1910 / 65 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Mar 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Gbensowenig kann ich aber der Anschauung beitreten, die der Herr Abgeordnete Stresemann erwähnt hat. Er glaubt, die Ent- deckung gemacht zu haben, daß der Adel in der Diplomatie, in den Botschaften, in den größeren Missionen mehr vertreten ist als in kleineren Missionen, und ebenfalls bezüglih der Konsulate, daß die Konsulate in größeren Städten mehr mit Adligen beseyt sind als mit Bürgerlichen. Vermutlich hat der Herr Abgeordnete hierin ein System entdeckt. Er nennt es das Gardeprinzip. Ja, mir ist dieses System gänzlih neu. Jch bin bald 3 Jahre Staatssekretär, ih habe noch nichts. davon erfahren. Aber vielleiht hat der Herr Abg. Stresemann eine ganz besondere Brille, mit der er diese Sachen gesehen hat.

Ich möchte auch nohmals betonen, was ih hon wiederholt gesagt habe, daß wir durchaus keine Scheidewand errihten zwischen der eigentlichen diplomatischen Karriere und der konsularischen. Es sind gerade, seitdem ih die Chre habe, an ter Spiße des Auswärtigen Amtes zu stehen, wiederholt Fälle vorgekommen, mehr als je zuvor, wo Leute, die die Konsulatskarriere in Ehren durhgemaht hatten, diplomatische Posten erhalten haben, und ebenso ist es vorgekommen, daß wir Diplomaten ohne Examen aufgenommen haben. Wir können das auf Grund der Bestimmungen, die zwar Negeln aufstellen, aber Ausnahmen zulassen.

Ich stimme vollständig mit dem nicht allein von dem Herrn Abg. von Dirksen, f\ondern auch von anderer Seite ausgesprochenen Wunsch überein, daß häufiger Wechsel auf den Posten nicht allein des Chefs, sondern auch der Untergebenen vermieden werden soll. Das i} leider nicht immer durchführbar. Jch will niht auf alle Fälle eingehen. Aber es liegt doch auf der Hand, wenn jemand erkrankt und das Klima nicht mehr ertragen kann, dann ist ja ein Wechsel nicht zu vermeiden.

Ich möchte noch in Kürze, meine Herren, auf die Frage der Reformen im Auswärtigen Amt eingehen. Das Bedürfnis nah Kräftevermehrung i} längst vorhanden (fehr richtig! bei den Nationalliberalen), und ih habe es auch wiederholt ausgesprochen. Namentlich bezieht ih das auf die höheren Stellen, auf die leitende Stelle. Es muß cine Entlastung des Staatssekretärs und Unterstaatssekretärs eintreten. Sonst drohen sie zusammenzubrechen. Die Last ist eine zu große. Ich will das im einzelnen nit darlegen. Es würde zu weit führen. Wir haben deshalb in Ausficht genommen, nah und nach zu einer Vermehrung der Kräfte gerade in der politishen Abteilung an leitender Stelle zu gelangen. Es ist Ihnen vielleiht nicht unbekannt, meine Herren, daß sich dieses Bedürfnis schon lange in dem Maße geltend gemacht hat, daß man immer aus dem Auslande Hilfskräfte heranziehen mußte. Das hat aber seine Uebelstände, und wir müssen zu einer stabilen Einrichtung gelangen. Wir müssen uns auch einen bleibenden, dauernden Stamm von Beamten schaffen, welche im Auswärtigen Amt die Tradition aufrecht- erhalten und die Kenntnisse weiter verpflanzen. (Sehr richtig!)

Die Kräftevermehrung. ist nicht allein in der politischen Abteilung eine sehr dringende Frage, sondern namentlich auch in der handels- politishen. Wir werden hier im nächsten Jahre mit Wünschen, die wir {on lange hegen, die wir aber zurückstellen mußten, an Sie herantreten.

Ich bin auch sehr gern bereit, die Vermehrung der Handels- sachverständigen bei den auswärtigen Missionen ins Auge zu fassen. Allerdings wird auch bei diesem Punkte mein Herr Kollege vom Schatzamt ein Wort mitzusprechen haben.

Meine Herren, wir find leider genötigt gewesen, aus allgemeinen Gründen die Kräftevermehrung in diesen Abteilungen vorläufig auf- zuschieben und eine Entlastung in anderer Weise zu suchen, durch Verminderung der Arbeiten. Das ist ja natürlih eine \{chwierige Sache; denn es steht nicht bei uns, die an uns herankommenden Sachen zu vermindern; aber was wir tun konnten, um den Geschäfts- gang zu vereinfahen, haben wir getan. Ich kann Ihnen nicht alles im einzelnen erzählen, ih fann Jhnen nur sagen, daß wir uns haupt- sächlih von derjenigen Praxis haben leiten lassen, welhe in fkauf- männishen Häusern, bei größeren Banken üblich ist. Es ist selbst- verständlich, daß wir alle diese Hilfsmittel gebrauchen, die in derartigen großen Häusern üblich sind, Formulare, Stempel, Postkarten, Schreibmaschinen, Telephon, mündliche Bescheide, und ich möchte hinzufügen, in Hinsicht auf einen Fall, der viel in der Presse besprochen worden ist, daß wir auf mündlihe Bescheidungen, soweit es natürlich möglich ist, mehr Gewicht legen, als es früher geschehen ist, und ebenso auf eine direkte Bescheidung derjenigen, welche sich an uns wenden. Wir vermeiden, wenn es irgend möglich ist, den Umweg durch die ver- schiedenen Instanzen der Behörden und namentlich durch Vermittlung der Polizei. Wenn auch an sich nichts dabei ist, so macht es doch immer auf die Betroffenen einen unangenehmen Eindruck, wenn sie ein Schriftstück durch die Polizei übermittelt bekomnmen.

Aehnliche Maßnahmen wie im Auswärtigen Amt sind für die Missionen draußen angeordnet. Ih möchte bei dieser Gelegenheit auch noch eine Frage erwähnen, welche der Herr Abgeordnete Dr. Stresemann gestern gestellt hat, das ist die Einziehung des Portos seitens der Konsulate für Auskünfte. Ja, meine Herren, das ist eine Frage, die gar nicht so einfach ist. Wenn unsere Konsuln an Private in Deutschland Bescheide schicken und, den Vorschriften entsprechend, sie niht frankieren, fondern sie höchstens mit der Be- merkung „Portopflichtige Dienstsahe“ versehen, so bekommt der Be- treffende das Schriftstück in die Hand und muß Strafporto zahlen. Das erregt viel mehr Unzufriedenheit, als wenn er vorher veranlaßt wird, für die betreffende Nückantwort ein Porto einzulegen. Aber wir sind damit beschäftigt, diese Frage zu regeln. Das ist aber nit ganz \o leicht, wie es auf den ersten Blick scheint. Es handelt sich um ziemlich hohe Beträge. Auch in diesem Falle muß ih mich an meinen Kollegen vom Schatzamt wenden, um seine Zustimmung zu erhalten.

Ich möchte dieses Thema verlassen, um mich nicht zu sehr in Einzel- heiten zu verlieren, und mich zu einem anderen Punkte wenden, der eben- falls von Herrn Stresemann berührt worden ist, die Errichtung von Kon- fulaten in Sibirien. Wir haben dieser Frage hon lange unsere Aufmerk- samkeit gewidmet und {on in den leßten Jahren im östlihen Rußland, das sehr entwicklungsfähig ist, Konsulate errichtet, namentlich in Charkow und Saratow. Ferner sind wir, seitdem es möglich ge- worden ist, seitdem die russishe Negierung ihre grundsäßlih ablehnende Haltung aufgegeben hat, der Errichtung von Konsulaten näher getreten zunächst in Omsk und in Tomsk. Eine Vorlage deswegen wird an Sie nicht herantreten, weil wir uns vorläufig mit Wahlkonsuln werden behelfen können. An dritter Stelle ist die Errichtung eines

sammenhange daran erinnern, daß wir ein Konsulat im fernen Osten haben in Wladiwostok und ebenso ein \solches in Charbin. Charbin liegt zwar nicht in Sibirien, hat aber vielfahe Beziehungen mit diesem entwidcklungsfähigen Lande.

Nun hat der Herr Abgeordnete auch Klage geführt darüber, daß die Auskünfte seitens der Konsulate niht immer so ausfallen, wie es gewünscht wird. (Heiterkeit.) Das mag wohl in einzelnen Fällen vorkommen, aber diese Fälle bilden nur eine verschwindende Selten- heit, unter den Tausenden und aber Tausenden von Fällen find mir nur sehr wenige bekannt geworden, wo die Anfragen nicht befriedigend erledigt worden sind.

Ich möchte aber auch noch auf einen weiteren Punkt hinw-isen, daß nämlih die Grundsäße, nah denen die Auskunftserteilung für unsere Konsulate geregelt is, vor zwei Jahren in einem Runderlaß an die Konsulate ergangen sind, der auch zur öffentlichen Kenntnis gebraht worden ist. Er findet sich abgedruckt in dem Konsular- handbuch von König, das sich ja in jeder Bibliothek befindet. Seit- dem sind die Klagen ziemlih verstummt. Wenn troßdem noch welche auftreten, so beruht das meist auf Unkenntnis ‘der Verhältnisse, namentlich auch auf der geringen Beachtung der Veröffentlihungen, die regelmäßig in gewissen Zeitschriften erscheinen und die Be- rihte unserer Konsuln und Handelssachverständigen enthalten ; ih erwähne das „Deutsche Handelsarhiv“, „die Berichte über Industrie und Handel“ und die „Nachrichten für Handel und Industrie". Durch eine weitere Kenntnisnahme dieser Hilfsmittel wird fich eine große Anzahl von Anfragen vermeiden und mancher Aufschluß sich rascher, erschöpfender und erfolgreicher erledigen lassen als durch Anfragen bei den Konsulaten.

Im übrigen möchte ih hierzu noch folgendes sagen. Das Nisiko, das mit dem direkten Auslandsgeschäft verbunden ist, ist meist größer, als angenommen ist. Die Möglichkeit, daß dabei in einer Notlage die Hilfe des Konsuls angegangen werden muß, verlangt vor allen Dingen eine klare Vorstellung von den Machtbefugnissen des Konsuls und der Grenze der Hilfe, die der Konsul etwa gewähren kann. Gerade hierin bestehen aber vielfach Unkenntnis und irrtümliche Vor- stellung. Häufig fehlt auch den Interessenten die Kenntnis davon, daß dem Konsul im Auslande Zwangsmittel niht zur Verfügung stehen. Gewöhnlih wird sogar angenommen, daß dem Konsul die gleichen, wenn niht gar größere Befugnisse zustehen, als den Be- hörden in Deutschland. Davon kann natürlich keine Nede sein. Der Konsul ist mit Ausnahme einiger Fälle, wo er Jurisdiktion ausübt, in der Regel dem Auslande gegenüber nichts anderes als eine Privatperson.

Neben einer irrigen Vorstellung von den Machtbefugnissen des Konsuls finden sich vielfah sehr weitgechende Ansichten über den Zweck der Konsulate und die Pflichten der Konsuln. Die Konsuln sollen dazu dienen, überall dort dem einzelnen ver- mittelnd und aufklärend an die Hand zu gehen, wo die gewöhnlichen heimishen Grkundigungéquellen versagen. Es muß also vorausgesetzt werden, daß die Interessenten sich bemüht Haben, auf Grund der allgemein zu Gebote stehenden Hilfsmittel und Einrichtungen vor Anknüpfung von Geschäftsverbindungen im Auslande sih einigermaßen über die besonderen Verhältnisse des Landes, namentlih die Geld- und Währungsverhältnisse, über die Grundzüge der Rechts- und Zoll- verhältnisse zu informieren. Das is Sache der Schulbildung, der Handels\chulen, der kaufmännischen Ausbildung und der Fortbildung. Auf eine falsche Auffassung der Zwecke der Konsulate is auch eine weitere Erscheinung zurückzuführen, welche in den leßten Jahren immer häufiger erkennbar wird, nämlich tas Streben, die Tätigkeit der großen Erxporteure und Kommissionäre durch Anknüpfung direkter Geschäftsverbindung mit den Konsuln zu erseßen. Das kann der Konsul nur in den seltensten Fällen.

Ein weiterer Punkt und eine Quelle von Enttäuschungen ist die Nichtbeachtung der Grenze, die zwischen Auskunstseerteilung und Ge- \{häftsvermittlung besteht. Die Auskunftserteilung foll den Inter- essenten die Mittel und Wege weisen, wie in der üblichen kaufmännischen Tätigkeit Handelsbeziehungen angeknüpft werden können; dem Interessenten bleibt es aber selbstverständlihß über- lassen, ob und wie er die ihm mitgeteilten Adressen für seine Zwecke dienstbar machen will. Für direkte Geschäftsvermittlung wird natürlich der Konsul nicht zu haben sein, das ist nicht möglich; endlih kommt hinzu, daß die Anfragen an die Konsuln sehr häufig in durchaus vager Weise gestellt werden. Ebenso störend wie eine zu allgemeine und unbestimmte Angabe des Fragegegenstandes ist auh das Gegenteil, die Bezeichnung einer Ware durch einen vielleiht in der betreffenden Warenbranche für den Spezialisten noch verständlichen Fadhausdruck, ohne daß demselben eine Erläuterung über Wesen und Zweck des Artikels beigefügt ist. An die als zu allgemein oder zu speziell zu bezeichnenden Anfragen reihen sich Anfragen, bei denen der Umfang so weit genommen ist, daß cine materielle, erschöpfende Be- antwortung im Rahmen der eigentlihen amtlichen Tätigkeit der Konsuln nicht mehr möglich ist. Jh möchte Ihnen nicht die vielen Beispiele vorlesen, die wir in dieser Beziehung angesammelt haben, fle sind zum Teil sehr merkwürdig und auch oft wiederkehrend; Er- suchen um Benennung sämtlicher Vertreter oder gar sämtlicher Ex- porteure oder Importeure gehören in diefes Kapitel. Nun, meine Herren, wenn die deutschen Intercssenten die eben gemachten Ausführungen und die darin licgenden Fingerzeige mehr beachten als bisher, werden fie dazu beitragen, die niht immer leichte Arbeit unserer Konsuln im Ausland zum Nußen unserer Volkswirtschaft zu fördern, auh wird dann mancher Grund zu Klagen über unsere Konsuln wegfallen, die selbst bei den immerhin ret zahlreichen günstig durchgeführten Vermittlungen nur selten ein Wort der Anerkennung aus den Kreisen der einheimischen Interessenten erhalten. Dabei verkenne ih keineswegs, daß auch bei unseren zahlreihen Konsulaten einmal ein Schnitßer vorkommen kann. Auch beim Auswärtigen Amt kann cinmal etwas vorkommen, was besser anders gemacht wäre, z. B. die gestern berührte Auskunft über die Literatur über Neuseeland. Jch bemerke aber dabei, daß diese Auskunft niht erbeten war zu wirtschaftlichen Zwecken von einem Geschäftsmann, sondern von einem Privatmann zu rein privaten Zwecken, und es liegt eigentlih auf der Hand, daß man eine solche rein literarische Auskunft sich beim Buchhändler holt ; wir werden sie aber gerne erteilen, wenn es unsere Zeit erlaubt. Vielfach sind auch die Klagen über Verzögerungen, Verschleppungen, Langsamkeiten des Auswärtigen Amts in der Presse zu Tage getreten. Ja, meine Herren, alle diese Fälle, die mir bekannt geworden sind, habe ih untersucht, und es hat {ich regelmäßig herausgestellt, daß die Klagen

zeitig oder so ras, wie der betreffende Fragesteller es erwartet, eine Antwort zu geben, weil wir selbst sie noch niht von denjenigen Behörden, mit denen wir in Verbindung treten mußten, erbalten haften. Ein Beispiel davon ist doch die gestern erwähnte Beschwerde eines Handelshauses, die, wie ih glaube, Tuchstoffe in Bulgarien betraf.

Ich bedauere, Sie noch einige Minuten aufhalten zu müssen, um noch ein anderes Gebiet zu berühren, was ja auch vielfa zu Klagen in der Presse Anlaß gegeben hat, das Gebiet der Inanspruchnahme unserer Konsuln, Missionen und des Auswärtigen Amts in bürger- lihen Rechtssachen. Welche Ansprüche zuweilen in bezug auf Nechts- auskünfte an uns gestellt werden, erhellt ih führe Beispiele an aus der Eingabe eines deutschen Fabrikanten, worin er über einen Konsul Beschwerde . führt, den er gefragt habe, wie er sich gegenüber der Berufung seines Prozeßgegners zweckmäßig zu verhalten habe. Er gibt sih nicht zufrieden, daß der Konsul ihm einen Anwalt be- zeichnet. Er fragt: „Wo ist das Rehtsauskunftsbureau, von dem ih eine zuverlässige Beantwortung meiner Fragen erlangen kann ? Es fehlt anscheinend, das ist eine Lücke in unseren staatlichen Einrichtungen, die schwere Schädigungen der Reichsangehörigen zur Folge hat, undauf die ih hier hinweisen möchte, damit sie beseitigt wird. Jh kann von keiner deutshen Behörde eine klare und bündige Auskunst erhalten und muß wohl oder übel einem französishen Nechtsanwalt mih in die Hand geben und neue große Geldopfer bringen wegen einer Sache, die cine jämmerliche Bagatelle darstellt.“ Diese Aeußerung zeigt, wie so viele ähnliche, die wir erhalten, welch unklare Begriffe über diese Dinge herrschen. Jeder, der im Inland eine Nechts\ahe zu führen hat, weiß, daß er sich an einen Nechtsanwalt wenden muß. Sobald aber die Sache im Ausland spielt, sollen das Auswärtige Amt und die Vertreter des Auswärtigen Amts den Nechtsanwalt \pielen. Wir wären sehr gerne bereit, aber wir können ‘das wirkli bei dem Drange und der Menge der Geschäfte nicht bewältigen.

Besonders häufig sind ferner die Fälle, in denen die Anträge auf Gewährung konsularishen Beistandes in Streitigkeiten und gegenüber säumigen Schuldnern jeglihes Augenmaß für die oben angedeuteten Grenzen konsularisher Tätigkeit vermissen lassen. Ganz außerhalb des Nahmens konsularisher Tätigkeit liegen selbstverständlich die oft gestellten Anträge von deutschen Parteien und sogar von Anwälten, ihnen für einen in der Heimat geführten Nechtsstreit mit anderen Deulschen Prozeßmaterial irgendwelcher Art zu beschaffen. Endlich ist noch auf die bedenkliche Uebung hinzuweisen, den Konsulaten bei Ver: mittlungsanträgen Wechsel zur Präsentation oder gar zur Indossierung, Orders, Konnossements, Pfandscheine oder ähnliche Urkunden zu über- senden. Die sich an diefe Papiere knüpfenden Wirkungen, vor allem die Hineinziehung des Fiskus in den Kreis der Verpflichtungen oder der Perfonen, die unter Umständen haftbar gemacht werden können, lassen es von vornherein mißlih erscheinen, die Konsuln mit \olchen Urkunden zu befassen.

Schließlich fehlt es nicht an Anträgen, in denen geradezu Un- sinniges und Unmögliches an Vermittlung verlangt wird. Scheitert die konsularishe Vermittlung, und sieht sich ein Gläubiger nunmehr zur Inanspruchnahme der Gerichte gezwungen, so tritt an die Kaiser- lichen Vertreter sehr häufig der Antrag heran, womöglih felbst den Prozeß zu führen, obschon sie hierzu selbstverständlih durhaus nicht befugt und in der Lage sind. Oder aber es wird eine dauernde Kontrolle der Anwälte verlangt oder für selbstverständlih gehalten. Nicht selten verlangt die deutshe Partei aber noch viel mebr, nämli eine unmittelbare Beeinflussung der Richter dur die Vertreter des Neichs. Schließlich beruhigt fich die Partei recht häufig au nicht bei der rechtskräftigen Entscheidung. Ein einziges Beispiel! Ein deutsher Großkaufmann verlangte sogar die Einseßung einer vom Auswärtigen Amt und der Regierung des Staats, wo er seine Pro- zesse verloren hatte, ernannten gemishten Kommission zur abermaligen Untersuchung der Prozesse. (Heiterkeit.) Er fügte hinzu :

In meiner Sache wird eine Deputation von Neichsangehörigen nach Berlin reisen und dem Herrn Reichskanzler ein Gesuch unter: * breiten, sowie cine Petition dem Reichstag übergeben.

Allerdings {rieb er nach einiger Zeit :

Da die Nechtsabteilung des Auswärtigen Amts sehr prompt

geantwortet bat, so ist die Neise der Deputation verschoben.

Aber, meine Herren, das Damokless{hwert dieser Deptitation {webt noch immer über uns, und über Jhnen auch! (Heiterkeit.) Nun hat der Herr Abg. Stresemann gestern cinen Fall vor- gebracht, der in diesem hohen Hause hon häufiger besprochen worden ist; es ist der Fall des in Südafrika ansässigen Reich2angehörigen Sunkel, der im british-südafrikanishen Kriege {weren Schaden erlitten hat. Wir haben die Reklamation des Herrn Sunkel, mit vielen anderen Reklamationen ähnliher Art, nahdem wir sie einer eingehenden Prüfung unterzogen hatten, die sehr viel Zeit erforderte man muß die weiten Entfernungen, die Schwierigkeiten der Materie und die Schwierigkeit der Aufklärung einzelner Fälle be- denken —, wir haben diese Neklamation und die anderen gleichartigen Ansprüche bei der britishen Regierung zur Sprache gebracht und sind auf unsere Anträge wiederholt nachdrücklich zurück- gekommen. Die Reklamationen Deutscher, die in jenem Kriege geshädigt worden sind, haben bekanntli bisher nur zum Teil eine gewisse Befriedigung erhalten, soweit sie nämli von den von Eng- land in Südafrika eingerichteten Entshädigungskommissionen an- erkannt worden sind. Unsere Verhandlungen mit der britischen Re- gierung wegen weiterer Entschädigungen {weben noch, und wir haben insbesondere auch im Falle des Herrn Sunkel der britischen MNegierung den Weg des Schiedsverfahrens vorgeshlagen. Die Antwort der britishen Negierung steht noch aus; nah einer kürzlicen Auskunft ist sie noch mit der Prüfung dieser Reklamationen befaßt. Ich möchte hinzuseßen, daß diese Materie allerdings eine un- gewöhnlih schwierige ist, und daß es sich da um verwickelte völker- rechtlihe Fragen handelt. Manche Regierungen stehen auf dem Standpunkt, daß Schäden, welhe aus Anlaß von Kriegen oder inneren Unruhen entstanden sind, nicht zu erstatten sind. Wir da- gezen vertreten den Standpunkt, daß derartige Schäden zum mindesten so weit völkerrechtlich vertretbar sind, als es sich um direkte Schäden handelt. Wir hoffen, daß sich diese unsere Auffassung allmähli durhseßen wird.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Konsulats in Irkutsk in Aussicht genommen. Ich darf in diesem Zu-

unbegründet waren, daß wir deshalb nicht in der Lage waren, so früh-

¿ 6D.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Nun hat der Herr Abg. Dr. Stresemann noch einen anderen Fall berührt und in Vergleich gestellt mit diesem Fall Sunkel, einen Fall, wobei es sich um Ansprüche handelt, welche die britische NRe- gierung an uns gestellt hat: Es ist ein Fall, welcher das englische Haus Burns, Philp and Co. betrifft, und welcher in Australien spielte. Ja, der Fall liegt ganz anders. Hier war die Nechtslage bald geklärt, und wir mußten vom Nechts\standpunkte aus anerkennen, daß der An- spruch berechtigt war. Bei dem Falle des Herrn Sunkel und seiner Leidensgenossen wird die rechtliche Auffassung aber nicht anerkannt, vielmehr bestritten, und außerdem ist die Prüfung dieser vielen Be- werden, die sehr umfangreich ist, noch nicht abgeschlossen.

Der Herr Abg. von Dirksen hat fernerhin die Frage gestellt, wie es mit dem Geseß über die Konsulatsgebühren steht. Ich glaube, Feine Indiskretion zu begehen, wenn ih sage, daß diejer Geseßentwurf beute an den Bundesrat geht, und daß er infolgedessen voraussichtlich sehr bald in Ihre Hände gelangen wird.

Der Herr Abg. Dr. Stresemann hat noch manche anderen Punkte berührt, auf welche ich nicht eingehen möhte, um Ihre Geduld nicht auf eine zu harte Probe zu stellen. Ich möchte nur sagen, daß darin manche schr beachtenswerte Anregung enthalten ist, z. B. diejenige, welche internationale Vereinbarungen auf dem Gebiete des Güter- austausches, der Besteuerung von Handelsreisenden, bei Zollstreitig- keiten betrifft. Allerdings dürfen wir dabei nicht aus dem Auge lassen, daß es sich hier um Materien handelt, bei denen die Geseß- gebung der betreffenden Länder sehr weit auseinandergeht.

Der Herr Abg. Kaempf hat die Verhältnisse jüdischer Reisender in Nußland zur Sprache gebracht und gefragt, wie es mit den Paß- verhältnissen stehe. Jch kann darauf folgendes sagen: Angaben über das NReligionsbekenntnis finden in den deutshen Püässen feine Aufnahme. Dagegen werden auf Antrag Neisender nah Nußland von den deutschen Behörden Bescheinigungen, deren es für das russische Visa bedarf, darüber ausgestellt, daß sie einem crist- lichen Glaubensbefenntnisse angehören. Es ist uns bekannt, daß so- wohl in Frankreih wie in den Vereinigten Staaten von Amerika Schritte unternommen worden sind, um die Regierung dieser Länder dazu zu veranlassen, bei der russishen Regierung auf die Beseitigung der für ausländische Israeliten bestehenden Reisebeschränkungen hin- zuwirken. Indessen sind dahin gehende Vorstellungen fremder Staaten, deren Erfolg auf Grund der uns vertragsmäßig zustehenden Meist- begünstigung ohne weiteres auch den deutschen Israeliten zugute Fommen würde, bis jeßt ergebnislos gewesen. Won deutscher Seite find nach dieser Nichtung hin gleichfalls wiederholt Vorstellungen bei der russischen Regierung erhoben worden, so auch im Interesse einer erleihterten Zulassung israelitisher Aerzte nah Rußland. Die russische Regierung hat im Sommer vorigen Fahres auf unsere Ver- wendung zu ihren Gunsten erwidert, daß cine allgemeine Aenderung der in Rußland auf dem Gebiet des Paßwesens bestehenden Bestim- mungen ins Auge gefaßt sei, daß aber vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen dem Wunsche der deutschen Aerzte nicht Nechnung getragen werden könne.

Ferner hat der Herr Abg. von Dziembowski die Sprache auf die Ausweisungen aus Preußen gebraht. Ja, das ist eine Sache der inneren Politik. Ein jeder Staat hat das Necht, ih unbequemer fremder Elemente zu entledigen. Mit der äußeren Politik hat diese Frage nihts zu tun, wenn ih auch zugebe, daß Ausweisungen, wenn sie in großem Maßstabe stattfinden würden, ver- stimmend auf das Land einwirken könnten (hört, hört! links), dem die Betreffenden angehören. Von der Ausweisung einer Dame namens Bloch ist im Auswärtigen Amt nichts bekannt. Jedenfalls hat die russishe Regierung diese Sache hier niht zur Sprache gebracht.

Was den Paßzwang betrifft, den der Herr Abgeordnete berührt hat, so handelt es sich um eine Maßregel, die aus bestimmten Gründen vor längeren Jahren veranlaßt worden ist, und die auf einer Kaiserlichen Verordnung vom Jahre 1879, die im Neichsgeseßz- blatt veröffentliht ist, beruht. Der “Visierung8zwang für Pässe, welcher damals eingeführt worden ist, ist inzwishen aufgehoben worden; die Paßpflicht besteht aber nah wie vor. (Zuruf links: Gründe?) Das ist Sache der inneren Politik. (Heiterkeit links.)

Nun möchte ih noch ganz kurz ih komme gleih zu Ende auf die Ausführungen des Herrn Abg. Hansfen eingehen. Er hat die Angelegenheiten in Nordschleswig besprohen und über Wiederkehr der barten Köller-Politik,“ über Niederlassungsverweigerungen, über Ver- folgungen und Ausweisungen angeblich harmloser Leute geklagt. Auch diese Dinge liegen auf dem Gebiete der inneren Politik; ih werde dem Herrn Abgeordneten auf dieses Gebiet nicht folgen. Ich muß aber mit Nachdruck Verwahrung einlegen gegen die Behauptung, daß wir Dänemark gegenüber die Vertragstreue verletzen, daß behördliche Handlungen im Widerspruch mit dem Optantenvertrage oder sonstigen internationalen Verträgen stehen. Wir find, wie immer und überall, so au hier durchaus loyal in der Auslegung und in der Ausführung vertraglicher Verpflichtungen verfahren; mit dem Optantenvertrage und anderen Verträgen haben die Ausweisungen nicht das geringste zu tun. Wenn deutshe Behörden sch zu einer derartigen Maß- regel veranlaßt sehen, so handeln. sie in Ausübung eines guten unanfechtbaren Rechtes und unter dem Zwange einer bitteren Notwendigkeit. Die deutschen Behörden weisen niemand aus, wenn sie nicht ihre chwerwiegenden Gründe dazu haben. (Rufe: Na, na! links.) Das sollte niemand besser wissen, als der Herr Abg. Hanssfen, dem ich nur wünschen will, daß er seine Pflicht als preußischer Staatsbürger und deutsher Reichs8angehöriger ebenso treu erfüllt, wie

preußishe Beamte, die er so gern als harte Verfolger der Unschuld hinstellt (Hört, hört! und Sehr richtig! rets), ihre Pflicht tun zum Schutze deutshen Staatslebens und zur Abwehr deuts{h-feindlicher Bestrebungen. (Sehr richtig! rets.)

| Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

1910,

Berlin, Donnerstag, den 17. März

Widerspru in dem nachweisen zu können, was ich in der Budgetkommission im Laufe der Diskussion über die Mannesmann- Angelegenheit gesagt habe. Gr har das : Protokoll der betreffenden Sitzung niht zutreffend oder wenigstens meine Worte nicht zutreffend wiedergegeben. Ich habe das Protokoll hier, und der betreffende Passus meiner Ausführungen lautet folgender- maßen :

Staatssekretär des Auswärtigen Amts Freiherr von Schoen äußert sich zu der Nachricht der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“, daß die österreichische und die spanische Regierung sich der deutschen gegenüber bereit erklärt hätten, für die Unanfechtbarkeit der Mannesmann- Konzession einzutreten, sobald unsere Regierung die Sache der Gebrüder Mannesmann zu der ihrigen macht. Diese Nachricht fei falsch.

Bon dieser meiner Erklärung, meine Herren, habe ih nichts weg- zunehmen, und ih habe ihr nichts hinzuzuseßen, und es ist nicht zu- treffend, daß ih sie im Laufe der betreffenden Sißung abgeschwächt oder zurückgenommen hätte. (Abg. Liebermann von Sonnen- berg: Habe ih auch nicht gesagt!) Ich habe den Eindruck, daß es dem Herrn Abgeordneten darum zu tun ist, mich persönlich anzugreifen, mich persönlich zu diskreditieren. Er hat sich damit auf die Seite derjenigen gestellt, die dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts in der Presse, unter Zuhilfenahme von allerlei boshaftem Klatsch und albernen Erfindungen den Makel undeutsher Gesinnung anzuheften suchen, die den Glauben erwecken wollen, daß gewisse politishe Akte von persönlichen Zukunftswünschen in einer bestimmten Nichtung becinflußt sein könnten. (Sehr gut! in der Mitte.) Ich weise jene Verunglimpfungen von mir, mit besonderem Nachdruck aber jene Unterstellung, als ob mein Sinnen, Trachten und Tun ‘von anderen Nücfsichten bestimmt sein könnte, als von Nücksihten auf das Wohl des deutshen Vaterlandes. (Bravo rechts !)

Abg. Dr. Arning (nl.): Auch wir halten es für notwendig, daß alle Parteien in Fragen der auswärtigen Politik zusammengehen müssen. Die Ausführungen des Staatssekretärs, er wisse nihts von einer Bevorzugung des Adels in der Diplomatie, erinnert an eine ähnliche Aeußerung des früheren Kriegsministers in bezug auf die adligen Regimenter. Sehr erfreut bin ich über das, was der Staats- sekretär über den Fall Sunkel gesagt hat. Mögen die Bemühungen des Auswärtigen Amts in dieser Frage von Erfolg gekrönt sein. Viel \{limmer liegt der Fall Fleischmann. Es ist zu wünschen, daß auch für diesen unglücklihen Menschen, der zu Unrecht des Mordes angeklagt war, herausgeholt wird, was herauszuholen ift. Wie steht es mit den Verhandlungen über die SOE a Es cheint, als wenn da unsere Interessen niht genügend wahrgenommen werden. Die Suezkanal-Gesellshaft hat beantragt, ihr die Konzession noch auf 40 Jahre zu verlängern. Die Entscheidung ist der Assemblée générale übertragen, und diese hat die Zustimmung aus allgemein politischen Gründen abgelehnt. Bei der außerordent- lichen Wichtigkeit des Suezkanals für unsere Schiffahrt sollte unsere Regierung darauf hinwirken, daß die Schiffsgebühren bei der etwaigen Verlängerung des Vertrages einigermaßen herabgeseßt werden. Für den Piräus wäre die Errichtung eines Berufskonsulats dringend ge- boten. Ferner möchte ih wissen, ob niht Konzessionen, die im \üd- lichen Mesopotamien auf englischen Dru erteilt sind, dazu angetan sein können, unsere deutshen Interessen an der Bagdadbahn zu yaralysieren, und ob hier niht etwas geschehen könnte, um unsere Snteressen besser zu wahren. Was die Mannesmann- Angelegenheit betrifft, so hatte ih bei den Aeußerungen des Abg. Scheide- mann den Eindruck, als ob er meinte, es sei alles Schwindel, und das deutsche Volk sei hierbei belogen. Die Brüder Mannes- mann. haben erst in der leßien Zeit ich an die Presse gewandt. Der Abg. Scheidemann hat die Tatkraft der Brüder I nesiianu gelobt, hoffentlih schadet ihnen dies Lob nicht. Der Abg. Scheidemann hat, um zu beweisen, daß die Sache Mannesmann oberfaul \ei, fh auf gewisse Tatsachen bezogen. Die Nechte der Brüder Mannesmann sind mindestens ebenso begründet, wie die Nechte irgend anderer. Die große Anzahl der Gutachten der allerersten Autoritäten, wie Zorn usw., bestätigen die Rechte der Brüder Mannesmann als formell begründet. Selbst das gegenteilige Gutachten von Martius bezweifelt nicht die Gültigkeit des Berg- gesepes. Der Abg. Scheidemann berief sih au auf die pen Betrachtungen des Professors Kampfmeyer. Dieser läßt durhblicken, daß es sich um eine Fälschung der Brüder Mannesmann handelt. Im „Echo de Paris" wurde gesagt, die Affäre Mannnesmann ge höre niht vor ein Schiedsgericht, sondern vor die Geschworenen. NVon autoritativer Seite wurden die philologishen Fest stellungen des Professors Kampfmeyer bestritten. Wir sind für die formellen Rechte der Brüder Mannesmann eingetreten, und wir tun es auch jeßt noch. Hier stehen s{hwere perfönliche Interessen auf dem Spiel, aber auch hohe wirtschaftliche, deutshe Interessen. Die Schlußerklärung der Kommission betrachte ih niht als Retraite, sondern als Neveille. Es sollen diejenigen erwachen, die noch nicht inne geworden sind, daß es ih darum handelt, wichtige wirtschaftliche deutsche Interessen zu verfolgen.

Abg. Dr. David (Soz.): Ih glaube nicht, daß es dem Vor- redner gelungen ist, die formalen Rehtsansprüche der Brüder Mannes- mann auf die Beine zu stellen. Was wir den Brüdern Mannes- mann bewilligen könnten, find Billigkeitsgründe, die sind ihnen aber auh zugestanden worden. Der Abg. Liebermann von Sonnenberg hat noch einmal versuht, den Sinn der Erklärung der Kommission so zu verschieben, als ob die Verfehter der Interessen der Brüder Mannesmann darin einen Sieg erblicken könnten. Der Abg. Lieber- mann von Sonnenberg hatte ja eine Resolution eingebracht, die seine Standpunkte festlegte, er hat nicht einmal den Mut gehabt, diese Resolution zur Abstimmung zu bringen. Auch eine ab- geschwächte Resolution wurde mit allen gegen fünf Stimmen abgelehnt. Die große Mehrheit der Kommission hat also den Nechts\tandpunkt acceptiert, welhen das Auswärtige Amt ein genommen hat. Den Vorwurf des Abg. Liebermann von Sonnenberg gegen die Sozialdemokratie, daß sie die Interessen des Volkes in dieser Frage nicht wahren wolle, brauche ih nicht ernsthaft zurück- zuweisen. Die Mannesmann-Frage ist von den alldeutshen Chau vinisten aufgegriffen worden, die am liebsten aus diesem Feuerchen einen Weltbrand gemacht hätten. Der „Hannoversche Courier“, der früher ganz ungeniert auf die vier Millionen deutscher Bajonette hingewiesen hatte, begleitet die gestrige Erwähnung dieser Tatsache im Reichstage in seinem Parlamentsberiht mit einer Glosse, die diese Tatsache als erlogen darstellen soll! Das Blatt weiß also gar niht mehr, was es selbst früher geshrieben hat. Auf demselben Niveau wie der „HannoverscheCourier“ steht die Marokko-Korrespondenz. Wir verwerfen auch den fripolen, noch heute von dem Abg. von Dirksen zitierten Gaß: „Right or wrong, my country !“ Nicht um der s{önen Augen des Staatssekretärs von Schoen willen unterstüßen wir ihn in dieser Frage. Die Ausweisung läftiger Ausländer wird in

mußte, dagegen aufzutreten; ebensowenig kann das Ansehen des Neiches nas außen gefördert werden, wenn L en ohne weiteres in dem Kanalgesey hinsichtlih der Schiffa rtsabgaben über inter- nationale Verträge sich einfa hinwegseßt. Aber den Privatiniew#en einzelner deutsher Bürger sehen wir die großen Gesamtinteressen des deutschen Landes und Volkes gegenüber, und die wären {wer ge- schädigt worden, wenn man den Mannesmannschen Ansprüchen nach- gegeben hätte. Es hieße dem Auswärtigen Amt ein moralisches Harakiri zumuten, wenn dies sih in Gegensaß zu dem von ihm selbst beantragten Augustbes{luß von 1908 gestellt hätte, weil es inzwischen einem Deutschen gelungen war, einen fetten Happen wegzuschnappen. Die Frage der englisch-deutshen Entente wird die Zentralfrage der deutschen auswärtigen Politik sein und für lange bleiben ; von der Gestaltung dieses Verhältnisses wird es abhängen, ob ein Weltbrand vermieden wird oder niht. Den Kopf in den Sand dürfen wir da nicht stecken, sondern wir haben dieser Gefahr ins Auge zu sehen und das Gewissen des deutschen Volkes wachzurütteln. Das englische Marinebudget für 1910 beträgt niht weniger als 800 Mill. Mark; wir stehen vor dem Resultat unserer deutschen Flottentreibereien, wir erhalten die Quittung für das, was dieser Flottenchauvinismus ver- schuldet hat. Und dabei war sogar noch - ein Antrag gestellt worden, zum Zwecke der rasheren Vermehrung der englischen Flotte eine Anleihe von über einer Milliarde aufzunehmen! Da wäre es doch endlih an der Zeit, einen anderen Kurs zu steuern ; der Geheimrat von Holstein hat recht behalten, nur durch die Schuld der deutschen Negierung ist es so weit gekommen ; von englischer Seite ist in den leßten Jahren von Campbell-Bannerman bis Lloyd-George immer und immer wieder der Versuh der Anbahnung einer Verständigung gemacht, aber hier stets hintertrieben worden. Die liberale Negierung hat \sich umsonst bemüht; sie ist bei den leßten Wahlen durch den Druck des deutschen Schreckens beinahe geschlagen worden und muß jeßt, will fie niht weggefegt werden, selbst die Vermehrung der Flotte betreiben! Die Annahme unseres vorjährigen Antrages auf Nüstungsbegrenzung hätte den englishen Liberalen eine Waffe gegeben; er war gerade im richtigen psychologischen Moment gestellt. Aber die Mehrheit hat nit gewollt. Die Fortseßung der jeßigen deutschen Politik wird England in die Arme des Schutzolles führen, und Deutschland wird fh einem englischen Imperialismus gegenüber- sehen, der ihm {were Wunden {lagen wird, ja zu einer wirtschaft- lichen Katastrophe für uns führen kann. Auch für den hohshutz- zöllnerishen neuen französischen Tarif sind wir im leßten Grunde ver- antwortlih. Das Verlangen von Repressalien gegen Frankreih, wie es die Nationalliberalen stellen, lehnen wir ab, denn dann hätten wir sofort den Zollkrieg. In der Deputiertenkammer ist ein Antrag Jaurès auf internationale Vereinbarung über die Herabseßung der Zölle an- genommen worden. Gehen Sie diejen Weg, dann werden wir weiter kommen. Allerdings würde dabei auch nebenher das Junkerregiment in Preußen fortgefegt werden. Was der Abg. von Dirksen über das „vorbildliche Preußen“ sagte, kann nur Heiterkeit erregen. Das Ideal des Welt- friedens ist heute eine realpolitische Notwendigkeit geworden. Die Liberalen sollten sich auf ihre früheren liberalen Îdeale besinnen. Es war Virchow, der 1869 den ersten Abrüstungs8antrag stellte. Die große Mehrheit des Volkes steht auf dem Boden einer vernünftigen Berständigung. Es würde damit dem Vaterlande wie der ganzen Kulturwelt ein ungeheuerer Dienst erwiesen werden. Den lächerlichen Versuch des Abg. von Liebermann, uns als antinational hinzustellen, weil wir internationale Beziehungen haben, weisen wir ab. Wenn antinational gleih international ift, so find die gekrönten Häupter, die durch Blutmischung, Verwandtschaft usw. international sind, fo antinational wie möglich.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts Freiherr vonSchoen:

Meine Herren! Nur einige wenige Bemerkungen. Der Herr Abg. Dr. Arning hat von den Verhandlungen über die Grenz- regulierung zwischen unserem oftafrikanishen Schußgebiet und der Con gokolonie gesprochen und, wie ih hinzufüge, die Verhältnisse im ganzen zutreffend geschildert. Nur in einem Punkte scheint er doch niht ers{öpfend unterrichtet. Das ist die Rechtslage. Die ift schwieriger, als sie für einen niht ganz Unterrichteten ersheint. Diese Schwierigkeiten sind auch die Ursache, daß die Verhandlungen, die zurzeit zwischen den technischen Beratern in Brüssel stattfinden, eine

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kurze Unterbrehung erfahren haben. Die Verhandlungen sind aber jeßt wieder aufgenommen, und wir hoffen, daß sie zu einem be- friedigenden Resultat führen werden. In diesem Zusammenhange möchte ich nur bemerken, daß der Dienstaustritt des bisherigen Gesandten in Brüssel mit der Congoangelegenheit keinen Zusammen- hang hat, daß dieser Nücktritt vielmehr einzig und allein durch den seit langem geäußerten Wunsh des Gesandten, aus Gesundheits- rücksichten fich zurückzuziehen, herbeigeführt worden ist.

Ferner hat Herr Dr. Arning von den Gefahren ge- \prochen, die aus einer etwaigen Verlängerung der Konzession der Suezkanalgesellschaft für die internationale Schiffahrt entstehen können. Es ist dies eine Angelegenheit, die das Auswärtige Amt mit Aufmerksamkeit verfolgt. Es liegt auf der Hand, daß die Ver- längerung dieser Konzession und die großen recht onerösen finanziellen Opfer, die sie der Gesellschaft auferlegen würde, einen sehr großen Einfluß auf die künftige Geschäftspraxis der Gesellschaft, insbesondere auch auf ihre Tarifpolitik, ausüben muß. Die Möglichkeit, daß die seit langem geplante allmählihe Reduzierung der Gebührensäße nicht eintreten würde, und die Aussicht, weitere 40 Jahre hohe Gebühren entrichten zu müssen, konnte daher für die internationale Schiffahrt und für alle diejenigen, die \ih dieser Interessen annehmen, nicht glei{gültig sein. Diese Erwägungen haben auch das Auswärtige Amt dazu geführt, in der Angelegenheit zunächst mit den in Beträcht fommenden deutshen Schiffahrtsgesellshaften Fühlung zu nehmen. Hierbei stellte fich aber heraus, daß die hauptsächlih interessierten Reedereikreise wegen der Konzessionsverlängerung keine besonderen Besorgnisse hegten. Erst allmählih und erst neuerdings sind unsere Handels- und Sciffahrtskreise zu der Ueberzeugung gelangt, daß die finanziellen Verpflichtungen , welche die Kanal- gesellschaft bei der etwaigen Konzessionsverlängerung der ägyptischen Negierung gegenüber zu übernehmen haben würde, und die Wirkungen, die dies auf die Tarifpolitik der Gesellshaft ausüben könnte, eine prinzipielle Regelung der ganzen Frage dringend wünschenswert er- scheinen lassen. Es muß in der Tat erwünscht und erstrebenswert erscheinen, einen billigen Ausgleih herbeizuführen zwischen den Inter- essen der Gesellschaft, die eine angemessene Verzinsung ihres Aktien- kapitals garantiert haben will, und den Interessen der Schiffahrt, der die Benutzung einer Weltverkehrsstraße ohne unverhältnismäßige Bez lastung für alle Zeiten gesichert werden muß.

Endlich komme ich auf cine Aeußerung des Herrn Abg. Liebermann von Sonnenberg, welcher geglaubt hat, mir einen

ciner Weise betrieben, die das Auswärtige Amt längst veranlassen

Da hierzu der gegenwärtige Augenblick, wo es sich um Verlänge-