haben viel darüber gesprohen und auf sozialpolitishem Gebiete viel erreiht. Das, was wir allein auf dem Gebiete der Arbeiterversiherung geschaffen haben und demnächst zu schaffen entschlossen sind, geht weit hinaus über das, was andere Länder zu leisten imstande gewesen sind (sehr rihtig! rechts) zu leisten imstande gewesen sind nicht bloß in bezug auf ihre geseß geberische Technik, sondern zu leisten imstande gewesen sind mit sicht auf die Opferwilligkeit des Volkes, auf die Opferwilligkeit aller beteiligten produzierenden Stände, und zu leisten imstande gewesen find mit Nücksiht auf den warmen Zug des Idealismus, de! bei allen diesen Dingen durchdringt. Aber, meine Herren, wir wollen uns über eins nicht täushen. Alle diese Erfolge namentlich nah einem materiellen Maßstab gemessen, außerordentli groß sind haben eine Aufgabe nicht gelöst: es ist uns nicht ge lungen, die tiefe Kluft zu überbrücken, welche die wirtschaftlichben Kämpfe der leßten Jahrzehnte gerissen haben, und die das deuts Bolk zu seinem Schaden in zwei Teile teilt. (Sehr richtig! rechts.) Wir werden bei allen sozialpolitishen Aufgaben, die wir in die Hand nehmen, bei allen neuen Versuchen, sozialpolitishe Probleme zu lösen, uns stets bewußt sein müssen, daß unsere Handlungen und unsere Entschlüsse geleitet sein müssen von der Tendenz, zusammen zuführen und niht zu trennen, zu- versöhnen nicht zu vei zürnen. (Zustimmung in der Mitte und rets.) Trennung, welche die fozialpolitishen Kämpfe uns gebracht haben, ist ein Schaden den unser Volksleben erleidet, den vielleiht erst eine spätere Zeit einmal voll wird ermessen können.

die gewiß

iele

sozialpolitischhen Fragen nit nicht die Sorge für das materielle Wohl allein ist,

zu beschäftigen hat, sondern wir müssen uns gegenwärtig halten, daß ein großes Kulturvolk ein unvergängliches Besißtum hat, das zu wahren und zu mehren seine Aufgabe ist (fehr rihtig! rechts und in der Mitte), daß aber diese unvergänglichen Besittümer cines Volkes nur gewahrt und vermehrt werden können wenn es gelingt, das ganze Volk in allen seinen Kreisen um diese unvergänglichen Besitztümer zu \{haren und zu vereinen. (Bravo! rets.

Wir dürfen bei der Behandlung der vergessen, daß es [

was ein großes Volk

Nun, meine Herren, die Mittelstandspolitik. Ich habe vorhin [hön angedeutet: das ist die \chwierigste, die \prödeste Materie: eine Materie, an die ich ih mache daraus keinen Hehl stets mit einem gewissen Herzklopfen herangehe, nicht weil mir das Herz und das Urteil für die Bedeutung dieser Fragen fehlt, sondern weil ich mir der außerordentlichen Schwierigkeiten Vev bin, die d gerade der sung dieser Frage in den Weg stellen. Es kommt Da, O e D bielt um Dinge handelt, die weniger die Technik des Gesetzgebers ergreifen kann als die Verwaltung der Einzelstaaten. Ich glaube, ich tue diesem Hause und dem Reiche kein Unrecht, wenn 1h sage, daß das, was auf dem Gebiet der Mittelstandsförderung geschehen ist, in alle: erster Linie der Fürsorge der Bundesstaaten zu verdanken is. Wir haben in unserer Handwerkergesezgebung, in den Bestimmungen über die Fortbildungsshulen und durch gewisse wirtschaftspolitishe Maß nahmen zu helfen versuht. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt hier

wie auf vielen anderen Gebieten nicht im Neich, sondern bei den Bundesstaaten. Immerhin werden wir zusammen bestrebt sein müssen, au auf diesen Wegen weiterzugehen, und uns immer klar vor Augen halten müssen, daß der Bestand eines großen Staats wesentlich davon abhängt, daß es gelingt, in diesem Staat einen leistungsfähigen, wirtschaftlich selbständigen Mittelstand zu erhalten, nicht bloß auf dem engeren Gebiet von Handel und Gewerbe, sondern vor allen Dingen auch auf dem großen Gebiet der Landwirtschask. (Sehr richtig! rechts.)

Bein müssen, auf allen Gebieten,

Zukunft unserer Industrie haben werden.

fim einzelnen für diese Fragen interessieren, in der Lage

Wen) )

| tudigen und gleichmäßigen

9înger gewandelt sind, weiter zu wandeln:

Mas nun unsere Landwirtschaft betrifft, so liegt auch hier ein licher Teil det Grfolge, auf die wir zurückblicken dürfen, nicht # in der Tätigkeit des Reichs, sondern zu einem erheblichen le in der Fürsorge der Bundesstaaten. : Aber auch das Reich hat seiner Zollpolitik und mit seinen sonstigen wirtschaftlichen Maß- hmen stets mit vollem Verständnis für die Landwirtschaft gearbeitet ; 9 wenn wir heute sagen dürfen, daß diese 25 Jahre des Kampfes L Undwirtshaft und für die Landwirtschaft zu einem gewissen Ab- S (uß geführt haben, so müssen wir uns dabei folgendes gegenwärtig

lten. Wir müssen uns gegenwärtig halten, daß am meisten zu Ven Erfolgen beigetragen hat die entshlossene Arbeit der Landwirte, y Kmndwirte im einzelnen und der Landwirte im großen, in ihren und wir dürfen nicht vergessen, daß wir dieser Arbeit unserer Landwirtschaft und der stüßenden

Tätigkeit der Bundesstaaten und des MNeichs be Summe von materiellen und sittlichen Werten verdanken, le yreiszugeben wir nicht in der Lage sind, ohne unser B lféleben [hweren Gefahren auszuseßen. (Sehr wahr! rets.) sir werden also, felbst wenn wir anerkennen müssen, daß die Sorge, fe wir vor [5 und 20 Jahren um die Zukunft unserer Landwirtschaft bitten, heute nicht mehr auf uns lastet, doch niemals vergessen dürfen,

ß hier Werte liegen, die zu verderben das deutsche Volk sih nicht fühnen soll. (Bravo! rechts und in der Mitte. Lachen bei den ( oialdemofraten.)

E lnd nun komme ih zur Industrie und zum Handel. In dem

h ugenblid, als Ende der 70er Jahre unsere Eisen- und unsere Textil- I dustrie als \hwer notleidend die Hilfe des Reichs in Anspruch Iahmen und den Anstoß zu der Zoll- und Wirtschaftspolitik gaben, e wir heute noh folgen, hat man nicht geahnt, daß sih unsere In- strie in so kurzer Zeit zu einer Weltmacht entwickeln würde, wie ir sie heute vor uns sehen. Aber ih habe den Eindruck, daß diese hlänzende Entwicklung bis auf einen gewissen Punkt uns allen den bid getrübt hat für die Schwierigkeiten, mit denen unsere Industrie jon seit langem zu fäampfen gehabt hat, und den Blick getrübt hat Fir die Gefahren, die aus der Eigenart unserer Entwicklung für die

dertretungen ; \tsclossenen helfenden

nd

N n

D funft unserer Industrie und des damit unmittelbar zusammenhängenden Ao andels entstehen. Hier liegen die Ansäße zu einer ganzen Reihe Luer Probleme. Ich halte es nicht für einen Zufall, nicht lediglich ir eine Folge der augenblicklihen geshäftlihen Dispositionen dieses ohen Hauses, wenn der verehrte Redner aus der Mitte dieses auses, der vor mir gesprochen hat, mit einer großen handels bolitishen Rede die Debatte zum Etat des Neichtsamts des Innern bröfnet hat. Wir werden uns darüber im klaren sein müssen, daß nsere Industrie und und unser Handel zwar auch gewaltige Werte Leshaffen haben und sich eines finanziellen Glanzes threr Entwicklung Freten fönnen, daß aber gerade hier ein forgendes Auge darüber Pvahen muß, daß diese stolze Entwiklung, welche die Grundlage zum eil für unsere Kriegsbereitshaft auf wirtschaftlihem und auf militärishem Gebiete ist, und von deren Aufrechterhaltung und FFrrtführung das Leben von Millionen von Arbeitern abhängt, keinen gut.) Es wird also unser aller Bestreben die wir hier zu bearbeiten haben, unsere Entschlüsse auf die (Sehr gut!)

Schaden leidet. (Sehr

rnstlid zu fragen, welhe Einwirkung

Nun, meine Herren, werden Sie mir sagen: ja, das ist sehr daß vom Vertreter des Neichsamts des Innern alle diese Aus-

Fichten hier eröffnet sind, jeder hat etwas bekommen (sehr richtig! bei

den Sozialdemokraten), aber in Wirklichkeit \{hneiden ih diese Auf und sie werden nebeneinander von einem einzelnen niht gelöft

n können. Das ift zweifellos richtig ; aber Sie dürfen auch nicht ‘gessen, daß keine von den Parteien dieses hohen Hauses, die fich \ sein würde,

allein auf diesem Gebiete etwas durchzuseßen oder allein auf diesem verhindern. Sie werden auch, wenn Sie darum bitten unbefangen die Tätigkeit Negierungen und speziell meiner Vorgänger im Amte betrachten, mir zugeben, daß hier auf allen diefen Gebieten gewisse Stetigkeit des Fortschreitens festzustellen gewesen ist. Dies ist dem Umstande zu verdanken, daß die verbündeten Regierungen

(Koki ot LULLLC

etwas zu Sie ja

C 1 0) Tann

der verbündeten

h ihrer verfassungsmäßigen Stellung und der damit gegebenen Pflicht

tets bewußt gewesen sind, die Gesamtheit der dem Reiche gegebenen f zusammen zu lösen und in ernster, ruhiger C häufig divergierenden Wünsche und Neigungen zusammenzufassen auf das eine Ziel einer gesunden, Entwicklung derwirtschaftlihen und inner- volitishen Verhältnisse des deutshen Vaterlandes. (Bravo! rechts.) Meine Herren, ich werde bestrebt sein, diese Wege, die meine Amtsvo1 ih werde bemüht sein, auf Kräfte aus allen gemeinschaftliher Arbeit zusammen zuführen. JIch kann das freilid nur, wenn auch von Ihrer Seite niht verkannt wird, daß die Stetigkeit unseres gesamten politischen Kurses zu einem guten Teil abhängt von der Stärke der Regierung, ind daß jeder, der an einer fonstanten und sicheren Entwicklung unserer Verhältnisse interessiert ist, niht an den verfassungsmäßigen Grundlagen rühren sollte, auf denen diese Stärke beruht. Ich kann das nur, wenn von allen Seiten den verbündeten Regierungen überall da die Mithilfe nicht versagt wird, wo sie sih ents{lossen haben, Neuerungen zu fordern, die fie für notwendig halten, nicht um volitishe Theorien in die Praxis umzusetßzen, sondern um unserer inneren politishen Entwicklung diejenige Stetigkeit zu geben, die uns den Weg zu Neuem führt, ohne materielle uud ideelle Werte zu zer loren, die wir von der Vergangenheit überkommen haben und ver bflichtet sind, lebendig zu erhalten, solange sie am Leben zu halten ind. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)

Ihnen ie bei Ihnen

immer wieder

die ih hier gestreift habe, die

Hauses zu

all den Gebieten,

Mebl nen o parteten des

D)

Abg. Pauli - Potsdam (dkonf.): Für die Darlegung seines Stand vunktes können wir dem Staatssekretär nur Dank sagen, besonders ur das Interesse, das er dem Mittelstande entgegenbriugt. Die Nittelstandsfragen find darum am s{wierigsten zu lösen, weil dadurch andere Erwerbsgruppen, oben und unten, berührt werden : aber wir «rfen uns des guten Willens der Regierung freuen und glauben, 8 nch auch der Weg zur Lösung dieser Fragen finden wird. In der Sozialpolitik haben wir Deutsche ja viel erreiht : wir Deutsche vnnen stolz sein, daß wir hier mehr erreicht haben wie jedes andere Alturland, und wir haben es erreiht in dem Staate mit mon nischer Spitze, während andere, demokratish regierte Länder weit Urüdstehen. Daß die Kluft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ju überbrücen nit gelungen ist, hat niht an den Unternehmern ge (egen. Auf das handelspolitische Gebiet folge ih dem Abg. Mayer \aufbeuren nicht. Der Hansabund vertritt die Interessen des Hand

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werks niht. Von ihm können wir die rettende Hand nicht annehmen. Der will uns nicht retten, er will uns eins{hläfern. Das Geld hat er ja, aber niht die Leute; die Handwerker werden ihm nicht die Armee verschaffen, die er gern kommandieren möchte. Ein Teil der Wünsche des Handwerks ist erfüllt worden, aber nur ein kleiner. Die Interessenvertretung des Handwerks muß gekräftigt werden; das Handwerkerreht muß gefördert werden durch die allerdings \{chwierige scharfe Scheidung der Begriffe Fabrik und Handwerk, die trotz

.des Drängens des Hauses noch immer nicht zu erreichen gewesen ist.

Die Junungen und die Handwerkskammern können ihre Aufgabe, erzieherisch auf das Handwerk zu wirken, nicht erfüllen, solange die Gefahr besteht, daß die einigermaßen erstarkten Handwerks- betriebe dem Handwerk entzogen und als Fabriken behandelt werden. Die Scheidungslinie muß möglichst nach oben gezogen werden, damit auch die größeren Betriebe, die sich als Handwerk harakterisieren, dem Handwerk verbleiben. Ein Kriteriuum für den handwerks- mäßigen Betrieb ist das, daß die Arbeit von Anfang bis zu Ende in dem Betriebe, gleichviel ob er mit maschinellen Hilfsmitteln arbeitet oder nicht, fertig gestellt wird, daß feine Halbfabrikate geschaffen werden. Die NMNegierung hat uns in einer Denkschrift gesagt, die Frage könne niht generell, sondern müsse von Fall zu Fall gelöst werden: aber auch dafür müssen doch den unteren Verwaltungs behörden gewisse generelle Merkmale an die Hand gegeben werden. Die Handwerker müssen in das Handelsregister cingetragen werden können, soweit sie nebenbei auch fkaufmännisch fih betätigen und dadurch handelskammerbeitragspflihtig werden, aber auch nur dann: zurzeit besteht hier eine sehr unangenehme MRechtsunsicher- heit. Die Tarifverträge zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- Organisationen halte ih für gut und segensreih. Leider hat ih die Tarifgemeinschaft fehr ausgedehnt und auch Auswüchse gezeitigt, indem in den meisten Fällen bei Ablauf der Tarife sie gekündigt werden, und zwar fast immer seitens der Arbeitnehmer. Das bringt sehr viel Ungelegenheiten mit sh: für die langwierigen, unendlihen Ver- handlungen, wie sie jeßt seit November in der Holzindustrie \{chweben, hat der Unternehmer {hon gar nicht die Zeit. Schließlich kommt man doch zu der Erkenntnis, daß auf die Dauer es doch nicht möglih sein wird, mit den Arbeiterorganisationen - Tarif verträge abzuschließen. Ruhe foll für die Dauer des Ver tragès emtreten, also tm Durwschnitk qur dret Jahre: aber ein halbes Jahr vorher fängt doll

[chon die Bewegung wieder an, und so ist in Wahrheit doch von Nuhbe nicht recht die Rede. Bei den Verhandlungen kommt es den Arbeitern und thren Vertretern auch nicht fo sehr auf den Lohn, als auf die Verkürzung der Arbeitszeit an. Mit aller Gewalt wird auf die Ermäßigung der Arbeitszeit hin- gedrängt. Die Arbeitgeberorganisationen halten in den nicht gesund heits\chädlichen Betrieben eine Arbeitszeit von 9 Stunden in den größeren Städten für niht zu lang und werden und müssen sich gegen deren Verkürzung wehren, weil sie sonst nicht mehr konkurrenzfähig bleiben würden. Im Gebiete der Arbeitsnachweise sind ja Mik stände vorhanden; aber mit dem paritätishen Arbeitsnachweis ist die Frage nicht gelöst. In de

r Holzindustrie haben wir mit den paritätischen Arbeitsnachweisen die trübsten Erfahrungen gemacht ; auch hier liegt die Schwierigkeit meistens darin, daß der Arbeitgeber feine Zeit hat. In manchen paritätischen Arbeitsnachweisen wird die Arbeit niht nach der NRethenfolge der Meldungen, sondern nah der Zugehörigkeit zur Organifation oder zur Partei vergeben. WBelèr wid 08 Ub Werden wenn uan die Kommunen ermächtigt oder verpflichtet, Arbeitsnachweise ein zurichten. In Potsdam haben wir solchen Nachweis, den boykottieren aber die Arbeiter, ohne zu bedenken, daß da auch die Arbeitgeber nichts drein zu reden haben. Der Abg. Naumann follte einmal ein Fahr hindurch einen Betrieb von 20 Mann auf sein Nisiko und seine Nechnung führen, dann würde ihm die rauhe Praris ein anderes Bild von den Verhältnissen beibringen, als seine graue Theorie über den Arbeitsnachweis: aber leider wird er sich hüten, diese Probe aufs Exempel zu machen. Die Handwerkskammern haben ich durchaus bewährt. Natürlich kommen auch in diesem neuen Institut Neibungen und Unstimmigkeiten vor. In Wiesbaden hat ein Hand werkskammersekretär gegen den Vorsitzenden agitiert und dabei leider auch die Unterstützung des Staatskommissars erfahren: das dürfte niht vorkommen. Ven Wunsch des Handwerks und der Berufs genossenschaften in bezug auf die Abänderung des § 34 des Gewerbe unfallversiherungsgeseßes* wegen des MNeservefonds kann ih nur wiederum unterstreichen. Auf dem Gebiete der Gefängnisarbeit sollte die Regierung doch endlih einmal ernstlih einschreiten, um die Zchäden zu beseitigen, die dem Handwerk daraus erwachsen.

Abg. Fis cher-Berlin (Soz.): Die Nede des Staatssekretärs zeigt eine gewisse Homogenität mit dem Reichskanzler, namentlih in seinen philosophischen Ausführungen. Er hätte diese Rede ebenso gut bei einem Festessen halten können, nur niht beim Hansabund. Bielleicht war es die erste Strafe, die ihn traf, daß der Abg. Pauli sagte, wenn er an der Stelle des Staatssekretärs stünde, so hätle er genau so gesprochen. Die Rede des Staatssekretärs kam im Grunde darauf hinaus: es bleibt alles beim alten. Was er s\ozialistis{ch genannt hat, ist etwas, was wir kapitalistisch neunen. Er sprach von der zunehmenden Industrialisierung. Ganz richtig. Aber wenn

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Deutschland auf dem Wege ist, aus einem Agrarstaat Fnduftrie staat zu werden, wie kann der Staatssekretär sagen, daß eselben Grundlinien für uns maßgebend sind, die zu der Zeit s Agrarstaats maßgebend waren? C1 e, das. ftleine Handwerk, er wichtigste Stand, werde zerrieben. Diese Entwicklung ist unvermeidlih, das liegt im Wesen der Industrie. Z sekretär sprach auch von der Industrie. Vir scheint Entschuldigung vor der Landwirtschaft zu sein. Dey

wird wohl genötigt sein, seinen philosophischen

mentieren, wie es der Reichskanzler gegznübeu

Staaten getan hat. Von der Arbeiterklasse hat der

kein Wort gesprochen, und von der Stellung, die die neue Regierung gegenüber den Forderungen der Arbeiterklasse einnimmt. Gewiß, er sprach von der tiefen Kluft, die sih zwischen den verschiedenen Klassen aufgetan hat. Hat die preußishe Regierung niht Schuld daran ? Maßgebend war für die Regierung ihr Verhaltnis zum Zentral verband deutscher Industrieller. War dessen Berhalten ein gutes, fo

ein Stillstand in der sozialen Neform ein, und umgekehrt. Jn leßten Zeit hat der Zentralverband einen Dr. Bartels in MNeichsversicherungsamt, in die Firma, wie es heißt, bineingebracht. Die Negierung treibt jeßt in der Sozialpolitik eine gewisse Weiße-Salben Politik. Als Staatssekretär sprach der Reichskanzler von Bethmann bei einem Festessen des Zentralverbandes nicht, wie auf dem Arbeiten fongreßz 1907 von Gottesfurht usw., sondern er beftannte fch als einen Kameraden. Als der Graf Posadowsky sein Amt autrat

so weltfremd, wie der Staatssekretär Delbrück: aber er meinte mit seinem Amt und trieb eine ernste Sozialreform, darum mußte er de Drucke des Zentralverbandes weihen. Er |\tellte sich auf ei patriarchalischen Standpunkt den Arbeitern gegenüber, sein Nachfolge auf einen militärishen. Ruhe soll herr]chen, das t die jeßtg Parole. Darum wird auch ein Neichébergge!eß nicht vorgktlegt, und ebensowenig die geheime Wahl bei der Wahl der Knappschafts ältesten. Der Zentralverband will das nicht. Dabei hatte der Handelsminister im preußischen Abgeordnetenhause diese geheime Wahl selber empfohlen. Ohne Begründung 1st auch die Zuziehung dei

Arbeiterkontrolleure und Gewerbeinspektoren abgelehnt worden in den Entschließungen des Bundesrats zu den Beschlüssen des Reichstages. Warum ist dic Zuziehung von Aerzten und Gewerbeinspektoren ab gelehnt worden? Auch hier ift Preußen das Hemmnis: man hat sich auf Zuständigkeitsbedenken zurückgezogen. Von einem solchen Staate fann man allerdings politische Kultur und Erziehung nicht verlangen. Es sind au lediglich fadenscheinige Gründe, die man gegen die Arbeiterkontrolle erhebt. Weniger Vertrauen sollen die Arbeiter fontrolleure genießen als die akademish gebildeten Beamten! Dies fordert geradezu den Spott heraus, den Protest aber, wenn gefagt wird, man könne Sozialdemokraten nicht zulassen; denn vor dem Gese find alle Bürger gleih, auch vor der Negierung in einem Kulturstaat, und Preußen will doch ein Kulturstaat sein. Die Negie rung biegt und beugt sich ja vor dem Zentrum. Jh mache ihr daraus

feinen Vorwurf und hoffe, daß die Zeit kommen roird, wo wir dieselbe herrschende Stellung einnehmen. Warum übt das Zentrum nicht feinen Einfluß zugunsten dieser Forderung aus? Wir unserseits wollen die Welt so gestalten, daß Sie es im Himmel gar nicht besser finden. Für so kurzsihtig und verblendet halte ih die preußishe Regièrung nicht, daß sie jene Gründe für die Ablehnung der Arbeiterkontrolleure für rihtig hält. Sie könnten ja gar feinen Krieg führen, wenn wir wirklih die vaterlandslosen Gesellen wären, als wekche man uns beshimpft. Ohne uns können Sie überhaupt keine Politik machen. Auch die Parteien werden in dieser Beziehung umlernen und si daran gewöhnen müssen, in den Sozialdemokraten die gleihberech tigten Mitbürger anzuerkennen. Wir fißen în den Landtagen und in Tausenden von Stadtyparlamenten, und da wollen Sie uns mit fo fleinlihen Quisquilien von der Kontrolle bei der Gwerbeeaufsicht fernhalten. Das Zentrum hat im bayerischen Landtage dem Minister von Podewils vorgeworfen, er begünstige die Sozialdemokratie, weil er gesagt hat, sie habe auf sozialem Gebiete manche dankens- werte Anregung gegeben. Der Zentrumsabgeordnete' Professor Reel hatte früher der Sozialdemokratie Gerechtigkeit widerfahren lassen, insofern sie das Zentrum auf den Weg der Sozialreform ge drängt habe. In bezug auf die Zulassung von Sozialdemokraten zur Arbeiterkontrolle und anderen Aufgaben ist die bayerische Negierung nicht so engherzig, wie die preußische, und doch hat man nie gehört, daß dadurch die Eristenz des Staates gefährdet werden würde. Die Gewerbeinspektoren find hon fo gezogen, daß die Arbeitgeber von thnen nicht viel zu befürchten ben. Das genügt abet den Unternehmern niht. Der bekannte Agitator des Scharfmacher verbandes Bueck hat in einer Eingabe an den Handelsminister die Stirn gehabt, dem Reichstag unterzulegen, daß er die Verkürzung der Arbeitszeit in den Hüttenwerken nicht aus sahlichen Gründen, sondern nur aus Spekulation auf die Gunst der Massen unterstüßt habe. Der Handelsminister hat dieser niedrigen Verdächtigung und Berleumdung nicht die Antwort gegeben, die der Reichskanzler der be kannten Eingabe des Alldeutschen Verbandes hat zu teil werden lassen. Bueck bekommt es auch fertig, den Arbeitern unterzuschieben, fie ver langten nur die Berlängerung der Mittagspause, um fie zur Agitation zu benußten! In den Berichten der Gewerbeinspektoren, und sogar der \ächfi schen, überwiegen die kleinlichen, nörgelnden, gehässigen Bemerkungen aeaen, De Ylrbeiter, Gharattetth ur den Gut De preußischen Berichte is die eine Tatsache, daß in dem General register des Neichsamts des Innern unter dem Stichwort „bemerkens werte Einwirkung der Organisationen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern“ nur ein einziger Fall, von dem Gewerbeinspektor in Merseburck, verzeichnet ist. Alle Bemerkungen haben einen Stich ins Gehässige, aus allen spricht die Absicht, den Arbeiterorganisationen eins auszuwischen. Die Gewerbeinspektoren fassen ihren Beruf dahin auf, als wären sie die Agitatoren für die nichtorganisierten Arbeiter. Wir müssen gegen diese Art tendenzioser Berichterstattung Protest einlegen. Die Kaiserlichen Erlasse sind heute vermodert und ver \chimmelt, kein Mensch spricht mehr von ihnen. Der Zentralverband der Industriellen sendet seine Vertreter in das Reichsamt des

Tür kann man \chreiben: „Laßt alle Hoffnung cu, De Ih Der ie Arbeiter müssen sich

íInnern, hinter D und ihre Organisationen immer weiter ausbauen, damit

über dessen l etnTretel.- 2

organifteren | w auch für sie eine Regierung vorhanden ist und nicht nur für den Zentral verband der Industriellen.

Abg. Linz (Np.): Der Staatssekretär ist in seinem jeßigen Amt erst so kurze Zeit, daß man nicht ein abschließendes Urteil fällen und eine solche Kritik wie bei sein :

em Borgänger üben kann. Wenn e! gute Beziehungen zu der Industrie i

unterhalt, o lollte man ihm dafür dankbar sein. Es ist selbstverständlich, daß ein Staatssekretär zu sämtlichen Erwerbsgruppen eine freundlihe Stellung einnehmen muß, und daß er dabei auch die Industriellen nicht aus schließen ftann. Es gibt feinen Interessentenkreis, der îim Hause so {wach vertreten wäre, als gerade die Industriellen. Bei einer ganzen Reihe von Verhandlungen, und erst kürzlih beim portugiesischen Handelsvertrag, hat fich wieder gezeigt, daß die Industriellen, die in derartigen Fragen am besten versiert sind, niht zum Worte gekommen sind. Es wäre sehr erfreulich, wenn eine größere Reihe von fozial empfindenden und arbeiter freundlichen Arbeitgebern hier im Haufe wäre. Der Vorredner hat sogar angedeutet, als sei der Staatssekretär ein Werkzeug in der Hand des Zentralverbandes der Industriellen; ein derartiger Vorwurf ist durch nichts begründet. Die Verhandlungen hier und besonders im Abgeordnetenhause haben das gerade Gegenteil erwiesen. Der Staats sekretär hat erst vor kurzem her erflärt, daß er etne - große Zabl fozialpolitis{her Maßnahmen im Widerspruch zu Industriellen durchgeseßt hat. Der Vorredner hätte auch anerkennen müssen, daß uns in den lezten Tagen gerade eine Reihe wichtiger sozial politischer Bi zugegangen find, 1 : i

ind daß uns die Reichs versicherungsordnung und die Pensions - und Hinterbliebenenver sicherung der Privatbeamten in Ausficht gestellt find. Ich habe im Gegensaß zum Vorredner das Vertrauen, daß der Staatssekretär, soweit es die Stetigkeit und Sicherheit unserer Industrie ihre Konkurrenzfähigkeit im Auslande gestatten, die Interessen der Arbeiter nah besten bemüht fein wir? Zum Etat fselbit Wünsche des (l Beziehungen Erhöhung zu den durch den ie ich in dieser gehoren von e Artikel toe.

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gekommen. Die Positionen Seide und -Halbseid( Seit jener Zeit haben die schwer geschädigten

eine Besserung zu erreichen, aber man kann

; Neichsamt des Junnern und das preußische Bedenken tragen fich aus eine Novelle zum Von Jahr hat ih die Lage verschlechtert. In wenigen Jahren haben alte ho- Firmen in Elberfel die frühe Weltfirmen etriebe ] müssen. arbeitet günstigeren ganisfations franzöfischen

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nilcht annähernd fommen noch indirekt achverständigen betragen Herstellung vou i dort 27 9/9 weniger ehnlich ( bei Halbsfeide Auch der Inlandsmarkt geht der Industrie durch den ( U Zollschutz Ummer mehr verloren. aber muß dur eine Frhöbhung des Zollshutzes d ben werden, die aus ländishe Einfuhr zurückzudrängen unîd ie Ausfu zu stärken. Untergang dieser Industrie die Unternehme1 sondern auch | l r zablreichen hochbezahlten Weber, deren Existenz auf de iele steht. Die Positionen für Moöbelstoffe sind ja andelsverträge nit gebunden, fondern können jederzeit heraufgeseßzt werden. Zu dem Gehalt des Staats sekretärs find alle sozialpolitishen Gebiete mit Anträgen bedacht worden: es i] unmöglich, auf alle diefe Anträge auch nur ober flächlilh in dem Rahmen dieser Diskusfion einzugehen. Weniger würde hier mehr gewesen sein: man follte untersuchen, ob nicht die Vorschriften des Geseßes gegen den unlauteren Wettbewerb hier Anwendung finden könnten. Ueber die Regelung der Pensions- und Hinterbliebenenversicherung der Privatbeamten hoffen wir, noch im Laufe dieser Session eine Vorlage zu erhalten. Wir verlangen für das Gandwerk und die Innungen in weit höherem Maße als bisher Auf- träge bei Lieferungen an die Neichsverwaltung und Nachweise über den Umfang Ueferungen: wir wünschen auch die Eröffnung eines

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