1910 / 96 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 25 Apr 1910 18:00:01 GMT) scan diff

einander ganz ungemein verschieden. Soll \{ließlich die Erhebung als Einkommensteuer erfolgen, und wie soll dabei der Umstand ver- mieden werden, daß der Wehrsteuerpflichtige in diesem Alter kein Einkommen zu haben pflegt? Soll der Eintritt der Steuerpflicht hinausgeshoben werden, oder soll eine Elterntare genommen werden ? Und wie soll die Veranlagung erfolgen? Soll es eine selbständige Veranlagung von Neichs wegen sein, oder sollen wir uns an die so überaus verschietenartige einzelstaatliße Gesetgebung anschließen? Und wie soll die Fortdauer der Erwerbsfähigkeit des Steuerpflichtigen festgestellt werden ?

Es ist mit Recht bemerkt worden, daß die verbündeten Negie- rungen {on im Jahre 1881 selbst den Versuch gemacht haben, mebrere dieser Systeme zu kombinieren. Sie haben damit aber keinen Erfolg gehabt. JIch möchte dem Herrn Abg. Prinz zu Schönaich- Carolath bemerken, daß damals nach Ausweis des stenographischen Protokolls der Herr Präsident erklärt hat:

Ich ersuche diejenigen Herren, welche den § 1 der Vorlage an- nebmen wollen, aufzustehen. (Pause.) Es erhebt sich anscheinend niemand.

(Heiterkeit. Zuruf.) Auch der Herr Abg. Graf Moltke hat nah einem mir vorliegenden Zeitungsberiht damals den Saal verlassen- weil er sich nicht hat entschließen können, für die Wehrsteuer zu stimmen.

Meine Herren, nun können Sie wirklich nicht verlangen, daß wir die Erklärung, es solle eine Wehrsteuer eingeführt werden, als etwas Endgültiges ansehen, worauf wir unseren Ents{luß, für ver- mehrte Beiträge an Kriegsteilnehmer einzutreten, gründen könnten. Ih bin fest davon überzeugt, daß wir, wenn wir demnächst mit einem dieser Systeme vor Sie träten, von sehr vielen Seiten den allerlebhaftesten Widerspruch erfahren würden. Jh möchte überhaupt bezweifeln Sie wollen mir das niht verübeln —, ob das Gesetz, welches wir demnächst für das richtige halten würden, bei Ihnen An- nahme fände; ich glaube, wir haben darüber unsere Erfahrungen. Habent sua fata libelli. (Große Unruhe. Zurufe: Probieren !) Dabei darf ih keineswegs unbemerkt lassen, daß, je mehr der Gegen- stand \ich der Einkommensteuer nähert, um so mehr auch innerhalb des Bundesrats \{chwere, vielleiht unüberwindlihe Bedenken vor- handen sind.

Meine Herren, nun ist von der linken Seite des Hauses beantragt worden, die Branntweinsteuer als Deckung zu betraten, indem man die sih aus den Bestimmungen über die Verbrauch8abgabe und das Kontingent ergebenden Vorteile für die Branntweinbrenner vermindert. Ich weiß nicht, ob die Herren der Ansicht sind, daß ih diesen Antrag als eine feste Deckung, als eine Art von Barzahlung behandeln soll. (Heiterkeit.) Vorläufig habe ich doch mehr den Eindruck, als ob er nur dazu führen würde, hier im Reichstag alte starke Gegensäße von neuem aufzurühren, ohne doch vielleiht einen praktischen Erfolg zu erzielen. Und ob es, abgesehen davon, technisch wohlgetan ift, das \oeben erst zustande gekommene Branntweinsteuergeseß in so wichtiger Beziehung {hon wieder abzuändern, {eint mir doch einigermaßen fraglich.

Es sien mir so, als ob der Herr Abg. Bindewald der Meinung sei, Sache des Reichstags sei es nur, die Ausgaben anzuregen, dagegen sei es Sale des Schaßsekretärs, nah neuen Steuern zu suchen und sh umzusehen, ob er dafür im Hause eine Mehrheit finden würde. Diese Aufgabenverteilung kann ih angesichts der gegenwärtigen Finanz- lage wirklih niht afzeptieren. (Heiterkeit.) Dadurch if ja gerade unsere mißlihe Finanzlage eingetreten, daß wir zunächst immer einseitig die Ausgaben votiert und es dann dem Scbicksal überlassen haben, für Deckung zu sorgen. (Sehr richtig! rechts.) Wenn der Schaßy- sekretär dann bier den Versuch macht, nachträglich solche zu erlangen, ist er Fehlshlägen ausgeseßt. Ih möchte also doch den Grundsatz vertreten: wer bestimmte Ausgaben wünscht, der muß auch und wenn es die Majorität dieses hohen Hauses ist, so muß die Majorität für bestimmte Deckung mit forgen.

Es ist niht angenehm, von dieser Stelle aus immer wieder die Deckungsfrage zu stellen. Das gilt nicht nur von dem vorliegenden Gegenstande, sondern von den zahlreichen fonstigen Anregungen, die auch aus der Mitte dieses hohen Hauses zu Fragen von gewerblicher, wirts{aftliher, \ozialpolitisher, gesundheitliher Bedeutung, für die Hebung des Vérkehrs, für den Beamtenstand usw. gegeben worden find und noch der Erledigung harren. Wenn man sich allen diesen Anregungên entgegenstemmt, so kommt man sehr leiht in den Ver- dacht einer öden Negation und damit in die Hinterhand ; denn in der Politik hat derjenige immer ret, der positiv handelt. (Sehr richtig ! rechts.) Aber, meine Herren, die verbündeten Regierungen sind aller- dings der Ansicht, daß die Sanierung der Finanzen ein Erfordernis der prafktishen Politik ist, vollklommen gleihberechtigt und ebenbürtig allen anderen Anforderungen unseres politishen Lebens. (Bravo! rechts und in der Mitte.)

Abg. Pauly-Cochem (Zentr.): Die schwierige Finanzlage des Neiches kann mich nicht abhalten, ein ernstes Wort für die Kriegs invaliden einzulegen. Als wir noch im Gelde schwammen, wäre die Erledigung dieser Frage allerdings ein leichtes gewesen, beute liegt die Sache viel \{chwieriger. Immerhin dürfen wir an den berechtigten Forderungen unserer Kriegsveteranen niht vorübergehen. Es fragt ib, wer denn von den Strapazen und Müben der Kriegsteilnehmer den Hauptnußen gehabt hat. Ich meine, die Börse und die Groß- betriebe. In diesen Kreisen werden ja oft Aufwendungen für Wohl- fahbrtszwecke gemaht. Aber diese Kreise müssen, wenn sie ihr Ge- wissen prüfen, si sagen, daß ihr Neichtum in der Hauptsache auf dem Erfolge der Jahre 1870/71 beruht. Ich meine deéhalb, daß diese Kreise auch zu diesem Zwecke herangezogen werden können. Dulce pro patria mori beißt in diesem Falle: sauer. Jch meine, leben und leben lassen follte hier maßgebend sein.

Abg. Arnstadt (dkons.): Nur ein kleiner Teil der Petenten aus den Kreisen der Kriegsteilnehmer und Veteranen wendet sih an den Reichstag. Ein Teil wird {on in den unteren Instanzen abge- wiesen, ein großer Teil beschwert si überhaupt nicht, weil er seine

Beschwerde für aussichtslos hält. Dabei ist es zweifellos, daß ein großer Teil sih sein späteres Siehtum auf den Schlachtfeldern

geholt hat, er geniert si aber, um eine Beihilfe zu bitten. Es ist die höchste Zeit, und es ist eine Pflicht des Reiches, den Lebensabend unserer Neteranen zu vershönern. Wir wollen ihnen damit unsere Anerkennung zollen. Wenn Deutschland in der Sorge für seine Kriegsinvaliden und Krieasteilnehmer allen europäishen Staaten voransteht, so haben wir doch auch mit diesem Heere einen der größten Kriege der Neu- zeit gewonnen, und es ist deshalb nur in der Ordnung, daß wir für unsere Invaliden und Veteranen . mehr tun als andere Staaten. Keine Partei kann ich hier eines besonderen Eifers rühmen; wir find alle vom PaGeR Cifer beseelt. Lange Jahre hat unser verstorbener Kollege Nißler ebenso wie der Graf Oriola seine Bemühungen

diesem hohen Ziel gewidmet und sih damit unsterblihe Verdienste

zur Ausführung gebraht worden ist, haben wir seinerzeit interpelliert ; man ließ uns wissen, es sei ein Formfehler begangen worden, und wir ließen die Sache auf sich beruben. Jeßt haben wir gemeinsam mit der Neichspartei und der Wirtschastlihen Vereinigung den Beschluß vom vorigen Jahre wieder als Geseßentwurf eingebracht. Was die Decungsfrage betrifft, so lehnen wir den fortschrittlichen Vorschlag ab und {ließen uns dem Verlangen auf Einführung einer MWehrsteuer an. Eine Kommission könnte sehr wohl diese leßtere Forderung in einem Gesetzentwurf formulieren. Solange kein besserer Weg vorgeschlagen wird, schen wir in der Wehrsteuer die beste Lösung der vorliegenden finanziellen Schwierigkeit. Angenehm wäre es uns ja natürli, wenn wir für alle Veteranen ohne alle Ausnahme einen Ehrensold von 120 4 erreichen könnten; dann würden alle Schwierigkeiten mit einem Schlage beseitigt sein; aber das würde 40 Millionen jährlich mehr erforden, als wir für die Neteranen bisher jährlih ausgeben. Wir stimmen also für die vorliegenden Anträge, um wenigstens für einen Teil unserer Veteranen unsere Forderung durchzusezen. Den fortwährenden Klagen und Beschwerden der Veteranen muß endlih ein Ende gemacht werden. Der Veteran muß davor gesichert sein, daß er mit seinem Antrage, wie das jeßt leider noch gar zu oft geschieht, abgewiesen wird. Nicht durch die großen Parlamentsreden ist unser Vaterland geschaffen worden, fondern auf den Schlachtfeldern von Frankrei; hier gilt es, eine nationale Pflicht endlich zu erfüllen.

Abg. Schöpflin (Soz.): Nach der Nede, die wir von dem Staatssekretär beute gehört haben, wird für die Veteranen wohl nicht allzu viel herauskommen, denn was er sagte, war doch eigentlich eine glatte Ablehnung. Auch Graf Posadowsky hat son bei einer früheren Gelegenheit erklärt, über das Geseß von 1895 könne man nit hinausgehen. bätten für die Snvaliden und Veteranen bereits 1400 Mill. Mark ausgegeben; er hätte aber hinzufügen sollen, daß ?/z davon französisches, nicht deutshes Geld war. Stets, wenn der Neichstag ih für die Besserung der Lage der Kriegsinvaliden und -veteranen verwandte, ertönte es von den Bänken des Bundesrats: „Wir haben fein Geld“. Die Herren können bekanntlich auch anders; als es fich um die erste Flottenvorlage bandelte, fiel von dort das frivole, den Tatsachen widersprehende, auf Täuschung des Reichstags berechnete Wort: „Wir s{wimmen im Gelde“. Gesprochen hat das Wort der frühere Staatssekretär Freiherr von Thielmann. (Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe: Sie dürfen einem hohen Beamten Neiches einen solhen Vorwurf nicht machen. Zuruf : Er ist es ja gar nicht mehr!) Der Kollege Arendt hat einmal einen feierlichen Schwur geleistet, nämlich im Januar 1901; vor versammeltem Kriegsvolk erklärte er, wenn die Veteranenfrage niht gelöst werde, werde er gegen die Ostafrikakredite und gegen strategishe Bahnen stimmen; wenn fein Beispiel Nachahmung fände, würde man wohl einen Erfolg über die Negterung davontragen. Wie denkt der Abg. Dr. Arendt über seinen damaligen Schwur? Vielleicht legt er ihn heute nochmals ab. Nur darf er es niht so machen wie damals, wo er drei Monate später erklärte, man müsse sih mit der Tatsache der Ablehnung des Antrages Nißler durch die verbündeten

des

Negierungen abfinden, wenn man reale Politik treiben wolle. Wendet der Reichstag die Machtmittel, die er in der Hand

hat, nicht an, dann kommt es auh diesmal zu nichts; der Neichstag hat ja im vorigen Jahre bewiesen, daß er fie anwenden fann. Handelt die Mehrheit jeßt so, noch dazu in etner von ihr selbst als hohe patriotishe Ehrenpfliht erklärten Sache, so wird sie auch ihren Willen durhseßen. Einen Extraehrensold für

die Inhaber des Eisernen Kreuzes lehnen wir ab, denn nicht immer sind dafür die Tüchtigsten auserwählt worden; das it doch eine Tatsache, die auch jedem MReichstagsmitglied ge-

läufig sein könnte. Dem beantragten Geseßentwurf stimmen wir in der Hauvtsae zu, auch dem Antrage des Zentrums, ihn mit Wirkung vom 1. Mai 1910 in Kraft treten zu lassen. Man follte aber die Beihilfe niht auf dem allzu niedrigen Saß von 120 #4 belassen: der übergroße Teil der Kriegsteilnehmer befindet sih in ganz außerordentlih dürftigen Verhältnissen, und der Geldwert der 120 Æ# hat sih seit 15 Jahren namentlich durch die Lebensmittel- teuerung sehr verringert, die ja bei den Beamten durch erhebliche Gebaltsaufbesserungen ausgeglihen worden ist. Bei der zweiten Lesung werden wir entspreWende Anträge stellen. Die Deckung kann vollauf durch Ersparnisse beim Etat für das Heer, die Marine, die Kolonien, das Auswärtige Amt gewonnen werden; auch könnte man den Reichskriegs\{haß aus dem Juliusturm herausholen und auf Zinsen geben. Bricht ein- Krieg aus, so wird nach dér Mobil- machung die Nation auch nicht einmal für 14 Tage von diesem Schaß abhängen; die 120 Mill. Mark spielen da keine Nolle. Fn der Nesolution der Freisinnigen vermissen wir nähere Angaben, so die, daß die Kontingents\spannung auf 1 4 herabgeseßt wird. Die Wehrísteuer ist allerdings auch in der Schweiz eingeführt. Dort be- fommen aber die Soldaten cine ganz andere Löhnung. Die Beköstigung ist eine viel bessere als bei uns, vor allem besteht dort das Milizsystem. Die Rechte kennt ja die Absichten der MRegie- rung ganz genau. Ach, alte Liebe rostet nicht. Wenn Sie wissen, daß die Verkoppelung des Geseßentwurfs mit der Wehrsteuer für die Regierung unannehmbar ist, so muß man sagen, sie hat damit die Vorlage zu Fall bringen wollen. Der Abg. von Liebert hat auf die Streikbeiträge der Sozialdemokraten hingewiesen. Die deutsdben Gewerkschaften müssen solhe Beiträge erheben, weil fie von den Unternehmern, also den Freunden des Abg. von Liebert, in die Kamvfstellung bineingetrieben werden. Kommt das Veteranengeseßz nit zu stande, so tragen Sie die Schuld daran.

Abg. Dr. Paasche (nl.): Bisher war es ein Nuhmesblatt des Deutschen Reichstages, daß wir in dieser Frage einig waren. Nun bôren wir von der äußersten Linken, die Antragsteller hätten den Antrag mit der Wehrsteuer usw. eingebracht, um das Zustandebringen der Vorlage zu bintertreiben. Dagegen muß das übrige Haus ent- schieden vrotestieren. Die Regierung follte uns dankbar sein, daß wir ihr den Weg der Deckung zeigen und sie sollte diese Idee nicht zurückweisen. Der Staats\ekretär hat uns heute mit der Statistik über die bisherigen Aufwendungen für die Veteranen und Invaliden nichts Neues gesagt. Wir haben ihr nicht vorgeworfen, daß sie nicht getan hat, was sie tun fonnte. Aber die bestehenden Bestimmungen sind mangelhaft, und die Negierung sollte dafür sorgen, daß diese Mängel beseitigt werden. Die Regierung bewegt sich in dieser Frage in einem circulus vitiosus. Sie sagt: bietet uns die Mittel, und bieten wir ihr sie an, so verwirft sie diese Mittel. Bei gutem Willen könnte die Regierung die Deckung auf dem von uns gezeigten Wege {hon finden. Der Staatssekretär fragte: wie denken Sie sich die Wehrsteuer? Es ist doh niht Sache der Abgeordneten, eine solche Vorlage auszuarbeiten ; dazu ist das Neichsshatßzamt da, den besten Weg für die beste Wehrsteuer zu finden, von dem sie die Ueberzeugung hat, daß er gangbar is und nicht zu Unzuträglichkeiten führt. Im aller- ungünstigsten Falle würde es sich um 20 Millionen handeln, die von Jahr zu Jahr abnehmen würden, da der Tod schnell mit den Veteranen aufräumt. Sollte das Deutsche Reich niht im stande fein, diese 20 Millionen au noch aufzubringen? Der Vorschlag der Wehrsteuer ist leiter durchzuführen als der Vorschlag der Freisinnigen, die Liebesgaben aufzuheben. Diesen Vorschlag könnte man viel eher einen agitatorischen nennen, denn die Herren führen den Kampf gegen die Liebesgabe {hon 20 Jahre, und fie haben auf diese Weise bisher noch keinen Groschen für die Veteranen herausgeschlagen. Die Wehr- steuer ist leiht zu tragen und populär im Volk. Steuern, die vom Volk als berechtigt anerkannt werden, kann man ruhig einführen. Die Beschränkung der Liebesgaben ist doch jeßt niht durchführbar; Sie (zu den Freisinnigen) haben doh nicht die Mehrheit, dagezen ist für die Wehrsteuer viel leihter eine Mehrheit zu finden. Einige Mark können {on diejenigen dafür opfern, die niht zu dienen brauchen und während der Dienstzeit der übrigen Geld verdienen. 10 4 für den Tag fann auch der junge Bursch entbehren für einen solhen Zweck. 120 A für die Veteranen sind nit zu untershäßen, sie sind immerhin ein willkommener Zuschuß. Die Veteranen be- fommen in vielen Fällen doch auch die Invalidenrente dazu. Diese

erworben. Da das vorjährige vom Reichstag beschlossene Geseß nicht

Beihilfe sollten wir den Veteranen \o. bald wie möglich sihern. Der

Der Reichsschaßsekretär hat uns vorgerechnet, wir-

Staatssekretär sollte uns nicht mit {önen Worten abspeisen, \onbery

zu Taten übergehen. Das Geld soll und muß aufgebracht werden: möge die Regierung endlich nachgeben und die Veteranenbeihbilfe ein: führen. ;

Staatssekretär des Reichs\haßamts Wermuth:

Meine Herren! Ich dächte dcch, am ernstesten faßt derjenige die Sache auf, der versucht, den Vorschlägen, tie hier gemackt worde sind, die möglichst praktishe Seite abzugewinnen, und der s{on dj heutige Verhandlung benußt, um durch detaillierte Fragestellung in ermitteln, was denn eigentlih der Wille des Reichstags ist, wozu de Neichstag bereit sein würde, wenn die verbündeten Regierungen mj Vorschlägen auf der Basis Ihrer Anträge vor Sie träten. Es is meine Pflicht, dies vorher zu ermitteln (sehr rihtig!), ehe ih mig irgendwie über die Ausgaben, die Sie dem Neiche auferlegen wollen, äußern kann, denn ih kann nur dabei verbleiben

, - . , , , 1 Mittel sind augenblicklich nicht vorhanden. (Zuruf von den National. liberalen : Also es bleibt beim alten!) Jn diesem Hause selbst, mein Herren, ist von verschiedenen Seiten, als wir kürzlih die Werk zuwachésteuervorlage einbrachten, erklärt worden, es sei doch kaun begreiflih, weshalb denn die verbündeten Regierungen hier für die nächsten Jahre \ich ein Plus herausrechneten; es sei durd;aus nôtig, daß wir auf dem Standpunkt beharrten, den die Finanzreform ein, genommen habe, und nicht über das dort Erreichte hinausgingen, Meine Herren, ih kann nicht zugeben, daß das bei jener Vorlage beabsichtigt war; ih kann auh nicht behaupten, daß, wenn ein Ply dabei berausgekommen wäre, es vielleiht mögli sein würde, wenigstenz teilweise die Wünsche zu befriedigen, die hier geäußert worden sind, Aber das ist doch immerhin ein wirklich praktis(cs unmittelbare Vorgehen, und ih glaube, man wird dem NReichsshaßamt nicht dey Vorwurf machen können, daß es in dieser kurzen Zeit, die doch erf seit der Finanzvorlage verstrihen ist, vollständig geruht habe. Daz, was zu geschehen hatte und was geschehen konnte, ist geschehen, abe die vorliegenden Anregungen ich bitte nochmals um Verzeihung, wenn ih das ganz offen sage sind für jeßt zu unbestimmt, alz daß wir genügend Anhaltspunkte auch nur dafür entnehmen können, auf welche Weise der Reichstag Deckung gegenüber den angeregten Ausgaben schaffen will.

Abg. Baumann(Zentr.): Es handelt sich um die allerärmsten Lute und um eine Ehrenpflicht. Troßdem versagen die verbündeten Re- gierungen den Beschlüssen des Reichstages vom vorigen Jahre ihre Zu- stimmung und verharren auf ihrem Standpunkt, wahrscheinlich fo lange, bis die leßten Kriegsteilnehmer das Zeitliche gesegnet haben. Die Regierungen sind doch sonst nicht \o sparsam ; hier ist die Spar: samkeit am allerleßten Plage. Welche Belästigungen müssen die Veteranen sich von den Behörden gefallen lassen, wenn sie in den Besiß der Beihilfen gelangen wollen. Wie geht eigentlich die Ver: teilung vor sich ? Der Löwenanteil der Beihilfen mit 15 Millionen, also 3, entfällt auf Preußen. In Bayern ist die Erregung in der Bevölkerung und in der Presse schr groß, weil ein großer Teil der Kriegsteilnehmer ohne jede Hilfe bleibt und auf die öffent- lihe Wohltätigkeit angewiesen ist. Die bayerishe Regierung ist im Landtage aufgefordert worden, ihren ganzen Einfluß aufzubieten, daß das im vorigen Jahre beschlossene Reichsgeseß vom 13. Juli 1910 möglichst bald in Kraft tritt, damit man nmcht das tief beschämende Gefühl habe, daß das Geseß erst wirksam werde, wenn der leßte Veteran gestorben sei. Es ist in der Tat eine Schande, daß gerade bei den Kriegsteilnehmern die Sparsamkeit einseßt, und der Daumen auf den Reichssäkel gedrückt wird. Die vorliegenden Anträge gehen nur in bezug auf das Inkrafttreten des Geseßes aut- einander. Wir meinen, daß das Geseß nicht auf ein weiteres halbes Jahr vershoben werden kann; wir _ haben deshalb beantragt, daß das Gesey mit dem 1. Mai in Kraft treten soll Auf die Zukunft dürfen wir die Veteranen nit vertrösten. Viel: leiht kann man auch aus der Wertzuwachssteuer einige Millionen für diesen Zweck gewinnen. Festreden allein helfen den Kriegsteilnehmers nihts; es wäre eine nationale Tat, niht nur für die Veteranen, sondern für das gesamte Vaterland, wenn wir den Veteranen das jn

gute fommen ließen, was sie von unjerer Dankbarkeit erwarten dürfen.

Abg, Dr. Arendt Mp)! Der Borreoter har hervor gehoben, daß Preußen §2 aller Beihilfen in Anspru} nehme, und daß nur } für die anderen Bundesstaaten übrig bliebe. Er hat wohl vermutet, daß das eine starke Ve-

vorzugung Preußens sei; das ist aber tatsählich nicht der Fall, Daß Preußen fo viel erhält, ist nur eine Folge der in Preußen früher und allgemeiner durchgeführten Wehrpflichtverhältnifse. G waren eben mehr preußische Kriegsteilnehmer, mehr Landwebrjahr- gänge da. Von einem Vorzug Preußens und einer Benachteiligung

der übrigen Staaten kann also keine Rede sein. Der Staat. sekretär verschiebt den Tatbestand. Es handelt sich nicht un

einen Wunsch des Neichstags, sondern um die Erfüllung einer Chren- vfliht, die der Reichstag und die verbündeten Regierungen gleit- mäßig haben. Ich zweifle gar niht, daß der Schatsekretär auch in der Lage sein wird, die Finanzfrage zu lösen, wenn er be- achtet, daß hier pari passu vorgegangen werden muß. Es ist nicht Aufgabe der Volksvertretungen, Steuern zu beantragen und durá- zuführen; diese Leistung darf nicht einseitig dem Reichstage zugemute! werden. Es gibt keine Steuer, gegen die sih nicht im einzelnen Be- denken geltend machen lassen; der Reichêtag kann nicht Arbeiten über- nehmen, die grundsäßlih von der Reichsschaßverwaltung zu leisten sind. Grundsäglih hat sich der Schaßsekretär ja nicht gegen die Webrsteuer auêgesprohen, wie es |\. der preußische Finanj- minister tat. Handelt es sich doch um eine Ausgabe, die man als etn malige bezeihnen kann, und die sh fortwährend vermindert. V1 Ausführungen des Abg. Paasche über die Wehrsteuer ließe id mi vollkommen an. Für die Wehrsteuer wird sich unzweifelhaft im Reichstage eine Mehrheit finden; eine Garantie dafür, daß der an uns gelangende Entwurf ohne jede Prüfung in alleñ Einzelheiten angenommen wird, können wir natürlich nicht übernehmen. Ver Abg. Schöpflin hat mich an cinen „feierlihen Schwur“ erinnert, den ich 1901 getan haben soll. Damals handelte es sich um el as ganz anderes (Widerspruch bei den Sozialdemokraten), nämlich darum, daß die Bewilligungen für die Veteranen aus dem íFnvalidenfonts entnommen wurden und an eine bestimmte Zahl gebunden warf während alle übrigen Berechtigten wegen Mangels an Mitteln a? gewiesen wurden. Dieser Zustand war ein unwürdiger, und ihn wollte ih beseitigen; er hat glücklicherweise auch später ein Ende gefunden Auf die Frage der Gewerkschaftsbeiträge gehe ich_nicht näher elt Aufs \{ärfste protestiere ih dagegen, daß der Aba. Schöpflin den Ver- dacht andeutete, als ob die Rechte und die Nationalliberalen g wußt hätten, aus der Wehrsteuer würde doch nichts, und desha! forderten sie sie, um die Veteranenbeihilfe nicht zu betreiben, sondern

zu verhindern: das erinnert mih an die Nede des Antonius. Wir stellen uns nicht auf den Boden, daß wir die Wehrsteuer fallen lassen müssen, weil die Negierung sie ablehnt ; fo ouvernementa wie der Abg. Schöpflin sind wir niht. Sehr edauerlih "b daß heute - die Einheitlihkeit in dieser Angelegenheit fehlt;

Sache oldt

es ist feine Einheitlichkeit, wenn heute in der Reden wie die Schöpflinsche gehalten werden, womit die Angelegen! heit zu einer Parteizwecken dienenden gestempelt wird. Damit helfen Sie den Veteranen gar nichts, auch nicht damit, daß Sl Unzureichendes fordern. Wir müssen auf dem Boden des Möglichen, des Erreichbaren bleiben. Künftige Bewilligungen wird man Il sehr genau ansehen müssen; das ist eine weit verbreitete Meiuunp wenn in dieser Sache nicht shnelle Arbeit gemacht wird.

(S@{luß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen

M 96.

(Schluß aus der Grsten Beilage.)

Abg. Werner (d. Refp.): Ich kann diese Bitte nur unter- stüßen. Ich fürchte, wir werden keine Vorlage bekommen, nicht am 1. Mai, nicht am 1. Oktober, vielleicht auch nicht im nächsten Jahre. (6s ist faum glaublich, wie die verbündeten Regierungen seit dem Freiherrn von Thielmann sich stets in dieser ]o dringlichen Sache ablehnend ver- . halten haben. Ist es nicht beshämend für das Reich, daß es seine Neteranen darben läßt? Steuervorlagen auszuarbeiten, ist Pflicht des Schaßzsekretärs. Mit der Wehrsteuer wird ihm cine gute Hand- habe geboten. Die verbündeten Regterungen können nicht länger auf ihrem ablehnenden Standpunkt beharren. Gegen die rohe Kampfes- weise, die das „Berliner Tageblatt" bei der Würdigung der Persönlich- feit des Grafen Oriola geübt hat, muß ih den schärfsten Protest inlegen. N a Abg. Hilpert (b. k. F.) tritt den Ausführungen der Nedner von der Nechten bei. Früher sei bei den Beratungen dieses Gegenstandes der Bundesratstisch leer geblieben; wenn man im Lande die heutige Rede des Neichsschaßsekretärs lesen werde, werde man bedauern, daß nicht au diesmal der Bundesratstish leer geblieben sei. /

Abg. Dr. Wiemer (fortshr. Volksp.) : Die sämtlichen Parteien ind sich auch heute darübcr einig, daß den Veteranen die Beihilfen zuteil werden sollen; eine Differenz besteht nur in der Frage der Deckung, allerdings der wichtigsten Seite der ganzen Angelegenheit. Kir haben es von Anfang an für einer Fehler gehalten, die Er- fllung dieser Forderung an die Bedingungen der Wehrsteuer zu fnüpfen. Keineswegs sind alle N Parteien für diese

Steuer ;

e

wir haben immer auf die Bedenken gegen sie hingewiesen, wir balten es noch nicht für gerechtfertigt, jondern für unbillig,

denen noch eine Steuer aufzuerlegen, die auch körperlich minder erwerbéfähig sind. Bei den früberen Erörterungen

hat auch die Regierung lebhafte Kritik an dem Projekt geübt, so der vreußische Finanzminister von Rheinbaben, und Graf Moltke bat sich als entshiedener Gegner bekannt. Diese Bedenken müssen doch erst aus dem Wege geräumt sein, und zwingen können wir die verbündeten Regierungen doch niht. MNasche Hilfe zu bringen, ist notwendig, wenn sie nicht zu spät kommen foll; dann ist es aber eben ein Fehler, die Wehrsteuer mit der Sache zu verkoppeln. Bei der Branntwein- steuer liegt das anders; da wurde die Bereitwilligkeit seitens der verbündeten Regierungen bekundet, auf eine Verminderung der

Kontingents\vannung sich einzulassen. Wie ist im Reichstage eine Mehrheit dafür zu erlangen? Wir werden stets dasür zu

- E

haben sein; im vorigen Jahr gingen auch die Nationalliberalen mit un®. Die Vermutung des Abg. Werner, daß es sich bei unserem Antrage hinsichtlich der Liebesgabe um ein Agitationsmittel handele, fand die Zustimmung des Abg. Dr. Hahn, der hinter ihm stand. Dr. Hahn Iheint eine ausgesprohene Abneigung gegen Agitation5mittel zu haben. Hoffentlih haben dazu die leßten Ereignisse in Oletko Lck beigetragen. Ich sollte meinen, mit Rücksicht auf die Zweck- bestimmung sollte die Nehte ihren Widerstand fallen lassen und auch Opfer bringen. Die Zentrumépartei ist mit uns früher für eine Reform der Branntweinsieuer im Sinne einer Erniedrigung der Kiebesgabe eingetreten, aber jeßt is ja auf dem Neichsschif} die \chmwarzblaue Flagge aufgezogen. Sollten Sie (nah rets) geneigt sein, aus der Wertzuwachssteuer die nötigen Mittel zu bewilligen, so könnten wir dem näbertreten. Dann müßten Sie aber von Anträgen absehen, die auf eine Herabminderung der Erträgnisse zielen. Wenn es nicht anders geht, müssen andere Forderungen der Reichsverwaltung zu Gunsten der Veteranenbeihilfen zurückgestellt werden. Mit schönen Deklamationen und Versprehungen fommen wir nicht vorwärts. Hier beißt es: Es hilft kein Mundspißen, es muß gepfiffen werden, aber nicht in dem Sinne, daß die Mehrheit pfeift auf die Vorschläge, die von unserer Seite kommen.

Abg. Schöpflin (Soz.): Daß wir den Veteranen etwas mehr zu- wenden wollen, ist keine unerfüllbare Forderung und nicht geeignet, die (Finigkeit der Parteien zu stören. Das Verhalten des Abg. Dr. Arendt, jeßt nah außen den Eindruck zu erwecken, daß der fozialdemokratische Nedner die Einigkeit gestört habe, ist illoyal und unfchön.

Präsident Graf von Shwerin-Löwiß: Dieser Ausdruck ift

uicht angängig. Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath (nl.): An die Bedingung Wehrsteuer is unser Gesetzentwurf nicht geknüpft. Wir haben iglih die Wehrsteuer vorgeschlagen, weil uns fonst fofort ent- gegengehalten wäre, daß wir nicht an die Finanzierung dâchten. Glaubt ter Abg. Dr. Wiemer wirkli eine Majorität für seinen Vor- shlag zu finden? Ich bezweifle das; für meine politischen Freunde ist dieser Weg nicht gangbar. Jch bedauere, daß der Schaysekretär id der Vorlage nicht freundlicher und wohlwollender gegenüber- geitellt hat. Er bätte wenigstens die Absicht und den Wunsch zu er- fennen geben sollen, nun endlich einmal unsere Beteranen zu ihrem Neht kommen zu lassen. Ich bitte das Neichsshaßamt nochmals, sh mit der Wehrsteuer zu befassen st3

der led

und sie dem Reichstage vor-

¡ulegen. ; l : Abg. Dr. Roesicke (dkons.): Wenn der Vorschlag einer Wehrsteuer ein untauglihes Mittel ist, dann ist herlich

der von Dr. Wiemer vorgeschlagene Weg ein mehr als untaugliches

Mittel. Das Kontingent kann niht aufgehoben werden, ohne ¿ C , , P D. S E .

einem großen Teil von Leuten im Deutschen Reiche, die auch zu den Hilfsbedürftigen gehören, etnen erheblichen Schaden

Das Kontingent ist aufrecht erhalten im Interesse vor allem

¡uzufügen. : Gerade die Linke war ja gegen

der fleinen süddeutshen Brenner. das Monopol, das allein die Möglichkeit aab, die Liebesgabe auf zuheben. Sie bringen jeßt nur wieder Unruhe in das der Nuhe bedürftige Branntweingewerbe, dem erst wieder 60 Millionen neuer Steuern auferlegt sind. Warum hat die Linke nicht die Ko- tierungésteuer angenommen? ;

Abg. Dr. Wiemer (fortshr. Volkspy.): Warum haben Sie denn die Kotierungssteuer selber fallen lassen? Bei dem Monopol fam für uns nicht nur die ULebesgabe in- Frage, es sollte eine andere Art von Liebesgaben eingeführt werden. Wenn der MNeichstag ernstlich gewollt bätte, würde er eine Verminderung der Liebesgabe durchge]eßt haben. - Wir haben sie bekämpft, veil sie mit dem Grundsatze steuerlicher Gerechtigkeit niht in Einklang stand. : i __ Abg. Dr. Noeticke (dkons.): Wir haben uns der Regierung gefügt. Hâtte die Linke der Regierung einen besseren Natischlag gegeben, ]o ware diese damit einverstanden gewesen. Hinsichtlich der Liebesgabe ist das Gedächtnis Dr. Wiemers getrübt, da er sich vorzeitig aus der Kommission entfernt hat.

Damit schließt die erste Lesung. __ Von dem Antrag Bassermann wird derjenige Teil, der die Vorlage eines Geseßzentwurfs, betreffend Gewährung eines Ehrensoldes an sämtliche Jnhaber des Eisernen Kreuzes fordert, gegen die Stimmen der Antragsteller und einiger weniger anderer Mitglieder des Hauses abgelehnt. / : : Darauf tritt das Haus in die zweite Beratung der bean- iragten (Gesetzentwürfe ein. i : a

Auf Antrag des Abg. Dr. Arendt werden die drei unter sich gleichlautenden Geseßentwürfe en bloc unverändert einstimmig angenommen, nachdem ein Antrag Bebel, die Beihilfe auf 150 6 zu erhöhen, gegen die Stimmen der Sozialdemokraten

und des Abg. Wieland abgelehnt worden ist.

Zweite Beilage

Berlin, Montag, den 25. April

Der Antrag Baumann (Zentr.), nah dem das Gesetz mit Wirkung vom 1. Mai 1910 in Kraft treten soll, wird an-

genommen. : Die Resolution Ablaß, betreffend die Verminderung der

Branntweinliebesgabe, wird gegen die fortschrittlihe Volkspartei und die Sozialdemokraten abgelehnt, ebenso die Refolution, v älte. die Einführung einer Wehrsteuer, gegen die Rechte und die Nationalliberalen. Der Entwurf eines Kolonialbeamtengeseßes und die Nachträge zum Etat der Shußgebiete und zum Reichs- haushaltsetat für 1910 werden ohne Debatte auf Antrag des Abg. Erzber ger (Zentr.) an die Budgetkommission verwiesen. Schluß 71/4 Uhr. Nächste Sißung Montag 2 Uhr. (Petitionsberihte, mündliher Bericht der Budgetkommission über die Verminderung der Reichstagsdrucksachen, erste Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend die Errichtung eines Kolonial- und Konsulargerichtshofes, erste Lesung des Konsulatsgebühren- geseßzes, erste Lesung des Geseßentwurfs über die Ausgabe kleiner Aktien.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 56. Sigung vom 23. April 1910, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus sezt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Me- dizinalangelegenheiten im Kapitel „Elementarunter rihtswesen“ fort. A : :

Zu dem Fonds von 6,3 Millionen für Pensionen für Lehrer und Lehrerinnen bemerkt

Abg. Volger (freikons.), daß nah der Erböhung der Lehrer- gehälter auch die Pensionen entsprechend erhöht werden müßten, weil die Teuerungsverhältnisse die ausgeschiedenen Lehrer ebenso beträfen, wie die noch im Amte be E Es müsse auch in Preußen der Kardinalsatz gelten, daß erhöhte Gehälter erhöhte Pensionen zur Folge baben, auch für die Altpensionäre. x

Abg. Dr. Shepp (fortshr. Volksp.): Der Ministerialdirektor hat im vorigen Jahre eine Erhöhung der Penfionen der Alt- pensionäre zugesagt. Der Fonds für die Unterstüßungen für aus- geschiedene Lehrer und Lehrerinnen, aus dem Zuschüsse zu den Pensionen gewährt werden, ist allerdings in diejem Jahre um 14500 4 auf 1048 500 # erhöht worden. Der Finanzminister hat das Be- dürfnis für erhöhte Unterstüßungen anerkannt. Das System der Unterstützungen ist allerdings immer mißlih, denn es ist für niemand angenehm, folche Unterstüßung erbitten zu müssen. Es bezieht daher nur ein geringer Leil der Pensionäre folhe Unter- ]stüzungen. Geschädigt sind die pensionierten Lehrer gegenüber anderen Beamten dadur, daß ihnen die Dienstwohnung viel zu niedrig als Teil des pensionsfähigen Gehalts angerechnet wird. Tatsächlich sind die Lehrerpensionen in Preußen zu niedrig. Im Königreih Sachsen hat man allen Pensionären einen bestimmten Prozentsatz der Penfion als Zuschuß dazu gegeben. Wenn bei uns selbst der Finanzminister das Bedürfnis anerkennt, dann follte fih auch ein Weg finden, den Lehrern zu helfen. Ich bitte den Minister, den pensionierten Lehrern mit größerem Wohlwollen entgegenzu- fommen. :

Kommissar des Finanzministeriums, Geheimer Oberfinanzrat Lzhlein erwidert, daß diese Frage auf Grund mehrerer Petitionen das Haus beschäftigen werde; er gehe deshalb sahlich augenblilich nicht darauf ein. Uebrigens habe der Finanzminister nicht allgemein das Bedürfnis anerkannt, sondern gesagt, das man wohl nicht für alle Pensionäre das Bedürfnis anerkennen könne, daß aber da, wo ein Bedürfnis vorliege, durch Zuschüsse aus dem Unterstüßungsfonds ge holfen werde.

Abg. Geisler (Zentr.): Es wäre tatsählih wünshen8wert, wenn die Unterschiede, die 1908 geschaffen wurden, ausgeglichen würden. Die vor dem 1. April 1907 pensionierten Lehrer find tatsächlih recht \{lecht gestelt. Es gibt solhe, deren Pensionen 500 #4 betragen. So verschieden in den leßten zwei Jahrzehnten die Beamtenverhalt nisse sich gestaltet haben, so verschieden sind au die Pensionssäße; namentlih Lhrer, die ihre Dienstzeit auf dem Lande zugebracht haben, stehen sich außerordentlih \chlecht. Ich selbst würde, wenn ich mich anstatt vor 4 Jahren erst vor Jahren hätte vensionieren lassen, §00 4 mehr bekommen. as ftenn- zeidnet den Unterschied zwishen Alt- und Neupensionären , die vor 1886 Pensionierten müssen noch besonders berücksihtigt werden, namentlich da sie auch entsprehend s{hlechter besoldet gewesen sind. Der Unterschied in der Stellung der Lehrer und der anderen Beamten ist anerkannt, die ersteren stehen hinter diesen weit zurück. Die Not- lage der Pensionäre kommt in etwa 40 Petitionen aus allen Teilen der Monarchie zum Ausdruck. Einige davon bringen wohl unerfüll- bare Wünsche, aber das Bedürfnis ist da. Wenn möglich, sollten die Pensionen auf geseßlichem Wege crhöht werden, die bis 1000 4 um 30% usw. In Preußen follten keine Pensionen geringer als 1000 bis 1200 4 gezahlt werden, um so die notwendigen Lebensbedürfnisse zu decken. Hoffentlih werden die Petitionen noch in diesem Jahr behandelt, fodaß eine nohmalige Grhöhung vorgenommen wird.

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch (freikons.): Die Ausführungen des Vorredners fann ih nur nach jeder Richtung unterstützen. Die Notlage ter Lehrer ist vorhanden, be- sonders, wenn man die Neuordnung der Verhältnisse seit 1908 erwägt. Der Geldwert ist fortdauernd gesunken, und fo. machen sich die Mißstände nur noch mehr fühlbar. Die Unterschiede, die 1908 geschaffen wurden, legen in der Tat Abhilfe dringend nahe. Die Petitionen geben den Klagen berechtigten Ausdruck. Die Frage ist nur, was an Hilfe und sie wie den Lehrern gewährt werden foll. Auf meine Anregung hat der Finanzminister in der Kommission erklärt, daß womöglich nicht im einzelnen, sondern in ganzen Kategorien geholfen werden solle. Für Lehrer, die weniger als 1000 4 Pension beziehen, liegt ein Bedürfnis in diesem Sinne ohne weiteres vor. Wünschenswert wäre es, daß die Angelegenheit wo- möglich durch Gesetz in diesem Sinne geregelt würde.

Geheimer Oberregierungsrat Altmann: Mißstände liegen hier zweifellos vor. Das hat die Staatêregierung auch veranlaßt, den Unter- stüßungsfonds erheblich zu verstärken. Es is anerkannt, daß die vor 1886 pensionierten Lehrer zum Teil ret niedrige Pensionen

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haben. Eine Pension von 1000 M, die tatsächlich sehr gering sein würde, wird in der Negel durch diesen Fonds erreicht.

Ueber 2000 Lebrer erhalten Zuschüsse aus diesem Fonds. Durch einen Erlaß ist diese Erhöhung der Pension allgemein geregelt. Da- nach ist ein Antrag auf Erhöhung nicht erforderlih; in Krankheits- fällen tritt besondere Fürsorge ein, das Eindringen in die Ver-

mögensverhältnisse des einzelnen ist nah Möglichkeit zu ver- meiden. Die Regierungen sind ferner angewiejen, aus eigenen

Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

1910.

Eine rückwirkende Kraft

Mitteln folhe Unterstüßungen zu gewähren. wirken allgemeine Finanzlage

des Gesetzes möchte jih mit Nücksicht auf die nicht empfehlen.

Abg. Hoff (fortshr. Volksy.): In dieser Richtung muß tat- sächlich mit der nötigen Tatfkraft vorgegangen werden. Der Erlaß des Ministers ist zu begrüßen, namentlich daß ein Eindringen in die

privaten Verhältnisse, die Prüfung der Bedürfnisfrage, möglichst vermieden werden soll. Auf diesem Wege wird Besriedigendes zu

erreichen sein. Das Ersuchen, in diesem Jahr mit Nücksiht auf die Finanzlage eine geseßlihe Regelung nicht eintreten zu lassen, be- deutet hoffentlich nicht, daß cs für alle Zeit niht geschehen werde. Diese geseßliche Regelung hat Bayern und Sachsen getroffen, darum wird es auch für Preußen nötig sein. Die Gesetzgebung von 1908 hat tatsächlih unleidlihe Verhältnisse geschaffen. Troy der damals geschaffenen Besserung stehen die Lehrer noch um 300 Æ# gegen die gleihstehenden Beamten zurück. Das empfinden sie als drückend. Die Unterschiede in den Pensionen sind wirklich zu groß. Bei einer Neuregelung der Verhältnisse soll man zunächst den Bestimmungen 1d dann weiter eine

über die Wohnungsgelder rückwirkende Kraft geben u gehen, um eine befriedigende Lösung zu erreichen. D Ehrensache des preußischen Staates.

Geheimer Oberfinanzrat Löhlein: Der Finanzminister hat früher erklärt, daß man grundfäßlich auch früheren Gehaltsaufbesserungen feine rücfwirkende Kraft eingeräumt hat, und ich glaube, wir müssen daran festhalten.

Abg. Heine (nl.) begrüßt die Crhöhung des Unterstüßungsfonds. Der Minister möge diese Frage möglichst berücksichtigen ; die Erzieher unserer Jugend dürften an ihrem Lebensabend nicht darben.

Abg. Hecken roth (kons.) erklärt namens seiner Partei, daß sie bei der Beratung der betreffenden Petitionen die Wünsche der Altpensionâre wohlwollend prüfen werde.

Bei dem Fonds für Unterstüßungen von Witwen und Waisen von vor dem 1. April 1907 verstorbenen oder in den Nuhestand versezten Volks\schullehrern, der um 100 000 6 auf 630 000 46 erhöht ist, tritt

Abg. Ernst (fortshr. Volksp.) Fonds ein.

Bei dem Dispositionsfonds für das Elementar- unterrichtswesen weist Abg. Schmed ding (Zentr.) auf die große pädagogische Bedeutung Handfertigkeitäunterrichts als allgemeinen Bildungêmittels hin. ie Jugend müsse möglichst früh praktischen Unterricht in der Hand arbeit erbalten, möglichst früh für ihren späteren praktischen Beruf vorbereitet werden. Die Erfahrung habe gezeigt, daß diese Selbst- betätigung den Kindern große Freude mache. Im rheinish-west- fälischen Industriegebiet habe der Unterricht in der Knabenhandarbeit sich als besonders segensreih herausgestellt. Der Medner bittet den Minister, die Bestrebungen auf diesem Gebiete nah Kräften zu unter- stüßen. Abg. von Schenckendorff (nl.) erkennt an, daß in Westfalen und im Rheinland, aber auch in Süddeutschland und im Königreich Sachsen die Bestrebungen für die erziehliche Knabenhandarbeit sich trefflich entwickelt haben. Es gebe in Deutschland über 1000 JIugend- werkstätten. Wenn die Schule selbst die Erziehung von Hand und

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für die Erhöhung auch dieses

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Auge, das werktätige Schaffen und Gestalten bislang noch nicht auf- genommen habe, so liege das daran, daß das Gros der Lehrer diesen Lehrgegenstand nicht als solchen aufnehmen wolle, sondern ihn mit dem Unterricht als Veranschaulichung in Verbindung gebracht sehen mödhte: sie möchten ein schaffendes Lernen dadur gewinnen. Der Nedner erinnert an die in dem Realgymnasium des Direktors Wetekamp in Berlin angestellten Versuche zur Pflege der Hand der Schüler, die die preußishe Unterrichtsverwaltung au anderen böberen Schulen empfohlen habe. Es gebe kaum ein anderes, ge- eigneteres Mittel als die Betätigung im eigenen Schaffen und Ge

stalten, den Tätigkeitstrieb der Jugend in geordnete Bahnen zu bringen. Wenn die Gesetzgebung die Kinderarbeit verboten habe, fo

hätte sie diesem Verbot ein G e bot hinzufügen müssen, nämlich für anderweitige Beschäftigung mit der Hand zu sorgen, lonst verwahrlose die Jugend. Unsere Lehrerschaft müsse im Seminar für diese Sache erzogen werden, damit sie aus eigener Erkenntnis zu der Ueberzeugung gelange, daß die Entfaltung aller dem Menschen innewohnenden Geistesfräfte au durch die erziehliche Handarbeit gefördert werden müße. Er bitte den Minister, diese Frage des Tätigkeitstriebes ebenso zu regeln, wie er gestern in Aussicht gestellt habe, den Bewegungstrieb | des Kindes ün Iugendspiel dur die Schule erweitert pflegen zu lassen. :

Abg. Dr.S chepp (fortschr. Volksp. ): Ich stimme den Ausführungen der Vorredner im Prinzip durchaus zu. Man braucht allerdings nicht alle Ideen des Herrn Kerschensteiner gut zu heißen. Cs kommen bei diesen Uebungen in der Handfertigkeit manchmal Fähigkeiten der Kinder zur Erscheinung, von denen man vorher keine Ahnung hatte. Ich möchte deshalb die Ausführungen der Vorredner nochmals unterstreichen. Der Etat enthält einen Fonds für die Fortbildung der Lehrer ; ich bin über den Verdacht erhaben, daß ih nicht die Fortbildung der Lehrer wünschen könnte, aber ich bin nicht einverstanden mit der Art, wie diese Fortbildung betrieben wird, die niht den Anforderungen der neuen Zeit entspriht. In Bayern wird für die Seminarlehrer afade mise Bildung verlangt. Die Kurse für die Lehrerfortbildung in Berlin und in Posen stehen mit dem Hochschulunterricht in feinerlei Berbindung. Die Lehrer müssen zu Pädagogen erzogen werden; die Pädagogik hat eine Ausdehnung und Vertiefung erfahren wie kaum eine andere Wissenschaft: die Fortbildungsshulen, die Taubstummen-, Blinden- schulen, die Fürsorgeanstalten usw. bieten eine Menge wissenschaftlicher Probleme. Dazu kommt eine Erweiterung der Beobachtung, die |o- genannte experimentelle Pädagogik. Die Pädagogik bedarf also der wissenschaftlichen Behandlung. Hoffentlich folgt Preußen auf diesen Gebieten dem Beispiel von Bayern und Württemberg. Widerstand finden wir allerdings noch bei den Universitäten. Die Herren von der Universität wollen die Pädagogik noch nicht als Wissenschaft gelten lassen. Eine Akademie für Pädagogik halte ih wohl für mögli, und wenn die Hindernisse dagegen noch zu groß \ind, so muß doch in jeder Weise für die Fortbildung der Lehrer gesorgt werden.

Ein Negierungskommissar erklärt: Ueber die Frage eines Lehrstuhls für Pädagogik wird bei der Beratung über die Uni versitäten Auskunft gegeben werden. Die erzieheri|\he und praktische Bedeutung Handfertigkeitsunterrihts schäßt die Unterrichts verwaltung hoch ein, und sie unterstüßt die Bestrebungen zur Ver breitung dieses Unterrichts, namentlich die Vereine, nach Kräften: sie läßt és ih auch angelegen sein, für die Ausbildung von Lehrkräften für diesen Unterricht zu forgen. In dem neuen Lehrplan für die Mittelschulen is dieser Unterricht als wahlfreies Fach eingerichtet worden, und auch auf den Lehrerseminaren is mit den Kursen für Zeichenlehrer der Handfertigkeitsunterricht verbunden. Insbesondere dienen für die Ausbildung der Lehrer für diesen Unterricht die ein jährigen Kurse, die an der Kunstschule in Berlin eingerichtet sind. Ebenso ist Handfertigkeitsunterricht für die Mädchenschulen und die Mittelshulen vorgesehen. Die Unterrichtsverwaltung läßt es ih also angelegen sein, die Handfertigkeit nach jeder Nichtung zu fördern.

Abg. Dr. Newoldt (freikons.): In diesem úüJahre werden hundert Jahre verflossen sein seit dem Tode der Königin Luise, deren An- | denken ein ideales Gut unserer Nation ist. Dieses Idealbild sollte

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