1890 / 133 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 04 Jun 1890 18:00:01 GMT) scan diff

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gebung der 70er Jahre diese einzelne Maßregel des Sperr- geseßes herauszugreifen und ihr isolirt den Prozeß machen zu wollen, ohne den ganzen politischen Gegensaß und Kampf wied-r wachzurufen. Daß es praktisch unmöalih ist, auf diesem Wege zu einer vollen, befriedigenden Entschädigung der Geschädigten zu gelangen, ist von den Kommissaren über- zeugend nachgewiesen worden. Eine unendlihe Masse von Untersuchungen, Prozessen und Streitigkeiten würde nöthig und ein formales Resultat doch nur dur höchst willkürliche

Entscheidungen zu erlangen sein. Den beiden Wünschen, welhe das Centrum geäußert hat, werden wir ver- suhen, so weit es irgend thunlich ist, gerecht zu

werden, indem wir beantragen, daß den geistlihen Oberen der gewünschte Dispositionsfonds zugänglih gemaht werde, um einzelne unter der Sperre jeßt noch leidende Geistliche shadlos zu halten, und indem wir ferner, für den Fall, daß eine Vereinbarung zwischen Bischof und Minister niht zu Stande kommt, die Rente gleihwohl unter Angabe einer auch vom Centrum gebilligten Zweckbestimmung dauernd der Kirche sichern wollen. Mit diesen Modifikationen werden wir schließ- lih das ganze Gesey in dem Falle annehmen, wenn das Centrum es annimmt, andererseits, falls diese Vorausseßung niht zutrifft, es ablehnen, und wir glauben, daß man in den katholischen Kreisen unseres Landes diese unsere Haltung ver- stehen wird. , Abg. Brüel: Meine Anträge verfolgen keine konfessio- nelle Tendenz, sondern wollen allein das Recht herstellen. Alle Parteien sind wohl einig, daß das Sperrgeset den Gipfel des Kulturkampfs bedeutet; keines von den anderen Kulturkampf- gejeßen hat so allgemein den Namen eines Kampf: und Kriegs- geseßes erhalten. Man hatte es unternommen, in das Jnnere der Kirche einzugreifen; man verstieg sih dazu, selbst positiv zur Vornahme geistliher Handlungen die Geistlihen zwingen zu wollen, man wollte von Staatswegen katholishe Geistliche \chaffen. Durch das Brotkorbgesez, durch allgemeine Aus- hungerung wollte man die Diener der Kirche zur Verleugnung des Glaubens, zur Aufgabe des in dem Glauben wurzelnden pflihtmäßigen Gehorsams zwingen. Sie wollten ehrenwerthe Männer zu verächtlihen machen, die um des Hungers willen ihre Pflicht verleugnen. Die feinen Köpfe, die das Geseß aus- gedacht, haben \sich auf alle niedrigen Eigenschaften des Menschen verstanden; nur eins verstanden sie niht, die Macht des religiósen Glaubens und die Stärke und Pflichttreue, die in dem Glauben ruht. Jn der Kommission hat man bestrit- ten, daß dies die Motive des Geseßes gewesen seien, und gemeint, daß man nur die Gegenleistungen eingestellt habe, da von der anderen Seite die Leistungen niht gewährt wurden. Es handelt fi aber hier niht um einen zweiseitigen Vertrag, und wenn das der Fall wäre, müßten es doch dieselben Per- fonen sein, die leisten und denen man gegenleistet, Wer dem Staat die Erfüllung seiner Geseße weigert, den zwingt er dazu mit seiner unwiderstehlihen Macht und strast ihn, wo es sein muß, aber nach den Bestimmungen des Strafgeseß- buches. Wohin würden wir kommen, wenn der Staat solchen evangelischen Geistlichen, die eine Civilehe für keine geseßliche Ehe halten, auch jedes Recht, das sie gegen ihn geltend zu machen haben, versagen wollte? Die Staatsregierung sollte au bei diesem extremften aller Kulturkampfgesepe anerkennen, daß es ein großes Unrecht enthält. Leider hat ja die Novellen- geseßgebung verhindert, mit einem großen würdigen Schritt Alles zurückzunehmen, was man früher gefehlt hat. Men

hat schon 6 Jahre dazu gebraucht. Der Nieder- gang des Kulturkampfes macht einen fast noch fläg- liheren Eindruck als dex Aufgang. Man stellt

mit diesem Gesey in Wahrheit doch das Ansinnen an uns, das Unrecht, das man 1875 gethan hat, zu vollenden und zu besiegeln. Wir sollen die Suspension der Gelder zu einer definitiven machen, indem wir sie dem Staatsvermögen ein- verleiben. Das ist das Verfassungswidrige an der Sache. Darüber, ob die Leistungen, die eingestellt worden sind, alle auf öffentlihen Rechtstiteln beruhen oder auch privatrecht- lichen Charakters sind, bestehen Zweifel. Die Natur der einzelnen Rechtsverhältnisse ist genau zu prüfen. Da, wo die Ansprüche Privater zweifellos sind, müssen die Gelder an diese oder ihre Rechtsnachfolger ausgehändigt werden; in zweifelzaften Fällen müßte die Sache den Gerichten zur Entscheidung übergeben werden. Jch gebe zu, daß bei einem solhen Verfahren erheb- liche Schwierigkeiten entstehen müssen; aber wenn man ein solches shlehtes Gesey gemacht hat, muß man auch diese Säwierigkeiten mit in den Kauf nehmen. Eventuell empfehle ih meinen zweiten Antrag, der wenigstens auch eine Vermögenskonfiskation ausschließt. Jndem man das Ver- mögen den Bischöfen überweist, werden die Nachtheile der

_ Rentenzahlung jedenfalls im Großen und Ganzen vermieden.

Staats-Minister Dr. von Goßler: __ Meine Herren! Wie in der Vergangenheit werde ich versuchen, ete ganze Reihe ven Themata, die heute angezozen sind, nit zu erörtern, weil ich immer als letztes Ziel klar vor Angen habe: wir wollen auf dieïcm \ck&wierigen Gebiet zu ciner Bercinigung gelangen, uyd cs ift allertings richtig, diejenigen prinzipiellen Erwägungen aus- zuicheiden, weile für untere Beschlußfassung ohne Bedeutung sind. Ïch veurfage es mir daher, namentli auf diejenigen weitaus- gedebnten Auéfüßrungen des lcßten Herrn Redners einzuzehen, v-elcze die Steliung des Sperrgesetzei im Jahre 1875, im garzen System der damaligen Auch andere Themata, welche qus

/ (Besiße betreffen der Bulle de salute animarum hergeic1tet sind, werde ich nit be-

rühren. E Wie gesagt, “ih hoffe, damit niht eine Unhöfli@keix

zu begehen, „indem ic darüber schckweige, londern den letzten 49 t 4 5 Si U -

Zweck, den ih klar vor Augen habe, ¿u fördern. Ich bedauere

deshalb, daß ib bier in einem etnzigea Punkte über diejenigen Er- örterungen birausgchen muß, welche ih mir an der Hand ter heutigen Diskussion vorgenommen habe; das war die ernzute Lemerkfung des Orn. Abg. Dr Windthocst über meine Grflärung in der Kommission bezüglih des tolerari posse. Jf Fabe ja nichts dagegen cchal+ weder in der Kommit!sion noch heute, wenn der Hr. Abg, Dr. Windt- borst die von mir rmnitgetbeilte Thatsache als gleigültize und das Schriftstück als verstümmeltes Aktenstück bezeiwnet; ih habe ihm auêdrüdlidh das Mecht gerouhrt, daß er sh mit diesen Dingen ab- finden kann, wie er will; an der Thatsache aber, daß i ridtia cine mir vorliegende Mittheilung gemacht habe, wird weder dur) bie in der Kommisiion, noch dur die heute abgegebene Erklärung etwas

geändert, Mir "#st| ja alles Daéjenige wohibckannt, worauf Der O O Dr. Windthorst seine entgegenstehenten WVugs- führungen stüßt; ih weiß fer wobl, daß vor Nom qus erklärt worden 1, Ufer die Vorlage habe fi der heilige Stuhl nicht gee auzert Das ift auch ganz klar: Die Vorlage, wie sie Zhuen hier

vorltegf ist ntema!s ber römisden Kurie mitgetheilt worden, aber die Grundsäße, die Sie aus der E: klärorg, wie ic sie in der Kom- mission gegeben hate, erfcbcn, sind befannt gewesen und haben die Grtoideung zur Folge gehabt, die Ihuen mi -aetheilt worden ist, (Widerspru im Centrum. Zuruf des Abg. Dr. Windthorst; Das ift auch nicht rihtig!) Ja, meine Herren, Sie wissen es ja niht. Es ist ferner rihtig, daß in neuer Zeit die Herren Bischöfe und die Herren Mitglieder des (Centrums, die Vertreter der katholische n Kon-

fession im Landtage, die Ermächtigung erbalten haben, die Frage nah der Verwendung der Sperrgelder zu regeln. Das ist das Moment,

welches ich wiederholt als das leitende hingestellt habe. Alle die Ausführungen in der ersten Lesung, als ob e sich hier um eine große religiöse, das katholishe Wesen betreffende

Frage handelt, alle diese Ausführungen über Gewissensdruck u. |. w. sind ohne reelle Grundlage, wenn eine politishe Partei in erster Linie diese Frage entscheiden soll, Dena wenn es sih um ernste heilige, in das religiöse Gewissen eingreifende Fragen handelte, wäre es do unmöglich, daß eine Partei, die sih eine politishe nennt und als solhe sich auch nennen muß, zur Trägerin der Entscheidung gemacht werden kann. Meine Herren, wie Sie sich weiter mit diesen De- duktionen abfinden, das überlasse ich Ihnen. I weiß gerau das hat Hr. Abg. Windthorst bestätig? in Jhrer Hand liegt die Entscheidung. Und wenn die Entscheidung für Nein oder Ja aus- fällt, so werden Sie weder Loh noch Tadel ernten; der heilige Vater wird überzeugt sein, daß Sie das Richtige getroffen haben. Wie Sie sich im Uebrigen mit dieser Frage abfinden, dem Volke, unserem Staate gegenüber , daß ist ja Ihre Sache. Nun hat in diesem Theil der Ausführung der Abg. Dr. Windthorst geendet mit einer Andeutung, auf welche er einen gewissen Werth zu legen schien, und der ih au einmal in einem ultramontanen Blatte begegnet bin; das betraf, wenn ich recht verstanden habe, mein Ver- langen, daß sein Name in dem Kommissionsberiht genannt werden solle, Meine Herren, genau das Gegentheil ift der Fall. Es muß da ein unbegreiflihes Mißverständniß vorliegen Jch war längst hinausgegangen und wurde von der Treppe zurückgeholt, weil man mir fagte, man disfutire noch über die Art, wie der Bericht abgefaßt werden solle. Jch kam zurück und hörte, wie einer der Herrén, welcher auf der Linken dieses Hauses sißt, in dem Augenblick sagte: wenn der Herr Minister eine solche wörtliche Grflärung abgegeben hat, zu Protokoll ich habe ja meine. Erklärungen immer formulirt —, dann kann man ihm nicht verwehren, M ein Ab- geordneter, den er speziell zu widerlegen versuht, mit Namen ge- nannt wird. In dem Moment km ih und sagte: es ist mir ganz gleigültia, ob der Name mitgetheilt wird, darauf lege ih feinen Werth. (Sehr richtig! rechts. Widerspru im Centrum.) Jh könnte ja Zeugenvernehmung eintreten lassen. Jn dem Augexblick war wohl von Seiten des Centrums, meines Wissens, Niemand mehr anwesend. (Widerspruh.) Wer denn? (Zuruf: Dr. Mosler.) Dann bitte ih Hrn. Dr. Mosler, nachher zur Geschäftsordnung das Wort zu ergreifen und \sich darüber auszulassen, ob er von mir eine Erklärung gehört hat, die auch nur eatfernt so gedeutet werden könnte, als wünschte ih, daß ein bestimmter Name, alfo z. B. der Name des Hrn. Dr. Windthorst in dem Bericht genannt würde; das genaue Gegentheil ist der Fall, (Abg. Dr. Windt- horst : Jch berufe mih auf Bachem und Sperlich, zwei Zeugen.) Es sind ja überhaupt viele Herren dagewesen; ih nenne den Namen des- Jenigen Herrn, bei dessen Worten ih hineingetreten bin: es ist das der Abg. Dr. Langerhans. Ich habe dem Borsißenden gegenüber kein Wort davon gesagt, daß Namen in dem Beritt genannt werden möchten, im Gegentheil; ich bin ja genug Parlamentarier, um zu wissen, wie solche Berichte abgefaßt werden. Also, wenn Sie irgend einen Werth auf die Sache legen, so geschieht das eben pro nihilo, und jedenfalls sind die Vorausseßungen, von denen Sie ausgehen, irrig.

Nun werden meine Ausführungen viel nüchterner sein und Ihr Interesse nit mehr so beanspruhen. Ic gebe auf die vier Anträge ein, die zu Art. 1 gestellt sind, und Sie werden, da die Regierung ihre Linie hier ganz bestimmt gezogen hat, nicht Überrascht sein, wenn ih Sie bitte, alle vier Anträge abzulehnen. Was den Antrag I. des Abg. Dr. Windthorst anbetrifft, so verlangt der Antrag I., daß, nah- dem bercits eine Vorlage der Staatsregierung den Landtag beschâäf- tigt, die Verhandlungen hier abgebrocben werden und Verhandlungen von mafgebender Bedeutung angekaüpft werden mit Persönlichkeiten, die außerhalb der Landeêëvertretung stehen, also in diesem Falle mit den _“kirhlihen Oberen. Es ist dann in dem Antrage gewünscht, daß je nah dem Ergebnisse der Verhandlungen dem Landtage ein neuer Gesetzentwurf über die Ver- wendung der betreffenden Beträge vorgelegt werden möge. Dieser Antrag kann nur den Sinn baben, taß, wenn die Regierung ih mit

den Bischöfen vereinigt, die Regierung den leßten Rest ihrer Auto- rität aufzugeben hat, um mit Hülfe des Centrums eine Vorlage im Landtage dutchzubringen, auch auf die Gefahr hin mit Parteien in Konflikt zu kommen, die sonst ter Regierung nahestehen, Tritt eine Vereinigung mit den L!schöfen aber nit ein, so wird die Regterung vor der unbequemen Frage stehen: Soll sie eine Vorlage glei{wohl machen, oder nicht Leßtterenfal!s wird natürlich von dem Centrum und den davon abhängigen Versammlungen und Preßorganen die Regierung angegriffen werden, als ob dur ibr Verschulden die Sperrgeldfrage niht aus der Welt ge\chafft werde. Wenn sie gar entgegen den Verhandlungen und den Wünschen der Bischöfe etuen Ge/eyentwurf einbringt, so müßte sie fozar im Kawpfe mit dem Centrum die Vorlage dur{bringen,, denn das Centrum fönnte ja von den Vorschlägen der Bischöfe niht abweichen.

Man hat aus der ganzen Sache den Eindruck, daß die Ver- antwortung, welche, wie schon angedeutet ist, wesentlich den politishen Parteien obliegt, übectragen werden soll auf eine In- stanz, die außerhalb des hohen Hauses steht. Ich glaube, das ist absolut unmögli, Verhandlungen mit Persönlichkeiten, mit Fater- essentengruppen, mit Behörden, über Gesetze, welce den Inhalt ciner legislativen Verhandlung bilden, sind unter allen Umitänden nur vor der Einbringung möglich; aber während der Verhandlungen, na&dem in der zweiten Lesung die Sache diskutirt ist, einen Bes#luß aus- zusetzen, das, meine Herren, würde do ein schr gesährliches Präcedenz fein für andere Fragen von öhnlicer politischer Bedeutung, Wir können uns Momente denken, wo wir nicht mit Bischöfen zu thun haben, fondern mit anderen Interessentengruppen, und was in dem einen „Falle als mögli erscheint, wird in dem anderen Falle nit als unzulässig erachtet werden können. Ih würde dringend bitten, daß die legislative Situation, _în der wir uns befinden, nit dadur ge- trübt wird, daß man die Entscheidung, welche von politischen V L zu fassen ist, an eine andere Stelle hinzuschieben sich emü

Was nun den Antrag 11 tes Hrn. Abg. Dr. Brüel betrifft, so darf ih nur daran erinnern, daß auf diesem (ebiete zwischen der Staatsregierung und der Mehrheit des Hauses einerseits und ihm andererseits ein in der That absoluter Gegensaß besteht. Der Hr. Abg. Brüel überträgt das von ihm fkonstruirte Cigenthumsrecht auf die Verhältnisse, welche das Sperrgeseß von 1875 ergriffen hat. Jh habe früber hingewiesen auf den Charakter des öffentlichen Rechts und dargelegt ih glaube, alle S{riftsteller stimmen mit mir überein —, taß eben eine bloße Unwendung der privatrechtlichen Grundsäße auf Fragen des öffentlihen Rechts un- mögli is und zu Schiefheiten führt. Die Staatsregierung kann nicht anerkennen, daß das gegenwärtige Gesetz ein Eigenthum entzieht, eine Konfiskation ausspricht, Das, was gesehen ist, meine Herren, ijt in dem Gefeß von 1875 bercits klar enthalten. Damals wurde eingestellt, und in dem §8. 8 desselben werden Sie finden, daß, Falls die Staatéleistungen wieder aufgenommen werden, sie wieder auf- genommen werden von dem crsten des Quartals, in w-lchem die Uufnahme erfolgt. Aber absolut nirgends ist davon die Rede, daß das, was in der Zwischenzeit aufgaesreihert war, an so- genannte Empfangsberechtigte herausgegeben werden sollte, Im Gegentheil bestimmt das Gescß, daß darüber besonders durch ein Geseß verrügt werden solle. Sonach ist ein Fonds, ein Bcnum ge» \cch:afen, welches zur freien Verfügung des Geseßgebers steht, und über diese geseßgeberishe Regelung haben wir heute zu befinden, unbe- sümmert um diejenigen Theorien, von denen i nach meiner auf- richtizen jaristiscken Ueberzeugung die Meinung habe, daß sie nit zutreffen. Stellt man sich auf diesen Boden, dann fallen alle die Rekriminationen und die Gcwissensershwerungen fort, welche der Hr. Abg. Dr. Brüel uns, die wir anderer Auffassung sind, als na(-

ahmenêwerth hinstellen möchte. Jch will ja seine juristishe Auf- fassung nicht bekämpfen; ich kann nur versihern, daß it Veiorlils

von einer aufrichtigen juriftis{ entgegengeseßten Auffassung durh- drungen bin. Also: Enkzieht dieser Gesezentwurf sogenannten Eigen- thümern ihre Rechte oder wollen ir nun wieder nach dem Vorschlag des Abg. Dr. Brüel Eigenthümern zu ihrem Reht ver- helfen? Nein, meine Herren, wir haben einen ganz freien Fonds vor uns (Nein! im Centrum), meine Herren, wenn ih sage „wir*, so sage ih das im Namen der Staatsregierung; Sie werden es doch der Staatsregierung niht verkümmern, daß sie auch eine juristishe Meinung hat. Die Staatsregierung hat eben die Meinung, daß es sich um einen „freien Fonds handle, und daß es fic nit darum handle, Eigenthum zu entziehen, oder nah dem Wunsch der Antragsteller Eigenthum den früheren Eigenthümern wieder zuzustellen. Daß diese entgegenstehende und unser Rechts- bewußtsein verleßende Auffassung den Tenor des Antrags Il. bildet, das ist der Hauptsahe na der Grund, aus dem der Widerspru der Königlichen Staatsregierung zu erklären ist, dem ih Ausdruck gebe.

Wenn nun Seitens des Hrn. Antragstellers Dr. Brüel gesagt ist, daß ich in den Kommissionsverhandlungen seinen Antrag für unausführbar erachtet habe, so muß ih doch fagen, daß au seine heutigen Ausführungen mich von der Aus- führbarkeit seines Vorschlages nit weiter überzeugt haben. Wie denkt \sich denn der Herr Antragsteller nah feiner Er- klärung von heute die Sade? Es foll cine Aufforderung ergehen, die Regierung, die Verwaltungsbehörde, soll prüfen, ob Jemand woblerworbene Rechte hat, wer seine Rehtsnachfolger etwa sind, dann soll sie die wirklich als zweifelhaft befundene Sachen an die Gerichte abgeben. Ja, meine Herren, wo sind denn die Parteien? Man kann doh nicht etwa cinen Streit konfstruiren zwishen der Staatsregierung und Denen, welhe Ansprüche erheben, oder gar Denen, welche, soweit ein Theil des Fonds etwa übrig bleibt, in den Besiß desfelben treten sollen also hier wahrscheinlich den Diszesen. Das find Schwierig- keiten, denen eine Verwaltungsbehörde absolut nit gewachsen ist. Ex aequo et bono fann nicht verfahren werden, es sollen die reht- lihen Gesichtspunkte maßgebend sein, und dazu ist in diesem Umfange keine Verwaltungsbehörde im Stande.

Was den dritten Antrag angeht, so bitte i, sih gegenwärtig zu halten, daß der Antragsteller nicht vom Rechts\tandpunkt, sondern vom Zweckmäßigkeitsstandpunkt ausgeht. Der Herr Antragsteller ist der Meinung, daß, wenn nah seinem strengen Nech:sprinzip nit die Frage geregelt werden kann, dann es zweckmäßig sei, das Kapital den Oen mit einer gewissen Direktive hinsihtlich der Verwendung zu geben.

Meine Herren, das halte i politisch für unmöglich, und ih habe es hon früher angedeutet, ih balte es für ein ganz unmögliches Beginnen, unter diesem Gesichtspunkte den Bischöfen diese 16 Mil-« lionen in die Hand zu geben und zu sagen : Ihr habt dieselben in der und der Richtung zu verwenden. Das würde ein Fehler sein, und daß die Mehrheitsparteien dieses Hauses den Fehler nicht mitmachen werden, davon können Sie nah den heutigen und den früheren Er- zlärungen derselben überzeugt sein.

Was den Antrag IV betrifft, so habe ih in der Kommission er- klärt und wiederhole es heute noch: Will das Haus vom Standpunkte seines Rechtes, die Ausgaben des Staats zu prüfen, eine derartige Prüfung eintreten lassen, wie hier im Vordersatz vorgeschlagen wird, so möge es‘ das beschließen und die Sache soll dann ad referendum genommen werden. Wie der Antrag gefaßt ist, so begeonet er dem entschiedensten Widerspru der Königlichen Staatsregierung. Er geht von der Auffassung aus, daß die Regierung sih ausweisen soll über fremdes Eigenthum, über fremdes Gut. Es soll aus den speziellen Untersuhungen nahgewiesen werden nach den Ausführungen des Herrn Antragstellers die ganze Ungerechtigkeit der Maßregel, es sollen die Einzelfälle benußt werden, um das Unzulässige, das Ungerechte, das Schädliche dieses Verfahrens nachzuweisen. Ja, meine Herren, damit wäre der Zweck unseres ganzen gesetzzgeberischen Borgehens verfehlt. Wenn wir statt heut über einzelne \treitigz Punkte, künftig über Hunderte streitiger Fälle uns zu unterhalten hätten, über die Klagen, daß in den einzelnen Fällen unrihtig und unzutrefffend verfahren fei, dann POQe mit der Zeit aus dem kleinen Flämmchen ein großer Brand werden.

Das ist gerade das Umgekehrte von dem, was wir anstreben.

Wie die Sade im Einzelnen sih abgespielt hat, habe ih in der Kemmission eingehend geschildert. Die Herren werten si alle über- zeugt haben, daß die ganze Operation sehr mühsam gewesen ift, daß: fie erfolgt ift in derselben Weife, wie alle Kassenoperationen; Sie haben alijährlih die Nachweisungen nach Diözesen erhalten ; die Ober- Nech nungskammcr hat die Nechnungen geprüft, bei der allgemeinen Rechnungsablage ist diefe Angelegenheit ebenso behandelt worder, wie jeder andere Etatstitel. Also eine Verschleierung ift bisher hier niht eingetreten, Es kann si daber zur fragen, ob man umgekehrt eine siherlih Jahre lang beanspruchende Arbeit machen soll, welche allen- falls Verwendung finden könnte, um ¿u dem, dem Frieden entgegen- geseßten Resultat zu gelangen.

Fch darf auch noch darauf aufmerksam machen, daß auc der Anirag IV mir nit ganz ronklu den erscheint; er ift für den Fall ge- stellt worden, daß das hohe Haus die Anträge I—11I ablehnen, den Artikel 1 der Negierung beshließen sollte, also für den Fall dec Bewilligung einer Rente. L arum derselbe Antrag niht au für den Fall geitellt worden, daß das Kapital herausgezahlt werden foll, kann i nicht erkenncen. Es handelt sich an und für sich um einen prinzipiellen Antrag, der ebenso geftellt werden müßte vor tem Autrag III des Hin. Abg. Dr. Brüel, do das leßtere nur in Parent l efe. i

Das sind die vier Anträge, die gestellt sind, Ich bitte Sie, die- felben abzulehnen. Ich bin fest überzeugt, daß, wenn diese Upträge abgelehnt sind, der Urtikel 1 der Regierungsvorlage das voüe Mittel darbietet, zur Einigung zu gelangen. Ih kann nach wie vor ver- sichern, daß alle Erklärungen, welch{e die Regterung abgi. bt, keinen anderen Zwcck haben, als die Vorlage, welche nach der ehrlichen Ueberzeugung der Regierung den richtigen Weg bedeutet, um zu einem friedlichen Zustand zu gelangen. Es ift klar, daß dics Ziel mit Ihrer Hülfe erreiht werden kann, und ih hoffe noch heute, daß es auÓ erreicht werden wird.

Abg. von Kröcher: Jch werde für die Regierungsvoc- lage ohne alle Anträge stimmen, aber dagegen, wenn das Centrum das Geseg ablehnt. Jch kann allerdings nur nit schwerem Herzen dafür stimmen, denn in weiten evangelishen Kreisen ist durch dieses Geseß eine große Beunruhigang. hervorgerusen. Die Abzg. Windthorst und Rintelen heben andere Jnformationen, sie sind auch zu ihrer Annahme be- rechtigt, denn alle Anträge des Centrums sind ja von einem Mitgliede der evangelischen Kirche mit unterschrieben. Jcch/ habe auch Füh!ung mit evangelisch:kirhlihen Kreisen, und kann dana sagen, daß Diejenigen, auf welche sich die Abgg. Windthocst und Rintelen berufen, die Ausnahme sind und die Regel bestätigen. Jch würde sehr gern den Einzelnea das Kapital wiedérgeben, denn ob das Kapital oder eine Rente gegeben wird, ist vvm Standpunkt der Staatsfinanzen ziemlich gleihgültig, namentlich wenn die Rente so hoh bemessen ist. Es würde meinem Ge- rehtigkeitsgefüßl entsprehen, wenn man die einzelnen Ge- jchâdigten mit Kapital abfinden könnte, aber nah meinem Dafürhalten ist das einfah vollständig unmöglih. Die ein- zelnen Geistlihen würden die Berechtigten sein, sind aber nicht überall die Geschädigten, da sie von anderen, z. B. von Gemeinden, für den Ausfall an ihren Einkünften bereits entshädigt worden sind, stellen- weise sogar in naturalibus. Wie wollen Sie da berechnen, was die Gemeinden gethan haben, und wie weit die Geist- lichen geschädigt sind? Ferner ist es nah meiner Kenntniß katholischen Geistlichen nicht erlaubt, von ihren Einkünften Er= sparnisse zu machen. Was sie nicht brauchen, müssen sie für wohlthätige Zwecke, Stiftungen und dergleichen verwenden.

Also hätte jeder Geistliche, der einen Kapitalanspruch erhebt, zunächst riddiiweisee daß er in Folge des Ausfalls entweder

hulden gemacht oder von seinem Vermögen zugeseßt habe. Das Kapital den kirhlihen Oberen zur Disposition zu stellen,

entsprähe der Billigkeit nicht. Wir müssen dieses Geses nah Billigkeit und Gerechtigkeit machen, d. h. nah der materiellen Gerechtigkeit und Möglichkeit.

Ob das Sperrgeseß materielles Ret oder materielles Unrecht war, will ih heute nicht entscheiden, Leh der Abg. Brüel uns in einen neuen, vollen, frischen Kultur ampf hineingeführt hat. Die Regierung hat dur die Vorlage anerkannt, daß nach - ihrer Ansicht das Sperrgesey heute nicht mehr zweck- mäßig und materiell berechtigt is. Es kommt nun nur darauf an, wie wir die Schäden des Sperrgeseßes wieder gut machen. Wenn hier die katholische Kirche ein Kapital be- kommt und ihre Macht erweitert, so wird dadurch die evange- lische Kirche geschädigt, und da kann man es mir nicht ver- denken, wenn ih darauf Rücksicht nehme. Der Abg. Windt- horst sagte in der ersten Lesung: Wenn wir für das Gescy stimmen, stimmen wir für die Sozialdemokratie. Das ga einen Konservativen wie mich doch stußig gemacht. Der

ultus-Minister sagte, daß dieses Geseß das weiteste Ent- gegenkommen gegen die katholische Kirche bilde. Jch erkläre daher, daß wer für mehr stimmt, also für die Ueberlassung des Geldes an die Bischöfe, nah Kanossa geht. Jch habe egen alle Kulturkampfgeseße gestimmt, habe also der fatholi- hon Kirche garnihts gethan. Der Abg. Windthorst sagte

ferner ‘in der erst:n Lesung, er freue sich, daß Graf Strahwiß die Sache vertheidigt habe, denn der gehöre in jeder Beziehung zu uns und habe seine

Rechtsanshauungen aus der Armee erhalten. Diese Bemer- kung richtete sih ziemlich direkt gegen michz denn ih habe die Ehre gehabt, mit dem Grafen Strachwiß bei demselben Regi- ment (1. Garde-Dragoner-Regiment) zu stehen. Wir \ind aber zu gegentheiligen Rehtsauffassungen gekommen, und das beweist, daß die Anschauungen in der Armee doch nicht für den Grafen Strachwiß sprechen. Dagegen, daß die Rets- anschauungen des Grafen Strachwitz diejenigen der Armee seien, muß ih Verwahrung einlegen. Graf Strachwiy hat die Vorlage ein Vergehen gegen das siebente Gebot genannt. Von einem Dieb- stahl, von einem Vergehen gegen das siebente Gebot spricht man in der Armee auch heute nur dann, wenn Einem etwas genommen wird, aber nicht wie in diesem Falle, wenn Einem etwas gegeben wird, und nur noch über das Maß des zu Ge- benden Differenzen herrschen. Jch stimme mit {werem Herzen für die Regierungsvorlage um des lieben Friedens willen. Wenn die Herren vom Centrum aber dagegen stimmen, so sehe ih ein, daß wir den Frieden doch nicht bekommen, und dann behalte ih lieber mein leichtes Herz und stimme auch dagegen. Vorläufig bitte ih Sie, für Artikel 1 der Vorlage zu stimmen.

Abg. Mosler: Jch kann mein Zeugniß über den Vor- gang in der Kommission dem Herrn Minister nicht geben, da ih gerade nicht im Kommissionszimmer war, aber andere Mitglieder meiner Fraktion werden nachher ihre Aussagen machen. Das Sperrgesez is mit Recht als ein Pfahl im Fleische bezeihnet worden, denn es verhindert die Heilung der Wunden, welche der katholischen Kirche geschlagen sind, und läßt sie niht vernarben. Man hat damals die Ge- sinnung bestraft, und die katholishen Geistlihen haben Ge- fängnißstrafen bis über zwei Jahre für ihre Gesinnung er- litten. Troßdem wir das Alles ertragen haben, hat man auch noch diese Sperre über uns verhängt. Und wenn wirklih das Sperrgeseß damals noch keine Konfiskation war, so sprehen Sie heute die Konfiskation aus, wenn Sie nah Artikel 1 beschließen, daß die 16 Millionen zur Staatskasse vereinnahmt werden sollen. Und wir follen das Kapital niht nur weiter entbehren, sondern auch die Ent- behrung ausdrücklich gznehmigen. Für die Korporationen, die ihre Vermögen doch zinsbar anlegen, mag es gleihgültig sein, ob sie Kapital oder Rente erhalten, aber für die einzelnen Geschädigten ist die Rente keine Entschädigung. Unmöglich ist es nicht, die Geschädigten alle festzustellen, um so weniger, als ein großer Theil der 16 Millionen bestimmten Korporationen gehört. Eine spezifizirte Rechnungslegung ist nöthig, wenn man die ganzen Verhältnisse übersehen will. Diese Arbeit ist allerdings kolossal, es ist eben leichter, etwas zu zerstören, als es wieder aufzurihten. Jch hoffe, daß wir \{ließlich dazu fommen werden, die Beschlußfassung auszuseßen und in der nächst en Session weiterzuberathen.

Abg. von Zedliß: Jch O dem Kultus-Minister, daß er in der Kommission alsbald seine Bereitwilligkeit erklärt hat, den Namen des Abg. Windthorst, der in seinen protofollarishen Aufzeihnungen erwähnt war, aus dem Bericht fortzulassen. Nach der Rede des Abg. Brüel wird es \hwer, in objektiver Weise zu diskutiren, namentlich ihm nicht in sharf.r Weise zu entgegen. Eine minder friedliebende Rede ist in diesem Hause noch nicht gehalten worden, und wenn wir denselben Ton anschlagen wollten, würden wir nicht den

Frieden, sondern den ernsten Kampf erzeugen. Da ih den 7Frieden will, so bezähme ih die Neigung, dem Abg.

Brüel so zu antworten, wie er es verdient, Jch werde deshalb auf den Kulturkampf und die Ursachen des Sperrgeseßes nit eingehen und beschränke mich darauf, daß §. 9 des Sperrgeseßes der Geseßgebung in Bezug auf die Verwendung der Gelder vollkommen freie Hand läßt. Jh meinerseits kann einen Rechtsanspruch auf Rückgabe der Sperrgièlder weder für die katholische Kirche, noch für einen der Gesperrten irgendwie anerkennen. Nah einer wohlerwogenen und von berühmten Nechtslehrern anerkannten Rechtsanschauun handelt es sih nicht um Private, sodaß alle Hinweisungen u das siebenie Gebot, Verleßung der Verfassung u. \. w. gegen- standslos find. Jn den Motiven zu dem SPUeS heißt es, daß diè Verwendung der Gelder nah den Verhältnissen, die in der Zukunst sein werden, stattfinden soll, 1886/87 ist nun ein modus vivendi auf Grund gegenseitiger Zugeständnisse und auf der Grundlage gegenseitigen Ver- trauens geschaffen, niht des einseitigen Vertrauens zu der Kirche, sondern auch des Vertrauens der Kirche zum Staat. Der Art. 1 der Negierungsvorlage trifft von bielèin Stand- punkt aus durchaus das Richtige; er vermeidet es, indem er das Kapital nicht aushändigt und völlig freie Verwendung desselben ausschließt, diejenigen Bedenken, die in den evan- gelischen Kreisen ohnehin obwalten, wesentlih zu verschärfen und in dem größeren Theile des Volkes Mißtrauen und Be- unruhigung zu erwecken., Diejenigen, welche für die Schonung der Gefühle des katholischen Volks immer so lebhaft eintreten, haben die Ehrenpflicht, auch die Gefühle der Evangelischen zu becücksichiigen. Von diesem Gesichtspunkt aus stellt die Vorlage das Aeußerste des Entgegenkommens gegen die katholische

. mat, eine Handlung begeht, welhe vom religiösen Standpunkt aus

Kirche dar. Alle Anträge zu Artikel 1 weichen von der rihtigen Mittellinie, die zum Frieden führt, ab. Der Restitutionsstandpunkt, ma er auf das Jahr 1871, 1866 oder

7 zurückgehen, ist an sih nit geeignet, den Frieden zwischen Staat und Kirche dauernd zu erhalten. Jm Augenblick er- reiht er vielleiht den pee aber er legt den Keim zu neuen Wirren der Zukunft. Lehnen Sie alle Anträge ab und nehmen Sie den Artikel 1 an unter dem Vorbehalt, wenn das Centrum sih ablehnend verhält, in dritter Lesung gegen das ganze Geseg zu stimmen. ]

: g Lieber: Der Abg. von Zedliß is bei der Nestitution bis auf das Jahr 1517 zurückgegangen. Wir lehnen aber ausdrüdcklich jede Konsequenz für weiter zurüliegende Säku- larifationen ab. Es ist eine „mißbräuchlihe Anwendung des Wortes Kapital, wenn man die vorbehaltene Summe, welche der katholischen Kirche ausgehändigt werden soll, so bezeichnet. Was Sie Zinsen nennen, sind nah richtiger Beurtheilung Zinseszinsen, die Sie jetzt anfangen zu bezahlen. Wir würden in einem ähnlichen Falle den Evangelischen mit vollen Händen herausgeben, was wir so einbehalten hätten. Man sagt, daß die Aushändigung des Kapitals in evangelischen Kreisen Be- unruhigung hervorrufen würde. Gerade der Kulturkampf hat nicht bloß für Preußen, sondern für die ganze Welt den Be- weis geliefert, daß die Macht der katholischen Kirche auf ganz anderem Gebiete liegt und auf anderen Kräften beruht, als auf dem Gelde. Außerdem steht die katholische Kirhe mit ihrer Vermögensverwaltung derartig unter Staatsaufsicht, daß shon deswegen jede Besorgniß ungerechtfertigt ist. Das evan- gelishe Volk, richtig belehrt über das, worum es sih handelt, würde ein volles Gefühl für das haben, was uns bewegt. Der Abg. von Zedliz scheint mehr gereizt über die Wahrheit der Worte des Abg. Brüel als im Stande ge- wesen zu sein, dur{shlagende Gründe dagegen vor- zubringen. Nach der Fuldaer Erklärung der Bischöfe mußte der heilige Stuhl annehmen, daß das Centrum dieselbe Auf- fassung hat. Es handelt sich hier niht um eine reli iöse, sondern um eine ernste Rechtsfrage. Jndem Rom anerkannt hat, daß die politische Vertretung über diese Sache zu befinden habe, hat es diesen Standpunkt gut geheißen. Der Minister sollte es ein für alle Mal unterlassen, sih uns gegenüber auf Rom zu beziehen; es ist dem Minister mißglüdckt, dieses Mal den Coup auszuüben, wie er wollte, und es wird ihm immer mißglücken. Jh habe auth den lebhaften Wunsch, dieses häß- lihste Ueberbleibsel des Kulturkampfes möglichst bald zu be- seitigen. Die Sache wird und muß aber so lange in der Schwebe bleiben, bis unser gutes Recht, das wix nur ver- langen, uns ganz zu Theil wird.

Staats-Minister von Goßler:

Nur ein paar Worte zu einer anz kurzen Bemerkung. Der Herr Vorredner hat gegen meine Ausfü rungen polemisirt, als ob ich Unret mit der Auffassung hätte, daß in den Vorverhandlungen Seitens fciner politishen Freunde auch religióse Momente in die Diskussion des vorliegenden Gesetzentwurfs gebracht worden wären, und er hat der Ueberzeugung Ausdru gegeben, daß es ledigli die Rechtéfrage sei, von deren Standpunkt aus seine politishen Freunde die ein- \chlagenden Fragen behandelt hätten. Ich würde keinen Werth darauf legen ih streite nit gern bloß um des Streites willen —, die- jenigen Momente vorzuführen, welche mi zu dieser meiner Auffassung bestimmt hatten, wenn er nicht weitgehende Folgerungen, die für dieses Haus und außerhalb diefes Hauses von Bedeutung sein könnten, daran geknüpft hätte.

Ich erinnere an folgende Episoden der ersten Lesung: Der Hr. Abg. Graf Stra{witz behauptete, daß gegenwärtig die Regierung that- sächlih das siebente Gebot verleze. Jch habe geglaubt, daß die behauptete Verleßung d-s siebenten Gebots au ein religióses Moment

in sich fließt; denn wenn man die Rechtsfrage nur als folhe behandelt, dann verweist man auf das Strafgeseßbuchb, nit auf den Dekalog. Dieser Bebauptung der Verleßung des siebenten Gebots haben si die Hrrn. Abgg. Dr. Windthorst und Dr. Reichensperger aus-

drüdlich angefchlossen. : Ferner ift von dem Hrn. Abg. Grafen Strahwigz darauf hin- gewiesen worden, daß es sich in der vorliegenden Frage auch um Rechte der Kirche handele, nicht bloß um Rechte der Einzelnen, und daß nur bei ausdrückliher Zustimmung des Heiligen Stuhls über die Rechte der Kirche disponirt werden könne. Dieser Auffassung {loß sih der Hr. Abg. Dr Reichensperger “in dem Maße an, daß er sagte: Ohne päpstliche Zustimmung sind wir verbindert durch das Gewissen, über Kirhengut zu disponiren; wir würden uns eines Sakrilegs \{uldig machen. / i: Ich habe immer geglaubt, daß wer si eines Sakrilegs \{uldig

verwerflich ift.

Wie gesagt, das sind Erinnerungen; ih würde sie vielleiht noch um einige vermehren können. Ih wünschte, daß der Hr. Abg. Dr. Lieber Recht hätte; es ist jedo nit der Fall. Jh freue mi aber, daß er gegenwärtig die Verhandlung so geleitet hat, daß er das rcligiöse und streng kirhlihe Moment aus\c@eidet und ledigli die Recwtéfrage betont.

Ich darf noch daran erinnern, daß in den Reden, die ih eben kurz angeführt habe, die Nothwendigkeit der Zustimmung des Papstes hervorgehoben war, während wir beute hören, daß eine solche nit er- forderlih ift, weil die Bischöfe im August vorigen Jahres hon ihre Ansicht geäußert haben. Darin liegt ein Widerspruch. Uebrigens war es absolut bei der ersten Berathung nit nöthig, auf die Frage nah dem Beschlusse der Bischöfe besonders einzugehen, wenn der Beschluß als an sich unnöthig erahtet wurde. Ih bin auf die erstgedahten Gpifoden aus der ersten Lesung nur eingegangen, weil es mir un- erwünscht wäre, die Sache in der Presse so dargestellt zu sehen, als ob ih, weil ich nicht derartigen Behauptungen widerspreche, ein be- gangenes Unrecht anetrkennte. Ich muß ja diefe Sachen lesen, und wenn ih fie nicht lesen will, werden sie mir unter Kreuzband zugeschidckt.

Hierauf wird ein Vertagungsantrag angenommen.

In persönlicher Bemerkung erklären die Abgg. Sperlich, Bachem, Graf Matuschka in Bezug auf die Hervorhebung des Namens des Abg. Windthorst in dem Kommissionsbericht, daß der Minister allerdings ih mit der Streihung des Namens Windthorst einverstanden erklärt, indessen hinzugefügt habe, es liege ihm daran, das ans Kreuz zu nageln, was er sih notirt habe. Er überlasse es der Geschicklichkeit des Be- richterstatters, einen Hinweis auf den Redner zu geben.

Der Referent stellt die Sache so dar, daß ein Mitglied der Kommission gesagt habe, es würde allerdings {wer sein, ganz zu vermeiden, daß der Abg. Windthorst genannt werde. Der Minister habe dann gesagt, ihm läge nihts an der Nennung des Namens, der Geschicklihkeit des Referenten läge es ob, zu vermeiden, daß der einzelne Abgeordnete ge- nannt würde. 2 i

Abg. Langerhans bestätigt, daß der Minister wil die Nennung des Namens des Abg. Windthorst verzichtet habe. Ob er sonst noch etwas hinzugefügt habe, wisse er nicht.

Staats-Minister von Goßler:

Ich wünsche hier vor Ihnen, meine Herren, festzustellen, daß i sofort auf den Wunsch oder auf die Anrede des Herrn Vorsitzenden erklärt habe, es entsprähe durchaus meinen Wünschen, daß der Name des

darf ich ausdrüdcklid daran erinnern, daß der Herr Berichterstatter nihts Anderes aufgeführt hat, als:

Hierauf kam ein Kommissionêmitglied auf den Zweifel zurück, ob eine päpstliche Erklärung vorliege. Das ist also der ganze Hinweis auf die Persönlihkeit, welhe in der Diskussion diese Frage angeregt hat. , . (Abg. Dr. Windthorst: Ich bitte um das Wort zu einer persön- lichen Bemerkung.) _Ich bin gleih soweit, Hr. Abg. Windthorst, Es liegt mir weiter daran, nun auf einen Punkt hinzuweisen, um einmal hier an einem Beispiel klar zu machen, wie die Fama durch das Gehen größer wird. Der Abg. Windthorst hat ich glaube ganz genau gehört zu baben: gesagt, ih hätte in der Kommission bemerkt, mir läge daran, i h n ans Kreuz zu nageln; so habe ih vorhin verftanden. Und die beiden Zeugen, die aus seiner eigenen Partei auftraten, Abgg. Graf Matuschka und Sperlih, haben ausdrücklich bekundet, nah meiner Aeußerung wäre es mir darauf angekommen, die Sa e ans Kreuz zu nageln also etwas Sachliches festzulegen. Ob ic gerade diese Worte gebraucht habe, weiß ih nit. Jedenfalls lege ich Werth darauf, daß die beiden Freunde des Abg. Windthorst bezeugen, mir läge daran, eine Sache festzunageln, nit eine Person. Wenn ih mit dem Abg. Windthorst in solhe Differenzen kommen würde, so würde ih ihm das ins Gesicht sagen. Der Abg. Windthorst wird das Ver- trauen zu mir haben, daß, wenn ih mit ibm streite, ih immer ins Gesicht mit ihm streite; i glaube, die Vergangenheit \priht für mi.

Abg. Windthorst: Aug! um Aug’, Zahn um Hahn, das ist auch meine Meinung. Der Minister hat allerdings eine Sade ans Kreuz nageln wollen, aber diese Sache

war ih. 44 (Schluß 43/, Uhr.)

Statiftik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die „Rhein.-Westf. Ztg,“ theilt folgenden Bescheid mit, welchen der Negierungs-Präsident Winzer zu Arnsberg an den Vorstand des Verbandes rheinisch-westfälisher Berg- leute zu Bohum unter dem 5. v, M. in Bezug auf die Wieder- aufnahme der entlassenen vertragsbrüchigen Arbeiter gerihtet hat : Mit Bezug auf die an den Herrn Landrath zu Gelsenkirchen gerichtete und mir abshriftlich vorgelegte Eingabe vom 9. v. M., die Ent- lassung der Bergleute betreffend, eröffne ih dem Vorstande in Folge des mir vom Herrn Ober-Präsidenten mittelst Erlasses vom 30. v. M. ertheilten Auftrages, daß die Staatsregierung der bei den Arbeitern überhand nehmenden Mißachtung vertragsmäßig über- nommener Verpflichtungen keinen Vorschub leisten kann, demnach die erbetene Vermittelung zu Gunsten vertragsbrüchiger Arbeiter ablehnen muß und denjenigen, welche diese zum Vertragsbruch verleitet haben, nur anheim geben kann, die Zehenverwaltungen durch das Versprechen, daß die Bergarbeiter \ich fortan einer gewissenhaften Erfüllung der durch den Arbeitsvertrag übernommenen Verpflichtungen befleißigen werden, zur Milde zu stimmen. Durch diesen Bescheid habén au die an den Herrn Minister des Innern und den Herrn Minister für Handel und Gewerbe gerihteten gleihlautenden Anträge ihre Erledi- gung gefunden. E

In Hamburg hielt die Schuhmacher-Innung vorgestern eine Generalversammlung ab, in welcher, wie wir dem „Hamb. Corr.“ entnehmen, über die am 11, Mai d. I. für beendet erklärte Arbeitseinstelung der Hamburger Schuhmachergejellen und die damit verbundenen Folgen berathen wurde. Es wurde festgestellt, daß die Lohnkommission des Vereins deutscher Schuh- magher (Domicil Nürnberg, Filiale Hambura) jeßt immer noch im „Hamburger Echo“ über 57 Inhaber von Schhuhwaarengeschäften (darunter 38 Mitglieder der Schuhmacherinnung) die Sperre ver- hänge und das konsumirende Publikum abzuhalten suche, in den in Acht und Bann erklärten Schuhwaarengeschäften Einkäufe zu machen. Man beschloß, die Hülfe der Ober- Staatsanwaltschaft anzurufen Nach einem vom Verein der Ewerführer gefaßten Beschluß ist, wie „W. T. B.“ meldet, der Strike derselben nunmehr beendet. Den Forderungen der Prinuzipale wurde entsprochen. Zahlreihe Ewerführer haben ihre Thätigkeit wieder aufgenommen. Der „Voss. Ztg.“ wird aus Hamburg telegraphirt, daß 48 S{hlähhtermeister ibren Gesellen geÉündigt baben, weil dieselben niht aus dem Fachverein treten wollten. Aus Berlin und anderen Städten werden zweitausend Ge- sellen als Ersaß der Gemaßregelten erwartet.

In Magdeburg hat der Erste Staatsanwalt folgende in verschiedenen Blättern wiedergegebene Bekanntmachung erlassen: „Arbeitseinstellungen sowie Verabredungen und Vereinbarungen zu Arb eitseinstellungen zum Behufe der Erlangung qgünstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen sind nah §. 152 der Gewerbeordnung zulässig und straflos. VBergewaltigung Arbeitswilliger zur erzwungenen Arbeitseinstellung oder zu widerwilligem Festhalten an der Arbeitseinstellung aber wird, wenn durch Anwendung körperlihen Zwanges, durch Drohungen, dur A O oder durch Verrufserklärung begangen oder ver- fut, nah §, 153 G.-O., §. 240 St.-G.-B. bestraft. Auch son eine öffentliwe Aufforderung zur vertrags8widrigen Arbeitsein- stellung ist nah §. 110 St.-G.-B. straffällig. Auf Grund des einen oder anderen vorgenannten Strafgesezes sind 23 Angeklagte dur Urtheil der Strafkammer T des Landgerichts vom 22, d. M, wegen Störung der Erwerbsfreiheit zu empfindlichen Freiheits\trafen, bis zu einem Zahr Gefän niß, verurtheilt. .. ._."

Die Faczeitschrift für die Interessen der deutschen Mühlea- industrie „Die Mühle“ bringt in ihrer leßten Nummer einen Bericht über den Verbandstag deutsher Müllergesellen, welcher am 25. und 26. Mai in Halle a. S. stattfand. Es waren rund 55 Zahlstellen durch 30 Delegirte vertreten. Nah Prüfung und Gültigkeitserklärung der Mandate wurde be- s{lossen, dem Verbande deutscher Mühlenbesißer die Forde- rungen der Gesellen zu unterbreiten. Es wurde an- erkannt, daß leßtere auf gütlichem Wege bei Entgegenkommen der Besißer ohne materiellen Schaden mehr erreihen könnten als durch Arbeitseinstelung. S{hließlih wurde eine Kommission ernannt, um die Interessen der Gesellen bei der Generalversammlung des Ver- bandes deutsher Müller zu vertreten.

Der siebente deuts\che Maurer-Kongreß in Erfurt bat vor seiner Beendigung noh eine Resolution angenommen, in welcher, der „Mgdb. Ztg.“ zufolge, die möglichst einheitliche Organisation und selbständige Verwaltung der Wander- bezw. Reiseunter- stützung, sowie in Verbindunz damit des Herberg3wesens und des Arbeitsnahweises Seitens der Maurergesellen\chaft Deutsch- lands umsomehr für eine unabweisbare Nothwendigkeit erklärt wird, als Unternehmer-Vereinigungen, besonders die Innungen, darauf be- dacht sind, diese Einrichtungen als Mittel zu benutzen, die Gesellen- schaft in größere Abhängigkeit von si zu bringen, Der Kongreß fordert die Kollegen allerorts auf, dieser Nothwendigkeit unverzüglich zu genügen. :

Aus Greiz shreibt man der „Geraer Zta.“ : Der Strike zehrt stark an den Erspqrnissen von Weberfamilien. Die Rüdck- zahlungen der Sparkasse sind im leßten Monat viel stärker als sonst, sie weisen im Monat Mai nicht weniger als 496 Posten mit 241 086 # auf, davon 94 gänzli ausgeglihene Sparbüer. Der Betrag der bisher weniger bezahlten und natürlih auch weniger ausgegebenen Lobhnsummen beziffert ih auf über

200000 M Das ist in Ziffern die Schädigung unsers Wohlstandes. Während in einer Anzahl bon Fabriken wieder voll gearbeitet wird, hat si in anderen Fabriken erft ein

kleinerer Theil zur Aufnahme der Arbeit ents{lossen. Vor dem Strike, so schreibt das „Tgbl.*, für den ein ungünstigerer Zeitpunkt gar niht erdaht werden konnte, war {on aus Mangel an Äufträgen

Hrn, Dr, Windthorst in dem Bericht nicht genannt würde, Dabei

in einer Anzahl von Fabriken der volle Betrieb nur dur ch Arbeit