1910 / 58 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Mar 1910 18:00:01 GMT) scan diff

„deutsche Zustände“. Bald wird der deutshe Name als Spezifikum für Schlamperei angeführt werden. Jch protestiere ganz entschieden gegen die Auffassung des Abg. Dr. Weber, als ob uns nicht ernste Bestrebungen bei unseren Bemängelungen leiteten. Ich bin in der erfreulichen Lage, beweisen zu fönnen, daß der Geheimrat Harms uns niht richtig berichtet hat. JIch mache ihm daraus keinen Vorwurf, denn er bekommt ja keine anderen Berichte. Er meinte aus dem Gutachten des Torpedodirektors müßten wir erkennen, daß die Marineverwaltung wirklich um die Abstellung von Mißständen bemüht sei und nicht engherzig gegenüber den Arbeiteraus\{hüssen verfahre. Das klingt sehr s{chön, ist aber nicht richtig. Einen Monat, nachdem das Gutachten erstattet war, ist ein Restortbefehl ausgegeben, der nichts anderes bezweckte, als die Tätigkeit der Arbeiteraus\hüsse aufs neue einzushränken. Jch lege das Original auf den Tisch des Hauses nieder. Der heute vom Geheimrat Harms ins Feld geführte weitere Bericht von dem Vorstande der Betriebs- krankenkasse der Danziger Werft beweist gar nihts gegen meine Behauptungen über den Fall Gerloff. Denn dem Vorstande waren ja die Gerichtsakten gar nicht bekannt. Tatsächlich ist Gerloffs Entlassung nur erfolgt, weil er sich erkühnt hat, Mißstände auf der Werft zur Sprache zu bringen. Daß die Marineverwaltung von Arbeitsuchenden überlaufen wird zur Zeit der wirtschaftlichen Krise, ist ein Argument, mit dem jeder Privatunternehmer die Güte seines Betriebes beweisen könnte. Denn die Arbeiter müssen leben und suchen zu s\olhen Zeiten irgendwo unterzukommen. In bezug auf § 616 B. G.-B. bin ih do etwas genauer informiert als der Geheimrat Harms. Die von ihm itierten Vorschriften in der Arbeitsordnung sind ebensowenig zwingendes Recht wie der § 616 selbst, und eine Anzahl von Verfügungen der Werftverwaltungen haben die betreffenden Bestimmungen der Arbeitsordnungen direkt außer Kraft geseßt. Wenn Arbeiter als Geschworene zu fungieren haben, so bekommen sie au nur die Hälfte ihres Tagelohns. Die CGrweiterung des Ferienurlaubs wird unter Hinweis auf die großen Mehrkosten abgelehnt. Schon allein wenn sparsamer mit der Ausstattung der Hohenzollern umgegangen würde, würden sih die Mittel für eine Ausdehnung des Urlaubs beschaffen lassen. Der Geheimrat Harms hat uns mitgeteilt, was aus dem Wasser noch herausgefischt ist, wie viel aber noch darin ist, darüber hat er uns Näheres nicht gesagt. Ich habe mich in der Kommission erboten, mitzuwirken, und auch heute noch erkläre ih mich dazu bereit, wenn die Marineverwaltung mir die Ermächtigung dazu erteilt. Bereiten Sie mir doch diese Blamage! Ih bin gern bereit, die Kosten zu bezahlen, wenn ich zugezogen werde. Schicken Sie mich als Beauftragten des Reichstags dorthin, ich würde dann schon die Anordnungen treffen, die der Geheimrat Harms auszu- führen für unmöglich hält. Man würde dann schon die Gegenstände finden und auch feststellen können, zu welhem Zwee sie versenkt sind. In Danzig pfeifen es die Spaten von den Dächern, daß meine Aus- führungen richtig waren, ja, daß ih mich noch großer Reserve be- fleißigt habe, das behaupte ih troß dem Abg. Mommsen, der der Ver- waltung beispringt, ohne sich an Ort und Stelle erkundigt zu haben. (Zuruf des Abg. Mommsen. Präsident: Ih bitte, den Redner niht durch Unterbrechungen zu längeren Aus- führungen zu veranlassen!) Wenn der Abg. Weber die Ein- rihtung der sozialdemokratishen Parteibetriebe auf die Werftbetriebe übertragen helfen will, dann wird er dabei unsere Unterstüßung finden, dann werden die Werftbetriebe wirklich Musterbetriebe werden.

Geheimer Oberjustizrat Frenken: Es ist gefragt worden, warum der Erste Staatsanwalt erst kurz vor dem “Térinin mit der Ver- tretung der Anklage in Kiel betraut worden ist. Die Sache ist sehr einfah. Ein Vertreter war ursprünglich überhaupt niht Aus- siht genommen. Es trat aber die Befürchtung ein, daß der Staats- anwalt, der die Sache bearbeitet hatte, von der Vertretung der An- klage zurüdcktreten mußte, weil er als Zeuge benannt werden konnte. Da mußte ein Ersaßmann geschaft werden, und selbstverständ- lich wurde derjenige gewählt, der die größere Erfahrung im Dienste hatte. :

Abg. Struve (fortichr. Volksp.): Es liegt durchaus nicht an uns und dem Abg. Mommsen, daß die Untersuhung in Danzig fo negativ ausgefallen ist. Jn den Ausführungen des Vertreters der Justizverwaltung liegt eine herbe Kritik des formellen Verfahrens in dem Kieler Prozeß.

Geheimer Oberjustizrat Frenken legt gegen diese Folgerung Verwahrung ein.

Damit {ließt die Diskussion. Die Resolution Albrecht wird gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.

Zu außerordentlichen Vergütungen für besonders hervor- ragende Leistungen T dem Gebiete des Schiffs- und Schiffs- maschinenbaues sowie des Waffenbaues sind in diesem Kapitel 25 000 6 ausgeworfen; der Fonds zu Remunerierungen von Hilfsarbeitern und zur Gewährung von Zulagen ist um 10 550 46 auf 1 017 890 6 erhöht. Die Kommission hat hier 8250 4 abgestrihen und die verlangte Vermehrung des Hilfspersonals abgelehnt.

Abg. Dr. Struve (fortshr. Volksp.) ersucht die Verwaltung, in jedem Falle den sämtlichen Beamten - mitzuteilen, welcher ihrer Kollegen und aus welhem Anlaß er eine solche außerordentliche Vergütung erhalten hat, und tritt dann für grohere Berücksichtigung der Bureaugehilfen und anderer Kategorien von Unterbeamten ein.

Das Kapitel wird nach den Kommissionsvorschlägen be- willigt.

Unter den Ausgaben für das Torpedowesen ist zu Torpedoschieß-, Sprengdienst- und Funkentelegraphieübungen ein Betrag von 897 000 #4 ausgeworfen, 300 000 4 mehr als im Vorjahre.

Abg. Struve (fortschr. Volksp.) bemängelt die große Zahl der Blindganger bei den Torpedoschießübungen.

Staatssekretär des Reihsmarineamts, Admiral von Tirpigt:

Meine Herren! Jch möchte mih über die Zahlen der Torpedo- {hüsse hier im Plenum nicht gern auslassen. Jch bin aber gern bereit, dem Herrn Abg. Struve eingehende Mitteilungen zu machen, wenn er es wünsht. Die Sache liegt so, daß die Torpedoschieß- übungen auss{hließlih von Seeoffizieren geleitet werden und die Torpedoingenieure mit den Schießübungen garnihts zu tun haben. Wenn auf dem Schulschiff, was ja zutrifft, weniger Grundgän ger vorkommen als auf der Flotte, so möchte ih auch hier bitten, daß man mir erlaubt, die Zahlen an dieser Stelle nicht zu nennen. Der Grund für die geringere Zahl von Grundgängern auf dem Schulschiff liegt aber einfach darin, daß die Flotte unter sehr viel {wierigeren Verhältnissen die Schießübungen macht als das Torpedoschulschiff, weil die Flotte auch auf hoher See diese Uebungen machen muß und weil das Schulschiff einen größeren und besseren Apparat besißt, um die Torpedos zu fangen und die Grundgänger wieder- herauszuholen.

, Der Torpedoingenieur, der auf der Flotte zeitweilig eingeschifft ist-

der Torpedoingentieur hat unterschiedlih von den Marineingenieuren eine konstruktive Tätigkeit —, ist augenblicklich auf der Flotte mit Rücksicht auf den Uebergang, der von den alten Torpedos zu den neuen stattfindet. Im übrigen wirkt er auh sonst nüßlih bei Re- vision der Armierungen und bei der Adjustierung der Torpedos und der zugehörigen Apparate. Bei den Schießübungen selbst. hat er nichts zu tun.

Unter „Verschiedene Ausgaben“ sind 63 975 46 urSchaffung und Unterhaltung von Wohlfahrtseinrichtungen für das Arbeiter- personal ausgeworfen.

Abg. Ahlhorn (forts{chr. Volks D In Wilhelmshaven werden seitens des Wohlfahrtsaus\chusses ni t nur Kartoffeln und Kohlen, sondern auch eine Menge anderer Artikel zum Einkaufspreise an die Arbeiter abgegeben, so Kaffee, Tee, Zucker, Kakao usw. Damit wird der gewerbliche Mittelstand \{chwer geschädigt, indem einer der mächtigsten Reichsbetriebe mit in direkte Konkurrenz tritt. Hierin scheint mir ein bedenkliher Auswuchs dieser Wohlfahrts- einrihtungen zu liegen. Gegen den [rien Konsumverein kann der freie Geschäftsmann noch aufkommen, aber mit einem völlig abgabe- freien Staatsbetriebe kann er nicht konkurrieren. Die Sympathie für die Flotte und ihren Ausbau wird im Volke dur solche geschäft- lichen Unternehmungen der Verwaltung nicht gefördert.

Wirklicher Geheimer Admiralitätsrat Harms: Der Wohlfahrts- verein hat mit dem Werftbetrieb gar nichts zu tun. Der Umsatz beläuft sich für den Arbeiter auf nur § 4, eine Gefahr für den Mittelstand kann daraus in Wilhelmshaven nicht hergeleitet werden.

Abg. Ahlhorn (forts{chr. Volksp.): Der Wohlfahrtsverein hat sein Geschäftslokal in einem staatlihen Werftgebäude gehabt. Hâtte er als juristische Person mit dem Werftbetriebe nichts zu tun, wie erklärt sich dann der im Etat stehende s

Abg. Dr. Heckscher (fortschr. Volksp.)

Placierung der Reichsmarinesammlung ein. Staatssekretär des Reihhsmarineamts, Admiral vonT irpiß:

Ich kann die Anregung des Herrn Abg. Dr. Heckscher nur leb- haft begrüßen und werde meinerseits alles tun, um den preußischen Herrn Finanzminister zu bewegen, uns in bezug auf die Räume, die von dem Herrn Vorredner erwähnt sind, entgegenzukommen.

Ohne Debatte werden die ordentlichen Ausgaben der Zentral- verwaltnng für das Schußgebiet Kiautschou bewilligt, ebenso das Extraordinarium, ordentlicher Etat, nah den Kommissions- anträgen. Einige Titel erfahren danach geringfügige Abstriche ; völlig gestrichen wird die Forderung von 16 000 6 zur Jnstand- sezung des Dienstgebäudes des Observatoriums in Wilhelms- haven. Auch der außerordentliche Etat wird ohne Debatte nach den Kommissionsanträgen bewilligt.

Auf Antrag der Kommission soll in den ordentlichen Etat des Extraordinariums folgender neue Titel eingestellt werden : „Zum Bau eines Dienstgebäudes für die obersten Marinebehörden erste Rate 750 000 6.“

Der Referent Abg. Frhr. von Tünefeld (Zentr.) bemerkt, daß nah der Ablehnung des früheren Projekts des Neubaues in der Bellevuestraße ein neues Projekt aufgestellt worden ist, wonach das neue Gebäude für das Reichsmarineamt auf den der Hoch- und Unter- grundbahn gehörigen Grundstücken in der Königin Augusta- und Bendlerstraße errichtet werden foll, die gegen das bisherige Gebäude des Neichsmarineamts am Leipziger Plaß ausgetauscht werden sollen.

Ohne Diskussion wird die erste Rate bewilligt, ebenso die Einnahmen des Marineetats. Damit ist der Etat der Reichs8marineverwaltung erledigt.

Präsident Graf Shwerin-Löwiß: Der Abg. Leonhart hat ge- sagt: „ih muß feststellen, daß bei den Ausführungen des Reichsmarine- amtes nicht überall jene pupillarishe Sicherheit vorhanden ist, die ih erwartet habe und die ich verlangen kann“. Hätte ih diese Ausführung dahin verstanden, daß er einem höheren Beamten oder einem Marineoffizier den Vorwurf des Mangels pupillarisher Sicherheit machen wollte, so würde ich eine solche Aeußerung auf das entschiedenste gerügt haben. Ich habe ihn aber nur dahin verstanden, daß die Feststellungen des Reichsmarineamts der notwendigen Sicherheit entbehren. S0 hoffe, daß der Redner bei der nächsten Gelegenheit Veranlassung nehmen wird, diese meine Auffassung zu bestätigen, und sih künftighin weniger mißverständlih ausdrücken wird. E

Abg. Dr. Wiemer (fortshr. Volksp ): Der Abg. Leonhart ist aus der Sißung abberufen worden. Jch nehme aber an, daß er bei der dritten Beratung auf die Angelegenheit zurückkommen wird.

Schluß 81/5 Uhr. Nächste Sißzung Mittwoh 1 Uhr. (Etat für Kiautschou; Etat der Reichspost- und Telegraphen- verwaltung.)

tritt für würdigere

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 36. Sißung vom 8. März 1910, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den ersten Teil der Verhandlungen in dieser Sißzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus seßt die Beratung des Etats des Ministeriums für Handel und Gewerbe, und zwar zunächst die bei dem ersten Ausgabetitel „Gehalt des Ministers“ übliche alls gemeine Besprechung, fort.

Abg. Nosenow (Fortschr. Volksp.): Nach den gestrigen Aus- führungen des Handelsministers A wir bereit, voller Vertrauen seiner Amtsführung entgegenzusehen, obwohl es uns nicht ganz leiht fällt, wenn wir daran denken, daß er an dem Zustande- kommen der Neichsgeseße, die Handel und Gewerbe \chwer belastet haben, niht ganz unbeteiligt ist. Handel und Gewerbe haben lange Zeit unter einem {weren Drucke gelitten. Wir wollen nit leugnen, daß die {weren Wolken neo allmählich zerteilen, aber erst seit allerneuester Zeit. Wir haben einen Anspruch darauf, daß nicht weiter Goleue gemacht werden, die den Handel und das Gewerbe ershweren. Wenn es dem Handel troß aller Schwierigkeiten gelungen ist, sih einen Weltmarkt zu erobern, so ist das der Tüchtigkeit und Intelligenz der Kaufmannschaft zu ver- danken. Der Bund der Landwirte hat laut die Not der Landwirte in die Welt geschrien, und die Geseßgebung ist diesem Schrei nach-

ekommen. Wie die Landwirte in diesem Bund, so haben si Handel, Industrie und Gewerbe im Hansabund zusammengeschlossen, und ih wünsche nur, daß der Hansabund niemals dazu kommen möchte, in der gleichen Weise nach Staatshilfe zu rufen, wie der Bund der Landwirte. Man soll uns nur nicht hindern, uns zu entwickeln. Dazu gehört auch, daß wir nach außen im Frieden leben. Wir haben es dringend notwendig, daß unsere freund- schaftlichen Beziehungen zu England aubcedt erhalten bleiben. Der Hansabund wird Material zu sammeln haben, um die Neichs- und Staatsregierung zu informieren, und er wird dahin zu wirken haben, vi Kaufleute, Industrielle, Handwerker und Gewerbe- treibende |\ich mehr als bisher am politishen Leben beteiligen. Dem Hansabunde \trömen auh viele Handwerker zu, ein Beweis, daß das Handwerk eingesehen hat, daß es niht mehr auf dem rechten Wege ist, wenn es mit der RNehten geht. Wir sind immer bereit bein, für das Handwerk und seine Me einzutreten. Mit ersprehungen allein - ist dem Handwerk nicht gedient. Der einzelne Handwerker ist heute nicht in der Lage, ih die nötigen Hilfsmaschinen anzuschaffen, und wenn er diese Maschinen nicht hat, kann er auch nicht konkurrenzfähig sein. Mit Staats- p e müssen die HandwettergengssensGalten die Mittel in die Hände kommen, um die Betriebe ihrer Mitglieder mit Maschinen aus- zustatten, damit der einzelne nicht sein leßztes Geld für Maschinen- anshaffungen aufrwvenden muß. Die: Frage der Versicherung für die Handwerksmeister muß die Negierung. mit den Handwerkskammern zu-

sammen auf das ernsteste prüfen. Durch die Sozialpolitik für die Arbeiter werden allerdings die Arbeitgeber belästet, aber man. darf niht vergessen, daß dadurh ein gesunder Arbeiterstand gewonnen wird, der der gesamten Industrie zugute kommt. Die Arbeitgeber sollen deshalb diese Lasten nicht so sehr betonen. Die Arbeiterlöhne sind allerdings erhöht, aber die Wirtschaftspolitik hat es dahin gebracht, daß wir diese höheren Löhne bezahlen müssen, denn alle Lebensmittel sind verteuert. Meine Freunde sind durchaus bereit, dem Handwerk Staatsaufträge in möglihst weitem Maße zu- zuführen, aber die Handwerker müssen ernittidó davor gewarnt werden, Aufträge zu übernehmen, die sie nachher niht ausführen können. Ein Auftrag ist leiht übernommen, aber {wer ausgeführt. Bei der Abgrenzung zwischen Handwerk und Fabrik müssen auch die Hand- wertskammern befragt werden, aber das gleiche Neht muß auch der anderen Seite gegeben werden, indem ebenso die Handelskammern ge- hört werden. ie Reklamationen gegen die Heranziehung zu Hand- werkskammerbeiträgen haben si so gehäuft, daß besondere Bureaus zur Bearbeitung dieser Sachen eingerichtet werden mußten. Gewiß muß zahlen, wer nah dem Gesetze dazu verpflichtet ist. J meine, daß die Handwerkskammern zunächst einmal die Probe auf das Exempel machen und möglichst viele heranziehen und es den einieliar Cldrlafon sollen, die Frage ihrer Zahlungspfliht zur Entscheidung zu bringen. Wir wollen das Handwerk A Möglichkeit s{hüßen, aber es foll auch selbst den Stolz haben, si nicht allein auf den Staat zu ver- lassen, sondern aus eigener Kraft vorwärts zu kommen. Daß die Gefängnisbetriebe bei Submissionen in Wettbewerb mit dem freien aa ori treten, ist absolut unzulässig; die Gefängnisse sollen nur ür den Staatsbedarf arbeiten. In der Frauenarbeit erblickt man eine Lohndrückerei, aber bei der Stellung, die die Frau im modernen Leben einnimmt, soll man die B ellsebunaen unterstüßen, daß auh die Frauen im Handwerk allgemein ausgebildet werden M die Arbeiten, die sie leisten können. Die Frage der ersicherung der Privatbeamten beschäftigt uns auf der linken Seite sehr lebhaft; die Privatbeamten warten schon viel zu lange auf die Lösung dieser Frage, die nunmehr bald erfolgen muß. Es wird darüber geklagt, daß manche Handelskammern \ih gegen die Bildung von Kleinhandelsausshüssen ablehnend verhalten haben : das konnte höchstens eine sehr geringe Zahl sein, denn es haben sich überhaupt erst wenige Handelskammern damit beschäftigt. Die Berliner Handelskammer hat bereits einen Kleinhandelsaus\cuß. Man verlangt neue Mittel gegen den unlauteren Wettbewerb, aber es ist doch nicht angängig, jedem Kaufmann von Anfang an einen Schußmann zur Seite zu stellen; der ganze Kaufmannsstand beruht auf Treu und Glauben, und wo sich wirklih Auswüchse zeigen, wird die bestehende Gesetzgebung wohl damit fertig werden. Die städtishen Betriebe, Gasanstalten, Wasserwerke usw., dürfen dem freien Handwerk niht dadurch Konkurrenz machen, daß sie für die Bevölkerung Reparaturen übernehmen. Darüber kann es wohl keine Meinungsverschiedenheiten geben. In der Ausführung der Bäereiverordnung müssen übermäßige Härten vermieden werden. Den Anforderungen an Reinlichkeit und Hygiene müssen sich die Bäcker fügen, aber wenn auch in dieser Beziehung keine Nüksicht auf den einzelnen walten darf, fo muß doch auf der anderen Seite die notwendige Nücksiht auf die Interessen der Haus- besißer genommen werden, und deshalb müssen die Anordnungen für den einzelnen Betrieb genau geprüft werden, damit nicht -unnötiger- weise Bäckereien geschlossen werden. Die Fortbildungsschulen sind unbedingt notwendig, aber sie müssen die Erfordernisse der einzelnen Gewerbe beahten und namentlich die der Saison- betriebe. Deshalb is die Frage wihtig, wann unterrichtet werden sol. In später Abendstunde ist ein Lehrling jedenfalls niht mehr aufnahmefähig. Wir möchten die Fortbildungs\{hulen in allen Städten über 10000 Einwohner obligatorisch haben, die verständigen Handwerker werden dafür Opfer zu bringen bereit sein. An Fortbildungss{hulen für die weibliche Jugend fehlt es leider noch in sehr vielen Orten. Wir müssen allerdings zunächst für tüchtige Lehrkräfte sorgen. Die Verhängung der Schaufenster an Sonntagen wird in den ver- schiedenen Regierungsbezirken ganz verschieden gehandhabt; es macht doch einen eigentümlihen Eindruck, daß in einem Bezirk die Schaufenster verhängt werden müssen, im anderen niht. Den Besucher des Gottesdienstes kann doch die Offenhaltung eines Schaufensters nicht stören. Zu dieser Ansicht sollte man sich auch în der Provinz Brandenburg bekehren; es gibt doch hier feine andere Frömmigkeit als in anderen Provinzen. Die Geschäfte, welche gewerbliche Hilfskräfte beschäftigen, namentlich die Puß- geshäfte und die der Damenkonfektion klagen darüber, daß thnen am Sonnabend, der ihr Hauptgeschäftstag ist, nicht gestattet ift, die Aenderinnen länger als bis 5 Uhr Nachmittags zu beschäftigen. Hier müßten die von der Gewerbeordnung zugelassenen Ausuahmen gemacht werden können. Eventuell müßte die Jieihsgeseßgebung für diese speziellen Fälle geändert werden. Jch hoffe, daß auch in der Negierung die Meinung sein wird, daß Handel und Jndustrie Stüten des Staates sind und einen Anspruch auf den Plaß an der Sonne haben, den sie niht dur Staatshilfe bekommen, sondern sih selbst erworben haben. Der Volksmund hat gesagt, daß wir heute genug Handelsminister gehabt haben, die „Minister gegen den Handel“ waren ; ih hoffe und wünsche, daß der jetzige Minister ein Minister für den Handel sein möge. :

Abg. Leinert (Soz.): In einer Festversammlung hat der Minister geäußert, Unternehmer und Arbeiter hätten im leßten Grunde solidarishe Interessen. Die Tätigkeit des Ministers bis zum heutigen Tage \chlägt dieser Anschauung ins Gesicht. Daß die Gewerbe- inspektoren darüber entscheiden sollen, ob Ausnahmen von den Arbeiter hußbestimmungen zuzulassen sind, ist immerhin ein Fortschritt, aber die Zahl der Gewerbein|pektoren ist viel zu gering, als daß die Nevision aller Betriebe ordnungsgemäß durchgeführt werden könnte. Jeder Betrieb muß mindestens einmal im Jahre revidiert werden. Im Jahre 1908 find nur die großen Betriebe revidiert worden, gerade in den kleineren Betrieben aber sind die Fe Gm mungen in der denkbar s{lechtesten Weise durhgeführt. Wir haben wieder einen Minister gegen Sozialpolitik, der die Sozialpolitik abhängig macht von den Interessen der Industrie. Die neue Ausführungsanweisung zur Gewerbeordnnng ist lediglih entstanden infolge des Betreibens der Arbeitgeberverbände; zahlreihe den Arbeitgebern unbequeme Be- stimmungen sind gestrihen worden. Früher haben die Gewerbe inspektoren bei der Versagung der Erlaubnis, von der Durch- führung der Arbeitershußbestimmungen abzusehen, immer. auf die Anweisungsordnung hinweisen können; heute wird man den Gewerbeinspektoren sagen, sie könnten die Erlaubnis erteilen. wenn sie es wollten, und der Widerstand der Arbeitgeber gegen die Gewerbeauffihtsbeamten wird dadurch wesentlich gestärkt. Die Frage, ob es zulässig sei, daß ein Bergarbeiter am Sonntag im kaufmännischen Betriebe des Bergwerks beschäftigt werden könne, hat der Handelsminister bejaht mit der Begründung, daß dieser Arbeiter hinsichtlih der Sonntagsruhe nicht s{hlechter gestellt sei, als zahlreiche Arbeiter, die an Werktagen in der Werkstatt und des Sonntags während der Verkaufsstunden im Handelsgewerbe, im Laden beschäftigt würden. Mit demselben Rechte könnte man sagen, die Bestimmungen der Gewerbeordnung zum Schuße der Arbeiter brauchen gar niht angewandt zu werden, weil ja auch folhe Bestimmungen für die Landarbeiter nicht bestehen. Die Gerichte werden hoffentlih eine andere Stellung ein- nehmen als der Minister Das preußische Handelsministerium wird überhaupt noch manche Schlappe durch die Gerichte erleiden, wie zum Beispiel kürzlih gegenüber der Ortskrankenkasse der Kauf- leute, der der Minister in einem Erlaß die Veröffentlihung von Photographien und Beschreibungen von Wohnungen verboten hat.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

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(Schluß aus der Ersten Beilage.)

ganz schauderhaften das hat natürlih dem Das Ministerium

Aus diesen Veröffentlihungen gingen die Zustände mancher Wohnungen hervor, und Jaus- und Grundbesiterverein nicht gefallen. bi sich in dieser Angelegenheit als ein Ministerium gegen Wohnungsreform entwidckelt, der Erlaß ist aber gerichtlich auf- ehoben worden. Gegen die Anregung des Abg. Rosenow, zu ge- Hatten, daß gewisse Arbeiterinnen des Sonnabends bis 9 Uhr Abends beshäftigt werden dürfen, erheben wir ganz energisch Einspruch. Der Gesellenausshuß is den Innungen durchaus lästig; wieder- holt wird darüber geklagt, daß der Gesellenaus\chuß nicht zu seinem Nechte kommt. Früher hat der Handelsminister gesagt, die Aufgabe der Innungen Ti ein gutes Verhältnis zwischen Arbeit- gebern und Arbeitnehmern herbeizuführen, die Arbeitgeberverbände aber seien Kampforganisationen gegenüber der Organisation der Arbeitnehmer; der Beitritt einer Innung zu einem Arbeitgeber- verbande sei eine das Gemeinwohl gefährdende Gesetzwidrigkeit. Es berührt sehr eigenartig, daß jeßt auf einmal eine andere Anschauung über die Arbeitgeberverbände besteht, und daß den Innungen die Beteiligung an den Arbeitgeberverbänden gestattet ist. Die Angen werden damit in den Vienst der Kampforganisation der Arbeitgeberverbände gestellt. Daß die Beteiligung der Innungen an den Arbeitgeberverbänden notwendig sei wegen der Einhaltung der Tarifvertrage, glauben weder wir noch die Handwerker. Die Arbeitgeberverbände vertreten ganz offen den Standpunkt, daß der Arbeiter auf dem Gebiete des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nit gleihberehtigt sei und es auch niemals sein könne, und die Beteiligung der Innungen an den Arbeitgeberverbänden hat lediglich den Zweck, die Arbeiterorganisationen unter die Macht und den Willen der Arbeitgeberorganisationen zu zwingen. Anderen Verbänden als den arbeiterfeindlichen Arbeitgeberverbänden dürfen die Innungen nicht beitreten ; so hat der Landrat des Kreises Teltow den Innungen verboten, dem Hansabund si anzuschließen. Wir verlangen, daß das Handelsministerium sich nicht in den Dienst des shwarz-blauen Blokes, sondern in den der Ausführung der Arbeiter- shußbestimmungen stellt. Der Hansabund hat nicht die Möglichkeit, irgendwie arbeiterfreundlih zu fein, denn bei den nächsten Wahlen wird hinter dem Hansabund der große Juliusturm, der Wahlfonds des Zentralverbandes deutscher Industrieller stehen. Fn der Sozialpolitik kann dieses Haus vermöge. des Dreiklassenwahlrehts niemals die Stel- lung einnehmen wie der Neichstag. Wir verlangen den Ausbau der Ar- beitersekretariate, die Ausdehnung der Kindershußzbestimmungen, die An- höôrung der Arbeiter bei Erlaß der Arbeitershußbestimmungen seitens des Yandelsministeriums, die Einführung der Arbeitslosenversicherung. Für dieses leßtere Kulturwerk is gerade jeßt die Zeit gekoramen, nachdem die wirtschaftliche Krisis überwunden ist: es ist wichtiger als die Verwendung von Staatsmitteln für die Gntschuldung der Nitter- gutsbesißer. In Preußen darf man der Sozialpolitik nicht die Flügel beschneiden, fondern oll sie vorwärts bringen. Wenn auch der Bericht der Berliner Handelskammer den Wert der gestiegenen Kaukf- kraft der Landwirtschaft für die Industrie anerkennt, fo sind doch die Industriellen und Handelsinteressenten mit der deutschen Wirtschafts- politik niht zufrieden, weil die Abschließung aller Under durch Zölle, die die Folge der deutschen Zollgeseßzc ebung ist, unseren Export hemmt. Herr Malkewiß wies auf die Beiträge für die Gewerk- schaften hin. Die Gewerkschaften haben 1908 für die Arbeitslosen 8,13 Millionen, für die arbeitsunfähigen Kranken 8,72 Millionen, für die arbeitslos auf den Undstraßen liegenden Arbeiter fast 2 Millionen aufgebraht, insgesamt 18,5 Millionen in einem Jahre. Vergleichen Sie mit dieser Niesenleistung die Jämmerlichkeit der Wohlfahrtseinrihtungen des preußischen Staates für die Arbeiter! Der Abg. Malkewiß spottet über das Wort von den hungernden Arbeitern, aber tatsählich sind die Lebensmittelpreise bis zu einer für den Arbeiter unershwinglihen Höhe gestiegen. Die Liberalen in (England haben in ihrem Wahlanfruf festgestellt, daß die englishen Arbeiter besser daständen als die deutschen. Viele Arbeiter und Arbeiterkinder müssen auch heute noch hungern, aber die Herren auf der Nechten kennen den Hunger nicht, und darum kommen sie auch mit folchen Anschauungen in dieses Haus. Wenn die Minister aus dem Ante scheiden, möchten sie am liebsten Lokomotivführer der Sozialpolitik werden, wie Herr von Berlepsch, aber der Herr Handelsminister würde U Ges Gewissen haben, wenn er in seinem Amte Sozialpolitik triebe. Abg. Hammer (konf.): Unter dem Minister Delbrück find wir mit dem Schuß des Mittelstandes vorwärts gekommen. Es ehrt Herrn Delbrück das Wort, das er jüngst im Reichstage sprach, daß er immer mit Kopf und Herz an die Meittelstandsfragen herangegangen sei. Andere sagen ihr Sprüchlein herunter und gehen dann nach Hause. Für die Ladengeschäfte waren früher 40 Ausnahmetage zu- lässig, an denen sie bis 10 Uhr Abends ofen halten durften : das wurde später auf 15 vermindert, und damit hätten ih die Kauf- leute abfinden können. Aber dann kam der Achtuhrladen\{luß, und sie durften nur noch an 15 Tagen bis 9 Uhr offen halten, sie hatten also nur noch eine Stunde länger, insgesamt also im Jahre 15 Ausnahmestunden. Jett hat der Polizeipräsident von Berlin ‘die Ausnahmetage auf §8 beschränkt. Infolgedessen erleiden viele Geschäfte große Verluste. Jch bitte den Minister dringend, sich über die Mindereinnahmen der Geschäfte zu informieren. Ich habe große Achtung vor dem neuen Polizeipräsidenten von Berlin, dem ih. namentlih für sein Verhalten in den leßten Tagen meinen Dank aus|prehe, aber er sollte die Lage der Laden- geschäfte noh einmal prüfen. Es kommt dazu, daß die Ladengeschäfte durch den Handel unter den Beamten {wer geshädigt werden. In Berlin kommen viele Waren mit der Eisenbahn und Post an, die niht bestellbar sind und s\ofort verauktioniert werden, wenn sie raschem Verderben ausgesetzt sind. Alle diese Sathen werden von den Beamten-gekauft, und diese verkaufen sie fogar an das Privatpublikum weiter. Ich appelliere nah der Gehaltserhöhung für die Beamten wiederum an das Chrgefühl der Beamten, daß sie nicht alle ihre Freunde im Mittelstand vernichten helfen. Es können doch nit alle eute Beamte werden. Die Beschränkung der Sonntagsruhe würde die Blumen- und Konfitürengeshäfte chwer schädigen, da sie nur mit Augenblickskäufen zu rechnen haben und das Geschäft, das sie am Sonntag machen können, am Tage darauf niht machen würden. Der Bund der Landwirte ist in dieser Hinsicht immer für den Mittelstand eingetreten. Ich freue mich, daß ih mit dem Abg. Nosenow in der Angelegenheit der Verhängung der Schaufenster am Sonntag einer Meinung sein kann. Ich habe noch nie gehört, daß Herr Rosenow darüber gesprochen hat, das scheint jeßt wohl an dem neuen Partei- block zu liegen. In anderen Landesteilen hat die Neligiosität nicht darunter gelitten, daß die Schaufenster nicht verhängt sind. Was in anderen Provinzen möglich ist, sollte auch in Brandenburg möglich sein. Die Warenhaussteuer, die insgesamt nur 12% vom Umsaßz be- trägt, ist keineswegs so hoh, daß man sie als Konfiskation ansehen könnte. Der Minister von Möller nannte die Warenhauss\teuer eine Besteuerung der Intelligenz. Das Kammergericht hat aber in einer Gntscheidung es als yerihtsnotorish bezeichnet, daß die Warenhäuser durch übertrieben billige Preise für einige Loclartikel das Massen- publikum anlockten und bei anderen Waren dafür höhere Preise nähmen als die soliden Geschäfte. Ich hoffe, daß der Minister

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Köni A2 D,

Berlin, Mittwoch, den 9. März

meinen Antrag wegen der Kleinhandelsaus\{hüsse als unsinnig bezeichnet, und doch sind die bayerischen Handelskammern diesem Antrag gefolgt; fo ganz unfinnig kann er also nicht Jein. Ueber den vornehmen Ton, den Herr Dr. Brand gegen mich und gégen den Abg. Trimborn, der ein hervorragender Sozial- politiker ist, anshlägt, will ih hinwegsehen, aber bei der Wahlrechts- vorlage würde ih den Mann in die vierte Wählerklasse bringen. Den § 100g der Gewerbeordnung, der den Innungen die M keit zur Festseßung von Mindestpreisen nimmt, könnte man nicht ohne Schädigung des Gewerbes aufheben. Außerhalb der Znnungen kann man Mindestpreise festseßzen und hat damit Erfolge gehabt, wenn die Möglichkeit ofen bleibt, die festgeseßten Mindest: preise nach Bedarf abzuändern. Aber die Innungen können es nicht, weil ihre Beschlüsse von der Regierung genehmigt werden müssen. Die Beteiligung der Handwerksgenossenschaften an Staatslieferungen ist eine sehr s{chwierige Frage. In Oesterreih hat man damit nicht gerade Erfolge gehabt, weil die N s{wierig ist. Eine Umfrage des Hauptverbandes deutscher gewerblicher Genossen- haften, in demn ich Vorsißender des Ausschusses bin, hat ergeben, daß 175 Genossenschaften überhaupt niht geantwortet haben, und daß von den 325 Genossenschaften, die geantwortet haben, viele direft ab- lehnend sich verhalten haben. Die Genossenschaften stellen vielfach die Schwierigkeiten dar, die sich bei der Ausführung und Abrechnung der Staatslieferungen ergeben hätten. Es ist durchaus nicht nötig, daß Genossenschaften gebildet werden, um Staatslieferungen zu be- kommen; wenn es richtig angefangen wird, kann auch der einzelne Handwerker allein oder in loser Verbindung mit mehrêren anderen vom Staate Aufträge bekommen. Eine Handwerksgenossenschaft, die seinerzeit unter dem Minister von Miquel eine Unterstüßung von 10 000 M bekommen hat, weil sie die erste auf ihrem Gebiete war, hat ihre Statuten so gefaßt, daß sie keine neuen Kollegen mehr aufnimmt. Man hat damals leider versäumt, die Bedingung zu stellen, daß, wenn der Reservefonds der Genossenschaft hoh genug sei, die 10000 M „zurückgezahlt werden müßten. Dieses Verhalten der Genossenschaft muß ih als unkollegialisch bezeihnen. Für die Be- schaffung des Kredites für Handwerker find Organisationen genug vor- handen; die_ Handwerker brauchen nicht vom Bankier Kredit zu nehmen, sie finden ihn billiger in ihren Genossenschaften. Die Hand- werker müsen nur über alle diese Dinge aufgeklärt werden, und die 30 000 M, die zur Förderung des kleingewerblihen Genossenschafts- wesens in den Etat eingestellt sind und die für Revisoren usw. ver- wendet werden, werden zum Segen des Mittelstandes ausgegeben. Jh würde nicht _ anstehen, 60 000 4 dafür zu fordern, wenn es nôtig wäre. Bon dem Submissionswesen, auf das der ae eingegangen ist, obgleih es eigentlich gar nicht hier hingehört, hat Graf Posadowsky gesagt : das preußische Submissionswesen Ut T0 aut daß wir es für das Neich übernehmen wollen. Es sind zwei Erlasse herausgegeben worden, In denen die Kommunen ermahnt werden, die sehr humanen Bedingungen des preußischen Submissionswesens auch ihrerseits anzunehmen. Was der Abg. Rosenow über den Oansabund ausgeführt hat, kann ich unterschreiben, Im übrigen möchte ich dem Hansabund empfehlen, die Warenhausbesiter dazu zu bringen, daß sie endlich in eine höhere Warenhaussteuer einwilligen. Besonders möchte ich dem Hansabunde die Versicherung der Privatangestellten ans Herz legen. Der Bund soll uns willkommen sein, wenn er uns auf dem Gebiete der Sozialpolitik in ge- maßigter Form und bei der Mittelstandspolitik hilft. Wie kommt Herr Dr. Müffelmann dazu, mi als Gegner des Hansabundes hinzu- stellen? Vexr Dp. Muüffelmann hat, in einer Versammlung befragt, wie er sih zu errn Dr. Gerschel und Herrn Dr. Hammer (große Oeiterkeit) ich kann ja noch Doktor werden stelle, geantwortet, er betrahte uns selbstverständlich als Gegner, da wir den Hansa- bund bekämpften. Der Abg. Nahardt sagte, der Hansabund habe hon etwas Gutes geschaffen durch das Preisausschreiben, wie man dem Vandwerk Geldmittel zuführen könne. Das Geld kann nur so be- [afft werden, wie es die Preußenkasse schon tut. Der Abg. Schroeder- Cassel hat den vornehmen Ton des Hansabundes gegenüber dem Ton im Bunde der Landwirte ganz besotders rühmend hervorgehoben. Das halte ih für verunglückt; in der liberalen Wahlrechtsversammlung im Zirkus Busch wurde fortwährend über die Junker hergezogen. Wenn man dort die Behauptung aufstellte, man habe sich 1813 nur deshalb geschlagen, um eine Verfassung zu bekommen, \o habe ich dafür gar keinen Ausdruck. Der Abg. Dr. Wiemer hat in dieser Bersammlung _auh auf den Freiherrn vom Stein angespielt. Der reiherr vom Stein war ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, was hat dieser mit dem Abg. Wiemer zu tun? Treitschke, der kein Parteipolitiker war, und der uns allen gehört, berihtet vom ¿Fretherrn vom Stkein, er habe es als Hardenbergs größten Fehler bezeichnet, daß er am 22. Mai den König veranlaßt habe, dem Volke cine Verfassung zu versprechen, weil das Volk damals noch lange nicht reif für eine Verfassung gewesen sei. Beweisen nicht die Demon ltrationen, daß der Freiherr vom Stein immer noch recht hat ?

Minister für Handel und Gewerbe Sy dow:

Nachdem sich die Beratung zum Gehalt des Ministers in den dritten Tag hinzieht, hatte ih niht die Absicht, das Wort nochmals zu nehmen. Zu meinem Bedauern nötigen mich einige Ausführungen des Abg. Leinert über die Absichten, die ih und meine Borgänger in verschiedenen Aeußerungen und Verordnungen niedergelegt haben follte, do noch einmal zu sprehen. JIch möchte nicht, daß diese unrichtigen Anschauungen im Lande verbreitet werden, und daß es auch nur in seiner Presse heißen könne: gegenüber den Keulenschlägen, die der Abg. Leinert auf den Handelsminister niedershmettern ließ, wußte er kein Wort zu erwidern. (Heiterkeit.) Das einzig Richtige, was der Abg. Leinert über meine Anschauungen gesagt hat, war die Mitteilung, daß ich einmal bei einer Festfeier des Vereins für Gewerbefleiß mi dahin ausgesprohen habe, daß die Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber solidarisch seien. Das ist allerdings meine Anschauung, und an der halte ih auch fest. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) Man kann die Interessen der Arbeiter nicht, wie man es wünscht, fördern, wenn Industrie, Gewerbe, Handel und Handwerk darnieder- liegen (sehr richtig !); nur wenn Handel und Industrie, Gewerbe und Handwerk blühen und zahlungsfähig sind, können sie Löhne zahlen, die den Wünschen der Arbeiter entsprechen. Es ist allerdings meines Erachtens ein Hauptfehler in der jeßigen Arbeiterbewegung, wie die Sozialdemokratie sie versteht und fördert, daß sie ohne jede Nücksicht auf die Interessen der Industrie, des Handels, des Handwerks die Arbeiterinteressen ihnen gegenüber fördert. Die englischen Arbeiter sind da viel verständiger (sehr richtig! rechts); denen ist es lange zum Bewußtsein gekommen, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Grunde gemeinschaftlihe Interessen haben. (Sehr richtig! rechts.) Für die einseitige Art der Sozialpolitik, die der Herr Abg. Leinert hier ver- tritt, habe ih allerdings keine Zustimmung. Daß ih nicht einseitig nah der anderen Seite bin, das haben wohl neulich meine Aus- führungen über den Arbeitsnachweis des Zechenverbandes und gestern

von Möller dana nicht mehr von der Intelligenz der Warenhäuser sprechen wird. Ein Handelskammersyndikus Dr. Brand hat

meine Ausführungen über die Bäkereiverordnung bewiesen.

glih Preußischen Staatsanzeiger.

1910.

Nun hat der Herr Abg. Leinert verschiedene Verordnungen und Aeußerungen, die zum Teil von mir, zum Teil von meinem Herrn Amtsvorgänger herrühren, als arbeiterfeindlih angegriffen. Zunächst hat er sich darüber beschwert, daß ih bei einer Neufassung der Ausführungsanweisung zur Gewerbeordnung an den Bestimmungen über die Ueberarbeit an Wochentagen Aenderungen vorgenommen habe, die den Arbeitern Schaden brähten. Dabei hat er selber anerkannt, daß auch von seinem Standpunkt aus die einschneidendste jener Aende- rungen nicht zu beanstanden sei, dur die nämlich die Entscheidung über die Zulassung der Ueberarbeit, die bisher der unteren Verwal- tungsbehörde zustand, jeßt in die Hände der Gewerbeaufsihtsbeamten gelegt ist. Das konnte früher nit geschehen, weil dieses Institut noch zu jung war; nachdem sich aber die Tätigkeit der Gewerbeaufsichts- beamten seit nunmehr 20 Jahren entwielt hat, nachdem die Herren in ihrer mühevollen Arbeit sich im großen und ganzen das Ver- trauen sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer erworben haben das kann man wohl sagen (sehr rihtig! rechts), da schien mir in der Tat der Zeitpunkt gekommen, derartige Entscheidungen, die auf spezieler Kenntnis der persöôn- lichen und örtlichen Verhältnisse beruhen müssen, in die Hände der Männer zu legen, die ihnen am nächsten stehen. Indem ih das tat, konnte ih davon absehen, ihnen Normen aufzuerlegen, die über das im Gesetz selbst gezogene Maß hinaus- gingen. Die Gewerbeordnung gibt ja in den maßgenden Paragraphen genau die Voraussetzungen an, unter denen Ueberarbeit gewährt werden kann; sie kann genehmigt werden bei außergewöhnlicher Häufung der Arbeit, bei Verlegung der geseßlich am Sonntag ér- laubten Arbeit auf den Sonnabendnachmittag und bei Unterbrehungen des regelmäßigen Betriebes durch Naturereignisse oder Unglücksfälle. Das Gesetz bestimmt ferner, wie lange die Ueberarbeit dauern kann. Innerhalb dieser Cchrar “en kann man wohl den Gewerbeaufsichts- beamten freie Hand lassen. In der Ausführungsanweisung war bisher, möchte ih sagen, ein Kommentar zum Geseß geschrieben, der si in eine große Kasuistik auflöste. Mir ist aus der Praris gesagt worden, daß diese kasuistishen Bestimmungen großenteils nicht wörtlih befolgt worden find, weil sie gar nit wörtlich haben befolgt werden können : die Bedürfnisse des praktischen Lebens gehen ja stets über eine solche Spezialisierung hinweg. Bei der Uebertragung der Entscheidung über die Ueberarbeitsgesuhe an die Gewerbeinspektoren habe ih diese ausdrücklih darauf hingewiesen, daß sie diese Tätigkeit so ausüben sollen, daß dabei der billige Ausgleich zwischen den berehtigten Inter- essen der Arbeitgeber und der Arbeiter gefunden wird. Das ist der maßgebende Gesichtspunkt, und es ist besser, man gestattet den zur Entscheidung berufenen Beamten bei seiner Handhabung freies Grmessen, als daß man ihnen für jeden Fall eingehende Vorschriften gibt. Daß das arbeiterfeindlih sei, kann ih nicht einsehen.

Die zweite Frage, die er zum Vortrag gebracht hat, ist eine Auslegungsfrage. Es handelt sich darum, wieweit Arbeiter, die in den fogenannten produktiven Gewerben wochentags beschäftigt werden, von ihrem Arbeitgeber Sonntags anderweit, insbesondere im Handels- gewerbe, beschäftigt werden dürfen. Ueber diese Frage haben {ließli nur die Gerichte zu entscheiden; indessen wird der Herr Referent des Handelsministeriums Ihnen nachher die Gründe für die Auslegung des Gesetzes, wie ih sie für rihtig gehalten habe, darlegen.

Nun hat Herr Abg. Leinert allerdings große Sorge, daß, wenn eiwa die Gerichte anders entscheiden als der Handelsminister, die Autorität der Regierung darunter leiden könnte! Besonderen Kummer hat es ihm bereitet, daß eine Verfügung, durch die mein Herr Amts- vorgänger die Wohnungsstatistik einer Berliner Ortskrankenkasse verboten hatte, vom Oberverwaltungsgeriht aufgehoben worden sei. „Verurteilung des Handelsministers* so heißt es in einem Artikel des Vorwärts, der diese Entscheidung des Oberverwaltungsgerits mit- teilt und bespriht. Die Sache ist im vorigen Jahre hier von Herrn Minister Delbrück erörtert worden. Eine Ortskrankenkasse batte eine Wohnungsenquete veranstaltet und darüber eine Drucksc{hrift veröffentlicht, in der ganz einseitig einzelne Fälle von besonders \{lechten Wohnungen verallgemeinert waren. Diese Verallgemeinerungen waren sodann zu einer Agitation gegen die Hausbesitzer benußt worden. Das hatte mein Herr Amtsvorgänger überhaupt nicht als eine Statistik gelten lassen, sondern als unzulässig bezeihnet. Er hatte infolgedessen der Orts- krankenkasse die Anweisung zugehen lassen, die Verwendung von Kassen- mitteln für Zwecke der Wohnungsenquete in Zukunft zu unterlassen. Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerihts kann eine Kasse von der Größe wie die betreffenden Ortskrankenkasse wohl eine Wohnungs- enquete veranstalten und diese auch wohl drucken lassen; insofern gehe die allgemeine Auflage zu weit. Dann kommt aber in der Ent- scheidung folgender Schlußsat, den ih wörtlih vorlesen muß:

Uebrigens ift zu bemerken, daß der Inhalt der eingangs beschriebenen Veröffentlihung über das dur § 29 Abs. 2 des Krankenversiche- rungêgeseßes bestimmte Maß weit hinausgeht. An zahlreichen Stellen werden die Angriffe des preußischen Landesverbandes der Haus- und Grundbesitzervereine abgewehrt und mit Angriffen auf diesen Verband erwidert. Noch häufiger finden sih Erörterungen über die Notwendigkeit einer allgemeinen Verwaltungsreform und über die dabei anzuwendenden Grundsäße. Die noch dazu mit Photographien versehenen Veröffentlihungen müssen daher zu einem wesentlihen Teil als Streitschriften und Beiträge zu einer allgemeinen Verbesserung des Wohnungswesens angesehen werden. Die Herstellung solher Arbeiten aus Kassenmittteln ist unzulässig und eine dahingehende Anordnung daher gerechtfertigt. Meine Herren, wer ist hier der Verurteilte? (Sehr gut! rechts.)

Endlich hat der Abg. Leinert noch den Erlaß von mir bekämpft, über den er {hon neulich bei Beginn der Debatte über den Arbeitgebernahweis im Ruhrrevier sich ausgelassen hatte, und durch den ih den Innungen den Beitritt zu den Arbeitgeber- verbänden gestattet und infolgedessen eine Verfügung des Handels- ministers von 1903 abgeändert habe. Seit Jahren ist es ein Wunsch der Innungen, daß jene Verfügung beseitigt werde. Sie haben es wiederholt als wesentlich für ihre Entwicklung, für ihr gutes Gedeihen

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