1890 / 113 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 May 1890 18:00:01 GMT) scan diff

es ist fast ein undenkbarer Fall, daß der Provinzial-Aus\chu seine Zustimmung giebt oder einen Anirag an die Königlihe Staats- regierung richtet, der darnach geartet ist, daz dadur die finanzielle Leistungsfähigkeit, die Prästationsfähigkeit des Kreises nicht nur ignorirt wird, sondern geradezu geschädigt und erschüttert. Diesen Fall halte ih einfah für undenkbar. Der Provinzialaus\Guß wird in seinem Votum immer ausgehen müssen von einer Prüfung des besonderen Falles, er wird si schlüssig machen nur auf Grund von Bauanî chlägen, die wohl überblicken lassen das, was zur Zeit für die erste Instand- seßung erfordert wird, wie die Mittel zur Deckung und was in irgend ciner absehbaren Zutuoft gefordert werden fann. Ich halte es in fast allen Fällen für ausge\{lossen, daß gegen den auédrücklihen Willen des Kreistages ein solher Beschluß des Provinzialaus\hufses stattfinden wird. Ich denke mir den Fall im Wesentlichen \o, daß der Beschluß des Provinzialausshusses im Wesentlichen sein wird eine Ergänzung der Zweidrittel-Majorität, die im Kreistage erforderli ift zur Uebernahme von Lasten, zu denen der Kreis geseßlich nit verpflichtet ist Da meine ih doch ich glaube aus meinen etgenen Er- fahrungen, da ich seit 30 Jahren Mitglied meines heimath- lien Kreistages bin, über diese Sahe sprehen zu dürfen —, darüber ist kein Zweifel: die Landrathspoften find im Durchschnitt sicher mit hervorragenden, tüchtigen Leuten beseßt, ih glaube, daß kaum eine andere Beamtenklasse der Monarchie vielleicht existirt, die in ibrer Leistungsfähigkeit höher steht als gerade der Landrath; aber das glaube ih do, einen Kreistagsbeschluß, eine Zweidrittel-Majorität zu Stande zu bringen, _von dem zweifel- haft ist, ob sih der Landrath dafür interessirt, bei der UVeber- nabme von einer Last, für die nicht eine geseßliche Ver- pflihtung vorliegt, ist kaum irgendwo mögli, es wird, glaube ih, unmöglich sein, auch nur etwas, was etner Zwedrittei- Majorität nahe kommt, zu erhalten. Es ift der bei Wegebauten häufig vorkommende Verlauf bekannt. Warum werden in der Regel niht einzelne Chausseebautes, niht einzelne Wege be- lossen, sondern ganze Tableaus von Wegebauten? Do lediglich. um die Zweidrittel-Majorität zu bekommen, die man nicht bekommt in einem Falle, wo nicht sämmtliche Kreistheile ein gewisses Interesse an der einen oder anderen Wegstrecke haben. Ich meine, das liegt in der Natur der Sache und ist kein Vorwurf für die Kreistage.

Also dieser Situation gegenüber, die vorhanden ift, daß in einem Kreistage eine Zweidrittel-Majorität für einen derartigen Beschluß nur in den seltensten Fällen zu finden sein wird, dafür giebt das Geseß meines Erachtens die zweckmäßige und rihtige Ergänzung, und es liegt diese Ergänzung nit in der Hand der Staatsaufsihtsbehörde, gegen die man ja dean ein gewisses Mißtrauen baben kann bekanntermaßen ist das so —, sondern man legt die Entscheidung în die Hand der Selbstverwaltungsorgane, also in die Hand des Pro- vinzialausschusses. Jch meine also, es ist das eine solche objeftioe Regelung, die eine staatsseitige Vergewaltigung so vollständig aus- \chlieft, daß au in der Annahme oder Ablehnung dieses §. 1 meines Erachtens durchaus kein Vertraueus- oder Mißtrauensvotum für mi oder die fünstigen Vertreter der Staatsregierung geschen werden kann, sondern daß es sich lediglih um objektiv klare Dinge handelt.

Meine Herren, es ist erwähnt worden, daß man ja andere Dinge finden solle, um andere Verbände zu \{affen, Zwangsgenossenschaften, und ih habe darauf \chon geantwortet, daß eben dieser Weg niht immer betretbar ist, Als thatsächlihen Beweis dafür glaube ih die frappante That- sache anführen zu können, daß jeßt {on 2 Fälle vorliegen, der eine vom Kreistage Bolkenhain, der freiwillig einen Beschluß gefaßt hat, der sih gerade in dieser Richtung bewegt, der beschlossen hat, die Regulirung des Strigauer Wassers, der wüthenden und \nellen Neisse vorzunehmen als Kreislast unter der Vorausseßung, daß von Seiten des Staats und der Provinz entsprehende Beiträge gewährt werden. Ih habe feinen Zweifel, daß diese Beiträge sich finden werden, und ich führe diesen Fall als einen Beleg an, daß eben auf dem Gebiete des Genossenschaftégesezes sih nicht Alles regeln lassen kann, sondern daß Fälle vorkommen, wo die Vertheilung în ¿Form von Kreislasten allein möglich und richtig ift.

Ein anderer derartiger Fall, der noch eigenartiger liegt, ist der, daß zwei Amtsverbände an der oberen Oder bei Tworkau_ fich eben- falls entschlossen haben zu einer stückweisen Regulirung der Oder, soweit sie in ibrem Bezirk liegt, und also auch die künftige Unterhalturg dieser Strecke Übernehmen werden, nahdem ihnen die Zusicherung staatliher Subvention geworden sein wird. :

Ich meine, diese beiden Fälle zeigen, daß gerade auf diesem Ge- biete Neubildungen nothwendig sind, daß sie si geradezu aufdrängen, und wir suchen in diesem Geseh nun die Möglichkeit dafür, daß sich folhe Gestaltungen in großem Umfange bilden; und dafür gewähren wir eben den geseßlihen Rahmen durch die Vorlage ohne einen lästigen Zwang.

Ih glaube damit die allgemeinen Gesichtspunkte, die hier er- örtert sind, auch meinerseits berührt zu haben und wende mich nun nur noch kurz zu den vorliegenden Anträgen. In der Beziehung brauche ih die, Annahme des §. 1 Artikel 1, welcher in seinem ersten Theile unverändert angenommen ist, hier nicht weiter zu befürworten. Der Hr. Abg. Freiherr von Huene hat dagegen mit den Hrrn. Abgg. Grafen Clairon d’Haussonville, Grafen Strahwitz, Freiherrn von Zedliß und Dr. Ritter einen §. 2 beantragt, der, wie er selbst bereits ausgeführt hat, darauf gerihtet ist, dem Kreistage noch weitere Kautelen zu gewähren in seiner selbständigen Stellung. Ich habe keine Veranlassung, mi gegen diesen Antrag zu wenden, wenn man glaubt, diese Sicherheitsmaßregel den Kreisen bieten zu müssen. Ich würde mich also Seitens der Staatêregierung mit der Annahme dieses Antrages Huene einverstanden erklären können.

Der Antrag des Hrn. Abg. von Heydebrand ist in seinem §. 2

Alinea 1 und 2 identish mit dem Antrage Quene, er bringt aber als drittes Alinea einen Antrag, der darauf gerichtet ist, daß im Falle des neuen Eintritts von elementaren Ereignissen oder einer künftigen Ueberlastung der Unterhaltungskosten unter Um- ständen die Provinzen eintreten solle. Der Antrag ist in seiner Unannehmbarkeit bereits von dem Hrn. Abg. von Huene richtig harafterisirt, und ih kann meinerseits nur das noch hinzufügen: meines Erachtens würde ein solher Antrag gerade eine Prämie sein auf eine s{le{chte Unterhaltung der Gewässer, er würde geradezu cin Anreiz werden, wozu ja die Neigung an und für sih {hon groß ift, die einmal errihteten Shußwerke verfallen zu lassen, um sie gelegent- li wieder auf anderer Leute Kosten aufrihteu zu lassen. Das ift der eine Einwand den ih habe. 2 Der zweite Einwand is der, daß der Antrag der Provinz Schlefien gefeßlich eine Unterhaltungsla\t auferlegen würde, zu der sie niht verpflichtet ist. Ich würde glauben, daß es Seitens der Staatsregierung geradezu ein Akt der Jlloyalität wäre, wenn man der Provinz Schlesien, die gerade auf diesem Gebiete mit Erfolg freiwillig gearbeitet hat, und die sich mit den Grundzügen des von der Regierung vorgelegten Entwurfs einverstanden erklärt hat, eine \solhe Last auferlegen wollte.

Ich kann Sie meinerseits nur bitten, den §. 1 in der Fassung der Regierung unter Annahme des Antrages Huene an:unehmen und den Antrag des Hrn. Abg. von Heydebrand, den ih als unannehm- bar bezeihnen muß, abzulehnen.

Abg. Broemel wendet sich der Petition wegen Aenderung der Strombauverwaltung zu; das Landes-Oekonomiekollegium habe gewünscht, daß zu den Stromämtern auch Landwirthe hinzugezogen werden sollen. Er wünsche, daß niht bloß Land- wirthe, sondern Betheiligte aller Kreise zugezogen würden.

__ Abg. Dr. Avenarius: Die Kreije sind nicht die ge- eigneten Träger für diese Last; ihre Schultern sind micht breit genug, und man hätte gleich von vornherein die Sahe auf einer breiteren Basis anlegen sollen. Denn ein Kreis wird davon selten allein be- troffen werden, es werden immer mehrere Kreise bei einer Flußregulirun betheiligt sein. Jn Sthlesien besteht sonst für Kreise bei öffentlichen Lasten die subjidiäre Unterstüßungspflicht der Provinz. Aber hier handelt es ih

um eine neue Lait, die theils öffentlihre{tliher, s p privat- rechtliher Natur ist. Die Lasten können au durch elementare Ereignisse sih erheblih vergrößern, sodaß der Kreis, welcher die Lasten übernommen hat, weil er leistungsfähig schien, bankerott werden kann. Es handelt sich um andere Dinge, als beim Chausseebau und bei der Chaufseeunterhaltung. Die Bedürfnisse dafür kann man nah einem Dursénitt veranschlagen, bei Wasserbauten aber spielen immer die unvorhergesehenen Ausgaben eine große Rolle, und wie sollen die armen Gebirgsfkreise, welche bei der Uebershwemmung vollständig steuerunfähig geworden fin5, die dann erforderlichen E aufbringen? Jn solchen Fällen kann man nicht auf das Wohlwollen der höheren Instanzen angewiesen sein; es muß eine bestimmte Stelle vorhanden sein, welche sofort eintritt, und das ist naturgemäß die Provinz. i

Abg. Freiherr von Zedliz und Neukirch: Wenn man überhaupt vorwärts kommen will, ist der Kreis der einzige Träger der Unterhaltungslast. Ehe man an die Regulirung herangehen kann, muß man leistungsfähige Träger der Unterhaltung haben. Für unsere kleinen Aufgaben ist aber der Staat und die Provinz nicht die geeignete Stelle; diese Dinge müssen von mehr lokalen Fnstanzen geleitet werden. Die Vorschläge, welche in den Anträgen des Abg. Freiherrn von Huene gemacht sind, bieten den Kreisen die nöthige Sicherheit gegen jede Ueberlastung.

Abg. von Dobeneck kennzeihnet die Vorlage als voll- ständig unreif; er würde niht unglüdcklich sein, wenn das Geseg in diesem Jahre nicht zu Stande käme. Die Land- wirthe an der unteren Oder sind dur die Herstellung einer schiffbaren Fahrrinne in der sonst seihten Oder {wer benachtheiligt worden. S :

Abg. Graf von Kanigtz: Die Kreise sind wohl nicht die rihtigen Träger der Unterhaltungspflicht aller niht schiffbaren Flüsse. Man müßte die Provinz einfügen als Träger der Unterhaliungspfliht für die mittleren Flüsse. Man sagt allerdings, die Provinzen haben niht die für solhe Aufgaben nöthigen Organe. Sie haben für die Chausseeunterhaltung auch nicht die nöthigen Organe, sie haben sie aber doch über- nommen und sie gegen Entshädigung den Kreisen übertragen.

Der Regierungs-Kommissar, Geheime Baurath Keller vertheidigt die Wasserbauverwaltung gegen die Vorwürfe, welche ihr in der Petition und auch von Rednern aus dem Hause gemaht worden sind; die Bauweise unserer Wasser- bauverwaltung sei von anderen Völkern als die beste na- geahmt worden.

Abg. von Schenken dorff hält die Annahme der Vor- lage Angesichts des hercshenden Nothstandes für dringend nothwendig; wenn man auch einen Sprung in das Dunkle mit der Vorlage mache, so müsse dieser Sprung gemacht werden in vollem Vertrauen darauf, daß die Regierung, wenn die Kreise in eine Nothlage kämen, helfend eintreten werde.

Abg. Schul§t-Lupiß bedauert, daß die Regierung nicht eine allgemeinere Vorlage in Bezug auf die Wassergeseßgebung gemacht habe. Der Wassershuß muß viel sorgfältiger gepflegt werden. Die Deiche und Dämme sind ein Unglück, sie sind ein Schuß gegen die natürliche A durch das Wasser. Unsere reihen Schäße an Dünger fließen mit den Strömen in das Meer. Wir müssen dem Winke der Natur mehr folgen als bisher.

Abg. Eberty erklärt ih prinzipiell gegen die Uebertra- gung der Unterhaltungspfliht auf die Kreise; es sei nicht einma! eine annähernde Veranschlagung der Kosten gegeben worden, welche den Kreisen daraus erwahsen könnten. Wenn der Staat 100 Millionen für Ansiedelungen ausgebe, dann sei es nit unbillig, wenn er für die Fnstandseßzung der Flüsse einige Millionen aufwende, stalt die Ausgabe den armen Kreisen aufzubürden.

Damit schließt die Diskussion.

Das Haus beschließt zunächst in Bezug auf die Petitionen dem Antrage der Kommission gemäß mit der von dem Abg. Broemel vorgeschlagenen Aenderung, daß niht nur Landwirthe sondern alle Juteressenten zu den Stromämtern zugezogen werden sollen.

Dann wird Artikel T. der Vorlage in folgender Fassung angenommen :

Auf Antrag oder mit Zustimmung des Provinzialaus\{chusses ¿ann nah Anhörung des Kreistages die Verbindlichkeit zur Unter- haltung niht \{iffbarer Flüsse oder cinzelner Theile derselben den- nee Kreisen übertragen werden, in derea Bezirk ih das Gewässer befindet.

N Die Uebertragung erfolgt durch Erlaß der Ressort-Minister. Der Erlaß ist durch das Amtsblatt bekannt zu machen. Erhebt der Kreistag bei seiner Anhörung gegen diese Uebertragung wegen niht gehörigen Räumungszustandes Widerspruch, so darf die Ueber- tragung nur unter der Bedingung erfolgen, daß die Kosten der erstmaligen Räumung Seitens bisher Verpflichteter oder aus anderen als Kreismitteln aufgebraht werden, Darüber, ob diese Bedingung ertulit ist, entsheiden die Ressort-Minister.

Wird der Widerspruch mit der die Leistungsfähigkeit des Kreises übersteigenden Unterhaltungspflicht, unter Vorausseßung der erfolgten erstmaligen Räumung, begründet, so darf die Uebertragung nur dann erfolger, wenn unter Berücksichtigung eines meliorationstechnis{chen Gutachtens durch die Minister des Innern und der Finanzen die Leistungsfähigkeit des Kreises festgestellt oder die Aufbringung der die Leistungsfähigkeit des Kreises übersteigenden Unterhaltungékosten aus anderen als Kreismitteln gesichert ist.

Wird nah Ausführung der erstmaligen Räumung ein Kreis durch Wiederherstellung zerstörter Vorrichtungen und Bauten oder durch die Unterhaltungskosten überlastet, so stellen die Minister des Innern und der Finanzen das Maß der Ueberbürdung fest, und die Provinz gewährt alsdann Beihülfen in Höhe der festgestellten Ueberbürdung. Von 5 zu 5 Jahren kann eine erneute Prüfung des Umfanges der Neberbürdung stattfinden,

(Schluß 4 Uhr.)

Der dem Neichstage Boe Entwurf eines

Gesetzes, betreffend die Gewerbegerichte, lautet:

vai A ay von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von reußen 2c.

verordnen im Namen des Reichs, nah erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstages, was folgt :

Erster Abschnitt. Errichtung und Que Ban der Gewerbegericht e

__ Für die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Arbeitern einer- seits und ihren Arbeitgebern andererseits können GBewerbegerichte errichtet werden.

Die Errichtung erfolgt durch Ortsstatut nah Maßgabe des §. 142 der Gewerbeordnung. Soll das Gewerbegeriht für mehrere Ge- meinden errichtet werden, so wird das Ortsftatut für jede dieser Gemeinden abgefaßt.

Für den Bezirk eines weiteren Kommunalverbandes erfolgt die

Errichtung nah Maßgabe ter Vorschriften, n&ch welchen Angelegen- beiten des Verbandes statutarish geregelt werden. j

Die Errichtung kann auf Antrag betheiligter Arbeitgeber oder Arbeiter durch Anordnung der Landes-Centralbehörde erfolgen, wenn ungeachtet einer an die betheiligten Gemeinden oder den weiteren Kommunalverband ergangenen Aufforderung innerhalb der heicten Frist die Errichtung auf dem in Absag 2 und 3 vorgesehenen Wege nicht erfolgt ift.

Vor der Errichtung sind sowobl Arbeitgeber als Arbeiter der hauptsählihen Gewerbezweige und Fabrikbetriebe in entsprehender Anzahl zu hören. 5

8, 2.

Als Arbeiter im Sinne dieses Gefeßes gelten diejenigen gewerb- lien Arbeiter (Gesellen, Gehülfen, Fabrikarbeiter und Lehrlinge), auf welbe der siebente Titel der Gewerbeordnung Anwendung findet.

Personen, welche für bestimmte Gewerbetreibende außerhalb der Arbeits\tätten der letzteren mit der Anfertigung gewerblicher Erzeug- nisse beschäftigt sind, gelten als Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes nur insoweit, als dies durch das Statut oder durch die Anordnung der Landes-Centralbehörde (§. 1 Absay 2 bis 4) bestimmt ist. Durch eine solhe Bestimmung wird die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für Streitigkeiten zwischen den bezeichneten Personen und den von ihnen selbst beschäftigten Arbeitern niht berührt.

i ; 8.8,

Die Gewerbegerihte sind ohne Rücksiht auf den Werth des Streitgegenstandes zuständig für Streitigkeiten zwischen den im §. 1 MIOL 1 bezeihneten Perfonen : i

y über den Antritt, die Fortseßung oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, sowie über die Aushändigung oder den Inhalt des Arbeitsbuches oder Zeugnisses, n L

9) über die Leistungen und Entschädigungsansprüche aus dem Arbeitsverkbältnisse, i

3) über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Krankenversiherungsbeiträge (S8. 53, 65, 72, 73 des Ge- setzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, Reichs-Geseßbl. S. 1). i i :

Durch die Zuständigkeit cines Gewerbegerihts wird die Zu- ständigkeit der ordentlichen Me B

Die saclihe Zuständigkeit der Gewerbegerihte kann auf be- stimmte Arten von Gewerbe- oder Fabrikbetrieben, die örtliche auf be- stimmte Theile des Gemeindebezirks beshränkt werden. |

Die Landes-Centralbehörde kann die örtlihe Zuständigkeit eines von ihr errihteten Gewerbegerihts ausdehnen. Die betheiligten Orts- behörden sollen zuvor gehört werden.

S775;

Die Grenze der Zuständigkeit (§. 4), sowie die Bildung des Gerichts nah Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes ist dur das Statut oder durch die Anordnung der Landes - Centralbehörde (8. 1 Absay 2 bis 4) zu regeln.

Die Kosten der Einrihtung und der Unterhaltung des Gerichts sind, soweit sie in dessen Einnahmen ihre Deckung nicht finden, von der Gemeinde oder von dem weiteren Kommunalverbande zu tragen. Soll das Gericht nicht ausf{ließlich für eine Gemeinde oder einen weiteren Kommunalverband zuständig sein, so ist bei Festseßung der Zuständigkeit zuglei zu bestimmen, zu welchen Antheilen die einzelnen Bezirke an dec Deckung der Kosten theilnehmen. i

Gebühren, Kosten und Strafen, welche in Gemäßheit dieses Ge- seßes zur Hebung gelangen, bilden Einnahmen des Gerichts.

S7

Für jedes Gewerbegeriht sind ein Vorsißender und mindestens ein Stellvertreter des\elben, sowie die erforderlihe Zahl von Beisißern zu berufenz die Zahl der leßteren foll mindestens vier betragen.

Bei Gewerbegerihten, welhe aus mehreren Abtheilungen (Kammern) bestehen, können mehrere Vorsißende bestellt werden.

8. 8,

Zum Mitgliede eines Gewerbegerihts foll nur berufen werden, wer das dreißigste Lebensjahr vollendet, in den leßten drei Jahren für fi oder seine Familie Armenunterstüßung aus öffentlihen Mitteln niht empfangen und in dem Bezirk des Gerichts seit mindestens zwei Jahren Wohnung oder Beschäftigung hat. i

Personen, welche zum Amt eines Schöffen unfähig sind (Gerichts- verfassungsgeseß S8. 31, 32), ras nicht berufen werden.

Die Berufung der Mitglieder erfolgt auf mindestens ein Jahr und auf höchstens fünf Jahre. Eine wiederholte Berufung ist nicht ausges{chlofsen. -

Der Vorsigende sowie dessen Stellvertreter dürfen weder Arbeit- geber noch Arbeiter sein.

Sie werden durh den Magistrat und, wo ein solcher nit vor- handen ist oder das Statut oder die Anordnung der Landes-Central- behörde dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weiteren Kommunalverbänden durch die Aung des Verbandes gewählt.

Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Arbeitgebern, zur Hälfte aus den Arbeitern entnommen werden.

Die ersteren werden mittelst Wahl der Arbeitgeber, die letzteren mittelst Wahl der Arbeiter bestellt.

S112)

Zur Theilnahme an den Wahlen (§8. 11) if nur berechtigt, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet und seit mindestens zwei Jahren in dem Bezirk des Gewerbegerihts Wohnung oder Be- schäftigung hat. Die im §. 8 Absay 2 bezeichneten Personen sind nicht wahlberechtigt.

Ft die Zuständigkeit des Gewerbegerihts auf bestimmte Arten von Gewerbe- oder Fabrikbetrieben beschränkt (S. 4 Absatz 1), fo sind nur die Arbeitgeber und Arbeiter dieser Betriebe wählbar und wahl- berehtigt.

Mitglieder einer Innung, für welche ein Schiedsgericht in Gemäß- beit der S8. 97a, 1004 der Gewerbeordnung errichtet ist, sowie deren Arbeiter sind weder wählbar noch wahlberechtigt.

Die Art der Wahl und das Verfahren bei derselben wird durch das Statut oder die Anordnung der Landes-Centralbehörde (§. 1 Absay 2 bis 4) bestimmt. 4 18

Den Arbeitgebern stehen im Sinne der §8. 10 bis 12 die mit der Leitung eines Gewerbebetriebes oder eines bestimmten Zweiges M SLN betrauten Stellvertreter der selbständigen Gewerbetreibenden glei.

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8. 14,

Die Lahlen der Vorsitzenden und ihrer Stellvertreter, sowie der Beisiger unterliegen der Prüfung dur die höhere Verwaltungsbehörde. Dieselbe hat Wahlen, welhe gegen das Ss oder die auf Grund des Gesetzes erlassenen Wahlvorschriften verstoßen, für ungültig zu erklären. Die Wahl der Vorsißenden und der Stellvertreter bedarf ihrer Bestätigung.

Sind Wahlen überhaupt niht zu Stande gekommen oder wieder- holt für ungültig erklärt, so ift die höhere Verwaltungsbehörde befugt, die Mitglieder zu ernennen.

Namen und Wohnort der Mitglieder des Gewerbegerichts werden nach näherer Bestimmung des Statuts oder der Anordnung der Landes- Centralbehörde (§. 1 Absay 2 bis D öffentlih bekannt gemacht.

Das Amt der Beisitzer ist ein Ehrenamt. Die Uebernahme kann nur aus den Gründen verweigert werden, welche zur Ablehnung eines unbesoldeten Gemeindeamts berehtigen. Wo landesgeseßlihe Be- stimmunçen über die zur Ablehnung von Gemeindeämtern berehtigenden Gründe nit bestehen, darf die Uebernahme nur aus denselben Gründen verweigert werden, aus welchen das Amt eines Vormunds abgelehnt

werden kann. Die Beisitzer erhalten Vergütung der Reisekosten. Außerdem nordnung der Landes: Central-

kann ihnen durch das Statut oder die

behörde (§8. 1 Absay 2 bis 4) eine Vergütung für Zeitversäumniß zu- gebilligt werden.

8. 16.

Ein Mitglied des Gwerbegerichts, hinsihtlih desen Umstände eintreten oder bekannt werden, welche die Wählbarkeit zu dem von ihm bekleideten Amt nach Maßgabe dieses Geseßes ausschließen, ist des Amts zu entheben. Die Enthebung erfolgt durch die höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung des Betheiligten. Beschwerde findet nicht ftatt.

Ein Mitglied des Gewerbegerihts, welches \sich einer groben Ver- leßung seiner Amtspfliht s{uldig macht, kann seines Amts entsetzt werden. Die Entseßung erfolgt durch das Landgericht, in dessen Be- zirke das Gewerbegeriht seinen Siß hat. Hinsichtlih des Verfahrens und der Rechtsuittel finden die Vorschriften entsprehende Anwendung, wel{e für dic zur Zuständigkeit der Landgerichte gehörigen Strafsachen gelten. Die Klage wird von der Staatsanwaltschaft auf Antrag der höheren Verwaltungsbehörde R

Der Vorsitzende des Gewerbegerihts und dessen Stellvertreter sind vor ihrem Amtsantritt durch den von der höheren Verwaltungs- behörde beauftragten Beamten, die Beisißer vor der ersten Dienst- leistung durch den Vorsitzenden auf die Erfüllung der Obliegenheiten des ihnen übertragenen Amts G: M verpflichten.

8. 18.

Beisißer, welche ohne genügende Entschuldigung zu den Sißungen nicht rechtzeitig sch einfinden oder ihren Obliegenheiten in anderer Weise ih entziehen, sind zu einer Ordnungéstrafe bis zu 300 H, sowie in die verursahten Kosten zu verurtheilen. Die Verurtheilung wird durch den Vorsitzenden ausgesprochen. Erfolgt * nahträglih genügende Entschuldigung, so kann die Verurtheilung ganz oder theilweise zurückgenommen werden.

Gegen die Entscheidung findet Beshwerde von Seiten des Ver- urtheilten an die höhere Saa N CHAENE Statt.

Das Gewerbegericht verhandelt und entscheidet, soweit niht in diesem Gesetze ein Anderes bestimmt ist, in der Beseßung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsißenden.

Durch das Ortsstatut oder die Anordnung der Landes-Central- behörde (8. 1 Absatz 2 bis 4) kann bestimmt werden, daß für gewisse Streitigkeiten eine größere Zahl von Beisizern zuzuziehen ist.

In gleicher Weise ist zu bestimmen, nach welhen Grundsätzen der Vorsitzende die einzelnen Beisißer zuzuziehen hat.

Arbeitgeber und Arbeiter müssen stets in gleicher Zahl zugezogen werden.

8, 20.

Bei jedem Gewerbegerihte wird eine Gerichtsschreiberei ein- gerichtet.

Für die Bewirkung der Gewerbegerihten können an beamte verwendet werden.

Zweiter Abschnitt. Verfahren, S S1:

Auf das Verfahren vor den Gewerbegerihten finden, soweit im Nachstehenden niht besondere Bestimmungen getroffen sind, die für das amtsgerihtlihe Verfahren geltenden Vorschriften der Civilprozeß- ordnung entsprechende Anwendung. R

_Zuständig is dasjenige Gewerbegerit , in dessen Bezirk die streitige Verpflihtung aus dem B zu erfüllen ift.

Die Vorschrift im §. 11 der Civilprozeßordnung über die bindende Wirkung der rechtskräftigen Entscheidung, dur welche ein Gericht ih für fachlich unzuständig erklärt hat, findet in dem Verhältniß der Gewerbegerihte und der ordentlihen Gerichte Anwendung. Eine solche Entscheidung des ordentlihen Gerichts ist auch insoweit, als sie auf der Annahme der örtlihen Zuständigkeit eines bestimmten Gewerbe- gerihts beruht, für das leßtere Moe

Ueber Gesuhe wegen Ablehnung von Gerichtêpersonen entscheidet das Gewerbegeriht unter TReLana von Beisitzern.

ustellungen in dem Verfahren vor den telle der Gerihtsvollzieher Gemeinde-

Nichtprozeßfähigen Parteien, welche ohne geseßlihen Vertreter sind, kann auf Antrag bis zum Eintritt des geseßlihen Vertreters von dem Vorsißenden ein besonderer Vertreter bestellt werden.

Das (Sleiche gilt im Fall erhebliher Entfernung des Aufenthalts- ortes des geseßlichen Vertreters. j:

8. 26.

Die Zustellungen in dem Verfahren vor den Gewerbegerichten erfolgen von Amtswegen.

Urtheile und Beschlüsse des Gerichts sind, auch wenn die Ver- fündung derselben in einem Termin stattgefunden hat, den Parteien zuzustellen, soweit diese niht auf die Zustellung verzihten. Beschlüsse und O welche nur die Prozeßleitung betreffen, werden nicht zugestellt.

Anträge und Erklärungen einer Partei, welche zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht einzureichen oder mündlich zum Protokoll des Gerichts\hreibers anzubringen.

Sofern durch die Zustellung eine Frist gewahrt oder die Ver- jährung unterbrohen werden soll, tritt diese Wirkung, wenn die Zu- stellung demnächst erfolgt, bereits mit der Einreichung oder Anbringung des Antrags oder der Erklärung s

S 2N)

Der Gerichts\chreiber hat für die Bewirkung der Zustellung Sorge zu tragen und die bei derselben zu übergebenden Abschriften zu beglaubigen. L

Er hat das zu übergebende Schriftftück in einem verschlossenen, mit der Adresse der Persou, an welche zugestellt werden soll, sowie mit ciner Geshäftsnummer versehenen Briefumschlage dem Zustellungs- beamten und im Falle der Zustellung durch die Post dieser zur Zu- stellung zu übergeben. Auf den Briefumschlag ist der Vermerk zu seßen: Vereinfachte Zustellung.

Die auf dem Briefumschlage angegebene Geschäftsnummer ist in den Akten zu vermerken. /

Erfolgt die Zustellung dur die Post, so ist eine Besceinigung der Uebergabe an die Post (Civilprozeßordnung §§. 177, 179) nicht erforderlich.

8. 28,

Die von dem Zustellungsbeamten oder dem Postboten auf- zunebmende Zustellungsurkunde muß die Art und Weise, in welcher der seiner Adresse und seiner Eeschäftsnummer nach bezeihnete Brief- umscchlag übergeben ist, insbesondere den Ort und die Zeit der Ueber- gabe, sowie die Person, welcher zugestellt ift, bezeichnen únd, wenn die Zustellung niht an den Adressaten persönlich erfolgt ist, den Grund hiervon angeben. Die Urkunde ift von dem die Zustellung vollziehenden Beamten zu unterschreiben.

Bei der Zustellung wird eine Abschrift der Zustellungsurkunde nicht übergeben. Der Tag der Zustellung it von dem zustellenden Beamten auf dem Briefumschlage wu vermerken.

Die zur Erledigung des Rechtsstreits erforderlihen Verhandlungs- termine werden von dem Vorsitzenden von Amtswegen angeseßt. Nach Ansetßung des Termins is die Ladung der Parteien durch den Ge- cihts\chreiber zu veranlassen. Ladungen durch die Parteien finden nicht statt.

Die Zustellung der Ladung muß spätestens am Tage vor dem Termin erfolgen. ,

Die Zustellung der Ladung an eine Partei ist nit erforderli, wenn der Termin in Anwesenheit derselben verkündet oder ihr bei Einreichung oder Arbringung der Klage oder des Antrags, auf Grund dessen die Terminsbestimmung stat1findet, mitgetheilt worden ist, Die erfolgte Mittheilung ist zu den s zu vermerken.

8. 30, Nachdem die Klage eingereiht oder zum Protokolle des Gerichts-

\{reibers angebracht ist, bat der Vorsißende einen mösglichft nahen Termin zur Verbandlung anzuseßen.

Die Klage gilt, unbeschadet der Bestimmung im §. 26 Absay 4, erst mit der Zustellung an den Men als erhoben.

An ordentlichen Gerichtétagen fönnen die Parteien zur Verhandlun des Rechtsstreits ohne Terminsbestimmung und Stn vor in Verint erie dzu filat : ie Erhebung der Klage erfolgt in diesem Falle durch den münd- lihen Vortrag derselben. 8. 39 s du

Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht eiusch{ließlih der Verkündung der Urtheile und Beschlüsse desselben N E

Dur das Gericht kann die Oeffentlichkeit sür die Verhandlung oder für einen Theil derselben na Maßgabe der Vorschriften in den 88. 173 bis 175 des Gerichtsverfassungsgeseßes ausgeschlossen werden.

Die Vorschriften der §8. 176 bis 193 des Gerichtsverfassungs- geseßes über die Aufrehterhaltung der Ordnung in den Sitzungen und über die Gerichts\prache finden T iyendung,

Erscheint der Kläger im Verhandlungstermine nit, so ist auf

Antrag des Beklagten das Versäumnißurtheil dahin zu erlassen, daß der Kläger mit der Klage abzuweisen sei. __ Erscheint der Beklagte nit und beantragt .der Kläger das Ver- säumnißurtheil, so werden die in der Klage behaupteten Thatsachen. als zugestanden angenommen. Soweit dieselben den Klageantrag recht- fertigen, ist nah dem Antrage zu erkennen ; soweit dies nit der Fall, ist die Klage abzuweisen.

Bleiben beide Parteien aus, so ruht das Verfahren, bis die An- seßung eines neuen P Ens beantragt wird.

Die Partei, gegen welche ein Versäumnißurtheil erlassen ift, kann binnen der Nothfrist von drei Tagen seit der an sie bewirkten Zustellung des Urtheils die Erklärung abgeben, daß sie Einspruch einlege. Die Einlegung gilt mit der Einreichung der Erklärung oder vid “a Abgabe derselben zum Protokolle des Gerichts\chreibers als ewirkt.

Nach Einlegung des Einspruhs hat der Vorsitzende einen neuen Verhandlungstermin anzusetzen.

Erscheint die Partei. welche den Einsprnch eingelegt hat, au in dem neuen Termine nicht, so gilt der Ein} pruch als zurückgenommen. Anderenfalls wird, sofern der Einspruch zulässig ist, der Prozeß in die Lage zurückverseßt, in welcher er sich vor Eintritt der Ver- säumniß befand.

O00,

Erscheinen die Parteien in dem Termine, so ist über den Rechts- streit zu verhandeln. Die Leitung der Verhandlung liegt dem Vor- sißenden ob. Derselbe hat dahin zu wirken, daß die Parteien über alle erheblihen Thatsachen si vollständig erklären, die Beweismittel für ihre Behauptungen bezeihnen und die sahdienlihen Anträge stellen. Derselbe kann jederzeit das persönlihe Erscheinen der Parteien anordnen.

Wird die Fortseßung der Verhandlung in einem weiteren Termine nothwendig, insbesondere, weil eine erforderlihe Beweisaufnahme nicht sofort bewirkt werden kann, so ist der weitere Termin alsbald zu verkünden. Der zur Beweisaufnahme vor dem Gerichte anberaumte Termin it zugleih zur Fortseßung der Verhandlung bestimmt.

Erscheinen in dem zur Fortsezung der Verhandlung bestimmten Termine die Parteien oder eine derselben nicht, so finden die Vor- \chriften des §8. 33 Anwendung, auch wenn eine Beweisaufnabme vor- ausgegangen war.

8. 36.

Die Beweisgaufnahme erfolgt in der Regel vor dem Gewerbe- gericht. Sie kann nur in den Fällen der S8. 337, 340, 399, 441 der Civilprozeßordnung dem Vorsitzenden des Gerichts oder mittelst Er- suchens einem Amtsgericht übertragen werden.

Die Beweisaufnahme ift au dann zu bewirken, wenn die Parteien oder cine derselben in dem für die Beweisaufnahme bestimmten Termine nicht erscheinen.

S3.

Bes(ließt das Gericht die Vernehmung von Zeugen oder Sach- verständigen, fo sind dieselben, Falls sie nicht von den Parteien zur Stelle gebracht sind, zu laden. Von der Ladung der Sachverständigen fann abgesehen werden, wenn schriftlide Begutachtung angeordnet wird.

Die Beeidigung der Zeugen und Sachverständigen erfolgt nur, wenn das Gericht die Beeidigung zur Herbeiführung einer wahrheits- gemäßen Aussage für nothwendig erahtet oder wenn eine Partei die- selbe beantragt. Die Bestimmungen, nah welchen die Beeidigung in gewissen Fällen unzulässig ist (Civilprozeßordnung §. 358) bleiben unberührt. ;

3A

Ob die Leistung eines zugeshobenen oder zurückges{obenen Eides durch bedingtes Urtheil oder durch Beweisbeshluß anzuordnen sei, bestimmt das Geriht nah freiem Ermessen.

S. 89.

Erscheint der Schwurpflichtige in dem zur Leistung eines Eides bestimmten Termine nicht, so ist der Eid als verweigert anzusehen. Dem Verfahren is Fortgang zu geben.

Der Schwurpflichtige kann binnen einer Nothfrist von drei Tagen nach dem Termine sich zur nachträglichen Leistung des Eides erbieten. Auf ein inzrwoishen ergangenes Urtheil finden die Bestimmungen des 8. 647 der Civilprozeßordnung entsprehende Anwendung. Ein solches Urtheil ist, wenn der Eid nachträglich geleistet wird, insoweit auf- zuheben, als es auf der Annahme der Eidesverweigerung beruht.

Erscheint der Schwurpflichtige auch in dem zur nachträglichen Eidéesleistung bestimmten Termine nicht, so findet ein nohmaliges Erbieten zur Eidesleistung nicht statt.

8, 40.

Neber die Verhandlung vor dem Gewerbegeriht ift ein Protokoll aufzunehmen. Dasselbe ist von dem Vorsitzenden und dem Gerichts- schreiber zu unterzeihnen.

8 &L

Das Gewerbegeriht kann in jeder Lage des Rechtsstreites die gütlihe Beilegung desselben versuhen. Es hat den Sühneversuch beim Schlusse der Verhandlung vorzunehmen oder zu wiederholen.

Der Inhalt eines vor dem Gericht abgeschlossenen Vergleichs ift durch Aufnahme in das Protokoll festzustellen. Die Feststellung ift den Parteien vorzulesen. In dem Protokoll ift zu bemerken, daß die Vorlesung stattgefunden hat und daß die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben E

G42:

Kommt ein Vergleih nicht zu Stande, so ist das Urtheil in dem Termine, in welchem die Verhandlung ges{chlofsen wird, zu verkünden. Ist dies niht ausführbar, so erfolgt die Verkündung in einem sofort anzuberaumenden Termine, welher nicht über drei Tage hinaus an- beraumt werden soll. L Die Wirksamkeit der Verkündung des Urtheils ist von der An- wesenheit der Parteien und der Beisiger niht abhängig.

43. Aus dem Urtheile müssen ersihtlih sein: 1) die Mitglieder des Gerichts, welche bei der Entscheidung mit- gewirkt haben, 2) die Parteien, i l 3 3) das Sat- und Streitverhältniß in gedrängter Darstellung nebst den wesentlihen Entscheidungsgründen, 4) der Spruch des Gerichts in der Hauptsahe und in Betreff der Kosten. j Das Urtheil ist von dem Le zu unterzeichnen.

Ein über den Grund des Ansprubes vorab entscheidendes Zwischen- urtheil ist in Betreff der Me nes nicht als Endurtheil anzusehen.

, 20, Erfolgt die Verurtheilung auf Vornahme einer Handlung, so ist

der Beklagte zuglei auf Antrag des Klägers für den Fall, daß die Handlung nit binnen einer zu bestimmenden Frist vorgenommen ist,

zur Zahlung einer nach dem Ermesscn des Gerichts festzuseßenden Entschädigung zu verurtheilen.

In diesem Falle ist die Zwangsvollstreckung in Gemäßheit der

S8, 773, 774 der R ausgefch{chlossen. . 46.

Die Verpflihtung der unterliegenden Partei, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, erstreckt \sih auf die Erstattung der dem Gegner durch die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder Bei- standes entstandenen Auslagen nur unter der Voraus\egung, daß die Zuziehung durch befondere Umstände gerechtfertigt war, und nur in Ansehung des Betrages, welchen das Gericht für angemcssen erachtet.

Auf Antrag kann der obsiegenden Partei für die ihr durch das Erscheinen bei dem Gericht entstandenen Versäumnisse in dem Urtheil eine Entschädigung zugebilligt M,

Die nicht ouf Grund einer mündlihen Verhandlung ergehenden Beschlüsse und Verfügungen werden, soweit nicht ein anderes be- stimmt is, von dem Vorsitzenden allein erlassen.

Im Uebrigen sind für die Befugnisse des Vorsißenden und der DEULE die Vorschriften über das landgerihtlihe Verfahren maß- gebend.

In Bezug auf die Berathung und Abstimmung finden die Vor- schriften der §8. 194—200 des Gerichtsverfassung8ge|etzes entsprehende Anwendung. i

8 48.

In dem ersten, auf die Klage angeseßten Termine kann die Zu- ziehung der Beisitzer unterbleiben, .

Erscheint in dem Termine nur eine der Parteien, \o erläßt auf Antrag derseiben der Vorsitzende das Versäumnaißurtheil.

Erscheinen beide Parteien, so bat der Vorsitende einen Sühne- versuch vor;unehmen. Kommt ein Vergleich zu Stande, fo ist derselbe in Gemäßheit des S. 41 Absaß 2 im Protokoll festzustellen. Das Gleiche gilt, wenn die Klage zurückgenommen oder wenn auf den Klageanspruch verzihtet oder wenn derselbe anerkannt wird; in diesen Fôllen hat, sofern beantragt wird, die Rechtsfolgen dur Urtheil aus- zusprechen, der Vorsitzende das Urtheil zu erlassen.

Bleibt die Sache in dem Termine |treitig, so hat der Vorsitzende die Entscheidung zu erlassen, wenn dieselbe fofort erfolgen kann und beide Parteien sie beantragen. Anderenfalls is ein neuer Verhand- lungêtermin, zu welchem die Beisißer zuzuziehen sind, anzuseßen und sofort zu verkünden. Zeugen und Sachverständige, deren Ver- nehmung der Vorsitzende für erforderlich erachtet, sind zu diesem Termine zu laden.

8, 49

In den vor die Gewerbegerihte gehörigen Rechtsstreitigkeiten finden die Rechtsmittel statt, welche in den zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörigen bürgerlihèn Rechtsftreitigkeiten zulässig sind. A18 Berufungs- und Beschwerdegericht ift das Landgericht, in dessen Bezirk das Gewerbegeriht seinen Siy hat, zuständig.

Ist für das Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Gewerbe- gerihts eine Nothfrist bestimmt, so beginnt diese für jede Partei mit der an sie bewirkten Zustellung und, fofern auf die Zustellang ver- zihtet war (§. 26 Absatz 2), mit der Verkündung der Entscheidu-g. Im Uebrigen richtet \sich die Einlegung des Rechtsmittels und das Berfahren in der Rehtsm'ttelinstanz nah den Vorschriften der Civil- prozeßordnung.

S 50!

Aus den Endurtheilen der Gew?rbegerichte, welhe rechtskrcäftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt sind, sowie aus den Vergleichen, welche nah Erhebang der Klage vor dem Gewerbegerichte ge|chlossen sind, findet die Zroangsvollstreckung statt.

Vie Urtheile find von Amtswegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn sie die in Nummer 1 des §. 3 bezeichneten Streitig- keiten betreffen oder der Gegenstand der Verurtheilung an Geld oder Geldeéwerth die Summe von 300 # nit üb.riteigt.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist niht auszusprehen, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Vollftreckung dem Schuldner cinen nicht zu erseßenden Nachtheil bringen würde; auch kann sie von einer vorgängigen Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

Im Uebrigen finden auf die Zwangsvollstreckung sowie auf den Arrest und die einstweiligen Verfügungen die Vorschriften im achten Buche der Civilprozeßordnung Anwendung.

S O1

Für die Verhandlung des Rechtsstreites vor den Gewerbegerichten wird cine einmalige Gebühr nah dem Werthe des Streitgegenstandes erhoben.

Dieselbe beträgt bei einem Gegenstand im Werthe

bis 20 M. einschließli E LO0 K von mehr als 20 M bis 50 M einf{ließlich. 1,50 von mehr als 50 f bis 100 M einschließlih 3,09 , Die ferneren Werihsklassen steigen um je 109 #, die Gebühren um je 3 4 Die höchste Gebühr beträgt 30

Wird der Rechtsstreit durch Versäumnißurtheil oder dur eine auf Grund eines Anerkenntnisses oder- einer Zurücknahme der Klage erlassene Entscheidung erledigt, ohne daß eine kontradiktorishe Ver- handlung vorhergegangen war, so wird eine Gebühr in Höhe der Hälfte der oben bezeichneten Sätze erhoben.

Wird ein zur Beilegung des Rechtsftreits abgeschlossener Ver- gleich aufgenommen, so wird eine Gebühr niht erhoben, auch wenn eine kontradiktorische Verhandlung vorausgegangen war.

Screibgebühren kommen niht in Ansaß. Für Zustellungen werden baare Auslagen nicht erhoben. Im Uebrigen findet die Er- hebung der Auslagen nach Maßgabe des §. 79 des Gerichtskosten- gesetzes statt.

S. 52, Schuldner der entstandenen Gebühren und Auslagen ist derjenige, welchem durch die gerihtlihe Entscheidung die Kosten auferlegt sind, oder welcher dieselbea durch eine vor dem Gewerbegericht abgegebene oder diesem mitgetheilte Erklärung übernommen hat, und in Er- mangelung einer solchen Entscheidung oder Uebernahme derjenige, welcher das Verfahren beantragt hat. Die Einziehung der Gerichtskosten erfolgt nah den für die Ein- ziehung der Gemeindeabgaben geltenden Vorschriften. 53

53; __ Die Kosten der Rechtsmittel und der Zwangsvollstreckung be- stimmen sich nah den für die ordentlihen Gerichte maßgebenden Vor- - \chriften. Die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige findet in dem Verfahren vor den Gewerbegerihten Anwendung.

8. 54. Die ordentlichen Gerichte haben den Gewerbegerihten nah Maß- gabe der Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes Rechtshülfe zu leisten. °

Dritter Abschnitt. Thätigkeit des Gewerbegerichts als Einigungsamt. 8, 55.

Das Gewerbegeriht kann in Fällen von Streitigkeiten, welche zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über die Bedingungen der Fort- seßung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses entstehen, als Einigungsamt angerufen R Z

8, 56, Der Anrufung i} Folge zu geben, wenn sie von beiden Theilen erfolgt und die betheiligten Arbeiter und Arbeitgeber leytere sofern ihre Zahl mehr als drei beträgt Vertreter bestellen, welhe mit der Berhandlung vor dem Einigungsamt beauftragt werden. Als Vertreter können nur Betheiligte bestellt werden, welhe das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, sich im Besitze der bürgerlihen CGhrenrehte befinden und niht durch gerichtlihe An- ordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind. Die Zahl der Vertreter jedes Theiles foll in der Regel nicht mehr als drei betragen. Das Einigungsamt kann eine größere Zahl von Vertretern zulassen.

Ob die Vertreter für genüzend legitimirt zu erachten sind, ent- \{eidet das Einigungsamt nach freiem Ermessen.