1890 / 152 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Jun 1890 18:00:01 GMT) scan diff

für das dritte Jahr niht jeder Militärpfliht entbunden, sondern nur zur Disposition beurlaubt. Jeder dieser 6000 Mann kann au im dritten Jahre zum Dienst heran- ezogen werden, wenn aus irgend einem Grunde, z. B. bei Manövern oder in Folge regelmäßigen Abganges durch Tod U. s. w. eine Verstärkung der Cadres erforderli wird. Wir haben ja au aus den mitgetheilten Zahlen er- sehen, daß 5000 solher Urlauber im Lause des Jahres wieder eingezogen werden. Nun ift das allerdings nur ein Prozent- saß von der Gesammtheit der Urlauber, aber die Möglichkeit, zu denjenigen zu gehören, die im dritten Jahre wieder ein- ezogen werden, trägt eine Unsicherheit in die gen bürgerli@hen Verhältnifse, auch der Entlassenen. Deshalb sind auch diese 6000 Mann Erleichterung nicht so vollwihtig, wie es ziffermäßig angesehen werden könne. Das gesammte Jahreskontingent beträgt 180 000 Mann, die Erleichterung kommt also nur einem Dreißigstel zu gute. Bei der Jnfanterie betragen die Urlauber, da das jährliche Jnfanteriekontingent fich auf über 100 000 Mann beziffert, etwa 35 Proz. Rechnet man zu den 35 000 Urlaubern die 6000, d. h. 6 Proz. hinzu, so ergiebt das im Ganzen 41 Proz., und es bleiben noch 59 Proz., aljo drei Fünftel des ganzen Jahreskontingents, die zu drei- jähriger Dienstzeit verurtheilt sind. Wie weit ist das entfernt von der geseßlichen Einführung der zweijährigen Dienstzeit. Je mehr wir uns mit der Sache beschäftigt haben, desto mehr haben wir ge- funden, daß, weit über unsere Erwartung hinaus, die For- derung der zweijährigen Dienstzeit einen Widerhall in den weitesten Schichten des Volkes hat. Aus zahlreichen Zuschriften erfahre ih, daß gerade die Dreijähriggedienten die Ueberzeu- gung in den Kreisen des Volkes verbreiten, wie überflüssig und entbehrlih das dritte Jahr ist. Die zweijährige Dienstzeit ist überaus populär. Die Einrichtung der Dispositionsurlauber ist gar nit populär, weil sie Niemand bis zum leßten Tage des dritten Jahres eine Sicherheit giebt, ob er wirklih unter den- jenigen sein werde, die von demdritten Dienstjahre entbunden find, und doch giebt nur diese Sicherheit die Möglichkeit, sih in den bürgerlihen und wirthschaftlihen Verhältnissen einzurichten, seinen ganzen Bildungsgang mit den militärishen Forde- rungen in Uebereinstimmung zu bringen. Die Einrichtung der Dispositionsurlauber schaft weit mehr Unzufriedenheit bei denjenigen, welche im dritten Jahre zurückbleiben, als sie m mit sich bringt bei denen, denen das dritte

ahr erlassen wird. Also im Verhältniß zu dem, was wir verlangen, i das, was der Reichskanzler angeboten hat, ein Linsengeriht, und wenn wir darauf eingehen sollten, würde man in weiten Kreisen des Volkes versucht sein zu glauben, daß es uns überhaupt an dem noth- wendigen Ernst bei dieser Sertuns gemangelt hat. Man würde mit einem freikonservativen Abgeordneten in der Kom- mission sagen, fie sei aufgestellt gewesen, ut aliquid fecisse videatur. Was der Reichskanzler angeboten hat, kann nur für diejenigen ausreihen, die {on zu neunundneunzig Hundertstel von der Vortrefflihkeit der Vorlage überzeugt waren, für diejenigen, die bereit waren, einzuschlagen in die ganze Hand, auch wenn nur die Spitze des kleinsten Fingers geboten wird. Nun hat der Abg. Dr. Windthorstin der sicheren Vorahnung dessen, was der Reichskanzler sagen wird, geäußert, die größere Zahl der Dispositionsurlauber wäre ein erheblicher Schritt auf der Bahn zum zweijährigen Dienst. Jh würde mich darüber sehr freuen, aber ih vermag das nicht anzuerkennen. Das System der Dispositionsurlauber gehört niht zu dem System der zwei-, sondern der dreijährigen Dienstzeit. Es ist das Mittel für das leßtere System, sich zu akkommodiren gegenüber den veränderten Finanz- und sonstigen Ver- hältnissen. Ohne die Diensturlauber wären wir die drei- jährige Dienstzeit längst los geworden. Dies is that- sächlich eine Befestigung der dreijährigén Dienstzeit. Es wäre ja anders, wenn es fich hier um große Ziffern handelte, um 24 000 Mann Urlauber, wie der Abg. Hiße in der Kommission angedeutet hat. Unter der Herrschaft der dreijährigen Dienst- zeit haben wir schon viel höhere illern von Urlaubern gehabt, als jeßt einshließlich der 6000 Mann. Vor 1875 betrug die Zahl der bei der Jnfanterie Beurlaubten mehr als die Hälfte, und selbst nach Einführung des ersten Septennats war die Zahl noch größer, als sie jeßt werd:n soll, Eine Vermehrung der Dispesitionsurlauber fönnte man als einen wenn au kleinen Schritt auf der Bahn zur zweijährigen Dienstzeit an- sehen, wenn der Reichskanzler über die Einführung der zwei- jährigen Dienstzeit gewisse Zusicherungen für die Zukunft gäbe. Statt dessen hören wir nur das Nein, und welche Kluft selbst in Bezug auf die volkswirthschaftilihen An- shauungen, die hierbei in Frage kommen, uns trennt, haben ja die Ausführungen des Hrn. Vogel von Falckenstein in der Kommission überzeugend dargethan. Die Zukunftspläne für das Heer hält der Abg. E O für auf- gegeben, wodur denn? Durch seine Rejolutionen? Dec Reichékanzler hat die Windthorst'shen Resolutionen keineswegs freundlih behandelt. Er hat fie eingehend fkritisirt und namentli bci den Zukunftsplänen mit dem Abg. Windthorst

éerehtet, was unershwingliche Lasten seien. Die Hercen Militärs im parlamentarischen Leben wissen sehr genau, was fie sprechen, am wenigsten von ihrer Seite wird ein Wort

esagt, das niht genau vorbedacht is. Alles, was ie über die Zukunsftspläne gesprochen, isst auch wohler- wogen, so sehr man sich auch auf der rechten Seite be- müht, das als bedeutungslos hinzustellen. Die Herren haben wohl gewußt, daß sie mit diesen Plänen die Annahme der gegenwärtigen Vorlage sih nicht erleichtern, und wenn sie sie denno geäußert haben, so beweist das den vollen Ernft, der fie bei diesen Plänen besee't. Man hat gesagt, bei den Zukunfts- plänen würde man Konzessionen gewähren. Wenn die gegen- wärtige Konzesfion präjudizirt werden soll, so würde si bei 55 000 Mann nur eine Konzession von 18 000 Mann ergeben. Wenn man auf diesem Wege die zweijährige Dienstzeit durc- führen wollte, so müßte auf demWege der Kompensation erst eine Herresverstärkung von 3 55 000, also 165 000 Mann eintreten, Schon wegen der Uebergangsverhältnisse belastet diese Vorlage uns sehr star®. Will man die 18 000 Mann mehr schaffen indem man fie auf einmal einstellt, wee ia nur 6000 eingestellt werden? Wie denkt man sich das namentlich bei der Artillerie? Sollen mehr Mann hier auch nach dem dritten Fabre zurückbehalten werden? 12 Millionen werden in dem

achtrags-Etat, wie durch die On geht, für außer- ordentlihe Uebungen der Reservisten von 13—14 Tagen ver- langt. Das bedeutet eine außerordentlihe Einziehung von 600 000 bis 700000 Mann und allein für dieses Jahr außerhalb dieser Vorlage eine Verstärkung der Friedenspräfenz um 60—70 Tausend Vann. Der Herr Reichskanzler meinte, «Gr. Rickert habe die Nothwendigkeit der Vorlage anerkannt. del: Abg, Rickert hat mih bevollmähtigt zu erklären, daß er

diese Nothwendigkeit mit keinem Worte anerkannt hat, viel- leicht ist das Mißverständniß dadur entstanden, daß er sagte, selbst wenn ih die Nothwendigkeit anerkennen wollte, so kämen noch diese“ und diese Gründe in Betraht. Jch habe allerdings die militärishe Nothwendigkeit durhaus nit in dem Maße anerkannt, wie es bei dem Abg. Windt- horst und anderen Mitgliedern der Kommission der Fall ge- wesen ist. Der Abg. Windthorst beruft sich darauf, daß wir die Corpsstäbe bewilligt haben. Wir haben dieselben bewilligt, E der Kriegs-Minister erklärt hat, daß dieselben in dem Rahmen der früheren Friedenspräsenzstärke gebildet werden kfönnten. Der Abg. Windthorst ist also ministerieller als der Minister selbst. Der Abg. Windthorst hat ordentlih gruselig gemaht. Er hat von der Nothwendigkeit gesprochen, für die Ehre und Sicherheit des Vaterlandes einzutreten. Der Feind würde sonst ins Land hereinbrehen. Das war gesprochen, wie die Wahlredner der Kartellparteien 1887 gesprochen haben. Das Volk ist inzwischen ruhiger und ver- nünftiger geworden, Das Angstprodukt ist- geshwunden und ein Abgeordneter hätte keinen Grund, die Angst zu Ns wie der Abg. Windthorst es gethan hat. Der Abg. Windt- horst hat von einem Konflikt gesprohen. Die Regierung hat das Wort niht in den Mund genommen und Keiner von der rechten Seite. Der Abg. Windthorst hätte kein tak- tisches Jnteresse. daran gehabt. Er spriht von den Leuten, die niht wüßten, was sie thäten. Was weiß er denn mehr?

Dann heraus mit der Sprache! Und alles das sagte er gegen

das Dreigestirn einer sozialdemokratishen Zeitung, ich weiß nit, welche er gemeint hat, der „Frankfurter Zeitung“ und der „Freisinnigen Zeitung“. Seit wann hält er es für nöthig, fih gegen drei Zeitungen zu wenden? Nein, diese Rede brauchte er gegen seine Partci, um dort den Widerspruch und die mgen Bedenken niederzukämpfen. Deswegen die Malerei des Konflikts, die Angstmalerei, daß es Manchem dabei s{chwer wird, die Vorlage sogleih zu prüfen. Daß die Franzosen im Frieden mehr Militär haben als wir, ist doch keine Thatsache, die heute zum ersien Mal bekannt wird. Es kommt doch nit dart an, wie viele Soldaten auf dem Paradeplayß stehen, sondern wie viel auf den Kriegs- plan gestellt werden. Kennt der Abg. Windthorst die Zahl unserer Feldbatterien? Jch kenne fie, aber ih sage sie nicht. Jh sage sie nicht, weil ih verpflichtet bin, sie geheim zu halten. Jh halte mich an das, was hier öffent- lich von dem Kriegs - Minister verkündet worden ist. Der Kriegs - Minister von Bronsart sagte 1889, als wir die 3000 Artilleristen und 4000 Pferde bewilligten, daß diese Bewilligung bis 1894 ausreihen und weiteres für die Artillerie niht werde verlangt werden. Also könnte von mili- tärisher Seite nur mehr verlangt werden in dem Verhältniß, als in den Nachbarstaaten seitdem mehr Artillerie ge|chaffen worden ist. Nicht 70, sondern 19 französishe Batterien Feld-Artillerie sind seitdem mehr geschaffen worden. Wenn ih auch außer Betracht lasse, daß diese 19 Batterien durch Vermehrung der italienishen Batterien hervorgerufen find, so könnte ih doch nur zu einer Mehrbewilligung von eben nur 19 Batterien kommen. Diese 19 Batterien könnte man aber aus der Ersparniß der 6000 Dispositionsurlauber herstellen. Geseßt, ih erkenne die Vermehrung der Artillerie als nothwendig an, dann kann ih doch die Bedingung daran knüpfen, daß anderes minder Nothwendiges als die Artillerie eingeshränkt wird, um das unbedingt Nothwendige durchführen zu können. Wir haben ja in der Kommission angedeutet, wo diese Ersparnisse gemacht werden können. Wenn es unbedingt nothwendig is, diese Batterien zu be- schaffen, so würden fich in dem g-coßen Rahmen des Militär - Etats von über. 300 Millionen mit Leichtig- keit die 6—7 Millionen dafür finden. Jch kann nicht genau ausrehnen, was 6000 Mann Gemeine weniger zu unter- alten, für eine Ersparniß bringt. Jch glaube, nit über Millionen. Jedenfalls ist die Ersparniß nicht so groß, wie die eines einzigen Monats Non Diese Vorlage verlangt einen Mehraufwand von 18 Millionen Mark, und wenn man auch, wie 1ch hoffe, an den Unteroffizierprämien etwas abzieht oder sie gar niht bewilligt, so kommt anderer- seits die Steigerung der Zinslast aus dem Extraordinarium hinzu, der Mehraufwand wird also immer auf 18 Millionen zu schäßen sein. Eine Ersparniß von 2 Millionen bedeutet a:so nur !/g. Das ifi doch ein Tropfen auf den heißen Stein unserer Finanzen. Wer sie ungünstig anfieht und niht die Verantwortlichkeit für neue Steuern übernehmen will, fann deshalb nicht darum der Vorlage zustimmen, weil die Mehrbelastung um 2 Millionen erleihtert wird. Der Schaßsekretär sagt uns in der Kommission, er beschäftige sich schon ausreihend mit neuen Steuervorlagen für das Reih und für Preußen, und forderte uns auch auf, ihm Artikel, auf die noch Steuern gelegt werden könnten, namhaft zu machen und seiner Phantasie zu Hülfe zu kommen. Leibhaftiger kann uns doch nit vorgemalt werden, was uns bevorsteht. Es ist uns s{harf zu Gemüthe geführt worden, daß wir durch die Annahme der Vorlage einen Wechsel auf neue Steuern ausstellen und daß wir auf eine Ermäßigun der Kornzölle verzihten. Der Abg. Windthorst hat heute na dem neuen Finanzplan gefragt und eine Zusammenkunft der Finanz-Minister der einzelnen Staaten gewünsht. Jch bin gar niht neugierig auf den ganzen Finanzplan. Das if doch nur ein Euphemismus für neue Steuerobjekte. Die Phantasie des einen Finanz-Ministers wird die des anderen unterstüßen, um zu neuen Steuerprojekten zu kommen. Nun sollen wir in Preußen einen neuen Finanz- Minister bekommen, das kann mich garnicht beruhigen. Mir ist ein alter Finanz-Minister viel lieber als ein neuer, denn einen alten, dessen Kräfte erschöpft, defsen Phantasie nicht mehr so lebhaft ist, kann ich mir viel eher gefallen lassen. Auch bier gilt das Sprihwort : neue Besen kehren gut. as erst ein neuer Finanz - Vinister leisten wird, kann man sih denken. enn der neue Finanz- Minister auch niht aus den Konservativen genommen wird, wenn selbst ein Konservativer niht ausreiht, um die neuen Steuern zu schaffen, die nöthig sind, wieviel mag dann aus dem Programm werden, nachdem wir gesehen haben, was ein konservativer Finanz-Minister an neuen Steuern geleistet hat! Der Abgeordnete Windthorst legt großen R auf seine Resolutionen, aber die Art, wie der Reichskanzler dieselben behandelt hat, hat die Werthschäßung derselben nicht er- BA Eine solche Resolution ist ein Monolog, so lange die egierung fich nicht zustimmend erklärt. Die Kesolutionea sind allerdings eine Kundgebung des Reichstags für die Zukunft ; nah dem, was der Reichskanzler heute sagte, kann ih fie aber nicht übershäßen. Der Abg. Windthorst Ä t, daß wir seit der Gründung des Reichs mit zu großer Freigebigkeit gewirth-

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schaftet hätten und nun sparen müßten, und s{ließlih bewik- ligt er diese 18 Millionen. Diese Mahnung stärkt mich in meiner ablehnenden Haltung, zumal die Konzessionen des Reichskanzlers“ unerheblih find. Nach -den kolossalen Bewilli- gungen für Heer und Marine in den pen vier Jahren ist die Ehre und Sicherheit des Vaterlandes, die mir nicht minder am Herzen liegt wie jedem Andern, in feiner Weise gefährdet, wenn wir hier einmal deutlih sagen: Bis hierher und nicht weiter ! i Bundeskommissar Major Gaede: Jh muß einige Zahlen des Abg. Richter über die Mehrbeurlaubungen - rihtig stellen. Die Etatsstärke der deutschen Jnfanterie an Gefreiten und Ge- meinen beträgt 261 000 Mann. Daher müßten bei voller dreijähriger Dienstzeit jährli 1/3. und ein gewisser Prozentsaß für Abgange eingestellt werden, macht 92000 Mann. That: sächlich stellen wir jährlih 109 672 Rekruten ein und in drei

hren zusammen 313 000 Mann. gigen Sie davon die

atsstärke von 261 000 Mann ab, jo ergiebt si, daß wir alle Jahre bei der JFnfanterie und den Jägern 52 000 Mann zur Disposition beurlauben. Zu diesen Mannschaften follen eßt noch die 6000 Mann hinzukommen, von denen der Reichs- Foia sprach, ohne Bezug auf die 18 000 Mann, die jeßt mehr gefordert werden, also h also etwa ein Achtel mehr von den bis jezt Beurlaubten. Bei

weijähriger Dienstzeit müßten wir die Hälfte der Etats-

ärke der Jnfanterie und Jäger jährlih ‘an Rekruten ein- stellen, also 135000 Mann, d. h. gegenüber den vorher er- wähnten 109 000 Mann 26 000 mehr. Wie die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke im nächsten Her st gewonnen werden soll, ist in der Kommisfion und in der Begründung der Vorlage aus- einandergesezt worden, nämlich im Wege der regel- mäßigen Rekruteneinstellung. Die Ziffer der Mannschaften, welche Behufs Ausbildung mit dem neuen Gewehr zu Uebungen eingezogen werden follen, werden die Herren auch in der Vor- lage, die noch dem Bundesrath vorliegt, nicht finden, weil es niht in unserem Jnteresse liegt, diese Ziffer dem Auslande darzulegen. Fn der Kommission werden die erret fie genau erfahren, und ich kann versichern, daß die Ziffer, die der Abg. Richter angegeben hat, sehr erheblih zu hoh gegriffen war.

Ein Vertagungsantrag wird angenommen.

Abg. R ickert verwahrt sich in einer persönlichen Be- merkung dagegen, daß er die Nothwendigkeit der Vorlage an- erkannt hätte. Er habe nur gesagt, er möchte gern die Gründe der Militärverwaltung über die Vermehrung der Artillerie anerkennen, aber die militärishen Gründe könnten nit allein entscheiden, sie seien auch niht überzeugend, besonders nicht für die sofortige Bewilligung.

Schluß 48/4, Uhr.

Die Rede, welche der Staatssekretär Freiherr von Marschall in der gestrigen Sißung des Reichstages bei der 3. Berathung des Gesezgentwurfs, betreffend die Jeststellung eines Nachtrags zum Reihshaushalt3- de für das Etatsjahr 1890/91, hielt, hatte folgenden

ortlaut:

Meine Herren! Seit der leßten Lesung des vorliegenden Nach- trags-Etats ist, wie Sie wissen, eine Thatsache eingetreten, welche für die zukünftige Entwickelung unserer oftafrikanishen Kolonialverhält- niffse von schwerwiegender Bedeutung fein wird! es ist das im „Reichs- Anzeiger“ veröffentlichte deutsh-englische Einverständniß Die Sate liegt im Augenblick so, daß das über die allgemeinen Gesihtspurkte erzielte Einverftändniß demnächst durch gegenseitigen Notenaustausch zwischen den beiderseitigen Regierungen amtlih festgestellt werden wird, daß nebenher zur Zeit Verhandlungen über mehr oder minder wichtige Einzelheiten im Gange find, nach deren Abschluß ein förmliches, alle Punkte ums\{ließendes Uebereinkommen in Ausficht genommen ist. Von diesem Uebereinkommen ift ein wihtiger Punkt dem englischen Parlament zur Entscheidung zu unterbreiten, und je nach dem Ausfall dieser Entscheidung wird über denselben Punkt eine Vorlage an den ReiéSstag gelangen. Welcher Zeitraum erforderlich sein wird, um diese verschiedenen Stadien zu durchlaufen, kann ih im gegenwärtigen Augenblick mit Bestimmthbeit nicht sagen; die Möglichkeit ift nicht ausgeschlofsen, daß diese Vorlage noch an den gegenwärtig tagenden Reichêtag gelangt, :

So begreiflich es auch \chiene, wenn in dem hohen Reichstag der Wunsch bestände, sofort bei dieser Vorlage in eine Diskussion der wichtigen Angelegenheit einzutreten, so bin ich doch des vollen Ver- ständnisses gewiß, wenn ic erkläre, daß in diesem Augenblick, Angesihts der gegenwärtigen Sachlage, da Verhandlungen noch im Gange find und wichtige Vorausseßungen noch der Erfüllung harren, eine Diskussion über die Einzel- heiten unseres Abkommens mit England unerwünsht und unter Umständen für deutsWe Interefsen nachtheilig sein würde. Die Vertreter der verbündeten Regierungen würden in diesem Moment nit in der Lage fein, jenes Abkommen nach allen Richtungen hin zu begründen, das gesammte Material vorzulegen und alle die Auf- klärungen zu geben, die zur Bildung eines zutreffenden, unbefangenen Urtheils nothwendig sind.

Wenn ich hiernach an Sie, meine Herren, die Bitte richte, heute nicht in eine Diskussion des deutsh-englishen Abkommens einzutreten, fo glaube ich der Erfüllung derselben um fo sicherer zu sein, als ja dieses Abkommen auf die finanziellen Bedürfnisse des laufenden Etats einen Einfluß nit ausüben wird, und als die verbündeten Regierungen durch dieses Abkommen das ernste Bestreben bekunden, einem Wunsche entgegenzukommen, der von allen Seiten des Hauses bei der früheren Berathunglgeltend gemacht wurde, vielfach fogar in der Form einer Bedingung der Bewilligung, daß wir nämli sobald als mög- li mit einem bestimmten G bezüglih der weiteren Entwickelung der ftolonialen Verhältnisse in Oft - Afrika hervorträten. Die Grundlage für solch_ einen Plan, die Grundlage für Ver- handlungen mit der Ostafrikanishen Gesellshaft bilden eben die Abgrenzungen der Interefsensphären. Nachdem dieses Abkommen ge- troffen ist, kann ih nur mit voller Bestimmtheit die Zusicherung wiederholen, daß die verbündeten Regierungen Ihnen in der nächsten Seïsion einen folchen Plan vorlegen werden. Ich kann die Zusicherung beifügen, daß dieselbea entschlossen sind, die Interessen der Finanzen des Reichs und die Interessen der Steuerzahler in vollem Maße zu: berüdtsichtigen.

j att der bisherigen 52 000 Mann 58 000,

“Übergetreten.

avilligt.

‘bur

M 152.

Personalveränderungen.

Königlich Preuftische Armee.

Ernennungen, Beförderungen und Versezun en Im aktiven Heere. Neues Palais, 14. Juni. In el, Zeug-Pr Lt. vom Art. Depot in Kafsel, Möller, Zeug-Pr, Lt. vom Art. Depot in Torgau, zu Zeug-Haupileuten, Swhulze, Zeug- t L: alu e t in Iteisse, Wendt, Zeug-Lt. vom Art. Depot

aßmann, rt. Depot ei Zeug-Pr. dis. bede j V L M Mn eue alais, 17. i. Fabland, Sec. Lt. vom y Regt. Graf Werder (4. Rhein.) Nr. 30, in das Inf. Regt. von od: tein (Schleswig.) Nr. 84, Klemme, Sec. Lt. vom Kurmärk. Drag. Regt. Nr. 14, in das Ulan. Regt. von Katler (Schles.) Nr. 2, ver- feßt. v. Eberhardt, Hauptm. und Comp. Chef vom 3. Garde- Regt. zu Fuß, unter Ueberweisung zum Großen Generalstabe, in den Generalstab der Armee, v. Bismarck uptm. à la suite des Inf. Regts. von Grolman (1. Posen.) Ñr. 18, unter Entbindung von dem Kommando als Adjut. bei der 35. Inf. Brigade, als Comp. Cbef in das 3. Garde-Regiment zu ß, verseßt. Weg- ner I., Premier-Lieutenant vom Infanterie-Regiment von der Marwitz (8. Pomm.) Nr. 61, als Adjut. zur 35. Inf. Brig. kommandirt. v. Oppeln-Bronikowski, Pr. Lt. vom Füs. Regt. von Gers- dorff (Hess.) Nr. 80, in das Inf. Regt. von der Marwitz (8. Pomm.) Nr. 61 vers Priebsh, Sec. Lt. vom Inf. Regt. von der Marwig (8s. Pomm.) Nr. 61, zum überzähl. Pr. Lt. befördert. Graf Finck v. Finckenstein, Pr. Lt. vom Regi. der Gardes du Corps, dem Regt., unter Verleihung des Charakters als Rittm., aggregirt. Graf v. Seherr-Thoß, Sec. Lt. von dems. Regt., zum überzähl. Pr. 2 Bai Eu D eues Palais, . Juni. v. Gersdorff, Hauptm. und Comp. Chef vom 2. Thüring. Inf. Regt. Nr. 32, unter weiterer Belassung in dem Kommando zur Dienstleistung bei dem Kriegs- Minifterium, à la suite des Mets, gestelk. Kettler, Pr. Lt. À la suite des 6. Thüring. Inf. Regts. Nr. 95, unter Entbindung von dem Kommando als Adjut. bei der 22. Inf. Brig. und unter Aggregirung bei dem Regt., zur Dienstleistung bei dem Kriegs- Ministerium, v. Redern, Pr. Lt. vom Inf. Regt. von Grolman G Pos.) Nr. 18, als Adjut. zur 22. Inf. Brig., kommandirt, raf v. d. Groeben, Rittmeister a. D., zuleßt Escadron- Chef im jeßigen Kür. Regt. Graf Wrangel (Oftpreuß.) Nr. 3, in der Armee, und zwar mit einem Patent vom 16. Dezember 1886 als Rittm. und Escadr. Chef bei dem Ulan. Regt. von Schmidt {1. Pomm.) Nr. 4, wiederangestellt.

In der Gendarmerie. Neues Palais, 21. Juni. Keller, Hauptm. a. D., bisher Pr. Lt. im Königl. Bayer. Gend. Corps und kommandirt zur Dienstleistung als Adjut. bei der Gend. Brig. in Elsaß-Lothringen, als charakteris. Hauptm. bei der Gend. E A Elsaß-Lothringen, und zwar als Adjut. dieser Brigade, angeftellt.

Im Beurlaubtenstande. Neues Palais, 17. Juni. Hraf zu Münster, Sec. Lt. von der Res. des Regts. der Gardes du Corps, zum Pr. Lt. befördert. ;

Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. Neues Palais, 14. Juni. Urbach, Zeug-Hauptm. vom Art. Depot in Magdeburg, mit Pension und seiner bisherigen Uniform der Abschied

Gewilligt.

Neues Palais, 17. Juni. Beeliß, Oberst von der Armee, mit Pension und der Uniform des Gren. Regts. König gros Wilhelm IV. (1. Pomm.) Nr. 2 der Abschied bewilligt. aier, Oberst-Lt. a. D., zuleßt Commandeur des Kadettenhauses zu Bensberg, unter Fortfall der ihm bewilligten Aussicht auf Anstellung im Civil- dienst, mit seiner Penfion und der Erlaubniß zum ferneren Tragen der Uniform des Kadetten-Corps zur Disp. gestellt. Fiedler, Oberst-Lt. z. D., zuleßt Major im damaligen Stabe des Ingen. Corps und Ingen. Offizier vom Plaß in Saarlouis, unter Ertheilung der Erlaubniß zum ferneren Tragen der früheren Uniform des Ingen. Corps, in die Kategorie der mit Pension verabschiedeten Offiziere

Neues Palais, 21. Juni. Wille, Oberst à la suite des Fuß-Art. Regts. Encke (Magdeburg.) Nr. 4 und Direktor der Artillerie-Werkstatt in Spandau, als General-Major mit Pension, von Naßmer, Oberst-Lieutenant, mit dem Range eines Regiments-Commandeurs, von der Armee, mit Pension und der Uniform des Kür. Regts. von Driesen E Nr. 4, Herz- bruch II., Sec. Lt. vom 1. Hannov. Inf. Regt. Nr. 74, Frhr, v. Wintzingerode-Knorr, Sec. Lt. vom 5. Thüring. Inf. Regt. Nr. 94 (Großherzog von Sathsen), beiden mit Pension, der Abschied bewilligt. | :

Im Beurlaubtenstande. Neues Palais, 17. Juni. Graf v. Kleist, Major a. D., früher im Regt. der Gardes du Corps, zuleßt von der Landw. Kav. 1. Aufgebots, die Erlaubniß zum Tragen der Uniform des Regts. der Gardes du Corps ertheilt.

Königlich Bayerische Armee.

Ernennungen, Beförderungen und Verfsezungen.

Im aktiven Heere. 9. Juni. Schneider, Mohr, May,

eug-Lt. vom

-außeretatsmäß. Sec. Lts. im 2. Feld-Art. Regt. Horn, zu Artillerie-

Offizieren ernannt. : es Sctoier Bboms Major des Ei’enbabn-Bataillons, unter i

Stellung à la suite des Ingen. Corps, zum Eisenbahn-Kommifsar bei der L nienkommission in Ludwigshafen ernannt. :

Abschiedsbewilligungen. Imaktiven Heere, 11. Juni. Sternecker, Major und Bats. Commandeur im 14. Inf. Regt. Herzog Karl Theodor, unter Charakterif. als Oberst-Lt. und unter Verleihung der Aussicht auf Anstellung im Civildienfte, mit Pension und mit der Erlaubniß zum Tragen der Uniform der Abschied be-

13. Juni. Keller, Pr. Lt., bisher Adjut. beim Gend. Corps- Kommando, Behufs Uebertritts in den Reichsdienst, unter Verleibun des Charakters als Hauptm, Knözinger, Sec. Lt. des 16. Inf. Regts. vakant König Alfons von Spanien, mit Penfion und mit der

eurlaubtenftande. 14. Juni. Ammonn (Würz-

a), Pr. Lt. von dee ag Inf. L ues, ueO Z Fans (A , Pr. Lt. von der Landw. Inf. 2. Aufgebots, : Cs r Pr Efenbas (1. Münthen), Seyboth (Hof),

Ss gn Tragen der Uniform, der Abschied bewilligt. m

Lindner, Reichert (Bayreuth), Lehnung (Zweibrücken), Sec. Lts.

von der Landw. Inf. 2. Aufgebots,

em \ch (Bayreuth), A Lt. von der Landw. Kav. 2. Aufgebots, Zink (1. Münwten), Sec.

. von der

‘Landw. Fuß-Art. 2. Aufgebots, der Abschied bewilligt.

Archiv für Poft und Telegraphie. Beiheft zum „Amts- blatt r N d S fiamid=. Herausgegeben im Auftrage des Reichs8- oftamts. Nr. 11. Inhalt: I. Aktenstücke und Aufsäße: Die Fels der internationalen Telegraphenkonferenz in Paris. Geseßz- entwurf, betreffend Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetz- bus. Streitigkeiten zwischen der ZAE chen Postverwaltung und der Landes-Postverw"" von Hessen-Kassel im 18. Jahrhundert. Das selbftthäti- lußzeihen im Stadt-Fernsprehbetriebe. Die Insel Formos/ and ihre Bewohner. II. Kleine Mittbeilun-

e

: Zweite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Mittwoch, den 25. Juni

gen: Die Unternehmung Dr. Peters. Die Postverwaltung von Canada im Iabre 1888/89. Post- und Telegraphenwesen in Mexiko und Errichtung eines Phonographendienstes daselbft. Erlaß, betreffend Verbindungsleitungen der Sprehneze in den Städten

rankreihs. II. Literatur des Verkehrswesens: Grundzüge der

u -Eeographie und öfsterreichish-ungarishen Statistik. Zum befon- deren Gebrau für Poftbedienstete bearbeitet von Eduard Effen- berger, K. K. Poftrath.

Veröffentlihungen des Kaiserlihen Gesundheits- amts. Nr. 24. Inhalt: Gefundheitsftand. Bolkskrankhriten in der Berichtswohe. Pocken in Piräus. Cholera in Meso- potamien und Persien. Cholera in Ostindien. Gesundheits- verhältnisse in Niederländisch-Indien. Dienstunfähigkeits- und Sterbensftatistik der Beamten des Vereins deutsGer Eisenbahn- verwaltungen 188, Sterbefälle in deutshen Städten mit 49000 und mebr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. wrdpdw p iÂhA Berliner Krankenhäusern. Desgl. in deutschen Stadt- und dbezirken. Geburten und Sterbefälle in München 1887—1889. Sterblichkeit in deutshen Orten 2c. 1889 (nah Monaten). Witterung. Grundwafserstand und Bodenwärme in Berlin und München. Thierseuben in Bulgarien, 1. Vierteliahr. Desgl. in der Türkei. Milzbrand in den Niederlanden. Veterinär-polizeilihe Maßregeln. Medizinal- Gesetzgebung u. \. w. (Preußen.) Tuberkulose. (Reg.-Bez. Brom- berg.) Apotheker-Lehrlinge. (Reg.-Bez. Schleswig.) Ansteckende Krankheiten. Geheimmittel. (Sachsen.) Verbandwatte. Epidemische Krankheiten. (Baden.) Arzneimittel. (Braunschweig. ) Apotheken. (Desterreich.) Gemüsekonserven. ODesinfektion auf Eisenbahnen. (Galizien.) Maul- und Klauenseude. (JItalien.) Gesundheitspflege 2c. Ausführungsbestimmungen. (S{luß.) Rechtsprehung. Mil{fälshungen. Kongresse, Verhandlungen ge[eßgebender Körperschaften, Vereine u. #. w. (Deutsches Reich.) Arzneibuch. Versammlurg des Deutschen Vereins für öffentliche Gesfundheitspflege. Internationaler Kongreß für Hygiene und Demogravhie zu Paris. Vermischtes. Die bayerischen öffentlichen Untersuhungsanftalten für Nahrungs- und Genußmittel, 1889.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Die zur Aufbewahrung von Mineralwasser verwendeten S iphons sind, nah einem Urtheil des Reich8gerihts, IIT. Strafsenats, vom 20. März 1890, keine Trinkgeschirre im Sinne des Reichs- D 0NeNes (§. 12 Nr. 2), und die vorsäßlihe oder fahr- lässige Herftellung bezw. das Inverkehrbringen von Siphons, welche das darin enthaltene Mineralwafser gesundheits\{ädlich machen können (beispielsweise von ftark bleihaltigen Siphons), ift aus diesem Gesetz nicht zu bestrafen.

Die Bestimmung des §. 7 Abf\. 3 des Reichsftempelgeseßes vom 29. Mai 1885, wonach für das Abwidckelungs8geschäft zwishen

dem Kommissionär und dem Kommittenten die Abgabe,

für Anscaffungsgeschäfte zu entrihten ist, findet nah einem Urtheil des Reichsgerihts, 1V. Straffenats, vom 11. April 1890, keine Anwendung auf ein derartiges Abwickelungs8ge\{chäft zwishen dem Auftraggeber und dem Beauftragten, wenn der Beauftragte weder Kommissionär im Sinne des Art. 360 des Handelsgeseßbuhs noch ein dem Kommissionär nach Art. 378 H.-G.-B. gleihgejtellter Kaufmann (sondern beispielsweise ein Börsenmakler) ift ; in diesem Falle ist das Abwitelungsgeschäft nit fsteuerpflihtig.

Statiftik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Einer am 21. Juni tagenden Versammlung der Leipziger Scchmiedegehülfen wurde, laut Mittheilung der „Leipz. Ztg.“, die Abrechnung des Vertrauensmanns über den Unterstüßungsfonds auf die Zeit seit dem 1. September 1889 vorgelegt. Die Regelung der Lohnbewegung und Verwaltung des Unterstüßungsfonds wurde zwei Personen übertragen, diesen eine feste Ents%ädigung von vornherein bewilligt und außerdem beschlossen, be im Falle der Maßregelung mit 18 A wödentlich zu unterstüßen. Weiter wurde die Förderung des roßen Hamburger Ausstandes durch Geld und Fernhalten des Zuzugs beslofsen. Die Böttcergehülfen Leipzigs gründeten am 22. Juni einen „Verein „Einigkeit“ der Böttchergesellen von Leipzig und Umgegend“ und beshlofsen die Vornahme ftatistisher Erhebungen über die dortigen Lohn- und Arbeitsverhältnisse durch Vertheilung von Fragebogen sowie die Unterstüßung der ftrikenden Hamburger Böttchergesellen. i In Braunschweig sind der „Magdeb. Ztg.“ zufolge die Korbmachergehülfen nun auch in die Lohnbewegung eingetreten ; sie feiern, weil ihnen von den Meistern nicht die geforderte Lohn- erhöhung bewilligt ift. : 5 In Stettin trafen, einer Meldung der „Oftsee-Ztg.“ zufolge, am 23. Juni mit dem Personenzuge aus Breslau wieder 125 #\ch{'le- sische Bauhandwerker, Maurer und Zimmerleute, ein. Ein Theil derselben wurde in einem Gasthofe auf der Silberwiese unter- ebracht, die Uebrigen wurden durch Mitglieder des Arbeitgeberbundes in bereit gehaltenen Extrawagen der Straßenbahn nach Westend geschafft, wo man Massenquartiere für sie beschafft hatte. Auf dem Bahnhof und dessen nächster Umgebung hatten wieder tabireige Strikende Aufstellung genommen, welHe si den Fremden zu nähern suchten ; die von dem Vorstand des Arbeitgeberbundes zu Hülfe gerufene Schuzmannschaft verhinderte jedoh jede Annäherung. Ein weiterer größerer Zug fremder Bauarbeiter wird in den nächften Tagen erwartet. t i ) Die Feilenbhauer in Remscheid beshlofsen, einem Bericht der „Elbf. Ztg.“ zufolge, in einer am 23. Juni abgehaltenen Ver- fammlung die Fortscßung des Strikes. Beide Parteien beharren nach wie vor: starr auf ihrem Standpunkt ; die Fabrikanten lehnen Erhöhung des bisherigen Hautarifs s{lechterdings ab. Die Feilenhauer erklärten einstimmig, dal sie unter solhen Verhältnifsen den Ausstand fort- seßen würden. Die zur nterstüßung der Strikenden nöthigen Mittel (es dürften deren etwa 2000 fein) hofft man durch weitere freiwillige Gaben aus der Bürgerschaft und Arbeiterschaft, sowie durch Bei- träge von außerhalb, dem Deutschen Feilenhauerverband, den deutschen Metallarbeitern 2c. zu erhalten. Im Wuppertbale find au bereits Sammlungen für die strikenden Feilenhauer eröffnet worden. Ein nit unbeträchtliher Theil der Ausftändigen hat provisorische Beschäfti- ung gefunden bei den großen ftädtishen Bauten, namentli bei der Thalsperrenanla e; andere suchen fich durch Ausroden von Waldungen und dergleichen Arbeiten Verdienst zu vershaffen, um die Strikekafse möglichst zu entlasten. Einzelne Arbeiter haben auch zu den früheren Lohnbedingungen wieder Feilen zum Hauen angenommen, doch ift die Zahl dieser Nachgiebigen eine im Verhältniß zum Ganzen sehr geringe. E L Verlauf des Ausftandes läßt fich deute noch gar nit absehen. O Ueber den Ausstand in Altona schreibt das „Kiel. Tagebl.“ unterm 23. Juni: Der Ausftand der aurer und Zimmerer scheint bereits, namentlich von leßteren als erfolglos angesehen zu

1890.

werden, da {hon viele Zimmerer unter den neuen Bedingungen der Meister (zehnstündige Apel in Arbeit getreten find.

In Folge der durch die Pulverexplosion in Spandau ein- getretenen Betriebsftörung in der Pulverfabrik haben am 23. Juni dreihundert Arbeiter die Kündigung erhalten. Der „B. B. C. ee dan L eer drs E aner A E os iu-

ehenden Re er sofortigen Entlaffung nicht Gebrau gemaäMt.

Ueber 2000 Berliner Arbeiterinnen, die in der Wäs che- fabrikation beschäftigt find, versammelten fi am Montag Abend in der Brauerei Friedrichshain. Nach einem Referat des sozialifti- \chen Stadtverordneten, Gastwirths Otto Heindorf über: „Das Koalitionsre§t der Arbeiter und die Fabrikantenvereinigung* wurde, wie die „Vof\. Ztg.* mittheilt, eine Erklärung für den Ans{&luß an Arbeitervereinigungen angenommen. Zugleich wurde ein „Verein der Näherinnen, Verrieglerinnen und Stemplerinnen“ gegründet. E

In London hielten, wie dasselbe Blatt \s{reibt, am 21. Juni etwa 70000 Bergarbeiter in Southport eine Kundgebung zu Gunften des atstündigen Arbeitstages. :

_Die Schiffsbauwerften des Clyde werden laut Mit- theilung der „A. C.* aus London in 3 Wogen die Löhne ihrer Arbeiter herabsetzen, da keine weiteren Bestellungen eingegangen find. Schon am leßten Sonnabend fanden Entlafsungen ftatt.

Das Wirtbschaftsjahr 1889.

Der JIahresberiht der Handelskammer von Magdeburg spricht ih über das vergangene Jahr, wie folgt, aus: j

Das abgelaufene Jahr ift hinsihtlich des Geschäftsganges ent- schieden ein günstiges zu nennen; in vielen Geshästszweigen über- traf es sogar das gleichfalls günstige Jahr 1888. Der größte Theil der einzelnen Handels- und Induftriezweige bringt dies dur An- erkennung des im Allgemeinen guten Geschäftsganges, der befriedigenden

reise, der gleiben oder gesteigerten Nachfrage zum Ausdru. inzelne Branhen waren sogar mit Aufträgen dermaßen überhäuft,

daß fie kaum die Geschäfte bewältigen, faum genug Waaren und Arbeitskräfte auftreiben konvten; es gilt dies insbesondere von der auG in den Vorjahren blühenden Mascinenindustrie, dem Handel mit Eisen, dem Kohlengeschäft. Aber au manche Industriezweige, die fich im Vorjahre über Rüdckgang beklagt hatten, wie zum Theil die Chemische Industrie, die Lack- und Firnißfabrikation, konstatiren ein Besserwerden der Verhältnisse. Nur ecnzelne Bran(en, wie die Spiritusindustrie, Zweige der Terxrtilbranwe, klagen über minderen Erfolg; allein denselben vershuldeten bier besondere Verbältnifse, im ersten Falle die drückende neue Steuer, im anderen die nit in gleihem Maße hereinzubringende Vertheuerung der Robstoffe. Auch die in früberen Jahren so häufig auftauchende Klage über den zu geringen Geschäftsverdienft hat fih abges{chwädt, theilweise wird sogar von gutem Verdienst und günstigen Preisen berichtet. pes

Am fklarften tritt die günstige Lage von Handel und Industrie, der fortgesezte Aufshwung in fast allen Zweigen in dem überaus günstigen Geshäftsgange der meisten Banken zu Tage und in dem immer noch andauernden und stets zunehmenden Aufs@wunge im Ver- kehrêwesen. 1

So ift das verflossene Jabr vom Standpunkte des Handels und der Industrie im Allgemeinen als ein erfolgreihes, in seinen Ergebnissen erfreulibes zu bezeiGnen. Allerdings kann dies nit gleihmäßig für alle Branhen behauptet werden. Spéeziell der Haupthandelszweig Magdeburgs, der Zuckerbhandel, bat im Berichtsjahre einigermaßen unter der durch die maß- und zügellose Haufse-Spekulation einiger weniger Firmen herbeigeführten Krise leiden müfsen. j

In der Preisbildung zeigte sich fast dur{weg eine auf- wärt8gehende Bewegung, wie {on seit 1887, die freilich zum Theil auf Zollmaßnahmen, Kartelle und ähnlihe Veranlafsungen zurüdzuführen ift. z

Veberblickt man das Berichtsjabr in seinen ges{äftlichen Erfolgen, wie in den Ergebnifsen auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Ver- waltung, fo bietet sich im Allgemeinen ein erfreuliches Bild. Das Jahr 1890 bat bisber nicht ganz den gleich günstigen Gang ge- nommen. Insbefondere die Gährung in den Arbeitershihten, die zahlreihen Strikes und Beunrubigungen der Industrie ließen, nebst den in vielen Zweigen geftiegenen Preisen der Rohmaterialin und Löhne, bisher einen gleich gedeib- lien Fortgang niht zu. Darum ift es nunmehr die erste und wichtigste Aufgabe, die ruhigen Zustände und gesicherte foziale Verbältnifse wieder herzustellen. Gelingt dies, gelingt es, nebft Er- baltung des äufieren Friedens auch im Inneren Rube und befriedigende soziale Verhältnisse zu s{chafen, dann wird boffentli§ au das gegen- wärtige Iahr sich der niht mebr Ucngm Zabl der günstigen Geschäftsjahre anreihen und die stolze Blüthe deutshen Handels und deutscher Industrie erhalten bleiben !

Krankenversiherung im Großherzogthum Sachsen-Weimar.

Die Krankenversiherung der Arbeiter im Großberiogthum hat seit ihrer Ag auf die in der Land- und Forftwirth- \chaft beschäftigten Arbeiter sehr zugenommen, sowobl was die Zabl der Arbeiter wie den Umfang der Einnahme und Ausgabe betrifft. Die Zahl der Krankenkassen ist seit 1885 von 120 allerdings nur auf 122 in 1889 gestiegen, die Zahl der versicherten Arbeiter aber von 21106 auf 47902. Von den Krankenkaffen find 39 Orts- frankenkafsen, 32 Betriebskrankenkafsen, 39 eingeshriebene Hülfskaffen. Die Mehrzahl der Arbeiter ift bei den Ortskrankenkaffen versichert (31 157), von allen Versicherten 65 °/. Die Gesammteinnabme ist gestiegen von 216 000 Æ (1885) auf 586 000 M (1889), die Gesammtausgabe von 177 406 # auf 550 000 # Die Hauptausgaben entfallen auf ärztlihe Behandlung und Krankengelder ; diese beiden Posten haben si faft verdreifaht, während die Verwaltungskoften sch nur verdoppelt baben, dieselben betrugen 1885 14 9%, jeßt noch nicht ganz 9 %/o der Gesammtausgabe.

Literatur.

eGrundriß der Schulhygiene“. Für Lebrer und Sulaufsithtsbeamte zusammengestellt von Otto Janke. Hamburg und Leipzig. Verlag von Leopold Voß. 1890. Preis 1,50 #4 Erst in neuerer Zeit ift die Ueerengung ¿um Durchbruch gelangt, daß jede Schule au in bygienischer eziehung eine Musfteranstalt sein E A E Ke S I T

end gleihmäßig gepflegt werde. , dazu ;

Üegender Sÿrift aus dem Schaße der Baukunde und der Schul- erfahrung in kurzer Form klar und faßlih zusammengeftellt. Die ¡ur Z allgemein geltenden s{ulbygienischen orderungen, die wichtigsten Bestimmungen darüber, wie der ul- baugrund, die Einrihtung der Schulgebäude und der Neben- anlagen, der Sculzimmer, der Ansftattung und die Gestaltung des Ünterrichts, der gesammten Schulerziehungspflege zum Wohle der zu erziebenden Ingend sein müsse, find darin mit Vermeidung weite gehender Grläuterungen und ftatistishen Beiwerks in einer Vollftän-