1910 / 103 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 03 May 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Wölzl (nl.): Wir stimmen dem Entwurf, wie er aus der Kommission hervorgegangen ist, zu, weil unsere in erster Lesung aus- esprohenen Wünsche im allgemeinen ihre Erfüllung gefunden aben. uch den Antrag Kölle nehmen wir an, denn er stellt eine wirksame Waffe zur Bekämpfung des Mädchenhandels dar. Was die allgemeine Einführung öffentlicher Arbeitsnachweise betrifft, so möchte ih für meine Person meine vollste Sympathie für öffentlihe Nachweise aus- \sprehen. Wir haben in München einen paritätishen Arbeitsnachweis errihtet, der eine sehr segensreihe und anerkannt gute Wirksamkeit entfaltet hat. Die Zentralisieëung solher Nachweise würde die Vor- bedingung für die Lösung des Problems der Arbeitslosenversicherung schaffen. Was den Antrag Manz betrifft, so hat gerade für uns die obligatorische Gebührenregelung durch das Gefeß einen Trumpf von aus\chlaggebender Bedeutung gebildet, und au über der Bedürfnis- frage muß das Auge des Geseßes wachen. :

Abg. Dr. Bur ckhardt (wirth. Vgg.): Die Absicht, die gewerbs- mäßige Stellenvermittlung gänzlich zu beseitigen, liegt auf feiner Seite vor: einschreiten will man U gegen die Ausbeutung sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer durch die Stellen- vermittler. Es ist ja zuzugeben, daß die Gastwirtsgehilfen auf dem Standpunkt des sozialdemokratischen Antrags stehén; aber wir können in diesem Zusammenhange keine besonderen Bestimmungen für diese Kategorie treffen. Der Antrag geht durhaus radikal vor, denn wir haben noch lange nicht überall die Möglichkeit, gemeindliche Arbeits- nachweise zu schaffen. Mit dem Beginn des Jahres 1914 sollen die bisherigen Stellenvermittlungsgeschäfte aufhören ; bis dahin könnten sich die Betreffenden nah der Meinung der Antragsteller anders einrichten. Ja, wie sollen die zahlreichen tüchtigen und ehrlihen Stellen- vermittlerinnen, die Dienstboten und ländlihes Gesinde vermitteln und zum Teil \{chon in vorgerückten Jahren stechen, das anfangen? Den Antrag Manz lehnen wir ab, denn wir sehen in der obligatorischen Regelung der Gebührenfestseßung den Kernpunkt des Gefeßes. § 4b, den die Vorlage neu eingefügt hat: „Stellenvermittler, welche für weib- liche Personen Stellen im Auslande vermitteln, haben der für ihren Gewerbebetrieb zuständigen Polizeibehörde ein Verzeichnis der Namen dieser Personen und der ihnen vermittelten Stellen nah näherer Anordnung regelmäßig vorzulegen", stellt auch nach unserer Auf- fassung eine wirksame Handhabe zur Bekämpfung des Mädchenhandels dar: doch bitten wir, zu diesem § 4b das Amendement Kölle an- zunehmen, wonach das Wort „regelmäßig“ zu T ist durh „als- bald nach erfolgter Stellenvermittlung und vor Antritt der Stelle“.

Abg. Sch ir mer (Zentr.): Der sozialdemokratische Antrag ift gänzlich unzulänglich, und zwar weniger weil die Herren sih niht Mühe mit ihm gegeben haben, als weil man das wirtschaftliche Leben nicht so durch ein paar Geseßesparagraphen ordnen fann. Was wir erreichen wollen, ist, daß die Auswüchse im gewerbsmäßigen Arbeitsnachweis beschränkt werden; und das geschieht vollauf in der Vorlage, die sogar darüber hinaus auch beläränkende Bestimmungen für die Stellenvermittlung enthält. Selbstverständlich Arbeitsnahweise, die auf Grund von Tarifverträgen errichtet sind, und an denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleihmäßig beteiligt sind, ruhig ihre Tätigkeit weiter ausüben, anders aber liegt die Sache, wenn damit zu- leih ein Koalitionszwang herbeigeführt werden soll. Wir haben den Be gehabt, daß man von einem

nichtgewerbsmäßige Sti erscheint es uns, daß

ersuch gewerkschaftlichhen Arbeits- nachweis alle nihtsozialdemokratischen Arbeiter aus\{chloß und fie der Arbeitslosigkeit zu überliefern suchte; dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit uns wehren. Das französishe Geseß trifft die unentgeltliche Stellenvermittlung nicht und verlangt auh nur für Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern die obligatorische Einrichtung von kommunalen Arbeitsnahweisen. Höchst eigenartig ist, daß gerade die Sozialdemokraten jeßt so stark auf öffentlich- rechtliche kommunale Arbeitsnahweise drücken, während dieselben Herren noch vor wenigen Jahren diesem Gedanken feindlich gegenüber- standen, bier im Reichstage gegen einen bezüglichen Antrag Pachnicke stimmten, und ihr Vertreter Pôßsch auch in der Gewerkschaftsbewegung entschieden dagegen aufgetreten ift.

Abg. Schmidt-Berlin (Soz.): Da unser Antrag von den Zentrumsrednern fo hartnäckig bekämpft wird, muß er Ihnen doch recht unangenehm sein. Sie übersehen, daß in der leßten Zeit der einseitige Zechenarbeitsnahweis im Ruhrgebiet in Kraft getreten ist, dér auch auf die Zentrumsgefolgschaft in der Arbeiterschaft seine Wirkungen äußern muß. Da fühlen Sie die Shwähhe Jhrer Position und suchen nun nach Beweisgründen, die die Undurch- führbarkeit unseres Antrages dartun follen. In Frankreich ist die Protegierung des Staates für die öffentlichen Arbeitznachweise \ystema- tisch eingetreten und hat die gewerbsmäßigen Stellenvermittlungen abgelöst und beseitigt. Daß wir keine Entschädigung für die 7- bis 8000 Vermittler vorschlagen, liegt doch gerade in der Nichtung der Zentrumspolitik, wie sie tin Bayern verlangt worden ift, daß chon innerbalb eines Jahres die Stellenvermittler ohne jede Entschädigung ihr Gewerbe aufzugeben hätten. Wir wollen ihnen ja einen mehr- jährigen- Zeitraum lassen, um ihnen Gelegenheit zu geben, einen anderen Erwerb8zweig zu ergreifen. Bei den ländlichen Arbeitsnach- weisen werden die bestehenden Uebelstände durch die Vorlage durch- aus nicht beseitigt. Die Gewerbefreiheit kann uns nichts Hen, wo so schwere Uebelstände zu beseitigen find, wo ein die Notlage des Arbeiters ausnütßzendes Spekulantentum die Oberhand hat. Ich bedauere überhaupt, daß Sie unseren Antrag auf Gebühren- freiheit der Arbeitsnachweise für die Arbeiter abgelehnt haben. Gerade der Arbeiter muß alles bezahlen, auch die Auslagen, die gar nicht notwendig find. Ich habe den Mitgliedern der Genossenschaft deutsher Bühnenangehöriger empfohlen, den paritätischen Arbeits- nachweis einzuführen; erst dann würde ihnen geholfen. Wir müssen mit den privaten Arbeitsvermittlungen endlih Schluß machen.

Damit schließt die Beratung über S 1.

Der Antrag Albrecht wird gegen die Stimmen der Sozial- demokraten und Polen abgelehnt; die übrigen Anträge der Sozialdemokraten werden darauf zurücckgezogen; § 1 der Kommissionsbeschlüsse wird gegen die Stimmen der Polen an- genommen. i l

8 2 schreibt die Konzessionspflicht für die Stellenvermittler vor. Diese Erlaubnis ist zu versagen, wenn

1) Tatsachen vorliegen follen, die Unzuverlässigkeit des Nach- suchenden in bezug auf den beabsihtigten Gewerbebetrieb oder auf seine persönlichen Verhältnisse dartun,

2) ein Bedürfnis nach Stellenvermittlern nicht vorliegt. Ein Bedürfnis ist insbesondere niht anzuerkennen, soweit für den Ort oder den wirtschaftlihen Bezirk ein öffentlicher gemeinnüßiger Arbeits- nachweis in ausreihendem Umfange besteht.

Abg.Schmidt-Berlin (Soz.) befürwortet einen fozialdemokratischen Antrag auf Streichung der iibedeten Worte in Nr. 1 und einen zweiten auf anderweite Formulierung der Nr. 2 binsihtlich der Bedürfnisfrage. Es sei hier die Absicht, die paritätishen und fonstigen öffentlich-rehtlihen Arbeitsnahweise wirksamer, als die Vorlage tue, gegen die Konkurrenz der gewerbsmäßigen Stellen- vermittler zu {üten. ;

Abg. Schirmer (Zentr.) verteidigt den von der Kommission empfohlenen Zusay.

Die Anträge Albrecht werden abgelehnt.

8 2 unverändert angenommen.

Bei 8 4 (Gebührenfestsezung) tritt der

Abg. Manz (fortshr. Volksp.) nochmals für seinen Antrag ein, die Negierungsvorlage wiederhberzustellen, also die Festseßung der Gebühren nur fafultativ den Behörden zu überlassen.

Abg. Dr. Pfeiffer (Zentr.) bekämpft diesen Antrag.

S 4 der Kommissionsbeschlüsse bleibt unverändert.

Nach § 4a, von der Kommission neu eingefügt, dürfen die Stellenvermittler Dienstbücher, Arbeitsbücher, Zeugnisse usw., die aus Anlaß der Stellenvermittlung in ihren Besiß gelangt sind, nicht zurückbehalten und auch ein Pfandrecht daran nicht ausüben.

Abg. Dr. Wagner-Sachsen (dkons.) befürwortet einen von ihm gestellten Antrag, hinter § 4a Enden § 4aa einzufügen: i „Die Vorschriften der §§ 3a, 4 sind vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an auch auf früher geshlossene Verträge anzuwenden, \o- weit aus ihnen Ansprüche oder Rechte für die Zeit nah dem Inkrafttreten dieses Geseßes geltend gemaht werden.“

Stellvertreter ‘des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern Delbrü ck:

Meine Herren! Ich habe erst vor kurzer Zeit von dem vor- liegenden Antrage Kenntnis bekommen und kann meinerseits heute eine endgültige Stellung dazu niht einnehmen. Wenn aber der Herr Antragsteller ausgeführt hat, die Annahme dieses Antrages werde irgendwelhen grundsäßlihen Bedenken niht begegnen, so möchte ih doch darauf hinweisen, daß ih diese Auffassung nit teilen kann.

Meine Herren, es handelt \sich zweifellos um einen Eingriff in woblerworbene Rechte, es handelt sich um die Annullierung von An- sprüchen aus Verträgen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in Uebereinstimmung mit dem geltenden Recht zustande gekommen sind. Ich möchte der Meinung Ausdru geben, daß der Reichstag in folhen Fällen sorgfältig prüfen muß, ob er so weit gehen und die Wirkung von geltenden Verträgen aufheben will. (Hört, hört! links.)

Nun wird mir eingewendet werden: ja, die Bestimmungen der Verträge, um die es si hier in erster Linie handelt, widersprechen den guten Sitten, sie find aus diesem Grunde anfehtbar. Wenn die Verträge aber anfehtbar find, weil sie den guten Sitten zuwider- laufen, dann brauchen wir ihre Anfechtbarkeit nicht erst durch ein besonderes Geseß zum Ausdruck zu bringen, dann können sie annulliert werden auf Grund des bürgerlihen Rechts. (Sehr richtig!) Ich meine, daß es in hohem Maße bedenklih ist, über die allgemeine Vorschrift hinaus diese Verträge in ihrem NRechtsbestande zu alterieren.

Ich kann Sie daher nur bitten, den Antrag abzulehnen.

Abg. Dr. Wagner- Sachsen (dkons.): Es handelt sich hier um Verträge, die, wenn sie au nicht direkt den guten Sitten wider- sprechen, jedenfalls unseres besonderen Schußes nicht bedürfen. Die Judikatur ist au keinesfalls sicher.

Der Antrag Wagner wird nach Probe und Gegenprobe mit den Stimmen der Konservativen, des Zentrums und der Sozialdemokraten angenommen.

Zu 8 4b spricht sih der

Abg. Dr. Pfeiffer (Zentr.) gegen den Antrag Kölle aus; es sei praktisch unausführbar, {hon vor Antritt der Stelle diese Verzeichnisse regelmäßig vorzulegen.

Stellvertreter des Reichskanzler Delbrü:

Meine Herren! Ich kann mich im wesentlihen den Ausführungen des Herrn Vorredners anschließen. So erwünscht es ist, den Mädchen- handel mit allen Mitteln zu bekämpfen, so soll man doch in der Wahl dieser Mittel eine gewisse Vorsicht walten lassen und nicht Vorschriften treffen, die sih nachher in der Praxis als undur{führbar erweisen. Namentlich foll man nicht undurchführbare Vorschriften geben, die nebenbei unter Strafe gestellt werden. Ich teile die Auf- fassung, die der Herr Vorredner eben zum Ausdruck brachte, daß es in einer großen Anzahl von Fällen für den Stellenvermittler gar nicht möglich sein wird, die Meldung an die Polizeibehörde unter allen Umständen zu erstatten, bevor die Stelle angetreten wird.

Nun fommt aber noch etwas anderes hinzu. Die Be- stimmungen, die Sie hier - in dem Beschlusse der Kommission im § 4b haben, sind, soweit ich unterrihtet bin, beinahe wörtlich übernommen aus der preußischen Verordnung, und diese Verordnung hat \ich bewährt; wenigstens sind vom hiesigen Polizeipräsidium, das die führende Stellung in der Bekämpfung des Mädchenhandels in Deutschland einnimmt, niemals Anträge auf Erweiterung der Vorschriften gestellt worden. Unter diesen Umständen möchte ih doch warnen, eine Vorschrift in das Gesetz aufzunehmen, deren Durchführbarkeit wir niht übersehen können, und deren Notwendigkeit nicht erwiesen ift.

Der Antrag Kölle wird gegen wenige Stimmen unter Heiterkeit des Hauses abgelehnt.

8 6 trifft Bestimmung über die Voraussetzungen für die Zurücknahme der Konzession und besagt u. a.: „Die Unzuver- lässigkeit ist stets anzunehmen, wenn der Stellenvermittler wiederholt bestraft ist, weil er die festgeseßte Gebührentare übertritt oder sih außer den taxmäßigen Gebühren Vergütungen anderer Art von dem Arbeitnehmer oder dem Arbeit- geber hat gewähren oder versprechen lassen.“ Die gesperrten Worte sind Zusaß der Kommission.

Vom Abg. Manz (fortshr. Volksp.) liegt ein Antrag auf Streichung dieser Worte vor.

Abg. von Michaelis (dkons.) tritt lebhaft für die Aufrecht- erhaltung des Zusates ein.

Abg. Manz (fortschr. Volksp.) will durch sfeinen Antrag die Möglichkeit offen lassen, daß kleine Geschenke, Kleider u. dergl. ge- geben werden können, ohne den Stellenvermittler in Gefahr zu bringen.

Der Antrag Manz wird abgelehnt.

Zu §8 11, welcher besagt: „Auf den Gewerbebetrieb der Stellenvermittler finden die Vorschriften der Gewerbeordnung insoweit Anwendung, als nicht in diesem Geseße besondere Be- stimmungen getroffen sind“, hat die Kommission folgenden Zusatz beschlossen: „Ueber die Frage, ob für eine Stellen- vermittlung die S8 1 bis 10 gelten, entscheidet im Zweifel die Landeszentralbehörde oder die von ihr bezeichnete Behörde end- gültig. Die Entscheidung ist für alle Gerichte und Verwaltungs- behörden verbindlich.“

Abg. Graf Carmer- Zieserwiß (dkons.) äußert Bedenken gegen den ‘von der Kommission beschlossenen Zusaß.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern Delbrü:

Meine Herren! Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß es im einzelnen Falle {wierig sein wird, festzustellen, ob ein Stellen- vermittlerbetrieb gewerbs8mäßig ist oder nicht. Die Frage wird auch in verschiedenen Landesteilen verschieden zu beurteilen sein, Orts- gewohnheiten und dergleihen mehr werden dabei eine Rolle spielen. Auf der anderen Seite is aber der Begriff der Gewerbsmäßigkeit durch so zahlreiche Entscheidungen der vershiedenen Gerichtshöfe, durch Instruktionen der Aufsichtsbehörden und durch Ausführungsverordnungen festgelegt, daß ih im allgemeinen annehmen möchte, daß es Schwierig- keiten niht mehr machen kann, im einzelnen Falle festzustellen, ob ein gewerbsmäßiger Betrieb vorliegt oder nicht.

Im übrigen bin ich nicht in der Lage, hier sagen zu können, welche Behörden die Bundesstaaten mit der Entscheidung betrauen werden. Ich für meine Person glaube nichti;, daß die unteren Ver-

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s, Staatssekretär des Jnnern

waltungsbehörden dazu berufen sein werden, sondern ich nehme im allgemeinen als wahrscheinlich oder siher an, daß die oberen Ver- waltungsbehörden, also in Preußen die Regierungspräsidenten mit dieser Entscheidung werden betraut werden, weil nur ‘auf diese Weise vermieden werden kann, daß innerhalb desselben Verwaltungsbezirks

die verschiedenen unteren Verwaltungsbehörden verschiedenartige Ent-

scheidungen treffen.

Der Kommissionszusaß wird angenommen und mit diesem Zusaß § 11. Der Rest der Vorlage gelangt nah den Be- \hlüssen der Kommission zur Annahme.

Hierauf wird auf Vorschlag des Vizepräsidenten Dr. Spahn Vertagung beschlossen.

Schluß 6 Uhr. Nächste Sißung Dienstag, 2 Uhr. (Zweite Lesung des Abkommens, betreffend die Handels- beziehungen zu Aegypten, des Ausführungsgeseßes zur Berner Literarkonvention, der Vorlage wegen Entlastung des Reichs- gerichts und des Gesezentwurfs wegen Ausgabe kleiner Aktien in den Konsulargerichtsbezirken und im Schußgebiet Kiautschou; dritte Beratung der Vorlage, betreffend die Aufstandsausgaben für Südwestafrika.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 63. Sißzung vom 2. Mai 1910, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht die dritte Beratung des Entwurfs des Staatshaushalts etats für das Etats- jahr 1910 mit dem Etatsgeseß- und dem Anleihegeseß- entwurf.

Ueber die allgemeine Besprehung und den ersten Teil der Spezialberatung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Es folgt der Etat für das Haus der Abgeordneten. Hierzu liegt ein Antrag des Abg. Grafen von Spee (Zentr.) vor, nah dem für die Mitglieder des Abgeordnetenhauses die Arbeitszimmer vermehrt werden sollen.

Minister des Jnnern von Moltke :

Meine Herren! In der Freifahrkartenangelegenheit bin idy heute in der Lage Ihnen mitzuteilen, daß die Verhandlungen über diesen Gegenstand im Schoße der Königlichen Staatsregierung ihren Abschluß gefunden haben, und daß nihts mehr im Wege steht, ohne Handhabung der Gesetzgebung und einem allseitig aus diesem hohen Hause geäußerten Wunsche entsprehend ten Herren . Abgeordneten Freifahrkarten zwishen Berlin und den Eisenbahnstationen des reg el- mäßigen Wohnsitzes zur Verfügung zu stellen. Die Ausfertigung dieser Karten werde ich beschleunigen und nehme an, daß sie nunmehr den Herren Abgeordneten bald, d. h. sobald als es technisch durh- fübrbar ift, ausgehändigt werten. (Lebhafter Beifall Große Heiterkeit.)

Abg. Wallenborn (Zentr.) wünscht, daß die Freifahrkarten aud für die Vororte von Berlin Geltung haben sollen, und unterstützt den Antrag des Grafen von Spee.

Der Antrag des Abg. Grafen von Spee wird einstimmig. angenommen.

Sodann folgt der Etat der Domänenverwaltung. Abg. Dr. Iderhoff (freikons.) tritt für die Meliorationen der

ostfriesishen Hochmoore ein und wiederholt besonders seine Wünsche,

die er bei der zweiten Etatsberatung für das Königsmoor vor- gebracht hat.

Abg. Kloke (Zentr.) weist darauf hin, daß die Preissteigerungen, die durch die Urbarmahung der Moore entstehen, den Gemeinden zugute kommen müffen.

Der Etat wird bewilligt.

Bei der hierauf folgenden Beratung des Etats der Forst= verwaltung beschwert sich

Abg. von Brockhausen (kons.) darüber, daß in zwei großen Oberförstereien im Kreise Deutsh-Krone keine richtigen Ver- kehrswege vorhanden sfeien. Durch den Bau einer Kleinbahn von Virchow nach Deutsch-Krone sei das Bedürfnis nah neuen Verkehrs- wegen dringend geworden. Die beiden Oberförstereien \{lössen au ihre Verträge nur mit großen Holzfirmen ab, sodaß die kleinen Säâgemühlen kein Holz geliefert bekämen. den Minister dringend bitten, die Wünsche dieser kleinen Unternehmer, die nächstens beim Minister vorstellig werden würden, wohlwollend zu berücksichtigen.

Oberlandforstmeister Wesener: Von dem zu verkaufenden Holze: ist nur ein Fünftel für große Firmen reserviert, währcnd vier Fünftel für das Meistgebot übrig sind. Ich kann dem Vorredner die Versicherung geben, daß die Forstverwaltung es sich angelegen fein E die Interessen der kleinen Sägemühlenbesißer in jeder Weise zu wahren.

Abg. Weissermel (kons.): DieUmwandlung unserer Oedländereien und Moorflächen in wirtschaftlihe Werte muß in verstärktem Maße- herbeigeführt werden. In Westpreußen, Ostpreußen und Pommern hat der Staat bereits kräftig die Initiative ergriffen, um die Oed- ländereien durch große Ankäufe zu vermindern. Diese Ankäufe haben keinerlei Nebenzweck, sondern dienen nur der Landeskultur. In Konitz und in Danzig haben zwei Spezialkommissionen an dem großen Werke mitwirken dürfen. Auf Grund meiner langjährigen Erfahrungen kann ih erklären, daß die Tätigkeit der Spezialkommissionen dabei nicht entbehrlich ist. Die Spezialkommissare sind örtlich orientiert, besißen das Vertrauen der Bevölkerung und sind mit den Leuten unausgeseßt an Ort und Stelle in Berührung. Sie haben niht, wie die Forst- beamten, mit dem Mißtrauen gegen allzu starke Fiskalität zu kämpfen. Die Bevölkerung verhandelt lieber mit dem Spezialkommissar als mit dem Mann im grünen Nock. Ich bitte deshalb den Minister, ein Zusammenarbeiten der Forstverwaltung und der Spezialkommissionen mehr als bisher zu fördern. Schwierigkeiten können diesem Zusammen- arbeiten nicht entgegenstehen.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Arnim:

Meine Herren! Die Verwendung der Spezialkommissare zum Ankauf von Oedländereien hat, wie der Herr Vorredner ausgeführt hat, für die betroffene Bevölkerung erheblihe Erleihterungen ge- bracht. Jch muß zugestehen, daß in leßter Zeit gewisse Schwierig- keiten entstanden find, auf die der Herr Vorredner ja auch im ein- zelnen aufmerksam gemacht hat. So leiht aber, wie der Herr Vor- redner gemeint hat, kann man diese Schwierigkeiten nicht beseitigen.

Es \schweben in legter Zeit Erwägungen, in welcher Weise man diesen -

Schwierigkeiten entgegenwirken könne. Es hat sich bei näherer Prüfung

gezeigt, daß die formalen Bedenken, die dem entgegenstehen, niht \o-

geringfügig sind, wie der Herr Vorredner meint. Jch werde mich be- mühen, diese Schwierigkeiten nah Möglichkeit zu beseitigen, weil das im Interesse der Ankaufspolitik liegt. Wie weit das gelingen wird, kann ih beute noch nicht fagen. (Bravo! rets.) 4

Er, der Redner, möchte: *

Nachdem noch der Abg. Heine (nl.) eine Beschwerde aus seiner Heimat vorgetragen hat, wird der Etat der Forst verwaltung genehmigt, ebenso der Etat der Ansiedlungs- fommission für Westpreußen und Posen. :

Beim Etat für die landwirtschaftlihe Ver- waltung tritt i

Abg. Nogalla von Bieberstein (kon\.) für eine Erhöhung des Meliorationsfonds ein und weist zugleih auf die Gefahr hin, daß îmmer mehr Landbesiß in polnishe Hände übergeht.

Abg. Kriege (freikons.) wünsht weitere Mittel va Landes- imeliorationen und etatsmäßige Anstellung der Vorstandsbeamten der demischen Laboratorien bei den Auslandsbeschaustellen.

Abg. Hecken roth (konf.): Der Westfonds für die Nheinprovinz ist in diesem Etat von 420 000 auf 390 000 # erniedrigt worden. Der Abg. Wallenborn hatte in der zweiten Lesung beantragt, das Minus von 30 000 M in den diesjährigen Etat einzuseßten, eventuell die Re- ¿ierung aufzufordern, dies im nächstjährigen Etat zu tun. Für diesen Eventualantrag sind meine politishen Freunde eingetreten, und ich möchte die Negierung bitten, im nächsten Jahre die Rheinprovinz nit um die 30 000 F zu verkürzen.

Minister für Landwirtschaft 2c. von Arnim:

Meine Herren! Schon bei der zweiten Beratung habe ih bei dem Antrage Wallenborn betont, daß es aus etatsrehtlichen Gründen unzulässig wäre, daß das hohe Haus eine Erhöhung dieser Position vornimmt, ohne gleichzeitig dafür Deckung zu \chafffen. Ich muß namens der Königlichen Staatsregierung erklären, daß an diesem (Grundsaße streng festgehalten werden muß.

Ich habe ferner erklärt, daß es der landwirtschaftlihen Verwal- ung unbenommen bleiben muß, die Fonds so zu verteilen, wie es im nteresse der Landeskultur notwendig ist. Auch an diesem Grundsatze ¡G ih festhalten. Ich habe aber inzwischen mit dem Herrn Finanz-

inister verhandelt und ihn gefragt, ob es niht möglih sein würde, m nächsten Jahre den Fonds um 30000 A zu erhöhen, um auch em Wunsch der Rheinprovinz entgegenkommen zu können. Der Herr Finanzminister hat mir in entgegenkommender Weise die Er- höhung des Fonds für das nächste Jahr zugesagt. (Bravo!) Ich hoffe, daß unter diesen Umständen der Herr Abg. Wallenborn oder die Herren Antragsteller den Antrag, den sie bei der zweiten Lesung estellt haben und der angenommen worden war, 30000 # {on in en diesjährigen Etat einzustellen, aus den {on erwähnten etats- echtlichen Gründen werden zurüdziehen können.

Abg. Freiherr von ges iesen Umständen wird es zweckmäßig sein, den Titel auf die alte dôóhe von 390 000 M zu bringen. Ich stelle diesen Antrag.

Abg. Wallenborn (Zentr.) spricht sih für die Aufrechterhaltung r Beschlüsse zweiter Lesung aus.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Herr Abg. Wallenborn hat eben die Güte gehabt, anzuerkennen, das Necht in diesem Falle auf seiten der Staatsregierung ist. Fs ist ein glaube ich unzweifelhafter staatsrechtliher Grundsaßz- die Landesvertretung die Ausgabefonds bewilligen oder ablehnen, er nicht ihrerseits erhöhen kann. (Sehr richtig! rechts.) Ich (aube: es ist doch wihtig, wegen dieser verhältnismäßig untergeord- eten Position an diesem grundlegenden Standpunkte festzuhalten.

ehr richtig! rechts.) Andererseits, meine ih, kann es doch darauf iht ankommen, ob die 30 000 4 nun bereits im Jahre 1910 oder st im Jahre 1911 der Rheinprovinz zugute kommen. (Wider- ruch im Zentrum.) Ich meine: wegen dieser verhältnis- äßig untergeordneten Summe sollte man nicht diese wichtige atsrehtlihe Frage hier aufrollen. (Sehr rihtig! rets.) ch erflâre, wie es {on der Herr Minister für Landwirtschaft an hat, daß wir im Etat für 1911 die 30000 #4 wieder zusetzen llen. Damit wird den Wünschen der Rheinprovinz, die mir ebenso

Herzen liegt wie dem Herrn Abg. Wallenborn, Genüge getan, d ih möchte bitten, wegen der wichtigen prinzipiellen Frage do 1 Beschluß rückgängig zu machen und dem Antrage von Zedliß nâß die 30 000 #4 im Etat für 1910 abzuseßzen, mit der bestimmten ficht niht nur, sondern mit der bestimmten Zusage, für den Etat

1911 die 30 000 4 hinzuzusegen.

Abg. Wamhoff (nl.) bes{hwert sich unter Anknüpfung an die ite und leßte Nate von 111 000 A für den Bau von Talsperren Gebiet der Radaune darüber, daß die kleinen Besißer offenbar zu rf herangezogen würden; der Minister solle prüfen lassen, ob die he der Sâte berechtigt sei.

Abg. Tourneau (Zentr.) beklagt sih darüber, daß bei der Ver- ung des Westfonds die Provinz Sachsen erheblih s{lechter fahre

andere Provinzen. Die Zuschüsse aus diesem Fonds seien in diesem br für zwei Provinzen erhöht worden, und betreffs der Rheinprovinz

e der Minister soeben eine entgegenkommende Erklärung abgegeben, so è man in gleiher Weise auch der Provinz Sachsen entgegen- men und vielleicht eine Erhöhung des Fonds ins Auge fassen. onders für das Eichsfeld seien Meliorationen geboten.

Abg. Dr. Gott schalk-Solingen (nl.) bedauert gleichfalls den derspruh, den die Negierung der Bewilligung der 30 000 4 ent- en]eße, und tritt für eine gleichmäßige Behandlung der Beamten } Generalkommissionen ein.

Abg. Dr. Hintmann (nl.) kommt nohmals auf die Promotion Tierärzte zurück und bittet, die auf außerpreußishen Universitäten orbenen Doktortitel der Tierarzneikunde auch in Preußen an-

ennen. Preußen möge seinerseits auch Promotionen in diesem e einführen.

Minister für Landwirtschaft 2c. von Arnim:

Ich habe den Wunsch, den beiden genannten Hohs{ulen das inotionsreht zu verschaffen. Jch verhandle schon seit längerer mit dem Herrn Kultusminister darüber und glaube, daß diese handlungen zu einem günstigen Resultat führen werden. Ob ih er Lage bin, den zweiten Wunsch des Herrn Vorredners zu er, n, erscheint mir sehr zweifelhaft. Es handelt si bei diesen im land, speziell in Bern promovierten Tierärzten fast aus\{ließlich lolhe Tieräârzte, die das Maturitätszeugnis nit besigen. Es en prinzipielle Gründe dagegen \prechen, die Promotion dieser en hier anzuerkennen und sie damit gewissermaßen günstiger ¿u n als diejenigen Tierärzte, die bei uns promovieren und von

das Maturitätszeugnis gefordert wird resp. in Zukunft gefordert en wird.

Abg. Graf von Spee (Zentr.) bedauert, daß die 30 000 M des Tonds für die Rheinprovinz gestrichen werden sollen. Die Summe è im Etat verhältnismäßig gering erscheinen, für die Rheinprovinz me geringe Summe. Seine Parteifreunde würden gegen den ol Dedliy stimmen. "79. von Arnim -Züsedom (kons.) erklärt das Einverständnis Partei mit dem Antrage Zedliz. Es wäre ein außergewöhnlicher wenn das Haus die Regierung zu einer Ausgabe zwingen L Aus entschieden ablehnt. Die lanjährige Praxis des Hauses “lufstellung des Etats spreche gcgen ein solhes Verfahren, und nicht zu empfehlen, hier ‘ein Präjudiz zu \chaffen. Mit Rücksicht

und Neukirch (freikon\.): Unter -

auf die knappe Finanzlage möchten sih die Darren aus dem Rhbein- lande mit der Zusage für tas nächste Jahr zufrieden geben.

Abg. Engelsmann (nl.): Die in der zweiten Lesung bewilligten 30 000 # sollten auch jeßt wieder bewilligt werden. Die damalige Mehrheit sei keine Zufalls-, sondern eine Bedürfnismehrheit gewesen. Wir werden gegen den Antrag Zedliß stimmen.

Abg. Weisser mel (Fonf.) stellt gegenüber dem Abg. Wamhoff fest, daß in Westpreußen kein Gegensaß zwishen Groß- und Klein- grundbesiß bestehe, sondern daß fie einträhtig miteinander Hand in Hand geben. j

__ Abg. Frit \ch{ (nl.) macht darauf aufmerksam, daß infolge der Ginauaresgrm die Landschaften und Hypothekenbanken genötigt seien, ei Aufnahme von Geldern Obligationen auszugeben, wodur ihnen namhafte Unkosten erwüchsen, während die Versicherungsanstalten und Sparkassen derartige Gelder aus den bereit stehenden Fonds kostenlos entnehmen könnten. Die ersteren seien dadurch benachteiligt.

Abg. Fischbeck (fortshr. Volksp.) bezeihnet es als bedauerlich, daß auch in diesem Jahr, nah dem milden Winter die Schonzeit ver- e worden sei. Das sei im Interesse der Landeskultur unnötig gewesen.

Abg. Gyßling (fortshr. Volksp.) unterstüßt die Klage des Abg. Wamhoff, daß die Tarife für die Abgabe von Elektrizität durch die UVeberlandzentrale in Westpreußen ungerecht zuungunsten der kleineren Besißer abgestuft seien. Der Preis verringere ih bei der Abnahme größerer Mengen von Elektrizität, sodaß die großen Besißer am wenigsten zu zahlen hätten. Man könne das nicht mit faufmännischen Grundsäßen rechtfertigen; denn es handle sich bei den Ueberland- zentralen nicht um kaufmännische, sondern um gemeinnüßige Unter- nehmungen, denen der Staat Unterstüßungen gewähre.

Minister für Landwirtschaft 2c. von Arnim:

Der Herr Vorredner ist im Irrtum, wenn er glaubt, daß zu dieser elektrischen Zentrale Staatsbeihilfe gewährt worden wäre. Es sind Staatsbeihilfen gewährt worden zu einer im Landeskulturinteresse vorgenommenen Melioration, die darin bestand, daß, um ‘große Sand- massen festzulegen, in der Nadaune Landfänge angelegt werden sollten. Die Kreise haben \ich bereit erklärt,“ die Ausführung dieser Meliorationen zu übernehmen und gleichzeitig die Einrichtung eines Clefktrizitätswerks damit zu verbinden. Auf den Tarif, den diefes Elektrizitätswerk aufgestellt hat, habe ih nit den geringsten Einfluß; es ist cin rein fommunales Unternehmen. (Sehr richtig! rets.)

Nach dem Antrag Zedliß wird dex Westfonds unter Streichung von 30 000 4 wieder auf 390 000 festgeseßt. Die Mehrheit für den Antrag Zedliß, die nur nah mehrfacher Probe und Gegenprobe festgestellt werden kann, ist sehr gering. Jm übrigen wird der Etat der landwirtschaftlihen Verwaltung unverändert bewilligt.

Beim Etat der Gestütverwaltung tritt

Abg. Dr. Lohmann (nl.) für eine Verbesserung der Pensions- v rhâltnisse und der Relifktenbezüge der Gestütsbeamten ein.

Der Etat der Gestütverwaltung wird bewilligt.

Es folgt der Etat der Berg-, Hütten- und Salinen-

verwaltung. __ Abg. Imbuscch (Zentr.): Bei der zweiten Lesung hat auf meine Klage Uber den niedrigen Verdienst einer Kameradschaft im Saar- brücker Revier der Oberberghauptmann von Velsen fsih auf einen Bericht der Bergwerksdirektion in Saarbrücken gestützt, um damit zu erweisen, daß in diesem Falle der niedrige Verdienst auf Schuld der Arbeiter beruhe, die die Arbeiten künstlich verzögert hätten. Nach den mir inzwischen zugegangenen Informationen stimmt der Bericht der Bergwerksdirektion mit den Tatsachen nicht überein. Es ist fest- gestellt, daß die einzelnen Behauptungen des Berichts nicht richtig sind. (Gs ist auch - festgestellt, daß die betreffende Arbeits\telle niht fo bäufig, wie behauptet wurde, befahren worden ift, daß also die Herren Oberbeamten aus eigener Wahrnehmung gar niht positive Be- hauptungen über die Arbeitsverhältnisse aufstellen fonnten. Weiter ist festgestellt, daß die Kameradschaft sich bereit erklärt hat, unter ständiger Aufficht zu arbeiten, weil man ihre Leistung an- zweifelte. Die Kameradschaft hat also keineswegs freiwillig versagt. Im Oberharz müssen die Löhne der Bergarbeiter erhöht werden: fie sind jeßt die niedrigsten in ganz Deutschland: dabei sind durch den Einfluß der Zehntausende von Sommergästen im Harz die Lebens- mittel dort besonders teuer. In der zweiten Lesung habe ich Klagen gegen den Knappschaftsarzt erhoben und gesagt, daß er bei der Ab- gabe von Gutachten sih auf seine Assistenzärzte verlasse. Jch habe inzwischen davon Kenntnis erhalten, daß der betreffende Oberarzt die Untersuchungen selbst vornimmt und felbst bei den Gutachten maß- gebend ist. Ich kann also meinen Vorwurf nicht aufrecht erhalten. Auch den gegen den Oberarzt Dr. Lindemann in Bochum erhobenen Vorwurf der leichtfertigen Handlung kann ih nach dem mir zur Ver- fügung gestelllen Material nicht in ganzem Umfange aufrecht er- halten ; ich war zu meinem Vorwurf veranlaßt durch einen Passus in einem Gutachen, der eigentlich da nicht hineingehört.

Oberberghauptmann von Velsen: Der Vorredner behauptet, daß in der Angelegenheit der Kameradschaft in Saarbrücken dies und jenes „festgestellt“ sei. Das sind doch aber alles einseitige Be- hauptungen. Daß die Bergwerksdirektion in Saarbrücken einen Bericht erstattet, der nicht richtig ist, ist ausgeschlossen. Die Löhne im Oberharz sind in den leßten zehn Jahren fortgeseßt gestiegen, sie sind keineswegs die niedrigsten in Deutshland. Der Durchschnitts- lohn der gesamten Belegschaft im Oberharz ist seit zehn Jahren von 221 M auf über 3 F gestiegen. Es hat also an Bemühungen der staatlichen Bergverwaltung, die Löhne zu erhöhen, nicht gefehlt, obwohl im Harz kein Gewinn erzielt wird.

Abg. Goebel (Zentr.) bringt verschiedene Beschwerden aus Ober- {lesien zur Sprache, wo Häuer zu Füllerdiensten verwendet würden, während das im Westen nicht der Fall sei.

Oberberghauptmann von Velsen: Die Rechtslage in Oberschlesien ist eine ganz andere als im Westen. Es handelt sih nur um ganz junge Leute, die mit diesen Füllerdiensten beschäftigt werden. Jch werde in der nächsten Zeit in diese Gegend kommen und die Ver- hältnisse näher prüfen.

Der Etat wird bewilligt.

Es folgt der Etat der verwaltung.

Abg. von Arnim-Züsedom (kons.) wendet sich gegen die in zweiter Lesung erfolgten Angriffe des Abg. Leinert gegen die Rechtsauskunfts- stelle des Reichsverbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Ich will niht behaupten, daß die Sozialdemokraten es waren, die dort die Schlösser mit Lehm ausgeshmiert haben, die die Scheiben mit un- fauberen Stoffen beshmiert haben, sodaß die Reinigungsgesellschaft sich weigerte, ‘ohne besondere Bezahlung die betreffenden Scheiben zu reinigen. Die Schilder der Nechtsauskunfts\telle wurden mit roter Farbe beschmiert. Jedenfalls standen die Leute, die das gemacht haben, den sozialdemokratishen Kreisen näher als uns. Der Sozialdemo- kratie wird es leiter sein, am 18. März Strafendemonstrationen zu veranstalten, als das Zustandekommen der NRechtsauskunftsstellen zu verhindern. Ich möchte die Regierung bitten, auf dem Wege, die fommuvalen und privaten Rechtsauékunftsstellen zu unterstüßen, weiter fortzufahren, unbekümmert um das Geschrei der Sozial- demokratie.

Abg. Leinert (Soz.): Meine Anklagen gegen die Rechts- ausfkunfts\tellen des Neiché verbandes zur Bekämpfung der Sozial- demokràätie hat der Vorredner nicht widerlegt. Er hat nur viele Worte gemacht. Die Behauptung des Abg. von-Arnim ist ungeheuerlich. Er war zu feige zu sagen, was er eigentlich wollte. (Vizepräsident Dr. Por \chch rügt es, O der Nedner dem Abg. von Arnim Feigheit vorwerfe.) Es liegt der Gedanke viel näher, daß gerade die natio- nalen Arbeiter aus Aerger darüber, daß sie keine Auskunft bekommen haben, diese Schmutereien vorgenommen haben. Der Abg. von

Handels- und Gewerb e-

Arnim hat ja selbs zugegeben, daß diese Sekretariate nur derx Bekämpfung der Sozialdemokratie dienen sollen, Der Kampf gegen die Sozialdemokratie ist nie ein gerehter Kampf. Sie (rechts) werden nicht im stande sein, das Odium von diesen Institutionen des Neichsverbandes zu nehmen.

Damit schließt die Debatte. Persönlich bemerkt

Ge L C E A P ie Ee dn batetgen V , i . Leiner gegenüber erhoben hat, bätte ich jedem anderen Mitgliede des Hauses gegenüber andere Waffen an- ewendet. Bei ihm übergehe ih diese Aeußerung einfa. Jch wieder- ole, O ih nicht behauptet habe, daß diese ekelhaften Shmuktereien von Anhängern der Sozialdemokratie herrührten. z

Abg. Leinert (Soz.): Jch will nur erklären, daß ih auf dem Wege, den der Abg. von Arnim angedeutet bat, ihm niemals folgen würde. Eine solche Bemerkung, daß er die Ehre auf diese Weise mir gegenüber nicht verteidigen wolle, rührt mich absolut niht. Das kennzeichnet die Art, wie Abg. von Arnim gegen mi polemisiert.

Es folgt der Etat des Ministeriums des Jnnern.

__ Abg. von Blan ckenburg (kon}.) bezeichnet die von dem Abg. Lippmann bei der zweiten Lesung erhobenen Beschwerden und Vorwürfe gegen die Gründung einer Ueberlandzentrale für die Kreise Birnbaum, Samter usw. als unberechtigt. Der dortige Landrat sei völlig korrekt verfahren, die Stadt Meserit sei nicht ges{hädigt, und es sei zu be- grüßen, daß ein derartiges Unternehmen mit Aussicht auf Erfolg be- gonnen worden sei.

Abg. Lippmann (fortschr. Volksp.) bestreitet, daß er ein Gegner von Ueberlandzentralen sei. Die Bedeutung solcher Unternehmungen für Landwirtschaft und Kleingewerbe sei gar niht zu untershäten, und das Vorgehen feiner Heimatyrovinz Pommern könnte in dieser Nichtung nur begrüßt werden. In dem angezogenen Falle Birnbaum könne er seine Vorwürfe nicht zurückziehen, wenn er vielleißt auch im einzelnen einen zu scharfen Ausdruck gebrauht haben möge. Das Verfahren des Landrats sei mindestens inforrekt gewesen und, da er an dem Unternehmen sh auch finanziell mit einer größeren Summe beteiligt habe, auch für einen Beamten nit taktvoll. Die Nentabilität des Werkes sei auch bestritten. Wenn nicht zu anderem, so Tônne der Vorgang dazu Anlaß geben, daß die veraltete Kreis- ordnung von Posen aufgehoben und durch zeitgemäße Bestimmungen erseßt werde.

Abg. Ern st (fortschr. Volksp.) erwidert, er sei bei der zweiten Lsung wegen Krankheit nicht anwesend gewesen, fonst bätte er au in der Angelegenheit das Wort ergriffeu. Er könne gegenüber dem Abg. Uppmaun nur sagen, daß der Landrat in der Angelegenheit zweifellos im besten Glauben gehandelt habe.

Abg. Blell (fortshr. Volksp.): Man hatte gehofft, daß die Be- schäftigung ausländischer Arbeiter im Innern Deutschlands nah und nach entbehrlich werden würde. Das hat sich aber für die Landwirt- schaft und die ländlichen Industrien als nicht mögli gezeigt. Man könne den Uebelständen, die dadurch entstanden feien, durch eine bessere Organisation der Arbeitsnachweise und innere Kolonisation am besten begegnen.

Minister des Jnnern von Mosltke:

Meine Herren! Ich habe mi im vorigen Jahre über die Ur- sachen und über die historishe Entwicklung der Saisonarbeiterfrage des weiteren ausgelassen. Jch habe ausgeführt, daß man {hon im Jahre 1890 bei der Wiederzula\sung der polnischen Arbeiter von der Erwägung ausgegangen ift, daß die Zulassung im nationalen Interesse möglichst zu beshränken und nur da zu fördern sei, wo wirklich ein unabweisbares wirtschaftlihes Interesse nachgewiesen is. Das war zunächst bei der Landwirtschaft der Fall, für die es sich um eine Daseinsfrage handelt. Cs fam vor allen SDingen die Landwirtschaft des leutearmen Ostens in Betracht, und dann die si nach Westen auêdehnenden Bezirke. Die Zuwanderung polnischer Arbeiter hat inzwishen nicht abgenommen, sondern erheblich zu- genommen. Während im Jahre 1905 rund 200 000 polnische Arbeiter vorhanden waren, stieg diese Zahl bis zum Jahre 1908 auf 350 000. Da die Polen dazu neigen, sich im Inlande festzuseßen und \ich der zeitigen Nückkehr in die Heimat tunlichst zu entziehen, so ist eine Vergrößerung dieser Flutwelle von Osten her aus nationalen Ge- sihtspunkten an sih natürlich nicht erwünscht. Dicfer Mißstand würde sh vergrößern, wenn man cine uneingeshränkte Zuführung polnischer Arbeiter auch in die westlichen und mittleren Bezirke Preußens einführen wollte. In der rihtigen Erkenntnis diefer Gefahr hat die westlile Industrie auf die Beschäftigung polnischer Arb-iter freiwillig verzichtet, und auch die oberschlesis{che Montanindustrie bemüht sich in fortshreitendem Maße, ihren Fehkbetrag an Arbeitskräften, soweit sie sie nicht durch Inländer decken kann, aus solchen Ausländern zu nehmen, die einem Nückkehrzwange nicht unterliegen. An solchen Aus- ländern ist, wie ih festgestellt habe, tatsächlich fein Mangel; es sind solche Kräfte zu haben. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, die íúIndustrie, für die der Herr Vorredner Blell eingetreten ist, darauf hinzuweisen. Ich weiß, daß solche Arbeiter zu haben sind, und ih glaube, daß die Herren sich nur zu bemühen brauchten, um sfolde Arbeiter zu finden. Deshalb habe ih die Beschwerde zurückweisen müssen.

Abg. Linz (Zentr.) fragt an, wie es mit der Aufhebung der in Aachen und Frankfurt a. M. geltenden Verordnungen stehe, wonach die Beflaggung der Häuser von einer polizeilihen Genehmigung ab- hängig sei. Wie stehe es ferner mit Gesetzen über die Feuer}ozietäten und die Bildung von Zweckverbänden. :

Minister des Jnnern von Moltke:

Meine Herren! Das in Aussicht gestellte Gese über die Zweck- verbände, von dem der Herr Vorredner gesprochen hat, ist in der Vorbereitung begriffen. Daß es noh îin dieser Tagung dem hoken Hause vorgelegt werden wird, kann ih freilich nidt versprechen. Cs ist neuerdings eine denselben Gegenstand betreffende Frage aufgetaudt;: die Bildung eines besonderen Zweckverbandes für den Waldgürtel um Berlin. Da {weben augenblicklich noch Erwägungen, ob und mie man das ceinheitlih bekandeln fann, oder ob es zweckmäßig ist, die beiden Fragen mit einander nicht zu verbinden. Aber keineswegs bitte ih, den Eindruck zu gewinnen, daß in der Absicht der Vorlegung eines erweiterten Zwecckverbandetgeseßes irgendwel&e Schwankungen oder Aenderungen eingetreten find.

Was die Polizeiverordnung für Aachen betrifft, welche das Aushängen von Fahnen von besonderer polizeiliher Genehmigung abhängig malte so bin ih erst in der Budgetkommission dieses Jahres auf diesen Gegenstand aufmerksam gemacht, der mich allerdings überrasht hat. Ich wußte nit, daß solche Polizeiverordnungen bestehen. Jh habe nun Nück- fragen gehalten und festgestellt, daß die Polizeiverordnung nicht bloß für die Stadt Aachen, sondern auch noch für weitere Ortschaften gilt. Dadurch ist die Entscheidung etwas verzögert: ih habe aber bereits ' den Behörden nahegelegt, die betreffenden Polizeiverordnungen als durchaus veraltet aufzuheben. Ich nehme an, daß so verfahren wird. (Bravo !)

Was das Gesetz über die Negelung der öffentlihen Feuerve1s sicherungen betrifft, so nehme ih an, daß es schon heute oder morgen dem hohen Hause vorgelegt werden wird. (Bravo !)