Jn dem Kaiserzelt versammelten sich der Reichskanzler, General von Caprivi, der Vize - Präsident des Staats- Ministeriums Dr. von Boetticher, die Staats-Minister von Maybach, Dr. von Goßler, Dr. von Scholz, Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen, von Verdy, der Haus-Minister von Wedell, - ferner der Staatssekretär Freiherr von Marschall, der General-Oberst von Pape, der Chef des Generalstabes Graf Waldersee, der kommandirende General des Garde-Corps “reiherr von Meerscheidt-Hüllessem, der Gouverneur des Jnvalidenhauses , General der Jnfanterie von Grolman, der Fommandant von Berlin Graf von Sc(hlieffen, der Comman- deur des Königin Augusta-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 4, Oberst Freiherr von Hammerstein-Loxten und viele andere Offiziere; ferner der Ober-Präsident Dr. von Achenbach, der Prä- sident des Ober - Kirchenraths D. Hermes, der Konsistorial- Präsident D. Hegel, der Ober-Hofprediger D. Kögel, Feld- provi D. Richter und zahlreiche Geistliche; der Präsident der Ministerial - Baukommission , Geheime Regierungs - Rath Kayser, der Polizei - Präsident Freiherr von Riht- hofen, der Ober - Bürgermeister von enter u. A. Auch das Central-Comité der „Deutschen Vereine vom Nothen Kreuz“ war durch eine Deputation vertreten. S
Um 9 Uhr erschienen im offenen Wagen Se. Majestät der Kaiser und König mit seinem Gaste. Se. Majestät hatte die Uniform des Königin Augusta - Garde-Grenadier- Regiments mit dem Bande des Schwarzen Adler-Ordens, der Kronprinz von Jtalien die Uniform seines Husaren-Regiments,
leihfalls mit dem Bande des Schwarzen Adler-Ordens, angelegt. Sm Kaiserzelt begrüßte Se. Majeiiät zunächst die bürgerlichen und firhlihen Gemeindekörperschaften; währenddessen leitete der Kirenchor der Zwölf - Apostelgemeinde unter dem Musik: Direktor Prüfer die Feier mit dem Gesange des 68. Psalms von Richterein. Unter Musikbegleitung sang fodann die Gemeinde den Choral „Lobe den Herrn“, wozcauf der Jnvalidenhaus- Prediger Dürselen über Römer 12, 12: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet“, die Festpredigt hielt. Es folgte die von den Schulkindern und Lehrern der Gemeinde gesungene Motette: „Herr, Deine Güte reiht so weit“ und die Verlesung der nachfolgenden Stiftungs- urkunde durch den Vorsißenden des Evangelish-Kirchlichen Hülfsvereins, Landes-Direktor von Leveßow:
„Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes
und des Heiligen Geistes!
Bei dem tiefen Schmerze, welwen Uns im Anfange dieses Iabres das unerwartete Hinsceiden Ihrer Majestät der Howfeligen Kaiserin und Königin Augusta, Unserer geliebten Großmutter, bereitete, regte sch in Uns der Wuns, daß es Uns vergönnt sein möchte, das An- denten der tbeueren Hecimgegangenen, wel@e Uns und Unserem ganzen Volke, namentli den Armen und Nothleidenden, so viel gewesen ist, aub dure ein sidtbares Zeichen für die fernere Zukurft fetzubalten.
Mir bofen im Sinne der Ents&lafenen zu bandeln, wenn Wir zu diesem Zwedcke den Bau ciner Kir&e wäblen; denn das Bild der Hotbseligen Kaiserin und Königin wird den lebenden und künftigen Geidlectern stets als die versönlide Vereinigung nie rastender Barm- berzigkeit und inniger Gottesfurcht vorshweben.
Zur Stätte, wo diese Kirhe sh erbeben sol, baben Wir den Invalidenpark autersehen. Hier liegt dieselbe dem Augusta-Hespital nabe, einer der ersten Schöpfungen, welche dur Ihrer Majestät un- ermüdlihe Liebesthätigkeit ins Leben gerufen find. Dort hat die Entiélafene au ratbend, tröôstend, belfend und Erkauung sucend im Leben oft geweilt. An den Invaliderpark und seine Umgebungen fnüvfen fi glorrei@e und ernste Erinnerungen aus Kriegs- und Friedenszeiten für Unser' Haus, Unser Voik urd Unsere Armee.
Es ift Uns wie ein leßter Liebesdienst der heimgeaangenen Kaiserin, daß die neue ibrem Gedächtniß geweihte Kirdbe einer Ge- meinde dienen soll, welche troß der großen Zakl ihrer Glieder noch kein eigenes Gotteshaus besißzt,. Mögen sich Kirhe und Gemeinde auf dem einigen Grunde erheben, welcher Jesus Christ us ist. Vêöge i der beilige Wuns des in Gott ruhenden greisen Heldenkaisers, daß dem Volke die Religion erhalten bleibe, je mehr und mehr in unserer ernsten Zeit erfüllen; mögen die erfreulihen Anfänge, welche in diesem Sinne in den leßten beiten Fahren und gerade in Unsercr Stadt in fast allen Kreifen hervortreten, dazu dienen, daß si die Reis- Hauptstadt ermanne, und alle guten Kräfte in Versöbnlickeit, Treue und Opferwillic kit zusammenwirken, damit die Volkémassen durch Anregung und Förderung des inneren kir{- lihen und cires wahrhaft chrisiliden in si zusammengebörigen Gemeindelebens dalin zurüdckgeführt werden, von wo schließlich doch allein wahres Glüdck, Segen und ZNufriedenbeit kommen.
Zum Bauberrn kben Wir den Engeren Ausschaß des von Uns vor zwei Jahren unter dem Vorsitze des Landes-Direktors von Leveßow begründeten Evangelish-Kirblichen Hülfévereins bestellt, wel@er nunmebr durch feine und vieler Freunde Thätigkeit in wenigen Monaten den Bau einer dritt er Kirche in und bei Berlin gesicert hat. Mit der Autführung des Baues is der Königlie Baurath Spitta, na dessen Entwurf die Kirche erribtet werden foll, betraut.
Heute nun an dem cinundsechs;igîten Jahrestage der Vermählung des Hotbseligen Kaisers und Königs Wilhelm I. mit der Erlauwten Entithlafenen, deren Andenk en wir feicrn, foll der Grundstein zu der neuen Kirche aclegt werden. Wir können dieser Feier niht beiwohnen, obne allen Denen kerzlich zu danken, vor Allem au der Erlauchten Towter der Howbseligen Kaiserin, Unserer geliebten Tante, der Groß- berzogin von Baden, welche durch reih?z Spenden die rashe Verwirk- lihung Unseres Gedankens gefördert baten.
Zuglei aber bestimmen Wir bierdur, daß die neue Kikhe den Namen „Gnaden-Kirhe“ tragen soll, in demüthiger und dankbarer Erinnerung an Unseres treuen Gottes wunderbare und zahllose Gnadenerweiungen, mit welchen Er in {weren und guten Tagen Unser Königliches Haus und Unser ganzes Volk gekrönet, und durch welche Er ganz besonders das erhabene greise Herrsherpaar Uns Allen hat ein Segen sein lassen. Gottes Gnade wollen Wir auch dur diese Kirde preisen und niemals vergessen, was Er uns Gutes gethan hat!
Gegeben zu Berlin, den 11. Juni 1890.
gez. Wilbelm, gez. Auguste Victoria, Deutscher Kaiser und König Deuts®be Kaiserin und Königin von Preußen. von Preußen, “
Während die Truppen präsentirten und die festliche Ver- sammlung das „Heil Dir im Siegerkranz“ anstimmte, {ritt der Kaiser hinunter zum Grundstein. Baurath Spitta überreichte Allerhöthstdemselben die Kelle, Propst Brückner den Hammer. Se. Majestät vollzog nunmehr die feierliche Einmauerung des Grundsteins und gab sodann mit den Worten „Glaube, Liebe, Hoffnung“ die drei ersten Hammerschläge; darauf that der Kaiser drei Schläge für die Frau Großherzogin von Baden, welche durch den Prälaten Dr. Doll einen kostbaren Kranz über- sandt hatte. Auch die Prinzessin Heinrih s{lug zweimal, einmal für Jhre Majestät, das zweite Mal für fi selbst. Es folgten dann die übrigen Prinzen und Prinzesfinnen und die Spigzen der Behörden. Während der Vollziehung der Hammerschläge wurden von dem Zwölf-Apostel-Kirchen- chor Choräle aus „Elias“ von Mendelssohn gesungen. Nah der Grundsteinlegung sprah Propst D. Brüdner das Schlußgebet und den Segen; gleichzeitig er- tönten vom Hamburger Bahnhof her 101 Kanonen- schüsse, von der dort aufgestellten Artillerie abgegeben.
Der Choral „Nun danket alle Gott“ beendete die weihevolle Feier. Erst nah längerem Verweilen verließen der Kaiser und die anderen Hohen Herrschaften das Zelt, um unter dem Jubel der Menge mit dem Kronprinzen von Jtalien wieder abzufahren. — Die Gedächtnißkirhe wird nach den Plänen des Bauraths Spitta unter Oberleitung des Regierungs-Baumeisters Kern ganz in Hausteinen ausgeführt. Es soll eine vielthürmige romanishe Anlage mit 1400 Siß- pläßzen werden.
Heute traten die vereinigten Ausshü}se des B undesraths für das Landheer und die Festungen, für Zoll- und Steuer- wesen und für Rehnungswesen sowie der Ausschuß für Handel und Verkehr zu Sizungen zusammen.
Der Kaiserlihe Minister-Resident in Tanger Graf von Tattenbach ist von der Gesandtshaftsreise an den Hof des Sultans von Marokko auf seinen Posten zurückgekehrt.
Der Königlih sächsishe Gesandte am hiesigen Allerhöthften Hofe Graf von Hohenthal und Bergen ist vom Urlaub nah Berlin zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Gesandt- schaft wieder übernommen.
Der französishe Botschafter Herbette ist nah Berlin zurüdckgekehrt und hat die Geschäfte der Botschaft wieder über- nommen.
Die General-Majors Ber g, Commandeur der 8. Königlich Bayerischen Jnfanterie-Brigade, von Raab, Commandeur der 6. Königlih Säcsishen Jnfanterie - Brigade Nr. 64, und Freiherr von Falkenstein, General à la suite Sr. Majestät des Königs von Württemberg und Commandeur der 52. Jn- fanterie-Brigade (2. Königlih Württembergischen), fowie der Geheime Kriegsrath H uth, Abtheilungs-Vorstand im Königlich Sächsischen Kriegs-Ministerium, haben nah Beendigung der Kommissione-Sißungen für eine neue Militär-Strafgerichts- Ordnung Berlin wieder verlassen.
Bayern.
München, 10. Juni. (Allg. Ztg.) Die Firmung der beiden ältesten Kinder des Prinzen und der Prinzessin Leopold vollzog der Erzbishof von Thoma gestern Vormittag 10 Uhr im Prinzlichen Palais. Der feier- lihen Handlung wohnten außer den beiden hohen Firmpathen, der Prinzessin Therese und der Erghericgin Valerie noch Se. Königlihe Hoheit der Prinz-Regent, die Prinzen und Prinzessinnen Arnulf und Ludwig Ferdinand, Prinz Alphons, die Prinzessinnen Elvira und Clara, die Prinzen Karl, Franz und Wolfgang, drei Söhne des Prinzen Ludwig, Herzog Max Emanuel mit seinen beiden Söhnen und Herzog Ludwig, sämmtliche höchste Herrschaften mit ihren Hoffstaaten, bei. Nach einer stillen Messe, welche Erz- bischof von Thoma unter Assistenz des Domvikars Brückl und des Stadtpfarre:s von St. Ludwig, geistlihen Raths Rathmayer, celebrirte, nahm der hohe Kirchenfürst nah einer längeren An- sprache die Firmung der Prinzessinnen Elisabeth und Augusta vor. Hierauf hielt der Prinz-Regent längeren Cercle, wobei die Firmlinge prähtige Andenken erhielten. — Gestern Nachmitiag besuhte Prinzessin Leopold mit ihren Familienangehörigen und Erzherzogin Valerie die greise Großmutter, Herzogin Maximilian, in deren Schlosse Possenhofen am Starnberger See. Heute Vittag mit dem Orient - Expreßzug fkehrte die Erzherzogin mit ihrem Gefolge über Simbah nach Fs{l zurück. Prinz und Prinzessin Leopold gaben der erlauhten Schwägerin bezw. Schwester das Geleit bis zum Centralbahnhofe. — Heute Abend begiebt sich Prinz Leopold zur Jnspektion der Garnison nah Neu-Ulm und nimmt, einer Alierhöchsten Einladung folgend, an der am Mittwoch stattfindenden Pa- rade Sr. Majeslät des Königs von Württemberg über die Garnison Ulm Theil. — Herzogin Clementine von
Sachsen mit ihrem Sohne, dem Prinzen Philipp, ist in j
vergangener Nacht hier angekommen und hat Absteigequartier im „Bayerischen Hof“ genommen.
— 11. Juni. (W. T. B.) Staats-Minister Freiherr von Luß hatte eine etwas ruhigere Naht, do dauern die beunruhigenden Erscheinungen von großer Shwäche fort.
Württemberg.
Stuttgart, 10. Juni. (St.-A. f. W.) Gestern Nach- mittag sind Jhre Königliche Hoheit die Herzogin Eugen Erdmann von Württemberg und Jhre Hoheit die Herzogin Luise zu Schleswig-Holstein und Gefolge wieder von hier abgereist. Zum Abschied hatte sfih auf dem Bahnhof Jhre Kaiserliche Hoheit die Herzogin Wera ein- gefunden, während Jhre Königliche Hoheit die Prinzessin Wilhelm den hohen Damen das Geleit bis Ludwigs- burg gab.
‘Baden.
Karlsruhe, 9. Juni. (Karlsr. Ztg.) Am Sonnabend Abend trafen Jhre Königlichen Hoheiten der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin aus Freiburg auf Schloß Baden ein. Heute Mittag kamen Jhre Königlichen Hoheiten die Groß- herzogin-Mutter von Mecklenburg-Shwerin und die Fürstin zu Wied, geborene Prinzessin der Niederlande, zum Frühstück zu den Großherzoglichen Herrschaften und verweilten bis Nachmittags im Schlosse. Abends 5 Uhr kehrten die Erbgroßherzoglichen Herrschaften nah Freiburg zurück. Am späteren Abend fand eine Hoftafel statt, zu welher unter Anderen der Oberst-Stallmeister von Rauh mit Gemahlin geladen waren. — Heute folgte Se. Königliche Hoheit der Großherzog einer Einladung des S&chwarzwald:Vereins zur Grundsteinlegung eines Aussihtsthurms auf der Badener Höhe, von wo Höchstderselbe Nachmittags heimgekehrt ist.
Der „Straßburger Post“ wird von hier Céebriébeu : „Die überaus herzlihe Aufnahme, welhe unser Großherzog auch dieêmal wieder in Straßburg gefunden hat, berührt hier sehr sympathisch ; sie beweist, daß die reine vaterländische Gesinnung des edlen Fürsten, die treue unablässige Sorge für sein Volk, sein unmittelbares Herantreten an die Volkskreise mit dem zwanglosen und eben durch die Unmittelbarkeit hin- reißenden Ausdruck seiner väterlichen und vaterländischen Denkart auch über die Grenzen Badens hinaus als ein Segen empfunden wird.“
— (Frkf. J.) Der Zweiten Kam mer ist heute ein Staats- vertrag zur Genehmigung zugegangen, der die Erbauung einer Bahn von Weinheim nah Fürth etrifft. Seitens des Präsidenten
| nit lange darauf zu warten haben.
i und
des Kultus-Ministeriums wurde mitgetheilt, daß er bereit sei, die Jnterpellation von Buol, die kirhlihen Verhältnisse der Altkatholiken betreffend, zu beantworten. Die Kammer beschloß heute über eine Petition der Ge- meinderäthe Ueberlingen, Stockach 2. um Erbauun; einer Scchmalspurbahn von Ueberlingen Se StoCach mit dem Bemerken, daß, Falls ein Unter- nehmer si finde, der einmalige Staatsbeitrag pro Kilometer wenn nöthig 25 000 4 betragen solle (jonst sind nur 20 000 M üblih). Jm Namen der Regierung erklärte der Geheime Referendär Zittel: die Regierung müsse sih freie Entschließung wahren, jedenfalls müsse erst nachgewiesen werden, daß die Bahn bestandsföhig sei. — Zahlreiche Petitionen um Hebung der mißlihen Lage des Wein- baues, Besteuerung des Kunstweines und Sieuererleihterung für den Rebbau wurden auf Vorshlag der Kommission der Regierung zur Berücfsihtigung überwiesen.
Sachsen-Coburg-Gotha.
Gotha, 10. Juni. (Goth. Ztg.) Se. Hoheit der Herzog hat gestern Mittag Reinhardsbrunn verlassen und sih über Georgenthal nah Oberhof begeben, von wo heute früh die Weiterreise nah Coburg stattfand.
Anhalt.
Dessau, 9. Juni. (Anh. St. - A.) Jhre Hoheiten die Erbprinzessin Leopold und die Prinzessin Antoinette Anna nebs Gefolge sind heute na Kopenhagen abgereist.
Reuß ä. L.
Greiz, 8. Juni. (Ger. Ztg.) Se. Dur@(laucht der Fürst ist gestern auf dem Schlosse in Schleiz eingetroffen und das Fürstlihe Hoflager nunmehr ven Schloß Osterstein dorthin verlegt worden.
Oesterreich-Ungarn.
Pest, 10. Juni. (W. T. B.) Jn der heutigen Sizung des Heeresausschusses der ungarishen Delegation gab der Kriegs-Minister eine allgemeine Uebersicht über die Politik, welhe ihn bei der Unterbreitung seines Budgets geleitet habe. Er bedaure erklären zu müssen, daß die militärishen Anforderungen vor der Hand nit reduzirt werden könnten. Seine ursprünglichen Forderungen seien höher gewesen, aber aus finanziellen Rüdcksichten bereits reduzirt worden. Die jezt zu leistende Arbeit sei eigentlich nur Flickarbeit, denn die Erfordernisse seien zahllos, während die verfügbaren Mittel nur beschränkt seien. Jn dem vorliegenden Budget seien nur die Fundamente nied:rgelegt, auf welhen in den nähsten Jahren weiter- zubauen sein würde. Bedeutende Erhöhungen würden unvermeidlich und voraussihtlich die Frage der Erhöhung des Friedensstandes zu erwägen sein. Die ganze Welt arbeite blos an der Hebung der Militärmacht, und darin könne Desterreih-Ungarn nicht ganz zurückbleiben, wenn es auch niht zu einer Kraftanstren- gung, wie beispielsweise das Deutshe Reih, fähig jei. Das vorgelegte Budget sei das äußerste Minimum, unter welches die Regierung niht herabgehen könne. Der Auss{uß nahm {ließli das Heeresbudget im Allgemeinen an und wird morgen in die Spezialdebatte eintreten.
Der Budgetausschuß der österreihishen Dele- gation verhandelte heute über das Marinebudget und nahm dasselbe unverändert an. Der Marine-Kommandant Admiral von Sterneck erklärte im Laufe der Verhandlungen : es würden zu Ende des Jahres 1890 und Anfang des Jahres 1891 drei Kriegsschiffe außerhalb des Mittelländishen Meeres segeln: eine größere Escadre werde demnächst die Häfen des Mittelländischen Meeres, Frankreichs, Englands, der Nieder- lande und Dänemarks berühren und bis Kiel gehen. Jm Inlande werde eine größere Torpedobootéflotille behufs Instruktion des Personals im Dienst gehalten. Größere Zeitungen seien mit Rücksiht auf die zu Gebote stehenden Mittel unthunlich.
Großbritannien und Frland.
London, 10. Juni. (W. T. B.) Jm Laufe der Debatte über den Bericht der „Schweißsystem“-Comités in der heutigen Sizung des Oberhauses erklärte Lord Ramsay: England habe allen Grund, mit den Ergebnissen der Berliner Konferenz zufrieden zu sein. Es sei befriedigend zu finden, daß England durch seine Fabrik- und Werksiättenaeseße in der Sorge um die Arbeiter Führer der civilifirten Welt gewesen sei. Wenn England versuhen würde, die Arbeitszeit der Männer, Frauen und Kinder noch mehr zu beshränken, #0 dürfte es unbewußt den Handel von den englishen Ufern treiben. Jn der Einstellung der frühzeitigen Ehen und in der besseren Erziehung seien die Mittel zur Hülfe zu suchen. Durch heroishe Mittel werde das Loos der Arbeiter nicht gebessert. Falls das Parlament durch Ausdehnung der bestehenden Ge- jeße das Loos der Arbeiter bessern könne, so würden dieselben
— (A. C.) Aus der Ansprache des Kaisers Franz Joseph an die Delegationen hebt der „Standard“ hervor, daß der Kaiser vor Allem Gewicht auf den unver- änderten Bestand des Dreibundes legte:
„So lange Deutschland, Oefterreich-Ungarn und Italien im Dreibunde vereinigt sind und auf die Seemacht Englands “als weitere Hülfe schauen — wenn dieselbe au nit förmli zu ibrem Beistande verpflitet, sondern nur wegen der Natur der Dinge an der Sicher- beit der genannten Staaten interessirt ist —, wird der Friede Europas nit gebro(en werden, oder die Friedensstörer werden ihre Strafe erhalten. Der fleinste Steuerzabler in den berührten Ländern bat deshalb Urjace, den Dreibund vnd das vortrefflide zwisben dessen Mitgliedern be- stebende Verbältniß zu segnen. Die Politik Desterreihs ifi klar, ver- ftändlid und über jeden Vorwurf erbaben. Sie ist eine konservative, friedliche Politik. Dieses mat die Versammlung der Delegationen und die Ansprae des aufrichtigen gewifsenhaften Herrsbers des Doppelreihs so inter:fsant für uns alle. Der Kaiser hat auch in diesem Iahr: mit seiner gewohnten Mäßigung und Gewichtigkeit geredet. Hat er einerseits nihts Neues angesübrt, so hat er anderer- icits arerfannten Wahrheiten und bekannten Thatsawen eine neue Besiegelung und Sanktion verliehen.“
Frankreich.
Paris, 10. Juni. (W. T. B.) Jn der Deputirten- kammer legte heute der Minister des Auswärtigen Ribot auf eine Anfrage Pichon’s die Gründe sowie die Bedingungen dar, unter denen Frankreih der egyptishen Konversion zugestimmt hätte. Der Minister verlas eine über diesen Gegenstand an die egyptishe Regierung gerichtete Note erklärte: die englishe Okkupation in Egypten
sei nur vorübergehend, und er zweifle nit daran, daß die englishe Regierung ihrem Versprehen der Räumung nachkommen werde. Ribot {loß: Frankreich wünsche mit England in den herzlihsten Beziehungen zu leben, aber es fönne nicht ohne Widerspruch zulassen, daß si England in Egypten festseze. Die französische Regierung lasse keine Gelegenheit vorübergehen, ohne von Neuem darauf zurückzukommen. (Beifall.) — Die Kammer nahm heute ohne Debatte den Zoll auf auswärtige Melasse, sowie ferner das Geseg über die Erhaltung der bedeutendsten Monumente der Ausstellung auf dem Marsfeld an.
Ftalien.
Ueber die neulichen Vorgänge in der Deputirten- kammer schreibt die „Pol. Corr.“: Die Entschiedenheit, mit welcher Hr. Crispi den radikalen Ausschreitungen entgegentritt, die Geschicklihkeit, mit welher er Freiheit von Zügellosigkeit zu unterscheiden und der leßteren Schranken zu seßen versteht, hat das Vertrauen in feine Regierungs- thätigkeit nur noch mehr befestigt. Das Treiben der Radikalen hat die von ihnen gewiß nicht beabsichtigte Wirkung erzielt, daß alle Freunde der Ordnung und einer gedeihlihen parlamentarischen Thätigkeit Hrn. Criëpi näher gerüdt sind. Namentlich gilt dies von der Rehten und dem rechten Centrum. Der Rechten wird die Annäherung an die Regierung durch den Rücktritt des Unter- Staatssekretärs im Ministerium des Jnnern Hrn. de Fortis erleichtert, den fie immer als ein Hinderniß der Verständigung dieser Partei mit dem Kabinet bezeichnet hat. Nunmehr trifft die Rechte ihrer großen Mehrheit nah Anstalten, si der bisherigen Regierungsmehrheit anzus(ließen. Gelingt diese Vers{melzung, dann wird die Regierungs- mehrheit fich von der Rechten (mit Ausshluß einiger Jn- transigenien) bis zur Linken (mit Ausnahme der Gruppen Nicotera und Baccarini) erstrecken Jedenfalls steht fest, daß die öffentlihe Meinung des Landes einer Vereinigung aller gemäßigt liberalen Elemente zu einer großen Partei nie günstiger gesinnt war als jeßt.
Belgien.
_Brüssel , 10. Juni. “(W. T. B.) Bei den heutigen Ersazwahlen zur Deputirtenkammer verloren die Liberalen ihren einzigen Siß in Gent. Die gesammte flerikale List in Gent wurde im erften Wahlgange mit einer Majorität von 500 Stimmen wiedergewählt. Fn Verviers verloren die Klerikalen einen Sig. Jn Soignies, Tournai und Lüttich wurden die Liberalen, in Alost, Audenaerde, Waremme und Hasselt die Klerikalen wiedergewählt. Fa Mons wurde die Liste der Liberalen mit einer Mehrheit von 700 Stimmen wiedergewählt. Fn Charleroi fiegten ebenfalls die Liberalen und verlieren die Katholiken zwei Siße. Fm Ganzen haben die Liberalen drei Siße gewonnen und einen verloren. Ln Thuin find zwei Stichwahlen zwischen Katholiken und Liberalen nöthig. j
Dänemark.
Kopenhagen, 10. Juni. (W. T. B.) Die Erb- prinzessin-Wittwe Elisabeth von Anhalt mit ihrer Tochter, Prinzessin Antoinette, ist heute Abend hier ein-
etroffen und von der Königin, dem Kronprinzen sowie L: anderen anwesenden Prinzen und Prinzessinnen empfangen worden. Die Erbprinzessin mit Tochter fuhren weiter nach Bernstoff.
Amerika.
Vereinigte Staaten. Washington, 10. Juni. (W. T. B.) Das O C En La L SOYEnE hat die Silber- vorlage an den Senat zurücgegeben, welcher sie seiner- seits an die Finanzkommission überwiesen hat.
Parlamentarische Nachrichten.
Jn der beutigen (14.) Sizung des Reichstages, welcher am Tische des Bundesraths der Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Staatssekretär d:s Reichs-Justizamts von Oehl- s{läger, sowie andere Bundesbevollmächtigte nebst Kommissarien beiwohnten, theilte der Präsident ein Schreiben des Reichs- kanzlers mit, wonach Se. Königliche Hoheit der Prinz- Regent von Bayern den Oberst Ritter von Haag zum Bundesbevollmächtigten ernannt habe.
Auf der Tagesordnung stand zunächst folgender Antrag der Abgg. Auer und Genofsen:
Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reiskanzler zu ersuchen, zu veranlafsen, daß
a. das gegen den Abgeordneten Stadthagen wegen Beleidigung des Bürgermeisters Wagner zu Liebenwalde und wegen Hausfriedentbruchs beim Königlichen Landgericht Berlin II anbängige Strafverfahren,
b. das gegen den Abgeordneten Smidt (Sachsen) wegen Be- leidigung des Redacteurs Kästners bei dem Königlichen Amtsgericht zu Burgstädt anbängige Privatklageverfahren
wäbrend der Dauer der gegenwärtigen Session eingestellt werde.
Rad kurzer Begründung durch den Abg. Singer beschloß der Reichstag dem Antrage gemäß.
Es folgte die erste Berathung des von den Abgg. Auer und Genossen eingebrahten Geseßentwurfs, betreffend die Ergänzung des Unfallversicherungsgeseßes vom 6, Zuli 1884.
Der Gesetzentwurf lautet:
Artikel 1.
Der §. 5 Absatz 2 Ziffer 2 erhält folgende Faffung:
92) in einer dem Verlezten vom Beginn der aier Taien Woche nach Éintritt des Unfalls, oder im Falle früberer Beendigung des Heilverfahrens von dieser Zeit an für die Dauer der Erwerbs- unfähigkeit zu gewährenden Mente.
Artikel 2. Hinter dem §. 6 wird paar Paragraph eingeschaltet :
. 6a. Im Falle der Tödtung eines Versicherten, welcher si bereits im Genuß einer ihm auf Grund dieses Gesetzes zugebilligten Rente befand, ift der zu leistende Ersaß der Beerdigungskoften, sowie die den Hinterbliebenen des Getödteten vom Todestage an zu ge- währende Rente niht nur na dem Arbeitsverdienst, welhen der Getöôdtete im letzten Jabre gehabt hat (§. 5 Abs. 3 bis 5) zu be- rechnen, sondern es ift bei der Berechnung die Summe des leßten Arbeiterverdienstes und der Ligagenen Rente zu Grunde zu legen. ifel 3,
Den Strafbestimmungen sind folgende Vors&riften beizufügen : N) Den Betriebsunternehmern und ibren Angestellten ift unter- sagt, dur Uebercinkunft oder mittelst Arbeitsordnungen die An-
wendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zum i
Versicerien ganz oder theilweife E gy iben Me der Uebernahme oder Ausübung eines in Gemäßheit dieses Gesehes ibnen übertragenen Ehrenamts zuz beshränken. Vertragebestimmun- gen, welche diesem Verbot zuwiderlaufen, kaben keine rechtlihe Wirkarg.
Betriebsunternebmer oder deren Angestellte, welche derartige Verträge ges{lofsen haben, werden, sofern nit nach anderen ge- seliden Vorschriften eine bärtere Strafe eintritt, mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Haft bestraft.
Die gleihe Strafe trifft:
1) BetriebEunternehmer, welche die von ibnen zur Deckung der Unfallerts&ädigurngen und Verwaltungékosten zu leistenden Beis träge, (§. 10) den von ibnen bes{äftigten Personen bei der Lohn- zahlung ganz oder ibeilweise in Anrehnung bringen,
2) Angestellte, welche eine solbe Anrechnung bewirken.
Zur Begründung dieses Antrages erariff das Wort Abg. Grillenberger. Derselbe erkannte an, daß das Unfall- versicherungëgeseß in mancher Beziehung günstig gewirkt habe, im Allgemeinen aber kämen die Beschädigten niht zu dem, was ihnen von Rechiswegen gebühre. Um diesen und anderen Uebelständen abzuhelfen, habe seine Partei sich entshlofsen, den vorliegenden Geseßentwurf einzubringen, zumal da von Seiten der Regierung in abseh- barer Zeit eine Aenderung des Unfallversiherungs- gesezes doch nicht zu erwarten sei. Eine Korrektur dieser Uebelstände sei fehr dringlih. Dies gelte inzbesondere von der Bestimmung hinsihilich der Auszahlung der Rente während der Karenzzeit. Es sei nothwendig, daß die Rente au schon während der Karenzzeit ausgezahlt werde, wenn die Heilung beendet sei. Ebenso dringlih sei die Abhülfe in den übrigen von dem Antrage vorgesehenen Fällen. Redner sute dies durch Anführung mehrerer Beispiele nachzuweisen, in denen nach seiner Meinung die Arbeiter besonders ge- schädigt find.
Staats-Minister Dr. von Boetticher räumte ein, daß das Unfallversicherungsgeses einer Korrektur bedürftig sei. Die verbündeten Regierungen gehen felbst mit der Absicht um, die Mängel dieses Geseßes einer Korrektur zu unterziehen, nicht nur in Bezug auf das V-rfahren bei der Feststellung der Unfallrente, sondern auch in Bezug auf die materiellen Be- stimmungen. Nur die Rüdsicht darauf, daß die Regierung bei der Dur{führung des Unfallverncherungsgeseges noch nit zu dem Ziele ‘vorgedrungen sei, welches sie sih gesteckt, habe die Regierung abgehalten, schon jeßt diese Korrekftur vor- zuschlagen. Er hofe, daß dem Reichstage schon in der nähsten Session ein Gesegzentwurf werden fönne, in welchem das Unfallversicherungsgeseß auf alle übrigen Bedürftigen, also auch auf das Handwerk und die Hausinduftrie ausgedehnt werde. Es fei nicht räthli, diese doch nur kurze Session mit den Aufgaben zu belasten, welche der Antrag dem Hause zumuthe, es würde dabei s{werlich etwas herauskommen. Er könne auch nit zugeben, daß vercinzelte Klagen aus den Berufskreisen den Anlaß böten, f{chon Diese Beschwerdepunkte fkönnten hang mit den übrigen, die rühren, erledigt werden. Da überhaupt die Dinge nicht so einfah lägen, wie man vielleiht glaube, so empfehle es fi, mit der allgemeinen Revision zu warten, die vielleiht {hon in der nächsten Session erfolgen werde.
_ Abg. Hempel crkennt die Revisionsbedürftigkeit des Ge- seßes an, es sei aber angemessen, eine Generalrevifion zu ver- anstalten.
Bei Sthluß des Blattes sprach der Abg. Roesike.
(Der Sgtlußbericht über die gesirige Sißung des Reichs - tages befindet fich in der Ersten B-ilage.)
füglich im
Zusammen- den Antrag gar niht be-
— Jn der heutigen (16.) Sißung des Herrenhauses, welher am Regierungstishe der Vize-Präsident des Staats- Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher beiwohnte, wurde zunächst mitgetheilt, daß der aus besonderem Königlichen Vertrauen berufene Kammergerichts-Präsident Drenkmann in das Haus eingetreten ift.
Auf der Tagesordnung stand zunächst der mündliche Bericht der Kommission für ten Staatshaushalts-Etat und für Finanzangelegenheiten über den Geseßentwurf, be- treffend die Feststellung eines Nachtrages zum Staatshaushalts-Etat für das Jahr vom 1. April 1890/91 (Gehaltsverbesserungen für Beamte u. s. w.), und die zu demselben eingegangenen Petitionen.
Der Berichterstatter Graf von Königsmarck-Plaue befürwortete in längerer Darlegung den Kommissionsantrag:
„Das Herrenhaus wolle beschl:eßen, dem vorgenarnten Gefey- entwurfe in der vom Haufe der Abgecrdneten beschlofsenen Faffung unverändert die verfcefsurasmäßige Zustimmurg zu ertbeilen.“
Zur Generaldiskussion sprach nur Graf Hohenthal, der einige in der Presse auf das Herrenhaus erfolgte An- griffe zurückwies und auf eine Biersteuer und auf das Tabacksmonopol als neue ergiebige Steuerquellen aufmerksam machte.
In der Spezialdebatte wurden die meisten Positionen des Nachtrags-Etats unbeanstandet erledigt. (Schluß des Blattes.)
(Der SWhlußberiht über die gestrige Sizung des Herren- hauses befindet sich in der Ersten Beilage.)
— Jn der heutigen (72.) Sißung des Hauses der Ab- geordneten, welher am Ministertishe der Staats-Minister Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen nebst Kommissarien bei- wohnte, stand an erster Stelle die dritte Berathung des Geseß- entwurfs über Rentengüter. i
Abg. von Kardorff erklärte sih gegen das Gese. Die Einführung von Rentengütern in Pojen und Westpreußen lasse durhaus feinen Schluß auf die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung für die anderen Provinzen zu, da der Staat selbst der Unternehmer sei. Die entstehenden Schul-, Kirchen- und Kommunallasten würden die privaten Gutsbesißer abhalten, von der Institution Gebrauch zu machen; es bleibe allein der Fiskus übrig. Für die Befiedelung der Hohmoore sei nun allerdings die Vorlage anwendbar; nach den bisherigen Er- fahrungen mit der Parzellirung von Domänen aber werde sie auf diesem Gebiete keinen Erfolg haben. Der Noth der Land- wirthschaft könne man mit einem solhen Geseß nit abhelfen, und es sei zu fürhten, daß nach Annahme desselben man glauben werde, eine große That für die Landwirthschast ge- than zu haben, und fich zunächst niht nah weiteren Maß- nahmen umsehen werde. Dies wäre {wer zu beklagen. Der Landwirthschast und dem Bauernstande könne nur durch Wieder- herstellung des Silbers als Münzmetall geholfen werden. Es sei zu bedauern, daß das Ministerium der Landwirthschaft der Währungsfrage gegenüber fich so zurückhaltend zeige;
vorgelegt |
eine baldige Wandlung in dieser Beziehung sei dringend zu wünschen.
Abg. von Rauchhaupt erklärte, daß die Konservativen
an den Beschlüssen zweiter Lesung festhalten, und widerlegte im Einzelnen die Bedenken des Vorredners. __ Staats-Minister Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen führte aus, daß ein Fonds zur Unterstüßung der Rentenguts- bildung zwar nit vorhanden sei, daß aber die beiden Häuser des Landtages zweifellos einer solhen Forderung zustimmen werden. Die Kommunalverhältnisse der Rentengüter würden na den schon jeßt geltenden Gesegesvorschriften geregelt wer- den. Jeder Grundbefizer sei in der Lage, nach Regulirung der Hypotheken von dem Gesez Gebrauch zu machen; der Staat werde es für die Moorkultur benußen. Ueber die Stellung des Ministers zur Währungsfrage sei Hr. von Kardorff fich eine Ansicht zu bilden niht in der Lage ge- wesen.
Abg. Humann bat, da die Kommissionsbeschlüsse abge- lehnt jeien, um die An: ahme eines inzwischen eingegangenen Vermittelungsantrages des Abg. Enneccerus, der vorschlägt, nur 1/19 der Reute ohne beiderseitige Uebereinstimmung unab- lösbar zu machen, daneben aber zu gestatten, auf 50 Jahre die Unablösbarkeit der ganzen Rente auszumahen. Wenn diese Aenderung nicht angenommen werde, müsse er gegen das ganze Geseß stimmen. /
Abg. Freiherr von Hammerstein legte dar, daß der Sachsengängerei dur - das Gese fein Abbrucb geschehen werde. Jm Osten ser der Kleinbesiß niht lebensfähig, die Schaffung lebeneunfähiger Besißungen fördere nur die Sozialdemokratie. Der Staat sollte im großen Stile Ländereien ankaufen und fko*onisfiren. Aufwendungen, wie sie für Posen gemacht sind, sollten im öffentlichen Fnteresse auch für andere Provinzen gemacht werden. Im Jahre 1879 habe das Landes - Oekonomie-Collegium die Einführung der Erbpacht erörtert, und jet nah 11 Jahren komme diese Vorlage. Es wäre zu wünschen, daß die agrarpolitishe Gescßgebung fo schnellen Schritt annehme, wie die Arbeitershußgesezgebung. Mit der Rententheorie allein könne der Landwirthschaft nicht geholfen werden; als Nodbertus fie aufstellte, habe er mit einer steigenden Grundrente gerechnet; jeßt falle sie. Ob sie dur die Doppelwährung steigend gemacht werden könne, sei zweifel: haft. Es bleive nur das Mittel, die Schulden des Grund- besizes abzulösen und den Grundbesiß unvers{Wuldbar zu machen. Die Jndustrie habe auch alles Jnterefse an einem unvershuldeten Grundbesiß, damit die Landwirthschaft um so billiger produziren könne. Diese Frage, die augenblidckli viel- leiht unreif ersheine, müsse und werde gelöst werden.
Bei S&luß des Blattes sprach Abg. Enneccerus.
(Der Schlußbericht über die gestrige Sizung des Hauses der Abgeordneten befindet fih in der Zweiten Beilage.)
jest die Korrektur vorzunehmen. |
— Die Arbeiterschußz- Kommission des Reichstages nahm gestern, wie wir der „Nat. Zta.“ entnehmen, S. 106 der Vorlage an. Zu einer langen Diskussion führte 8. 107, nah welchem das Arbeitsbuch nach rechtmäßiger Lösung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeiter das 16. Lebensjahr
noch nit vollendet hat, an den Vater oder Vormund, andernfalls an den Arbeiter selbsi au2gehändigt werden | soll, sofern nicht der Vater oder Vormund ausdrüdck- lich verlangt hat, daß das Arbeitsbu}h an ihn aus- werde. Mit Genehmigung der Gemeinde- j kann die Aushändigung des Arbeitsbuchs auch an die Mutter oder einen fonftigen Angehörigen oder un- mittelbar an den Arbeiter erfolgen. Die Sozialdemokraten beantragten einfahe Aufhebung aller geseßlihen Bestimmungen zur Führung von Arbeitsbüchern. Abg. Wöllmer wollte die Verpflichtung zur Führung von Arbeitsbüchern, statt, wie die Regierungsvorlage für alle minderjährigen Arbeiter, nur für die Arbeiter unter 18 Jahren beibehalten wissen, außerdem beantragte er, daß das Arbeitêsbuch auch bei Arbeitern unter 16 Jahren nur dann an den Vater oder Vormund ausgehändigt werden soll, wenn derselbe es ausdrüdlih verlangt. Die Abgg.Gut- fleishund Hähnle wollten als zuständige Gemeindebehördediejenige des Arbeitsortes bezeihnet wissen. Die sozialdemokratischen Redner bekämpften das Arbeitsbuch grundsätlih. Von anderer Seite wurde die Tendenz einer Stärkung der väterlihen Gewalt, welche die Regierungsvorlage verfolgt, vertreten. Bei der Abstimmung wurde der Antrag der Sozialdemokraten mit 18 gegen 9 Stimmen, desgleihen der Antrag Wöllmer mit 16 gegen 11 Stimmen abgelehnt, die Regierungsvorlage an- genommen. Als zuständige Gemeindebehörde wurde auf An- trag Stumm diejenige des Orts, an welhem der Arbeiter zuleßt seinen dauernden Aufenthali gehabt hat, bezeichnet. Die folgenden Paragraphen gelangten mit unwesentlichen Aenderungen in rascher Aufeinanderfolge zur Annahme. Be: S. 113, welcher das Recht der Arbeiter ausspriht, bei ihrem Abgange ein Zeugniß zu fordern, beantragten die Sozial- demokraten einen Zusaß, welcher jede Kennzeihnung, die dem Arbeiter in seinem Fortkommen hinderlih sein könnte, unter- sagt wissen will. Als solhe Kennzeihnung sollen auch die von Unternehmerverbänden und Fnnungen ausgehenden Arbeits- bücher und Arbeitsscheine betrachtet werden. Die Debatte hierüber kam indeß gesiern noch nicht zu Ende.
gehändigt | behörde
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Kunft und Wissenschaft.
* Wie verlautet, hat die Akademie der Künste als solhe fich in einer Eingabe an Se. Majestät den König gewendet, um eine Sicherung ihrer Jnteressen an dem Grund- stück zwishen Unter den Linden und Dorotheenstraße zu erlangen.
__* Wie wir hören, wird die Verbindung für historishe Kunst, welhe den Zwedck hat, geschichtlihe Ge- mälde zu erwerben oder zu bestellen, ihre diesjährige (23.) Hauptversammlung am 13. und 14. Funi in Bremen abhalten.
Land- und Forftwirthschaft.
Dem Bericht des Landwirtbschaftlihen Bureaus in Wasbington für den Monat Juni zufolge beträgt das Durch- s&nittäarcal für Baumwolle 101, der Duarbschnittsstand 8810. Die Pflanze ift allgemein bei rasem Wachsthum ge*und. Der Stand des wachsenden Winterweizens bat si seit dem 1. Mai von 80 auf 781/10 versblechtert; der Durcschnittsstand für Frühj1brsweizen ift 912/10. Das Areal für Hafer beträgt 987/10, der Stand 898/10, Gersteareal 981/10, Stand 86/10, Roggenareal 98°/19, Stand 922/10,