Parlamentarische Nachrichten.
Schlußbericht der gestrigen (27.) Sißung des Reichs- tages. Schluß der zweiten Berathung der Militärvorlage. Nachdem zu §. 1 der Abg. Payer gesprochen, nimmt das Wort der
Abg. von Deni! en: Der Vorredner hat den National- liberalen vorgeworfen, daß fie dur ihr Verhalten so weit in der Zahl geshwächt worden seien, daß sie sich {chwerlich wieder erholen würden. Das hat ein Mitglied einer Partei gethan, welche früher durch ein Mitglied oder garnicht hier vertreten war. Die Volkspartei hat am Wenigsten Ursache, uns einen solhen Vorwurf zu machen. Weiter hat der Vorredner an- erkannt, daß die Konzesfionen des Reichskanzlers in Bezug auf die Entlassung der Königsurlauber zwar keineswegs ohne Werth, aber nicht ausreichend seien, um die Vorlage anzunehmen. So E gebe er seine Zustimmung nicht her, dadurch würde man fi den ganzen Markt verderben. Das find gewiß treffliche
raktishe Grundsäße des Korn- oder Viehhandels, aber ih offe doch, daß der Deutsche Reichstag bei der Beurtheilung der Fragen, welche mit der Formation unserer Armee und der Einziehung und Ausbildung der Rekruten zusammenhängen, diese von anderen Gebieten hergenommene Methode sich nit aneignen wird. Bis zum Schluß der ersten Lesung habe ih den Eindruck gehabt, daß die Vorlage, abgesehen vielleiht von Stimmen der Sozialdemokraten und einzelner sehr weit links stehender Abgeordneten, von der sehr großen Mehrheit des Hauses ohne erheblihe Schwierigkeiten würde angenommen werden. Auch der Abg. Rickert hat bei der ersten Lesung, wo er mehr oder weniger shwerwiegende Bedenken gegen die Vor- lage entwickelte, fich sehr wohl gehütet, grundsäglich die Vorlage abzulehnen; er hat vielmehr sein und seiner Freunde Votum \ich für die weiteren Stadien der Verhandlung vorbehalten. Diese anscheinend günstige Lage hat sich später wesentlich verschoben, und ih kann nicht unterlassen hervorzuheben, daß diese Verschlehterung in der Hauptsache erfolgt ist, nahdem in der Kommission so weitgehende, unbestimmte Pläne über die künftige Einrichtung unseres Militärwesens und die Heranziehung aller Wehrpflich- tigen in Aussicht genommen wurden. Diese Pläne haben in Deutschland eine zweifellos bedeutende Unruhe und Besorgniß hervorgerufen, zumal man, wie der Kriegs-Minister sehr richtig E mit unbestimmten Faktoren gerechnet hat. Hätte es ih um einen bestimmten umfassenden Plan gehandelt, in welchem die Heranziehung aller oder der meisten waffenfähigen Mannschaften zur regelmäßigen Ausbildung enthalten war, so würde das an und für sih auf einen so grundsäßlichen Wider- spruch noch gar nicht gestoßen sein. Aber gerade der Mangel an Andeutungen fester Grundzüge, und vor Allem , was die Ausführbarkeit des Gedankens allein ermögliht, an Ausglei- ungen, die vor allen Dingen in einer wesentlichen Abkürzung der Dienstzeit, nah meiner Meinung in der Aufhebung der dreijährigen Dienstzeit, gelegen sein müssen, hat die Unruhe noh wesentli gestärkt. Jch muß nun sagen, daß in unerhörter Weise diese vagen, unbestimmten Nachrichten im Parteiinteresse ausgebeutet worden sind von Personen, die doch den Zusammen- hang der Dinge nicht kannten. Wenn davon gesprochen ist, daß die Friedenspräsenz E mehr als eine Million betra- gen würde und daß nah diejem angekündigten Plane eine zwei-, drei- und mehrfache Erhöhung sämmtlicher direkten und indirekten Steuern im Reih und den Einzel- staaten nöthig sein würde, so konnte das doch von Politikern nicht ernst genommen werden; für die Massen lag allerdings ein sehr gefährliches und erregendes Moment in solhen Zahlen. Man mußte si doch sagen, daß die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht eine ganz außer- ordentlihe Abkürzung der Dienstzeit vorausseßt. Es war natürlich niht möglich, das mit aufzunehmen in die Publizistik; denn sonst wäre der Nutßeffekt ein ganz anderer gewesen. Auch die Vertreter anderer Parteien als der Freisinnigen haben nah und nah eine ungünstigere Stellung zu dieser Vorlage ein- Es Zunächst wurde in der Kommission verlangt, daß chon in dieses Geseß die einjährige Bewilligung anstatt des Septennats aufgenommen werde, und die zweijährige Dienst- zeit für das nächstfolgende Jahr. Wir haben den Eindrud gewonnen, daß Seitens der Vertreter der freisinnigen Partei im Reichstage und auch in der Presse man in dem Augen- blick weiter von der Vorlage abrückte, als das Centrum der Vorlage näher rüdte; ob das irgend einen psycologischen Zusammenhang hat, will ih in diesem Augenblick nicht näher unlersuhen. Nun hat der Abg. Richter den Abg. Windthorst sehr angegriffen und gewissermaßen verspottet wegen seiner Haltung; und doch hat die freisinnige Partei ursprüng- lih der Vorlage durhaus nicht prinzipiell ablehnend gegen- übergestanden. Sie hat später zwei Bedingungen an die An- nahme der Vorlage geknüpft, obgleich der Reichskanzler er- klärt hat, daß dieselben von den verbündeten Regierungen abgelehnt würden. Diese Bedingungen waren gleichbedeutend mit der Ablehnung der Vorlage. Von dem Abg. Rickert möchte ih nit bestimmt behaupten, daß er die Vorlage au dann ablehnen würde, wenn seine Vorschläge abgelehnt wür- den. Was aber den Abg. Richter anbetrifft, so muß ih sagen, daß die leßten Säße seiner Rede nicht anders zu verstehen sind, als daß er seinerseits die Vorlage auch dann ablehnt, wenn beide Anträge Bamberger angenommen werden. Er hat gesagt, für das Militär ist genug geschehen, von der Nothwen- digkeit dieser Vorlage habe ih mich nicht überzeugen können; bis hierher und nicht weiter; würde diese Vorlage angenommen, so würde für unsere inneren politischen Zustände mehr Unhe l erwachsen als unsere Heerkraft gewönne. Das is nicht anders zu verstehen, als daß von ihm die Vorlage au abgelehnt wird, wenn beide Anträge angenommen werden. (Wider- spruch des Abg. Nichter.) Es ist mir sehr angenehm, wenn Sie das jet nicht so verstanden wissen wollen. Das wäre der Standpunkt, welchen die Sozialdemokraten zu dieser Vor- lage einnehmen. Wie dem auch sei, das Centrum erscheint den Freisinnigen gegenüber doch in einem außerordentlich vor- theilhafteren Licht. Jh weiß ja wohl, daß meine Freunde und auc die Parteien rechts auf vielen sehr wihtigen Ge- bieten große Meinungsverschiedenheiten mit dem Centrum haben, Meinungsverschiedenheiten, welhe zum Theil prinzipiell, vielleicht auch sahlich und praktish rect \chwer zu lösen sind. Das hat aber doch offenbar rh gehindert, daß wir in den früheren Reichstagen und auch in diesem Reichtage große Meinungsgegensäße ausgeglichen haben; und nicht erfüllte Forderungen des Centrums auf wichtigen anderen Gebieten haben es nicht gehindert, über große bedeutende Fragen mit anderen Parteien sih zu dersliubigen und mit diesen und den verbündeten Regierungen zu einem Abschluß zu kommen. Wenn von Seiten der Deut schfreisinni en das beklagt wird oder versucht wird, wie es in der Presse vielfach
R das Centrum zu verspotten, so kann das uns hier im usewirklih wenig rühren. Wenn jeßt die Centrumsfraktion eine so bedeutungsvolle und einflußreihe Stellung im Reichstage einnimmt, von welcher es ja einen angemessenen, wirksamen Gebrauch macht und auch gewiß immer machen wird, aber einen Gebrauch in der Art und innerhalb der Grenzen, welche eine Verständigung mit den verbündeten Regierungen und und den übrigen Parteien nicht ausschließt, so ist ‘das eine Ves welche allerdings sehr viel verlorene Liebesmühe auf Seiten der deutschfreifinnigen Partei einshließt. Denn die Centrumsfraktion hat diese so einflußreihe Stellung hier im Reichstage niht zum geringsten Theile der energischen Unterstüßung dér egen Partei zu danken. Der Abg. Rickert will zunächst wissen, wodurch die Mehrausgaben gede werden sollen. Jh bestreite, daß die jeßige Finanzlage neue Reichssteuern {hon jeßt erfordert. Die 60 Millionen, welche nach den Darlegungen des Schaßsekretärs vom nächsten oder zweitnächsten na ab mehr erforderlih sind in Folge dieser Vorlage, der Kolonialpolitik, der Alters- und Jnvalidenversiche- rung, der Aufbesserung der A — wenn die leßtere Vorlage in der Kommissionssassung angenommen wird, verringert \sich jene Summe sogar noch um sieben Millionen —, werden durh die jeßigen Reichssteuern noch gedeckt, und zwar durch den künftigen Fortfall des Ausfalls an Gene im Betrage von 20 Millionen und durch 40 Millionen Mehrüberweisungen vom Reih an die Einzel- staaten. Die Veränderungen in den nähsten Fahren werden uns später beshäftigen. Mit diesen 60 Millionen is in der Presse ein recht grober Unfug getrieben worden, sie wurden unmittelbar umgesezt in 60 Millionen neuer Steuern und diese wieder in neue Reichssteuern auf die nothwendigsten Lebensmittel. Das dient nicht zur Aufklärung und Belehrung des Publikums, zu welhem Zweck doch die Zeitungen da sind: Es bringt nux Verwirrung und falsche Vorstellungen hervor. Hr. Rickert meint ferner, die Belastung in Deutshland auf den Kopf der Bevölkerung sei schon so groß, daß man sie nicht weiter steigern könne, und er hat zum Vergleich die Belastung in England und Frankreich herangezogen, aber selbst anerkannt, daß ein solcher Vergleich außerordentlih s{hwierig sei, weil es sich bei uns nicht nur um die Belastung im Reich, sondern auch in den Einzelstaaten handle und in England und Frankreih auch noch Kommunal- abgaben hinzukämen. Aus Folgendem geht aber mit Noth- wendigkeit hervor, daß die Belastung in Frankreih und Eng- land wesentlih höher sein muß als bei uns. Die Ausgaben für Heer und Marine sind in England und Frankreich viel höher als bei uns, dazu haben beide Länder keinen Staats- eisenbahnbesiß, die Domänen in England sind ganz unbedeutend gegenüber den deutschen, diejenigen in Frankreich sind viel ge- ringer an Werth und Einkünften als die unserigen. Dazu kommt s{ließlih die Ershöpfung der Finanzen in Frankreich dur den unglücklichen Krieg und die Kriegsentshädigung an uns, sowie durch die Phylloxera. Die Anleihen in unjeren Einzelstaaten, und wahrscheinlich in hohem Maße auch die Reichs\huld, werden durch unsere Domänen und Staats3- eisenbahnen gedeckt. Die Schuld in England beträgt zehn Mal und in Frankreih zweiundzwanzig Mal so viel wie bei uns. Danach muß also die Belastung für den Kopf in Frankreih und England viel höher sein als in Deutschland. arum ist aber Deutschland doch nicht so reih, daß die Re- gierung mit ungemessenen Forderungen an uns herantreten dürfte; die größte Sparsamkeit liegt im Jnteresse der Militärverwaltung selbst, denn diese muß niht nur auf die Durchsezung dieser Vorlage, sondern auch auf den guten Willen der Volksvertretung in allen künftigen Fahren beim ewöhnlichen Budget 0/4 legen. Um uns auf der Höhe zu halten, wird es noch erheblicher, zwar nicht absolut noth- wendiger, aber für die weitere Durchbildung unserer mili- tärischen Verhältnisse nüßlicher und werthvoller Ausgaben be- dürfen. Jn, dieser Beziehung sind die Erklärungen des Reichs- kanzlers und die Resolution 3 sehr erwünscht. Diese Vorlage ist nothwendig durch die Rüstungen Rußlands und Frankreichs seit 1887. Jn Rußland ist seitdem die Friedenspräsenzstärke um 43 000 Mann, die jährlihe Aushebung um 20 000 Mann erhöht; in Frankreih ist in Folge des Militärgeseßes vom März 1889, welches viel weiter geht, als wir 1887 dessen Wirkungen voraussahen, gleihfalls eine bedeutende Erhöhung der Wehrkraft eingetreten. Selbst nah Annahme dieser Vor- lage wird die Friedenspräsenz bei uns immerhin noch 7000 Mann weniger betragen einshließlich der Einjährig-Freiwilligen als in Frankreich, und dieses Weniger wird sih, nachdem die volle Wirkung des französishen Wehrgesezes eingetreten ist, noch auf das Doppelte und darüber hinaus erhöhen. Die Aushebung der Wehrfähigen beträgt in Frankreih nach diesem Gesey 220 000 Mann, bei Beibehaltung der drei- jährigen Dienstzeit, welhe nur für etwa ein Drittel, für 64 000 Mann, auf ein Jahr beschränkt ist. Bei einer Mobil- machung würde Frankreih um 400 000, mindestens aber um 300 000 Mann \tärker sein als wir, und nah 24 Jahren, wenn das französische Wehrgesey ganz durhgeführt ist, sogar um 775 000. Daß wir uns so stark machen sollten, daß wir Frankreih und Rußland zusammen gewachsen seien, das zu verlangen, ist Niemand so thöricht gewesen. Aber unsere RNe- gierung, unser Volk und auch unsere Bundesgenossen können verlangen, daß Deutschland mit einer Bevölkerung von 50 Millionen, also 10 Millionen mehr als in Frankreich, jedem unserer Nachbarn im Osten und Westen einzeln militä- risch vollständig ebenbürtig ist. Besonders bezüglih der Artillerie hat sich unser Verhältniß zu Frankreich seit 1887 zu unseren Ungunsten vershoben und daher ist diese Forde- rung das Nothwendigste, um das Mißverhältniß auszugleichen. Was sonst noch an dem Verhältniß fehlt, müssen wir durch größere Tüchtigkeit unserer Artillerie ausfüllen. Seit 1887 beträgt die Vermehrung der Batterien in Deutschland zusammen 34, und wenn wir die 70 Batterien dieser Vorlage bewilligen, bleiben wir B N noch immer um 46 Batterien und 127 Batterien Bespannung zurück, was wir dur größere Fnten- sität unserer militärishen Einrichtungen ausgleichen müssen. Der Abg. Bebel meint, die Ftaliener würden doch einen er- heblichen Theil der französishen Armee in Schach halten, und die russische Armee sei gegen ODesterreih engagirt. Allerdings wird die italienishe Armee die französishe zum Theil lahm legen, aber mindestens muß ein ebenso großer Theil unserer Truppen im Osten gegen Rußland aufgestellt bleiben. Jch gebe dem Abg. Bebel anheim, eine kleine Exkursion über die rus- sishe Grenze zu machen. (Zuruf des Abg. Singer: Sie lassen ihn nicht wieder heraus!) Dann {lage ih ihm vor, incognito zu reisen, damit er davor bewahrt bleibt, daß seine Reise eine Fortseßung nah Sibirien erfährt — dort wird er im Westen Rußlands eine ungeheuere Erhöhung russischer
Truppen finden, und zwar befinden sih diese Truppen nahezu auf mobilem Fuß. Zudem hat das russishe Eisenbahnsystem vom Jnnern nah dem Westen eine Ausdehnung gewonnen, — leider zum großen Theil unter Zuhülfenahme deut aue Geldes, von welcher man sich früher keine Vorstellung machte. Also wird ein Koalitionskrieg mit Rußland und Frankrei immerhin ein sehr ernster Kampf sein, und wir müssen die äußersten Anstrengungen “machen und die beste Ausrüstung Lene Womit hat man Angesihhts uer Lage den Wider- pru gegen die Vorlage begründet ? an will die Vorlage von Bedingungen zum Theil konstitutioneller, zum Theil militärish-organisatorisher Natur abhängig machen. Jh kann mir allerdings denken, daß man im Laufe der Zeit zu der einjährigen Bewilligung an Stelle des Septennats fommen wird. Aber wenn man sie in diesem Augenblick als Be- dingung stellt, so begreife ih nicht, wie die freisinnige Partei sie verantworten kann. Denn mit dieser fällt das ganze Geseg. Jm Jahre 1887 lag nur der Antrag Stauffenberg auf dreijährige Bewilligung vor; jeßt, wo man innerhalb des Septennats nur noch sür 3 Jahre und 6 Monate die Präsenzstärke vermehren will, haben die Freisinnigen mit einem Mal die Nothwendigkeit der einjährigen Bewilligung eingesehen. Bei der leßten En des Septennats jagte der Abg. Richter: Die einjährige Bewilligung sei das Rich- tigste und Normale, aber den konstitutionellen Rücksichten werde hauptsächlich gedient, wenn die Festseßung niht über drei Jahre hinausgehe. Jegzt auf ein Mal aber will der Abg.
Richter das Gese ohne die einjährige Bewilligung ablehnen,
wenn auch die Nachbarländer noh so sehr rüsten. Sie haben doch die einjährige Bewilligung selbst in das Gese einge- schrieben und wollen es nur mit dieser annehmen. Die zweijährige Dienstzeit in dasGeseß aufzunehmen, scheint mir absolut unzulässig, aus dem formellen Grunde, weil es etwas Ungewöhnliches ist, eine Verfassungsänderung in ein Spezialgesey hineinzubringen, und dann hauptsählih, weil tiefgreisende organisatorische Einrich- tungen der Armee von dem Reichstage nicht in Verbindung ebraht werden können mit der Forderung einer Mehraus- Bebung von 6000 Rekruten. Diese Verantwortung kann der Reichstag nicht übernehmen und tragen. Wer von uns ver- mag im Augenblick die mit der Einführung der zweijährigen Dienstzeit nothwendig verbundenen E Aende- rungen zu übersehen und zu erwägen? Und selbst wenn die Regierung den Vorschlag annähme und in den folgenden Sessionen die Vorlagen brächte, um die durchgreifenden Aende- rungen in der Organisation ins Leben zu rufen, wer giebt die Garantie, daß über diese wichtigen Einzelheiten ein Einver- E zwishen Regierung und Reichstag herbeige- ührt wird? Nach allen Erfahrungen ist es fehr wahr- \cheinlih, daß eine derartige Verständigung auf die größten Schwierigkeiten s\tieße. Wenn irgend etwas geeignet wäre, einen Konflikt auf militärishem Ge- biete vorzubereiten, so wäre es dies, daß man die zwei- jährige Dienstzeit in das Gesey aufnimmt und alles Weitere, was dazu nothwendig ist, in der Schwebe läßt. Eine der- artige tiefgreifende Aenderung in der militärishen Organi- sation kann nur aus der sachverständigen Juitiative der Re- gierung hervorgehen. Ganz besonders bedenklich if es, die Aenderung in dieser Zeit vorzunehmen, wo in Folge der neuen Präzisionswaffe, des rauhlosen Pulvers, der damit verbundenen Aenderung der Reglements für die Ausbildung U. \. w. viel Zeit und Kraft verbraucht wird. Wer von uns wagt es zu sagen, wie viel Zeit diese E erfordern wird? Wer die Verfassungsänderung in das Geseh auf- nimmt, seßt sich leiht über alle diese Bedenken hinweg. Etwas Anderes ist es aber, wenn wir gegenüber dem An- wachsen der Lasten im Reih und der Abkürzung der Dienst- zeit in R auch für Deutschland eine Abkürzung anregen. Das ist die Absicht der Resolution Windthorst, und ih halte fie für durchaus dankenswerth und fie behält ihre Bedeutung, auch wenn der Reichstag dem Wunsche niht unmittelbar die Ausführung folgen lassen kann. Jn Deutschland ist die Herabsezung der Dienstzeit unerhört populär. Es sind Menschen genug, die gedient haben und die Verhält- nisse kennen. Nicht bloß in den Kreisen der großen Volks3- masse, sondern auch weit in die mittleren und höheren Klassen hinein hält man die zweijährige Dienstzeit für eine wesent- lihe Erleichterung. Man würde in Deutschland sehr erfreut sein, wenn die Militärverwaltung von ihrem A lee Standpunkt aus nach den peinlihsten Erwägungen sich über- zeugen könnte, daß die Wi Ps rap der zweijährigen Dienst- zeit möglih ist und \chließlich mehr Vortheil als Nachtheil im Gefolge haben wird. Wir sind dén Vertretern der Militärverwaltung außerordentlich dank- bar für die jederzeit uns gegebenen technischen und administrativen Nachweisungen, aber einen der- artigen volkswirthschaftlihen Exkurs, wie wir ihn Seitens eines Vertreters der Militärverwaltung in der Kommission gehört haben, möchte ih anheimgeben, künftig mit einer gewissen Vorsicht vorzunehmen. Das Unheil, das damit angerichtet wird, ist ziemlich groß. Man hat vielleiht Zustände aus diesem oder jenem Landestheil verallgemeinert, aber daß man es im Allgemeinen in Deutschland als ein Glück und eine Verbesserung der ganzen menshlihen Konstitution ansehen sollte, wenn man ein Jahr länger in der Kaserne bleibt, diese Ueberzeugung wird man in der großen Masse unseres Volks nit erwecken. Die verbündeten Regierungen erklären diese Vorlage im Juteresse der besseren Ausbildung unserer Wehr- kraft für nothwendig und durch die Fortschritte in den Nachbar- staaten während der leßten Jahre veranlaßt. Wir haben zu aller eit anerkannt, daß unsere Militärverwaltung mit der größten
achkenntniß, dem größten Eifer und voller Hingebung bemüht ist, alle Fortschritte, die auf dem Gebiete des Militärwesens in anderen Ländern gemacht sind, zu verfolgen, um auch bei uns mindestens gleihen Schritt zu halten, womöglich den Einrichtungen anderer Länder überlegen zu sein. Wir haben diese Ueberzeugung auch in dem vorliegenden Falle. Mit der Vorlage wird zahlenmäßig noch niht einmal erreicht, daß wir dem stärksten Nachbar, Frankreich, vollständig gewachsen sind. Aber gerade unsere vorzügliche Militärverwaltung und unsere intensiv gut ausgestattete Militäreinrihhtung läßt es uns als genügend erscheinen, daß wir den Zahlen wenigstens so nahe gerückt sind und damit glauben, eine vollkomnien gleihmäßige Armee jedem der beiden Nachbarn gegenüber zu besißen. Daß wir eine so vollkommen gleihwerthige Armee Frankreich gegenüber haben, ist eine Forderung, welche nicht bloß die ver- bündeten Regierungen mit Recht an den Reichstag gestellt haben, sondern welche auch die Nation von der Regierung verlangen muß. G dieser Hinsicht könnte unserer Nation das Beispiel anderer Länder wohl angeführt werden, wo es wiederholt vorgekommen ist, daß die Volksvertretung der Militärverwaltung Größeres
bewilligt hat, als diese ge gefordert hat. Auf M Wehrkraft beruht nicht bloß die Sicherheit unserer Existenz, a auch die Möglichkeit der Dauer und der Vertiefung es Bündnisses mit anderen Mächten, und ih hoffe, daß der Tag niemals kommen wird in Deutschland, wo wir den Fremden, den Freunden und den Feinden das Schauspiel geben, daß wir wegen der inneren politischen Zerrissenheit niht mehr im Stande sind, unsere Wehrkraft auf der Höhe zu halten und uns darüber mit dem Reichstage zu einigen. Abg. a Es ist nicht rihtig, daß wir in der Kom- mission unjere Stellung in ändert haben. Die Veränderung der Haltung des Centrums ist mehr unserer Haltung zuzuschreiben, als umgekehrt. Hr. von Bennigsen hat: gegen unsere Presse were Anklagen erhoben, daß fie die Zukunftspläne, die der Kriegs - Minister in der Kommission entwickelt hat, in einer ganz et P Weise aufgebausht hat und eine ganz falshe Auffassung darüber im Volke habe erzeugen wollen, um dasselbe auf das Tiefgehendste zu beunruhigen. Wir haben nur auf Grund der militärischen Organisation, wie sie heute besteht und nach den Erklärungen der Regierung festgehalten werden muß, die endschließlichen E zu entwideln versucht und sind dabei allerdings u ungeheuerlihe Zahlen gekommen. Wenn wir Unrecht gehabt hätten, so wäre ja nichts auf Seite der Regierung und der nationalliberalen Partei leihter gewesen, als darzuthum, daß wir uns irren, wenn wir auf Grund der bestehenden Organisation rehneten, während diese aufgegeben werden solle; nichts derart von Seiten der verbündeten Regierungen ist geschehen, sondern es ist im Gegentheil gesagt worden, unter allen Umständen alten wir an der bestehenden Organisation fest. ir find also nicht Schuld daran, wenn die Zahlen etwas groß find. Auch in Bezug auf die Finanzpläne, meinte Hr. von Bennigsen, seien Dinge in unserer Presse vorgebracht worden, die nur als grober Unfug bezeichnet werden könnten. Gestatten Sie, daß ih Sie bloß drei Jahre zurücckführe. Was ist da bei den Wahlen von der damaligen Kartellpresse zur egründung des Septennats erfunden worden! Wenn die Ausführungen unserer Presse mit „grober Unfug“ bezeichnet werden, dann möchte ih für jenes Treiben einen neuen Begriff in das Strafgeseßbuch eingesügt wissen, den des allergröbsten Unfugs. Hr. von Bennigsen wies darauf hin, daß wir 1887 nichts von der einjährigen Bewilligung gesprochen hätten. Die Verhältnisse haben sh aber von da ab bis heute immer weiter vershoben. Die Zahlen, welche wir jeßt als Friedenspräsenz haben, sind viel größer geworden und bewegen sich auch heute noch in der Tendenz des e al Je größer die ahlen werden, desto mehr müssen wir verlangen, daß die ewilligung eine jährlihe wird. Hr. von Bennigsen hat selbst zugegeben, daß die prinzipielle Forderung der zweijährigen Dienstzeit eine ungeheuer populäre und für die Regierun günstig wirkende sei. Es handelt sich also nur darum, das wir ihr eine zu kurze Frist bis zur Einführung derselben ge- seßt haben. Jh werde zeigen, daß die Einführung der zwei- jährigen Dienstzeit bis zum Jahre 1892 sehr wohl möglich ist, indessen würde sich über den Zeitpunkt der Einführung mit uns ja reden lassen, wenn man uns gezeigt hätte, daß man ernstlih auf dieselbe einzugehen bereit ist. Die Forderung zweijähriger Dienstzeit ist für uns kein Handelsobjekt; wir haben sie gestellt, weil wir in der gegenwärtigen Vorlage den ersten Schritt zu einer weiteren Ausdehnung der Heeres- organisation erblicken, die wir nicht übersehen können, und der gegenüber wir eine Garantie verlangen müssen, daß wix in absehbarer Zeit die Erleichterung, die das Volk haben will, erlangen. Wir sind damit die Vertreter eines Gedankens, der in den weitesten Schichten des Volks immer mehr hervortritt, und dem die Regierung einmal wird nachgeben müssen. Die Herren von Huene und von Manteuffel haben uns gute ala gegeben, wie wir das Ber- trauen unserer Wähler uns erhalten möchten. Wir sind für diese Rathschläge sehr dankbar; wir werden aber unsere Ge- \chäfte beim Volk selbst besorgen, und wir haben das um so leichter, wenn in der konservativen Partei so fortgefahren wird, wie es gerade bei dieser Vorlage der Fall ist. Es ist hier wiederholt ausgesprochen worden, daß wir mit unseren Anträgen eine Krafstprobe machen wollten. Es könnte scheinen, als ob dies von der freisinnigen Partei gesagt worden wäre. Es is dies weder hier noch in der Kommission geschehen ; das, was als Kraftprobe angerechnet worden ist, ist von einem Mitgliede der konservativen Partei in der Kommission geb-aucht worden. Die angeführten Zahlen über das Plus der Be- spannung bei der französischen Artillerie sind richtig. enn man aber die Dinge richtig beurtheilen will, muß man neben den vorhandenen Bespannungen die in der Mobil- machung einzuziehenden in Betracht ziehen. Diese Zahlen fann ih nun nit angeben, weil sie aus Mittheilungen ent- nommen sind, die geheim zu halten sind. Aber die Rehnungen, die ih aufgestellt habe, führen mich zu dem Schluß, daß bei einem sehr großen Theil französischer Batterien das prozentuale Verhältniß, wie viel Pferde einzuziehen sind, um die Batterie friegsfomplet zu machen, ein ungünsügeres ist, als bei einem aiten Theile unserer Batterien. Bloß auf die Mehrzahl der Bespannung Werth zu legen, ist bei einer Mobil- machungsaufrechnung niht angängig. Den 1. Oktober 1892 haben wir als Termin für die Einführung der zweijährigen Dienstzeit eingeseßt, weil ein bestimmter Tag doch ein- geseßt werden mußte. Darüber, daß die zweijährige Dienstzeit überhaupt eingeführt werden könnte, ist ein Zweifel auch nit von Seiten der Heeresverwaltung geäußert worden, Jm Prinzip nicht. Der Reichskanzler hat nur gesagt, daß sie „zur Zeit“ nicht eingeführt werden könne, und der Kriegs-Minister, daß sie unter den gegenwärtigen Umständen nit eingeführt werden könne. Wir halten den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für so ungünstig, wie von der Heeresverwaltung dargestellt wird. Man stellt der zweijährigen Dienstzeit drei Gründe entgegen: daß die Gefehtsausbildung eine bessere sein müsse, zweitens, daß die Zeit da sein Bulle um den Soldaten besser zur Disziplin zu erziehen, die Anforderungen an den Muth und die Nervenstärke würden in einem künftigen Kriege o groß sein, daß man das dritte Jahr niht entbehren könne, und drittens mache die taküishe Umbildung das dritte Fahr unentbehrlih. Die Schießausbildung mit dem neuen ewehr is schon heute eine solche, daß der Mann nach einem Jahr als gut ausgebildeter Schüße zu betrachten ist; das ist nicht bloß meine persönliche Anschauung, sondern geht auch aus der Shhießvorschrist für die Jnfanterie, welche für das neue Gewehr eingeführt ist, hervor. Danach gehören der zweiten Schießklasse — sie umfaßt die Soldaten, die am Ende des zweiten Dienstjahres stehen — die ausgebildeten guten Schüzen an, der dritten Klasse die vollkommen sicheren Shüßen.
üdsiht auf das Centrum ge--
Wir müssen also nach der Schießvorschrift für uns in Anspruch nehmen, daß Die, die die zweite Schießklasse durhgemacht, als gut ausgebildete Schüßen zu betrachten sind. Die Auf- fassung, daß das dritte Jahr für die Ausbildung nicht noth- wendig ist, habe ih übrigens seit 1875 in Wort und Schrift ver- treten, als ih noch aftiver Offizier war. Die Schießausbildung er- fordert jezt noch weniger Zeit als früher, weil das Gewehr außerordentlich verbessert ist. Ein französischer Offizier, dem eine hohe Autorität in diesen Fragen beigelegt wird, hat sih in dem „Militärwochenblatt“ in diesem Sinne ausgesprochen. Was die Erziehung zur Disziplin betrifft, die Nothwendigkeit, die Nerven für das Gefecht stark zu machen, so meine ich, daß unsere Nerven im Jahre 1871 stärker sein mußten, als in einem Kriege der Zukunft nöthig sein wird. Denn damals sind wir einem weit überlegeneren Gewehr gegenüber gewesen. Das Zündnadelgewehr stand dem Chassepotgewehr gegenüber. Haben die Nerven einem überlegenen Gewehr gegenüber aus- gereicht, so werden sie einer gleihwerthigen Waffe gegenüber in Zukunft erst recht ausreichen. Auch diese Auffassung kann ih mit militärischen Autoritäten, die noch heute in der Armee gelten, belegen. Jch verweise im Besonderen auf den Artikel eines aktiven General-Lieutenants in dem „militärischen Wochenblatt“. Jn demselben wird übrigens unter anderen eine gerehtere Behandlung des Soldaten . als für
die Disziplin erforderlich und nothwendig bezeichnet. Der Abg. Bebel hat gestern die Behandlung der Soldaten als eine unmenshlihe hingestellt. Der Kriegs-
Minister hat dies mit vollem Reht zurückgewiesen. Es sind aber thatsählich noch Verhältnisse vorhanden, die beim besten Willen der Militärverwaltung troy aller Kabinetsordres seit 1820 es ershweren, daß in der großen Masse der Soldaten eine freiwillige Disziplin hergestellt wird. Ohne die freiwillige Disziplin, ohne die \reudige Unterordnung ist aber nihts zu machen. Wenn die Disziplin noch stärker werden soll, wie sie es hon heute ist — Gott sei Dank ist sie es in vollem Maße —, dann sollte die Heeresverwaltung nachsehen, ob es nicht möglich is, noch mehr darauf hinzuwirken, daß der Soldat zur Erringung der Disziplin milder angefaßt und gerechter behandelt wird, als es heute shon der Fall ist. Friy Hoehne in seinen „Untersuhungen über die Taktik“ weist darauf hin, daß der Offizier niht durch mechanishe, sondern durch moralische, intellektuelle Mittel auf die Erhöhung der Dizeziplin des Soldaten einwirken müsse. Die Tendenz der Taktik seit 30 Jahren zielt auf eine Vereinfahung der Formen hin. Nach meiner Meinung und nah der Meinung mehrerer Militärtaktiker ist es gar nicht möglih, die Formen noch mehr zu vereinfachen. Der gemeine Mann in der Front hat jeßt nur die einfahsten Formen auszuführen, das Uebrige ist Sache der Leitung und Führung, und etwaige Veränderungen werden sich nur auf diese beziehen. Es ist also nicht ein- zusehen, warum wir nicht schon jeßt die zweijährige Dienst- zeit einführen sollten. Nehmen Sie unseren Antrag an und zeigen Sie damit den ernsten Willen, einer berehtigten For- derung des Volks nachzukommen.
Staats-Minister von Verd y:
Ich kann dem Herrn Vorredner wohl nit auf alle die Gebiete folgen, welche er in militärisher Beziehung berührt hat, um zu seinem Schlußresultat zu gelangen. In Beziehung auf die Schieß-
ausbildung möchte ich nur das Eine bemerken; übersehen wir nicht,
daß die genügenden, guten und besten Schützen, diefe drei Klassen, ih nicht mit den Jahrgängen decken. Denn um ein guter Schüße zu werden, muß man zuerst eine gewisse Schießausbildung durh- gemabt haben, man kann es au im dritten Jahre erst werden.
Was die Ueberlegenhcit des französishen Gewehrs 1870 betrifft, so muß ih bemerken: Unter Feuergefecht ist eben Verschiedenes zu- fammenzufassen. Sie wissen, daß das französishe Gewehr dem unseren damals überlegen war; Sie wissen aber auch, daß diese Ueberlegenheit weit ausgeglihen worden ist dur die foloffale Ueberlegenheit unserer Artillerie.
Dann baben wir die Vorlesung gehört über den Werth, den wir auf moralische und intellektuelle Auébildung legen. Das ist etwas, was, ih denke, wir nit bloß Alle wissen, sondern — da frage ih den Herrn Abgeordneten auch aus seiner eigenen Dienstzeit — auch geübt haben — er doch wohl auch? Wir sind doch also auf dem Wege und treiben dies fortwährend. Wenn er endlich sagte in Bezug auf das Gefecht, Alles strebt auf die Tendenz der Form, das Einzige, was dem gemeinen Manne von Werth ift, ist die Form, — ja, meine Herren, ih weiß nicht, was diese in intellektueller Beziehung für das Gefecht ebea bewirken soll. Das Gefeht erfordert ja nicht bloß die Form, fondern im höchsten Maße eine moralische und intellektuelle Einwirkung und Ausbildung des einzelnen Mannes.
Abg. Graf Mirb ach verzichtet zu Gunsten des Abg. von Kardorff aufs Wort. Abg. von Kardorff: Jh erkenne an, daß die Ver- fürzung der Dienstzeit ein populäres Verlangen is. Was aber im Lande im vergangenen Wahlkampf darunter ver- standen worden, ist etwas Anderes, als was Sie heute wollen. Das Land hat unter Einführung der zweijährigen Dienstzeit die Verminderung unserer Armee um ein Drittel ver- standen. Das Land erblickt darin eine finanzielle Ent- lastung. Der freisinnige Antrag aber geht darauf aus, 26 000 Rekruten mehr als bisher einzustellen. Davon hat das platte Land keine Ahnung gehabt. Weiter, die Einführung der zweijährigen Dienstzeit kostet viel Geld. Sie wollen also das Land nicht bloß mit 20 Millionen belasten, welche die gegenwärtige Vorlage uns auferlegt, sondern außerdem noch mit den 20 Millionen, welche die Einführung der zweijährigen Dienstzeit kosten wird, das sind 40 Millionen. Es ist gut, daß die Steuerzahler das erfahren. Von diesem Gesichts- punkte betrachtet, wird die Popularität der zweijährigen Dienstzeit sehr {nell {winden. Hr. Hinze is gewiß als früherer Compagnie-Chef berechtigter, ein Urtheil in diesen Dingen abzugeben wie ein Laie. Jndessen i niht außer Aht zu lassen, daß in den Gut- ahten von über 200 Regiments-, Brigade- und Divisions- Commandeuren und kommandirenden Generalen nur ein einziger sih für die zweijährige Dienstzeit ausgesprochen hat. Jch habe mich in befreundeten militärischen Kreisen ebenfalls erfundigt und erfahren, daß Alle in der zweijährigen Dienst- zeit eine Verschlehterung der Qualität unseres Heeres erblicken. Die Nothwendigkeit einer Vermehrung der Präsenzstärke ist eigentlih nur von den Sozialdemokraten bestritten worden, die anderen Herren haben die Nothwendigkeit dadurh impliecite zugegeben, daß sie die Annahme der Vorlage von der An- nahme ihrer Anträge abhängig machen. Der Abg. Rickert zas ursprünglich die Forderung auch ohne Kompensation ewilligen wollen; wenn die Regierung nur die ein- jährige Budgetbewilligung zugebe, würde ein großer Theil seiner Partei geneigt sein, der Vorlage zuzustimmen. Die Erklärungen des Kriegs-Ministers in Bezug auf die ukunftspläne haben die Wandlung in der Meinung der frei- innigen Partei nicht allein herbeigeführt, sondern es waren
auch diejenigen Vorgänge, welche wir zu unserer großen Er- heiterung aus der freisinnigen Presse über die freisinnigen Fraktionsverhandlungen gehört haben. Vorher war eine An- zahl von Abgeordneten so muthig, dem Abg. Richter gegen- über eine abweichende Meinung geltend zu machen. Das ist nun auf einmal vorbei. Der Abg. Rickert is davon ein Zeuge. Auch der Abg. Richter hat Anfangs in der Kom- mission die Nothwendigkeit der Vorlage anerkannt; er meinte, sie könne vershoben werden, augenblicklih sei der politische Himmel wolkenlos. Das is so eine eigenthümliche Sache. Der Fürst Bismarck hat hier erzählt, er sei 1870 durch den Ausbruch des Krieges überra)cht worden. Wenn ein so weitsihtiger Staatsmann sich täuschen konnte, so können wir uns nicht so ohne Weiteres auf die jeßt günstige Situation verlassen. Wie sehr man sich täuschen kann, hat der Abg. Virchow bewiesen, der 1869, also vor dem Ausbruch
des französischen Krieges, seinen berühmten Abrüstungsantrag-
gestellt hat. Die Sozialdemokratie hat wieder auf die Belastung des Volks durch die Steuer auf nothwendige Lebensmittel hingewiesen. Dazu hat sie kein Reht. Wenn die Maurer- und Zimmergesellen striken, so werden die Wohnungsmiethen theurer, und wenn die Bergleute striken, werden die Kohlen. theurer, und die sind doch auch ein nothwendiges Bedürfniß. Freilich die 27 Millionen deutscher Landwirthe sind die Heloten und Parias, um für die Anderen zu arbeiten. Jm alten Rom schrie man; „Panem et Circenses“, und Diejenigen, welche um die Gunst -des--Volkes buhlten, gaben unentgeltlih Ge- treide zum Untergange des fiskalishen Bauernstandes, und aufregende MeMeripice: Diejenigen, welhe heute um die Volksgunst buhlen, versprehen auch billige Nahrungsmittel ; mag die Landwirthschaft zu Grunde gehen, das ijt ihnen ganz gleichgültig. Dem Arbeiter versprechen sie hohe Löhne und billige Nahrungsmittel, damit er die Genüsse des groß- städtischen Lebens voll auskosten kann. Das geht ähnli, wie im alten Rom. Der Abg. Richter hat dem Abg. Windthorst gegenüber den deutshen Sprachshaß um ein Wort bereichert und hat dessen Verhalten als Angstmeierei bezeihnet. Mir war das Wort unbekannt. Dagegen kenne ih ein anderes Wort, und das heißt Piepmeierei. Diese hat in den leßten Wahlen den Sieg davongetragen. Jn jeden Wahlkreis ist ein Piepmeier gekommen und hat gesagt, das arme Volk wird bedrückt mit Steuern. Man fügt aber niht hinzu, daß Frankreich 28 Milliarden Schulden hat und wir nur 11/, Milliarden. Man sprach von der Abschaffung der Brannt- weinsteuer, von der zweijährigen Dienstzeit. Jch gestehe, daß der staatsmännische Standpunkt, den der Abg. Windthorst der Vorlage gegenüber eingenommen hat, doch ein sehr berechtigter ist, und viel großartiger, als derjenige der Herren vom {¿Frei- sinn. Gegenüber der wirklich vornehmen Haltung des Ver- treters der polnischen Fraktion beneide ih die Herren vom Freisinn niht um das Gefühl, was sie einer solchen Erklarung gegenüber gehabt haben. Was die Resolutionen anbetrifft, so werde ih für die erste stimmen, weil ih in derselben eine Verwahrung niht nur gegen eine unendlihe Vermehrung des stehenden Heeres erblicke, sondern auch gegen eine Verkürzung der Dienstzeit. Jch bin ein großer Gegner der Verkürzung der gegenwärtigen Dienstzeit, weil dadurch die Armee qualitativ geshwäht wird. Für die zweite kann ih niht stimmen, mweil ih das Septennat für bestehend erahte. Dagegen werde ih für die dritte Resolution stimmen, weil auch ich eine Ausdehnung der Dispositionsurlauber für nöthig halte. Endlih werde ich für die vierte Resolution stimmen, welche die zweijährige Dienstzeit ausspricht. Jch hoffe nun, daß diese Vorlage mit großer Majorität angenommen werde und dadurch dem Ausland gezeigt wird, daß es nur geringe Parteien sind, welhe den Bestrebungen entgegen- treten, Deutschlands Ansehen und Maht nach jeder Richtung hin aufrecht zu erhalten.
Die Diskussion wird geschlossen.
Jn einer persönlihen Bemerkung weist Abg. Rickert den Vorwurf zurück, daß er früher irgend einmal die Vor- lage als annehmbar bezeichnet habe. Er habe seinen ablehnen- den Standpunkt von Anfang an ge ltend gemacht.
Abg. von Kardorff: Es ist überall der Eindruck ver- breitet gewesen, daß bei Annahme der Anträge die Freisinnigen geneigt sein würden, die Vorlage anzunehmen.
Zur Geschäftsordnung konstatirt Abg. Liz2bermann von Sonnenberg, daß ihm, wie bei der ersten Lesung, so auch jeßt das Wort abgeschnitten sei.
Abg. Werner erklärt Namens seiner Freunde, daß sie für die Vorlage und für die Resolutionen Windthorst, auch für diejenige, betreffend die zweijährige Dienstzeit, stimmen würden.
Neferent Graf Stolberg: Mein persönlicher Eindruck war, daß Herr Rickert zuerst für die Vorlage stimmen wollte. (Zuruf: Das isst doch nicht Sache des Referenten !) Redner führt dann aus, daß die Kommission die Finanzlage niht so {warz angesehen habe wie Herr Nickert, daß sie aus den Zahlen, welhe die Re- gierungsvertreter aufgeführt haben, die Ueberzeugung ge- wonnen habe, daß die Armee niht mehr den Anforderungen entsprehe, welhe mit Rücksicht auf die Verhältnisse in Frank- reih und Rußland gestellt werden müßten. Redner fpricht besonders seine Freude darüber aus, daß die Polen der Vor- lage zustimmen ; sie hätten die Gefährlichkeit der Lage erkannt, was bei ihnen als Bewohner einer Grenzprovinz begreif- lich sei.
H Abg. Rickert proteßKirt dagegen, daß der Referent seine persönlihen Eindrücke zur Sprache bringe; daran habe das Haus gar kein Juteresje.
Der freisinnige Antrag, betreffend die jährlihe Bewilli- gung des Militär-Etats, wird gegen die Stimmen der Sozial- demokraten, der Volkspartei, der Welfen und der Freisinnicen abgelehnt. §. 1 wird darauf in namentlicher Abstim- mung mit 211 gegen 128 Stimmen angenommen. Der Abstimmung enthält sih der Abg. von Hake.
Mit „Ja“ stimmen geschlossen die Deutschkon]ervativen, die Reichspartei, die Polen und die Nationalliberalen, vom Centrum die große Mehrheit, ferner die Wiloliberalen Thomsen, Wisser und Langerfeldt. ;
Mit „Nein“ stimmen die Sozialdemokraten, dle Volks- partei, die Freisinnigen, einige Welfen und vom ESentrum ein Badenser (Hug) und 20 bayerishe Abgeordnete: Aich- bihler, Biehl, Burlein, Fischer, Haberland, Kirchammer, Lehner, Leonhard, Mayer-Landshut, ÖOrterer, Pezold, Reichert- Bayern, Schaedler, Schaettgen, Stoehr, Wagner, Weber, Wenzel und Wißtlsperg?r- as
Der freisinnige Antrag wegen Einführung der zweijährigen Dienstzeit wird darauf mit 205 gegen 134 Stimmen abgelehnt. Die Minderheit seßt sih ebenso