1870 / 165 p. 8 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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Fundstätten der Erze 2c. entfernter liegen, vorläufig noch darauf angewiesen, ihren Bedarf an Steinkohlen, Eisen u. st. w. haupk- sächlich aus Großbritannien zur See zu beziehen; die Erleich- terung des Transporls dieser Artikel auf den Eisenbahnen durch billigere Frachtsäße wird es indessen ermöglichen, daß der inlän- dische Bergbau und Hüttenbetrieb künftig auch diese Provinzen versorgen. Die Produktion ist dazu mehr als ausreichend. Ueber den Umfang des Bergbaues und Hüttenbetriebes im preußischen Staate, und die Theilnahme der einzelnen Pro- vinzen an demselben, sind erst vor Kurzem in diesem Blatte ausführliche Mittheilungen gemacht worden. Wir können uns deshalb darauf beschränken, die wichtigsten Erzeugnisse dieser Industriezweige hier summarisch anzugeben. Es wurden im Jahre 1868 beim Bergbau namentlich gewonnen: 454,630,648 entner Steinkohlen für 41,696,089 Thlr., 112,046,463 Ctr. Braunkohlen für 5,166,250 Thlr., 54,245,678 Ctr. Eisenerze für 5,600,300 Thlr., 7,323,652 Ctr. Zinkerze für 2,525,646 Thlr., 1,771,698 Ctr. Bleierze für 4,713,234 Thlr. , 3,896,445 Ctr. Kupfererze für 1,557,348 Thlr. Es wird sih aus diesen Ziffern leicht erkennen lassen, welhe Bedeutung der Bergbau für den Nationalwohlstand Preußens hat. : E Unter den wichtigeren Erzeugnissen des Hüttenbetriebes im Jahre 1868 sind hervorzuheben: 20,276,177 Ctr. Roheisen und Robstahleisen für 23,827,920 Thlr., 4,336,144 Ctr. Gußwaaren aus Erzen und Roheisen für 13,861,031 Thlr, 10,454,162 Ctr. Stabeisen und gewalztes Eisen für 33,020, 13 Thblr., 2,690,680 Centner Eisenblech und Eisendraht für 10,711,911 Thaler, 2,447,154 Ctr. Stahl für 19,142,639 Thlr., ferner S der Zinkindustrie (Robzink, Zinkblech, Zinkweiß) für 11,000,445 Thaler, Kupfer und Messing für 6,563,049 Thlr., bleiische Pro- dukte für 5,961,790 Thlr., Gold und Silber für 3,200,109 Thlr. Außerdem wurden an Steinsalz, hauptsächlich aus dem Staß- furter Salzlager, 3,325,638 Ctr. und an Siedesalz 3,354,372 Ctr. im Gesammtwerthe von 1,784,183 Thlr. gewonnen.

Der sittlihe Zug in der deutshen Sage.

Der Direktor des Friedrih-Wilhelm-Gymnasiums zu Neu- Ruppin, Professor Dr. W. Schwarß, hat einen Vortrag ver- öffentlicht unter dem Titel: »Die cthische Bedeutung der Sage für das Volksleben im Alterthum und in der Neuzeit«, welcher das erste Heft einer bei Heinersdorff in Berlin erscheinenden Sammlung wissenschaftliher Vorträge ausmacht. : S

Der Verfasser schreibt der Sage zu allen Zeiten eine gleich- mäßige Richtung auf das Sittliche zu und beschränkt diese Rich- tung auch nicht auf die großen Sagengebilde der religiós und poetish \{öpferischen Epochen im Leben der Völker , sondern findet den sittlichen Trieb ebenso in den alltäglih aufquellen- den anekdotishen Erdichtungen prosaischer Zeiten. Aus dieser Eigenschaft leitet der Verfasser die Nothwendigkeit des Schutzes für die sagenhaften Ueberlieferungen in der Volkserziehung her.

Es ist anzuerkennen, daß die Sagenbildung in den meisten Epochen und in den verschiedensten Formen, von den hoch- poetischen bis zu den alltäglichen herab, überwiegend von dem sittlihen Trieb in der Volksseele beherrsht wird. Diejenigen Erdichtungen wenigstens, in denen der sittlihe Kern ganz fehlt, werden in den Schag volksthümlicher Ueberlieferung nur in den seltneren Fällen aufgenommen werden, wenn sie cinen andern Kern besißen, welcher mit eigenthümlicher Gewalt die Volksphantasie trifft. ; :

Die sittlihe Anschauung indeß, welche in sagenhaften Ge- bilden mitwirkend oder allein wirkend thätig erscheint, ist doch, sowohl der Energie nach, mit welcher sie sih ausprägt, als dem Werthe nach, den sie in der Folge der sittlihen Bildungsstufen einnimmt, eine sehr verschiedene. /

Die deutsche Sage zeichnet sich vor der aller anderen Völker sowohl durch eine eigenthümliche Zartheit und Hoheit der s\itt- lichen Vorstellungen, als durch die gewichtige Stellung der leßte- ren unter den Bestandtheilen der Sage aus. Denn es darf nicht übersehen werden, daß die Sagen aller Völker, freilich in verschiedenem Maße, Bestandtheile enthalten, welche keine oder jedenfalls keine unmittelbare Beziehung zu sittlichen Jdeen haben. Jm Uebrigen wird hier und in der nachfolgenden Aus- führung das Wort Sage im engeren Sinne genommen, als von dem Verfasser des obenerwähnten Vortrags. Sage heißt uns nicht jede aus dem volksthümlichen Leben aufsteigende er- dichtete A Wir verstehen unter Sage nur diejenigen, in kunstloser Form in der Volkserinnerung aufbewahrten Er- dihtungen, welche Grundanschauungen der Volksseele, aus einem erhöhten Zustand der leßteren hervorgehend, eindringlih ver- Törpern und durch diese Verkörperung wiederum die Volksseele während langer Zeiten leiten und formen.

Die Welt der deutschen Sage liegt theils beschlossen in der altheidnishen Götter- und Heldensage mit ihren tief in die christlihen Jahrhunderte hineinreichenden Niederschlägen, theils in dem mittelalterlich,- christlihen Sagenkreis, in welchem zwar

die dichterish-mythishe Produktion sebr verschiedener nationaler Elemente zusammmengeflossen ist, in welcher aber doch der deutsche Antheil sowohl durch die Größe seines Beitrages, als durch den formenden Einfluß die erste Stelle einnimmt.

Der sittliche Zug der deutschen Sage, durh welchen sie fich von den Sagen aller anderen Völker unterscheidet, offenbart sich nah zwei entgegengeseßten Richtungen : in ciner eigenthüm- lichen Anschauung von dem Adel der Persönlichkeit und in einer eigenthümlichen Anshauung von der Stille und Rein- heit des Seelenleben®, welche zu einer zarten Scheu vor dem Geheimniß des Seelenlebens führt.

Die erstere Anschauung steigert sih zu einer Erhebung über das sinnliche Leben , zu einer großartigen Treue in der Durchführung übernommener Pflichten, wie sie in keiner heid- nischen Religion und Sage in ähnlicher Art sih finden. Jn dieser Bezichung ist mehrmals auf den mit Recht als unerhört bezeichneten Zug des Nibelungenliedes hingewiesen worden, wie

"die Nibelungen, als ihnen die Wasserfrauen den Untergang

verkünden, von dem Zug zu Attila nicht abstehen, lediglih aus Standhaftigkeit in einem gefaßten Vorsaß, aus Stolz und Troß gegen das Schicksal. Man vergleiche damit, wie die griechischen Helden Alles thun, um einem verkündeten Unheil zu entgehen. Wenn in jenem Zuge des Nibelungenliedes der Adel dex Persönlichkeit nur formell, als Stolz und Härte auftritt, so führt doch dieser Adel ebenso zur Festigkeit in fittliden Banden, vorausgeseßt, daß dieselben freiwillig ge- \hlossen worden. Die selbstwillige Eingehung des Bandes ist die Forderung der Ehre, der Freiheit. Aber dann fordern Ehre und Freiheit, daß das Band allen sinnlichen und sittlihen Ge- genwirkungen zum Troß gehalten werde. Es ist unnöthig, Beispiele anzuführen, wie die Sage diesen Zug ausprägt , da

auch darum, weil das geschichtliche Leben des deutschen Volkes

Mittelalters mit seinem Gefolge und Lehenswesen und in S Weise bis auf den heutigen Tag diesen Qug be- ätigt.

Eine solche formelle Festigkeit und Erhabenheit des Ch&- rakters kann allerdings ebensowohl ein sittlihes wie ein un- fittlihes Verhältniß eingehen, einem sittlichen wie einem unsitt- lichen Jnhalt sih verpflichten, und fie muß sogar bei der Auf- nahme eines sittlichen, aber beshränkten Jnhaltes durch die for- melle Einseitigkeit der Durchführung zur Unsittlichkeit werden. »Wenn die Noth des Herrn dem Manne den Mord seines eigenen Verwandten befiehlt, so muß er au diesen Mord voll- bringen,« so lehrt im Geiste deutsch-heidnisher Anschauung ein Christ und sogar ein Geistliher, der Gothe Jordanis, um zu beroeisen, daß die Ostgothen, weil sie dem Attila Treue ge- \{woren, auch den Kampf gegen ihre Brüder, die Westgothen, auf sih nehmen müßten. Man begreift aber, daß diese Weite und Festigkeit des Gemüthes der Boden war, in welchem die fittlihen Jdeen des Christenthums ganz anders Wurzel schlagen und ganz andere Früchte bringen mußten, als auf dem römisch- byzantinischen.

Vielseitiger und merkroürdiger noch ist der andere Grund- zug der deutschen Sage, das Bedürfniß nach Stille und Rein- heit des eigenen Seelenlebens, und damit verbunden die Ehr- furcht vor dem fremden Seelenleben in Göttern und Menschen, in Thieren und in der von uns als leblos, von unseren Vor- fahren aber als beseelt gedachten theils organischen , theils elementaren Natur. é

Um zu verdeutlichen, was hier gemeint is, erinnern wir mit kurzem Vergleich an die griechische Göttersage. Die grie- chischen Götter sind, wie die Gottheiten des germanischen Heidenthums , ursprünglich personifizirte Naturanschauungen, jedoch durch die schaffende Phantasie des hellenischen Volks- geistes zu geistigen Jndividualitäten ausgebildet, in denen je eine leitende Eigenschaft das harmonishe Ganze des Charakters bestimmt. Diese Göttergestalten sind theils von majestätischer , theils anmuthiger Plastik. Sie ge- währten der Seele des Volkes, in der sie lebten , ein hohes Jdeal menschliher Vollkommenheit in Bezug auf harmonische und zugleich virtuose Naturkraft im sinnlichen und geistigen Sinne, Jdeale der Schönheit und Stärke, aber auch der Klugheit , List , erfindungsreichen Geschicklichkeit. Die hellenischen Tugenden sind diesen Götterbildern gemäß Tüchtigkeiten, d. h. virtuos ausgebildete sinnliche und geistige Eigenschaften, Adel und Sinnigkeit, Tiefe und Reinheit des Gemüths dagegen stehen nicht s{öpferisch im Mittelpunkt des Ideals altgriechischer Sittlichkeit. So erklärt es sich auch, daß die griechischen Götter cin dem ungestörten Genuß geweihtes Leben führen, das zwar nicht ohne Beziehung auf die Men- schenwelt, aber ohne stetes und nothwendiges Band zu derselben ist. Es kam nur der innerste Zug dieser Götterlehre zum Vorschein,

als Epikur die Götter später in die Intermundien verwies. Die

er zu den häufigsten und hervorstehendsten gehört , unnöthig |

von seiner ältesten bekannten Zeit bis zum Ausgang des |

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Beziehung der griechischen Götter zur Menschenroelt trägt den Charafter der Laune und Zufälligkeit. Irgend ein Erlebniß des Gottes bringt ihn zu einer Landschaft , einer Jnsel in Beziehung; hier wird ihm ein Kultus geweiht, und das Band hält, so lange es durch Störungen, die oft zufällig sind, nicht unterbrochen oder aufgehoben wird. So kommt es auch, daß bei den Streitigkeiten der Menschen untereinander die Götter nicht gemeinsam handeln, sondern eine Gottheit gegen die andere Partei nimmt. Zum Theil hängt dies mit der Bereinigung lokaler Gottheiten in den späteren gemeinschaftlichen Götterkreis der Hellenen zusammen. Es ist aber doch ein Zeichen, daß die Götter kein Ausdru der untheilbaren ethischen Anlage des Menschen sind, welche sich im einheitlichen A der Ersteren bezeugen müßte. Auch die

achegöttinnen der Unterwelt sind kein Ausdru jener Anlage, sie versinnlichen vielmehr die Naturgewalten, welche in der entzweiten Menschenseele herrschen, nach solchen Unthaten, welche das eingeborne Gefühl empören. An der Schwelle des Reiches der Tagesgötter weichen die unterirdischen zurück, ein Zeichen, daß sie mit jenen nicht Eins sind. / :

Vergleichen wir nun den germanischen Götterkreis, so steht dieser zurück an eindringliher Plastik, an harmoni]|cher Anmuth der Gestalten, wie an poetishem Reiz der Fabeln. Dafür waltet hier ein tieferer sittlicher Zug. Der Götterkreis ist zweitheilig: die feindlihen und die wohlthätigen Natur- gewalten ; die lehteren aber bilden in sich eine menschenfreund- liche, einander ergänzende Einheit, deren Segnungen der Sterb- lihe mit Ehrfurht empfängt, von denen er den Hauch nicht blos eines mächtigeren und \chöneren, sondern eines reineren Daseins ausgehen fühlt. AUljähelih durchzogen die Himmlischen die Dörfer und Fluren, um die Arbeit der Menschen zu segnen, Hier sah die allsorgende Erdmutter, Wodans Gattin, bei ihrem Volke zum Rechten, Lohn und Strafe vertheilend.

Der tiefste Jug deutschen Götterglaubens und deutscher Sage ist aber die uralt germanische Scheu, welche heischt , den göttlichen Segen und den Verkehr mit der wohlthätigen Götter- welt in heiliger Stille zu hegen und, wie die Rede noch beute lautet, in einem feinen Herzen zu bewahren. Der göttliche Segen und seine Kraft soll nicht prahlerish in das Alltagsleben gezogen und dem weihelosen Blick preisgegeben werden. Auch der griechishe Tantalus wird von dem Stuhl, wo er mit den Göttern zu Mahle saß, in die Unterwelt zu furchtbaren Qualen herabgestürzt, weil er die Gespräche der Götter unter den Sterblichen verbreitete. Aber was in diejer Mythe, wie in der der Niobe und zahlreihen ähnlichen, sich ausdrückt , ist immer nur die Eifersucht der Hellenengötter. Ein ganz anderes ist das Göttergeheimniß im germanischen Glauben. Die Rein- heit des Göttlichen wird getrübt in der Berührung mit unreiner Weltlichkeit, deshalb flicht es, wenn es nicht im stillen Sinn heilig bewahrt wird. Dies is der tiefe und in seiner Tiefe doch einfache Grund für das Geheimniß, weiches den Verkehr der Germanen mit ihren Göttern behütet. Diese geheimnißvolle Scheu prägt \ich in tausend Zügen der deutschen Sage aus. Besonders merkwürdig ist, daß der Germane die Zeichen seiner Schrift, die er auf göttlichen Ursprung zurückführte, nicht im Tagesverkehr gebrauchte, sondern ihnen vielmehr Zauberkraft beilegte. Die Sage berichtete, daß der höchste Gott die Kunde dieser Zeichen mühsam erworben. Um den Zauber derselben wirksam zu machen, war Verschwiegenheit und bei der Vorbereitung lautlose Stille nöthig. Später ging die Zauber- kraft von den Runen auf die Lieder über, die bei ihrer Eingrabung g werden mußten. Es lag in _ der Natur dieses Runenglaubens , daß der shöne und tiefe Sinn des Göttergeheimnisses sih hier verlor und zum abergläubischen

auberwesen entartete. Dies geschah namentlich unter dem

influß der Völkerwanderung mit ihrer Aufregung ungestümer Leidenschaft und Begehrlichkeit. Aber in den Sagen , welche auf der Verbindung des Christenthums mit den altgermanischen Mythen beruhen, seßt sih der zarte und tiefe Glaube des Gôtter- geheimnisses fort. So sind es die Sonntagskinder, welchen ver- gönnt wird, die Erscheinung des Heiligen zu shauen, weil ihnen besonders reine und bescheidene Gemüthsart zugetraut wird. Die tieffinnigste aller Sagen des Mittelalters, die vom heiligen Gral, wenn sie auch eine dem keltischen Volksthum angehörige historishe Grundlage hat , gehört in ihrer Ausbildung hierher. Das Geheimniß , welches die Ritter vom heiligen Gral um- giebt, ist durch die dramatisch benußte Erzählung von Lohengrin neuerdings weiteren Kreisen bekannt geworden.

Bei solcher Heilighaltung eines reinen Seelenlebens ist die Achtung vor dem fremden Seelenleben und damit vor der fremden Persönlichkeit, wo sie sich der Ehrfurcht werth zeigt, eine natürliche Folge. Weil der Germane vor Allem im Ge- müth der Frau ein reines Seelenleben erblickte, vertraute er ihr die Heiligthümer an, erhob sie zur Priesterin und Prophetin. Aus dieser hohen Stellung des Weibes im religiösen Leben

folgte eine dem Mann ebenbürtige Stellung im thätigen Leben. Die hohe Weihe, welche auf der germanischen Ehe ruhte, geht aus demselben Zug hervor. Das Weib des Germanen war seine Vertraute und Genossin bei der männlichen Arbeit. Unter allen Völkern haben die Germanen allein mit Vor- liede den Frauen Namen gegeben, welche auf Kampf und Waffen deuten. Der germanishen Mythologie eigenthüm- lich find die Schlachtenjungfrauen des höchsten Gottes. »Gestalten wie Helena und Klytämnesira«, dagegen sind der deutshen Sage fremd. Die Sehnsucht eines reichen Volks- gemüthes, Liebe und Treue in der Welt zu finden, blieb ein Grundzug der germanischen Natur auch in den eregten Zeiten der Völkerwanderung. Stets wird von dem Lied des Sängers die eheliche Treue gefeiert und vorausgeseßt; Untreue erregt Abscheu und wird kaum flüchtig berührt. Unerschöpf- lih ist die deutshe Poesie und selbst die sagenhafte Ge- schichtsschreibung in derx Zartheit solcher Qüge, in denen sich die Scveu vor dem Adel der weiblichen Seele ausdrückt. So wird von der Brautfahrt des Longobardenkönigs Authari ein lieblicher Zug dieser Art berichtet. Noch rührender is der fol- gende. König Authari stirbt und die Großen des Landes bitten die junge Wittwe, dem Volke einen andern Herrn zu wählen. Als die Königin mit dem verstorbenen Gemahl in das Land eingezogen, war vor einem Verwandten des Königs ein Blißsirahl niedergefahren, und einer seinex Knechte hatte dem Herzog geweis|sagt, daß die junge Königin einst scine Gemahlin sein werde. Der Herzog aber hatte ge- droht, dem Knecht das Haupt abzuschlagen, wenn er noch ein solches Wort spreche. Diesen Herzog aber wählte jeßt die un- erwartet Verwittwete auf die Bitten ihrer Großen zum Ge- mahl und König.

___ Am ergreifendsten tritt die Achtung vor fremdem Leben in der deutschen Sage dann hervor, wenn sie heisht, aus Ach- tung vor der fremden Seele den eigenen Schmerz zu bändigen. So als eine Mutter im Zuge der Göttin, welche die Seelen der gestorbenen Kinder behütet, das eigene Kind erblickt, aber sich der Thränen enthält, weil das Kind die Thränen in seinem Krug trägt, der 1lhm zu schwer wird,

Die Innigkeit und Jartheit, welche auf dem Grund seines Gemüthes unter rauher Schale ruhte, trug der Germane auch in die Natur: Thiere, Pflanzen und Elemente hinein.

Aus der Selbsitreue und stolzen Bewahrung der eigenen Persönlichkeit einerseits, aus der Achtung und herzlichen Ehrfurcht vor dem fremden Seelenleben andererseits ging diejenige Scelen- kraft hervor, welche der eigentlich shöpferische Boden der Sittlichkeit ist, das Gewissen. Mit beständigem Nachdruck hebt die deutsche Sage überall hervor, daß jedem Unrecht seine Strafe folgt ; sie kennt keine Ausnahme durch besonders erworbene Gunst und Schuß einzelner Göttermacht. Wir erwähnen nur den einen Zug, wie die spätere Sage ihren gefeiertsten Helden, den Ost- gothenkönig Theodorih sterben läßt. Theodorih hatte mehr als Einen der vornehmen Römer, die seine Diener geworden, mit wahrer Zuneigung an sich gezogen, aber sie erwiesen sich unzuverlässig und treulos. Er ließ mehrere derselben hinrichten. Da wurde er eines Tages durch einen Fischkopf, der auf seiner Tafel stand, an das verzogene Antliß des hingerichteten Sym- machus erinnert. Darüber entseßte sih der König, eilte in sein Schlafgemach und starb in tiefem Schmerz über die Tödtung des einst geliebten Dieners. Ganz anders geht in der halb- sagenhaften Geschichte Alexanders von Macedonien ein ähn- liher Zug vorüber! Das Andenken des ermordeten Klitus steigert nur die Maßlosigkeit des Helden , der die unheimliche N seinerseits Übertäubt, während sie ihn nicht über- wältigt.

Daß die deutsche Sage, dieser einzige Ueberrest aus der Jugendzeit unseres Volkes, nach jeder N Schuß, Aufbe- wahrung, wissenschaftliche Pflege und pädagogische Verwerthung verdient, ist heute eine allgemein herrschende Ueberzeugung. Die Reste der deutschen Sage sind uns gleich werthvoll in mensch- licher wie in nationaler Beziehung. Es sind die Reste eines gebundenen Seelenlebens und einer barbarischen Entwiklungs- stufe, aber zugleich die Zeugnisse einer Gemüths8anlage von seltener Schönheit und Tiefe.

Hünengräber in Jütland.

In Nord-Schle8wig sind Hünengräber (Kämpehois), oft in Höhe von 20 Fuß, keine Seltenheit; je weiter man nah Nor- den, in Jütland, vordringt, desto zahlreicher erheben sich die heidnishen Grabhügel, besonders an den Ufern der Fiorde, wo man sie mitunter nah Hunderten zählen kann. Viele dieser Gräber sind bereits eröffnet und haben durch ihren Jnhalt die Sammlungen von Alterthümern in Kopenhagen, Aalborg, Greena u. a. O. bereichert, die Mehrzahl ist aber noch unbe- rührt, wie die beiden großen Königögräber bei Mariager und Lille-Brödum.