Sandebeck im §8. 1 unter Nr. T Litt, a 22 vorgesehenen Mittel von 3650 000 # die von der ehemaligen Deutschen Eisenbahnbaugesellshaft zur Sicherung des Zustandekommens der von ihr geplanten Eisenbahn von Lemförde nah Berg- heim beziehungsweise Steinheim bestellte, dem Staat verfallene Kaution nebst den inzwishen aufgelaufenen Zinsen zu dem vorläufig auf rund 827 400 M ermittelten Betrage insoweit zu verwenden, als die Bestände dieses Fonds nah dem Er- messen des Finanz-Ministers ohne Nachtheil für die Staats- kasse flüssig gemaht werden können. L :
5 pu den alsdann noch zu deckenden Restbetrag im §8. 1
E
desgleichen zur Deckung der für die im §8. 1 unter Nr. 11 und IIT vorgesehenen Bauausführungen er- forderlichen 84 260 466 M sir.d Staats-Schuldverschreibungen auszugeben. D)
Mittel von zusammen höchstens
Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welhen Bedingungen der Kündigung und zu welchen Coursen die Schuldvcrshreibungen verausgabt werden sollen (8. 2), bestimmt der Finanz-Minister.
Im Uebrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der Anleihe und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Gesetzes vom 19. Dezember 1869 (Geseß-Samml. S. 1197) zur Anwendung.
8. 4.
Jede Verfügung der Staatsregierung über die im §8. 1 unter Nr. 1, 11 und II1 bezeichneten Eisenbahnen beziehungs- weise Eisenbahntheile durch Veräußerung bedarf zu ihrer Rechtsgültigkeit der Zustimmung beider Häuser des Landtages.
Diese Bestimmung bezieht sih nicht auf die beweglichen Bestandtheile und Zubehörungen dieser Eisenbahnen be- ziehungsweise Eisenbahntheile und auf die unbeweglichen inso- weit nicht, als dieselben nah der Erklärung des Ministers der öffentlihen Arbeiten für den Betrieb der betreffenden Eisen- bahn entbehrlich find. E
9. 9.
Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündigung in Kraft.
Urkundlih unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Fnsiegel.
Gegeben Neues Palais, den 10. Mai 1890.
S) Wilhelm. von Caprivi. von Boetticher. von Maybach. Freiherr Lucius von Ballhausen. von Goßler. von Scholz. Herrfurth. von Schelling. von Verdy. Freiherr von Berleps\ch.
Parlamentarische Nachrichten.
Schlußbericht der gestrigen (7.) Sißung des Reichstages. Fortseßung der ersten Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres.
Abg. Liebknecht: Die Vorlage muß von militärischen, wirthschastlihen und politishen Gesichtspunkten aus geprüft werden. Ueber die militärishen Gesichtspunkte will ih nicht in eine Kritik eingehen, weil meine Kenntnisse hierfür nit ausreihen. Jh erkenne auch an, daß in der Militärver- waltung Sparsamkeit geübt wird, ja ich glaube sogar, daß für das Militär nicht einmal genügend ausgegeben wird. Es fragt sich nur, ob der Militarismus in seiner heutigen Ge- stalt überhaupt nothwendig ist. Mögen die Lasten noch so drückend sein, wenn wirklich der Beweis gebracht wird, daß diese Ausgaben nothwendig sind zur Sicherheit des Vater- landes, dann werde ich selbstverständlih so gut wie jeder Andere für diese Vorlage zu stimmen haben. Vor Allem fallen die politishen Gesichtspunkte ins Gewicht. Gegen die Vorlage hätte eigentlih Niemand wirksamer sprechen können, als es der Feldmarschall Graf Moltke mit seinem Versuch, dieselbe zu begründen, gethan hat. Er sagt uns, alle Regierungen, namentlich auch die Fürsten, wollten den Krieg nicht, und auch die große Mehrzahl des Volkes wolle den Frieden. Wer soll ihn denn dann noch stören? Das ist keine Begründung für die Vorlage, sondern die Begründung unseres negativen Votums. Die Begründung der Vorlage sagt, weil Frankreih und Rußland immer mehr rüsteten und parat seien, müßten auch wir weiter rüsten, Wenn aber diese Vorlage angenommen ist, dann haben uns wenige Wochen später die Franzosen und die Russen abermals überholt, und dann muß nothwendig wieder eine solche Vor- lage fommen, und so stehen wir wieder auf dem alten Fleck, So is der Militarismus eine Schraube ohne Ende: wird diese in einem Lande schärfer an- gezogen, dann folgt das andere nah. Die Steuerkraft des Volkes ist bis aufs Aeußerste angespannt; bei den Wahlen wurde überall über die Lasten des Militarismus und das weitere Anzichen der Steuerschraube geklagt. Auf meiner Reise dur Amerika habe ih erfahren, daß die meisten ausgewan- derten Deutschen wegen des Sozialistengeseßes, der allgemeinen politishen Zustände und der deutschen Militärverhältnisse zur Auswanderung veranlaßt wurden. Jn finanzieller Beziehung zeigen unjere Militärausgaben eine lawinenartige Pro- gression. 1872 haben wir für Militärzwecke 8338 Millionen ausgegeben, 1882/83 528 Millionen und in den folgenden vahven 036, 54 607, 646 T5 uno jeßt 864 Millionen Mark, wozu noch die einmaligen Aus- gaben hinzukommen, sodaß wir für dieses Etatsjahr über eine Milliarde für Militärzwecke ausgeben. Es ist unmöglich, daß in demselben Verhältniß die Kraft des Volkes steigt. Es muß einmal der Zeitpunkt kommen, wo das Volk die Last U meyv 1vagen "kann Und zusammenbricht. «Sh sage, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Ohne Krieg verblutet \sih die Nation finanziell. Die besten Kräfte des Volks werden ausgesaugt, alle Kultur- arbeit wird vernachlässigt. Der bewaffnete Friede ist ein ebenso großes Uebel als der Krieg selbst. Graf Moltke weiß nicht, ob der nächste Krieg 7 oder 30 Jahre dauern werde. Jch bin kein Militär, aber ih sage: Graf Moltke is vollständig im Jrrthum. Ein. Krieg mit solchen Massen, wie sie jeßt ins Feld gestellt werden, kann niht 7 Jahre, noch weniger 30 Jahre dauern. Der Militarièmus an fich soll noth- wendig sein, um den Frieden zu erhalten. Jch leugne, daß er eine solche Bürgschaft sei. Die deutsche Politik foll immer eine Politik des Friedens gewesen sein. Man sagt, das deutsche Kaiserreich sei der Friede, wie man es von dem französischen Kaiserreich gesagt hat. Die Bismarck'sche
Politik möchte ih als Friedenépolitik niht ohne Anführungs- |
zeichen annehmen. Sie hat die Kriege von 1864, 1866 und 1870 herbeigeführt. Seitdem is allerdings kein Krieg geführt. Es war abèr nur in allen offiziellen Kundgebungen friedlich, aber in der offizösen Presse, in einem Organ, von dem selbst Bismarck zugab, daß er für dasselbe schreibe, ist Woche fü: Woche, Monat für Monat der Krieg eröffnet worden. Wenn man fremde Nationen durch kalte Wasserstrahlen erbittert, ist keine friedliche Stimmung möglich und keine Bürgschaft des Friedens geschaffen. B fomme nun mit einigen Worten auf Hrn. von
ardorff’'s Ausfall gegen mich bezüglich Rußlands. Die Haltung gegen Rußland, diese partie honteuse der deut- schen Politik, habe ich hier wiederholt in s\{ärfster Weise angegriffen. Daß ih einen Krieg gefordert habe, ist natürlih nicht richtig; was ih aber shon 1867 hier gefordert habe, ist, daß die deutshe Regierung die Deutschen im Aus- lande {üßt und niht mißhandeln läßt durh auswärtige Mächte. Gelegentlich des orientalischen Krieges habe ih darauf hingewiesen, daß, wenn Deutschland damals Rußland ein Quod non zugerufen hätte, die Russen niht in Rumänien einmarschiren durften, sie sih hätten fügen müssen. Denn sie waren völlig in die Sackgasse gerathen und konnten nur im Vertrauen auf die Konnivenz der deutshen Regierung diesen Schritt unternehmen. Nicht einen Schuß hätte uns dieser Erfolg gekostet. Aber diese Konnivenz zeigte sich bei allen Gelegenheiten; den Russen wurde der deuishe Geldmarkt von Amtswegen eröffnet, das deutshe Kapital . in gefährlicster Weise engagirt; die Grenzsperre und ähnlihe Chikanen, alles ließen wir uns von Rußland gefallen, und wo sih irgend Gelegenheit bot, nahm Rußland sie wahr, uns einen Schabernack zu spielen. Wie hat man in Rußland die Deutschen behandelt! Und was war unsere Antwort? Man verband sich mit Rußland und jagte die Russen aus Deutschland hinaus. Kurz, in jeder Weise machten wir uns den Russen dienstbar. Da habe ih allerdings erklärt, wenn man überhaupt die Politik der kalten Wasserstrahlen für nothwendig hält, so bediene man fi ihrer gegen Rußland, gegen den Friedensftörer par excellence, Aber das ist ja das Schlimme, in Frankreich entwickelt sich Alles mehr und mehr zur Demokratie; darum war es den früheren Machthabern von jeher ein Dorn im Auge, während Nußland, die Macht der Knute, ihnen politish sympathisch is, gewissermaßen ihr politisches Fdeal vertreten hat. Darum die Liebedienerei gegen Nußland, darum die Politik der kalten Wasserstrahlen gegen Frankreih. Gewiß is unsere Lage Rußland gegenüber schwierig, aber weshalb ? Die beiden ersten Kulturvölker Europas, Frankreih und Deutschland, stehen sich feindlih gegenüber, sie haben si ineinander verbissen; sie halten sich zwar noch nicht gerade am Kragen gepackt, aber sie stehen sih gegenüber wie zwei Fechter, jeder den Moment erspähend, wo er den anderen überfallen, ihm den Garaus machen kann. Alles, was der Kultur in beiden Ländern zum Opfer gebracht werden könnte, ist allein den Rüstungen gewidmet, und wenn diese beiden Staaten ihre Kräfte gegenseitig gebunden haben, da kann ih in der That der russishe Barbar als Schiedsrichter aufspielen, und die deutshe Regierung traut \ich nicht, gegen seine An- maßungen Front zu machen. Zwischen Frankreich und Deuts(h- land liegt Elsaß-Lothringen. Jh will nicht auf die Annexion eingehen, Frankreih hat gerade so wenig ein Recht auf den Besiß dieses Landes wie eine andere Nation; aber wo blieb das Selbstbestimmungsreht der Elsaß-Lothringer? Sie sind doch nicht blos eine Heerde Schafe; ein Volk, ein Volksstamm gehört vor allen Dingen sih selbst. Aber ich will in diese Wunde nicht hineingreifen; mit der Zeit wird sie ja ver- harshen. Wenn die bisherige Politik der Verhezung auf- hört, wenn allmählih freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Nachbarvölkern, welche sih so nöthig haben, eingetreten sind, wird auch die elsässishe Frage einen freundlicheren Charakter annehmen. Sind erst in beiden Ländern die demokratischen Prinzipien zum Durchbruch gekommen, dann existirt von selbst keine lothringishe Frage mehr, dann kann ein freies Land wie Elsaß - Lothringen niht mehr den Zankapfel zweier freier verbündeter Völker bilden. Aber die Politik der Verhezung nah außen und nach innen muß aufhören. Aeußere und innere Politik sind von einander nicht zu trennen; und es war viel- leiht der größte Fehler der Freisinnigen, daß sie diese Tren- nung für möglich hielten, die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck billigten, die innere bekämpften. Beide haben zu einander gehört und einander gedient. Es war dieselbe Politik von Blut und Eisen, nah Fnnen Vergewaltigung, Unter- werfung, Knechtung jeder anderen Meinung, nach außen Ver- heßung und diplomatische tours de foree, welche allerdings in leßter Zeit niht mehr verfangen haben. Sind wir denn unter dem Regiment des Fürsten Bismarck, Hand aufs Herz, nur einen einzigen Tag politisch zur Ruhe gekommen? Feder, der anderer Meinung war, als der Fürst Bismarck, war ein Reichsfeind. Nun, hier sißen die Reichsfeinde massenhast in e Majorität; das deutshe Volk besteht aus Reichs- einden! Die neue Regierung ist vor eine sehr \{chwere Aufgabe gestellt, Die Hinterlassenshast Bismarck's zu ordnen, ist außerordentli s{chwer, und ih habe die Männer nicht beneidet, welche den Muth hatten, die Erb- schaft zu übernchmen. Aber ebenso außerordentlih günstig ist auf der anderen Seite die Position der neuen Männer dädurch, daß in den 25 oder 26 Jahren des Bismarckf’schen Regiments kein Mensch in Deutschland mit Ausnahme einer winzigen Minorität, deren Jnteressenpolitik durch ihn gefördert worden ist, zu- frieden war. Alles athmete erleichtert auf, als er ging, und hon am 20. Februar, am Wahltage, konnten Sie den Puls- schlag des Volkslebens fühlen, der es ausdrücktte: Weg mit dem Fürsten Bismarck, weg mit seinem System! Was einige Wochen später erfolgte, seine Entlassung, ist wohl die Voll- streckung dessen, was das Volk am 20. Februar dur sein Votum ausgesprochen hat. Dankbar is also jedenfalls die Aufgabe einer Regierung, die sich sagen kann, jede Verände- rung wird vom Volke als eine Verbesserung betrachtet werden, denn Schlimmeres als bisher, mehr Unterdrücckung nach allen Richtungen i} nicht denkbar, und dieses Gefühl, das den Abgang des Fürsten Bismarck als eine Erlösung ansah, kann die Regierung für sih unzweifelhaft nußbar machen. Zum Frieden nah innen ist ja jeßt ein Schritt geschehen; an der Thronrede ist das Schönste das, was nicht darin steht, das Sozialistengese). Die Regierung hat ja die Sozialreform zu ihrer Hauptaufgabe erklärt. (Der Präsident ersuht den Redner, zur Sache zu sprehen.) Um diese Aufgabe zu erfüllen, ist es dringend nothwendig, den Frieden nah außen zu erhalten, und die Stimmung in Europa ist weit friedlicher als früher. Es muß also mit dem System des Militarismus LotR werden. Es ist früher hon auf einen internationalen Kongreß hingewiesen worden,
welcher auf internationalem Wege eine Entlastung der Völker von den Militärlasten herbeiführen soll. Wir haben nun neulich eine Art von Friedenskongreß gehabt in dem internationalen Arbeiterkongreß. WBeriefe die deutsche Regierung einen Kongreß, welher sich mit der Aufgabe be- schäftigte, wie die Militärlast dem Volke abgenommen werden fann, so würde das Deutsche Reih an der Spitze der Civili- sation marschiren, was bisher nit der Fall war. Der Feld- marschall Graf Moltke sagte, nur die begehrlichen Klassen des Volkes bedrohten den Frieden. Wenn darunter die Arbeiter gemeint sein sollen, so thut es mir sehr leid, daß Graf Moltke nicht auf unserem internationalen Kongreß in Paris im vorigen Sommer war, cr hätte da sehr viel gelernt, er würde dann jedenfalls seine vorgestrige Rede niht gehalten haben. Die Blüthe der Arbeiter aller Länder hat sch einstimmig für eine Abrüstung, Abschaffung der stehenden Heere und für ein Miliz- system erklärt. Einen bestimmten Vorschlag in Bezug auf die Abrüstung mache ih nit. Ein solches Vorgehen hier, ohne daß die Sache im Volk Wurzel gefaßt hat, wäre sinnlos, und um bloße Demonstrationen zu machen, dazu is jeßt unsere Partei zu stark geworden. Jn anderen Ländern ist das Bedürfniß nach Frieden genau so groß wie im deutshen Volk. Jch habe mich persöunlih in Frankreich davon überzeugt und auch den niht arbeitenden Klassen den Puls gefühlt. Der Militarismus tödtet \ih selbst; die moderne Wissenschaft, sein Knecht, zerstört selbst die Waffen, die sie ihm an die Hand gegeben hat. Jch habe im Namen meiner Partei zu erklären, daß wir, aetreu unserer prinzipiellen Haltung, gegen diese Vorlage stimmen werden; wir sind au nicht dafür, daß sie in eine Kommission geht; denn technische Gründe können uns in unserer Meinung nicht erschüttern. Der Militarismus selbs muß fallen. Wir handeln hier im Einklang mit unseren Wählern und mit der Mehrheit des deutschen Volkes. Das Votum des 20. Februar dieses Jahres lautete: Bruch mit dem System des Fürsten Bismarck! Bismarck ist fort, nieder mit seinem System, nieder mit der Blut- und Eisenpolitik, und nieder mit dem Militarismus. Abg. von Kardorff: Der Abg. Liebkneht hat selbst auf die französishe Revolution hingewiesen. Bekanntlich hat der cJakobiner Robespierre in der französishen National- versammlung Vorlesungen gehalten über die äußere Politik, welche eine große Aehnlichkeit haben mit denjenigen, welche der Abg. Liebknecht seit Jahren über die auswärtige Politik gehalten hat. Jch hoffe, daß er nicht dieselbe Gewalt erlangen und es ihm nicht so gehen wird, wie Jenem. Der Abg. Lieh- kneht hat eine große Anklage erhoben gegen „das jeßt glüdlih beseitigte System Bismark“. Er hat gemeint, die große Mehrheit des deutschen Volkes jauchze, da dieses System be- seitigt sei. Die Mehrheit des deutshen Volkes bewundert noh heute den großen Staatsmann, der Deutsch- lands Einheit, Freiheit und Macht begründet hat. Und wenn der Abg. Liebkneht das niht glauben will, so hätte er den Fortgang des Fürsten Bismarck von Berlin hier sehen sollen. Es giebt, Gott sei Dank, viele Mil- lionen treuer Unterthanen, die nie vergessen werden, was der Fürst Bismarck dem deutschen Vaterlande geleistet hat. Der 2 orredner hat sih gegen den Grafen Moltke gewandt, dessen Rede eigentlich gegen die Vorlage gesprochen hätte. Er hat gefragt, wer denn eigentlich den Krieg wolle, wenn die Re- gierungen und die Völker ihn nicht wollen. Er hat vergessen, daß der Graf Violtke hinzugefügt hat, ja, aber die Parteien in den einzelnen Ländern treiben zum Kriege. Man kann ja nicht leugnen, daß es z. B. in Rußland eine panslavistische Partei giebt, welche zum Kriege treibt. Das zeigen auch die neuen Vorgange in Bulgarien Und wie war 8 in Frankreich? Dort wollten die Parteien einen Mann auf den Schild heben, der von allen ernsten Politikern für eine ernstliche Kriegsgefahr angesehen wurde. Es is wunderbar, daß ein großer Theil der sozialistischen Partei in Frankreih diesen Mann auf den Schild erhoben hat. Der Abg. Liebkneht hat heute noch abgeleugnet, daß er zu einem Kriege mit Rußland aufgefordert hat. Seine heutige Nede war doch nichts Anderes, als eine Aufforderung dazu. Denn ein solches Auftreten gegen Rußland, wie er es wünschte, würde unmittelbar den Krieg zur Folge haben. Er hat gesagt, ein solcher kalter Wasserstrahl, wie er nah Frank- reih gesandt worden ist, müßte auch nach Rußland gesandt werden. Fn Frankreich hatte sih ein provokatorisher Ton in der Presse geltend gemaht. Es wurde ferner Klage geführt über das Chicaniren deutscher Reichsangehöriger; da könnten wir eine Note nah Frankreih rihten. Was aber Rußland be- trifft, so beklagt sich der Abg. Liebknecht nicht über die Ver- gewaltigung der deutschen Reichsangehörigen, sondern der Russen deutscher Nationalität. Das wäre aber ein Eingriff in die inneren Verhältnisse eines großen Staats, und darüber kann doch gar kein Zweifel bestehen, daß kein großer Staat, der auf seine Machtstellung etwas hält, ein solches Cinmischen in seine inneren Verhältnisse irgendwie zugeben kann. Die Bismarck’sche Politik war darin großartig, daß sie die Ein- mischung in die inneren Verhältnisse unserer Nachbarstaaten immer auf das Sorgfältigste vermieden hat. Hätten wir an Nußland eine solche Note geschickt, so wäre eine Abweisung in der allershärfsten Form unzweifelhaft gewesen und damit die Kriegsgefahr zwischen Deutschland und Rußland sehr nahe gerückt. Was nun die Vorlage selbst betrifft, so bestreite ich, daß mit dem Septennat die Friedenspräsenzstärke nah oben hin festgelegt worden sei. Allerdings hat die Regierung eine gewisse moralishe Verpflichtung übernommen, nicht ohne äußerste Noth mit Mehrforderungen an den Reichstag heran- zutreten. Wenn die Regierung heute mit Mehrforderungen fommt, so müssen dazu zwingende Gründe vorliegen. Der Reichstag hat selbstverständlich das Recht, diese Forderung ab- zulehnen oder deren Bewilligung an gewisse Bedingungen, etwa an die jährliche Feststellung der Friedenspräsenzstärke, zu knüpfen. Ob dies aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen praktish sein würde, is eine andere Frage. Es is anzu- erkennen, daß der Abg. Richter wie hon früher der Abg. Bamberger in Bezug auf eine andere militärische Vorlage \ih sehr maßvoll über diese Vorlage ausgesprochen hat. Jch hoffe, daß auch seine Partei si schließlich mit der Vorlage einver- standen erklären wird. Der Abg. Payer ist längere Zeit nicht Mitglied dieses Hauses gewesen. Daraus erklärt es \ih, daß er einen zum Theil veralteten Standpunkt eingenommen hat. Er sagte, daß die Einstellung in das Heer und die Einstellung einer vermehrten Präsenzziffer eine außerordentliche Belastung des Volks bedeute. Jh gebe ja zu, daß für den intelligenteren Arbeiter, für den kleineren und mittleren Be- sier die Einziehung zum stehenden Heere eine außer- ordentlih {were Last ist. Aber die weitaus größere Zahl der ausgehobenen Leute gehört der tiefer stehenden Klasse der
Arbeiter an, für welche das Heer geradezu eine Art hoher Schule ist. Sie leben im Heer unter besseren Verhältnissen als zu Hause und shwingen fich später zu sozialen Stellungen auf, an die sie früher in ihren kfühnsten Träumen nicht ge- dacht. Dann sagte der Abg. Payer: wir sind nicht zahlreich genug, um die Kosten zu bezahlen, und hier sollen die Militär- lasten noch vermehrt werden! Nun möchte ih darauf hin- weisen, daß Fcankreih an direkten und indirekten Steuern jährlih pro Kopf der Bevölkerung 55 4, England 35 und Deutschland nur 19 M. bezahlt. Da kann man doch wah:lich niht von einer Ueberlastung der deutschen Nation reden; Deutschland ist eine reihe Nation und es ist nur bedingt rihtig, daß es wirthschaftlih zurückgegangen ist. Gerade die arbeitenden Klassen — das ist auch von der Fort- schrittspartei anerkannt worden — sind in ihrem standard of life im leßten Jahrzehnt von Jahr zu Jahr aufgebessert worden. Allerdings hat eine gewisse Verschiebung der Vermögens- verhältnisse stattgefunden zu Gunsten des Großkapitals und zu Ungunfien der produzirenden Klassen, namentlich des Hand- werks. Glauben Sie aber, daß diese Verschiebung der Ver- mögensverhältnisse, welhe auf ganz anderen Faktoren beruht, als auf unserer Militärlast, sich wesentlich geändert haben würde, wenn wir nur die Hälfte des Militärs hätten wie jeßt? Der Say, daß die indirekten Steuern die breiten Massen des Volks zu Gunsten der wohlhabenden belasten, ist in dieser Allgemeinheit unrichtig. England, auf das man immer exemplifizirt, besteuert nothwendige Lebensmittel, wie Tabak und Spiritus, unendlih höher wie wir. Daß die Rekrimi- nationen jeßt wiederkehren, ist kein Wunder, nachdem der große Hort der deutschen Landwirthschaft, Fürst Bismarck, ausge- schieden ist. Für uns ist die Verantwortung diese Vorlage zu bewilligen, auch keine leichte. Wenn wir troßdem für die Vorlage stimmen, so geschieht dies in der Ueberzeugung, daß eine Ablehnung der Vorlage eine viel größere Verantwortung für uns involviren würde. Es liegt uns eine sehr beahtenswerthe Broschüre vor eines Mannes, dem ein Einblick in unsere politischen Verhältnisse zur Seite stehen muß. Jh gehe auf den politishen Fnhalt dieser Broschüre nicht näher ein, sie enthält aber eine große Menge von Daten über die französishe Armee, welche den An- shauungen des Abg. Richter durhaus widersprehen. Graf Moltke hat bereits darauf hingewiesen, daß ein starkes Heer eine Bürgschaft des Friedens sei, weil jede Nation si ernst- lih die Frage vorlegen müßte, ob sie zum Kriege schreiten wolle oder niht. Fm Gegensaß zu den Hrrn. Payer und Liebknecht glaube ih, daß ein solcher Krieg allerdings sehr lange dauern kann. Bei den vorhandenen Stireitkräften und den Mitteln der Technik ist eine Erneuerung des Krieges, ein Revanchekrieg heute viel drohender als früher. Fa dieser nicht allein wirthschaftlichen, sondern vorwiegend militärishen Frage ist, denke ih, der verehrte Abg. Graf Moltke nach seinen Er- fahrungen viel eher bezufen, ein Urtheil abzugeben, wie die vereh:ten Abgg. Payer und Liebknecht, mögen sie auh noch so große militärishe Erfahrungen haben. Darin ist ihnen Graf Moltke doh über. :
Abg. Dr. Hänel: Von einzelnen Ausführungen des Abg. Liebkneht unterscheide ih mich auf das Schärfste. Er hat eine Würdigung des Fürsten Bismarck gegeben, der ih nicht zustimme, Der Fürst; Bismarck und sein inneres System waren die schärfsten Gegner meiner Partei und Niemand wird von mir vermuthen, daß ih irgend etwas von der Opposition, welche ih mich für verpflichtet hielt, dem Fürsten Bismarck zu machen, auch nur das Mindeste zurücknehme. Aber nichts- destoweniger würde ih gegen mich unehrlih sein, wenn ich ih nicht die gewaltigen Verdienste anerkennen würde, die Fürst Bismarck um unser deutsches Vaterland hat. Jh werde ihm, wie Hr. von Kardorff, stets dankbar sein für die Herstellung der Einheit Deutschlands, und vor allen Dingen au für die Art und Weise, wie er es verstanden hat, unsere neu begründete Nation einzuführen in das europäische Concert und dieselbe in der That zum Hort des Friedens in Europa zu machen. Wenn der Abg. Liebkneht die deutsche Politik der Liebedienerei gegen Rußland beschuldigt, so frage ih ihn: was denkt er von der auswärtigen Politik Frankreichs ? Sehen wir nicht, daß die französische Politik, getragen von dem demokratishsten Parlament der Welt, sih darauf zuspißt, uns bei Rußland, jener „abscheulihen Macht“, den Rang ab- zulaufen? Hr. Liebknecht sagt weiter, Elsaß-Lothringen sei der Punkt, um den sih der gewaltige Wettkampf zwischen Frank- reich und Deutschland entsponnen hat. Das kann er vielleicht seinen jüngeren Gesinnungsgenossen glaubhaft machen, aber ih wundere mich, daß er es mir, der mit ihm gleicaltrig ist, gesagt hat. Wir in diesem Alter kennen den Eindruck, den auf unsere ganze Erziehung und unsere politishe Richtung die französische Literatur und Politik in den zwanziger bis sechziger Jahren gemacht hat. Damals hieß die Parole in Frankreich: Wir müssen unsere natürlichen Grenzen haben, das linke Rheinufer, Revanhe für Waterloo. Jeßt spigt sih die Parole auf Elsaß - Lothringen zu, aber dies ijt nicht allein der Faktor, der die kriegerische Neigung der französishen Nation besonders gesteigert hat. Wir haben zu allen Zeiten mit dieser kriegerischen Neigung zu rechnen gehabt. Daß die Abtreiung von Elsaß-Lothringen Uns den Frieden verbürgen könnte, ist nah Allem, war wir erlebt haben, unrihtig. Von Herrn von Kardorff war es falsh, auf den“ eigentlihen Kernpunkt der Rede des Adg. Liebkneht nicht einzugehen. Alle, auch die konservativen Parteien haben immer anerkannt, daß nichts falscher sei, als einzelne politishe Gesichtspunkte einer einzelnen Partei als Domäne zuzuschieben. Wir protestiren dagegen, daß die Sozialdemokraten die alleinigen Vertreter der arbeitenden Klassen seien; sie allein können die fozialen Fragen nicht lôsen. Wir haben so sehr wie sie den Anspruch und die Pflicht, daran mitzuarbeiten. Das gilt auch auf diesem Ge- biete. Denn ih behaupte, daß der berühmte Feldherr, der unser Mitglied ist, niht anderer Meinung is in der Grund- anshauung, welche Hr. Liebkneht in Bezug auf die unnatür- liche Situation hat, in welche uns die fortwährenden Kriegs- leistungen der Völker gebracht haben. Dieses gegenseitige Ueberbieten in den militärishen Leistungen hat manchmal wahrhaftig den Anschein des hellen Wahnsinns, der Vernunft entspricht es niht. Daß mit diesem System über kurz oder lang gebrochen werden muß, liegt auf flaher Hand. Dieser Grundgedanke des Abg. Liebknecht ist als berechtigt anzu- erkennen. Mit solchen allgemeinen Grundgedanken ist aller- dings keine politishe Situation zu beherrshen und eine einzelne Frage zu lösen. Hr. Liebkneht erkannte das selbst an, denn er sagte ausdrücklich, wenn es sich um die Ver- theidigung des Vaterlandes handle, würde auch die sozial- demokratische Partei entshlossen unter die Fahne treten. Aber
Deutschland kann nicht einseitig mit der Abrüstung vorgeben. Hr. Liebkneht hat auch auf die Nothwendigkeit von Kongressen - und völkerrehtlißen Vereinbarungen hin- gewiesen, um dieses Ziel zu erreihen. Augenblicklih mag ja eine solch?e völkerrechtlicze Vereinbarung für Utopie gelten. Aber 60 oder 100 Jahre früher hielt man völkerrechtlihe Vereinbarungen, wie solche jeßt über die soziale Frage getroffen werden, auch für eine Ütopie. Diese Ent- wicktelung giebt mir die Zuversicht, daß eine gegenseitige Ab- rüstung und Entlastung von den militärishen Leistungen allerdings ein möglicherweise zu erreihendes Ziel ist. Der Monarch, die Nation oder der Staatsmann, der sein Volk diesem Ziele auch nur näher zuführt, wird sich unveraäng- liheren Lorbeer erworben haben, als der größte Feldherr aller Jahrhunderte. Das war der Kernpunkt der Rede des Abg. Liebknecht, und ih wünsche, daß dieselbe Rede in Frank- reich, Ftalien und sonst in Parlamenten kriegführender Völker mit Nachdruck und Entschiedenheit gehalten werde. Dann wird sich hoffentlich unter den Völkern eine größere Ver- ständigung in dieser Beziehung anbahnen, als jeßt die chauvinistishen Leidenschaften zulassen. Vorlage unter dem {weren Druck, daß wir über die Motive derselben niht hinreichend unterrichtet sind. Der Kriegs- Minister behält sich ja die Ergänzuig der Motive vor. Er verspricht uns jet wenigstens einen umfassenden Organisations- plan. Wir werden dabei endlich klar sehen können, wie weit es mit den Forderungen geht und welhe über diese Vorlage hinaus uns noch bevorstehen. Wir müssen diese Mittheilungen des Kriegs-Ministers abwarten. Aber niht nur die militär- tehnishen Punkte sind zu prüfen, sondern auch der Finanz-
plan muß in der Kommission zur Berathung kommen. Es
ist ja unmöglih, daß der Schaßsekretär des Reichs dieselbe stille Nole in der Kommission spielt, wie hier. Wir müssen Klarheit haben, ob die vorhandenen Mittel ausreichen, ob wir zu neuen Steuern gelangen, und welche dabei in Betracht fommen. Unser gegenwärtiges Finanzsystem stellt einen reinen Zufall dar; von Planmäßigkeit ist keine Rede. Wir haben die wunderbare Zerrissenheit, daß das Reich in seinen Steuern fortwährend für die Einzelstaaten arbeitet und es den Einzelstaaten überläßt, wie sie die Ein- nahmen verwenden wollen. Dadurch steht das Finanzsystem des Reichs vollständig zusammenhanglos von dem System der Einzelstaaten da. Es ist zu prüfen, ob sih seine Gerechtigkeit den steigenden Lasten gegenüber behaupten läßt. That)ache ist, daß durch die Militärlasten jetzt die minder Woßlhabenden stärker belastet sind; und da es den ärmeren Klassen nach der Entlassung aus dem Militärdienst viel {chwerer wird, sich ihr Brod zu suchen, als den Wohlhabenderen, so ergiebt sich eine doppelt und dreifach, unverhältnißmäßig stärkere Belastung für die Aermeren gegenüber den Reichen. Deshalb wollten wir 1887 beim Septennat die Mehrleistungen auf eine Reichs- Einkommensteuer abwälzen. Dem Generalorganisationsplan des Kriegs-Ministers muß ein solcher eines Finanz-Ministers folgen. Aber wix haben keinen Finanz-Minister. Der Abg. Windthorst sagte uns freilich, daß alle unsere Gedanken darüber mit dem föderalistishen System im Widerspruh stehen. Jh glaube das nicht. Denn was er als die höchste Gefahr des
föderalistishen Systems darstellt, besteht thatsählih nur in.
etwas unvollkommener Form schon jeßt. Wir haben doch die verantwortlichen Stellvertreter des Reichskanzlers. Die sind nichts Anderes als die verantwortlihen Spezial-Minister, es fehlt nux der Zusammenhang unter ihnen. Dieser wird nur hergestellt durch die Person des Reichskanzlers. Aber das Stellvertretungsgeseß war eben auf die Person des Fürsten Bismarck zugeschnitten. Wie in Preußen durch eine Kabinets- ordre bestimmt ist, daß ein Minister dem Könige über solche Angelegenheiten, welche zugleich ein anderes Ressort betreffen, nur Vortrag halten solle, wenn er die Billigung des Ressort- Ministers hat, so könnte eine nämliche Kabinetsordre für das Neich dem Reichskanzler befehlen, daß er allgemeine politische Angelegenheiten niht anders zum Vortrage brächte, als wenn er das Votum sämmtlicher übrigen verantwortlichen Stellver- ee cingevoI Vat So wude our) eine ensaUe Kaiserliche Kabinetsordre ein verantwortlihes Ministerium organisirt. Hr. Windthorst meint, das sei der Tod des Föderalismus in Deutschland, es ist aber nihts Anderes, als die sahgemäße Gestaltung des, was bereits vecfassungsmäßiges Recht in Deutschland ist. Wenn das den Tod des ¿Födera- lismus bedeutete, stände das ganze Neich auf schwachen Füßen. Wir müssen einen Finanz-Minister haben, der im Zusammen- hange mit den anderen Ressorts, namentlih mit dem Kriegs- Ministerium steh, wenn nicht Alles planlos gehandhabt werden soll, Das macht cs uns unmöglich, schon eine de- finiiive Stellung zu diesem Geseßentwurf einzunehmen. Dazu fommt noch eine andere Situation, die im Gegensaß zu der Ansicht des Kriegs-Ministers in seiner ersten Rede steht. Er sagte, er sei in einer gewissen Verlegenheit mit dieser Bor- lage, Dies ist nur die bedrängte Stellung einer Schönen, die die Wahl unter den Bewerbern hat, die sih um sie drän- gen. Die gesammte parlamentarishe Situation wird dur das furchtbare Uebergewicht gekennzeichnet, welches die Militär- technik gegenüber unseren Berathungen besißt. Wenn die Militärverwaltung uns erklärt, die oder die technischen Spezialwaffen zu gebrauchen, ohne welche sie die Verant- wortung für die Kriegstüchligkeit des Heeres niht über- nehmen kann, wer wollte dann einer solchen Autorität feine Bedenken entgegenstellen? Diese Situation ist auch für den Kriegs-Minister unangenehm, denn sie {hwächt die Berant- wortlichkeit des Parlaments ab. Das konstitutionelle System bedeutet eine Abwälzung der Verantwortlichkeit, welhe eine autokratishe Regierung hat, auf die Volksvertretung. Diese Deckung derx Volksvertretung entgeht der Kriegsverwaltung wie jedem tehnishen Departement, welches in solcher Weise auf dieselben zu. drücken vermag, wie es hier der Fall ist. Jch schiebe die Verantwortlichkeit für diese Mehrbelastung der Militärverwaltung mehr zu, als es fonst im regelmäßigen Gang der parlamentarischen Geschäfte der Fall ist. Gegen- über dieser Mehrbelastung muß auch die Militärverwaltung allseitig etwaige Kompensationen dafür erwägen, besonders die von allen Parteien diskutirte Frage der Verkürzung der Dienstpflicht. Der Kriegs-Minister kann die Verantwortlich- keit, die ich ihm zugeshoben habe, unmögliÞh mit dem kurzen Saß der Motive decken: „Eine Verkürzung der Dienstzeit erscheint unzulässig.“ Will er sahlich die Vorlage vertreten, so muß er den Beweis führen, daß diese Kompensation unmöglich ist. Das Programm der freisinnigen Partei geht niht einfah auf Einführung der zweijährigen Dienstzeit durh Geseß, sondern nur auf die möglichste Ver- kürzung der Dienstzeit. Wir erkennen an, daß die Hindernisse, welche einer solhen plößlihen geseßlihen und verfassungs-
Wir stehen bei dieser |
mäßigen Veränderung entgegenstehen, noch zu stark sein fönnen, und daher wird unjerer Anschauung auch genügt durh ein System von Beurlaubungen. Der Ausgangspunkt für unsere Forderung ist die einjährige Dienstzeit. Wir be- trachten diese nit als ein Privileg der Wohlhabenden, son- dern als die Anwendung des Grundsaßes, daß mit einer ge- hobeneren Bildung eine Verkürzung der Dienstzeit möglich ist, ohne die militärishen Jnteressen zu schädigen. Will man nun nachweisen, daß die Bildungsunterschiede in Deutschland so gewaltig seien, daß man von der ein- jährigen Dienstzeit auf der einen Seite den Sprung
zur dreijährigen auf der anderen Seite machen müsse?
¡ Wir besißen vielmehr im, deutshen Volk eine breite Mittel:
\hicht von so großer Ausbildung, daß eine weit größere An- zahl von Mannschaften in einer kürzeren Zeit zur kriegs- tüchtigen Ausbildung gebracht werden kann. Jch fürchte, daß die shroffe Verweigerung dieser Forderung weit weniger vom tehnishen Standpunkt aus als auf Grund politischer Remi- niszenzen erfolgt, denn dieselbe ist mit dem Konflikt verknüpft. Bei der damaligen Entflammung der politischen Leidenschaften wurde die Frage der zweijährigen Dienstzeit in die Frage verkehrt, ob es ein monarchisches oder Parlamentsheer geben soll. Jch hoffe, daß diese Reminiszenzen jeßt mehr und mehr verschwinden, und entnehme das schon aus dem veränderten Ton auf der Regierungsbank gegen die Oppostitionsparteien. Für uns liegt- darin, - ob diese Kompensation gegenüber der Militärpfliht möglich is, ein entscheidendes Gewicht. Wir werden die Vorlage gewissenhaft prüfen, können es aber mit unserem Gewissen nicht vereinbaren, bereits heute eine definitive Stellungnahme zu erklären.
Reichskanzler vo n Caprivi: A E
Wenn auch die auswärtige Politik hier gestreift worden ift, so fann ih mich einer Schilderung der politishen Lage um so cher ent- halten, als die Thronrede das, was darüber zu sagen wäre, mit klaren und, wie ih glaube, verständlihen Worten ausgedrückt hat. Im Gegensaß zu dem, was der Hr. Abg. Liebtneht geäußert hat, muß ih anerkennen und dankbar anerkennen, daß die Erbschaft, die ih von meinem Amtsvoraanger in Deus Qu die äußere Politik übernommen habe, die denkbar glüdlihste ist. Ich habe Verhältnisse vorgefunden, die fürs erste mich zu keiner Aktion, zu keiner persönlihen Theilnahme nöthigen, weil die Ver- hältnisse so klar und einfa liegen, daß sie eben weiterlaufen können. Wir ftüßen unsere auswärtige Stellung, wie Sie wissen, einmal auf unsere eigene Kraft, die wir, um die Bündnisse zu erhalten, niht hoh genug steigern können; dann aber vertrauen wir auf die festen Bünd- nisse, vertrauen auf sie um so mehr, als sie sich immer mehr auch în die Stimmung der Bevölkerung einleben.
Wenn mir der Hr. Abg. Liebknecht den Rath gegeben hat, ih sollte in der auswärtigen Politik abwiegeln, so würde ich in Ver- legenheit sein, wie dieser Rath zu befolgen ist, denn ih wüßte nit, wo aufgewiegelt worden ist. Ich kann die Dinge nur so laufen laffen, wie sie gelaufen sind, und meinem Vorgänger dafür bvankbar fein.
Es handelt \ich, wenn eine \o erheblihe Vorlage vor Sie ge- braht wird, ja allemal mehr oder weniger um politishe Verbältnifse, um einen Ausblick auf das Ausland; es handelt sich aber in dem vor- liegenden Falle niht um die Nähe eines Krieges, jondern nur um die Schwere eines Krieges, der vorgebeugt werden soll. Wie Furst Bigmarckd in der großen Rede (Q glaube es war im Januar 1887 — die Lage, die bei uns eintreten würde, wenn wir geschlagen wären, geschildert hat — ja, ih bin niht im Stande, dem etwas hinzuzufügen, das besser zu machen oder auch nur zu behaupten, es liegt um ein Iota heute anders als es damals lag. Dieses saigner à blanc würde vor uns liegen, wenn wir geschlagen wären, und würde niht Halt machen vor den Sozialdemokraten, und auch sie würden bis aufs Weiße zur Ader gelassen werden. :
Der Hr. Abg. von Kardorff nöthigt mich noch zu einer Bemer- kung in Bezug auf die Broschüre, die er citirt hat und von der er die Voraussetzung ausgesprochen hat, daß ihr Verfasser einen Tiefen politishen Blick gethan haben müßte. Nah meiner Kenntniß der Akten des Auswättigen Amts halte ich mich für berechtigt, dieser Voraussezung auf das Entschiedenste zu widersprechen. Auch nicht ein Wort habe ich in den Akten gefunden, das zu einer solhen Voraus- seßung einen Anlaß geben könnte, und ih sollie meinen, wenn man die Broschüre liest, kommt man dahinter, daß sie in Bezug auf unsere Lage zu Rußland auf zwei wesentlihe Momente herauskommt. Einmal will der Verfasser uns glauben macben, daß unser fernerer Beruf das Germanisiren weit ins Slaventhum hinein wäre. Auch wer nit in die politishen Verhältnisse eingeweiht ist, wer nur die Lage unseres Vaterlandes einigermaßen kennt, wird wissen, daß wir 80 Jahre nah der Besigergreifung der Provinz Posen noch nicht dahin gekommen sind, diese Provinz so zu germanisiren, wie es Viele von uns wünschten, wie es unter früherea Regierungen an- gestrebt worden ist. Noch heute haben wir mitten in Deutschland wendishe Enklaven und noch heute wird in Littauen und Masuren die Nachmittagspredigt vielfah in einem andecen Idiom als im deutschen abgehalten. Also wenn der Verfasser dieser Broschüre die Lust hat, zu germanisfiren, so liegt innerhalb unserer Grenzen noch ein so reihes Feld vor, daß es nicht nöthig ift, den Blick darüber hinaus- \chweifen zu lassen. S A
Das zweite der Mctive, aus denen der Verfasser seine Animosität gegen Rußland \{chöpft, liegt darin, daß er sagt: wir müssen Herren der Ostsee werden, unsere Küste ist zu kurz, wir müssen uns weiter nach Norden ausdehnen, Meine Herren, ich bin fünf Jahre Chef der Admiralität gewesen Und habe mich fleißig mit der Vertheidigung der Ostsee beschäftigt, auf den Einfall aber, Dag Unse Ute an der De U lun Wale, bin i in diesen fünf Jahren nicht ein einziges Mal gekommen. Es sind Klagen aus dem Handelsstand unserer Häfen an mih gekommen, aus der Rhederei und dem Seehandel von Memel bis Stettin, darüber aber hat kein Mensch geklagt, daß er niht noch mehr Konkurrenten hätte, sondern am Hintecland hat es ihnen gefehlt. S :
Ich möchte hiermit den Glauben, daß der Verfasser dieser Broschüre auch nur soweit mit politisch unterrichteten Kreisen in Beziehung gestanden haben könnte, daß er cinen tieferen Einblick als andere Menschen gethan hätte, diesen Glauben möchte ih hiermit be- seitigt haben. -
Der Hr. Abg. Hänel hat die staatsre{chtlihe Frage der Stellung des Reichskanzlers gegen seinen Stellvertreter berührt. Ich bin nicht im Stande, auf alle Momente, die der Herr Redner in dieser Be- ziehung vo1geführt hat, einzugehen. Jh kann nur sagen, es hat mi gerade aus diesem Munde überra|scht, eine Ansicht entwickeln zu hören, die dahin führen würde, daß der Stkelleninhaber von dem Stellvertreter abhängig gemaht würde. Der Stkelleninhaber U O De o O U Qanel QUECL uer der Einwilligung oder — er brauchte dann nachher einen etwas absdwächenden Ausdruck — seiner Stellvertreter versichern. Ich bin vielleiht zu sehr Soldat, um für dieses Verhältniß Ver- \tändniß zu haben. Auf keinen Fall würde für mich in einer Drgani- sation, die auf einem so s{wierigen Verhältniß basirt wäre, Plaß sein, Er hat dann das Verlangen nah einem Reichs-Finanz- Ministerium ausgesprohen und begegnete sich naturgemäß darin mit dem, was der Hr. Abg. Richter vorgestern, wenn ih mi nit irre, aussprach. Der Hr. Abg. Richter war der Meinung, das Neichs-Finanz-Ministerium sei um so nöthiger, als der jetzige Reichskanzler von den Finanzen nichts verstände. Zugegeben, aber ist es denn niht das Natürlichste, daß der jeßige Reichskanzler sich noch viel mehr auf den Schaßsckretär ügt und ihm viel mehr Selbst- ständigkeit giebt, als der vorige, daß also die Motive, die Sie zur Klage veranlassen, gerade dadur, daß der Reichskanzler weniger geneigt sein kann, wenn er einiges Pflichtgefühl hat, in die Finanz- verwaltung einzugreifen, daß diese Motive beseitigt sind. Er spra