1890 / 105 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 29 Apr 1890 18:00:01 GMT) scan diff

sihteplans wird nun allerdings die Uebersicht über die Vorlage erschwert; es trifft aber deswegen die Regierung kein Vorwurf, weil nur eine kurze Zeit zur Ausarbeitung der Vorlage war, und i freue mi, daß die Regierung shon jeßt mit ihren Vorschlägen hervorgetreten ist. Von Tag zu Tag zeigt fih mehr ¿as Mißverhältniß der Lage der Beamten zu den ihnen sozial gleihgestellten andern Berufskreisen. Man jagt, infolge dieser materiellen Lage neige ein großer Theil unserer unteren Beamten zur Sozialdemokratie. Jch glaube das zwar nit, und dur eine Mehrbewilligung wird man eine solche Gesin- nung nit beseitigen können; sicherlich aber stärken wir, indem wir diese große Zahl von Beamten von ihren s{wersten Sorgen in ihrem Familienleben befreien, deren Widerstandskraft gegen gefährliche Versuhungen und erhöhen ihr PRGoONE und thre Gewissenhastigkeit. Was die Alterszulagen etriffft, fo kann ih nach meiner langen Erfahrung in großen kommuna- len Verwaltungen nur bestätigen, daß der Wunsch na bestimmt abgestuften Alterezulagen in allen Beamtenklassen ganz allgemein ist. Nur durch die Erfüllung dieses Wunsches kann die Un- zufriedenheit beseitigt werden, die sonst immer wieder kommt. Der Uebergang zu diesem System durch die Stellenzulagen ist ohne erhebliche Mehrkosten durchführbar. Der größte Vorrath an Unzufriedenheit und Mißvergnügen is bei den Diätarien vorhanden, und zwar nicht ohne Grund. Um die Anzahl der etatsmäßigen Stellen nicht zu sehr zu vermehren, hat man ein bestimmtes Verhältniß zwischen den diätarish beschäftigten und den etatsmäßig angestellten Beamten dahin festgestellt, daß ein Drittel aller Beamten Diätarien sein sollen. So erreihen manche Diätarien das 40. L-bensjahr, ehe sie zur Anstellung kommen. Für deren Familien besteht so lange die Sorge, was nah dem Tode des Ernährers werden foll. Diescm Uebelstande muß dadur abgeholfen werden, daß ein Sechstel oder höchstens ein Viertel aller Stellen von Diätarien eingenommen werden. Jh hoffe, daß die Budgetkommission diese meine Wünsche bei ihrer Berathuag berücfsihtigt. Jn der Dombaufrage muß die Kommissions- berathung erst Klarheit verschaffen. Bei der ungenügenden Juformation in diesem Augenblick kann ih keine bindende Entscheidung treffen. Jh wünsche besonders eine Aufklärung darüber, wer den Dom bauen joll. : j A

Abg. Bachem betrachtet die Vorlage über die Aufbcsse- rung der Beamtengehälter als ein Aequivalent für die Ver- theuerung der Lebensmittel, die unzweifelhaft durch die Shuß- zollpolitik herbeigeführt sei. Dasür müsse ein Ausgleich ge- schaffen werden, einerseits durch die Reform der direkten Steuern und andererseits durch die Erhöhung der Ge- hälter der unteren Beamten. Durh zu weit gehende An- forderungen dürfe keine Verzögerung und Gefährdung dieser Vorlage eintreten. Sehr s{hwierig sei die Bemessung der Grundsäße, nah welchen die Stellenzulagen zu geben seien. Nothzulagén seien niht empfehlenswerth, weil diese nah den Serviszulagen bemessen werden würden, und diese leßteren seien ungerecht vertheilt, wie das Beispiel von Köln und Berlin zeige, Die Erhöhung der Maximalgehälter sei lange nicht so wichtig, wie diejenige der Minimal- und Mittelsäße. Das System der allgemeinen Alterszulagen sei _wünschens- werth, aber es sei zweifelhaft, ob es sich so durchführen lasse, wie der Abg. Hobrecht vorschlage.

Abg. von Tiedemann (Bomst): Jn formeller Be- ziehung muß eine Aenderung an der Vorlage gemacht werden, damit sie den an ein Geseß zu stellenden formellen An- forderungen genügt. Daß 1872 in derselben Weise verfahren worden ist, Gent mir niht durchshlagend. Jun materieller Beziehung ist über die Verwendung der 18 Millionen wischen der Regierung und den Parteien schon in Frhéren Sizungen eine Einigung erfolgt. Ueber die Grenze der 18 Millionen dürfen wir unter keinen Umständen hinausgehen. Au darin, wie die Summe verwendet werden soll, trifft die Vorlage im Allgemeinen das Richtige. Die Aufbesserung der unteren Beamtenklassen ist ein Bedürfniß der jeßigen Zeit. Aber dem muß ih doch wider- sprechen, daß die Theuerungsverhältnisse in dem Umfange existiren, wie der Abg. Rickert es darstellt, und daß sie eine Veranlassung zu einer Veränderung der Gehälter sein könnten. Mit der Klasseneintheilung der Unterbeamten ist meine Partei, vorbehaltlih der Prüfung im Einzelnen, vollständig ein- verstanden, Die Einwendungen des Finanz-Ministers gegen das System der Alterszulagen bedauere ih; denn ih bin ein ent- schiedener Anhänger dieses Systems. Die Dienstaltersstufen durch das ganze Land zu rangiren, würde jedo eine Arbeit und ein Schreibwerk an der Centralstelle verursachen, das niht bewältigt werden könnte. Wohl aber können größere Beamtenkategorien gebildet werden, für welche das System An- wendung findet. Die Klasseneintheilung bringt aber au den Nachtheil mit sich, daß in einzelnen Fällen viel weniger dem Be- dürfniß nah Aufbesserung wird Rehnung getragen werden können als jeßt. Zu einem Zweifel darüber, daß die Regierung die Vorlage anders ausführen könnte, als sie vorschlägt, ist kein Abgeordneter berechtigt. Mit gutem Willen und Vertrauen zur Sache werden wir zu einer richtigen Lösung kommen, hoffentlich zu einer solchen, durch welche die Vorlage möglichst wenig geändert wird. Die Schullehrer haben den Löwen- antheil an dieser Vorlage. Daraus wird auch eine Mehr- belastung der Gemeinden folgen, und deshalb muß ih wieder den Wunsch nach Erlaß eines Schuldotations- geseßes aussprehen. Was die anderen Punkte in der Vor- lage betrifft, so wird die Kanalisirung der Fulda von den Znteressenten mit Freude begrüßt. Das Bedürfniß eines neuen Domgebäudes erkennen wir an und sind bereit, Mittel dafür zu ‘bewilligen, aber mit der Art der Forderung der Regierung find wir nicht vollkommen einverstanden. Die Forderung von 200 000 M zum Bau einer Jnterimskirche Behufs Erreichung eines baldigen Abbruches des alten Domes ist der erste Schritt zur FJnangriffnahme eines neuen Baues. Nach den bisherigen bewährten Grundsäyen für unsere Etatsaufstellung wäre es Pflicht der Regierung gewesen, uns erst Pläne und Kost-nanschläge vorzulegen, um uns ein Urtheil zu ermöglihen. Es fehlt eine fiere Aus- kunft, ob der Staat als Bauherr austreten soll oder nicht, und in welhem Umfange hier eine rechtliche Verpflichtung des Staats vorliegt. Nach dieser Richtung werden wir in der Kommission eine Ergänzung der Vorlage ‘fordern müssen. Wir müssen besonders eine völlige Klarlegung über die Höhe der Bausumme verlangen, ‘ohne welche wir der Vorlage nicht wohl zustimmen könuen.

Abg. Günther begrüßt die Vorlage mit Freude, Dem Abg. Bachem giebt er zu, daß die Frage der allgemeinen Durchfühcuna des Stellenzulagensystems für alle Beamten: eine sehr schwierige sei, für die aber ‘eine Lösung gefunden werden

dürfnissen vertheilt, und die Grundsäße, wonach dies geschehen sollte, festgestellt und gleihmäßig über das ganze Land zur Anwendung gebracht werden möchten. Fnsbesondere verlange er eine Gehaltsaufbesseruug für die Ersten Gerichtsschreiber und die Nendanten an ‘Amtsgerichten. ¡uin Abg. Dr. Arendt glaubt, daß au für die Mittelshul- und Seminarlehrer die Fürsorge des Staats eintreten müsse hinsih'lich ihrer Pensions- und P e E nisse. Die Dienstalterszulagen müßten au auf diese Kreise ausgedehnt werden. Er werde diesen Wunsch in der zweiten Lesung in Form einer Resolution wiederholen. Was die Dienst- alterszulagen betreffe, so würde die Kluft zwischen denjenigen Lehrern, welche die Zulage erhielten, alfo in Städten unter 10000 Einwohnern, und denen, welche sie nicht erhielten, außerordentlich verschärft. Die Lehrer in den kleineren Städten seien, ab- esehen von der theureren Lebenshaltung in den größeren, oft besser gestellt, als in den großen. Er wolle dur einen An- trag das Zustandekommen des Geseyes niht gefährden, stelle aber anheim, in einer Resolution zu verlangen, daß künftig die Dienstalterszulagen bis zu dem Punkte gewährt werden, daß auf dem Lande das Stelleneinkommen 1800 #, in den Städten bis zur ersten Servisklasse 2100 4 und in der ersten Servisklasse 2400 # nicht überschreitet. l

Abg. Richter: Mißtrauen und Undankbarkeit sind zwar nicht die höchsten politishen Eigenschaften. Wenn aber Alles in Vertrauen und Dankbarkeit sich auflösen soll, wie es der Finanz-Minister verlangt, dann würde Alles versumpfen. Der Abg. von Rauchhaupt hat auf den shlafähnlihen Zustand einer gewissen Versammlung in den leßten Jahren hingewiesen und auch der Minister - Präsident von Caprivi hat einen Stillstand in unjerer Geseßgebung zugegeben. Vergegenwärtige ih mir diese Thatsahen, #o finde ih, daß zu wenig Kritik geübt worden ist und daß zu viel Vertrauen und zu wenig Mißtrauen gegen die Re- gierung bewiesen wurden. Die Unzufriedenheit ist niht von uns benußt worden, um der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten, sondern von gewissen andern Seiten, um den Be- sißenden ungeretfertigte Vortheile in der Landwirthschaft zu- zuwenden. Auch diese Vorlage ist ein Produkt der durch die agrarishen Agitationen und Erfolge erzeugten Unzu- friedenheit. Man muß sich nur die Wandlungen vergegen- wärtigen, welhe mit dem Finanz- Minister vorgegangen sind. Jm vorigen Jahre war der Finanz - Minister der Ansicht, die Ausbesserung müßte nicht von unten auf beginnen, sondern beim Gehalt der Unter-Staats- sekretäre. Nur ein starker Dru hat den Finanz-Minister zu seiner jezigen Wandlung vermocht, er hat also um so weniger Grund, über die vorhandene Unzufriedenheit zu sprehen. Der Abg. von Tiedemann hat die Lebensmittel- theuerung als einen Grund für die Gehaltserhöhung nicht gelten lassen wollen. Jh erinnere ihn an seine Stellungnahme zur Krondotation. Die Erhöhung der- selben hat er mit der Steigerung der Preise und der Erhöhung der Ausgaben begründet. Ja, wenn in den obersten Kreisen diese Steigerung empfunden wird, um wie vielmehr ist das bei den unteren Klassen der Fall! Was die Form der Vorlage anlangt, so ist dieselbe als mangelhaft zu bezeihnen. Es wird Sache der Kommission sein, eine korrekte konstitutionelle Form für die Vorlage zu finden. Der vom Finanz-Minister angezogene Vergleich mit dem Etat des Jahres 1872 trifft niht zu, weil damals die spezialisirte Form noch nicht eingeführt war. Jch bedauere, daß der Finanz-Minister eine Forderung der Alterszulagen abgelehnt hat, das System der Mittelsäße mit Minimal- und Maximal- sägen ist in Wahrheit ein unsittlihes, da von Leben und Gesundheit des Vordermannes das ¿Fortkommen abhängt. Jn der Vorlage sind die Maximalgehälter zu sehr in Betracht gezogen, zu wenig die Minimalgehälter und die Diätare. Kaum jemals hat ein preußischer Finanz-Minisier zeitweise über so große Mittel verfügt, wie der jeßige, ohne daß er uns bis jeßt ein organishes Reformgeseß vorgelegt hat.

Finanz-Minister Dr. von Scholz: :

Ich würde es mir gern gcfallen lassen, meine Herren, wenn die Besorgniß des Hrn. Abg. Richter in Erfüllung geht, daß auch mit diesen 18 Millionen wieder nichts Ordentliches, nihts Gutes zu er- reihen sein werde, daß dann alle Vorwürfe darüber und über die fort- dauernde Unzufriedenheit im Lande auf meine Person abgeladen werden. (Fs ist dann doch wenig\lens ein greifbarer Punkt vorhanden, wo das Uebel leiht zu fassen und leiht abzuändern ist. Aber ih fürchte, im Allge- meinen wird die Sache doch anders beurtheilt werden.

Meine Herren, der Hr. Abg. Richter hat mir fehr verdaht, daß ih mir vorbin erlaubt habe, über die Unzufriedenheit, die angesichts dieser Vorlage zum Ausdruck gekommen sei, einige Bemerkungen zu machen, und er hat anscheinend mih mißverstanden, indem er voraus- gesetzt hat, daß meine Bemerkungen vorzüglih Denjenigen gegolten haben, die mit ihrer eigenen Unzufriedenheit hervorgetreten seien, oder Denjenigen, welche die vorhandene Unzufriedenheit „beachten“, nein, meine Herren, meine Bemerkungen haben vorzugs- weiseDenjenigen gegolten, welche sich die Mühe gaben, diese Unzufriedenheit künstlich hervorzurufen, wo sie niht ist, sie zu nähren, wo sich ein Anhalts8punkt dazu zeigt, und sie gewerbsmäßig zu verbreiten, zu züchten. Gegen diese ist meine Bemerkung vorzugsweise gerihtet gewesen; mit den Armen, welche das Opfer eines fsolchen Treibens sind, habe ih das größte Mitleiden. ; 10

Der Hr. Abgeordnete hat dann in der Sache selbst geglaubt, darauf aufmerksam machen zu müssen, welche Wandlungen gerade dieser Finanz-Minister in der Frage g-zeigt hätte, und welchen heil- samen Einfluß der Druck der öffentlichen Meinung erst auf den Finanz-Minister hervorgebracht habe, für den dieser Finanz-Minister der öffentlichen Meinung und deren Drängen gewissermaßen seinen Dank \chuldia fei. Dies is eine nicht richtige Dar- stellung der Sawlage. Wenn Sie sh der Worte erinnern, mit denen ih diese Angelegenheit am 16, Januar, wo sie zuerst in diesem bohen Hause zur Sprache gekommen ist, be- gleitet babe, fo werden Sie nit bezweifeln, daß ih damit auch das Eingeständniß für Jeden, der die Rede hörte, sofort verbunden habe, daß ih persönlih mi habe überstimmen lassen in dieser Angelegen- heit, daß ih persönli auch im Monat Januar dieses Jahres so stand und auch, natürli für meine Person, heute noch so stehe, daß ih die Ansichten vertreten habe, von denen ich Ihnen hier am 16. Januar mitgetheilt habe, daß sie innerhalb der Staatsregierung unterlegen sind, die Ansichten nämli, daß der fragliche Titel im Etat der Staatsschuldenverwaltung mit 18 Millionen noch bei Weitem nit hoh genug dotirt sei, und daß wir alle Ursache hâtten, Angesichts der großen Ziffer unserer Staatéschuld, Angesichts der verhältnikmäßig kleinen Ziffer unserer regel- mäßigen Tilgungsmittel, Angesichts der Unsicherheit der Zu- funft, Angesichts der Wahischcinli&keit von Mindereinnahmen und großen Mekbrausgaben in der firanziellen Neubelastung des Staates jeyt nicht weiterzugeten und uns diese 18 Millionen für den geseßlich bereits vorgejehenen Zweck der Schuldentilgung noch zu erhalten, J habe Ihnen damals mitgetheilt, daß innerhalb der Königlichen Staats-

wäre, die Beamtenbesoldungsverbesserung sei, und zwar in der Art, wie sie dann vorbereitet worden ist. Also von Wandlungen dieses Finanz-Ministers ist gar keine Rede, da find Sie völlig im Irrthum, wenn Sie das E Ich denke zu der Sache gerade fo, wie ih 8 früher gethan habe. i G T Fat der Herr Abgeordnete geglaubt, bxi dieser Ge- legenheit der preußishen Regierung auch die Initiative auf dem Gebiete bestreiten zu Fönnen. Natürlich wird das ja nicht hier im Hause, aber draußen vielfach gern

gehört und N aufgefaßt werden, als ginge daraus hervor, daß andere

viel verdienstvollere Männer die Initiative genommen bâätten, daß die eine sol%e Unruhe im Lande, ein solch lautes Begehren hervor- gerufen hätten, daß \sich dem Niemand hättc verschließen können; das seien die wahren Wohlthäter. Aber auch diese Bemerkung ist eine, die den Thatsachen niht entspriht. Die preußishe Staatsregierung ist in voller freier Initiative an diese Sache herangetreten, sie hat weder eine Sorge noch einen empfindlihen Druck von dem im Reistag darüber hier und da gepflogenen Verhandlungen empfunden, noch sonst irgendwo anders als in ihrem eigenen Bewußtsein das Motiv für ihr Vorgeben gefunden. Die Verhandlungen im Reih will ih meiner- seits nicht der Kritik unterziehen; sie find mir au fo im Wortlaut nit bekannt, daß ich im Besonderen z. B. wissen könnte, ob dort ein Einwand erhoben sei, man könne im Reih nicht eher etwas thun, als bis in Preußen etwas derart geschehen sei. Ich glaube nit, daß in dicser Weise dort cine Aeußerung ge- fallen sein wird, eventuell, wenn sie gefallen wäre, würde ih sie eher für eine persörlihe Anschauung halten als für eine Anschauung der Reichs-Verwaltung. Deni ih glaube, diese Unabhängigkeit besteht vollkommen in der Auffassung der Reichs-Verwaltung, und ist im Gegentheil immer eher dahin gegangen: man fann sehr gut im Reich etwas thun, ohne daß damit Pr:ußen die Berectigung babe zu der S@lußfolgerung: nun muß dasfelbe auch in Preußen geshehen. Der Herr Abgeordnete hat dann noch auf einen Unterschied in meiner Auffassung geglaubt besonders hinweisen ‘zu müssen, und es war ja ganz pikant, daß ich weniger für die unteren Beamten, als für die Unter-Staatsfekretäre mich interessirt habe. Ja, meine Herren, das liegt ja auf ganz anderem Gebiet. Wir haben in den leßten Jahren, wie Sie Alle sich erinnern werden, troß der beeng- teren Stellung, die wir in finanzieller Hinsiht eingenom- men haben, mehrfach Vorschläge zu Besoldungsverbesserungen Ihnen gemacht, wo ein ganz bestimmtes, nah der Meinung der Re- gierung alsbald zu befriedigendes, dringliches Bedürfniß vorlag; das waren alles Dinge, die unabhängig von der Frage einer allgemeinen Besoldungsverbesserung einhergingen, Es hat betroffen u. A. die Oberförster, die Bauinspektoren, und ih körnte Ihnen mehrere andere Kategorien von Beamten noch nennen. Das hat auch u. A. betroffen die Kategorie der Unter-Staatssekretäre und zwar ih will die Verhandlungen niht noch einmal avsführlih in die Erinnerung zurück- rufen; aber Sie werden dessen eingedenk sein hauptsählih wegen der \{chwierigen Frage der Wiederbeseßung dieser Stellen in Erledi- gungsfällen, nicht wegen der Lebensnoth und des dringenden BVedürf- nisses, wegen der Vertheuerung der Lebensmittel ; das hat mit dieser Frage nichts zu thun gehabt. Was aber die unteren Beamten betraf, jo habe ih mich, meine Herren, nur dagegen gewendet, daß man bezüg- lig der allgemeinen Besoldungsverbefserung die Behauptung aufstellen wollte, die unteren Beamten wren dur die bis- herigen Besoldung®8aufbesserungen nicht gleichmäßig berücksichtigt, sie wären dabei \{chlechter weggekommen als die oberen Beamten. Das habe ich bestritten und das halte ich auch heute noch in der Erinne- rung, wie wir viel cher namentlich gegen die höheren Beamten der Berwaltung hart und rücksi{chtslos erscheinen können. Als wir hier in Uebereinstimmung mit dem Landtage die Ricterbesoldungen so er- heblich erhöht haben, haben wir damals und die Staatsregierung hat das als ihre unmittelbare Vorausseßung ausgesprohen die Ver- pflihtung übernommen, in gleihem Maß den oberen Verwaltungs- beamten gerecht zu werden; wir find es bis heute noch nicht geworden, und demgegenüber habe ih betont, daß wir nah Allem, was vorher- gegangen ist, nicht Ursache hätten uns vorwerfen zu lassen, daß man gegen die unteren Beamten besonders rüc{sihtslos gewesen wäre, son- dern daß man es eher gegen die Dberbeamten gewesen wäre.

In diesem Zusammenhange in die Erinnerung zurückgerufen, glaube ih, wird sih das Wort des Hrn. Abg. Richter, daß ih mehr für die Unter-Staatssekretäre, als für die Unterbeamten mi früher interessirt habe, doch an seiner pikanten Bedeutung sehr verlieren.

Der Herr Abgeordnete hat dann auf die geringere Bedeutung des Vorganges von 1872 hingewiesen. Ich erkenne auch ihm gegen- über, wie ih auch dem Hrn. Abg. Rickert gegenüber anerkannt habe, an, daß dieser Vorgang einer Rechtfertigung eine Wirkung, unser jeßiges Verfahren für korrekt zu erachten, gar nicht haben kann und auch meiner Meinung nach nicht haben soll, daß _auch ein etwas weiterer Unterschied der ift, daß inzwishen das Ober-Rechnungs- kammergeseß erlassen ist. Aber, meine Herren, in der Hauptsache ist die Vergleichung mit dem damaligen Vorgange vollkommen zulässig, ja sie drängt sich auf. Wenn wir auch, wie der Hr. Abg. Richter sagt, damals noch nicht fo spezialisirte Etats hatten, fo hatten wir do damals nicht so generalisirte Etats, daß in einer einzigen Position, in einem einzigen Titel des Finanz-Ministeriums sämmtliche Besoldungen der Staatsbeamten gestanden hätten, und die Be- \oldung8verbesserung von 4 Millionen fand fi eben und findet sich im Etat von 1872 in einem einzigen Titel des Etats des Finanz- Ministeriums. Also ein Hinweis auf diesen Vorgang wird immerhin erlaubt sein. :

Der Herr Abgeordnete hat dann geirrt, wenn er behauptet, das einzige Hinderniß, die richtige Besoldungsweise, das , System der Alterszulagen in der Beamtenschaft“ einzuführen, \ei dieser Finanz- Minister, vielleicht mit Rücksicht auf die Generalbuchhalterei und der- gleihen. Nein, meine Herren, ih habe ausdrücklich vorhin son mitgetheilt, daß nicht blos ih allein der Meinung noch nit bin, daß sich für alle Beamtenkategorien der Staatsverwaltung dieses System empfehle. Es i au keineswegs „irgend eine Rück- iht auf die Generalbuchhalterei dabci im Spiele. Ih

laube aber, im Sinne gerade des Herrn Abgeordneten Richter müßte es eine ganz wihtige Bedeutung haben, daß bei dem System, welch{es er vors{chlägt, niemals mehr sicher ist, ob die in den Etat eingestellte Besoldungssumme auch reihen wird. Die kann in jedem Iabr und kann wahfend überschritten werden müssen, wenn die Beamten niht in dem Maße, wie hierbei vorausgeseßt ist, durh Tod oder Pensionirung aus\cheiden. Denn je mehr ältere Beamte sich in cinem Dienstzweige befinden, desto höher wächst eben die Ge- haltsfumme bei diesem Dienstzweige, und es ist immerhin doch etwas, ob man weiß, mit welchen bestimmten Summen man zu renen hat, mit welchen bestimmten Verpflichtungen auch für die Folge, oder ob man mit unbestimmten, wechselnden, auf einer \{wankenden und unsiheren Durhschnittsrechnung beruhenden Ziffern si zu behelfen hat.

Wenn der Herr Abgeordnete soweit ging, den jeßigen Zustand als einen unsittlihen zu bezeihnen, so muß ih dagegen unbedingt Verwahrung einlegen. Meine Herren, Angesichts {on allein der Ein- rihtungen unserer Armee, in der dieses System auh noch nit be- kannt ist, sondern wo auch der Hintermann warten muß, bis der Bordermann, sei es durch Tod, fei es durch Pensionirung, abgegangen ist, ist der Ausdruck „unsittlih“, wie ih glaube, ein sehr un- angebrachter. Î i

Der Herr Abgeordnete hat noch ausgeführt, daß er weniger die Beschränkung auf 18 Millionen bei dem jeßigen Unternehmen tadele, als die Art der Vertheilung der 18 Millionen. Er hat namentlich zuerst hervorgehoben, daß es ein gewisser Fehler sei, wie die Mi- nimalgehälter wenig oder gar niht berücksihtigt würden, wie man erft auf die höheren Alters\tufen das Schwergewicht der Verbesserung lege. Nun, meine Herren, ih bin überzeugt, hätten wir es umgekehrt gemacht, so hätten wir noch einmal soviel Tadel geerntet ; dann wäre es diese kurzsihtige Regierung gewesen, die den unglücklichen Beamten anlocken will durch hohe Anfangsgehälter, die ihn in feinen berechtigten Grwartungen täus{cht, welche später, wenn. die Bedürfnisse ih steigern,

regierung die andere Ansicht überwiegend war, der ih mich gefügt

müsse Er wün)che, daß die Stellenzulagen nach lokalen Be-

habe, daß die dringendste Forderung, die jezt nit mehr zurückzustellen

unerfüllt bleiben; wenn der Pensionszeitpunkt komme, habe der Mann niht mehr als im Anfang, u. \.w. u. \. w.

Ich überlasse diese Kritik sich selber und Denjenigen, die ihr zustimmen würden. hebe nur bervor, daß derselbe Herr Abge- ordnete das einzig rihtige Besoldungssystem kurz. vorher das nannte, wel{es nah Altersftufen steigt. Ja, meine Herren, wie man das miteinander verbinden will, ist mir nit ganz klar.

Was nun aber die in diesem Zusammenhange gehaltene Rede zu Gunsten der Diätarien anlangt, so kann ih nur sagen: ich bin in diesem Punkt gar nicht verschiedener Meinung yon dem Hrn. Abg. Richter. Jch würde es begrüßen, wenn wir in allen Verwaltungen im Stande wären, ftatt der diätarish angestellten Beamten mit etats- mäßigen zu wirthschaften, wenn wir vielleiht mit wenigen diätarischen

tellen, die gerade ausreihend wären, um die Geeignetheit, die PA Ems der Beamten eingangsweise zu prüfen, uns zu be-

elfen brauhten. Jch bin auch ganz mit ihm einverstanden, daß es wünschenéwerth wäre, die Diätarien, die wir beibehalten müssen, besser zu stellen, daß wir sie annähernd vielleicht der untersten Besoldungs- stufe der etatsmäßig angestellten Beamten glei{stellen, wie das auch bis jeßt unser Bestreben gewesen ist. Ih möchte aber bitten, nicht zu vergeffen, meine Herren, daß es sih dabei überall um uralte Ein- ri{tungen in der preußishen Verwaltung handelt, die nicht auf Willkür, sondern auf der alten traditionellen preußischen Sparsamkeit beruhen, und ih freue mi, voraussezen zu dürfen, daß der Hr. Abg. Richter einer der Thätigsten sein wird, um der preußischen Regierung die Mittel zu gewähren. der Sparsamkeit auf diesem Punkte künftig entrathen zu können. Wenn der Dee Abgeordnete mitwirkt, uns die Mittel zur Verfügung zu stellen, die dazu nothwendig sind, und es sind nicht wenige, die nöthig sind —, um die diâtarishen Beamten in etatsmäßige zu verwandeln und, soweit wir sie doc bei- behalten müssen, sie besser zu ftellen, so wird Niemand freudiger zu- stimmen, als die Königliche Staatsregierung.

Der Herr Abgeordnete hat dann noch die Stellenzulagen einer Betrachtung unterzogen. Jh gebe zu, daß si an diese Stellenzulagen alle möglichen Schreckbilder anheften lassen, und daß man mit den Folgen graulib machen kann, die von der Ausdehnung dieses Systems zu erwarten wären. Aber, meine Herren, wir müssen uns doch in der Praxis, wo diese Einrichtung bereits besteht, umfchen. Wir haben in der Forstverwaltung solche Stellenzulagen, und zwar in einer un- getrennten Summe, die nit der speziellen Vertheilung im Etat zu- geno gemacht ist, in einer ungetrennten Summe, die Ihrer Be- chlußnahme unterliegt. Wir haben dergleihen im Eifenbahn- Etat, und zwar an mehreren Stellen. Nun ist es ja auf der Hand liegend, daß mit solchen Stellenzulagen gerade das fortdauernde Element der Unzufriedenheit derer, die auf cinen beson- ders üblen Posten gestellt sind, allein wirksam bekämpft wird. Das ist der Grund, weshalb zamentlich ih von meinem Standpunkt aus mi dafür interessiren muß, auch in allen übrigen Verwaltungen die Neigung für solche Stellenzvlagen zu gewinnen. Meine Herren, um in Ziffern das auszudrücken: ih nehme z. B. an, irgend eine Beamtenkategorie wäre auch nah dem wohlwollendsten Urtheile im Allgemeinen genügend dotirt, wenn die Stellen mit 2—3000 H, im Dur@schnitt mit 2500 4 im Etat ausgeworfen wären; dann wird

ch aber unter den also ausgebrahten Stellen immer eine Anzahl Stellen finden, welhe ih will einmal bei der Forstverwaltung die Verhältniffe ins Auge fassen durch besonders theure Wohnunasver- hältnisse an dem Stationsort, dur besonders s{wierige S@ul- verhältnisse, durch besonders \{chlechte Witterungsverhältnisse an dem Stationsort, welche cine theure, weniger zerreißbare Kleidung u. \. w. bedingen, durch besondere Gefährlihkeit gegenüber der Bevölkerung der Gegend, kfurz, aus den mannigfaltigsten Gründen als folche dastehen, die Niemand haben will, wohin Niemand versetzt sein will, von wo Jeder, wenn er hin verseßt ist, drängt, fortzukommen, und wo Jeder immer den Verglei zieht: wenn i meine jetzige Normal- befoldung an dem oder dem anderen Orte bätte, dann stände ih besser, stände ih erst so, wie alle meine Kollegen stehen. Und ich will nun einmal annehmen, es wäre erreiht, daß, um auch folche besser zu situirea, die Stellen sämmtlih ftatt auf 2000 bis 3000 M auf 2400 bis 3600 normirt wären; sofort erschienen doc dieselben Klagen, wir verstopfen diese Quelle der Unzufriedenheit nie durh eine generelle Erhöhung der Beamtenbesoldungen. Wohl aber können wir diese Quelle verstopfen, wenn wir Fonds haben, aus denen wir einem solchen Be- amten für die Zeit, wo er an so einer bösen Stelle ist, eine Stellen- zulage gewähren können Es ift ja garnicht die Rede davon, daß dies nach Guníft oder Ungunst gegenüber dem Beamten geschieht; die per- sönlichen Verhältnisse des Beamten kommen da gar nit mit zur Sprache ; niht wenn er sechs Kinder hat, nit wenn er besonders durch Krankheit oder andere Rücksicht zu Ausgaben genöthigt ift alles das ist kein Grund für eine Stellen zulage natürlich; sondern wenn die objektiven Verhältnisse des Orts, der Aufgaben, vor dîte er gestellt ift, sie \{chwierig, sie theuer, sie unangenehm machen, da tritt die Stellenzulage ein. Also eine Gefahr in der Hand der Regierung kana si daraus nur Jemand konstruiren, der mit den Tugenden der Undankbarkeit und des Mißtrauens der Regierung gegenübersteht.

__ Ih wiederhole, meine Herren, daß ich d:n Versu des Hrn. Richter, mir persönli ganz die Schuld an allem Uebel zuzuschieben, was noch bleibt na dieser Vorlage, nicht von der Hand weise, aber ih hofe, es wird der Sache niht nahtheilig werden, die Ihnen jeßt vorlieat. °

Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen und der Nachtrags-Etat nah einigen persönlichen Bemerkungen der Abgg. Richter und von Tiedemann (Bomst) der Budget- kommission überwiesen.

(Schluß 31/2 Uhr.)

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Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung,

„Aus Bochum wird der „Rh.-Westf. Ztg.“ mitgetheilt, daß da- selbst am nâchdsten Sonntag eine Bergarbeiter-Versammlung stattfinden werde, um die Konstituirung eines neuen Berg- arbeiter-Verbandes herbeizuführen. Zu dieser Versammlung sind die Delegirten derjenigen Zahlstellen, welche die Absicht haben, nh bon dem alten Verbande zu trenneu, die Vertrauensmänner des Rechts\hugvereins und die Vertreter von Belegschaften aus Bezirken, die an dem zeitigen Verbande entweder gar keinen oder doch nur einen fehr geringen Antheil haben, eingeladen, Der jetzt bestehende Verband hat zum folgenden Sonntag, 8 Tage später, zu einer Ver- sammlung eingeladen.

Einer Meldung des „Wolff’shen Bureaus“ aus Forbach zufolge wurde in einer zahlrei besuchten Versammlung des Lothrin- gishen Rechts\chußvereins einstimmig beschlossen, am 1, Mai nicht zu feiern.

Aus Zwickau theilt ,W. T. B.“ mit, daß in einer stark be- su@ten, sozialdemokratishen Charakter tragenden Bergarbeiter- Versammlung zwar neue Lohnforderungen niht aufgestellt wurden; dagegen wurde hervorgehoben, daß eine Verbindung möglihit aller Bergarbeiter angestrebt werden folle, damit späteren Forderungen durh gemeinsame Unterstützung Nachdruck verlichen werden könne. Die Bergarbeiter besäßen in den joztaldemokratischen Abgeordneten ihre Vertreter, wie anderntheils Leßtere auf die stete Unterstüßung der Bergarbeiter renen könnten. Dies habe die letzte Reichstagswahl bewiesen. Es wurde sodann beshlossen, den in Brüssel stattfindenden internationalen Ber g- arbeiterkongreß durch drei Delegirte zu beshicken und die Reisekosten für sie aufzubringen.

,_ In Hannover haben, wie „W. T. B.“ berichtet, die Direk- tionen der staatlichen Werkstätten und Betriebe, der

abrikanten-Verein, die freie Vereinigung der JIn- dustriellen und der Verein der Metall-Industriellen bekannt gemacht, daß alle Arbeiter, welche am 1, Mai nicht arbeiten,

In Langenbielau - haben die Arbeitgeber verschiedener Branen, wie der „Köln. Ztg.“ telegraphirt wird Beslefe am 1. Mai ausständishe Arbeiter bis zum 5., Rädelsführer bis zum 19. Mai u nbeschä ftigt zu lassen.

Die Maler „und Anstreicher in Magdeburg hielten eine Versammlung ab, in welcher, der „Magdb. Ztg.“ zufolge, in Betreff des Strikes mitgetheilt wurde, daß 15 Meister “bis jeßt die Forderungen der Gehülfen bewilligt haben. Bei den 15 Meistern stehen 53 Gehülfen in Arbeit. 293 Gehülfen befinden sich im Strike, 27 haben Arbeit außerhalb gefunden und 73 sind ohne vorher festgestellte Arbeit abgereist, sodaß fich insgesammt 393 Maler und Anstreicher 2c. an der Strikebewegun ; betheiligt haben.

Aus Königsberg i. Pr, wird dem „Wolff's{hen Bureau* ge- meldet, daß die Behörden die umfassendften Maßregeln getroffen haben, um jede Störung der öffentlihen Ordnung am 1, Mai mit \ch{ärfstem Nachdruck zu beseitigen. Die Ver- waltungen der Hauptwerkstätten der Königlichen Eisen- bahn zu Ponarth bei Königsberg, der Fortifikationsarbeiten, der städtishen Gasanstalt, der Steinfurt'\chen Fabrik, der Union- gießerei, der Südbahn und der Königsberger Maschinenfabrik haben ein Kartell ges{lossen, keine Arbeiter anzunehmen, die in anderen Fabriken und Werkstätten die Arbeit ein gestellt baben.

In Spandau haben die Shuhmachergesellen gestern die Arbeit niedergelegt; dieselben fordern Einstellung der Sonntags- arbeit, zehnstündige Arbeitszeit und Lohnerhöhung.

n Hamburg hat der Verein der Hamburg- Altonaer Ewerführer-Baase von 1874, wie wir der «D. Bôörs.-H.*“ entnehmen, bes{chlossen: Arbeiter, welhe am 30. April d. I. (ohne ausreihende Entschuldigung) erklären, am 1. Mai niht zur Arbeit kommen zu wollen, werden fofort abgelohnt; Ar- beiter, welhe ohne vorherige Ansage am 1. Mai nit zur Arbeit kommen, erhalten, wenn sie sich am 2, Mai melden, den rückständigen Lohn ausbezahlt. In beiden Fällen wird den ab- gelohnten Arbeitern mitgetheilt, daß sie bis auf Weiteres entlassen sind 2c. Wie nun „W. T. B.* meldet, haben die Hamburger Ewerführer in einer am Sonntag abgehaltenen öffentlichen Ver- sammlung beschlossen, am 1. Mai niht zu arbeiten.

In Lübe ck haben die bedeutendsten Vertreter des Handels, der Industrie und der Gewerbe beschlossen, diejenigen Ar - beiter, welhe am 1. Mai feiern, zu entlassen und nit wieder einzustellen. x

In München haben, wie „W. T. B.“ mittheilt, dreihundert Buchdruckergehülfen troß der Warnungen der Prinzipale be- \chlofsen, den 1. Mai als Feiertag zu begehen. Einen gleichen Beschluß faßten die Maurer- und Scchlossergesellen.

E Wie das „Chemn. Tgbl.“ meldet, haben die Webwaaren-, Strumpf- und Handschuh-, Trikot-, Maschinen- fabrikanten und Cisengießereibesißzer in Chemnitz beshlofsen, thren Arbeitern von einer Feier des 1. Mai abzurathen und ihnen durch Anschlag zu eröffnen, daß etwa dennoch feiernde Arbeiter nah Maßgabe des §. 123,3 der Gewerbeordnung und bezw. nah Maßgabe der beste enden Fabrikordnung als entlassen bezw. abgegangen an- gesehen und daß die abgegangenen Arbeiter bis auf weiteren Beschluß weder von dem eigenen Arbeitgeber, noch von den anderen Fabrikanten ferner Beschäftigung erbalten werden. Einer Mittheilung des . Wolff’schen Bureaus“ zufolge hatte die sozialistische Partei in den 29 Gießereien in Chemnitz Fragebogen betreffend die Be- theiligung an der am 1, Mai geplanten Arbe iterfeier in Umlauf geseßt, von denen 22 ausgefüllt worden sind. Danach erklärten ih von 1569 Arbeitern 598 entschieden für Theilnahme an der Feier, 647 sind zwar im Prinzip für die ahtstündige Arbeitszeit, aber gegen die Feter, 258 gaben gar keine Erklärung ab, und 106 wollen weiter arbeiten, ohne eine Verkürzung der Arbeitszeit anzustreben.

_In Mylau haben die Arbeiterführer, wie „W. T. B.“ berichtet, bezüglih des Verhaltens der Arbeiter am 1, Mai folgende Parole ausgegeben: „Wer ohne sich zu schaden am 1. Mai feiern kann, der feiere, wer arbeiten muß, der arbeite und komme nah Feier- abend in die sozialdemokratische Versammlung, wo er sich mit doppeltem Eifer betheiligen kann.“

i Aus Weimar theilt das „Wolff'she Bureau“ heute mit, daß die Regierung für den 30. April und den 1. Mai die Abhaltung öffentliher Versammlungen sowie die Veranstaltung von Auf- ¿ügen und öffentlihen Tänzen am Abend verboten habe.

Der „Köln. Ztg.“ wird aus Mainz telegraphirt, daß eine all- gemeine Arbeiterversammlung beshlossen hat,“ am 1. Mai nicht zu feiern. Es wird jedoch erwartet, daß die gesammte Arbeiterschaft sich an der Abends stattfindenden Volksversamm- lung zu Gunsten des ahtstündigen Arbeitstages hbe- theiligen wird,

Hier, in Berlin wurde, wie die „B. Börs.-Ztg.“ berichtet, in einer Versammlung der Brauereileiter am Sonnabend kon- statirt, daß der Betrieb in den von Ausständen betroffenen Brauereien im Wesentlichen nit gestört, sondern theils dur Wiedereintritt älterer, theils dur Zuzug fremder Gesellen und dur Heranziehung von Hülfskräften weitergeführt wird. Es wurde eine Resolution angenommen, welche die Gesammtheit der Brauereien zur Entschädigung der vom Bovcott betroffenen verpflihtet. Zur Aus- arbeitung passender Vorschläge hat der Verein der Brauereileiter von Berlin und Umgegend eine Kommission erwählt. Die Linoleum- fabrik inRirdorf hat ihre Arbeiter davon verständigt, daß diejenigen, welche am 1. Mai der Arbeit fernbleiben, auch am 2. und 3. Mai nit beshäftigt werden. Der Verein der Kistenfabrikanten Berlins und Umgegend hat den Beschluß des Vereins der Kistenarbeiter, „am 1, Mai nit zu arbeiten“, abschlägig beant- wortet. Wer nicht arbeitet, hat sch als entlassen zu be- trahten. In der landwirthschaftlichen Maschinenfabrik von Carl Beermann, Vor dem Schlesischen Thor, haben gestern Mittag wegen Nichtbewilligung des 1. Mai als Feiertrag sämmtliche Arbeiter 456 Mann die Arbeit niedergelegt. Jn der Näh- maschinen-Fabrik von Frister & Roßmann haben die Dreher, Ser und Hülfsarbeiter aus demselben Grunde die Arbeit eingestellt.

Aus Wien wird telegraphirt, daß laut Mittheilung des „K. K. Telegr.-Corresp.-Bureaus“ die Nachrichten einzelner Blätter über mili - tärische Vorsihtsmaßregeln in Wien für den 1. Mai vielfach übertrieben sind; namentli ist keinerlei Beseßung der Plätze und Straßen noch ein Verbot der herkömmlihen Märkte beab chtigt. Na der „Polit. Corresp.* lauten die Berichte aus der Mehr- zahl der niederösterreihischen Industriebezirke be- rubigend, Das Abgeordnetenhaus wird am 1. Mai, wie gewöhnli, tagen. Die Wiener Polizeibehörde hat die Er- laubniß zur Abhaltung der für den 1. Mai nahgesuchten Arbeiterversammlungen gegen die Verpflichtung, für die Auf- rehterhaltung der Ordnung Vorsorge zu treffen, ertheilt. Aus Klagenfurt wird berichtet, daß der Strike in Bleiberg und Kreuth beendet ift. j

. Aus Prag meldet „W. T. B.“: In die größeren Jndustrice- städte und Bergwerksorte ist, wie das „K. K. Telegr. Corresy.- Bureau“ mittheilt, Militär eingerückt. Das „Prager Abend- blatt“ erklärt die getroffenen umfassenden Vorkehrungen mit dem Herandrängen fremder Hetelemente an die Arbeiter ; gegen erstere werde mit rücksichtsloser Strenge vorgegangen werden.

__ Wie aus Graz telegraphisch mitgetheilt wird, fordern die Ar- beiter der Graz-Koeflaher Eisenbahn und der Berg- bau - Gesellshaft in Wies die ahtstündige Ar- beitszeit und einen Grundlohn von zwei Gulden. Aehnliches fordern die Arbeiter in Frohnsdorf. Es finden Verhandlungen darüber ftatt. Heute Vormittag überfielen 20 Arbeiter die in der Ziegelei Gams bei Marburg be- \chäftigten italienishen Arbeiter, um dieselben zur Arbeitseinstellung zu nôthigen. Zehn der Angreifer wurden verhaftet und dem Gericht eingeliefert. Die Jtaliener fahren fort zu arbeiten.

Unter den Arbeitern der Kohlengruben Jaworzno und der Cementfabrik in Szciakowa matt fih wie ,W. T. B.“

entlassen werden follen.

nah einem Telegramm des „K. K. Tel.-Korr.-Bureau“ aus Lem-

berg mittheilt, eine Gährung bemerkbar; die Behörde hat die er- forderlihen Maßregeln getroffen, um die Rube zu erhalten,

Aus Pest berichtet ,W. T. B.“: Der Ober-Stadtr- hauptmann untersagte eine Arbeiter-Versammlung für den 1. Mai Eine Deputation des Arbeitervereins wurde bei dem Ober - Stadthauptmann mit der Er- klärung vorftellig, daß der Verein auf die beabsichtigten Aufzüge verzihte. Die Deputation bat um Mittheilung, unter welchen Modalitäten die Versammlung gestattet werden würde, und Per iGente die Arbeiter würden für Aufrechterhaltung der Ordnung orgen.

Der Bürgermeister von Lüttih hat, wie ,W. T. B.“ nach dem „Patriote“ mittheilt, den Veranstaltern von Manifesta- tionen, die am 1. Mai in den Straßen stattfinden sollten, kund- gethan, daß Umzüge und Ansammlungen nach 6 Uhr Abends nit geduldet würden. Vorsichtsmaßregeln seien getroffen.

Aus Paris wird gemeldet, daß in Bessèges der Strike der Glasarbeiter ohne Rubestörung fortdauert; dagegen herrscht unter den Arbeitern der Hochöfen wegen Lobnberab lein große Erregung. Aus Bordeaux und Lille werden neue partielle Strikes gemeldet.

Kunft und Wissenschaft.

Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsamm“ lungen. XI. Band, 1, Heft, - Berlin, G. Grote'sche Verlagsbu§* handlung. Aus dem vorliegenden Heft haben wir die amtlichen Nachrichten über Neuerwerbungen für die Königlihen Museen bereits im Auszuge mitgetheilt. Die diesmal, wie stets, ihnen folgenden „Studien und Forschungen“ sind von ganz besonderem Interesse, namentlich auch wegen der \{önen künstlerisGen Beigaben zu mehreren der Aufsäße. Voran wird eine Probe dargeboten aus der demnächst erscheinenden 5. Lieferung des von der Generalverwal- tung der Museen herausgegebenen Bilderwerkes, betitelt „Die Gemälde - Galerie der Königlichen Museen zu Berlin, mit erläuterndem Text von J. Meyer und W. Bode“ (Berlin, G, Grote’s{e Verlagsbuchhandlung). Der im Jahrbuch abgedruckte Abschnitt ift dem Kapitel des Textes entnommen, welches die Ueber- {rift trägt „Dritte Gruppe: Die Naturalisten der freieren Richtung. Sandro Botticelli : Der Fortschritt zur malerishen Anschauung ; der Fug zum Mythologischen und Phantastishen. Filippino Lippi, Raffaelino del Garbo und Piero di Cosimo“. Der von Julius Meyer verfaßte Abschnitt stellt somit einen Beitrag zur Geschichte der florentinishen Malerei des 15. Jahrhunderts dat Bér Verfasser weist darin nah, daß die bhöchst grazióse und anmuthige Venus von Botticelli im Berliner Museum eine vervollkfommnete Wiederholung dieser Göttin auf dem Bilde der Uffizien, genannt „Die Geburt der Venus“, ist. Sie sowie ihr Vor- bild und ferner des Meisters anmuthige thronende Madonna mit dem Kinde, umgeben von sieben lieblihen Engelgestalten, eine Perle der Berliner Galerie, sind in ganz vorzügli gelungenen fetnen Helio- „gravüren veranshaulicht. Auch den Abschnitten über die drei anderen Meister sind Abbildungen ihrer Werke aus der Königlichen Galerie bei- gegeben. Des Raffaellino del Garbo „Maria mit dem Kinde, von zwei Engeln begleitet“, hat P. Halm radirt.

Dann berichtet Direktor W. Bode über die neueste, schr werth- volle Erwerbung für die Berliner Gemäldesammlung, nämli die lange vershollen gewesene, erst jeßt in Genua wieder entdeckte „Auferweckung des Lazarus“ yon Albert van Ouwater. Durch dieses Werk wird ein bisher in der Kunstgeshihte ganz unbekannter, hervorragender und besonders einflußreiher Meister in die Reibe der unmittelbaren Nachfolger der Brüder van Eyck ein- geführt. Die Beschreibung,'die der Haarlemer Künstlerbiograph Karel van Mander in seinem 1604 erschienenen Malerbuc giebt, stimmt fast Wort für Wort mit dem Bilde überein. W. Bvde \{|ldert leßteres wie folgt: „Nach echt nordisher Art hat der Künstler seine Darstellung in den Chor einer Kirche verlegt, in dem die Reichen feiner Zeit ihre Grab- stätte fanden. Das Grab im Fußboden der Kirche ift geöffnet worden, und der Auferweckte, nur dürftig vom Leichentuhe bedeckt, sißt auf dem quer über dem Grabe liegenden {weren Grabstein, dankbar zu feinem Erlöser aufblickend. Der „Tempel“ ift einer jener rundbogigen Kirchen mit \{lanken Säulen, wie sie die Phantasie der nieder-

ländischen Maler des 15. Jahrhunderts in Anlehnung an spät- romanishe Kirchen und wohl in entshiedenem Widerspruch gegen die gothische Bauart ihrer Zeit ausbildete. In der Form der überhöhten Rundbogen, in der Bildung der kurzen, \{chlanken Säulen mit ihren hohen Basen und den eigenthümlihen Kapitälen, deren band- artiges Pflanzenwerk der Uebergangszeit vom Romanischen zur Gothik entlehnt scheint, in den Reliefs der Pfeilerkapitäle, selbst in den mangelhaften Verhältnissen der einzelnen Bauglieder und in dem Mißverhältniß der Figuren zur Architektur {ließt #ch der Künstler aufs Engste an Jan van Eyck an. Dies gilt auch von der Dar- stellung der Scene, ihrer Auffassung, Anordnung, Bewegung und Zeichnung. Die feierlihe, aber freilih au etwas kalte Ruhe, welche sämmtlichen Kompositionen der Gebrüder van Eyck eigen ift, beherr\cht auch dieses Bild, dessen Motiv chon eine größere Belebung erfordert bätte. Die Auferweckung des Lazarus ein Motiv, das im frühen Mittel- alter sehr häufig behandelt worden ist, aber im 15. Jahrhundert uns nur ganz ausnahwsweise begegnet is zwar durchaus eigenartig aufgefaßt, aber in der Theilung der Komposition in zwei Gruppen von je 6 Figuren zu beiden Seiten des in die Mitte gestellten Lazarus, in der Haltung und im Ausdruck selbst bei den mit Entsetzen sih ab- wendenden Juden herrscht hier dieselbe Gleichmäßigkeit und Ruhe wie in der Anbetung des Lammes auf dem Genter Altar, und die beredsame Geschäftigkeit „des Petrus hat daneben fast etwas Komisches, Die ganze Scene ist zwar ebenso carakteristisch und eigenartig wie jede einzelne Figur erfaßt, aber jene beinabe starre Ruhe erstreckt sih bis auf das neugierig durch das Gitter der Chorthür hindurch\{auende Publikum.“ Bode sucht dann eingehend nachzu- weisen, wie sich der Künstler des Lazarus-Bildes auch in der Zeih- nung auf's Engste verwandt mit den van Eycks, - insbesondere mit Ian zeigt, und daß s au in der Malerei der unmittelbare Nach- folger des leyteren nit verkennen lasse. In leßterer Beziehung kommt er zu folgendem Grgennil s Das Bild ift ganz in der von den van Eyck8 ersundenen Malweise ausgeführt; die Behandlung, die Farben sind übereinstimmend bis auf die braune Lasur des Grün, auf das eigenthümliche, rvie geronnen erscheinende \{chwärzlihe Violett im Mantel Christi, auf die Wiedergabe aller Goldstoffe und Shmuck- sahen in gelber Farbe und das Fehlen aller changirenden Farben. Aber erade in der Färbung weit der Künstler am meisten von seinen Vorbildern ab; hier kommt am stärksten feine Eigenart zur Cap. Er sieht die Scene, selbst im ge) chlossenen Raum, im ein- fachen hellen Tageslicht. Daher geben sich die Farben als reine Lokalfarben, und es fel,lt dem Bilde jedes wirkliche Helldunkel, wäh- rend ihm ein im 15, Jahrhundert in dem Maße bei keinem nordi- sen Künstler entwideltes Gefühl für Luftperspektive und für Wieder- gabe des Lichts eigenthümlich ist. Gerade hierin beruht der Hauptreiz des Bildes, beruht namentli seine geshichtlihe Bedeutung; denn hier verräth sich der Künstler niht nur als der unmittelbare Vor- läufer und Lehrer der großen Meister des 15. Jahrhunderts in den holländischen Provinzen, insbesondere des Geertgen van St. Jans und des Dirck Bouts: hier liegt zugleih der Keim für die eigenthümliche Entfaltung der holländishen Malerei des 17, Jahrhunderts. In feiner hellen und reichen Färbung erscheint der Künstler keineswegs bunt oder unruhig: die Farben sind vielmebr mit großem malerischen Geschick zusammengestellt und geben in ihrer Harmonie eine außerordentliÞch prächtige Wirkung. Das Mittel, dur welches der Künstler diefe harmonishe Wirkung erzielt, ist das Licht: das sonnige Tageslicht durchleuctet alle seine arben und taucht sie in einen hellen Silbershimmer. Der volle onnenschein, der draußen über der Landschaft liegt und nur sein Reflexlicht in den Chor der Kirche sendet, ist an den Bußzenscheiben der drei Ghorfenster mit der Meisterschaft eines modernen Hellliht-

malers zum Ausdruck gebraht. Hier liegt der Keim zu der Ausbil-