1910 / 56 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 07 Mar 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Ziet\ch (Soz.) hält es für notwendig, die Tuberkulose als Berufskrankheit einem eingehenden Studium zu unterziehen. Besonders die Porzellan- und Steinarbeiterbranche biete dafür ein weites Gebiet. Diese Arbeiter erreichen nur ein dur{chschnittliches Alter von 40 Jahren. Die Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffer habe sih in der leßten Zeit nicht vermindert, dagegen haben si die Unternehmergewinne ganz erbeblih gesteigert. (Der Präsident bittet den Redner, nicht zu sehr von dem vorliegenden Thema abzuschweifen, seine Aus- as en gehörten mehr zum Reichsgesundheitsamt.) Der Redner meint, eine Ausführungen stehen zu dem Titel in einem engeren Zusammen- hange als die Bauernreden mit dem Titel „Staatssekretär“. (Der Präsident bittet den Redner, zur Sache zu sprehen, wonach dieser seinen Vortrag abbriht und si vorbehält, in dritter Lesung auf die Sache zurückzukommen.)

Die Forderung von 10 000 4 als Beitrag zur Förderung

des ärztlichen Fortbildungswesens hat die Kommission abgelehnt, weil diese Förderung Landessache sei. Dagegen schlägt die Kommission folgende Resolution vor: : „Den Reichskanzler zu ersuchen, mit den verbündeten Re- ierungen in Verhandlung. darüber einzutreten, daß die erforderlichen 2 inen getroffen werden, um die Studenten der Medizin und die Aerzte in die soziale Medizin einzuführen“.

Ohne Debatte wird der Titel abgelehnt und die Resolution angenommen.

Zu den Kosten der Beteiligung des Reichs an der Juter- nationalen Kunstausstellung in Rom 1911 sind als erste Rate 80 000 6 ausgeworfen. Dazu liegt eine Resolution Lieber- mann von Sonnenberg, Arendt, Henning, von Liebert vor:

„Den Reichskanzler zu ersuchen, dafür Sorge zu tragen, daß bei der Beschickung dieser Ausstellung die Auswahl der auszu- stellenden Kunstwerke in die Hände einer Kommission gelegt wird, die aus den beiden pre Künstlerverbänden, der „Allgemeinen Deutschen. Kunstgenossenschaft“ und dem „Deutschen Künstlerbunde" in angemessener Weise zusammengeseßt ist. Diese Prüfungs- ommisfion soll ihre Veranstaltungen so treffen, daß für die Zu- lassung von Kunstwerken für die römische Ausstellung die gesamte deutshe Künstlerschaft, ob organisiert oder niht, in allgemeinen freien . Wettbewerb eintreten kann“.

Abg. Liebermann von Sonnenberg (wirts{. Vgg.): Wir legen Wert darauf, daß der Neichstag sih zu den Grundsätzen bekennt, die in der Resolution niedergelegt sind. Ich will der Regierung feinen Vorwurf daraus machen, daß fie der italienishen Regierung vielleiht etwas zu weit entgegengekommen ist. Die deutsche Aus- stellung muß harmonisch wirken und ein Bild des gegenwärtigen Standes der deutschen Kunst geben. Jch glaube, daß dur die Art des Vor- gane unserer Regierung dieses Ziel niht ganz erreicht wird.

ie Genossenschaft ist aber nur durch zwei, der Bund durch vier Mitglieder in der Jury vertreten. Das is} eine Ungerechtigkeit, und deshalb habe ich meine Resolution vorgeschlagen. Es ist auch nur recht und k‘llig, daß auch die nihtorganisterten Künstler zu der Aus- stellung zugelassen werden. Die deutsche Kunst darf nicht bloß als lh für die italienische dienen. Wenn der Deutsche Reichstag Geld ewilligt, so soll er damit auch den deutshen Künstlern helfen, damit sie in die Lage kommen, den Markt zu gewinnen, der ihnen mehr und mehr verloren gegangen ist. Alle Künstler müssen zum freien Wettbewerb zugelassen werden. Das liegt im Interesse der deutschen Kunst, des deutshen Volkes und auch im wirtschaftlichen Interesse der Künstler.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern Delbrü:

Meine Herren! Ich bin mit dem Herrn Vorredner und wahr- scheinlih mit allen Mitgliedern dieses hohen Hauses dahin einig, daß wir bei derx bevorstehenden Ausstellung bestrebt sein müssen, alle die verschiedenen Nichtungen der Kunst in angemessener Weise zur Geltung. kommen zu lassen und daß wir andererseits die Aus- stellungen so zu arrangieren haben, daß sie das Beste, was deutsche Künstler im Laufe der leßten Zeit geleistet haben, vor- führt, soweit das in dem engen Rahmen, der durch die Verhältnisse gesteckt ist, möglich ist. Jch habe, glaube ih, den Herrn Vorredner auch richtig dahin verstanden, daß er der Ueberzeugung ist, daß heute eine Organisation, wie sie in seiner Resolution vorgeschlagen wird, für die rômishe Ausstellung nicht mehr durchführbar sein würde; er hält es nur für wünschenswert, uns dur eine derartige, heute zu be- \{chließende Resolution für die Zukunft den Weg zu weisen, den wir zu gehen haben. Meine Herren, ih möchte gerade unter diesen Um- ständen vor ‘der Annahme der Resolution warnen und Sie dabei an die Wirkung der Resolution erinnern, die Sie aus Anlaß der Aus- stellung von St. Louis gefaßt haben. In St. Louis hatte man der Allgemeinen deutshen Kunstgenossenschaft das ganze Arrangement der Ausstellung übertragen. Eine große Majorität dieses hohen Hauses war der Meinung, daß das ein Mißgriff gewesen sei, und es beschloß infolgedessen, wie der Präsident ausdrücklih festgestellt hat, mit großer Mehrheit: „den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, bei der Ver- teilung des Fonds zur Unterstüßung der deutshen Kunst, Kapitel 7a Titel 4a der fortdauernden Ausgaben, die verschiedenen Richtungen der deutshen Kunst auf dem Gebiete der Malerei und Skulptur nah gerechten Grundsäßen zu berücksichtigen.“ Nun, meine Herren, wir sind redlih bestrebt gewesen, unter den gegebenen Ver- bältnissen den damals geäußerten Wünschen des Neichstags zu ent- sprechen; aus den Darlegungen des Herrn Vorredners ersehe ih zu meinem Bedauern, daß es uns nur in beschränktem Maße ge- lungen ist.

Aber Sie müssen berücksihtigen, daß es sich hier um eine Aus- stellung handelt, die niht mit dem Maßstab gemessen werden kann, wie eine große Ausstellung, auf der 2- bis 3000 Bilder ausgestellt werden, und bei der neben den künstlerishen in gleiher Weise au die wirtschaftlichen Interessen in Frage kommen. Cine solche Aus- stellung hätte man vielleiht unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte, die der Herr Vorredner soeben angeführt hat, arrangieren können. Aber es handelt sich im vorliegenden Falle um eine beschränkte Aus- stellung; es sollen nur etwa 300 Bilder vorgeführt werden. Diese 300 Bilder sollen einen Gesamteindruck von dem geben, was die deutshe Kunst im Laufe der leßten 10 Jahre geleistet hat. Wir werden aljo genötigt sein, einen niht unerheblichen Teil dieser Bilder aus Privatbesiy, aus Galerien zu nehmen, in die inzwishen die hervorragendsten künstlerishen Leistungen der legten Jahrzehnte übergegangen sind. Dieser rein repräsentative Charakter der Ausstellung, neben dem die Nücksiht auf den Absay zu- rüdtritt, die engen Grenzen, die ihr gesteckt sind, und der Zweck, ein wirksames Gesamtbild vorzuführen, nötigen uns dazu, das Arrangement in eine Hand zu: legen, und haben es uns ferner, in Uebereinstimmung mit allen verbündeten Regierungen ‘und mit den Wünschen, die von hrer Seite früher vorgetragen wurden, zweckentsprehend erscheinen lassen, die Ausstellung nach Kunstzentren zu gliedern in der Weise, daß unter einem Generalkommissar von jedem der in Betracht kommenden - Zentren : ein - besonderer Kommissar - gestellt / wird, ‘und zwar durch die betreffenden ‘Regierungen. “Dementsprechend ift’ be-

stellt ‘als Generalfkfommissar und zugleich als Kommissar für das Kunstzentrum Berlin Professor Kampf. Ihm stehen zur Seite für Düsseldorf der Direktor der dortigen Kunstakademie Professor RNoeber, für München der Akademieprofessor Karl Marr, für Dresden

der Bildhauer Professor Diet, für Stuttgart Professor Landenberger

und für Karlsruhe Professor Schönleber. Das sind Namen, die dafür bürgen, daß die Auswahl der wenigen Kunstwerke, die überhaupt zur Ausstellung gebracht werden können, mit voller Objektivität und ohne Voreingenommenheit gegen die eine oder andere Person, gegen die eine oder andere Kunstrichtung erfolgt.

Das ist das Ziel der Ausstellung. Ich bin überzeugt, daß wir dieses Ziel auf einem anderen Wege niht würden erreichen können.

Ich habe übrigens inzwischen auf Grund der Ausführungen, die

in Ihrer Budgetkommission gemacht sind, die Kommission selbst, die.

Kommissare der einzelnen Kunstzentren über die von Ihnen auf- geworfenen Fragen gehört. Dabei sind die Herren nah eingehender Debatte einstimmig, obwohl sie do ganz verschiedenen Kunstrichtungen angehören, zu der Ueberzeugung gekommen, daß auf einem anderen Wege, als dem von der Regierung vorgeschlagenen, im vorliegenden Falle das Ziel niht würde erreiht werden.

I möchte Sie also dringend bitten, meine Herren, unter diesen besonderen Verhältnissen von der Annahme einer Resolution abzu- sehen, die wie die Herren Antragsteller selbst anerkennen nit für beute, sondern eventuell nur für die Zukunft eine Direktive bieten würde, eine Direktive, die uns wahrscheinlich bei der nächsten Ge- legenheit keine Erleihteruug, sondern im wesentlichen nux Schwierig- feiten bieten würde. (Sehr richtig! in der Mitte.)

Im übrigen betone ich nochmals werden selbstverst#tdlih die einzelnen Kommissare innerhalb der ihnen überwiesenen Kreise in einer angemessenen Fühlung mit den führenden Männern der Künstler- schaft die Auswahl der Kunstwerke bewirken, die in Nom zur Aus- stellung gelangen sollen.

Hierzu möchte ih aber noh eins bemerken. Ich gkaube, es ist eine irrtümlihe Auffassung, wenn der Herr Vorredner meint, wir hätten uns den italienischen Wünschen und den italienishen Forde- rungen mehr gefügt, als im Interesse unserer Würde und unserer Künstlershaft zu wünschen gewesen wäre. Das ist niht rihtig. Wir haben selbstverständlih, entsprehend den bundesfreundlichen Be- ziehungen, die zwischen Jtalien und Deutschland bestehen, die Einladung der italienishen Regierung angenommen. Wir haben uns auch dem all- gemeinen Rahmen der Ausstellung eingefügt. Wir haben aber

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das mölhte ih betonen alle mit den besonderen Verhältnissen unseres Kunstlebens unvereinbaren Bestimmungen des italienischen Reglements eliminiert. Wir haben namentlich verhindert, daß irgend welche Neben- oder Sonderausstellungen stattfinden können, und wir haben durdhgeseßt, daß, wenn deutsche Gemälde ausgestellt werden, sie aus- \{ließlich im deutschen Pavillon ausgestellt werden; \{ließlich haben wir uns völlige freie Hand im Arrangement der Ausstellung inner- halb dieses Pavillons vorbehalten. Jch kann also wohl fagen, daß diese Ausstellung in voller Selbständigkeit und unter voller Wahrung der in Betracht kommenden deutshen Interessen von statten gehen wird. (Beifall.)

Abg. Freiherr von Hertling (Zentr.): Die Angabe, daß die Aus- stellung zur Feier der 50jährigen Einheit Italiens veranstaltet werden soll, erweckt zunächst chronologishe Bedenken, denn 1861 gab es noch kein einheitliches Jtalien, sondern erst 1870. Weiter ist es niht einmal die italienishe Regierung, von der der Anstoß zu dieser Ausstellung ausge. Der Ausgangspunkt. ist vielmehr die römishe Munizi- palität, die das alte, geschichtlihe Nom immer zurückdrängt und zu einer nüchternen, modernen Stadt machen will, aber wenn selbst Oesterreih-Ungarn, in dem viel unangenehmere, geschihtlihe Erinne- rungen hervorgerufen werden müssen, die Ausstellung beschickt, so fönnen wir nicht zurückstehen. Wir würden dagegen nicht gut tun, die Nesolution anzunehmen; sie würde einen Sieg der Sezession bedeuten. Dem RNeichskommissar, gegen dessen Person kein Einwand zu erheben ist, fällt eine unmöglihe Aufgabe zu. Wir haben seit Jahren einen Fonds für die Unterstüßung internationaler Ausstellungen , werden uns aber überlegen müssen, ob wir ihn in dieser Form heibehalten. Es wäre abzuroarten, ob es der Künstlerschaft nicht gelingt, sich selbst zu einer Organisation zu vereinigen, der dann die Veranstaltung solcher Ausstellungen überlassen bleiben könnte.

Abg. Bindewald (wirtsch. Vgg.): Ich bitte, der Resolution zuzustimmen, denn dur die beiden genannten Organisationen werden alle Richtungen repräsentiert. Es würden auch die Sezessionisten an- erkannt werden, und so würde es möglich sein, daß die Künstlerschaft sich zusammens{ließt und auch als solhe eine Ausstellung ver- anstalten kann.

Abg. Dr. Südekum (Soz.): Auch wir bitten, die Nesolution an- zunehmen. Eine Gleichberehtigung der, verschiedenen künstlerischen Bestrebungen muß anerkannt werden. Dèr Standpunkt des Freiherrn von Hertling und seine gewundenen Erklärungen sind nur aus der Stellung des Zentrums als regierender Partei zu verstehen. Der Sturz des italienishen Räuberregiments kann nur vorbildlih fein für alle anderen Völker, die um ihre Freiheit zu ringen haben.

Abg. Kir\ch(Zentr.): Der Abg. Freiherr von Hertling hat ausdrücklich erklärt, daß wir uns im großen und ganzen nicht für die Ausstellung er- wärmen können, weil der Zeitpunkt historisch nit rihtig gewählt sei. Daß die Sozialdemokraten über die fogenannte Befreiung Italiens erfreut sind, wundert uns nicht, aber ob diese Erinnerungen gerade zeitgemäß sind und das freundschaftlihe Verhältnis zwischen Deutschland und Italien fördern, erscheint zweifelhaft. Durch die Nesolution sind nicht die richtigen Mittel gegeben, um alle Rich- tungen zu ihrem Recht kommen zu lassen. Denn neben den beiden großen stehen noch kleinere Kunstorganisationen. Es ist viel richtiger, wenn wir uns für die Bildung einer Jury volle Freiheit vor- behalten.

Die Resolution wird gegen einige wenige Stimmen ab- gelehnt.

Jm außerordentlichen Etat werden 2 Millionen zur Förde- rung der Herstellung geeigneter Kleinwohnungen für Arbeiter und geringbesoldete Reihsbeamte (im vorigen Jahre 4 Millionen) gefordert. C A Win ba;

Abg. Dr. Jaeger (Zentr.) beanstandet die geringe Höhe der Summe und hält cs für erforderli, daß Reserven vorhanden sind, um Gelände ankaufen zu können. L ua

Abg. Dr. Weber (nl.): Diese Position ist die einzige, durch die das. Reich vorbildliche, praktishe Sozialpolitik treiben kann, und ausgerehnet hieran nimmt der Schaßsekretär einen Abstrih vor. Wenn auch noch eine Reserve von 2 Millionen vorhanden i}, fo bitte ih doch, im nächsten Jahre die Summe von 4 Millionen wieder voll zu bewilligen, die wir an. sih noch nicht einmal für ausreichend halten. Der kleine Zinsverlust, der die einzige Aufwendung des Reiches bildet, wird S durch die sanitären und sozialen Vor- teile ausgeglihen. Wir nüfsen vor allem für einen Ausbau des Erb- baurectes sor en. Mir haben die Bitte um eine Denkschrift unter- breitet, und ih frage, wann. wir. diese erwarten dürfen. Die Frage ist außerordentli \{wierig, und wix brauchen die Daten, aus denen wir Rückschlüsse ziehen können auf die Gründe, aus denen das Erbbaurecht bei uns in Deutschland keine weitere Ausdehnung gefunden hat. Gs müßten Mittel und Wege gefunden werden für ‘die Beschaffung

von Hypotheken auf Gelände im Erbbaureht. Der kleine Betra von D Pillionen fann übrigens au} vom Hausbesigerstand it

eel angesehen werden. : Abg. Dr. Südekum (Soz.): Das Neichsamt des. Innern hätte

beachten müssen, daß die Verminderung dieses Fonds einen sehr {lehten Eindruck macht. In der Tat hatte denn auch die öffentliche Meinung, soweit sie die Aen betrifft, mit Jubel darauf hin- gewiesen, daß das Reich von seinem Vorgehen in der Wohnungs- Msovas zurückgekommen zu sein heine. Der Reichstag O st einheitlih erklären, daß das Neih nah wie vor für die Wohnungs- beshaffung für seine Beamten und Arbeiter möglichst große Mittel aufwenden mud, damit die Wohnungsfürsorge niht ins Stocken erät. Der Notwendigkeit einer Ausgestaltung des Grbbaurechts stehe ih nicht abweisend gegenüber, messe ihr aber nicht die gleiche Bedeutung zu wie der Vorredner. Es müßten immer wieder die Gemeinden auf ihre Verpflichtungen Hinsichtlih der Bodenpolitik hingewiesen werden. Es ist ein öffentlicher Skandal, wie in diefen Dingen mit der Gesundheit der Bevölkerung umgegangen wird. Um einer lächerlihen Prachtstraße willen, die auch nicht den Schein von Sinn und Verstand hat, vershandelt man Berlin, überliefert man die besten Stücke des Grunewalds der Spekulation. Unser Straf- gesezbuch kennt für die einfahsten Vergehen sehr harte Strafen, aber hier wird unter der Aegide einer Gemeinde geradezu auf die Ver- nichtung der Volkskraft hingearbeitet. Der Fluh fTommender Generationen wird sich an den preußischen Landwirtschastsminister und seine Räte hängen, die für eine gelunde Wohnungöpolitik jede Möglichkeit abgeschlossen haben. Das Reich follte niemals auch nur den Verdacht auf sich lenken, ob es auch nur einen Schritt zurück- ginge auf dem Wege, auf dem es so bescheiden vorgegangen ist. Jch frage schließlich die Regierung, welche Ermittelungen angestellt find in dem vom Abg. Ledebour zur Sprache gebrachten Falle der Kolonien Schellmühle und Neu-Schottland bei Danzig, die unter Wasserschäden leiden.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern Delbrü:

Meine Herren! Ich bin der Meinung, daß das Reich bis auf weiteres niht davon wird absehen können, für das Wohnungsbedürfnis seiner Arbeiter und minder besoldeten Beamten in der bisherigen Weise zu sorgen. Ih habe aber im laufenden Jahre in eine Ver- ringerung dieser Position willigen können, weil nah den Erfahrungen der lezten Jahre nicht mehr als 4 Millionen pro Jahr verbraucht worden sind, und außer den 2 Millionen, die Sie im Etat finden, weitere 2 Millionen eine Ersparnis aus früheren Jahren vor- handen waren, sodaß nah meiner Ansicht im kommenden Etatsjahre genau so wie in den früheren Jahren für das Wohnungswesen unserer Arbeiter wird gesorgt werden können. Ih werde dafür sorgen, daß auch in Zukunft dieser Titel in einem Umfange ausgestattet wird, der den Bedürfnissen entspriht. Wie hoch diese Summe im nächsten Fahre sein wird, kann ih heute nicht sagen. Grundsäßlich besteht zwischen mir und Ihnen darin Uebereinstimmung, daß diese Aufgabe vom Reich nicht aufgegeben werden kann, und zwar nit nur um deswillen nit, weil es fih seinen Arbeitern und Beamten gegenüber nicht weniger fürsorglih zeigen kann, als das unsere Bundesstaaten und unsere Kommunen tun. Sie kann vom Reich auch niht auf- gegeben werden, weil auf diesem Gebiete vom Reiche und von den Bundesstaaten in erster Linie die Vorbilder für eine zweckentsprehende Entwicklung unseres Wohnungswesens geschaffen werden können und geschaffen werden müssen, und weil ja das hat ja einer der Herren Nedner \hon hervorgehoben das Reich in erster Linie in der Lage ist, au nah der wirtschaftlihen Seite hin Fragen wie das Erb- bau recht usw. auszuprobieren und zu studieren.

Nun \tehe ih nicht auf dem Standpunkte des Herrn Abg. Dr. Weber. Ich glaube nicht, daß wir uns in bezug auf die Bedeutung des Erbbaurechts an den englishen Verhältnissen ein Muster nehmen fönnen. Dort hat sich das Erbbaureht unter anderen Vorausseßungen entwickelt; es beruht auf ganz anderen historischen Grundlagen als bei uns und hat infolgedessen auch andere wirtschaftliche Funktionen be- fommen, als es nach meiner Ueberzeugung bei uns wird erlangen fönnen. Aber die Bedeutung des Erbbaurechts ih beschäftige mich mit diesem Problem seit der Emanation des Bürgerlichen Geseßz- buchs liegt nach meiner Ansicht darin, daß es ein wihtiges Mo- ment für eine gesunde Entwicklung der Grund- und Bodenpolitik des Fiskus und der Kommune ist. Denn nur durch das Erbbaurecht kommen das Reich, die Staaten und die Kommunen in die Lage, sich die Herrschaft über das Gelände, daß sie für Bauzwecke herausgeben, für ewige Zeiten zu sihern. Aus diesem Grunde bin ih allerdings der Meinung muß die Frage der Ausgestaltung des Erbbaurechts mit einer gewissen Sorgsamkeit weiter bearbeitet werden. Die Schwierig- keiten liegen ja hier fast nun aus\{ließlich in der Beleihung des Erb- baurechts. (Sehr richtig! links.) Das haben die Anfragen "ergeben, die an die verbündeten Regierungen aufg Grund der Anregung des Reichstags aus dem Jahre 1907 ergangen sind; und das er- geben die Erfahrungen, die ih seit nunmehr beinahe 10 Jahren auf diesem Gebiete immer von neuem selbst gemacht habe. Ich habe aber inzwischen, um diese Frage zu klären, ein Gutachten des Deutschen Zentralverbandes für Banken und Bankiergewerbe erhalten, das eine Menge {chäßenswertes Material über die Frage enthält. Ich hoffe, Ihnen die gewünschte Denkschrift im Herbste dieses Jahres oder im Laufe des nächsten Winters vorlegen zu können.

Ich glaube, auf die anderen Fragen des Wohnungswesens, die hier erörtert worden sind, heute niht eingehen zu sollen. JIch wieder- hole also: Ich bin der Ansicht, daß das Reich nicht auf die Betäti- gung auf dem Gebiete der Wohnungsfürsorge verzichten kann, die bisher durch die von Ihnen bewilligten Mittel möglich gewesen ist. Ich bin aber der Ansicht; daß man die Beträge des einzelnen Jahres abhängig machen kann von den Bedürfnissen und der Finanzlage des Neiches. Ich glaube, wir können für das kommende Etatsjahr die- selben Mittel aufwenden, wie wir sie bisher aufgewendet haben. Ueber das Erbbaureht wird Ihnen hoffentlich demnächst eine Denkschrift vorgelegt werden können. (Abg. Ledebo ur: Und wie steht es mit der Danziger Angelegenheit?) Die wird mein Referent hbeant- worten, da ih über die Details nicht orientiert bin.

Direktor im Reichsamt des Innern Ju st: Wir haben in dem vom Abg. Ledebour zur Sprache gebrachten Fall Untersuchungen angestellt. Bis dahin war uns von Uebelständen nichts bekannt gegeben worden, Gs hat sich herausgestellt, daß die Angaben, die einem Artikel der „Danziger Zeitung" entnommen waren, der die Mißstände auf die Wassrverhältnisse des Strießbachs zurückführt, doch der tatsächlichen Unterlage entbehren. Die Rer ane des Strießbachs hängen niht damit zusammen, nur in zwei Wohnungen hat sih Feuchtigkeit in den Kellern gezeigt, gesundheitsnachteilige Folgen! sind nicht zu befürchten.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

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L Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

Berlin, Montag, den 7. März

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ein Kommissar des Reichs\chaßzamts bemerkt, das Neichsschaßz- amt habe {hon wiederholt erklärt, auf eine allmählihe Verminderung des Extraordinariums hinwirken zu müssen. Bei anderer Gelegenheit werde hierauf eingegangen werden.

Abg. Dove (fr. Vgg.): Auch wir bedauern, daß die für diefen Zweck ausgeworfenen Mittel durch die Finanzlage berührt sind. Hier ist Sparsamkeit nicht angebraht wegen der Wichtigkeit des Iwecckes und der Geringfügigkeit der Summe. Das Erbbaurecht ist bisher tatsählich ein toter Buchstabe gewesen. Die Wichtigkeit einer gesunden Bodenpolitik is viel zu wenig erkannt. Wir haben bereits dur das Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen eine gewisse Sicherheit auf den Hypothekenmarkt gebraht. Vor allem aber müßten die Grundbesiterprivilegien beseitigt werden. Wenn die Hälfte der Stadtverordneten Grundbesißer sein müssen, wenn in Hamburg von 160 Bürgerschaftsvertretern 40 von Grundbesißern ge- wählt werden, so können wir uns niht wundern, wenn das Haus- agrariertum \chließlich zu einer Machtstellung gelangt, die einer gesunden Bodenpolitik überall im Wege steht. Wir müssen auch hier unsere verfassungsrechtlihen Grundsaße revidieren und sie den modernen sozialen Verhältnissen anpassen.

Abg. Dr. Jäger (Zentr.) pflichtet den Ausführungen des Abg. Südekum über die Mietskasernen und die verkehrte Bodenpolitik des preußischen Ministeriums im Grunewald durchweg bei.

Abg. Freiherr von Nichthofeu (kons.): Es tritt bei der Position infolge der vorhandenen Reserven in keiner Weise ein Manko ein; dadurch verlieren die hier gemachten Ausführungen doh wesentlih an Boden. An der allgemeinen prinzipiellen Wohnungsfragendiskussion möchte ih mich mit Rücksicht auf die Geschäftslage nicht beteiligen.

Abg. Erzberger (Zentr.): Ich bin leider nicht in der Lage, an der überaus scharfen Kritik, die der Abg. Südekum geübt hat, das geringste auszuseßen. Wir kommen nicht weiter, wenn uns nicht in absehbarer Zeit ein Reichswohnungsgeseß vorgelegt wird; das ist das dringendste soziale Bedürfnis des Tages. Deshalb bedauere ih auch sehr die ablehnende Haltung des Staatssekretärs auf diesem Gebiete. Was ist aus dem vorbereitenden Entwurf geworden? Nicht einmal das Minimum an gesundheitlihen Garantien auf dem Wohnungsgebiete ist bisher Geseß geworden. In der Wohnungs- politik können wir nicht vom Flecke kommen, solange noch die einzelnen Staaten Einrichtungen haben, die einer längst vergangenen Zeit angehören, wie das Hausbesißerprivileg in den Gemeinden. Die Haus- besißer sind ja in der Negel auch die Grundstücksspekulanten; wie fann man erwarten, daß diese Herren gegen ihre cigenen Interessen entscheiden werden? Berlin liefert nur noch 20 9%/ taugliche Ge Allein {on die Erhaltung der Wehrkraft des deutschen Volkes verlangt, daß hier endlih einmal ein kräftiger Schritt geschieht. Dem Streih mit der Prachtstraße durch den Grunewald mit thren fechs\öckigen Häusern dürfte bald der zweite mit der Bebauung des Tempelhofer Feldes folgen. Wir müfsen für hinreichende Garantien gegen Spekulationen und für die Schaffung von genügend Luft und Licht für die Bewohner Sorge tragen. Die Wünsche der Hausbesißer haben es nicht ver- schuldet, daß die Kommission sich mit der Verminderung des Fonds von 4 Millionen in diesem Jahre einverstanden erklärt hat; es steht vielmehr fest, daß auch dieses Jahr 4 Millionen zur Verfügung sein werden. Bedenklich ist mir allerdings, ob es mögli sein wird, daß si überhaupt noch neue Baugenof}fenschaften bilden können, wenn, wie nach der Reichsfinanzreform und nah dem neuen Schulden- tilgungsgeseß Vorschrift ist, hon in 30 Jahren die Häuser völlig \huldenfrei sein sollen; eine so starke Amortisation wie 1,9 9% dürften fie nicht ertragen können. In der Neichsversiherungsordnung muß festgelegt werden, welhe Summe die Versicherungsanstalten jährlih für Wohnungszwecke ausgeben müssen.

Abg. Dr. Südekum (Soz.): Daß Baugenossenschaften mit fo hoher Amortisations8quote noch bestehen können, ist ganz ausge- {lossen : nah meiner Meinung gehören aber diese Neichs\ubventionen nit zum werbenden Kavital. Den Verkauf des Tempelhofer Feldes follte sih doch die Militärverwaltung auch aus dem Grunde noch überlegen, daß in naher Zukunft für die Luftschiffahrt große Bahnhöfe nötig sein werden.

Als vierte Rate für die „Erweiterung des Kaiser- MWilhelm-Kanals“ stehen auf dem außerordentlichen Etat des Exrtraordinariums 21 Millionen Mark.

Abg. Dr. Gör ck - Holstein (nl.) weist auf die großen Nachteile hin, die durch die eventuelle Verlegung der Eisenbahnüberführungen über den Kanal entstehen würden, wenn die Hochbrücke an einer anderen Stelle, als zuerst beabsichtigt, gebaut wird, und bittet den Staatssekretär, dem Gedanken einer Entschädigung der dadurch Be troffenen näherzutreten.

Der Titel wird bewilligt, ebenso ohne Debatte die Ein- nahmen. Eine Reihe von Petitionen wird dem Reichskanzler als Material überwiesen.

Damit ist um 11/5 Uhr der Etat des Reichsamts des Jnnern erledigt.

Das Haus geht über zur Spezialberatung des Etats der Kaiserlichen Marine.

Beim Gehalt des Staatssekretärs bemerkt der

Abg. Graf Oppersdorff (Zentr.): Die Sorge des Schaßsekretärs um die Balancierung des Etats für die nächsten 3 Jahre kann nur zu der Mahnung führen, auch im Marineetat den Daumen auf den Beutel zu balten. Nirgends wird, das hat die Kommissionsberatung ergeben, fo aus dem vollen gewirtscchaftet, wie in der Verwaltung der Marine ; das Zulagesystem, der Ueberfluß an höheren Beamten, Abteilungs8- chefs, Dezernenten usw. beweist das. Die Besoldungen im Kriegs- ministerium sind in den leßten 10 Jahren um 40 9/9, bei dem Reichsmarineamt um 89 09/9 gestiegen. Die laufenden Ausgaben find in 4 Jahren von 120 auf 157 Millionen gestiegen und werden weiter steigen, wenn die großen Schiffe mit ihrem größeren De- placement fertig sein werden. Aehnlich beim Extraordinarium. In England werden die Kriegsschiffe bar bezahlt; wir verfolgen eine andere Politik, wir verkürzen zwar die Lebensdauer der Schiffe, aber nit das System, die Schiffe aus Anleihen zu bezahlen. Eigentlich müßten doch diese Bauten von der lebenden Generation bezahlt werden; wir belasten die zukünftige Generation damit. Das Reichs- \chaßzamt sollte mehr Einfluß im Reichsmarineamt gewinnen. G8 muß auch endlich ernstlich nach einem verständigen Modus gesuht werden, das Wettrüsten aus der Welt zu schaffen. Was sagt der Staatssekretär zu diesen Zahlen? Im vorigen Jahre hat er anläßlich der Kieler Debatte gesagt, es sei gelungen, den Nuß- effefkt von Jahr zu Jahr zu steigern und die Geschäftsunkosten zu ver- mindern. Der wirkliche Nuteffekt der Flotte ist das Prestige unserer Flotte; die Rechnung, die der Staatssekretär aufgemacht hat, kann uns nicht überzeugen. Der Kardinalfehler bei der Aufstellung des Marine- etats ist der, daß nit klar ersichtlich ist, welhe Kosten im ganzen in jedem Kapitel eigentlih entstehen. Die Befoldungsausgaben der ein- zelnen Kapitel gehen ineinander über; die Bezüge der einzelnen Stelle müssen bei dem betreffenden Kapitel zusammengestellt und nicht auf andere Kapitel verteilt werden. Cs müßte klar ersichtlich sein, was aus dem Altmaterial eingenommen wird usw. Die Bedürfnisse für die Werften usw. müßten zusammengestellt werden ; sie sind

aber über den ganzen Etat verteilt. Man kommt beinahe auf den Gedanken, daß diese Dunkelheiten nicht unbeabsichtigt sind. Die Werften sollten unangemeldet kontrolliert werden. Der Betreffende müßte so gestellt sein, daß keine bureaukratischen, disziplinaren Ver- hältnisse ihn bei der Kontrolle beeinträhtigen, er müßte sozusagen ohne Üniform und fast ohne Fra sein, kein Assessor. Es ist eine alte Klage, daß das Deutsche Neich mit der Herstellung ausländischer Kriegsschiffe nur spärlich bedacht wird. Die Beseßung der Professuren für Kriegsschiffsbau hängt vom Neichsmarineamk ab, sie sollten aber nur vom Kultusministerium ressortieren. Was den Kanonenbau be- trifft, fo ist die Firma Erhart leider immer noch sehr kümmerlich be- rücsichtigt worden. Das hängt vom preußischen Kriegsministerium ab. Hoffentlih animiert das Reichsmarineamt das Kriegs- mivisterium , diese Firma mehr zur Konkurrenz heranzuziehen. N bezug auf die Panzerplatten besteht immer noch das Monopol der Firma Krupp-Dillingen. Es ist mögli, sogar wahrscheinlich, daß Deutschland au fernerhin die hohen Preise bezahlen muß, die es jeßt bezahlt. Die verbündeten Firmen werden ihre Monopol- A durch Hochhaltung der Preise zu erhalten suchen. Jch habe wiederholt auf die damit verbundenen Gefahren hingewiesen, fo auch im vorigen Jahre in der Budgetkommission, und habe meine Bedenken dem Staatssekretär in der Hoffnung vorgetragen, daß bald eine Aenderung eintreten werde. Nun sind die Verhältnisse mit jedem Vertrage ungünstiger geworden. In den Verträgen steht zwar das Wort Konkurrenz, aber in der Praxis ist sie so gut wie ausgeschlossen. Der Staatssekretär sagte, er lege Wert darauf, daß eine leistungsfähige Konkurrenz für Krupp - Dillingen entstünde. Nun hat sih eine Firma angeboten, in Konkurrenz zu treten, es sind auch Schießversuhe gemacht worden, aber es ist dabei nichts herausgekommen. (8 scheint, daß man die verbündeten Firmen Krupp-Dillingen entweder tief unterbieten oder hoh übertreffen muß, um überhaupt zur Konkurrenz zugelassen zu werden. Uns kommt es nur darauf an, daß überhaupt Konkurrenz möglich ist. Auf die Per- sonen kommt es uns nicht an. Der Staatssekretär scheint aber in diesem Punkte unfrei zu sein, und mit ihm sein Land Tirol. Es gibt nun verschiedene Wege, um eine Abhilfe zu schaffen, einer wäre auch der, daß man von Staats wegen Patente aufkaufte und fie gleichmäßig den betreffenden Lieferanten zur Verfügung stellte; dazu müßten aber Konkurrenten da sein. Es dürften au keine abschreckenden Bedingungen gestellt werden. Gewiß, die Firma Krupp hat ihre großen Verdienste, wir sind \tolz auf sie, aber wir ollten die Vergangenheit niht der Zukunft opfern. Wir müssen aus der jeßigen Lage heraus, die einen gen unangenehmen Bei- geshmack hat. Freiwillig eingeräumte Monopole wirken verteuernd auf die Kriegsartikel. Der Staatssekretär sollte mit starker und geshickter Hand in diese Verhältnisse eingreifen und ih durch feine Lob- und Hilfsaktion davon abhalten lassen.

Staatssekretär des Reihsmarineamts, Admiral vonT irpit:

Meine Herren! Daß der Marineetat eine starke Steigerung auf- weist, wird ja bei der finanziellen Lage des Reichs von niemand un- angenehmer empfunden als von der Marineverwaltung selbst, befonders von dem Staatssekretär. Es ist aber klar, daß, wenn der Zwed erreiht werden foll, den wir erstreben, nämlich eine Flotte zu schaffen, welche eine gewisse Bedeutung hat, die Kosten steigen müssen. Daß die Marineverwaltung sih aber bemüht hat, sich nach der Decke zu strecken und sih den finanziellen Vechältnissen des Reichs anzupassen, das beweist gerade dieser Etat. Das beweist auch der Umstand, daß wir bis jeßt im ganzen um 24 Mill. Mark hinter den Voranfschlägen des Flottengesetzes zurückgeblieben sind.

Wenn der Herr Abg. Graf Oppersdorff tadelnd ausführt, daß wir beiden Schiffsbauten noch Anleihen haben, so möchte ih bemerken, daß im Jahre 1916 die Anleihen aufhören, und der ganze Schiffsbau dann lediglich aus den Steuerbeträgen gedeck werden wird. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Glauben Sie das?) Ferner hat der Herr Graf Oppersdorffff den Nachweis angegriffen, den ih gelegentlih der Inter pellation über die Werftangelegenheit hier gegeben habe, daß der Nuß- effekt beim Marineetat , die Indiensthaltungen prozentual dauernd gestiegen sind, während die Generalunkosten, welche hauptsächlih im Werftbetrieb zum Ausdruck kommen, prozentual gefallen sind. Der Herr Graf von Oppersdorf hat versuht, nachzuweisen, daß wir bei dieser Darlegung insofern einen Fehler zu unseren Gunsten gemacht hätten, als wir beim Werftkapitel nur die Titel 8, 9 genommen haben, während wir beim Kapitel 52 das ganze Kapitel genommen haben. Worauf kommt es bei dem Beweise denn an, den wir führen wollten? Es kommt lediglih auf das prozentuale Steigen und Fallen an, und das wird nicht geändert, wenn wir noch einige Titel dazu nehmen, es ift nur der Unterschied, daß die Kurven dann von vornherein etwas höher fein würden. Aber der springende Punkt der ganzen Frage liegt

sinken. Ich habe ferner bewiesen, daß die Werften heute rationeller arbeiten durch die Tatsache, daß wir unsere Neubauten von Jahr zu Jahr billiger pro Tonne hergestellt haben. Der Herr Graf Oppers dorf hat dann ausgeführt, das Reichsmarineamt bildete für die Departementsdirektoren nur einen Durchgangsposten. Es ist ja au eine ähnliche Behauptung in der Budgetkommission ausgesprochen. Fh habe mir nun die Departementsdirektoren zusammenstellen lassen, die im Amte gewesen sind, solange ih die Ehre gehabt habe, dem selben vorzustehen. Es sind im ganzen 19 Departementsdirektoren. Der Durchschnitt der Zeit, in der die Departementsdirektoren bezw. die selbständigen Abteilungschefs im RNeichsmarineamt gewesen sind, beträgt 44 Jahre. Das ist für die Marine eine ret lange Zeit, denn Sie müssen bedenken, daß wir in der Marine nicht, wie es in der Armee möglich ist, die Herren auf eine längere Reihe von Jahren von der Seefahrt fernhalten dürfen. Die Dffiziere müssen zurück, weil sie in praktisher Fühlung mit der Seefahrt bleiben müssen, um -die große Verantwortung tragen zu können, die ihnen zufällt. Von diesen 19 Herren sind 8 Departementsdirektoren in die Front zurückgetreten, 5 sind noch im Amte, und nur 6 sind vom Marineamt. aus pensioniert worden. Wenn Sie berücksichtigen, daß es sih im allgemeinen nur um höhere Offiziere handelt, Vize- admirale, so ist das dem Verhältnis nah eine geringe Zahl. Die Behauptung also, daß das Marineamt nur eine Durchgangsstelle sei, ist, wie ih nachgewiesen habe, unrihtig. Der Herr Graf von Oppers- dorf hat gefordert, wir sollten eine andere Aufstellung des Ctats vornehmen, wir sollten das ganze Personal in einen Topf zusammen- {meißen und sollten niht, wie wir es jeßt getan haben, die ein- zelnen Branchen bei der Artillerie, dem Torpedowesen 2c. anführen, sondern es sollte ganz anders sein, ungefähr so, wie es im englischen

Etat ist. Jch glaube, wenn wir das täten, würden wir einen außerordentlih unklaren und unübersichtlichen Etat bekommen. Ich möchte dabei bemerken, daß gerade in England in den Fachblättern die Klarheit unseres Etats besonders hervorgehoben wird. Ih weiß nicht, ob es dem Herrn Grafen Oppersdorff bekannt ist ; es ist ein längerer Aufsaß, ein Appell an die Admiralität, den Etat ähnlich dem deutschen auf- zustellen. Im Interesse der Uebersichtlihkeit und Klarheit des Etats hatte auch Frankreih in diesem Jahre beabsichtigt, seinen Etat nah unserem Muster aufzustellen; aus Mangel an Zeit ist das aber nicht möglich gewesen.

Ich möchte an einem Beispiel die Konsequenzen nahweisen, die es hätte, wenn man dieser Anregung des Herrn Grafen Oppersdorff Folge leistete. Wenn man z. B. das Kapitel 60 nach dem englischen Etat einrichtete, so würden die einmaligen Ausgaben mit den fort- laufenden Ausgaben zusammenkommen das ist nämlich das Charakteristikum des englishen Etats —; und es würden, wenn man den Vergleiß machen will mit den entsprechenden englischen Kapiteln, von unserem Etat zusammengeworfen werden Kapitel 60, Instandhaltung der Werften, Kapitel 52,3, Betriebsmaterial, Kohlen usw. für Indiensthaltung ; ferner kämen zusammen Kap. 6, Neubauten und Umbauten, und Kap. 6, maschinelle Einrichtungen ; dazu sonstige einmalige Ausgaben. In Summa würde ein Betrag von 323 Millionen in einem einzigen Kapitel enthalten sein.

Und diese 323 Millionen sind deckungsfähig in sich. (Hört, hört! rechts.) Die Deckungsfähigkeit im englishen Etat geht ja noch viel weiter; nach der appropriation act ist es dem Kabinett erlaubt, bei Mankos in einzelnen Kapiteln die Deckungsfähigkeit eintreten zu lassen, wenn in anderen Kapiteln Uebershüsse vorhanden sind; mit anderen Worten : im englischen Etat ist mit großer Virtuosität eine allgemeine Deckungsfähigkeit erreicht. Das ist geschehen, weil man das in Eng- land für wirtschaftlich hält. Jch glaube nicht, daß ih mit diesem Prinzip des englishen Etats auf das doch dem Wesen nach der Herr Abg. Graf Oppersdorff hingewiesen hat hier im Reichstag sehr viel Glück hätte, obgleih ich auch glaube, daß es ein wirtschaftlich gutes Vorgehen sein würde.

Der Herr Abg. Graf Oppersdorff hat ferner auf eine Be- merkung hingewiesen, die ih in der Budgetkommission gemacht habe: daß wir den Assessor haben müssen. Ich habe den Aus- druck selbstverständlichß nit in dem Sinne angewandt, in dem er manchmal gebraucht wird, sondern ih habe es in dem Sinne gemeint : wir können voll durchgebildete Verwaltungsbeamte niht entbehren gegenüber den Technikern. Das habe ih damit sagen wollen. Selbst- verständlich ist es wünschenswert ih habe das ja in der Budget- kommission ausgeführt —, daß wir dieses Personal, soweit möglich, faufmännisch ausbilden. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß wir unsere Verhältnisse und Einrichtungen doch nicht glatt mit den ameri- fanischen vergleihen können. Dort liegt es ganz anders. Uebrigens haben bei uns doch auch viele große Privatinstitute einen Juristen an der Spite, so die Deutsche Bank, die, wenn ih nicht irre, von einem Juristen gegründet worden ist, die Dresdner Bank usw.

Der Herr Abgeordnete hat ferner bemängelt, daß die Professuren für Kriegsschiffsbau an den Technischen Hochschulen vom NReichsmarine- amt abhängig seien. Da is er durchaus nicht rihtig unterrichtet. Auf die Besetzung der Professuren an den Technischen Hochschulen Charlottenburg und Danzig hat das NReichsmarineamt gar keinen Einfluß. In Berlin dozieren zwei inaktive Beamte von uns, und in Danzig haben wir auf Bitten des Kultusministeriums die Ge- nehmigung gegeben, daß zwei von unseren Beamten dort ebenfalls Vor- lesungen halten. Daß der Kriegsschiffsbau auf Hochshulen von solchen gelehrt und vorgetragen wird, die den Kriegschifsbau selber betrieben haben, also mit anderen Worten : aus der Kriegsmarine hervorgegangen sind, versteht sich von selbst. Daran kann man nichts ändern. Aber einen Einfluß auf die Beseßung hat das RNeichs- marineamt in keiner Weise.

Nun ist der Herr Abg. Graf Opperédorff auf die Frage. Krupp- Marineverwaltung eingegangen. Bezüglich der Artillerie hat er sich ja etwas kurz gefaßt und hat mir nur nahegelegt, ih sollte doch auf meinen Kollegen vom Kriegsministerium einwirken, daß die Firma Ehrhardt mehr in den Vordergrund käme. Ja, darauf habe ich feinen direkten Einfluß. Die Entscheidung darüber muß ih meinem Kollegen im Kriegsministerium überlassen. Die Marineverwaltung ist an Ehrhardt herangetreten und hat ihm ganz direkt ein Geschüß bestellt, und zwar dasjenige, welches Ehrhardt glaubte liefern zu können. Es war ein 8,8 - Geschüß. Wir baben ihm im Jahre 1904 den Auftrag gegeben und haben dringend gewünscht, ein solhes Geschüß zu bekommen. Wir warten heute noh auf das Geshüß. (Hört, hört! links und rechts.) Was nun die Panzerplatten anbetrifft, so möchte ih zunächst das bestätigen und unterschreiben, was der Herr Abg. Graf Oppersdorff im Anfange seiner ausgezeichneten Rede sagte. Er sagte: in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf. Ich unterschreibe das durhaus und glaube auh nachweisen zu können, daß bezüglih der Panzerplattenangelegen- heit die Reichsmarineverwaltung gerade keine Gemütlichkeit ge- zeigt hat. (Na, na! bei den Sozialdemokraten.) Jch möchte dazu zunächst bemerken, daß es sich hier um einen durdaus berechtigten Materiallieferungsvertrag handelt. Ich bin nit ganz sicher, ob der Graf Oppersdorff diese Berechtigung hier angezweifelt hat. Er hat es im vorigen Jahr in der Budget- kommission getan. Ih möchte nur bemerken, daß es sih hier um einen Ueferungsvertrag handelt, wie um jeden anderen, und daß keine Garantien für eine Bestellung gegeben sind. Nur wenn wir bestellen, würde Krupp-Dillingen nah den Verträgen beranzuziehen sein. (Nufe in der Mitte und bei den Sozialdemokraten : Aus- gezeichnet!)

Nun mödte ih auf die Frage der Verträge, die eine so breite Rolle bei den Darlegungen des Herrn Grafen Oppersdorff gespielt hat, etwas näher eingehen, weil es niht anders möglih ist. Wir haben nah Bewilligung der Flottengeseße vor Preisen gestanden, die damals {on verhältnismäßig niedrig waren,