1890 / 112 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 May 1890 18:00:01 GMT) scan diff

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die wir Jhnen vorausgesagt haben. Die Ausweisungen von 1885 haben Deutschland mehr geschädigt als andere Staaten. Was wir damals vorausgesagt haben, ist leider von der Wirklichkeit noch übertroffen worden. Es ist zu beklagen, daß die Ein- gaben der landwirthschaftlihen Centralvereine des Ostens von Erfolg nicht begleitet gewesen sind. Vereinigen Sie sih doch mit uns dazu, die Regierung aufzufordern, daß sie diesen Maßregeln, welche den Osten so shwer schädigen, ein Ende macht, Die nationalen Gesichtspunkte fallen dabei gar niht in das Gewicht. Statt sich an die rechte Adresse zu wenden, rufen Sie nah der Polizei und wollen für die Arbeiter eine Ausnahmegeseßzgebung schaffen. Das ist eine Anomalie im gegenwärtigen Augenblick, wo man das Sozialisten- eseß aufheben will. Der Arbeiter soll gleich mit Haftstrafe elegt werden, beim Arbeitgebcr soll es bei den Geldstrafen bleiben. Die öffentlihe Meinung hat sih gegen die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruches ausgesprochen. Die Petition ist sehr armselig begründet, denn die Petenten wissen nicht einmal, daß sie die Bestrafung mit Gefängniß haben, welche sie verlangen. Es müßte untersuht werden, ob nicht diese Geseß- ebung zu revidiren ist. Die Gleichberehtigung zwischen rbeitgebern und Arbeitern muß allseitig anerkannt werden, eher ist kein sozialer Friede möglich. Die Vertreter der Regierung haben erklärt, daß Erhebungen über die be- klagten Uebelstände stattgefunden haben. Können wir nicht von dem Ergebniß dieser Erhebung etwas Näheres erfahren ? 24 Stunden, nachdem der Deutsche Reichstag mit einer Thron: rede eröffnet worden ist, in welcher ein anderer Hauch weht, beschäftigt sich das preußishe Abgeordnetenhaus mit dieser Petition wegen krimineller Bestrafung des Kontraktbruches, das ist ein eigenthümlicher Zufall. J hoffe, es wird si kein Vertheidiger für die Bestrafung des Kontraktbruches nden. Die Zeiten, wo man mit dem Polizeistock den Frieden haffen wollte, sind unwiederbringlih dahin. Werfen Sie die Petition zu den Akten oder merzen Sie den Plunder, der in dieser Beziehung noch besteht, aus der Geseßgebung aus.

Abg. Freiherr von Erffa: Welcher Zusammenhang be- steht wohl zwischen der gestrigen Thronrede und der vor- liegenden Petition ? Was haben die Ausweisungsmaßregeln mit dieser Petition aus Hannover zu thun? Dort haben doch keine Ausweisungen stattgefunden! Da die Regierung \ih mit dieser Frage beschäftigt, haben wir keinen Anlaß, ein Urtheil für oder gegen die Frage abzugeben. Die Gleihberehtigung der Arbeiter und Arbeitgeber is ein \{höner Grundsatz; aber die Arbeitgeber sind eben niht gleihberehtigt mit ihren Ar- beitern. Ehe zu Gunsten des Arbeilgebers das Gericht ein- schreitet, vergeht oft eine so lange Zeit, daß der Arbeitgeber kein Jnteresse mehr daran hat, den Arbeiter zu verfolgen. Ein landwirthschaftlicher Arbeitgeber muß ih von dem Arbeiter, der sih bei ihm meldet, nahweisen lassen, daß er sein früheres Dienstverhältniß rechtmäßig gelöst hat. Bei dem gewerblichen Arbeitgeber ist das nicht nöthig: erx is nit regreßpflichtig. Die gewerblichen Arbeitgeber müßten ebenfalls regreßpflichtig gemacht werden. Vielleicht würde es sih auch empfehlen, dem landwirthschaftlichen Arbeitgeber die Berechtigung zu geben, einen Theil des Lohnes zurückzubehalten als Sicherung gegen Kontraktbruh. Der Abg. Rickert hat die Sache ganz un- berehtiat aufgebauscht, als ob hier den Arbeitern ein großes E geschehe, während ein Unrecht nur für die Arbeitgeber

esteht.

Abg. Wessel hofft, daß aus einer nochmaligen Be- rathung der Petition etwas Anderes herauskommen werde, als der Abg. Rickert wünshe. Wenn die Klagen in Hannover und Hessen-Nassau {hon so laut sind, wie \{lecht müssen dann die Dinge erst in den östlihen Provinzen stehen! Auf die Sachsengängerei wolle er nicht weiter eingehen, aber do hervorheben, daß gerade diese im Osten vielfach zum Kon- traktbruch geführt habe. Die Wünsche des Abg. Riert in sozialpolitischer Hinsicht müßten geradezu zur Anarchie führen. Die Thronrede selbst wende si gegen die Zuchtlosigkeit der jugendlichen Arbeiter. Und gerade die unverheiratheten jugendlichen Arbeiter neigten am meisten zum Kontraktbruch. Deshalb müsse sich auch das Haus für energische Maßregeln dagegen erklären und er bitte um Annahme seines Antrages.

Abg. Simon von Zastrow will nach der Abfertigung des Abg. Rickert durh den Abg. Freiherrn von Erffa nur noch den Vorwurf des ersteren zurückwcisen, daß die Kom- mission sih auf einen zu formalen Standpunkt gestellt habe. Die Stellungnahme der Kommission sei nah den Erklärungen der _NRegierungs-Kommissare ganz natürlih. Der Antrag Wessel sei überflüssig, da die Justizkommission sich genügend mit der Petition beschäftigt habe.

Abg. Barth stimmt dem Antrage Wessel zu. Diese Frage werde in allen landwirthschaftlihen Vereinen sehr lebhaft er- örtert und müsse um so genauer geprüft werden, als er si von den vorgeschlagenen Maßregeln keinen allzu großen Er- folg verspreche. Jn Hannover und Hessen, wo die Petitionen herstammten, beständen schon jeßt s{härfere Strafen für den Kontraktbruch, als in den anderen Provinzen. Deshalb müsse die ganze Frage der Arbeiterverhältnisse nochmals eingehend in der Kommission erörtert werden.

_ Abg. Conrad (Flatow) bemerkt, daß der landwirthschaft- liche Centralverein Westpreußens in einer Resolution das Ver- langen gestellt habe, daz die ländlichen Arbeiter ein Zeugniß der Orts-Polizeibehörde dafür beibringen sollten, daß sie ihr früheres Arbeitsverhältniß in legaler Weise gelöst haben, und daß Maßregeln gegen die Arbeitgeber veranlaßt würden, welche fontraktbrüchige Arbeiter annehmen. Solche Maßregeln wären vielleicht besser als Strafbestimmungen.

Ava Dr, Sattler erklärt sich gegen die Bestrafung des Kontraktbruhes Seitens der Arbeiter , sonst müßten auch die Arbeitgeber dafür bestraft werden. Redner bestreitet ferner dem Abg. Rickert das Recht, diese Petition mit den polnischen Ausweisungen und der gestrigen Thronrede in Ver- bindung zu bringen.

Darauf wird der Antrag der Kommission mit großer Mehrheit angenommen.

Ueber die Petition von Bewohnern der Städte Lands- berg a. W., Birnbaum, Driesen, Sonnenburg und Küstrin, betreffend die Ab\chwächung von Hohwassergefahren in den Flußgebieten der Warthe und der Oder, geht das Haus gemäß dem Antrage der Agrarkommission mit Rüc- sicht auf die Erklärung der Regierungs-Kommissare in der Kommission zur Tagesordnung über. j

Ueber die Petition des Gerichtsshreibers und Kassen- rendanten Goerke zu Lößen, betreffend die Pensionsfähig- keit der Funktionszulage der als Rendanten bei Fen Gerichtskassen fungirenden Gerihts- chreiber, wird nah dem Antrage der Justizkommission zur Tagesordnung übergegangen.

Die Petitionen verschiedener Lehrer wegen geseßlicher Re- elung der Pensionsverhältnisse der Lehrer und ehrerinnen an Mittelshulen werden nach dem An-

trage der Unterrichtskommission der Regierung wiederholt dringend zur Berücksichtigung überwiesen.

Ueber verschiedene Petitionen aus Schleswig-Holstein, be- treffend die dortigen Grundsteuerverhältnifsse, beantragt die Agrarkommijsion, zur Tagesordnung überzugehen. Eine dieser Petitionen, welhe von Nis Nissen in Banmark ein- gereiht ist, wird auf Antrag des Abg. Bunzen der Regie- rung zur Berücksichtigung überwiesen. Bezüglich der anderen beschließt das Haus nah dem Kommissionsantrage.

Die Petition einer großen Anzahl von Direktoren, Rektoren, Lehrern und Lehrerinnen an öffentlichen höheren Mädchenshulen wünscht, daß das Abgeordnetenhaus dahin wirke, daß die Unterrihtsverwaltung diejenigen öffentlihen höheren Mädchenschulen bezeichne, welche als höhere Lehranstalten zu gelten haben, und daß auf die so bezeihneten Schulen die geseßlihen Be- stimmungen über Pensionirung und Relikten- versorgung für Lehrer an höheren Lehranstalten, auf die übrigen öffentlihen höheren Mädchenschulen die ent- sprechenden Bestimmungen für Lehrer an Elementar- \chulen Anwendung finden. :

: D dem Antrage der Unterrihtskommission beschließt as Haus: - Die Petition der Regierung als Material für die Unterrichts- geseßgebung, insbefondere für die die Regelung der Pensioné-, sowie Wittwen- und Waisenversorgungs8verbältnisse der Lehrer an den- jenigen öffentlihen Schulen bezweckende Gesetzgebung zu überweisen, für welche weder die Pensionsgeseze von 1872 und 1885, noch die Reliktengeseße von 1882 und 1869 zur Anwendung gelangen.

Außerdem erledigt das Haus verschiedene Petitionen von nur lokalem Fnteresse nah den Kommissionsanträgen. (Schluß 4 Uhr.)

Jn der gestrigen Ta des Hauses der Abgeord- neten bemerkte bei der Berathung des Antrages des Abg. Dr. Grimm, betreffend die N der Gemeinde- verfassung der Städte Wiesbaden und Homburg v. d. H., der Minister des Jnnern Herrfurth:

Ich kann mich nicht nur mit den gedruckten Motiven des vor- liegenden Antrages, sondern auch mit den mündlihen Ausführungen, durch welche der Herr Vorredner diesen Antrag zu begründen versucht hat, im Wesentlichen, wenn au allerdings niht in allen Punkten, einverstanden erklären, und ih bin deshalb in der Lage, Namens der Königlichen Staatsregierung eine wohlwollende Berücksichti- gung des vorliegenden Antrages in Aussicht zu stellen.

Was zunächst das Bedürfniß zu einer anderweiten Regelung der Gemeinde-Verfassungsgeseße, welche zur Zeit in Wiesbaden und Homburg in Geltung stehen, anlangt, so glaube ih allerdings, daß der Herr Vorredner dieses Bedürfniß etwas stark kolorirt hat, wenn er davon gesprochen hat, daß dort „geseßwidrige und rehtlose Zustände“ herrshten. Meine Herren, das kann ich nicht zugeben. Ich erkenne an, daß die bestehenden Gemeindeverfassungsgesetze für die fortgeshrittenen Verbältnisse der in großem Aufswwung befind- lihen genannten beiden Orte niht mehr vollständig passen, daß diese Gemeinden genöthigt gewesen sind, aus der Noth eine Tugend zu machen und si Einrichtungen zu schaffen, welche praeter legem sind|; aber ih bestreite, daß diese Einrichtungen gesetßwidrig, daß fie contra legem find, :

Allerdings gebe ih zu, die Verhältnisse sind derartig, daß das Bedürfniß als ein sehr dringendes anerkannt werden muß und ein derartiges Anerkenntniß hat die Königliche Staatsregierung in der unzweideutigsten Weise ja auch bereits vor Jahren dadurch abgegeben, daß fie ihrerseits einen Entwurf einer Städteordnung für die geren Gemeinden des Regierungsbezirks Wiesbaden dem ‘andtage zur Beschlußfassung vorgelegt hat, Meine Herren, daß der damalige Versuch erfolglos geblieben ist, ist nicht Schuld der Königlichen Staatsregierung, Die Gründe, aus welchen dieselbe aber späterhin Abstand genommen hat, diesen erfolglosen Versuch zu erneuern, habe ich im vorigen Jahre in der Sitßung vom 21, Diärz auf die Anfrage des Herrn Vorredners näher dargelegt, und ich freue mi konstatiren zu können, daß diese Einwendungen, welche damals von mir gegen ein sol{ches Vorgehen erhoben worden sind, heute nicht mehr bestehen.

Denn, meine Herren, ih habe zunächst die Erklärung für diese Unterlassung einer Wiederaufnahme der gesetzgeberishen Thätigkeit in dem Umstande gefunden, daß damals gerade von den Abge- ordneten des Regierungsbezirks Wiesbaden gegen das Vorgehen der Königlichen Staatsregierung der entshiedenste Wider- spruch erhoben worden ist, und ich habe meinerseits die Wiederaufnahme dieser geseßzeberischen Thätigkeit davon abhängig ge- macht, daß von den Interessenten und dazu rechne i allerdings auch in erster Linie die Abgeordneten des Regierungsbezirks Wies- baden der Wunsch zu einer solhen Wiederaufnahme ausgesprochen werden möge. Meine Herren, diese Bedingung ist erfüllt, der vorliegende Antrag is von der großen Mehrzahl der Ab- geordneten jenes Landestheils gestelt. Ebenso sind von anderen Interessenten als solche kann ih die Einwohner der Stadt Wies- baden bezeihnen in den von dem Herrn Vorredner erwähnten Petitionen ähnlihe Wünsche der Staatsregierung ausgesprochen worden. Ein solher Wunsch liegt allerdings nicht vor Seitens der Gemeindevertretungen der genannten beiden. Orte ; aber das kann man allerdings auch wohl kaum von ihnen verlangen, daß sie zu einer Regelung, die ihre eigene Existenzberehtigung in Frage stellt, die Initiative ergreifen.

Im Uebrigen aber ist von allen Seiten und i glaube, das wird auch selbst von Denjenigen, welche sih in Betreff der Art und Weise des Vorgehens der Staatsregierung bei den früheren Er- örterungen ablehnend verhielten, zugegeben werden das Bedürfniß einer anderweiten Regelung kaum in Abrede gestellt worden.

Nun, meine Herren, habe ich aber noch von einer zweiten Vorausfetzung die Wiederaufnahme der gesetzgeberishen Thätigkeit auf diesem Gebiete abhängig gemaht. Ich habe darauf hingewiejen, daß der frühere Versuh auch deshalb erfolglos geblieben sei, weil man bei jener Gelegenheit alle die großen Fragen des Gemeindeverfassungs- rechts, die Frage des Census, des Dreiklassensystems, der geheimen Abstimmung, - des Besteuerungérehts, des slaatlihen Aufsihtsrehts, der Bestätigung u. f. w. habe zum Austrag bringen wollen, und ih habe darauf hingewiesen, daß das allerdings bei diejer Gelegenheit wohl kaum möglich sein dürfte.

Nun bringt auch der Auzdruck, der hier in dem Wortlaut des vorliegenden Antrags gebraucht worden ift, daß nämlich eine Gesetzes- vorlage nur vorläufig die Gemeindeverfassung der Städte Wiesbaden und Homburg in angemessener Weise neugestalten sollte, zu der Auf- fassung, daß Seitens der Herren Antragsteller nicht sowohl lediglich ein kurzes Interimistikum für die genannten Städte gewünscht worden ist, sondern daß in dieser Fassung die Bereitwilligkeit erklärt wird, auf die Grörterung jener Fragen von grundlegender Bedeutung nicht das aus\{laggebende Gewicht zu legen, daß fie sich bereit erklärt haben, fie wollten niht das Bessere den Feind des Guten werden lassen, sondern sie wollten erforderlihenfals Kompromisse \chließen, um zu einer besseren Gestaltung ihrer Verhältnisse zu kommen. Meine Herren, wenn diese Auffassung des Antrags die rihtige ist der Herr Vorredner hat si zwar nicht ausdrücklich in diesem Sinne ausgesprochen, ih möchte aber glauben, daß ich seiner Zustimmung zu dieser Auf- fassung versichert sein kann —, dann, glaube i, kann allerdings mit großer Aussicht auf Erfolg dieser Versuch wieder aufgenommen werden. Und unter dieser Vorausseßung würde ih i erkläre das

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jedoch nur für meine Person, nicht Namens der Königlic du „es regierung, welche sih über diese Frage noch -niht flu, eses hat dann auch keinen Anstand nehmen, in WWNtscþ-oer orm dieses Gemeindeverfassungsgeseßzes den Wünschen des Herrn

orredners noch weiter entgegenzukommen und zwar in der Art, daß niht etwa nur die Form einer Novelle oder die Einführung einer anderen, etwa der in den östlihen Provinzen in Geltung stehenden Städteordnung gewählt, fondern daß zwar materiell in Anlehnung an die Bestimmungen der Leßteren eive kodifizirte vollständige Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden vorgelegt werden wird.

Meine Herren, wenn ich mich hiernach bereit erkläre, dem An- trag, der hier gestellt ist, im Wesentlichen zu entsprehen und die des- fallfigen Vorarbeiten sofort einzuleiten, so muß ih do hervorheben, daß ich aus einem bestimmten Grunde nit eine unbedingte Zusage der Vorlegung in der nähsten Sißung dieses Hohen Hauses geben kann und zwar aus dem Grunde, weil, da es sich hier um ein Provinzialgesetz handelt, auch der Provinzial-Landtag über dieses Gesetz wird gehört werden müssen. Nun hat dieser Provinzial-Landtag erft vor ganz kurzer Zeit getagt, und ih vermag in diesem Augenblick nicht zu übersehen, ob es mögli fein wird, daß derselbe so rasch wieder zusammentritt, daß das Gutachten des Provinzial-Landtages über diese Frage \chon vor Beginn der nähsten Session eingeholt worden sein kann Jch glaube aber, daß namentlich aus cinem bestimmten Grunde überhaupt von diefem Gutachten nicht abgesehen werden kann, nämli weil es sich bier, neben jenen materiellen Fragen der Gesetzgebung darum handelt, auf welche Gemeinden eventuell diese Neuordnung ausgedehnt werden soll, in- wie weit obligatorisch bereits außer Wiesbaden und Hamburg dieses neue Gemeindeverfassungsgeseß anderen Gemeinden verliehen werden soll, inwieweit ctwa fakultativ die Möglichkeit geshaffen werden foll, daß dasselbe durch Beschluß der Gemeindevertretungen auch in an- deren Gemeinden unter Genehmigung der Königlichen Staatsregierung angenommen wird. Immerhin aber kann ih die Zusicherung geben, daß die Vorarbeiten für ein solches Geseß ohne Verzug aufgenommen werden, und, was an der Königlichen Staatsregierung liegt, so wird sie nee thun, um dem Antrage baldmöglichst Erfüllung zu verschaffen.

__— Dem Reichstage ist der nachstehende Entwurf eines Geseßes über die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres zugegangen:

S. 1, Die Friedenspräseazstärke des deutshen Heeres wird für die Zeit vom 1. Oktober 1890 bis zum 31. März 1894 auf 486 983 Mann festgestellt. Friedenspräsenzstärke niht in Anrecbnung.

8. 2. Vom 1. Oktober 1890 ab werden die Infanterie in

538 Bataillone, die Kavallerie in 465 Escadrons, die Feld-Artillerie |

in 434 Batterien, die Fuß- Artillerie in 31 Bataillone, die Pioniere in 20 Bataillone, der Train in 21 Bataillone formirt.

§. 3. Die SS. 1 und 2 des Gesetzes, betreffend die Friedens- präsenzstärke des deutshen Heeres, vom 11. März 1887 treten mit dem 1, Oktober 1890 außer Kraft.

8 4. E Geseß kommt in Bayern nah näherer Be- stimmung des Bündnißvertrages vom 23. November 1870 unter Ill, S. 5, in Württemberg nach näherer Bestimmung der Militärkonvention vom 21./25. November 1870 zur Anwendung.

Die Begründung lautet:

Das Geseß vom 11. März 1887 hat die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres für cinen Zeitraum von 7 Jahren (vom 1. April 1887 bis zum 31. März 1894) festgestellt. Bei Bemessung dieser Ziffer auf so lange Zeit im Voraus war man bemüht ge- wesen, Erweiterungen der Wehrkraft der Nachbarstaaten Rechnung zu tragen, soweit solche in die Zukunft hinein sich über- sehen oder schägen ließen Die thatsählihe Entwickelung der leßten 3 Jahre hat iadessen zu der Ueberzeugung führen müssen, daß ein ferneres Verweilen der Heeresorganisation auf den durch jenes Geseß geshaffenen Grundlagen mit der gebotenen Für- sorge für die Wehrhastigkeit des Reichs niht mehr vereinbar ift.

Die Nothwendigkeit organisatorisher Erweiterungen Über di bisherige Friedens8präsenzziffer hinaus ift damit eingetreten. Dieselbi ist zumeist begründet in denjenigen organisatorishen Maßnahmen Frankreichs und 11. März 1887 niht in Berechnung gezogen sind, da sie nicht vor- ausgesehen werden Éonnten.

Zwar unterlag in Frankrei der Entwurf des Wehrgesetßzes vom 15. Juli 1889 bereits der Berathung, als bei uns das leßte Septennatsgeseß cingebraht wurde, Nach mehrjährigen Verhandlungen zu Stande gekommen, ist das Wehrgefey felbst weit über diejenigen Forderungen gegangen, welche aus dem Entwurfe ersihtlich waren.

hinaus- In dem

franzöfishen Budget für 1891 is die Friedenspräsenzstärke bereits würde dann È

mit 9520548 Mann in Ansaß gebraht und also die 1887 auf 468 409 Mann festgeseßte deutshe Präsenz um rund 52 090 Mann übersteigen.

auf 25 Jabre mit rückwirkender Krast erweitert, wodurch fünf aus der Territorial-Armee bereits ausgeshiedene Jahrgänge etwa 600 000 Mann ausgebildete Soldaten wieder zur Verfügung gestellt wurden; es hat die Dienstpfliht derart neu geregelt, daß aftive Armee und Reserve zusammen jeßt 10, anstatt bisher 9 IJahr- gänge in Deutschland 7 umfassen. Die wesentlihste Neuerung des Gesetzes gegen den Entwurf ist aber die grundsäßlihe Aufhebung sämmtlicher Befreiungen vom aktiven Dienst unter Herabseßung der Dienstzeit bei der Fahne von 5 auf 3 J Beseitigung der bisherigen deuxième portion, welche nur 10 Monate diente. Diese Maßf;cegein waren im Verwaltungswege bereits in den leßten 3 Jahren wirksam vorbereitet; sie fanden ihre Ergänzung in dem Rengagementsgescß vom 18. März 1889, welches dem beim Uebergange zu kürzerer Dienstzeit zu befürhtenden Unteroffiziermangel dadurch vorzubeugen bezweckt, daß die Unteroffiziere nah Ablauf ihrer aktiven Dienstpflicht durh Gewährung außerordentlich hoher mate- ns Vortheile zu weiterem Dienst bie den Fahnen zurückgehalten werden. 5 Das französish?2 Wehrgeseß bedeutet also die thatsählihe, rüd- sihtsloseste Durhführung der allgemeinen Wehrpflicht. Die jährliche Rekruteneinstellung wird fih demnah um etwa 60000 Mann steigern und muß, eins{ließlich 20000 Freiwilliger, auf 220000 Mann ver- anschlagt werden, von welchen theils in Folge geseßliher Bestimmun- gen, theils um das Budget innezuhalten, vorauésihtlich etwa 64 000 na einjähriger, 12000 nach zweijähriger Dienstzeit zur Entlassung kommen werden, während der Rest drei Jahre dient. Nach voller Durchführung des Qs ergiebt si hieraus die Zahl der verfüg- baren ausgebildeten Mannschaften 25 Jahrgänge weniger 2d ‘% für Abgänge auf rund 4125 000. E In Deutschland werden bei der jetzigen Friedenspräsenzstärke alljährlich (aus\{ließlich Nachersaß) 164 000 Rekruten, drei- und vier- jährige Freiwillige eingestellt; dazu kommen etwa 9000 Einjährig- Freiwillige und 17 450 Ersatreservisten, welche leßteren eine Gesammt- auêébildung von 20 Wocen auf 3 Uebungen in verschiedenen Jahren vertheilt erhalten. Stellt man darnach den französishen Ziffern die deutschen entsprehend den bei uns thatsächlih bestehenden Ver- hältnissen gegenüber, fo ergiebt sich aus 24 Jahrgängen Rekruten und Freiwilligen und 18 JIahrgängen Ersatreservisten, bei beiden nah Abzug von 25 % für Abgänge, die Zahl der für den Kriegsfall ver sfügbaren ausgebildeten Mannschaften auf rund 3 350 000, Frank- reich, an Bevölkerung fast um 9 Millionen ärmer als Deutschland, würde dann alfo ein Mehr von 775 000 geübten Streitern und diese von gleichmäßiger Ausbildung ins Feld zu stellen vermögen. Des Weiteren ist aber auc die Ueberlegenheit der französischen

Armee an Cadres in den leßten 3 Jahren noch gestiegen. Abgesehen |

von den 1887 als beabsichtigt bekannten Neuformationen ist ins besondere die Feld-Artillerie, für welche der damalige Gesetzentwur! keine Erweiterung in Aussiht nahm, 1888 um 15, 1889 um fernere

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Die Einjährig-Freiwilligen kommen auf die E

Rußlands, welche bei Eclaß des Geseßes vom : französische F ;

i Das französische Wehrgeseß hat ferner, 8 über die Forderungen des Entwurfs hinaus, die Wehrpflicht von 20

aleihzeitiger Ÿ ahre und

19 Batterien vermehrt worden. Bis zum Feldzug 1870 nur im Besiß von 164 im Frieden bespannten Batterien, hat Frankreich jeßt deren 480, mit 3123 Bespannungen für Geshüße und Munitions- wagen, während die deutshe Feld-Artillerie nah dem Septennats- geseze 364 Batterien zählt, welche die 1889 erfolgte Etatserhöhung auf 2038 Bespannungen gebracht hat.

Zieht man ferner in Betracht, daß in den leßten Jahren neben den ganz außerordentlihen Anstrengungen Frankreichs auch Rußland unter Aufwendung überaus zahlreiher Geldmittel sein Heer planmäßig erweitert und dur{gebildet, seine Verkehrs8wege stetig vermehrt und verbefsert hat, so wird niht verkannt werden können, daß wir einer gegen 1887 wesentlich geänderten militärischen Lage gegenüberstehen. nd

Das Rei wird mit seinem Bestande nur dann gesichert fein und seine auf die Erhaltung des europäischen Friedens gerichtete ar wirksam weiter verfolgen können, wenn man dieser veränderten age Rechnung trägt, wenn unsere Heeresmact entsprehend den ver- änderten Verhältnissen an Stärke und Kriegsbereitshaft wäbst. Der vorliegende Gesezentwurf nimmt demgemäß die Erböhung der Friedens- präsenzstärke und die D FNNn der Cadres über die bezüglichen Festseßungen des Geseßes vom 11. März 1887 hinaus zum 1. Ok- tober des laufenden Jahres in Aussicht, sodaß die Verstärkung des G sih mit der regelmäßigen Rekruteneinstellung vollziehen ann. Die in dem genannten Gesetze für die Festseßung der Friedens- präsenzziffer vorgeschriebene zeitlihe Grenze ist beibehalten worden.

Bon dovfkebentan Gesichtspunkten ausgehend, ist vom 1. Oktober 1890 an dur §. 1 des Gesegentwurfs eine Erhöhung der Frieden s- präsenzstärke um 18 574 Mann vorgesehen. Bemessen ist die Friedens- präsenzstärke niht wie bisher nach dem Verhältniß von 1% zu der ortsanwesenden Bevölkerung, sondern in Rücksicht auf das zur Zeit vorliegende dringendste Bedürfniß, die Kriegsbereitshaft des Heeres durch Aufst:llung neuer beziehungsweise Etatsverstärkung bestehender Cadres zu erhöhen. : 1 i ih

Die durch die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke bedingte jähr- lide Mehreinstellaung von rund 6000 Rekruten stößt auf feine Schwierigkeiten, da die Deckung dieses Bedarfs durch die weit größere Zahl der alljährlich beim Aushebungsgeschäft überzählig verbleibenden Mannschaften durchaus gesichert ift. /

Eine Vermehrung der für den Kriegsdienst ausgebildeten Mann- schaften etwa dadur erreihen zu wollen, daß unter erhöhter Rekruten- einstellung die gegenwärtige aktive Dienstzeit bei den Fußtrupyen ver- fürzt würde, kann als angängig nicht erahtet werden. /

Die beantragte Heereéverstärkung soll in der Hauptsahe dazu dienen, die durch Schaffung des XVI. und XVII. Armee-Corps ent- standenen organisatorishen Lücken auszufüllen und die Kriegsbereit- haft der Feld- Artillerie zu erhöhen. Daß letzteres in völlig genügender Weise nur durch Vermehrung der Zahl der Feldbatterien ges{chehen könne, ist bereits in der dem Nachtrags-Etat für das Jahr 1889/90 beigegebenen Denkschrift. betreffend die Erhöhung des Etats der Geld- Artillerie, zum Ausdruck gekommen. Der Vorsprung, welchen die französishe Feld-Artillerie in Bezug auf Stärke und Kriegsbereitschaft erreiht hat, ist zu bedeutend, als daß die Hoffnung noch gere{tfertigt wäre, denselben durch minderwerthige Auskunftsmittel, etwa dur zweckmäßige Mobilmachungsmaßregeln, wieder einbringen zu können.

Es ist daher im §., 2 des Gesezentwurfs die Neubildung von 70 fahrenden Batterien vorgeschen, von welchen 53 auf Preußen, 7 auf Sachsen, 2 auf Württemberg, 8 auf Bayern entfallen, Außer- dem wird beabsichtigt, im Interesse besserer Friedensausbildung die Schießshule der Feld-Artillerie um eine dritte Lehrbatterie zu erweitern. : /

Nach Hinzutritt der 70 neuen Batterien wird die Organifation der Feld- Artillerie sich derart gestalten, daß außer den für Kavallerie- Divisionen bestimmten reitenden Batterien bei den zu 2 Divisionen normal formirten Armee-Corps je 20 Batterien, in 2 Regimenter und 7 Abtheilungen gegliedert, vorhanden sind. Bei dem XI. und dem IT. Königlich bayerischen Armee-Corps, welche 3 Divisionen haben beziehungsweise erhalten, treten je 6 weitere Batterien ein Regiment zu 2 Abtheilungen hinzu. Das XRII. (Königlich säch- sishe) Armee-Corps hat in Rücksicht auf seine besondere Stärke im Ganzen 30 Batterien. : l .

Die Feld-Artillerie wird bierna die Stärke von 434 Batterien mit 2381 Bespannungen erhalten. Sie steht dann hinter der fran- zôsishen immer noch um 46 Batterien und 742 Bespannungen zurü.

Auf Grund der beabsihtigten Neuformation einer fünften in die Pfalz beziehungsweise die Reichslande zu dislocirenden Königlich bayerischen Division ist im §. 2 des Gefeßentwurfs die Neuaufstellung von 4 Infanterie-Bataillonen (3 preußische, 1 bayerisches), 1owie Behufs Vervollständigung der am 1. April 1890 in Preußen neuge- bildeten beiden Armee-Corps die weitere Aufstellung von 1 Pionier- Bataillon und 3 Train-Bataillonen vorgesehen. In Bezug auf die ¡eßtere Forderung wird bemerkt, daß in Preußen insgesammt nur 6 Train-Compagnien (gleich zwei normalen Bataillonen) neugebildet werden sollen, daß aber deren Gliederung in 3 Bataillone unter Hin- zuziehung der bisher vereinzelten Großherzozlih hefsishen LTrain- Compagnie in Rücksicht auf die konventionsmäßig felbständige Stel- lung der 25. (Großherzoglih hessishen) Division den Bedürfnissen entspricht. S :

R sind au bei den Truppentheilen der Infanterie und Kavallerie der vershiedeneu Kontingente (Ftatserhöhungen in Aussicht genommen. Sie bezwecken cinestheils, diejenigen Reduktionen wieder aufzuheben, weichen die Infanterie unterworfen worden war, um bei

Festhaltung der bisherigen Präfenzziffer die Vermehrungen der Artillerie durchführen zu können, anderentheils die neuerlich an die Grenzen ge- s{hobenen Truppentheile überall auf den dort erforderlichen höheren Etat zu bringen oder aber ihre Mobilmachung zu erleichtern. In Sawbsen und Bayern treten hierzu Erweiterungen beziehungsweise Etatserhöhungen der Pionier- und Trainformationen innerhalb der Zahl der bisherigen Bataillons-Cadres. Die Etatserhöhungen erftrecken ih endlich auh auf das Personal des Bezirks-Kommandos und die Halbinvaliden. / ( O E t

Im Anschluß an diese Maßregel wird eine erhöhte Fürsorge für Gewinnung eines tüchtigen und an Zahl genügenden Unteroffizier- personals unvermeidlich. Während auf der einen Seite die aus- gedehnte Verwendung von Unteroffizieren zur Entlastung der Offiziere in manchen Dienstzweigen zum Bedürfniß wird, gestattet auf der anderen Seite die zunehmende Bildung in den hier in Frage kommenden Schichten der Bevölkerung eine solche erweiterte Verwendung. Als Aequivalent hierfür is die Einführung von Unteroffizier-Dienst- prämien beabsichtigt, welhe mit den Diensftjahren steigen, da das Benefizium des Civilver|orgusgéscheins sh nicht mehr als aus- reichend erweist. Die nah Kapitel 24 Titel 13 a des Reichshaushalts- Etats zuständige einmalige Beihülfe von 165 # für Unteroffiziere, welche nah 12 jähriger aktiver Dienstzeit mit dem Civilverforgungs- schein aus dem Heere ausscheiden, kommt dafür in Fortfall. Es darf erwartet werden, daß hierdurch niht nur die Gesammtzahl der Unter- offiziere sich erhöhen und damit eine Abnahme der Manquements stattfinden wird, sondern daß die Unteroffiziere auch dur{schnittlich länger dem aftiven Dienste erhalten bleiben, )

Die Kosten der dur die gegenwärtige Geseßesvorlage vorgesehenen Heeresverstärkung (einschließlich der Unteroffizier-Dienstprämien) sind vorläufig geschäßt :

I. Fortdauernde Ausgaben ae D Etatsjahr)

ießlih Pensionsfonds). Ne N s | 10/925 SUO G 1 242 000,

766 600 ,

15 917 400

Dazu für Bayern (2149 : 16 425) 2082 600 , Im Ganzen . . 18 000 000 Æ

II. Einmalige Ausgaben (für 1890/91). Preußen Sachsen Württemberg Bayern

Preußen Sahsen .. Württemberg .

| im Ganzen rund 40 000 000

Unter den einmaligen Ausgaben sind diejenicen, welche dur Kasfernirung, sowie dur Magazirbauten und Ünterkunfisräume für Material erforderlih werden, niht mit veranschlagt.

P 2 Reichstage sind die nachstehenden Anträge eingebraht worden :

1) Von dem Abg. Rintelen:

Der Reichstag wolle besch{ließen :

die verbündeten Regierungen zu ersuchen, {on vor genereller Revision der Reichs-Prozeßgeseße, und zwar baldmöglichst, dem Reichstage den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, durch welch{en die Vorschriften der Civilprozeßordnung und des Gerichtskostengesetzes über das Zustellungswesen nah der Richtung hin geändert werden:

1) daß die Zustellungen von Amtswegen erfolgen, mit den Maßgaben,

a. daß der Partei die Besorgung der Zustellung von Ladungen, S(riftsäßen, Urtheilen, Arrestbefehlen und einstweiliger Verfügung an die Gegenpartei zu überlassen is, wenn se erklärt, für die Zustellung selbs Sorge tragen zu wollen, in welchem Fall jedoch die zur Erstattung der Prozeßkosten verurtheilte Partei die durch die pt durch den Gerihtsvollzieher erwahsenen Kosten nit zu ragen hat ;

b. daß Urtheile, gegen welche der Einspruh, die Berufung oder die Revision zulässig ist, von Amtêwegen erst dann zugestellt werden, wenn eine Partei die Zustellung beantragt ;

c. daß die Nothfristen dur Uebergabe des zuzustellenden Schrift- saßes an die Gerihts\chreiberei gewahrt werden ;

d. daß die Vorschriften der Civilprozeßordnung über Zustellung durch Vermittelung des Gerihts\hreibers in Wegfall kommen ;

2) daß bei Zustellung von Amtswegen die Form der Zustellung vereinfacht wird, und zwar in der Art,

a. daß die Vorschriften des §. 173 Absaß 2 und 3 der Civil- prozeßordnung, betreffend die Stelle, wohin die Zustellungsurkunde zu seßen, und betreffend die Uebergabe einer beglaubigten Abschrift der Zustellungsurkunde, in Wegfall kommen ; Ï

b. daß in der Zustellungsurkunde die Uebergabe des seiner Adresse und der Geschäftsnummer nach bezeichneten Schriftstücks bezeugt werden und die Unterschrift der Person, an welche zugestellt ist, oder der Grund, weshalb dieselbe nit gegeben werden konnte, enthalten sein muß; wogegen die Vorschriften des § 174 Nr. 2 und 3 der Civilprozeßordnung, betreffend die Bezeihnung der Person oder des Gerichts, für welche, und der Person, an welche zugestellt werden soll, in Wegfall kommen;

c. daß bei Zustellungen durch die Post die Vermittelung des Geriht8vollziehers in Wegfall kommt; daß das Ersuchen an die Poft dur trennbare Einfügung eines, soweit mögli, ausgefüllten Formu- lars der Postzustellungëurkunde in den der Post übergebenen Brief be- wirkt wird, und daß an Stelle der Bescheinigung der Aufgabe zur Post die Bescheinigung des Gerichts\ck,reibers tritt, daß er die aufzu- gebenden Briefe Behufs Beförderung zur Post dem Gerichtsdiener übergeben habe; h

d, daß, wenn mehreren an demselben Ort wohnenden Personen gleihlautende Scriftstüke durch den Gerichtsvollzieher zuzustellen find, die Zustellung auf Einer Urkunde (Kurrende, Umlauf) beurkundet werden kann;

e. daß die Zustellungsurkunden zu den Akten genommen werden ;

3) daß für die von Amtswegen zuzustellenden Schriftstücke Screibgebühren und Zustellungsgebühren bei den Gerichtskosten nicht berechnet werden.

2) Von den Abgg. Rickert und Genofsen:

Der Reichstag woll? beschließen : 8, 5 der Geschäftsordnung wie folgt abzuändern : Von der Abtheilung sind die Wahlverhandlungen, wenn 1) eine rechtzeitig (§. 4) erfolgte Wahlanfehtung oder Einsprache vorlag, oder F i i 2) von der Abtheilung die Gültigkeit der Wahl durch Mehrheits- beshluß für zweifelhaft erklärt wird, oder 3) zehn anwesende Mitglieder der Abtheilung einen aus dem Jn- halte der Wablverhandlungen abgeleiteten, \peziell zu be- zeihnenden Zweifel gegen die Gültigkeit der Wahl erhoben, an eine besondere Wablprüfungskommission abzugeben. Diese Kommission wird in jeder Session für die Dauer der- selben gewählt. L E Im Bedürfnißfalle bestellt der Reichstag mehrere Wahlprüfungs- kommissionen. Für dieselben sind die 8. 3, 26, 27, 29 bis 31 der Geschäftsordnung maßgebend.

3) Von den Abga. Broemel und Genossen :

Der Reichstag wolle beschließen : A

die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in der nächsten Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die schließlihe Entscheidung der in Zollsahen auftauhenden Rechtsfragen dem Rechtswege oder dem verwaltungägerihtlihen Verfahren überweist.

4) Von den Abgg. Richter und Genossen:

Der Reichstag wolle beschließen : E Z

den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, im Interesse der Entlastung der minder wohlhabenden Volksklassen und Behufs Anbahnung einer gerechteren Besteuerung durch geeignete Vorlagen E

1) die Kornzôölle zunächst auf die bis 1887 bestandenen Säße zu ermäßigen, sodann eine allgemeine Revision des Zolltarifs einzuleiten, welche unter gänzliher Beseitigung der Zölle auf Korn, Vieh und Holz auch eine Entlastung des Verbrauchs der Landwirthschaft herbeiführt, j S

2) die Aufhebung der Zukermaterialsteuer und der damit zusammen- hängenden Ausfuhrprämien für Zucker zu veranlassen,

3) die Privilegien der bisherigen Brenner bei der Verbrauhs-, abgabe für Branntwein in Fortfall zu bringen,

5) Von den Abgg. Payer und Genossen:

Der Reichstag wolle beschließen: i j

den Herrn Reichskanzler zu ersuhen, dem Reichstage in der nächsten Session einen Geseßentwurf vorzulegen, durch welchen die zwaijährige Dienstzeit der Infanterie im aktiven Heere eingeführt wird.

6) Von den Abgg. Auer und Genossen: Der Reichstag wolle beschließen : Z den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, zu veranlassen, daß M a. das gegen den Abg. Kunert beim Reichsgeriht wegen Majestäts- beleidigung schwebende Strafverfahren, E b. die gegen den Abg. Schippel beim Königlihen Land- geriht Berlin 1 wegen Vergehens gegen das Gefeß, betreffend die gemeingefährlihen Bestrebungen der Sozialdemokratie, vom 21. Oktober 1878, und gegen die §§. 20, 21 des Reichs- preßgeseßes vom 7. Mai 1874 s{chwebende Strafverfahren, owie c, 6 gegen den Abg. Schippel beim Reicßsgeriht auf Grund des S. 131 des Strafgeseybuches {chwebenden Strafverfahren während der Dauer der gegenwärtigen Session eingestellt werden.

Der Reichstag wolle beschließen : ; dem nacstehenden Entwurf eines Gesehes, betreffend die Er- gänzung des Unfallversicherungsgeseßes vom 6. Juli 1884 (R.-G.-Bl. 1884 Nr. 19 S. 69 ff.) die verfassungsmäßige Zustimmung zu ertheilen : Geseh, betreffend die Ergänzung des Unfallversicherungsgeseßzes vom 6. Juli 1884. (Reichs-Geseßbl. 1884 Nr. 19 S. 69 ff.) Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2c. i j ; verordnen im Namen des Reichs, nah erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstages, was folgt ; if Ee ite [gende Fas Der §. 5 Absay 2 Ziffer 2 erbält folgende Fassung : 2) C bes Verleßten vom Beginn dex vierzehnten Woche

Heilverfahrens von dieser Zeit an für die Dauer der Erwerbsunfähig- keit zu gewährenden Rente. Artikel 2.

Hinter dem S. 6 wird folgender Paragraph eingeschaltet :

¿6:6 Im Falle der Tödtung eines Versicherten, welcher sich bereits im Genuß einer ihm auf Grund dieses Gesetzes zugebilligten Rente befand, ist der zu leistende Ersaß der Beerdigungskusten, sowie die den Hinterbliebenen des Getödteten vom Todestage an zu gewährende Rente nicht nur nach dem Arbeitsverdienst, welhen der Getödtete im lezten Jahre gehabt hat (§. 5 Abs. 3 bis 5) zu berechnen, sondern es ist bci der Berechnung die Summe des letzten Arbeitsverdienstes und der bezogenen Rente zu Grunde zu legen.

Artikel 3. :

Den Stra|bestimmungen sind folgende Vorschriften beizufügen: 1) Den Betriebsunternehmern und ihren Angestellten is unter- sagt, durch Uebereinkunft oder mittelst Arbeitsordnungen die An- wendung der Bestimmungen dieses Geseßes zum Nachtheil der Ver- sicherten ganz oder theilweise auszuschließen, oder dieselben in der Uebernahme oder Auéübung eines in Gemäßheit dieses Gesetzes ihnen übertragenen Chrenamts zu tbeschränken. Vertragsbestimmungen, welche diesem Verbote zuwiderlaufen, haben keine rechtlihe Wirkung. Betriebsunternehmer oder deren Angestellte, welche derartige Verträge geschlossen haben, werden, sofern nicht na anderen geseßz- lihen Vor|chriften eine bärtere Strafe eintritt, mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Haft bestraft. Die gleiche Strafe trifft: : / 1) Betriebsuñternehmer, welche die von ihnen zur Deckung der Unfallentschädigungen und Verwaltungskosten zu leistenden Beiträge (§. 10) den von ihnen beschäftigten Personen bei der Lohnzahlung ganz oder theilweise in Anrechnung bringen, h 2) Angestellte, welche eine solhe Anrechnung bewirken.

Der Reichstag wolle beschließen: h: u i :

dem nacstehenden Entwurf eines Gesehes, betreffend die Abände-

rung des Zolltarifgeseßes vom 15. Juli 1879, die verfassungsmäßige

Zustimmung zu ertheilen: ;

Gesetz, betreffend die Abändecung des

ol s R s :

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2c. i t

verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des

Bundesraths und des Reichstages, wns folgt:

Zolltarifgeseßes vom

Der dur die Bekanntmahung vom 24. Mai 1885 (Reihs- Gesetbl. S. 111) veröffentlibte, beziehungsweise durch das Geseh vom 21. Dezember 1887 (Reihs-Geseßbl. S. 533) abgeänderte Zoll- tarif wird in nachstehender Weise abgeändert : E 1) In Nr. 9: „Eetreide und andere Erzeugnisse des Land- baues“, tritt an die Stelle der Positionen a bis f folgende Fassung : a. Getreide, auch gemalzt, und Hülsenfrüchte frei. 2) In Nr. 25: „Material- und Spezerei-,- auch Konditorwaaren und andere Konsumtibilien* erhalten die Positionen 25 f, 25g 1 und 2, 25k und 2594 2 folgende Fassung :

f Ulle auUV U i :

g. 1) Fleis, ausgeshlatetes, frishes und zubereitetes; Ge- flügel und Wild aller Art, niht lebend, Fleischextrakt, Tafel- bouillon frei,

2) Fische, niht anderweit genannt, frei,

k. Heringe, gesalzene frei, B

q. 2) Müblenfabrikate aus Getreide und Hülfenfrühhten, nämli: geschrotene oder geshälte Körner, Graupen, Gries, Grüße, Mehl, gewöhnlihes Backwerk (Bäkerwaare) frei. :

3) In Nr. 26: „Oel, anderweit nicht genannt, und Fette" erbält die Position h folgende Fassung: i

h. Shmalz von Schweinen und Gänsen, Stearin frei. i

4) In Nr. 37: „Thiere und thierishe Produkte, niht anderweit genannt“ erhâlt die Position b folgende Fassung:

b. Eier von Geflügel frei. O |

5) In Nr. 39: „Vieh“ tritt an die Stelle der Positionen a bis k folgende Fassung :

Lebendes Zug- und Schlachtvieh aller Art frei.

S 2. H Dieses Geseß tritt am 1, Oktober 1890 in Kraft.

Dem Herrenhause sind die nachstehenden Anträge zugegangen: N

Von dem Grafen von Pfeil:

Das Herrenhaus wolle beschließen: ;

Auf Grund der vom Herrn Minister der geistlihen Angelegen- heiten konstatirten Thatsache, daß bei preuziihen öffentlichen höheren Lehranstalten wegen der Ueberzahl jüdister Schüler an den jüdischen Sabbathen und Festtagen der Unterrichtsplan bat verändert werden müssen, die Königliche Staatsregierung um Erwägung von Maß- regeln zur Beseitigung der hieraus erwachsenden Uebelstände zu ersuchen.

Von dem Grafen Udo zu Stolberg-Wernigerode:

Das Herrenhaus wolle beschließen :

die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtage einen Geseßentwurf vorzulegen, durch welhen der evangelischen Kirche die ¿zur Ablösung der Stolgebühren erforderlihen Mittel zugewendet werden.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Hamburg meldet „W. T. B.“, daß auf den dortigen Schiffswerften der Strike fortdauert Die Werftbesigzer hatten si verpflichtet, von den am 1 Mai ausgebliebenen Arbeitern nur 30 9/0 wieder einzustellen Diejenigen Arbeiter, welche am 1. Mai nicht gefeiert haben, arbeiten auf allen Werften.— Die Maurer inHamburg haben gestern die Arbeit niedergelegt. Der Fachverein derselben hat eine Aufforderung erlassen, den Zuzug fremder Arbeiter auf das Strengste zu hindern. 1700 Zimmerleute s\triken eben- falls. 26 Arbeitgeber haben 140 Zimmerleuten eine neun- stündige Arbeitszeit mit 65 &Z Stundenlohn bewilligt. e D O. Bla telegraphirk * wirb, - feiern seit gestern auch die Maler und Böttcher, und heute wollten, dieser Nachricht zufolge, die Schmiede sich anschließen. Im Ganzen sind über 10 000 Leute ausständig, darunter 4500 Werftarbeiter.

In Stettin beshloß, wie wir der „Oftsee-Ztg.“ entnehmen, eine zahlreih besuhte Versammlung von Kalk- und Stein- trägern am 6. d. M, nachdem der von ihnen aufgestellte erhöhte Lohntarif von Seiten der Mehrzahl der Arbeitgeber niht an- erkannt worden ist, in den Generalstrike einzutreten. e Dieser Mittheilung entsprehend meldet das „Wolff {e Bureau“, daß heute unter den Maurern, Zimmerleuten und den Kalk- und Steinträgern ein allgemeiner Strike ausgebrochen ift.

Aus Duisburg wird der „Köln, Ztg * berichtet, daß etwa 60 Hülfsrangirer der dortigen Eisenbahnstation die Arbeit ein- gestellt haben und Lohnerhöhung verlangten. Nach Bewilligung der- selben wurde die Arbeit sofort wieder aufgenommen. . E

Die „Rh.-Westf. Ztg.“ theilt aus Hannover mit, daß die Hannovershe Baumwollen-Spinnerei und -Weberei ihren sämmtlichen 700 Arbeitern auf den 10. Mai gekündigt hat. Die Fabrik ist gezwungen, den Betrieb einzustellen, weil in Folge des theilweisen Strikes Mangel an vorgearbeitetem Material eîn- getreten ift. ; S

In Hirschberg haben, wie ,W. T. B. meldet, seit gestern früh fast sämmtlihe Maurer die Arbeit eingestellt; diefelben verlangen Lohnerhöhung und achtstündige Arbeitszeit.

nach Eintritt des Unfalls, oder im Falle früherer Beendigung des

Der „Köln. Ztg.“ wird aus Saarbrücken telegraphisch mit-