1890 / 94 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 16 Apr 1890 18:00:01 GMT) scan diff

- dürfen “wir vor einschneidenden Maßregeln nit zurück- schrecken, selbst wenn wir Hand an die Gewzrbeordnung legen sollten. Mehr aber bedarf es für die Landwirth: schaft der pfleglihen Fürsorge der Regierung. _ Unter den unsterblichen Verdiensten des Fürsten Bismarck ist_ nicht das kleinste die Durhführung der Erkenntniß, daß die Landwirthschaft und ihr Gedeihen ein fundamentales Element für die wirthschaftlihe und soziale Entwickelung Deutschlands ist, und i kann dieser Politik auch nachträglich nur meine volle Anerkennung zollen. Man hat aus einem von mir ver- öffentlihten Artikel gefolgert, als wolle ih Sturm laufen gegen die Wirthschaftspolitik. Das ist ein völliger Jrrthum, Nichts liegi mir ferner; bei der heutigen wirthschaftlichen Lage find die Getreidezölle nothwendig und es wäre ein Verbrechen, daran zu rütteln. Von einer Bundesgenossenschaft in dem angedeuteten Sinne ist also niht die Rede. Jn der Richtung der Verbesserung der Lage der Landwirthschast geschieht noch niht soviel - wie geshehen könnte. Auf dem Gebiet der Entwickelung des Verkehrswesens, des Sekundärbahn- wesens fönnten wir im Fnteresse der Landwirthschast noch viel weiter gehen, desgleichen auf dem Gebiet der Tarifpolitik; auch dadurh können wir die Produktions- kosten der Landwirthschaft vermindern, daß wir die veraltete Wegeordnung durch eine den modernen Verhältnissen ent- sprechende erseßen. Die Erfahrungen bei den Reichstags- wahlen in Hessen zeigen, daß auch an der Organisation des ländlichen Kredits noch Manches fehlt. Hier muß den frei- willigen Bildungen auf Grund des neuen Genossenschafts- geseßes der Shuß dés Staats und des Reichs und deren Unterstüßung zur Seite stehen, wie es bei den landwirth- schaftlihen Kreditvereinen Westfalens bereits geschieht. Auch der Gedanke der Rentengüter muß wirksamer als dur die bis- herigen Maßnahmen realisirt werden, damit die Rentengüter fein todter Buchstabe bleiben, sondern eine größere Bedeutung für die Kolonisation der fiskalishen Moore und unseres immer unergiebiger werdenden Domanialbesißes im Osten gewinnen. Auch die Wasserwirthschaft ist nicht genügend gepflegt; es fehlt hier noch eine oberste Jnstanz, wie sie von dem Abg. Schult- Lupißz und im Herrenhause wiederholt verlangt worden ist; aber au davon abgesehen, kann die Ansnußung unjerer Wasser- \chäâge nur durh weitere geseßgeberishe Maßnahmen im Interesse der Landeskultur erfolgen. Jn der Grundsteuer zahlt die Landwirthschaft eine Vorleistung gegenüber den anderen Erwerbszweigen, welhe als Kommunalleistung be- rechtigt sein mag, abec als Staatssteuer feinen Sinn hat. Namens meiner Partei sprehe ih den dringenden Wunsch aus, daß uns schon in der nächsten Session der Entwurf eines Geseßes zur Reform der Einkommensteuer in der Rich: tung einer stärkeren Heranziehung der größeren Einkommen und der Verwendung der dadurch gewonnenen Mittel zur Er- leichterung der Kommunallasten vorgelegt wird, gleichviel ob gleichzeitig damit die Ueberweisung der Grundsteuer an die Kommunalverbände erfolgen kann oder niht. Gegen diesen Wunsch wird wohl von keiner Partei im Hause Widerspruch erhoben werden. Wenn Hr. Ridert jeßt sogar wieder Vorfragen vorbringt, so ist er wohl nicht ganz ernst bei der Sahhe: denn diese Fragen legen der Reform die größten Schwierigkeiten in den Weg und schieben möglicher Weise die Ausführung auf lange hinaus. Weniger meine ich dabei die

Quotisirung. Wir haben im ersten Verwendungsgeseß schon

eine Art von Quotisirung, an die man ohne Schwierigkeit

anknüpfen und wodurch man erreichen könnte, was man vêr: ständiger Weise von einem beweglihen Faktor erwarten kann. Die Frage der Reichsunmittelbaren ist nicht so unbe- deutend, daß sie einfach unter den Gesichtspunkt abso- luter Privilegien zu bringen wäre; andererseits ist sie aber für die Reform selbst so nebensächlich, daß es der shwerste Fehler wäre, die Reform von der Erledigung dieser Frage abhängig zu machen. Aehnlich liegt es mit dem Wahl- recht; auch hier ist die Formel noch nicht gefunden, die über die Schwierigkeit hinweghilft, aber mit der Reform eine Aen- derung des Wahlrechtes verbinden wollen, heißt sie ad calendas graccas vertagen. Das will ih nicht, und deshalb verwahre

ih mich gegen die Aufbauschung dieser Vorfragen. Die Ueber- |

weisung der Grund- und Gebäudesteuer wird organisch shwer- lih anders geschehen können als in Verbindung mit einer gründlichen Reform unserer Landgemeindeordnung, welche die verschiedenen Elemente auf dem Lande zu leistungsfähigen Trägern macht. Der Minister wird heute {on überzeugt sein, daß der von ihm empfohlene Weg der Freiwilligkeit beim Zusammenschluß von Landgemeinden nicht zum Ziele führt, sondern daß eine allgemeine Regelung nur durch ein allgemeines Geseß erfolgen kann, das aber sehr elastish sein und nur allgemeine Umrisse geben muß. Zu Trägern der Ausführung sollten die Kreisausschüsse gemaht werden, wie überhaupt im Jnteresse der völligen Entfesselung der staats- erhaltenden Kräfte des Volks in der Selbstverwaltung Das bureaukratishe Element in der Staatsaufsicht mehr zurüc- treten fönnte. Ebenso fehlt uns ein Geseß über die Unter- haltung und Organisation des Volksschulwesens, um die ver- fassungsmäßigen Verheißungen zur Wirklichkeit zu machen. Auch die)es wünschen wir bald vor das Haus gebracht zu sehen. Wenn die Regierung die vorgetragenen Wünsche prüft, wird sie finden, daß sie alle geeignet sind, uns auch im Ge- a der inneren Verwaltung an die Spige Deutschlands zu ringen.

Abg. Dr. Windthorst: Jh war zweifelhaft, ob wir eine allgemeinere Debatte haben würden; aber die Ausführungen der beiden Vorredner und des „General-Reichskanzlers“ sind durchaus von dieser Art. Gegenüber den Worten des Minister- Präsidenten zu s{hweigen, halte ih in jeder Hinsicht für un- geeignet. Jch spreche im Sinne aller meiner Freunde, wenn ih dem Reichskanzler für seine Eröffnungen den Dank aus- sprehe. Damit will ih nicht ohne Weiteres alle Gedanken, die er vorgetragen, ratifiziren ; ih hätte zu Diesem oder Jenem wohl eine Bemerkung zu machen, behalte mir das aber vor, wenn die einzelnen Fragen zur Erörterung kommen, die viel tiefer gehen, als es beim ersten Anblick scheinen fönnte. Der Herr Minister-Präsident wollte kein Programm entwickeln; ih glaube aber, er *hat ein großes Programm entwidckelt, wenn auch noch Vieles hätte hinzugefügt werden fönnen. Jh möchte indessen nicht durch irgendwelche Detailerörterungen ' den angenehmen Eindruck der Rede des Minister-Präsidenten abshwächen; die können wir demnächst nahholen. Heute wollen wir ihm erklären, daß wir ihm mit vollem Vertrauen entgegenkommen, wie er seinerseits mit ‘vollem Vertrauen zu uns gekommen ist, und nur den Versuch machen wollen, mit ihm in patriotishem Sinne für unser Vaterland zu wirken und ihn darin zu übertreffen. Daß er ganz unumwunden alle Mitglieder des Hauses mit gleicher

Berechtigung zu sprechen aufgefordert, und daß er erklärt hat, die Regierung werde alles Das, was ihr von welcher Seite au immer entgegengebracht wird, mit Wohlwollen prüfen, is eine Basis, die wir niemals verlassen mögen. Das ist der einzige Standpunkt, von dem aus eine monarchishe Regierung geführt werden kann; alles Andere sind Abarten einer verfehlten parlamentarischen Regierung. Jch habe die Ueberzeugung, daß, wenn in dieser Weise an alle Parteien, an alle Männer dieses Hauses, wie des Landes appellirt wird, auch ein gleihes Echo erfolgen wird. Jch hoffe, daß von jeßt an jeder Angriff auf die einzelnen Parteien und Personen aufhören wird. Der Minister-Präsident hat sehr mit Recht den Ernst der Zeit hervorgehoben. Jh will gern persönlihe Wünsche zurüd- drängen, um die Basis, auf welcher jeßt Staat und Gefsell- schaft ruhen, zu retten. Dazu sollten wir uns Alle die Hand reihen. Meinen Wunschzettel will ih nicht in der General- diskussion vorbringen , sondern dem Minister von Goßler separat serviren. Die shweren Schäden der Gesellschaft haben wesentlich ihren Grund in der Mißverwaltung des Kultus- Ministeriums, nicht von heute, sondern schon von längeren Zeiten. Wenn wir im Kultus-Ministerium nicht Wandel \chaffen, können wir alle übrigen Bemühungen, die soziale Gefahr zu beseitigen, unterlassen. So lange unsere Wünsche auf diesenz Gebiete nicht erfüllt sind, würde ein volles Zusammengehen manchmal eine Störung erfahren. Die Steuerreform ist noth- wendig in Folge der Steuerpolitik im Reiche. Die Reichs- Steuerpolitik würde in der lezten Wahlkampagne nicht so gewirkt haben, wenn die Steuerreform in Preußen, die bei Bewilligung der Reichssteuern in Ausficht gestellt war, erfolgt wäre. Von demselben Standpunkt aus haben wir auch die Gehaltsaufbesserung der unteren Beamten gefordert; es war zur Kompensation dessen, was ihnen die indirekten Steuern auferlegt. Jch bin erfreut, zu hören, daß die Vorlage nahezu fertig ist und wir sie bald zu berathen haben werden. Die Steuervorrechte der Reichsunmittelbaren zu beseitigen, ist mit der Verfassung nicht vereinbar. Wenn wir anfangen, in solcher Weise in erworbene Privatrehte einzugreifen, was sollen wir denn den Sozialdemokraten noch erwidern? Haben wir nicht schon genug gethan, was uns die Herren vor- halten können? Jedenfalls müßte bis zur nächsten Session die Steuervorlage gebracht werden. Bei den neuen Forderungen für die Militärmaht und Flotte werden wir ohne neue Steuern nicht auskommen. Jch bin nicht sicher, daß es uns gelingen wird, dieses Mehr aus den neuen Steuern zu ziehen ; aber wir werden weder hier noch im Reih einen Groschen indirekter Steuern bewilligen, so lange die Reform der direkten Steuern in Preußen nicht durhgeführt ist, und zwar so, daß das größere Vermögen im rihtigen Verhältnisse ergriffen wird. Auf den Welfenfonds will ih heute nicht näher eingehen. Die neu etablirte Regierung hat einige Zeit nöthig, diese An- gelegenheit in Ruhe zu erwägen; aber ich habe das feste Ver- trauen, daß man endlih dahin kommen wird, daß das Heil und die Ehre Preußens es verlangt, däß geschlossene Ver- träge gehalten werden und der Fonds nah Maßgabe des Rechts hergegeben wird. Die sogenannte offiziöse Presse muß radikal beseitigt werden; sie hat ein solhez Unwesen über Preußen und Deutschland gebracht, daß cs lange dauern wird, bis die rihtige Moral in der Presse wieder hergestellt ist., Die Re- gierung muß bei der heutigen Macht der Presse allerdings in der Presse ihre Vertretung haben, aber mit offenem Visir. Ob im „Reichs-Anzeiger“ oder in einem anderen Blatt, gilt mir gleih. Die Regierung sollte ihr Programm in Bezug auf die offizióse Presse klipp und klar entwideln, in militärischer Kürze. Ein Abspringen von der Schußzollpolitik ist nicht thun- lih. Jch möchte ja ganz gern, daß die Verhältnisse es ge- statteten, namentlih in Bezug auf die Lebensmittelzölle andere Bestimmungen zu treffen, insbesondere zur Zeit hoher Preise eine Steuerermäßigung auf Zeit eintreten zu lassen. *Aber im Großen und Ganzen bin ih der Meinung, daß wir einen großen Fehler begehen würden, wenn wir das gegenwärtige System aufhöben. Wenn die Schugzölle niht wären, würde die Jndustrie die Blüthe nicht haben, die sie hat. Die englishen Arbeiter haben längst eingesehen, daß die Löhne nur bestimmt werden können nah der Prosperität der Fn- dustrien. Gerade im Interesse der Arbeiter würde ih mich unter keinen Umständen entschließen können, das jeßige Shuß- zollsystem aufzugeben. Das schließt nicht einzelne Ermäßigungen aus, aber das System muß und wird aufreht er- halten werden. Es ist nothwendig, um die soziale Lage der Arbeiter zu bessern. Dieses Werk des Kaisers, das, wenn es niht gelingen sollte, besser überhaupt nicht ingugurirt würde, muß und wird gelingen. Dazu wollen wir Alle gründ- lih helfen, 4 Unterschied der Partei, nux mit Rücksicht auf das Vaterland.

Abg. von Rauchhaupt: Jh spreche dem Minister- Präsidenten den offenen Dank aus für vie treffliche, ehrliche, gerade Form, mit der er uns seine Ziele entwidelt hat. Die versöhnende Hand, die er allen Parteien ausgestreckt hat, wird in diesem Hause erlösend, möchte ih sagen, wirken, sodaß das Haus seiner Verantwortlichkeit sich mehr bewußt wird und nicht seinen Schlaf weiter shläft. Wir wollen ein Jeder an seinem Theil das, was die anderen Parteien Berechtigtes vorbringen, anerkennen. Jh bin dem Minister-Präsidenten vor Allem dankbar, daß er die Krone über die Parteien ge- stellt hat; denn das lag in seinen Worten. Die kon- servative Partei war auch immer bereit zu einem selbständigen politishen Denken und Handeln. Wir sind uns ganz bestimmt bewußt, daß eine konservative Partei ohne festes Rückgrat keine Stärke im Volke hat. Jh hätte gewünscht, daß der Abg. Nickert niht den Worten des Minister-Präsi- denten gegenüber glei betont hätte: das ist Alles, was wir Fortschrittsleute gefordert, jegt geht Alles in Erfüllung, was wir Fortschrittsleute gewünscht haben. Es kommt darauf an, was man unter berehtigten Wünschen versteht. Es wird ja vielleiht besser werden in der freisinnigen Partei, wenn der Abg. Rickert wieder mehr Einfluß in der Partei gewinnt. ZU erwarten, daß das Programm der Freisinnigen jeßt in Er- füllung geht, heißt doch zu weit gehen. Wir haben au eine Anzahl Wünsche. Jch freue mich über die klare Erklä- rung des Abg. Frhrn. von Zedliy bezüglih der Getreide- zölle. Selbst der Abg. Rickert hat ja in einer Versamm- lung in Rathenow geäußert, daß zur Zeit die Beseitigung der Zölle niht. möglich sei. Unter Umständen können ja die Zölle ein Uebel sein, aber die jeßigen Zölle haben unserer Landwirthschaft über die Krisen hinweggeholfen. Es fragt sich nur, ob nicht gegenüber den Zöllen für Lebens- mittel eine Reform der direkten Steuern nöthig ist, und dafür sind wir seit Jahren eingetreten. Daß große Vermögen sich der Besteuerung entziehen, sieht man aus den Erbschaft s- registern. Auch die Fortschrittspartei sollte die Hand bieten,

daß das Kapital entsprechend herangezogen wird. “Die Frage der Deklaration ist untergeordneter mechanischer Art und leicht zu lösen, und daran darf die Reform niht scheitern. Aber Alles auf einmal, Personalsteuer, Gewerbesteuer u. A., kann man nit reformiren, dazu fehlen au die Mittel. Vorläufig sollten wir uns über die Reform der direkten Steuern verstän- digen. Die Steuerfreiheit der Reihsunmittelbaren könnte ja aufgehoben werden, es fragt sich nur, ob mit oder ohne Ent- schädigung, denn wohlerworbene Rechte dürfen nicht verlegt werden. An dem Wahlrecht zu rütteln, hat dieses Haus keine Veranlassung, es ist auc keineswegs das elendeste; wir haben es bekommen, nachdem wir 1848 mit dem allgemeinen Wahl- recht in Preußen Fiasko gemacht haben. Verquicken wir alle diese Dinge mit der Steuerreform, so kommen wir nie zum Ziel. Durch die Reichseinkommensteuer erschweren die Herren die Situation noch mehr. Die Reichseinkommensteuer scheitert {hon am Widerspruch der Partikularstaaten. Für eine Land- gemeinde-Ordnung mag ja ein Bedürfniß vorliegen, aber sie brauht der Steuerreform nicht voranzugehen. Die Land- gemeinden selbst seßen der Vereinigung mit den Gutsbezirken häufig Widerstand entgegen. Einem verständigen Fortschritt in dieser Beziehung vershließen wir uns aber nicht. Wir sind dem Minister-Präsidenten besonders dankbar, daßer dieses Haus für seine Erklärungen gewählt hat. Das stärkt das Abgeordnetenhaus in seiner Stellung dahin, daß wir uns immer bewußt sind, die Vormacht Deutschlands zu sein und auszuharren auf den Gebieten, auf welhen Preußen den Ruf hat, in Deutschland an der Spiße zu marschiren. Hoffentlich wird es gelingen, unter versöhnlichem Entgegen- kommen der Regierung auch in diesem Hause mit einer Jnitiative vorwärts zu kommen und Dinge zu erledigen, auf welche das Land seit Langem wartet, z. B. Schulreform und Wünsche der evangelischen Kirche, die nicht so behandelt ist, wie sie hätte behandelt werden sollen. Jn zwei Sessionen hat das Haus fast niht mehr erledigt, als den Etat; wir hoffen, daß die Regierung die nächste Session benutzen wird für die Refor- men, die für alle Parteien unerläßlich sind. Jn diesem Sinne begrüße ih mit besonderer Freude die Erklärungen des Minister- Präsidenten.

Abg. Ri hter: Manche Aeußerungen des Hrn. von Caprivi werden im Lande ungetheilten Beifall finden. Er hat seinem Vorgänger die Ehre gezollt, die ihm gebührt, aber auch deut- lih darauf hingewiesen, daß unter der allgewaitigen großen Persönlichkeit des Fürsten Bismarck in manchen Richtungen das selbständige politische Leben gelitten hat und eine gewisse Einseitigkeit im Staatsleben unvermeidlich war, die manche nüßliche Jnitiative unterdrückt hat. Darin liegt eine Aner. fennung von amtlicher Stelle für die Opposition, welche si unter dem Fürsten Bismarck bemühte, einen einseitigen Kurs nah dessen Willen zu verhindern. Jh begrüße es mit Freude, daß Hr. von Caprivi auf den persönlichen Verkehr mit dem Hause Werth legt. Das Abgeordnetenhaus hat noch mehr als der Reichstag unter der Abwesenheit des Fürsten Bismarck gelitten. Durch persönliche Diskussion fann manche Schärfe vermieden werden. Fm Reichstage ist Herr von Caprivi uns nicht unbekannt und ih glaube, Namens meiner dortigen Kollegen zu sprehen, wenn ih sage, daß wir bei ihm die sachliche Führung der Diskussion niemals vermißt haben, und daß wir seine Theilnahme an derselben auch da mit Freude begrüßten, wo scharfe Gegensäße zwischen ihm und uns auszugleihen waren. Unzweifelhaft wird Fürst Bismarck in seiner Stellung einen gleichen Nachfolger nicht finden, denn, abgesehen von der großartigen Persönlichkeit selbst, wurde er getragen durch die historischen Ereignisse. Aber selbst ein Mann mit den Geistesgaben wie der Furst Bismarck war in den lezten Jahren nicht im Stande, allen Anforderungen seines Amts Genüge zu leisten. Die Ver- sumpfung der Geseßgebung in Preußen ist darauf zurückzuführen. Es fragt si, ob nach der bestehenden Organisation der obersten Aemter im Reich und in Preußen an die Person des Reichs- kanzlers und Minister-Präsidenten nicht zu hohe Anforderungen geknüpft sind. Jch halte zwar die Personalunion zwischen Reichskanzler und Minister-Präsidenten für durchaus noth- wendig. Es fragt si aber, ob der preußische Minister- Präsident seinen amtlichen Anforderungen genügen fann, wenn er niht als Reichskanzler entlastet wird. Die Frage der selbständigen Stellung der obersten Reihsämter hat auch für Preußen Fnteresse. Wird der Reichskanzler entlastet, so kann er den Anforderungen voll genügen, die an ihn als Minister- Präsidenten jeßt noch größer herantreten als unter dem Fürsten Bismarck. Daß das follegiale System größeren Spielraum haben wird, liegt in der Natur der Sache, und wir haben immer Werth darauf gelegt. Werden aber die einzelnen Ressort-Minister selbständiger, wenn he in direkten Verkehr mit der Krone kommen, so wird die Stellung des Minister-Präsidenten an ih schwieriger, insofern er die Einheit der Leitung aufrecht zu erhalten hat. Hr. von Caprivi sagt, der Kurs sei unverändert, und der Abg. Windthorst bringt der jeßigen Regierung volles Vertrauen entgegen. Das berechtigt den Abg. von Rauchhaupt aber nit, zu sagen, daß man mit dem Personenwechsel auf eine Fortschrittsära gerechnet habe. Das ist nicht der Fall. Wir kennen Hrn. von Caprivi als fonservativen Mann, und ebenso die anderen Minister. Wir sind Gegner der Regierung und werden es sein. Jh weiß nicht, ob die Aeußerung des Abg. Windthorst von dem vollen Vertrauen mehr war, als eine höfliche Wendung. Hr. von Caprivi is unjer politischer Gegner, aber er braucht dann nicht unser politisher Feind zu sein. Politisches Vertrauen bringe ich allerdings Hrn. von Caprivi auch entgegen, kann aber au dasfelbe für uns verlangen. Jn dem Ausspruch, die Regierung wolle das Gute nehmen, woher es komme, erblide ih die Anerkennung der Gleichberehtigung aller politshen Parteien, welche das allgemeine Beste und keine Sonderinteressen vertreten. Darin fann ih eine versöhnende Hand erblidcken, die aber den Kampf in der Sache nicht ausschließt. Gleichberehtigung der politischen Parteien heißt Anerkenntniß, daß die Staatsgewalt nicht mit Staatsmitteln einzelne Parteien bekämpfen darf. Dann muß allerdings dem Unfug der offiziösen Presse ein Ende gemacht werden, auf dem ja der Unterschied zwischen reichsfeindlichen und anderen Parteien beruht. Jch hätte darüber auch eine flare Erklärung des Minister-Präsidenten gewünscht. Be- fremdet hat mich, daß der Abg. von Rauchhaupt das Ab-

eordnetenhaus als bishec im tiefsten Schlafe liegend schilderte und Bn von Caprivi als den Prinzen hin- stellte, der das Dornröschen “Aus dem Schlafe weckt. Das interessirt nun aber die Mehrheit mehr als uns. Nah den verschiedenen Aeußerungen scheint es, als wünsche man im Lande nichts sehnliher als neue Steuer- geseßze. Die vielen neuen Steuergeseße sind gerade eine Quelle

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der Unzufriedenheit im Lande. Die Steuerreform -soll ja die Steuerlast im Ganzen nit vermindern, sondern noch erhöhen. Warum malt der Abg. Dr. Windthorst die neuen Forderungen für Heer und Kolonieen im Reiche an die Wand? Es hängt ja wesentli von ihm ab, ob die Regierung ohne neue Steuern ausfommen kann oder niht. Jett, nahdem unter seiner Mit- wirkung die neuen Steuern von 400 Millionen im Reich be- willigt sind, will er noch die direkten Steuern hier im Jnter- esse von Heer und Marine erhöhen, und noh neue indirekte Steuern im Reich schaffen. Damit haben wir nichts gemein. Wenn man aber die direkten Steuern reformiren und dafür die indirekten im Reih ermäßigen will, so ist das eine ganz andere Frage. Dann brauchen wir aber auch die Garan- tien, welche uns vor einem Mißbrauch schüßen. Herr von Caprivi appellirt an die monarchischen, sollte wohl heißen monarchish-konstitutionellen und nationalen Parteien im Lande, um die Schwierigkeiten der inneren Verhältnisse beseitigen zu helfen. Diese Schwierigkeiten sind zum guten Theil eine Folge des bisherigen Kurses der Regierung. Die Unzufrieden- heit kommt von der fortgesezten Vermehrung der Steuern seit 1879 und der Besteuerung der Lebensmittel. Die Aeußerung des Abg. von Zedliß über die Getreidezölle gießt nur Oel ins Feuer und wird nur dazu beitragen, daß die frei- onservative Partei, die im Reichstage {hon fast ganz verschwunden is, überhaupt im Lande verschwindet. Den Nutzen der Arbeitershußgeseßgebung darf man nicht untershäßgen. Man kann nicht dur Polizeigeseße die Lebens- lage ganzer Kreise bessern. Es giebt keinen ärgeren Widerspruch als den zwischen der Arbeitershußgesezgebung und der Aufrecht- haltung der Wirthschaftspolitik. Die Arbeiter und ihre Frauen arbeiten mehr als wünschenswerth, weil der Lohn für ihre Lebens- haltung niht ausreicht, in Folge der künstlihen Vertheuerung. Ohne die Getreidezölle brauchte ein Arbeiter eine Stunde weniger zu arbeiten als bei dieser künstlihen Vertheuerung. Die Unzufriedenheit wird sfich nur noch mehr steigern. Fürst Bismarck hat durch seinen Kurs die Sozialdemokratie verstärkt. Er hat die Selbsthülfe so gering geshägt und eine solche Perspektive auf die Staatshülfe in den Arbeiterkreisen erweckt, daß es der Sozialdemokratie nur zu Gute gekom- men ist. Die falsche Behandlung der Sozialdemokratie mit dem Zuckerbrot der Sozialpolitik und der Peitsche des Sozialistengesezes hat dieselbe gestärkt. Jn Bezug auf das Sozialistengesez ist der Kurs s{hon geändert. Davon, wie weit der Kurs sonst- noch geändert wird, hängt es ab, ob eine größere Unzufriedenheit erweckt oder die inneren Schwierig- keiten beseitigt werden.

Abg. von Below-Saleske: Die Abgg. Rickert und Richter haben wieder behauptet, daß die jeßige Wirthschafts- politik unvereinbar sei mit der Erfüllung unserer sozial- politishen Aufgaben und daß die Brotvertheuerung eine Wir- fung der Kornzölle sei. Sie verschweigen dabei, daß nicht billiges Brot allein, sondern vor Allem prästationsfähige Arbeitgeber glücklihe Arbeiter machen. Sie vershweigen, daß neben dem täglichen Brot auch Kleidungsstücke und Werkzeug erforderlich sind. Als ih im ersten Deutschen Reichstage einen Antrag auf Aufhebung des Eisenzolls einbrachte, bekam ih ein Lob von der Fortschrittspartei, weil ih sagte, daß der Eisenzoll die wichtigsten Werkzeuge vertheuere. Heute weisen Sie bei jeder Gelegenheit auf das Brot allein hin und be- zeichnen Diejenigen als Tyrannen, welche Korn bauen und angeblich das Brot vertheuern. Jhre Taktik ist zu durchsichtig, Sie wollen uns von der Jndustrie trennen, das wird Jhnen aber nicht gelingen. Nicht Stadt und Land, sondern Arbeit und Handel sind im Gegensaz. Sie haben hauptjächlih die Interessen des Handels in Erbpacht genommen. Billig kaufen und theuer verkaufen ist die Losung. Ob dabei der Ar- beiter, der Produzent gedeiht, ist Jhnen gleichgültig. Ein Aufsaß von Aschrott in Schmoller's JFahrbuch weist zahlen- mäßig nah, daß die Weizenpreise absolut unabhängig sind von dem Wohlstand des Landes. Gerade in den Jahren, wo die Weizenpreise am höchsten, war der Prozent- say der Armenunterstüßungen verhältnißmäßig niedrig. Die Kunst der Wirthschastspolitik muß dahin wirken, daß der Arbeitgeber in den Stand geseßt wird, jo zu prosperiren, daß er gute Löhne zahlen fann. Jh möchte nun dem Staats-Ministerium einen Wunsch unterbreiten. Es scheint nachgerade, als wenn die Landwirthschaft hinter die Jndustrie zurücktreten muß. Man hat dafür im Lande ein sehc feines Gefühl und wünscht nicht, daß hier wieder mit verschiedenem Maß gemessen wird. Die Regierung sollte bei ihrer Fürsorge für den vierten Stand nicht die industriellen Arbeiter allein, sondern auch die ländlichen Arbeiter in Be- tracht ziehen. Der berechtigte Wunsch der Landwirthschast geht auf einen möglichst hohen Wollzoll. Ein Schuß der Landwirthschaft kommt auch den Arbeitern zu Gute. Die Entvölkerung der ländlichen Distrikte giebt zu ernsten Bejorg- nissen Anlaß. Es müssen in Bezug auf die Seßhaftmachung der landwirthschaftlichen Arbeiter weitere Maßnahmen ge- troffen werden. Die Rentengüter allein helfen nicht.

Abg. Dr. Windthorst: Dem Abg. Richter erwidere ih: Jch fürchte, er wird im Reichstage alle die Ausgaben bewilligen müssen, welche ih zu bewilligen mich gezwungen sehen werde, nämlich für die Wehchaftigkeit des Landes. Jh glaube, daß die Mittel hierzu nicht durch eine neue Steuer, fondern zum Theil durch eine Reform der direkten Steuern, dur eine richtigere Veranlagung und energischere Erhebung aufgebracht werden müssen. Jh werde indirekte Steuern nicht eher be- willigen als bis die direften reformirt sind.

Ein Vertagungsantrag wird abgelehnt.

Zum Wort is nur noch der Abg. Dr. Enneccerus gemeldet. Derjelbe verzichtet mit Nüksicht auf die vorgerückte Zeit auf das Wort, zumal bereits in der ersten Lesung die Stellung seiner nationalliberalen Freunde zur Steuerreform und bezüglih der Nothwendigkeit einer Landgemeinde-Ordnung u. \. w. ausführlih dargelegt worden ist.

Damit schließt die Generaldiskussion. (Schluß 4 Uhr).

Ausstellung altnuiederländischer Kunftwerke.

Die am 1. April im Ubrfaal der Kunstakademie eröffnete Aus- stellung „altniederländisher Gemälde und Kunstwerke aus Privat- besitz“ darf als überaus gelungen bezeichnet werden. Zwar is anzu- nehmen, daß ih mindestens die doppelte Anzahl solcher Gemälde in Berlin befindet, und es würde eine in den Zeitungen veröffentlichte Auf- fordertng, sie zur Verfügung zu stellen, gewiß die reichsten Resultate gehabt haben. Allein wir haben hier mit der menschlichen S@twähe zu rechnen. Viele Gemälde von geringem find seit langer, langer Zeit in Familien befindlih, fie

sind uns theure, Jugenderinnerungen geworden, waren dies viel- leiht {on unseren Eltern und führten innerhalb der Familie die \chönsten Meisternamen und da sollte eine Kommission kommen und uns die theuer und lieb gewordenen Hausfreunde als Wechsel- bâälge bezeibnen? Man that daber gut daran, in aller Stille einen Theil der besten Niederländer ausfindig zu machen und mit Erlaubniß der Besißer zu sammeln, au Mangel an Raum gebot dies Vor- gehen, denn \chon ein Theil der ausgestellten Gemälde mußte seinen Plag an der bekannten „dunklen Wand" nehmen.

Die besten Gemälde sind mit wenigen Ausnahmen im Uhr- faal aufgebängt. Sofort beim Eintritt fällt uns die wohlthuende Ruhe des Kolorits, die leuhtende, satte Impastirung angenehm ins Auge. Freilich thut das Alter, welches ein gewisses Sfumato erzeugt, indem die Farbe dünner und durchsichtiger wird, viel dazu, am meisten aber die Scaffensfreudigkeit, welche seiner Zeit die Künstler dur- drang. Die meisten Bilder sind „pettenkoferisirt*, d. h. durch Spiritusausdünstung verjüngt, restaurirt, retouhirt und dann neu gefirnißt worden: Bei wenigen Gemälden findet man auffallende oder ungeshickt gemalte Retouchen. Ein Katalog existirt zur Zeit noch nicht ; desto besser: diese Werke sprehen für sich felbst, in unseren modernen Ausstattungen spriht oft nur der Name für das Bild. In Frank- rei, wo man auf diesen Umstand frühzeitiger aufmerksam wurde, hat der geistreiche Meissonnier eine neue Ausstellung ins Leben gerufen, in welcher die Namen garniht genannt sind. Wie oft werden Künstler im Alter als fole sehr gering, sie brauen dazu noch nicht einmal Eintagsfliegen zu sein. Ist es niht sogar einem Rembrandt passirt, daß man seiner Urhebershaft ein \{chle{chtes Gemälde niht zutrauen wollte, und der ehrlihe Dutshman fühlte fiG in Folge dessen veranlaßt, darunter zu schreiben : Rembrandus fecit, fecit! Uebrigens, mehr als Vermuthungen kann der beste Kenner nit über die Namen äußern, es giebt Rembrandts in Menge, die Bol oder Flinck gemalt hat; eine Menge Rubens, die von Van Dyk oder Honthorst gemalt worden sind, in allen Galerien. Es giebt Bilder in den Museen, die im Laufe des leßten Menschenalters 5—6 Mal umgetauft worden sind.

Auffallend ift die große Menge vorzüglicher Stillleben und gut

erbaltener Ruysdael’sher Landschaften, was sonst bei diesem Meister selten der Fall ist. Gleih an der Wand, in welcher sih die Thür des Uhrsaals befindet, sind vier vortreffliche Ruysdaels. Gehen wir rechts weiter, so finden wir ein Porträt, dessen leuÿhtender Hintergrund uns fast zu der Meinung bekehren möte, daß es von Rembrandt's Pinsel stamme, doch wird feine Ur- hebershaft dur eine gewisse Härte, die diesem sonst nicht zu cigen ist, wieder in Zweifel gestellt. Eine für den Künstler sehr interessante Skizze, 81 (Porträt) von Franz Hals, sofort erkennbar durch den diesem Meister typiscen erdigen Farbton, befiadet sich weiterhin in sehr guter Gesellschaft, aus welcher wieder Nr. 96 (Hobbema). Nr. 247 und 250 (Ruyëdael) und 220 (Rembrandt), welch' leßterer jedo etwas von Retouchen zu leiden hatte, zu nennen find, In der Ee befindet sich aber eine der Perlen der ganzen Ausstellung, ein Ostade, dem selbst im Haag und im Trippenhuys zu Amsterdam kaum etwas zur Seite gestellt werden kann. Es ift hier die feinste Farbenharmonie bei jener warmen Nachmittagsstimmung gegeben, wie sie, wenn auch nicht häufig, wahrgenommen wird. &reilich hat man eigentlich ers rechten Genuß, wenn man sih das Bild vorstellt, wie es neu, also viel heller im Ton, gewirkt haven muß. __ Nr. O Ut eine Landschaft von Goyen. Man sieht es den wenig effektvollen und etwas monotonen Stimmungs-Landschaften dieses Künstlers nit an, daß er der Lehrer einiger der besten Figurenmaler, u. A. des geistreihen Jan Steen, gewesen ist. Goyen is der Schöpfer einer neuen Richtung geworden, die den ästhetish-gebildeten Menschen unendlich viel mehr ansprict als der rohe Naturalismus oder die Fdeal-Landschaften, welche beide gewissermaßen als Extreme zu be- trachten sind, zwischen denen das Wahre lieat ; wir meinen die Stim- mungs-Landschaft, welde auf das Gemüth des Beschauers zu wirken bestimmt is. Selbst Ruysdael und Hobbema sind dur seinen Ein- fluß gebildet worden und stehen somit gewissermaßen auf seinen Sqhultern.

Bei Besprechung der einzelnen Gemälde ist Kürze geboten, da die Menge des Erwähnenswerthen zu groß ist. Nr. 245: „Nymphen im Bade, werden von Satyrn erschreckt* (Eigenthum Sr. Majestät des Kaisers.) Die vollen Formen, welche Rubens uns hier in leuhtendstem Kolorit vorführt, wollen niht jedem, an das Maß der Antike von jung auf gewöhnten deutshen Auge gefallen, Dennoch liegt cine gewisse Berechtigung für diese Geshmacksrichtung vor. Wird nit das Auge erfreut, wenn wir in Stillleben überreife, üÜber- große und saft\troßende Früchte sehen? Die Hindeutung auf Fruht- barkeit und Abwesenheit von Mangel erfreut das Herz. Hundert Jahre vor Rubens suchten die deutsGen Meister, z. B. Cranach, das Söne sogar allein in der Fruchibarkeit, wie seine Evas- töbhter genügend beweisen. Bei Nr. 241 muß auf den unnahabmlihen zartgrauen Fleischton, * auf die künstlerische Freudigkeit hingewiesen werden, von der die ganze Arbeit durchaucht ift. Nr. 249, eine Landschaft von Ruysdael, gehört zum Besten, was der Künstler gescafen hat. Gleich links unter diesem Bilde befindet sich das vollendetste Meisterwerk auf dem Gebiete der Stillleben. Bei Nr. 41 ift auf den lebendigen Auédruck der Kinder aufmerksam zu machen.

Im 2. Saal, glei links von der Eingangsthür zum Uhrsaal, hängt Nr. 184, leider in \{chle{chter Beleuchtung. Es ift ein Meisterwerk in Hinsicht auf psychologishe Beobachtung. Sein Gegenüber, Nr. 310, stellt eine Einquartierungéscene aus dem 30 jährigen Kriege dar. Die Malerei an der knicenden Frau und der rob-dumme Aus- druck des Soldaten im Hintergrund links lassen vermuthen, daß wir es mit einem tüchtigen Künstler zu thun haben, jedoch scheint die am Tis sitende Figur, wohl einen Offizier vorstellend, zu klein gerathen. Nr. 138 ist ein Brouwer oder Horemans; für Ersteren |pricht die pikante Behazdlung und der leuchtende, duchsihtige, goldige Ton. Erwäh- nenêwerth ist noch Nr. 222, welhes um der s{öônen Beleuctungs- efffekte willen (neben der Hand) gemalt zu sein \cheint. Nr. 288 erinnert stark an die zwei großen Teziers der Münchener Pinakothek, deren Echtheit jedoch stark angezweifelt wird. Man vergleiche dies Gemälde mit der Teniers’ {en „Hexenküche“ (von Andern „Versuchung des Heil. Antonius“ genannt) im Berliner Museum. Nr. 299 läßt uns einen Fleiß in dec Ausführung bewundern, der in unserer \{chnell- lebigen und hastig arbeitenden Zeit als „geistlos, geleckt, pedantish“ gesholten werden würde. :

In Nr. 317 sehen wir eines der interessantesten Porträts der Ausstellung. Leider s{lecht gehängt und nicht restaurirt, kann es die Gluth seiner Farbcn nicht so aufdringliG leuten lassen wie viele andere. Der Katalog bezeihnet dies Gemälde als einen de Vos, Welcher Umstand auf diesen Namen geführt hat, ist gar nicht erfindlich. Man hbâtte in Folge der Behandlung des Fleisches auf van der Helst \{ließen können, von dessen Hand wir im Trippenhuys einige \prechend ähnli behandelte Porträts bewundern können, doch schließt diesen Künstler die nah Freiheit und sattem Kolorit ringende Behandlung des Beiwerks ebenso aus wie der Fehler in ver Komposition des Helldunkels, in Folge dessen die helle Hintergrunds - Landschaft wie ein breiter Kragen wirkt. Solche Fehler machen nur Anfänger und \solhe Sicherkbeit der Zeich- nung, solche energische Behandlung des Beiwerks wagt nur ein auf- strebendes Genie, ein so liebevoller Fleiß in Behandlung des Fleisches ist die Eigenschaft des jugendlihen Anfängers, der sein Können noch nicht in der Hauptpartie, dem Gesicht, concentrirt und den Fleiß an seine Stelle seßt. Unserer Ansicht -nach baben wir es hier mit einer der vollkommensten Jugendarbeiten van Dyk's zu thun.

Betreten wir den langen Seitenliht-Saal. Dort fällt zunächst eine „Cleopatra“ von Rubens (Nr. 242) auf. Bei allen Vorzügen des genannten Meisters muß doc leider gesagt werden, daß diese Cleo- patra den Antonius nicht zu Thorheiten verleitet haben würde. Nr. 194 is ein sprehendes Porträt des Drehen Kurfürsten. Ein herr- liches, lebendig wirkendes Bildniß is auch Nr. 172. An dem sehr gut emalten Porträt Nr. 131 (Honthorst) stören die virtuosenhaft ausge- führten Spitzen, welhe den Kopf nicht Hauptsache bleiben lassen.

Nr. 44 ist eine Skizze, welche wobl als Vorstudie für eine größere Komposition gemacht wurde. Sie hat in der Behandlurg viel Aehnlichkeit mit cinem im Museum (Saal der Niederländer) befind- licen Studienkopf von Rubens. Nr. 78 bietet ein kleines meister- haft aufgefaßtes Porträt mit ausgesproBen israelitishem Typus, Nr. 79 vermutblich von demselben Meister, Franz Hals, welcher bei allen eminenten Vorzügen do fast immer dur sein etwas s{chweres, erdiges Kolorit erkennbar bleibt.

Von den nachträglich dur Se. Majestät den Kaiser, Ihre Majestät die Kaiserin Friedri und von einigen Privaten zur Aus- tellung hergelichenen Gemälden und Kunstwerken dürfte noch ein männlihes Porträt von Rubens als hervorragend fünstlerisch interessant zu erwähnen sein. Dasselbe (Nr. 471) hält den Kopf zwar nicht, wie der Nachtrag des Katalogs besagt, nach links, sondern nah rets, also nat der linken Seite des Beschauers. Bei eminenter Zeichnung und wenngleih die Halskrause bis unter die Leuchtkraft des Fleisches ab- gedämpft wurde, um leßteres zur Geltung zu brinçcen, wirkt cs do nit plastis, da es vermuthlich in gewöhnlicher Stubenbeleuhtung gemalt wurde. E E

An geeigneten Stellen ist in den Seitensälen noch eine recht hübshe Auswahl holländiscer funstgewerbliher Gegenstände aus- estellt.

E Möchten diese Zeilen dazu beitragen, für die Ausstellung recht viele Besucher heranzuziehen; es kann ihnen versprochen werden, daß fe dieselbe voller Befriedigung verla})en werden. G W.O.

-Rekursentscheidungen des Reichs-Versicherungsamts.

(818.) In der Unfallversiberungssache des früheren Güterboden- arbeiters Joseph W. zu D., Klägers und Nekursbeklagten, wider den Königlich preußishen Eisenbahnfiskus, vertreten dur die Königliche Eisenbabndirektion zu K., Beklagten und Rekurskläger, hat das NRei&s- Versicherungsamt in seiner Sißung vom 10. Ptâärz 1890, an welcher Theil genommen haben: 1) Präsident Dr. Bödiker, Vor- fißender, 2) Großherzoglich badisber außerordentliher Gesandter und bevollmächtigter Minister Freiherr von Marschall, vom Bundesrath aus seiner Mitte gewähltes Mitglied, 3) Ge- heimer Regierungs-Rath Dr. Sarrazin, ftändiges Mitglied, 4) Geheimer Justiz- und Kammergerihts-Rath Bauk, 5) Ge- heimer Justiz- und Kammergericts-Rath Freyschmidt, richterliche Beisitzer, 6) Baumeister Felish aus Berlin, Vertreter der Senofsen- \chatitévorstände, 7) Knapyschaftsältester Hartwig aus Oberwaldenburg, Vertreter der Arbeiter, nah mündliwer Verhandlung für Recht erkannt: Unter Abänderung des Urtheils des Schiedsgerichts für die für Staatsrechnung verwalteten Eisenbahnen des Eisenbahndirektions- bezirks K. vom 3. Juli 1889 behält es bei der Abweisung des Klägers mit seiner Berufung gegen den Bescheid des Beklagten vom 24. Sep- tember 1888 sein Bewenden; dagegen wird das Urtheil des genannten Siedsgerihts vom 12. März 1838 aufgehoben. Gründe. Der Beklagte hat gegen das erstbezeihnete Urtheil, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, fristzeitig mit dem Antrage Rekurs eingelegt, die Angelegenheit unter Aufhebung des angegriffenen Urtbeils in die Vorinstanz zurück zu verweisen, damit das Sch!eds- geriht seine frühere Entscheidung vom 12. März 1888 aufhebe und den Kläger zur Rückerstattung der zu Unrecht erhobenen Rentenbeträge von 382,90 Æ verurtheile. Er behauptet, daß das Schiedsgericht gegen die letztere, vom Kläger durch Betrug er\chlichene Entscheidung nah Analogie der bezüglichen Bestimmungen der Civilprozefordnung die Restitutionsklage hätte zulaffen müssen. Der Kläger hat Ab- weisung des Rekurses beantragt, da die von ihm vorgeschlagenen Zeugen niht vernommen worden, die vernommenen Zeugen dagegen ibm feindlich gesinnt seien. Es war, wie geschehen, zu erkennen. Auf Grund tær Gutachten und Aussagen der in der vorliegenden Unfall- versicherungs\sache, sowie in der vor der T. Strafkammer des König- lichen Landgerichts zu C. wider W. verhandelten Strafsache vernom- menen Sachverständigen ist für erwiesen erachtet worden, daß der Kläger das ihm günstige Urtheil des Schiedsgerichts vom 12 lârz 1888 durch wissentlib falsche Angaben und betrügerishes Verkalten erwirkt hat. Er ift dieserhalb durch rechtskräftiges Urtheil der ge- dachten Straffammer von 25. April 1889 wegen Vetruges zu einer Gefängnißstrafe von einem Monat « verurtheilt worden. Gegenüber diesem auch nab der Ueberzeugung des Rekarsgerichts zutreffend festgestellten Thatbestande verdienen die in der Rekur8gegenschrift geltend gemachten Einwendungen des Klägers keine Berücksichti- gung, Mit Ret hat daher das Swiedsgeriht die Be- rufung des Klägers gegen den die Gewährung einer ferneren Rente einstellenden Bescheid des Beklagten vom 24. September 1888 als unbegründet zurückgewiesen. Allein es erscheint auch der vom Schiedsgericht abgelehnte weitergehende Unspruh des Beklagten uf Aut hebung des- früheren Urtheils vom 12 März 1888 wohl begründet. Dieses Urtheil ist durch Betrug e2s{lichen. Im Einklange mit einer Forderung des allgemeinen Rechtsbewußtseins, wonach derartizen, durch betrügerishe Handlungsweise einer Partci zu Stande gefommenen Entscheidungen die Rechtswirksamkeit zu versagen ift, hat die Civil- prozeßordnung zur Ermöglihung der Wiederaufnahme selbst eines formell rechtsfrästig ges{lossenen Verfahrens in §. 543 Nr. 4 ausdrücklich eine Restitutionéklage für diejenigen Fälle zugelassen, in denen ein Urtheil von der Gegenpartei durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit ver- übte Handlung erwirkt ift, welche mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe. bedroht ift. Gilt dieser Grundsaß schon auf dem Gedticte deë reinen Privatrehts, so ist seine Anwendung auf demjenigen der Unfallversihherungs8gesete, wo es fich um bedeutungsvolle und weittragende öffentlich-rehtliche Pflichten und Rechte der Arbeitgeber und Arbeiter unter einander andelt, um so dringender und unabweisbarer geboten. Der Umstand, daß das UnfallversiHerungs8geset felbst eine ausdrücklihe Bestimmung über die Wiederaufnahme des Verfahrens in Fällen dieser Art nicht für erforderlich erachtet hat, steht an si deren Zulassung nicht ent- gegen. Denn daës Gesetz hat si darauf beschränkt, die Grundzüge des Verfahrens, insbesondere den ordentlihen Instanzenzug, zu regeln, und dabei feineswegs beabsidtigt, in den hierzu geeigneten Fällen ein Zurückgehen auf das Reichsprozeßrecht inm Wege sinngemäßer Anwen- dung desselben auszuschließen. In diesem Sinne hat das Reihs- Versicherung8amt auch bereits anderweite bedeutsame Rectsinstitute der Civilprozeßordnung, fo vor Allem daëjenige der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der Civilprozeßordnung entnommen (vergleiche Entscheidungen 325, 431, 432, 546, „Amtlihe Nachrichten des R .-V.-A.* 1887 Seite 134, 357, 1888 Seite 280). Zuständig für den Antrag des Beklagten war das Shtiedsgeriht als dasjenige Geriht, welches das angefohtene Urtheil erlaffen hat (vergleiche 8 547 Absaß 1 der Civilprozeßordnung). An si erfordert der Wiederaufnahmeantrag ein gesondertes Ver- fahren; indessen soll im vorliegenden Falle daraus, daß der Beklagte ihn mit der Berufungsbeantwortung in der gegen ihn anhängigen Berufungs\sahe des W. verbunden und das Schiedsgericht darüber zugleih mit der leßteren entshieden hat, keine formelle Bemängelung entnommen werden, weil die hier in Betracht kommenden Ansprüche aus demselben Betriebsunfall hergeleitet werden, somit in re{chtlichem Zusammenhange stehen und im vorliegenden Falle die prozessuale Ver- bindung au zweckmäßig erschien (vergleihe Entscheidung 541, „Amt- lihe Nachrichten des R.-V.-A.“ 1888 Seite 276). Hiernach recht- fertigt sich die getroffene Entscheidung. Die von dem Beklagten in erster Reihe beantragte Zurückverweisung der Angelegenheit in die Vor- instanz war nicht erforderli, da der Saverhalt zur Genüge aufgeklärt ist. Ueber den auf Verurtheilung des Klägers zur Zurüdck- zahlung der zu Unreht bezogenen Rentenbeträge gerihteten Antrag des Beklagten hatte das Rekursgeriht niht zu befinden (vergleiche Entscheidung 447, „Amtlihe Nachrichten des R.-V.-A.“ 1887 Seite 408).

(819) In einer Unfallversiherungssache hatte das Schiedsgericht die beklagte Berufsgénossenshaft zur Gewährung eines Rollstubls an den Kläger verurtheilt, weil es das Heilverfahren noch nicht für ab-

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