1890 / 134 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 05 Jun 1890 18:00:01 GMT) scan diff

se ih abgespielt haben, niht verdunkelt und verkümmert werden. Ich sage das nicht etwa, weil ih etwas zu entshuldigen habe, sondern eben um der objektiven Wahrheit willen.

Unmittelbar nah der ersten Versammlung kamen die Herren zu einer Mahlzeit zusammen und sofort telegraphirten sie an mi in einer durchaus freundlichen und Vertrauen bekundenden Weise, und ih habe, wie ich das in solhen Fällen grundsäßlih zu thun pflege, mit einem freundlihen Gruße geantwortet. Jh komme oft in die Lage, daß ih diesen Höflihkeitsakt erweisen muß, und ih unterlasse ihn nur dann, wenn ich nah der zeitlichen Lage außer Stande bin, meinen Gruß oder meinen Gegen- gruÿ so rasch zu senden, als es eben nothwendig ist, um zu wirken. Ist die Versammlung auseinandergegangen, fo kann ich einen Gegengruß niht senden. In diesen Pfingsttagen habe ih eine große Anzahl von Gaulehrerversammlungen, die mi freundlih begrüßt haben, auch mit ein paar freundlihen Worten gegenbegrüßt.

Jch habe in dem Telegramm, welches ih ich weiß die Stunde nicht mehr genau, jedenfalls vor meinem eigenen Mittagessen ver- anlaßt babe, den Herren ein paar freundlite Worte gesandt. Mir war vollkommen unbekannt, was bei diesen Verhandlungen geredet worden ist, ih habe es an demselben Abend erst in den Zeitungen elesen, und namentlich habe ih keine Ahnung davon gehabt, was E Dittes in seinem stundenlangen Vortrage für Grundsäße auf- gestellt hat. i : L

Nun kommt der Punkt, wo die Legendenbildung anfängt. Hr. Windthorst hat hier gesagt, ih hätte die Lehrer begrüßt als Vertreter des Césteins. Das habe ih nicht gethan, sondern ih habe einfah bemerkt: ih wünshte, daß die treue Arbeit auch ihren Lohn finden möge, und zugeseßt: unermüdlich vorwärts! die BVolks\{ule ist ein Cckstein des preußishen Vaterlandes, fo ungefähr. Die Volksschule iff in meinen Augen in der That der Eckstein des Vaterlandes; ich babe aber niht im Meindesten daran gedacht, daß die Lehrer, namentlich Diejenigen, welche gerade versammelt gewesen sind, die Vertreter. des Eksteines wären; es giebt ganz andere Instanzen, Organe und Behörden im Vaterlande, die den Anspruch erheben können, diefen Gckftein zu ver- treten. Also i erkläre erneut: ih habe objektiv und sahlich aus- gesprohen, daß die Volksshule der Eckstein des Vaterlandes ist das ist, wie ih glaube, auch Ihrer Aller Meinung —, aber ich habe nit daran gedaht, daß die gerade versammelten Lehrer diesen Cckstein verträten.

So sind die thatsächlihen Vorgänge, und wenn Sie glauben, daß mir daraus ein Vorwurf zu machen ist, so muß ih das Ihrer Kritik anheimstellen. Ich habe nicht den Eindruck, daß ih auf diesem Gebiete gesündigt habe. j :

Ich habe auch bei einer anderen Gelegenheit ih darf das wohl noch kurz hervorheben gesagt, es sei meines Er- ahtens eine große Gefahr, daß die staatlichen Behörden immer die Besorgniß hätten, sie könnten gelegentlih in einer einzelnen Versammlung, wenn ih so sagen darf, zu Schaden kommen. Wenn man in guter Absicht in solch eine Versammlung geht, um entweder ih zu orientiren oder um Fühlung mit gewissen Bestre- bungen zu nehmen, so kann man keinen echeec, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, erleiden; man kann wohl in die Lage kommen, das nicht zu erreihen, was man gewollt hat; aber ein Vorwurf ließe sich doch nur dann erheben, wenn man in einer niht tadellosen Weise die íInteressen der Staatsregierung vertreten hätte.

Daß ih den Standpunkt, von welchem der Vortrag des Hrn. Dittes ausging, nicht theile, liegt wohl auf der Hand. Denn „alles dasjenige“ ih glaube, so sagt ein ultramontanes Blatt „hat Hr. Dittes angegriffen, was an unserem Kultus-Minister noch gut ist“. Meine Stellung in diesen Fragen der Religion, der Volksschule und der Konfessionalität des Religionsunterrichts is doch meines Er- achtens den Herren hier besser bekannt, als ße Hrn. Dittes bekann: sein konnte; und ih möchte fast sagen, Hr. Dittes hat sich ein Ver- dienst erworben, daß er so weitgehenden Ansichten vor den Lehrern Ausdruck gegeben hat. Wenn Sie die Beschlüsse der Lehrer- versammlung betrachten, wie ih sie wenigstens kenne nach den Zeitungen, so ist auch nicht ein einziger Beschluß gefaßt worden, von dem Hr. Dittes sagen könnte, er sei ein Ausfluß der von ihm geäußerten Meinung. Seine Schilderung der preußishen Volks\{ule war grundunrictig, und nit minder unrichtig hat er sih Betreffs Oesterreichs geäußert. Die Stellung, die er unseren Lehrern angewiesen hat, war eine meines Erathtens völlig vershobene. In der materiellen Beurtheilung dieser Rede werden wir uns ja vereinigen, Und ih glaube, es is ganz gut, daß man unserer meines Erachtens verständigen und tüchtigen Lehrer- \chaft ein solhes Zerrbild aufgestellt hat von Strebungen, die meines ECrahtens in unserer preußishen Unterrihtsverwaltung niemals einen Boden gefunden haben. _ : | N

Abg. Rickert: War diese Debatte, die an die glülicher- weise vergangenen shweren Tage des Kulturkampfes erinnert, überhaupt nöthig? Die Regierung hat ein Friedensgeseß vor- gelegt, das zum Abschluß des Kulturkampses führen sollte. Aber wo Hr. Stöcker das Wort ergreift, den Frieden kennen wir. Dieser Apostel des Friedens und der Liebe bringt immer Krieg und Haß und Zwietraht. Wenn der Kultus-Minister so absolut sachlich die Debatte gehalten hat, müßten die Majoritätsparteien der Regierung u Ste stehen und durften die Erinnerung an jene unglück- liche Zeit nicht wiedex auffrishen. Sie hätten manche Dinge, die von anderer Seite in der Debatte gefallen sind, gar nicht hören und beachten sollen. Bei diesem Wühlen in dem alten Kampf wird die Vorlage niht zum Frieden führen. Hr. Stöcker machte mir den Vorwurf, daß ih bei der ersten Le- sung gesagt hätte: die Frage der Dotation der evangelischen Kire gehöre hier nicht her, und die evangelische Bevölkerung fühle keine Beunruhigung; sogar die fortschrittlihe Presse joll mir darin entgegengetreten sein. Da weiß er mehr als ich. Der Kultus-Minister hat in der Kommission gewünscht, diese Frage nicht hineinzuziehen. Zu meiner Freude hat sich auch Hr. von Rauchhaupt, doch gewiß ein konservativer und frommer Herr, gegen das Herein- ziehen dieser Frage erklärt. Daß Hr. Stöcker die Lehrer- versammlungen nicht versteht, begreife ih. Es wäre ein Wunder, wenn er sich in die JFdeen und Thaten eines Diester- weg verseßen sollte. Jh bedauere, daß auch mein verehrter Gönner, der Abg. Windthorst, diese Angelegenheit benußt hat, um in die Anklage des Abg. Stöcker ejnzustimmen. Jn dieser Beziehung sympathisiren die Herren. Beide wollen die Schule unter die Herrschast der Kirche bringen, und es is \ympto- matish, daß Beide an der Lehrerversammlung Anstoß nehmen. Der Kultus - Minister muß gegen den sonst so fonstitutionell gesinnten Abg. Windthorst die verfassungs- mäßigen Rechte der Lehrer wahrnehmen. Verlangt Hr. Windt- horst etwa, daß die Lehrerversammlungen verboten werden ? Fürst Bismark hat immer gesagt, wenn man ihn höflich be- grüße, schicke er eine höfliche Antwort. Er hat auch mal die Antisemiten höflich begrüßt, und das nehme ih ihm nicht übel; ih finde es begreiflich vom Kultus - Minister, wenn die Lehrer ihn antelegraphiren. Uebrigens gehören auch die Lehrer zu dem Eckstein. Der Vorsißende der Lehrerversamm- lung hat auch Hrn. Dittes den Dank ausgesprochen, obwohl, wie er sagte, mehrere der Anwesenden nicht mit seinem Vortrage einverstanden seien. Die Lehrer sind Männer genug, um auch andere Anschauungen eines Kollegen hören zu können. Die Reden der Abgg. von Cuny, Graf Limburg und von Zedliy bedauere ih lebhaft, da sie die Sache lediglih auf den geschäftlichen Standpunkt verschieben, dem Centrum nur das

geben zu wollen, was es selbst annehme, Das entspricht niht der hohen, unabhängigen Stellung des Geseßgebers, der lediglih sahlich zu entscheiden hat. Das bedeutet einen unerlaubten Gewissensdruck, den sie auf die Mitglieder des Centrums ausüben. Auf die Rechtsfrage gehe ih nicht ein. Jm Prinzip können wir uns doch nicht eimgen, begnügen wir uns damit, thatsählih die Dinge so zu lösen, daß beide A zufrieden sein können. Jch persönlich halte die Ueberweisung der ganzen Kapitalbeträge für weniger bedenklih und gefähr- lich für den Staat, als die Form der Rente, zumal wenn dies mit dem ausdrücklihen Bedeuten geschieht, daß die Ge- \chädigten das Geld bekommen. Dann ist ja die Sorge vor- bei, dann ist es doch kein Machtfonds für die katholische Kirhe; was übrig bleibt, wird für den Emeritenfonds bestimmt. Hr. von Kröcher hat den großen Saß aus- gesprohen: Wer weiter geht, als die Regierungs- vorlage, geht nach Canossa. Jch denke, jeßt, wo die große Schlacht verloren, ist es doch wohl nicht am Plate, jenes stolze Wort anzuwenden auf die os ob das Geld in Kapital oder in Rente gegeben werden joll. Jch bin in erster Reihe für den Antrag Brüel, weil ih darin die beste, unge- fährlichste und glücklichste Lösung des Kampfes sehe, die kein Residuum von Erbitterung und Mißstimmung zurüdlafse. Der Kultus-Minister sagte, das wäre ein politischer Fehler. Jh weiß niht, wo der Fehler liegt. Die Geistlichen werden ihre Schulden bezahlen, die zum erheblichen Theil noch vorhanden sind. Unsere Verhandlungen abzubrechen und die Entscheidung nach Außen zu legen, wäre fonstitutionell unmöglih. Wir werden gegen den Antrag Brüel ad II stimmen, weil dort von wohlerworbenen Rechten die Rede ist. Folgen Sie ‘der Regierung, hier is ein Weg, zum definitiven Frieden zu gelangen. Lassen Sie alle konfessionellen Streitigkeiten zwischen katholishen und evan- gelischen Bürgern, sie haben absolut Nichts mit der Sache zu thun. Hier handelt es sich um die Erfüllung des Versprechens, welches 8. 9 des Geseßes von 1875 gegeben hat.

Abg. Radziejewski vertritt unter großer wacsender Unruhe des Hauses, bei der seine Ausführungen im Einzelnen unverständlich bleiben, den Standpunkt des Centrums. /

Abg. Stöcker: Dem Abg. Rickert bemerke ih, daß ih ausdrücklih hervorgehoben habe, ih würde geshwiegen haben, wenn von einem Centrumsmitgliede der alte Kulturkampfston aufgenommen wäre. Dem Abg. Brüel jedo, der wenigstens seiner Konfession nah ein Vertreter der Majorität ist, mußte ih entgegentreten. Mit Unrecht hat mich Abg. Rickert in Bezug auf die Schulfrage mit dem Abg. Windthorst unter einen Hut gebraht. Was die Lehrerversammlung anbetrifft, so war ih während der Rede des Hrn. Dittes zugegen, und ih habe mich geshämt, daß der Jubel über jeine Rede ein so frenetisher war. Jch glaube, wenn Hr. Rickert mit seiner heutigen Rede vor seine Freunde im Lande kommt, wird er noch s{limmer behandelt werden als bisher. Wenn er mit cinem gewissen Stolz sagte, daß der Kultur- fampf verloren sei, so würde ih den Stolz darüber doch lieber Einem von der Centrumspartei überlassen. Es ist mir gar nicht eingefallen, über das Religiöse zu reden, sondern ih habe nux gesagt, die Katholiken haben das Evangelium nicht in Bezug auf ihre Stellung gegenüber der Obrigkeit, weil die Päpste unsere Geseße für null und nichtig erklärt haben. Jn Bezug auf das Unsehlbarkeits- dogma habe ich nur hinsichtlih seiner politishen Be- deutung gesprochen. würde mih als evange- lischer Prediger sehr wohl hüten, auf dieses Dogma ein- zugehen. Was den Rechtsstandpunkt anbetrifft, so glaube ih allerdings als Laie: Was Recht ist, ist und bleibt Recht, und man muß sich eben fügen. Sie haben ja selbst den Grundsaß „Roma locuta, causa finita“ in Glaubens- und Gewissens- sahen. Man muß sich entweder dem Gese unterwerfen oder darunter leiden.

Mit einer Reihe persönlicher Bemerkungen {ließt die Debatte. j A

Jn der Abstimmung werden darauf der Antrag Windt- horst auf nochmalige Verhandlung mit den kirchlichen Oberen gegen die Stimmen des Centrums und der Polen, der Antrag Brüel auf Rückgewähr des Kapitals gegen die Stimmen des Centrums, der Polen und der Konservativen Abgg. von der Rec, S Und R, A E na bent Bora Stiel gegen die Stimmen des Centrums, der Polen, der Freisinnigen und der Konservativen Abgg. Sack und Knoch und endlich der Antrag Windthorst auf Spezia- lisirung der gesperrten Gelder gegen die Stimmen des Centrums, der Polen, eines Theils der Freisinnigen und des konservativen Abg. Knoch abgelehnt, dagegen Art. 1 der Regierungsvorlage gegen die Stimmen des Centrums, der Polen, eines Theils der Freisinnigen, des nationalliberalen Abg. Schmelzer und des konservativen Abg. Knoch anuge- nommen.

Ari. 2 weist den einzelnen Diözesen die nah dem Maß- stabe ihres Auffommens an Sperrgeldern auf sie entfallenden Rentenbeträge an, darunter der Erzdiözese Gnesen-Posen 68397 M, Breslau 51 901 M, Hildesheim 23846 Á und Osnabrück 11 406 M

Der Artikel wird ohne Debatte angenommen.

Artikel 3 lautet:

Die Verwendung innerhalb der einzelnen Diözesen nebst De- legaturbezirken wird zwischen dem Minister der geistlihen 2c. An- gelegenheiten und den betreffenden kirchlichen Obe1en vereinbart.

Nach erfolgter Vereinbarung werden die betreffenden Beträge in gleiher Art wie andere Staatszuschüsse gezahlt.

Fa Abg. Brüel beantragt: den Art. 3 folgendermaßen zu assen:

Die Rente kann von den kirchlihen Oberen vorerst dazu ver- wendet werden, den durch Einstellung von Leistungen aus Staats- mitteln unmittelbar oder mittelbar erheblich und nacbhaltig Ge- shädigten nah freiem Ermessen Hülfe zu gewähren. „Von den Be- willigungen, welhe sie zu dem Ende beschließen, haben sie dem Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Anzeige zu machwen. Im NVebrigen wird die Verwendung innerhalb der einzelnen Diözesen 2c, wie in der Vorlage vereinbart.

Die Vereinbarung hat die Verwendungszwecke und den für jeden Zweck verwendbaren Gesammtbetrag festzustellen. Innerhalb des leßteren bleibt die Einzelverwendung unter Beachtung der etwa vereinbarten allgemeinen Normen den kirchlichen Oberen überlassen. Die Vereinbarung bleibt so lange in Kraft, bis eine Abänderung vereinbart ift.

Aus denjcnigen Beträgen, welcbe nicht je vor Ablauf des Rechnungsjahres nah Say 1 dieses Artikels verwandt sind, und über welche auch eine Vereinbarung nicht erfolgt ist, wird für jede Diözese ein Emeritenfonds gebildet. Die Verwendung der Erträge dieser Fonds wird zwischen dem Minister der geistlihen 2c. Ange- legenheiten und den betreffenden kirhlihen Oberen vereinbart.

Die nach diesem Gesey zu zahlenden Beträge werden in

gleicher Art 2c, wie in der Vorlage.

Die Abgg. Hobreht, Graf Limburg und von Zedliß beantragen den Art. 3 zu fassen wie folgt:

Abs. 1 wie Abs. 1 der Vorlage.

Die Verwendung hat den Verwendungszweck und den für jeden Verwendungszweck verwendbaren Betrag festzustellen. Soweit bishöflihe Dispositionsfonds vereinbart sind, bleibt die Einzel- verwendung dem fkfirchlihen Obmann überlassen.

Die Vereinbarung bleibt \o lange in Geltung, bis eine Ab- änderung vereinbart ist. Nimmt die Abänderung einen Ver- wendungszweck in Aussicht, für welchen durch den Staatshaushalts- Etat überhaupt nicht Mittel bereit gestellt sind, so tritt sie erst mit der Genehmigung des Verwendung?zweckes durch den Staats- haushalts-Etat in Kraft.

Die beiden leßten Absäße wie die beiden leßten Absäße im Antrage des Abg. Dr. Brüel,

Abg. von Zedliß: Der von dem Abg. Hobrecht und mir eingebrahte Antrag enthält weitgehende Konzessionen an die katholische Kirche. An sich wäre eine Aenderung der Regierungsvorlage niht nöthig. Man könnte mit ihr aus- fommen, gleihwohl wollen wir den Seitens des Centrums geäußerten Wünschen so weit entgegenkommen, als mit dem prinzipiellen Standpunkt vereinbar ist. Diesen Gedanken soll unser Antrag zum Ausdruck bringen. Nehmen Sie den- selben an als einen Beweis, daß wir den Frieden ehrlich und ernstlih wollen.

Abg. Dr. Windthorst: Jch erkenne an, daß in dem Antrag Zedliz ein Entgegenkommen liegt, wie ih überhaupt bezeugen muß, daß die Be von der freikonservativen Partei abweichend von andern ih einer großen Mäßigung uns gegen-

über befleißigt haben. Der Antrag unterscheidet sih aber durch von dem Antrage Brüel, ntrage Brüel Jhre Zustim-

den eminent wichtigen ersten Absa und ih bitte Sie deshalb, dem mung zu geben. i

Abg. Rickert erklärt sich mit dem Prinzipalantrag ein- verstanden, will aber eventuell auch für den Antrag Hobrecht stimmen. Es sei aber nichts darüber bestimmt, was geschehen jolle, wenn über die Verwendung der Erträge des Emeriten- fonds keine Vereinbarung zu Stande käme. Er beantrage deshalb, daß die Verwendung dieser Erträge den Kirchen- oberen überhaupt ohne Vereinbarung mit dem Kultus-Minister überlassen bleibe.

Abg. Brüel verstanden.

Kultus-Minister Dr. von Goßler:

Peine Herren! Wie ich bereits bei der ersten Lesung erklärt habe, ist die Staatsregierung gern bereit, auf dem Boden des Artikels II, soweit als es irgendwie möglich ist, entgegen zu kommen und die ver- schiedenen widerstreitenden Meinungen thunlichst auszugleihen. Die Herren Mitglieder der Kommission werden mir wohl auch das Zeugniß nit versagen, daß ih redlih bemüht gewesen bin, zu einer Verständigung auf dem Boden dieses Artikels beizutragen.

Ich bin nun ermächtigt, zu erklären, daß, wenn der Antrag der Herren Hobrecht und Genossen angenommen wird, er bei der Staats- regierung einen Widerspruch nit finden wird.

Wenn man den Antrag des Hrn. Abg. Dr Brüel Nr. 259 der Drucksachen, den heute vorgetragenen, und den Antrag Hobrecht und Genossen mit einander vergleicht, so möchte ih nicht glauben, daß die Differenz so groß ist, daß der Antrag des Abg. Dr. Brüel, dessen Schwierigkeiten ih ganz kurz kennzeihnen werde, dazu führen könnte, ih dem Antrage Hobrecht gegenüber ganz ablehnend zu verhalten.

Der Antrag des Abg. Dr. Brüel hat zunächst in seiner Nr. I. meines Erachtens die Schwierigkeit, daß der Antrag, wenn er Geseßz werden solite, sh unserm Etatsreht nicht eingliedert. Wie bereits bei der ersten Lesung von mir ausgeführt worden i}, sind die Rentenbeträge Staatsgelder ; diese müssen durch den Staatshaushalt geben, und ich kann mir in der That nicht klar machen, wie es dabei möglich sein soll, eine Rente vorerst zu einem ungewissen Zwecke zu verwenden, nach der freien Verfügung des Bischo|s, mit der Maßgabe, daß er dem Minister nur eine Mittheilung zu machen hat. Ich weiß nicht, wie es innerhalb unseres Etats- rechtes thunlich wäre, diesen Gedanken in einer angemessenen Weise zur Ausführung zu bringen. Ich glaube, daß der Zweck, welchen der Abg. Hr. von Brüel in Erinnerungen an die Berathungen in der Kommission erreihen will, fich dadurh erreihen läßt, daß Dispositionsfonds bewilligt werden. Diese Dispositionéfonds sind nun meines Erachtens nicht zu kategorisiren mit dem Begriff „Ge- \chädigte“, sondern mit denjenigen Instituten, beziehungsweise Kate- gorien, welche in unseren Staatshaushaltsetats bereits cingefügt sind.

Die Geschädigten des Sperrgesets sind die Bisthümer, die Institute der Bisthümer und die Geistlihen, und sowohl für die Bisthümer wie für die Institute der Bisthümer wie auch für die Geistlichen lassen sich meines Erachtens sehr leiht die Dispositionsfonds \o einrichten, daß der leßte Zweck, den Abg. Brüel vor Augen hat, er- reiht werden kann. Ich habe ausdrücklich in der Kommission erklärt, daß ih mir sehr wohl einen allgemeinen Dispositionzfonds für Geist- liche denken kann, so zwar, daß der Bischof ganz frei ist in der Verwendung der CEinzelbeträge, und daß er bei der Ver- wendung dieser Beträge sich derjenigen Geistlichen vorzugs- weise annehmen kamn, die nach seinem rein unkontrolirten und unkontrolirbarem Ermessen in der Vergangenheit Einbuße er- litten haben. Ich erkläre ausdrücklich, daß ich gern dazu die Hand biete, daf ein solher Dispositionsfonts, den man auch anders nennen kann, geschaffen wird

Der 2. Punkt, auf den ih Ihre Aufmerksamkeit zu rihten mir erlaube, ist die Ne. 11. 2 des Brüel’shen Antrages. Die Differenz zwischen diesem Satze und dem Antrage Hobreht und Genossen ift ganz flar. Anknüpfend an einen in der Kommission gefaßten Beschluß, Betreffs dessen ih, ehe er zu Stande kam, das Vorliegen von Be- denken nicht verhehlt hatte, ist der Antrag des Herrn Abg. Dr. Brüel darauf gerichtet, daß der Bischof, sowie für den Gesammtbetrag eine Vereinbarung erzielt ist, in allen Fällen die freie Disposition hat. Das Bedenken, welches ich dagegen habe und welches, wie es scheint, auch anerkannt worden ist von dem Herrn Antragsteller, ift folgendes :

Die Staatsregierung muß dur{chaus daran festhalten es ist das in der Kommission näher ausgeführt —, daß das neue materielle Recht, welches mit Hülfe dieses Geseßes geschaffen wird, völlig sich einfüge in die bestehenden Etatsverhältnisse auf Grund der Gesetze, welch)e im Artikel 4 erwähnt sind. Sie wissen, daß unter der Kontrole der Ober-Rechnungskammer über alle Staats- fonds, welche für katholishe Bisthümer und deren Institute gegeben werden, Etats aufgestellt werden, und daß bezüglih der Ausführung der Etats die bestehenden materiellen Vorschriften unseres staatlich- kirhlihen Rechts maßgebend sind. Ich will das an einem Beispiel erläutern, der allgemeine Ausdruck ist vielleiht nicht so klar ver- ständlich.

Ich halte es für rihtig, daß die bischösflichen Diépositions- fonds, welche durch die Vereinbarung zwischen Bischof und Kultus- Minister gebildet werden, zur freien Verfügung der Bischöfe stehen, Anders liegt die Sache bei anderen Fonds, die, wenn der Antrag Brüel Geseß würde, ebenfalls einem Bischof unterstellt werden sollen, die aber materiell nit zu seiner Verfügung stehen können; das sind Dispositionsfonds zu Gunsten derjenigen Ver- waltungen, die dem Domkapitel unterstellt sind. Würde der Antrag Brüel angenommen, dann würde beispielsweise bei Einführung oder Erhöhung eines Baufonds für die Kathedralkirhe einer Diözese dem Bischof der fragliche Betrag unterstellt sein, während bekanntlich fast übera!l die Kapitel die Träger der Unterhaltung der Domkirche sind.

Nah dem Wortlaute des Antrages würden sogar nicht bloß diese Dispositionsfonds, wie ih sie eben dargestellt habe, den Bischöfen unterworfen werden, sondern auch diejenigen Beträge, welhe ih fals feste Fonds bezeihnen möchte. Ich nehme an, daß z. B. es jedem

erklärt sih mit diesem Antrage ein-

Bischof Bedürfniß sein wird, die Bezüge der Domvikare zu erhöhen, daß z. B. ein Bischof behufs der Vereinbarung mir mittheilen wird, er erahte die Erhöhung der Bezüge der Domkapiiulare um im Durchschnitt 1000 A für erforderlich. Im leßteren Falle würde si{ch der betreffende Fonds, wenn zwölf Domkapitulare bei dem Kapitel vor- handen sind, in unserem Etat um 12000 M erhöhen. Es kann doch nicht die Absicht des Hrn. Abg. Dr. Brüel sein, daß der Bischof über diese 12 000 M im einzelnen Falle die Verwendungsbefugniß hat, sondern die- selben müssen unmittelbar dem Etat des Domkapitels zugeseßt werden ; die Kapitulare müssen genau wissen, daß ihr Gehalt sich um 1000 4 erhöht hat, daß sie niht von der Disposition des Bischofs abhängen. Ich glaube, daß wir uns auf diesem Gebiet sehr leiht verständigen werden und ich denke, daß dasjenige, was Hr. Dr. Brüel eigentli erreihen will in dem Antrag Hobreht und Genossen enthalten ift, in welchem erklärt wird: die Dispositionsfonds des Bischofs stehen frei zu seiner Verfügung.

Was den dritten Punkt anbetrifft, so habe ich in der Kommission bereits erklärt, daß ih ihn der freien Entschließung überlasse. Er ist damals nach einem dähnlihen Gedankengang angenommen worden, um ernste Bedenken, die auf Seiten der national- liberalen Partei bestanden, zu beseitigen. Ich glaube, der Abg. Dr. Sattler nannte ihn ein Sicherheitsventil aegen den künftigen Kultus-Minister. Ich danke ja für das Vertrauen, welches Sie dem gegenwärtigen Kultus - Minister damit erweisen. Ich glaube, wenn man die Sache ernst betrachtet, so ist es auch vom Standpunkt des Hrn. Abg. Dr. Brüel für ungefährlih zu halten, auh diesen Saß des Antrags Hobrecht und Genossen anzunehmen, wobei ih aber ehrlich bekennen muß, daß ich auf der anderen Seite kein Bedenken tragen würde, den Saß zu missen, Denn das halte ih für unmöglich, daß ein Kultus-Minister, der unter der vollen Kontrole der geseßgebenden Versammlung mit Hülfe des Staatshaus- halts-Etats teht, in die Lage kommen kann, einen neuen Verwen- dungszweck zu genehmigen, der anfechtbar wäre nach Lage der materiellen Geseßgebung. |

Die Beispiele, die ich in der Kommission anführte, wurden ja von dem Herrn Antragsteller acceptirt und es wurde dann hervor- gehoben, daß man sehr {wer einen Zweck würde vorfinden können, der an irgend einer Stelle des Staatshaushalts: Etats, wenngleih gewissermaßen eingewickelt, nit {on vorhanden sei. Ich erlaubte mir demgegenüber darauf hinzuweisen, daß die bischöflichen Etats, wie wir sie haben, doch im Wesentlihen {hon aus den dreißiger oder zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts herrühren und ih mir immerhin wohl denken könne, daß nach der Entwickelung unserer Verhältnisse wir, wenn nicht heute so doch in Zukunft, in die Lage kämen, einen neuen Verwendungszweck als nah allen Richtungen hin unge- fährlih und nüßlich zu bezeichnen. Aber wie gesagt, möge das hohe Haus darüber entscheiden. Ich habe in der Kommission erklärt und erkläre es erneut: was auf diesera Gebiet zum Frieden führen kann, bin ih bereit zu befürworten. i

Was nun den Antrag Rickert anbetrifft, so darf ich historisch erwähnen, daß Absatz 4 des Antrags Hobrecht und Genossen ih bei der Berathung in der Kommission der Zustimmung der Herren des Centrura8 erfreute, und daß ih deswegen auch gar nicht in die Lage gekommen bin, mich mit dem Gedanken, dem der Herr Antragsteller hier Ausdruck giebt, ver- traut zu machen. Sollte es aber erwünscht sein und die Einigkeit fördern, dann bin ih bereit, auch den Antrag Rickert zu befürworten. Mehr kann ich auf diesem Gebiet nicht thun. Ich kann nur sagen, ih bin ermähtigt, Namens der Staatsregierung zu erklären, daß diese den Antrag Hobrecht und Genossen annehmen will. Sollten neue Beschlüsse gefaßt werden, so müßte ih natürlich auch erst die Beschlußfassung der Staatsregierung herbeiführen.

Abg. Hobrecht bittet, seinen Antrag anzunehmen und den Antrag Brüel abzulehnen. Dieser Antrag würde eine Reihe von Prozessen im Gefolge haben, welche die Sache sehr erschweren würden. Der Landtag könne die Kontrolle nicht ganz aus der Hand geben. Er dürfe nicht gestatten, daß der jeweilige Kultus-Minister und die Bischöfe die Mittel selbst- ständig verwenden. /

Unter Ablehnung aller entgegenstehenden Anträge wird der unveränderte Antrag Hobrecht angenommen. Dafür stimmt auch der größte Theil des Centrums. }

Die Art. 1V und V, welche die Ausführungsbestim- mungen enthalten, werden ohne Debatte angenommen.

Die zu diesem Geseßentwurf eingegangenen Petitionen werden durch die gefaßten Beschlüsse für erledigt erklärt.

(Schluß 43/4 Uhr.)

Sterblichkeits- und Gesundheitsverhältnisse im Monat April.

Gemäß den Veröffentlihungen des Kaiserlihen Gesundheitsamts sind im Monat April cr. von je 1000 Bewohnern auf das Sah Deren ale deo Geme n, Berlin 22,1, in Bréslau 25,1, in Königsberg 35,3, in Köln 23,1, in Kassel 18,0, in Magdeburg 22,0, i Stettin 27,2, in Altona 21,3, in Hannover 19,5, in Frankfurt a. M. 21,8, in Wiesbaden 24,1, in München 28,9, in Nürnberg 30,0, in Augsburg 35,5, in Dresden 22,9, in Leipzig 19,2, in Stuttgart 18,6, in Karlsruhe 19,6, in Braunschweig 22,4, in Hamburg 22,7, in Straßburg 22,2, in Mey 25,1, in Amsterdam 21,5, in Brüssel 19,7, in Budapest 33,7, in Christiania 24,7, in Dublin 24,9, in Edinburg 22,1, in Glasgow 29,5, in Kopenhagen 22,7, in Frakau 35,1, in Liverpool 22,9, in London 18,2, in Lyon 24,6, in Odessa 22,8, Pt 20 7m Sl Peteroburg 33,1, t Ps 20,7, fn Siockholm 20,6, in Triest 27,1, in Turin —, in Venedig 23,4, in Warschau 26,9, in Wien 27,8. (Für die außerdeutschen “5tädte ist der Zeitraum von 5 Wochen, vom 30. März bis inkl. 3. Mai ge- nommen).

Der Gesundheitszustand im Monat April war in der überwiegen- den Mehrzahl der größeren Orte Europas ein erheblich günstigerer als im vorangegangenen Monat März. Ins befondere hat die Sterb- lihkeit in den deutschen Orten abgenommen, sodaß nur in 9 der- selben (Rixdorf b. Berlin, Königsberg, Langenbielau, Augsburg, Er- langen, Regensburg, Lindenau b. Leipzig, Meerane und Werdau) gegen 16 des Vormonats, und von außerdeutschcen Städten nur in Krakau die Sterblichkeitsziffer über 35,0 pro Mille und Jahr stieg. Dagegen weisen 10 Orte (Eschweiler, Geestemünde, Küstrin, Naumburg, Neunkirchen, Trier, Wilbelm#haven, Baußen, Getha, Zerbft) eine Sterblichkeit von unter 15,0 pro Mille und Jahr auf, während sih im Vormonat nur 2 deutshe Orte einer so geringen Sterblichkeit er- freuten. In 47 deutshen Orten (im Vormonat in 22), von denen wir hier xur Barmen, Bochum, Brandenburg, Dortmund, Frank- furt a, O, Halle, Hannover, Insterburg, Kassel, Königshütte, Neisse, Nordhausen, Paderborn, Potsdam, Schleswig, Spandau, Hof, Leipzig, Kannstatt, Stuttgart, Ulm, Karlsruhe, Darmftadt, Bremen « und von außerdeutshen Städten Brüssel und London erwähnen wollen, war die Sterblichkeit eine günstige und betrug die Sterblichkeitsziffer niht 20,0 pro Mille und Jahr, während in 40 deutshen Orten, darunter Berlin, Bromberg, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M.,, Görlitz, Koblenz, Kolberg, Kreuznach, Magteburga, Posen, Freiburg i. S, Offenbah, Gmünd, Heilbronn, Mainz, Worms, Ro\tock, Schwerin i. M, Weimar, Braunschweig, Bernburg, Dresden, Dessau, Lübeck, Hamburg, Straßburg i. E. und von außerdeutshen Städten in Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm, Edinburg, Liverpool, Odessa die Sterblichkeit eine mäßig hohe blieb (etwas über 20,0 pro Mille und Jahr). Der Antheil des Säug- lingsalters an der Geiammtsterblichkeit war im Allgemeinen ein gegen den Vormonat verminderter; von je 10000 Lebenden starben, auf’s Jahr berechnet, in Stuttgart 39, in Dresden 54, in Hamburg 71, in Berlin 74, in München 103 Säuglinge, und zwar haben Darmkatarrhe und Brechdurchfälle der Kinder, wie-

wohl noch immer zahlrei auftretend, in den meisten grö- ßeren Orten, wie in Berlin, Breélau, Königsberg, Danzig, München, Nürnberg, Leipzig, Straßburg, Wien, Budapest, Paris, Bordeaux, London, St. Petersburg, Warschau u. a. weniger Opfer gefordert als im Vormonat. In viel höherem Grade zeigte sih jedoch die Abnahme der Sterblichkeit in den mittleren und höheren Altersklasfsen, und zwar zumeist in Folge der zum Theil erheblich verminderten Zahl von Sterbefällen an akuten Entzündungen der Athmungsorgane, die in vielen Orten, wie in Berlin, Breslau, Danzig, Dortmund, Essen, Hannover, Magdeburg, Stettin, München, Mannheim, Darmstadt, Mainz, Rostock, Braunschweig, Lübeck, Bremen, Hamburg, Mül- hausen, Mey, Straßburg, Wien, London, Paris u. a. O., weniger Todesfälle hervorbrahten, während in Königsberg, Krefeld, Nürn- berg, Leipzig, Stuttgart die Zahl der leßteren cine größere als im Vormonat war. Sterbefälle an Influenza wurden aus London noch 26, aus Lissabon 50 berichtet.

Von den Infektionskrankheiten kamen aus deutshen Städten Sterbefälle an Masern und Scharlah in etwas gefteigerter, an Diphtherie, typhösen Fiebern und Keuchhusten in verminderter Zahl zur Anzeige; aus außerdeutshen Städten wurden aber auch an Diphtherie, Keuchhusten und Pocken mehr Todesfälle als im Vor- monat mitgetheilt. So haben Sterbefälle an Masern in Berlin und Königsberg (besonders zu Ende des Monats), ferner in London, Gla8gow, Liverpool, Paris, Wien und seinen Vororten, Prag, St. Petersburg, Moskau, New-York zugenommen, während sie in Alten- dorf, Krefeld, Edinburg, Dublin, Baltimore, seltener als Todes- ursahen aufgeführt wurden. Auch dem Scharlachfieber erlagen in Berlin, Breslau, Leipzig, London, Liverpool, Paris, Stokhclm, St. Petersburg, Chicago und New-York mehr, in Kopenhagen, Moskau, Warschau etwas weniger Kinder als im vorangegangenen Monat. Die Sterblichkeit an Diphtherie und Croup war in Breslau, Kiel, Köln, Stettin, München, Dresden, Stuttgart, London, Wien, Chicago, Cincinnati eine verminderte, in Frankfurt a. M., Hannover, Magdeburg, Amsterdam, Warschau, Baltimore nahezu die gleiche, wie im Vormonat; dagegen in Berlin, Königsberg, Nürnberg, Leipzig, Braunschweig, Hamburg, Budapest, Kopenhagen, Krakau, Lyon, Paris, St. Petersburg, Prag, Triest, Stockholm, Moskau, New-York und Brooklyn eine gesteigerte. Der Unterleibs- typhus zeigte sich meist in beschränkter Zahl, nur in Ham- burg, Paris und St. Petersburg war die Zahl der dur ihn 2G Sterbefälle ein wenig größer als im Vormonat. An Flecktyphus wurden aus St. Petersburg 1, aus London 2, aus Warschau 3, aus Moskau 11 Todesfälle berichtet. Das Rückfallsfieber zeigte sh besonders in der zweiten Hälfte des Monats in St. Petersburg häufiger und endete auch in mehreren Fâllen tôödtlich. An Genidckstarre kamen aus Berlin, St. Peters- burg, Boston, dem Regierungsbezirk Erfurt je_1, dem _Regierungs- bezirk Düsseldorf 2 und aus den amerikanishen Städten St. Louis (4), Cincinnati (5), New-York (13) und Chicago (20) mehrfache Todes- fälle zur Meldung. Vereinzelte Erkrankungen an Genickstarre kamen außer in Berlin, Nürnberg und Kopenhagen auch in den Regierungs- bezirken Erfurt, Düsseldorf, Schleswig und Triex zur Kenntniß. Todesfälle .an Keuchhusten haben abgenommen und wurden namentlich aus der zweiten Hälfte des Monats aus Berlin, Köln, Kopenhagen und Paris seltener gemeldet, während in Edinburg, Glasgow, London die Zahl der Opfer ein wenig größer wurde. Pocken haben in Aachen, Elbing, München, Reichenberg i./B,, Brüssel, Bukarest, Christiania, London, Cherson, Moskau vereinzelte Sterbefälle hervorgerufen; mehrfahe wurden aus Wien, Odessa, Kairo, New-York (je 2), Prag (4), St. Petersburg und Lyon (je 5), den Vororten Wiens (8), Alexandria (10), Pilsen und Madras (je 12), Genua (14), Paris (15), Brünn (25), Lissabon (26), Bombay (29), Venedig (32), Warschau (83) zur Anzeige gebracht. di O erlag 1 Person der Tollwuth, in St. Petersburg 1 em Roß.

Statistik und Volk8wirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Malstatt-Burbah schreibt man der „Rhein.-Westf. Ztg.“, daß am Montag von der Burbacher Hütte 2 Arbeiter ent- lassen wurden, welche sich der Forderung widerseßten, aus dem „Nechts\chußverein“ auétzutreten. Etwa 100 Arbeitern, welche der Direktion als Mitglieder des Rechts\hußvereins bekannt sind, wurde der Dienst für den 16. Juni aufgesagt, falls sie im Verein verbleiben. Daraufhin erklärten noch verschiedene Hüttenarbeiter ihren Beitritt zu dem „Rechtsshußverein“. Der Vorstand desselben hielt in Folge dieser Vorgänge eine Sißzung, in welcher beschlossen wurde, dem Verbot des Eintritts in den Verein, weil dasselbe eine Einschränkung der vom Staat aneckannten Rechte bedeute, Einhalt zu thun. Man will das auf gütlihem Wege durch Unterhandlung mit den betreffenden Werken und gleichzeitig durch eine Eingabe an das Landrathsamt zu erreichen suchen. In einer Versammlun; am nächsten Sonntag beabsihtigt man das Resultat bekannt zu geben event. weitere Schritte zu berathen.

In Stieringen fand am Sonntag eine Versammlung der Arbeiter des de Wendel’\chen Werks statt, welhe dur die fich kundgebenden verständigen Ansichten sehr wohlthuend berührte. Von den Rednern wurde, nah der „Forb. Zig “, betont, daß von dem Anschluß an den Recchts\chuyverein kein Vortheil für die Arbeiter zu erwarten sei, daß man dagegen alles Vertrauen zu den Arbeiteraus\chüssen haben dürfe, die, von dem Hause de Wendel selbst ins Leben gerufen, Hand in Hand mit dem Hause und mit dessen Beamten das Wohl der Arbeiter wahrnehmen sollen.

Wie der „Rh. Westf. Ztg.“ aus Bochum geschrieben wird, bringt der provisorishe Vorstand des neugegründeten rheinisch-west- fälishen Vergarbeiterverbandes, der bekanntlih aus einer Gegenströmung gegen den alten im sozialdem-kratishen Fahrwasser s{chwimmenden Verband entstanden ist, zur Kenntniß seiner Mitglieder, daß er dem Sekretär des Rechtsshußtzvereins, Hrn. Friedr. Beer in M die Geschäftsführung des Verbandes vorläufig übertragen abe.

Der „Köln. Ztg.“ wird aus Waldenburg telegraphirt, daß die niederschlesischen Knappenvereine beschlossen haben, eine H betreffend die Einführung der Achtstundenshiht, an den Reichstag zu richten.

In Remscheid beschlossen, wie die „Rh. Westf. Ztg.“ mit- theilt, die Fetilenhauer in einer Versammlung am Montag, von einem Strike vorläufig abzusehen, wenn die Fabrikanten F der gestellten Forderungen bewilligen wollen; wenn dieselben sih aber auch dies zu thun weigern, soll bestimmt am 1. Juii die Arbeit eingestellt und dann follen auch die Forderungen höher gestellt werden.

In Lübeck fand, wie der „Hamb. „Corr.“ berichtet, vorgestern eine von etwa 150 Personen besuhte Versammlung der Eisen- und Metallarbeiter aller Branchen statt, in welcher si die Arbeiter in einer Resolution sich verpflichteten, jeden Zuzug von Hamburg fern- zuhalten und die Ausgesperrten zu unterstützen. -

In Fürth nahm eine öffentlive Versammlung von Ar- beitern und Arbeiterinnen der Papierbrance, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, eine Resolution an, daß sie unter keinen Umständen die (ihnen von den Unternehmern vorgeschlagenen) Entlasfungszeug- nisse, weil sie eine {were Schädigung der Arbeiterinteressen 2c. mit sich bringen und weil inébesondere durch dieselben die Arbeiter nicht nur gekennzeichnet, sondern sogar wie Sträflinge numerirt werden, annehmen werden.

Hier aus Berlin theilt die „Voss. Zta.“ mit, daß die Kosten des Ausstandes der Militär-Schneider sih, wie in einer öffentlihen Versammlung am Dienstag mitgetheilt wurde, auf 4335,60 A belaufen. Die Einnahmen betrugen 4598,17 4/6 Der vorhandene Bestand von 179,23 4 \soll vorläufig in den Händen der Lohnkommission bleiben, Der Ausstand der GärtnerBerlins

und Umgegend hat nah der nunmehr erfolgten Abrechnung einen Ueberschuß von 72,67 Æ erbracht. Vereinnahmt wurden 1922,7 verausgabt 1849,40 M

IV. Verbandstag der dcutschen Berufsgenossenshaften

Straßburg, 3. Juni. Heute fand die Plenarversammlung des Berufsgenossenshafts:ages unter Vorsiß des Herzoglih anhalti- schen Kommerzien-Raths Roesicke (Berlin) statt. Als Ehrengäste wohnten der Sitzung bei: Bürgermeister Bak, Präsident des Reichs- Versicherungsamts Dr. Bödiker, Bezirks-Präsident Freiherr von Freyberg und Regierungs-Rath Freiherr von Reichlin-Meldegg. Auf die Begrüßungsworte des Vorsitzenden, den Hinweis auf die Arbeiter- \hußtzgeseßgebung und die Versicherung, daß die deutschen Berufs- genossenschaften an derselben, wie auch an dem Ausbau der bis- herigen Versicherungsgeseße mitwirken würden, soweit es in leßterer Beziehung die gemeinsamen Interessen der Arbeitgeber und Arbeit- nebmer erheishten, stimmte die Versammlung begeistert in das von Hrn. Roesicke ausgebrachte Hoh auf Se. Majestät den Kaiser Wilhelm ein. Der Geschäftsberiht des Vorsitzenden erwähnt, daß die Anzahl der dem Verbande angehörenden Berufsgenossenshaften die aleihe geblieben wie im Vorjahre, nämli 41, von denen 40 in der Versammlung vertreten sind. Der Anregung der Berufsgenossen- schaften auf Errichtung von Lehrstühlen auf technischben Hochschulen für Gewerbe-Hygieine stehe die preußishe Regierung freundlih gegen- über; sie habe bereits folhe Lehrstühle in Berlin, Hannover und Aachen errichtet; auch die württembergishe Regierung werde in ähn- liher Richtung vorgehen. Hierauf dankte der Bürgermeister Ba ck für die an ihn als Vertreter der Stadt gerihteten BegrüßungEworte. Wenn die Stadt Straßburg bis vor kurzer Zeit durch reihe Stif- tungen in der glüdlihen Lage gewesên sei, den an sie gestellien An- forderungen der Mildthätigkeit zu genügen, so habe dur das Wachs- thum der Stadt sih dieses Verhältniß geändert und man begrüße nun mit hohem Interesse die Maßnahmen des sozialen Reformwerkes zur Linderung des Elends, Die Grundgedanken dieser Gesetzgebung seien richtig, wenn auch möglicherweise die Form eine Verbesserung erheishe. Den heutigen Verhandlungen der Berufsgenossen\chaften wünsche er den besten Erfolg.

Direktor O. Wenzel (Berlin) berihtete hierauf eingehend über die Verhandlungen der Kommission, welche sich mit der Frage der Bearbeitung einer Lohn stati t ik Seitens der Berufsgenossen\chasten beschäftigt hat. Nach einer Darlegung der gegen die Uebernahme dieser Arbeit erhobenen Bedenken, die er im einzelnen widerlegt, weist der Referent auf die große Wichtigkeit einer guten Lohn- und Crwerbs- statistik hin, welche die Grundlage für die ganze neuere soztalpolitishe Gejeßgebung bilde. Nur die Berufsgenofsenschaften seien auf Grund des in ihren Händen befindlihen Materials der Lohnnachweisungen in der Lage, diese Aufgabe zu lösen, und wenn ihnen auh das Gesetz eine Verpflichtung zu dieser Arbeit nicht auferlege, so werde doh hoffent- lih der Appell an ihren Gemeinsinn sie veranlassen, im öffentlichen Interesse ih derselben zu unterziehen, Als Ergänzung müsse neben dieser Lohnstatistik die Erhebung weiterer Ermittelungen über die ge- wohnheitsmäßige Lebenshaltung der Arbeiter und die in den Preisen der nothwendigen Lebensbedürfnisse fch ausdrücktende Kauskraft des Geldes einhergehen, die jedoch nicht durch die Berufsgenossen\chaften, sondern durch besondere Organe (Arbeitsämter) auszuführen seien. Schließlich richtete der Redner an das Reichs-Versicherung81mt die Bitte um thatkräftige Unterstüßung der gemahten Vorschläge.

Direktor Landmann hielt auch die Berufêgenossenschaften einzig und allein im Stande, für eine Lohnstatistik das nöthige Material zu liefern, glaubte aber der großen damit verbundenen Kosten wegen da- von absehen zu müssen, eine über das geseßlihe Erforderniß hinaus- gehende Statistik, welche sehr umfassend sein müßte, den Berufs- genossenschaften {hon jeßt zu empfehlen, so lange nicht von der Ge- sezgebung Anforderungen dieser Art an die Berufsgenossen\chaften herantreten, und stellt unter diesen Gesichtspunkten einen Antrag.

Präsident Dr. Bödiker erkannte mit den wärmsten Worten die Ausführung des Direktors Wenzel an und bezeichnete die Aufstellung einer solchen Lohnstatiftik als bahnbrehende That, jedoch könne das Reihs-Vecsicherungs8amt keinen Zwang auf die Berufs- genossenshaften ausüben, sondern müsse denselben volle Freiheit lassen, dieser Frage selbständig aus sich heraus näher zu treten. Eine der- artige Lohnstatistik würde der deutschen Arbeiterschaft durch den Ver- gleich mit rückwärtsliegenden Zeiten voraussihtlich den Beweis liefern, daß mit der fortschreitenden Entwickelung unserer Industrie die Steige- rung der Löhne die der Lebensmittel denn doch Überträfe

An der Debatte über die Lohnstatistik betheiligten fich noch General - Direktor Budag - Muhl und Reis (Straßburg), worauf \chließlich nach Verwerfung des Antrags von Landmann folgender Antcag des Referenten Direktor Wenzel und Budag-Muhl ange- nommen wurde:

„Den Aus\chuß zu beauftragen, der Durchführung einer von den Berufsgenossen\chaften zu bewirkenden Lohnstatistik die Wege zu bahnen und die ihm zu diesein Zweck gut scheinenden Schritte zu unternehmen.“

Direktor Max S chlesinger (Berlin) referirte alsdann über

Ecrichtung von Unfall - Krankenhäusern und Rekon- valescentenhäusern. Er wies auf die großen Vortheile für die Berufsgenossen\haften bei Errichtung eigener Krankenhäuser bin. Nibt minder warm wie für die Unfall - Krankenhäuser trat Redner für die Rekonvales.entenanstalten ein und legte dur ausführlihe Beispiele die Vortheile f\sowohl für den Rekon- valescenten wie für die Berufsgenofsenshaften dar. Auch empfahl er die Verbindung von medicomechanishen Instituten mit s\olhen Rekonvalescentenhäusern. SchließliÞh empfahl er den Berufs- genossenshaften die Benußung der bereits bestehenden Institute, die beispielsweise in Berlin und Breslau {hon bedeutende Erfolge aufweisen können. Den Ausführungen des Referenten stimmen die Herren Knoenagel (Brandenburg a. H.) und Dr. Lahmann zu, worauf des Ersteren Antrag: „Der Aus\{chuß des Verbandes der deutshen Berufsgenossenschaften wird vom Berufsgenosscnschaftstage damit betraut, thunlich#| umgehend in eine Erörterung darüber ein- zutreten, in welcher Weise am zweckmäßigsten der allgemeine Wunsch, Kranken- und Mekonvalescenten-Häuser Seitens der Berufsgenossen- schaften errihtet zu sehen, zur Durchführung gelangen kann,“ an- genommen wird. ___ Der Vorsitende referirte alsdann über einen Antrag auf Arbeitsvermittlung für invalide Arbeiter. Es wurde beschlossen, zunächst versuhêweise in Berlin eine Centralstelle für eine solhe Vermittlung und zwar für den Bezirk der Provinz Brandenburg zu errichten. Hinsichtlich der amtlichen Zusammen- stellung der Rechnungsergebnisse der Berufsgenossen- schaft gab die Versammlyung dem Wunsche durch Annahme eines Antrages Ausdruck, daß in der amtlihen Zusammenstellung der Rechnungsergebnisse der Berufsgenossenshaften niht bloß ein Vers aleih der Verwaltungskostea im Verhältniß zu der Zahl der ver- fiherten Löhne und Arbeiter, sondern auch im Verhältniß zu der Zahl der versicherten Betriebe und der Unfälle aufgenommen werde. ___ Der Vorsitzende referirte alsdann über die Errichtung einer Kranken- und Pensionskasse für die Beamten der Berufs- genossenshaften. Die Versammlung beauftragte den Aus\{uß auf Grund eines vorliegenden Statutenentwurfs, die Angelegenheit weiter zu verfolgen.

Als VerfammlungLtort für den nächsten Verbandstag rourde München bestimmt. An Stelle der statutenmäßig durch Ausloosung aus dem geschäftsführenden Aus\{uß ausgeschiedenen Beruf8genossen- schaften (Brauerei- und Mäl;erei-, Knappschafts-, Speditions- und Steinbruhs-Berufêgenofsenshaft) wurden wieder gewählt die Brauerei- und Máälzerei- und die Speditions-Berufsgenossenschaft, neu gewählt die See- und die Norddeutshe Edel- und Unedel-Metall-Berufs- genossenschaft.

Nach Swluß der Sitzung begab sich die Versammlung unter Führung des Bürgermeisters Bak nah dem Lovisa- Hospital zur Be- fihtigung des Rekonvalescentenhauses.