1890 / 231 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 25 Sep 1890 18:00:01 GMT) scan diff

webr ist am 19. September Morgens 3 Uhr 35 Minuten nit dur einen Einwohner des in Brand gerathenen Hauses, sondern dur einen Wähter alarmirt wordez, welcher das Feuer von der Straße aus bemerkt hatte. Bei der Ankunft der ersten Abtheilung der Feuer- wehr \chlug die Flamme - bereits hoh über das Dah. Auf dem Hofe wurde erst ersichtlich, daß eine mächtige Feuersäule über den Balkon des ersten Stock8 emporloderte und bis zum fünften Stockwerk die Berliner Zimmer in Brand geseßt hatte, sowie die daneben belegenen Fenster des Borderhauses und Seiten- flügels ergriff. Die sofort in den Seitenflügel eindringende Mann- {aft fand außerdem den vom Ber linr Zimmer des ersten Stocks zum Quergebäude führenden Korridor bereits in seiner ganzen Ausdehnung in Qualm und Flammen- vor. Das Eindringen des Qualms und die Uebertragung des Feuers vom Berliner Zimmer nah dem Korridor war dadur herbeigeführt worden, daß die das Feuer entdeckende Er- zieherin sowohl die nah dem Korridor führende Thüre ihres Zimmers als au die im rechten Winkel diht danebealiegende Thüre des Berliner Zimmers, des Entstehungsortes des Brandes, ofen gelassen hatte. Ebenso wie das Zimmer der Erzieherin stand von diesem Moment ab auc das von dem leßterem nur dur eine hohgenommene Portière getrennte Kinderzimmer dem Eindringen des glühenden Qualms offen, Aus diesem Befundein Verbindung mitder weiter feststehenden That- sache, daß die Flammen zur Zeit der Entdeckung des Fcuers durch die Er- zieherin Ne erst das Fenster des Berliner Zimmers im erften

“Stock gesprengt batten, also von der Straße _ aus noh gar nicht hatten bemerkt werden können, gebt mit völliger Sicherheit hervor, daß bis zur Ankunft der ersten Feuerwehr-Abtheilung eine geraume Zeit ver- itrihen und die völlige Verqualmung des Korridors, des Kinder- zimmers sowie des Dienstbotenzimmers bereits eingetreten war. Ueber die weiteren Vorgänge bei dem Brande is eine eingehende Untersuchung im Gange, deren Ergebniß zu veröffentlichen ih mir vorbehalte. Berlin, dea 24. September 1890. Der Polizei- Präsident. Freiherr von Richthofen.“

Uebershwemmungen.

Dornbirn, 24. September. „W. T. B.“ meldet: Der mit großer Anstrengung geshlossene Seelahendamm zwischen Lustenau und Hobenems ist von dem in Folge des Föhnwindes neuerdings an- geschwollenen Rhein abermals durchbrochen worden.- Lustenau ist überschwemmt. ,

Aus Avignon unterm 24, September: Der dur die Ueber- s{wemmung angeribtete Schaden beträgt viele Millionen. In einer Ortschaft bei Privas ertranken 9 Menschen. Die im Ban begriffene Eisenbahn La Voulte—Chaykard ist an mehreren Stellen zerstört. Das Wasser ift noch im Steigen.

Zillerthal, 22. September. Der „Schles. Ztg.“ wird ge- \chrieben: Die gestern Nachmittag erfolgte Einweihung des leidl-Denkmals nahm einen äußerst feierlihen Verlauf. Die esttheilnehmer versammelten sich im Gasthofe „zum Zillerthale“, von wo aus um 3 Uhr der Festzug nah dem vor dem Thore des Friedhofes errihteten Denkmal seinen Ausgang nahm. An demselben betheiligten sh fast alle hiesigen Tiroler, zum Theil in ihrem Nationalkostüm, die Sculjugend, zahlreihe Gäste und Ehrengäste, darunter u. A. der Landrath Prinz Reuß und der Kreisdeputirte Hr. von Küster. Die Weihrede hielt der Ortsgeistlihe, Pastor Tbiesler, unter Zugrundelegung der Worte: „Ein' feste Burg ist unser Gott !* Landrath Prinz Reuß brachte ein Hoh auf Se. Majestät den Kaiser Wilhelm 1I. aus, dem die \{lesishen Zillerthaler in An- betraht der Wohlthaten, die sie von seinem Urgroßvater empfangen haben, zu unwandelbarer Treue verpflichtet seien. Opernsänger Bagg dankte im Namen der Nachkommen Fleidl's für die Aufstellung des Denkmals. Dasselbe ist ein Sandstein von ungefähr 10 Fuß Höhe. In der oberen Hälfte deéselben befindet sich an der Vorderseite das Relief Fleidl’s mit der Unterschrift: „Johann Fleidl*“, darunter sind die Worte eingegraben: „Ein? feste Burg ist unser Gott !®* Die Rüdseite zeigt folgende Widmungs\schrifst: „Zur Erinnerung an die Auswanderung der Tiroler 1837, gewidmet von seinen Landsleuten den 23. September 1890, *

Aus Baden, 21. September, schreibt man der M. „Allg. Ztg.“ : Nah dem auf der Mannheimer Hauptversammlung der deutschen

t vom 25, September,

Wetterberich Morgens 8 Uhr.

rec

The Königlihe Schauspiele. haus. 185. Vorstellung. Martha, oder: Der | A. Millaud. Musik von M. Hervé. Anfang der | in 4 Akten von Franz und Paul von

Gustav-Adolf-Stiftung erstatteten Rehenshaftsberiht bat der Verein im Jahre 1889 mehr als eine Million Mark eingenommen, ein Betrag, welher während der 60 Jahre des Bestehens der St:f- tung noch nie erreiht worden war. Die Zahl der Zweigvereine hat fich von 1801 auf 1810, die der Frauenvereine von 446 auf 461 erhöht. In den leßten 5 Jahren sind Thätigkeit und: Erfolge des Vereins in hohem. Maße gestiegen. Die Stiwmenzahl des Vereins ist voa 153 auf 169 gewahsen ; auf eine Jahreseinnahme von 500 wird je eine Stimme gewährt. Im verflossenen Jahre hat der Verein 13 Kirchen, 8 Pfarr- und 12 Schulhäuser gebaut; zu 12 Kirchen und 5 Pfarrkäusern wurde der Grundstein gelegt, bezw. deren Bau begonnen. Das Martinhaus in Wittenberg ist nahezu vollendet. Von den unterstüßten Gemeinden find 23 ausgeschieden, 94 Gemeinden sind: neu hinzugekommen. Die gesammten Diaspora- gemeinden haben eine Schulb von anderthalb Millionen Mark. Von den drei für das gemeinsame Liebeswerk vorgeshlagenen Gemeinden wurde Forchheim gewählt, welhem die große Liebesgabe im Betrage von 17840 # 40 H zugewiesen wurde, während die beiden anderen Gemeinden, Ranishau in Galizien und Sierakowiß in Westpreußen, je 5605 #4 erhielten, Die bei dem Festgottes- dienst erhobene Kollekte im Betrage von 785 #- wurde der Gemeinde Kiebiß in Westpreußen zuerkannt. Zum Ort dec nächstjährigen Versammlung wurde Görliß gewählt. An Gescbenken, bestehend aus Altardecken, Kruzifixen, Ta uf- und Abendmablsgeräthen, find 126 zum Fesle eingegangea, darunter ein prachtvolles Taufgeschirr von der Großherzogin von Baden, welches der Diasporagemeinde Staufen in Baden zugewiesen wurde. Der Grundsteinlegung zur Protestationskirhe in Speyer wohnten mindestens 10000 Personen bei.

London, 23. September. Der Pastor der Christuskirche in Birmingham hat, laut Mitthcilung der „A. C.“, die tele- phonishe Verbindung des Gotteshauses mit Privat- wohnungen gestattet, damit namentlih Kranke, welhe den Gottes- dienst niht besuhen können, in ihrem Hause die Predigt anhören können.

Florenz, 23. September. Auf der elektrischen Straßen- bahn nah Fiesole fand heute ein Unfall statt, indem ein Swaffner, der die Fahrt beshleanigen wollte, in einen anderen Wagen hineinfuhr. Der „Nat. Ztg.“ zufolge befindet sich unter den Ge- tôödteten, deren Zahl 6 beträgt, während 12 verwundet wurden, au Dr. Bergeest, ein deutsher aus Hamburg stammender, jeßt in Florenz anfsässiger Arzt. König Humbert besuchte am Abend des 93, September die bei der Katastrophe Verwundeten im Hospital und spra jedem Einzelnen Trost zu.

New- York, 24. September. Ueber den in Nr, 230 des „R. u. St.-A.* gemeldeten Brand in Colon giebt die „A. C.“ folgende nähere Mittheilung: Sämmtliche Gebäude am Meeresufer und in den anstoßenden Straßen sind niedergebrannt. Die Bureaux der Panama- Eisenbahn-Gesellschaft sind sammt 16 befrachteten und 4 leeren Güte: waggons ebenfalls ein Raub der Flammen geworden, Dreiviertel der Stadt sind gäuzlich eingeäschert worden. Das Feuer brah um Mitternaht aus, und erst um 7 Uhr Morgens gelang es, die Flammen zu bewältigen. Es verlautet, daß 20 Wagen- ladungen mit lia verbrannten, aber daß die Werft sowie die Sciffe unversehrt blieben. Die abgebrannten Häuser waren meist aus Holz gebaut. In Folge des aufrührerishen Verbaltens eines Haufens Plünderer war das Militär gezwungen, auf sie zu feuern, wodur mehrere der Marodeure entweder getödtet oder ver- wundet wurden. Dem neuesten Telegramm zufolge ist die Ruhe in der Stadt ‘wieder hergestellt. Von Panama wurden Verstärkungen et Polizeimannschaften sowie Lebensmittel für die Obdachlosen ab- gesandt.

Rio de Janeiro, 24. September. „W. T. B.* meldet: Der Dampfer „Orion* kam beim Einlaufen in den hiesigen Hafen mit dem Hamburger Dampfer „P aranagua“inKollision. Die Mannschaften und sämmtliche Passagiere wurden gerettet. Man hofft, au den größeren Theil des Kargo zu retten. ,

Nath S@luß der Redaktion eingegangene Depeschen.

Merseburg, 25. September. (W. T. B.) Se. Majestät der Kaiser hat demn Regierungs-Präsidentew von Diest unter dem Ausdruck herzlicher Antheilnahme 5000 M zur Linderung der drückendsten Noth in der von dew Uebershwemmungen heimgesuhten Elbe- Niederung. telegraphish überwiesen.

Kiel, 25. September. (W. T. B.) Se. Königliche Hoheit der Prinz Heinrich übernahm Vormittags das- Kommando der 1. Matrosen - Division. Der Vize- e K norr begab sich zur Jnspizirung der Werft nach:

anzig.

Köln, 25. September. (W. T. B.) Wie die „Köln. Volks-Ztg.“ meldet, wird Anfang Oktober ein gemein- sames Hirtenschreiben aller deutshen Bischöfe über die soziale Frage erscheinen.

Stuttgart, 25. September. (W. T. B) Die zweite öffentlize Versammlung des evangelischen Bundes hat im Anschluß an den Vortrag des Professors- Beyschlag über die Reformation und die soziale Frage eine Resolution angenommen, in welcher sie sih zu der Ueber- zeugung bekennt, daß nur durch die im Prinzip der Reför- mation liegenden geistigen und sittlihen Mächte dié christliche Gesellschaftsreform herbeigeführt und der Sozialismus überwunden werden Tönne.

Wien, 25. September. (W. T. B.) Von den Land- gemeindewahlen zum niederösterreihishen Land- tage sind bisher 12 Resultate bekannt ; davon sind 3 liberal, 9 antiliberal.

Pola, 25. September. (W. T. B.) Der Stapellauf des Torpedo-Rammschiffes „Kaiserin Elisabeth“ ist heute Vormittag im Beisein des Admirals Freiherrn von Sterneck glücklih vor sich gegangen. Jhre Kaiserlihe und Königliche Hoheit die Erzherzogin Marie Valerie vollzog im. Namen der Kaiserin den Taufakt.

Paris, 25. September. (W. T. B.) Der Minister-

rath seßte heute die Eröffnung der außerordentlichen:

Kammersession auf den 20. Oktober fest.

Für die Uebershwemmten der südlihen De- partements wurde ein Kredit von 300000 Frcs. er- öffnet. Die Lage im Süden hat \ich so gebessert, daß der

Minister der öffentlihen Arbeiten Yves Guyot auf die von.

ihm geplante Reise dorthin verzichtete.

Rom, 25. September. (W. T. B.) Die von der eng- lisGen Regierung zu den Verhandlungen mit Jtalien, be- treffend die Abgrenzung der english- italienischen. Besitzungen in Afrika, entsendeten Delegirten, Sir

Evelyn Baring und General Grenfell, sind gestern hier

eingetroffen und Nachmittags von dem Minister-Präsidenten Cris pi empfangen worden, welcher die Vertreter der italienischen Regierung vorstellte. (S. unter Großbritannien.) Bern, 25. September. (W. T. B.) Der National- rath hat heute mit 49 gegen 45 Stimmen beschlossen, im. Falle der Einführung des proportionalen Wahlsystems im- Nationalrathe die: Frage zu prüfen, ob der Ständerath a va estalten sei. Alsdann wurde mit 78 gegen 16 Stimmen be- chlossen, es bei beiden Räthen bei der jeßigen Wahl- art zu belassen.

(Fortsezung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

ater-Anzeigen. Wallner-Theater. Leßte Wohe! Freitag: | Thomas-Theater. Alte Jakobstraße 30.

: Zum 111. Male: Mamsell Nitouche. Vaudeville | Direftion: Emil Thomas. Freitag; Zum zweiten Freitag: Opern- | în 3 Akten und 4 Bildern von H. Meilhac und | Male: Der Raub der Sabinerinunen, Schwank

Scönthan..

Stationen.

Wind. Wetter.

Temperatur

Mullaghmore Aberdeen .. Chriftiansund Kopenhagen . Stockholm . Haparanda . St. Petersb. Moskau .

Cork Queens- town ... Gherbourg .

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Swinemünde Neufahrwasser Memel

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Uebersicht der Witterung.

Während über Oft-Europa der Luftdruck ab- genommen hat, hat fich über dem Biscayishen Busen ein barometrishes Maximum ausgebildet, welches Kch nordwärts auszubreiten cheint. Troß des hohen

Barometerstandes ist in Central-Europa, welches |:

zwischen zwei Gebieten hohen Luftdrucks enh das Wetter trübe, im Norden theilweise neblig, im Süden vielfa. regnerisch. Die Temperatur liegt in Deutschland dur@schnittlih um etwa 2 Grad über

der normalen,

Deutsche Seewarte.

Thau. 5) Gestern |

Markt zu Richmond. Romantish-komishe Oper in 4 Akten von Friedrih von Flotow. Text (theil- weise nach dem Plane des St. Georges) von W. Friedri. Dirigent: Musikdirektor A. Wegener. Anfang 7 Uhr.

Swauspielhaus. 190, Vorstellung. Der Sturm. auber-Komödie in 5 Aufzügen von Shakespeare. ‘ah A. W. v. S({legel's Ueberseßung. Musik von W. Taubert. Tanz von E. Graeb. In Scene geseßt vom Direktor Dr. Otto Devrient. Musßkalische Direktion: Herr Steinmann. Anfang 7 Uhr.

Sonnabend : Opernbaus. 186. Vorstellung. Der Vampyr. Romantishe Oper in 3 Aufzügen von Heinrich Marschner. Text von Wohlbrück.“ In Fun geseßt vom Ober-Regisseur Teßlaff. Anfang

r. Beseßung. Sir Humphrey, Laird von Davenaut, Herr Mödlinger. Malwina, seine Tochter, Fräulein S Edgar Aubry, ein Anverwandtér des auses Davenaut, Herr Kraus. Lord Ruthwen, US Bulß. Sir Berkley, Herr Schmidt. Janthe, eine Todter, Frau Herzog. George Dibdin, in Davenaut's Diensten, HerrJuliusLieban.IohnPerth, Verwalter auf dem‘Gute des Earl von Marsden, rx. Michaels. Emmy, seine Tochter, George ibdin’'s- Braut, Frl. Weiy. Toms Blunt, James Gadshill, Rihard Scrop; Robert Green, Landleute, Hr.‘ Krolop, Hr. Gruft, Ln Krasa, Hr.- Richter. Suse// “Blünt's Frau, Frau- Larn- mert. Cin Haushoftneister des! Lafrd von Da- venaut, Hr. Bräimschweig. Ein Diener des Sir Berkley, Hr.! Selle. : Schauspielhaus. 191. Vorstellung. Wilhelm Tell. Schauspiel in 5 Auszügen von Schiller. Anfang 7 Uhr.

märchen. Sonnabend: Die Haubeulerche. Sonntag: Die Haubenlerche.

Berliner Theater. Freitag: 4. Abonnements-

. Vorstellung: Wallenftein's Tod. Sonnabend : Maria Stuart.

Sonntag: Nachmittags--3-Uhr: Der Veilchen--}

frefsser. Abends 74 Uhr: Kean.

Tesfing - Theater. Freitag: Das zweite Gesicht. Lustspiel in 4 Akten von Oskar Blumen- thal. Anfang 7 Uhr.

Sonnabend und Sonntag: Das zweite Geficht.

Deutsches Theater. Freitag: Das Winter- |

Vorftelling 74 Uhr. Sonnabend: Mamsell Nitouche.

al Mamsell Nitouche (zum vorleßten ale).

Victoria-Theater. Freitag: Zum 32. Male: Die: Million. Meodernes: Ausftattungs\ftück ‘in 12 Bildern von Alex. Moszkowski und Rich. Nathanson. Musik von C. A. Raida. Ballet von Gredelue. Anfang 7X Uhr.

Sonnabend ; Dieselbe Vorstellung.

Friedrich - Wilhelmstädtishes Theater. Direktion: Julius Frische. Freitag: Zum 35. Male“ mit durchaus neuer Ausstattung: Die Puppeunfee. Pantomimishes Divertissement von Hapreitér und Gaul. Mußk von - Jof. Beyer: rrangirt von I. Haßreiter, K. K. Hofballetmeister aus Wien. Dirigent: Hr. Kapellmeister Knoll.

Vorher: Neu in Scene geseßt; Die Schwäterin |

von Saragossa. Komische Operette in 2 Akten nah dem Französishen von Carl Treumann. Mußk von Offenba. In Scene geseht vom Regisseur Hrn. Binder. Dirigent: Hr. Kapellmeister Feder- mann. Anfang 7 Uhr.

Sonnabend: Die“ Puppenfee. Vorher: Die Schwäterin von Saragofsa.

Residenz-Theater. Direktion: Sigmund Lauten- burg. Areftag! Zum 14. Male: : Ferréol.

ittenbild in 4 Aufzügen von VWVictorién |:

arifer Sartou 0 Scene geseßt von Sigmund Lauten- burg, Anfang 7# Uhr.

Sonnabend : Dieselbe Vorstellung.

BVelle-Alliance-Theater. Direktion: W.

Hasemátin, Freitag: Gastspiel von Mitgliedern

des Wallner - ' Theaters: Letzte Woche der Auf-

¿führung von Madame: Bouivard. Sch{wank in

3 Akten von Alex, Bisson und Antonie Mars. Deutsh von Emil Neumann. Anfang 7{ Uhr. Sonnabend : Madame Vonivard. Sonntag; Madame BVouivard. (Zum vor- leßten Male.)

Adolph Ernsi-Theater. Freitag: Zum 21. Male: Unsere Don Juaus. Gesangépofse in 4 AYMten von Leon Treptow. Couplets von Gustav Görß. Mußk von Franz Roth und Adolph Ferrou. Anfang 7# Uhr.

Sonnabend : Dieselbe Vorstellung.

In Scene geseßt vom Ober-Regisseur August Kurz. Anfang 7& Uhr. Sonnabend: Dieselbe Vorstellung.

Uránia, Anstalt für volksthümliche Naturkunde. Am un e Au Ang Park Mevrtec Bahnbof).

Seöffnet von 12—11 Uhr. L OI Gal Theater. Näheres die Ans zettel.

Familien-Nachrichten.

Verlobt: Frl. Metá Culémann mit Hrn. Reg.-- Baumeister August Weidlich (Helmstedt). Frau:

Klara Hoffmann, geb. Plate, mit Hrn. Wilh. Schaß (Magdeburg). E Verehelicht: Hr. Königl, Domöänen-Rath Etnst Böhmer mit Frau Pauline Struensee (Amt Storkow). Hr. Prém,-Lieut. Florian von Liéber-

mann mit Fréeiin Léontine von Kettler (LättnihÞ)..

Hr. Sec.-Lieut. Gerhard von Bülow mit Frl. Marie von Kessel (Berlin). Hr. Pastor Héein-

rich Stolzenburg mit Fr). Toni Geppelt (Leifers--

dorf O.-L.). Geboren; Ein Sohn: Hrn. Prof. Dr. Wil- belm Seibt (Berlin). Hrn, Prem.-Lieutenant Fris von Pen (Oldenbürg). Hrn. Dr. med. üller (Schweéina ‘i. Thür.). 2 Erbpächter

H. Beésé (Elnenhöorst), Hrn, ( (Wten). Hrn. Rittineister Zimmer (Queblin- urg).

Mailow). Hrù. Hauphtmäán err von Norderflyd (S{werîn i. M.).

Gestorben: Hr. Edüard Adolf Willy von:

Thiélen (Rosenthal b. Peine). Hr. Gymnasiäl- Oberlehrèr Dr. Karl. Foerster (Güstrow). Hr. C. ‘Harder (Bärkow). Q Usedom, web. von Tresckow Gitmeibel), Hr. Hauptinann a. D. ‘Hermann- Schmidt (Démmin). Hr. Rentier Karl Bock (Nieder-Schönhausen). raú Oekonomierath Krüger, geb. Opiß, von erfeld (Witoslaw).

Bo

Redacteur: Dr. H. Klee. Verlag der Expedition (Scholz).

Berlin:

Druck der Norddeutshen Buhdruckerei und Verlags--

Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32. Fünf Beilagen (einschließlich Börsen - Beilage).

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corg Windeck“

Eine Tochter: Hrn. von Blücher“

(Fürgénsdorf). Hrn. Apothékénbesißer H. Becker - olfgang Frei--

Frau Elisabeth von.

f: Pastor enier. F. A: Cuni (Osterweddingehn)..

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

M 231.

RNekursentscheidungen des Reihs-Versicherungsamts.

(877.) Ein Arbeiter, welcher bei einem Betriebsunfall einen Swenkelbruch erlitten hatte, behauptete, dabei auch ein mit Taubheit verbundenes Ohrenleiden davon getragen zu haben. Nachdem die Be- weisaufnahme ergeben hatte. daß das leßtere Leiden in gleichem Um- fang bereits vor jenem Unfalle vorhanden gewesen war, hat das Reichs - Versiherungs8amt unterm 21. Oktober 1889 dahin entshieden, daß eine Rente nur für die dur® den Schenkelbruch herbeigeführte Erwerbsunfähigkeit zu gewähren sei. Jedoch wurde bei Bemessung des Grades dieser Erwerbsun- fähigkeit das Ohrenleiden immerhin im Hinblick auf den Umstand in Berücksichtigung gezogen, daß der damit behaftete Arbeiter die Folgen jener anderen Verleßung \chwerer empfinden werde, als ein sonst ge- sunder Arbeiter, da das ihm offenbleibende Feld der Erwerbsthätigkeit bei dem Zusammenwirken beider Schäden ein noch beshränkteres sei (vergleihe die Entscheidung 673, „Amtlihe Nahricten des R.-V.-A.“ 1889 Seite 162).

__(878.) In einer Unfall-Versiherungssache hatte neben der Wittwe des verunglückten Arbeiters die Krankenkasse, der dieser ange- hôrt und welche der Wittwe das statutarische Sterbegeld“ gewährt hatte, Rekurs eingelegt mit dem Antrage, die Berufsgenofsenschaft zur Erstattung des Sterbegeldes zu verurtheilen. Das Schiedsgericht hatte die von der Krankenkasse rehtzeitig eingelegte Berufung gegen den ab- lehnenden Bescheid der Berufsgenossenschaft mit der Begründung zurüdckgewiesen, daß die Verfolgung der in Gemäßheit des §. 8 des Unfallversicherungsgeseßes auf Armenverbände, Krankenkassen 2c. über- gegangenen Entschädigungsansprüthe nicht in dem durch dieses Gesetz geordneten Verfahren erfolgen könne. Das Reihs-Versicheruugsamt hat dem mit dem Hauptrekurse verbundenen und daher gemäß Ent- \heidung 636 („Amtliche Nachrichten des R.-V.-A.* 1888 Seite 348) zulässigen Rekurse der Ortskrankenkasse in dem Urtheil vom 12. Mai 1890 aus folgenden Gründen stattgegeben: Die Auffassung - -des Sciedsgerihts gehe zu weit, Allerdings würden die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung f\olcher Streitigkeiten berufen: sein, welche zwishen den Berufsgenossenschaften und den Kranken- fassen A. oder zwishen diesen und den an erster Stelle Bezugs- berechtigten (Verlegten 2c.) darüber entstehen, ob und eventuell in welcher Höhe die an sich dem Grunde und der Höhe nach feststehenden Bezüge der Letzteren auf die Krankenkassen 2c. Übergegangen seien (zu vergleihen Bescheid 146, 182, 233, Rundschreiben vom 11. Sep- tember 1886 Ziffer 3, „Amtlihe Nachrichten des R.-V.-A.“ 1886 Seite 57, 132, 275 und 159). Bestehe aber, wie im vorliegenden Falle, zwishen den Betheiligten allein Streit über die für diesen Rechisübergang grundlegende Frage, ob und eventuell in welcher Höhe dem Hauptberechtigten ein Anspruch gegen die Berufs- genossenschaft zustehe, während sie sämmtlih über den gegebenenfalls nach §, 8 des Unfallversiherungsgeseßes begründeten Rehtsübergang selbst einig seien, so hätten über diese Streitfrage unbedenklich die Gerichte des Unfallversiherung8geseßes in dem durch 88. 62, 63, 88 Absaß 1 Saß 2 des Unfallversicherung8geseßez vorgeschriebenen Ver- fahren zu entscheiden (zu vergleichen §. 76 Absay 3 des Invaliditäts- und Alterversicherungsgeseßes und der letzte Absay der Begründung zu dem dem §8. 76 dieses Gesetzes entsprcchenden §. 64 des Entwurfs zu demselben, sowie der Kommissionsberiht dazu Stenogr. Be- rihte über die Verhandlungen des Reichstages 7. Leg.-Per. IV. Session 1888/89 Band IV. Seite 86, Band V. Seite 926 —; ver- gleiche au die Urtheile des Reihs8gerichts vom 14. Mai 1887 und vom 5, Juli 1888, Entscheidungen des Reichsaerichts in Civilsahen Band 19 Seite 67 ff. und Band 21 Seite 75 ff.). In einem solhen Falle fônne daher auch den. Krankenkassen 2c. das Recht nicht versagt werden, die für ihren Erstattungsanspruh grundlegende Feststellung neben dem Hauptberectigten oder selbständig für denselben be- ziehungsweise statt desselben in dem durch die Unfallversiherungs- geseze vorgeschriebenen Verfahren zu betreiben (vergleihe Entschei- dungen 499 und 636, „Amtliche Nachrihten des R.-V.-A.“ 1888 Seite 196 und 348), und es stehe nichts entgegen, dann iu diesem Verfahren au den zu erstattenden Betrag der Höhe nah festzuseßen und die Berufsgenossenshaft zur Zablung desselben an die Kasse zu verurtheilen.

(879.) Im Anschluß an die Rekursentscheidungen 429, 467, 484 und 546 („Amtlihe Nachrihten des R.-V.-A.* 1887 Seite 357, 1888 Seiten 84, 177 und 280) hat das Reihs-Versicherungsamt unter dem 28. Januar 1890 ausgesprochen, daß es zur Wahrung wie der Berufungs-, fo auh der Rekarspflicht genüge, wenn innerhalb der Frist irgend eine die Unzufriedenheit der Partei mit der Vorentscheidung fundgebende Erklärung an die zuständige Stelle E Dal V A nähere Angabe beziehungsweise Begründung der è echtêmittelan sprüche erst später erfolgt (zu vergleihen Entscheidung 540, „Amtliche Nah- rihten des R.-V.-A.“ 1888 Scite 276). In dem betreffenden Falle wurde ein Gesuch des Verleßten an den Vorsißenden des Schiedsgerichts, in welchem er erklärte, er werde Rekurs einlegen und bitte um Be- lehrung, wie dies zu geschehen habe, als genügend erachtet, nachdem es von dem Vorsißenden an das Reichs-Versicherungsamt abgegeben und bei leßterem vor Ablauf der Frist eingegangen war (8, 63 Ab- saß 1 des Unfallversicherungsgesehes, §. 10 der Kaiserlichen Verord- nung vom 5. August 1885).

(880.) Ein Baugewerbetreibender, welher im Jahre 1888 nickt regelmäßig, d. h. an 250 Tagen (Tagewerken) wenigstens einen Lohn- arbeiter beschäftigt hatte, war auf Gr und des §. 2 Abf. 2 des Bauunfall- versicerungszeseßes in Verbindung mit den betreffenden Vorschriften des Statuts beziehungsweise Nebenstatuts der zuständigen Baugewerks- Berufsgenossenshaft zur Versicherung seiner Person herangezogen worden und hatte die Prämien für dieses Jahr und die Folgezeit entrichtet. Als er Ende 1889 von einem Betriebsunfall betroffen wur de, hatte die Versicherungsanftalt die geseßliche Entschädigung abgelehnt, weil der Gewerbebetrieb des Verletzten im Jahre 1889 bereits vor dem Unfall- tage die für die Versicherungspflicht bestehende Grenze überschritten gehabt, und daher die Versihherung erloschen sei. Diese Auffassung hat das Reichs -Versicherungsamt in einer Rekursentscheidung vom 7, Juli 1890 mißbilligt und dabei folgendes ausgeführt : Wenn auf der einen Seite die Zwangöversicherung der kleinen selbständigea Baugewerbe- treibenden der Arbeiterversiherung darin gleiht, daß sie unabhängig von einer formalen Begründung (durc) Aufnahme in das Ver- zeichniß der Selbstversicherer) entsteht und besteht, wenn und „solange die Vorausseßung für A die nit regelmäßige Beschäftigung wenigstens eines Lohnarbeiters gegeben ift (zu vergleichen die Rekursentscheidung 830, „Amtliche Nachrichten des R.-V.-A. 1890 Seite 451), so ist sie andererseits insofern der freiwilligen Unter- nehmerversiherung ähnlih, als sie, einmal formal E in der Regel so lange besteht, bis sie ausdrücklich zur Aufhebung gelangt. Diese Aufhebung seßt eine nachweislich dauernde Erweiterung des Betriebsumfanges über die für die Selbstversicherungspflicht gezogene Grenze voraus (zu vergleihen Bescheide 679 und 721, „Amtliche Nachrichten des R,-V.-A,* 1889 Seite 163 und® 324). Sie erfordert der Regel nach eine ausdrückliche Abmeldung des Gewerbetreibenden §. 5 Absay 4 des Normalnebenstatuts, „Amt- lie Nachrichten des R.-V.-A.* 1887 Seite 333 —, kann aber au daneben von der Verwaltung der Versicherungs8anstalt von Amtswegen verfügt werten; in diesem Falle ist jedoch die Aufgebung dem Ge- werbetrcikenden unter Bezeihnurg eines in der Zukunft liegenden E für die Beendigung der Zwangsversicherung förmlich zu eröffnen.

Berlin, Donnerstag, den 25. September

Die Photographie und die bildenden Künste.

Der Festrede des Vorsißenden Sekretars der Königlichen Akademie der Wissenschaften Du Bois-Reymond zur Feier des Leibniz'schen Gedächtnißtages am 3. Iuli d. J., worin er über Kunst und: Wissen- \caften sih ausfprach, und die jeßt in den Sigungsberichten der Akademie veröffentliht wird, entnehmen wir folgende Erörterung über die Photographie und ihre Bedeutung :

Die Photographie ift für die bildenden Künste von orößter Be- deutung geworden. Nicht allein erleihterte sie die Arbteit des Arcitektur-, Intérieur- und Vedutenmalers, und machte, sogar für Rundsithten, die Camera clara überflüssig, sondern sie gab auch vielfah nüßliche Fingerzeige in Betreff von Liht und Schatten, Reflexen und Halbdunkel, und überhaupt der Art, körperlihe Gebilde in einer Ebene möglichst naturgetreu hervortreten zu lassen. Sie lerte Felsen mit geologisher, Pflanzenwuh3s mit botanischer Treue wieder- geben, und Gletscher darstellen. was noch kaum versucht worden, jedenfalls nicht gerathen war. Das Bild der Wolken hielt sie fest, wenn es ihr auch dazu etwas an Ueberblick des Himmels fehlte. Endli den Bildnißmaler unterstüßte fie, ohne seinen Neid zn erregen, denn indem sie nur einen einzelnen, oft langweilig gespannten Aus- druck auffing, war sie seiner Aufgabe niht gewachsen, ein mitileres Bild des Menschen herzustellen, und die ungefällig starre photogra- phishe Physiognomie wurde fast s\prichwörtlich für ein s{lehtes Porträt. Aber sie lieferte ihm doch in vielen Fällen eine unerseßliche, wenn auch von ihm erst künstlerisch zu belebende Unterlage.

__ Allein die neuere Gestaltung der Bildnißphotographie ist geeignet, die Aufmerksamkeit des Künstlers nah mehreren Richtungen zu be- ansprulzen. Die Augeabli@sphotographie faßt Gesihtsausdrücke und Stellungen während eines fo kurzen Zeitraums auf, daß sie dadurch wieder gut macht, was sie in Bezug auf den mittleren Ausdruck entbehren läßt, und zu höchst werthvollen Wahrnehmungen führt. Duchenne und Darwin haben die Lehre vom Gesihhtsausdruck in den Leidenschaften neugeschaffen, ersterer, indem er durh elektrische Reizung der Gesichtsmuskeln die verschiedenen Ausdrücke nachahmte, leßterer, indem er ihrer pbylogenetishen Entwickelung in der Thier- reihe nahging. Beide haben den Künstler mit photographischen Abbildungen solcher Gesichtsausdrücke beschenkt, neben welchen die demselben Zwecke dienenden Vorlegeblätter der Kunstshulen völlig ver- altet erscheinen. Seitdem ist der englisGe Anthropologe Mr. Francis Galton auf den Gedanken gekommen, photographisch eine Aufgabe zu lösen, welhe dem Künstlec gerade so unzugänglich war, wie dem Photographen die Wiedergabe des mittleren Gesihtsausdrucks einer Person, nämli die mittlere Gesihts- und Schädelbildung einer be- liebigen Anzahl von Menschen von gleihem Alter, Geshleht, Beruf, gleiher geistiger Bildungsstufe oder von gleihen verbrecherischen Nei- gungen in Einem typishen Bilde zusammenzufafsen. Dies geschieht, indem auf demselben Negativ die schattenhaften Bilder aller dieser Gesihter zur Deckung gebracht- werden. Professor Bowdith von der Harvard Medical School hat auf diese Art das mittlere Bildniß oder den Typus von amerikanishen Studenten und Studentinnen, von Pferdebahnkutschern und -Schaffnern aufgenommen. Im leßteren Falle ist es sehr auffallend, wie der Schaffnertypus den Kutshertypus an geistigem Ausdruck überragt. Das wäre etwas für Lavater und Gall gewesen.

Selbst die Pathologie drängt si hier in den Dienst der bildenden Kunst. Hr. Charcot hat in den photographisch festgehaltenen krampf- haften Stellungen und Gesichtéverzerrungen der Hysterischen die Élassislen Darstellungen von Besessenen wiedererkannt. Das Merk- würdigste in dieser Beziehung ist wohl, den sonst nur im Idealen verweilenden Rafael auf seiner Transfiguration bei der Figur des besessenen Kuaben so realistisch verfabren zu sehen, daß man aus der Magendie’shen Augenstellung des Kranken mit einiger Sicherheit ein centrales Leiden diagnostiziren kann.

Noch nah einer anderen Seite hat die Entwiklung der Photo- graphie der Kunst wichtige Aufschlüsse gegeben, Im Jahre 1836 stellten die Gebrüder Wilhelm und Eduard Weber in ihrem berühmten Werk über die „Mechanik der menshlicen Gehwerkzeuge“ einen gehenden Menschen in den theoretisch ershlossenen Stellungen dar, welche er während der Dauer eines Schrittes folgweise einnehmen muß. Dabei zeigte sich das Sonderbare, daß zwar zu Anfang und zu Ende des Shhrittes, wo der Mensch eine kurze Zeit auf beiden Füßen ruht, ‘die Abbildung vollkommen richtig aussah, so, wie hon immer die Maler gehende Menschen darzustellen gewohnt waren, daß aber in der Mitte des Schrittes, wo das sogenannte Spielbein am Standbein vorbeipendelt, der fremdartigste, ja lächerlihste Anblick fich darbot; der Mensh schien, wie ein betrunkener Dorfmusikant, Über seine eigenen Füße zu stolpern, und nie hatte Jemand einen gehenden Menschen in solcher Lage gesehen. Die Gebrüder Weber schlagen auf der leßten Seite ihres Werkes zwar vor, die Richtigkeit ihrer s{chematischen Zeichnungen mit Hülfe der scgenannten strobo- \kopishen Scheiben don Stampfer uid von Plateau zu prüfen, welchen sie übrigens {hon die vortrefflihe, uns erst vor wenigen Jahren als eine Neuigkeit aus Amerika untec dem Namen „Zootrop“ oder wohl gar „Vivantoskop“ zugekommene Form geben, doch ist- mir nicht bekannt, daß dieser Vorschlag wirklich ausgeführt worden sei.

Hr. Wilhelm Weber aber hat erlebt, daß nah fast einem halben Jahrhundert die Augenblicksphotographie ihm und seinem Bruder vollkommen Recht gab. Mr. Muybridge in San Francisco wandte sie zuerst an, um die aufeinanderfolgenden Stellungen von Pferden in verschiedenen Gangarten aufzufassen. Dabei zeigte ih daëselbe wie an den Weber's@en schematischen Zeichnungen, es kamen Bilder zum Vorschein, wie sie in Wirklichkeit Niemand ge- \sehèn zu haben glaubte. Auf Straßenscenen, Aufzüge u. d. m. ge- richtet, fing die Camera häufig Bilder von Mensden in ebenso wunderlihen Stellungen auf, wie die, welhe die Gebrüder Weber ihnen aus theoretishen Gründen ertheilt hatten. Nicht anders ver- hält es sih mit den wunderbaren Reihen von Bildern eines fliegenden R welche Hr. Marey mittels seiner photographischen Flinte er- zielt hat.

Die Erklärung ist bekanntli gewesen, daß, wenn ein Gegen- stand mit periodisch veränderliher Geschwindigkeit sih bewegt, wir cinen stärkeren und dauerhafteren Eindruck davon in den Lagen er- halten, in welchen er länger verweilt, einen \{chwäccheren und E in den Lagen, die er \chnell durchläuft. Auch ohne dies

eseß zu kennen, wird kein Maler die Schwarzwälder Uhr in ciner Bauernstube mit senkrecht herabhängendem Pendel darstellen, da jeder Beschauer fragen würde, warum die Uhr stehe. Weil nämlich das Pendel, wenn es auf einer Seite ausges{wungen [at und zur Umkehr sih anschickt, nothwendig einen Augenblick fstillesteht, prägt sich uns diese abgelenkte Lage stärker cin, als die, wo das Pendel mit dem Maximum der Geschwindigkeit durch seine Gleich- gewichtslage hindurchgeht. Ganz ebenso ist es mit den abwechselnd pendelnden Beinen des gehènden Menschen; in der Stellung, wo er auf beiden Beinen ruht, verharrt er länger als in jeder anderen, am kürzesten in der, wo das Spielbein am Standbein vorbeishwingt. Die leztece Stellung und die ihr benahbarten machen uns deshalb so gut wie gar keinen Eindruck, wir stellen“ uns einen gehenden Menschen vor, und der Maler ftelt ihn demgemäß dar, in der Stellung, wo er zwischen zwei Schritten den Boden mit beiden Füßen berührt.

Bei dem Scchnelllauf des Pferdes ereignet sih aber noch etwas

1890.

Besonderes. Ja wie dihtgedrängten Augenblicken man auch das Pferd aufnehmen mag, nie erhält man das Bild eines wettrennenden oder jagendea Pferdes, wie es in den besonders aus England uns zukommenden und zur Zeit der Rennen und Hetjagden an den Sghaufenstern der Bilderläden ausgehängten Darstellungen zu sehen ist, und wie es uns selber beim Anblick so bewegter Pferde in die Augen fällt. Darin unterscheidet sh der Fall von dem am Men- \{hen, wo unter den zufällig oder methodisch gewonnenen Bildern neben den mit bloßem Auge, so zu sagen, nie gesehenen auch solche vorkommen, welch{e dem gewohnten Anblick gehender Menschen ent- sprehen. Der Unterschied beruht darauf, daß am wettrennenden Pferde der Augenblick, in welchem die vorgestreckten Borderbeine länger verweilen, nicht zusammenfällt mit dem, in welchem dies die nah hinten gestreckten Hinterbeine thun, sondern ihm um eine kleine Zeitgröße voraufgeht. Dem Auge prägen sich diese beiden Lagen vorzugsweise ein und vershmelzen zu dem gewohnten Bilde s eas nes die Augenblicks-Photographie faßt ihr Nachein- ander auf. :

Eine illustrirte amerikanishe Zeitung brate 1882 das Bild eines Jagdrennens mit Hindernissen, wo alle Pferde in lauter wirklichen, den Muybridge’schen Photographien entlehnten Stellungen erscheinen, wie nur die schnell empfindliche Platte sie sieht. Hr. Professor Eder in Wien hat uns in einer Schrift über Momentphotographie diese ee U zugänglih gemacht, und ein mehr fremdartiger

nblick läßt sich nit denken, Hr. Ottomar Anschüß aber, welcher bei uns die Augenblicksphotographie mit besonderem Geschick hand- habt und dessen Thierstudies für den Thiermaler ein unschäßbarer Quell der Belehrung sind, hat die \troboskopishen Scheiben in seinem „elektrischen Schnellseher“ zu höchster Vollkommenheit gebracht, und mit diesem Apparat den Gedanken der Gebrüder Weber verwirklicht, die gleihsam in Differentialbilder zerlegte periodishe Bewegung wieder zum Gesammteindruck zu integriren. Nun sieht man Menschen und Pferde scheinbar wieder verständig gehen, laufen und springen; man sieht den Speerwerfer in den verschiedenen Stadien seines gewalt- samen S&wunges, bis zuleßi das der Hand entflogene Geschoß noch im Bilde erscheint: denn es kann sich_ nit shneller bewegen als die Hand im Augenblick, wo sie es entließ.

Auch auf im Sturm brandende Wellen ist die Augenblick8- photographie, wie Jedermann weiß, mit überrashendem Erfolg an- gewandt worden. Doch müßte bei Benuzung folcher Bilder der Seemaler nit vergessen, daß unser Auge auch die Wellen nicht so zu sehen vermag, wie die {uellempfindlihe Platte, und daß er dabei leiht in den Fall käme, uns von den Wellen ein in gewisser Be- ziehung ebenso unrihtiges Bild vorzuführen, wie das der s{einbar stehenden Uhr oder des über seine Füße stolpernden Menschen.

Uebrigens hat Hr. von Brücke in einem besonderen Aufsaß die Regeln entwielt, die sich aus dem Allen für „die Darstellung der Bewegung dur die bildenden Künste“ ergeben, und, gleih den Ge- Leven der Farbenstelung, von den Meistern stets {on unbewußt befolgt wurden. Von der Photographie in natürlihen Farben, von der Künstler und Laien noch immer träumen und Großes hoffen, ift leider nit bloß für die nähste Folgezeit, sondern aus theoretishen Gründen, welche die Erfahrung \{chwerlich Lügen strafen wird, auh für alle Zukunft so gut wie nichts zu erroarten.

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Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung,

Das „Berl. Volksblatt" theilt einen im Auftrage der „gemaß- regelten Tabacckarbeiter und Arbeiterinnen“ in Eshwege erlassenen Aufruf mit, welcher die Hülfe der Kollegen und anderer Arbeiter in Anspruch nimmt. Jn dem Aufruf wird u. A. angeführt, daß die Zahlstelle des Unterstüßungsvereins deutsher Tahaarbeiter, welche früher in Eschwege bestand, im Jahre 1887 auf Grund des Sozialistengeseßes vecboten wurde. Die Mitglieder blieben jedo dem Verein treu, zahlten ihre Steuern als einzelne Mitglieder direkt nah Bremen und die Zahl derselben nahm während dieser Zeit um das Dreifache zu. Jett stellt sih der in Eschwege gebildete Fabri- kantenbund den Mitgliedern entgegen und verlangt durch Namens- unterschrift den Austritt aus dem Verein. Weil dieses die Arbeiter verweigerten, ist ca. 400 männlihen, wie weiblihen Arbeitern ge- kündigt worden. Die Kündigungszeit läuft somit am 27. September bei ca. 300 Personen ab, bei den übrigen am Sonnabend, den 4. Oktober. Es sind hiervon ca. 100—150 Personen, welche erst dem Verein beitraten, als die Fabrikanten den Austritt von den Mit- gliedern forderten.

Aus Elsaß-Lothringen wird der „Magdb. Ztg." geschrieben, die sozialdemokratische Partei, welche zuerst in Mülhausen festen Fuß gefaßt und einen Wahlerfolg erzielt habe, suhe nun auch anderweitig an Boden zu gewinnen. In den leßten Tagen habe sie zu Colmar einen „Verein zur Herbeiführung volksthümlicher Wahlen“ ins Leben gerufen. . :

Aus Eisleben wird der „Rh.-Westf. Ztg." über eine von den früheren Bergleuten Bunte und Siegel geplante B ergarbeiter- versammlung berihtet, welhe am Sonnabend daselbst abgehalten werden sollte. Nachdem die genannten früheren Bergleute bereits am Freitag im Stillen zu agitiren versucht hatten, wurde für Sonnabend durch den als Sozialdemokraten bekannten Tischler Johne eine Berg- arbeiterversammlung zusammenberufen, wozu jedo, da die Ver- sammlung zu spät angemeldet worden, die polizeilihe Erlaubniß ver- sagt wurde. Troßdem. fanden lie sich in Begleitung einer Anzahl bekannter Sozialdemokraten Maurer und Tischler ein, wurden aber von den Bergleuten, welche sich in großer Anzahl eingeben hatten, mit derartigem Hohngelächter und theilweise sogar t ätlihen Begrüßungen empfangen, daß sie die Flucht ergreifen mußten.

In Leipzig hielten am Dienstag die im graphischen Ge- werbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen, als Buwhdrucker, Scriftgießer, Steindrucker, Lithographen, Notenstecher, Buchbinder, Xylographen, Graveure, Punktirerinnen, Falzerinnen, sowie alle Hülfsarbeiter und Hülfsarbeiterinnen, eine öffentliche zahl- rei besuchte Versammlang ab. Der Zweck der Versammlung war, wie wir der „Lpz. Ztg.* entnehmen, die Mittel zur Hebung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der im graphischen Gewerbe beshäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen zu besprehen. Es traten eine große Anzahl Redner und Rednerinnen auf, welche die im genannten Gewerbe herrschenden Mißstände besprachen, zur Organisation der Arbeiter und Arbeiterinnen aufforderten und {ih für Einführung der a@chtstündigen Arbeitszeit erklärten. Aus den Ausführungen einés Redners war zu entnehmen, daß die Buchdrucker im Jahre 1889 allein für die Unterstüßun Arbeitsloser 123 776 #4 aufgewendet haben. Es gelangte {ließli cine Resolution zur Annahme, nach welcher die Einführung der achtstündigen Arbeitszeit als dringend geboten bezeichnet wurde und alle Arbeiter und Arbeiierinnen in ihrem Kreise die nöthigen Vorbereitungen zur Durchführung dieser Forderungen trefffen, nament- lich aber, soweit dies noch nit geschehen sei, sich organisiren sollen, damit später auf dem Boden der Organisation nachaltig für die aufgestellte Forderung eingetreten ‘werden könne. Das Bureau wurde zum Schluß noch beauftragt, für die nächste Zeit eine öôffent- liche Versammlung aller Arbeitslofen des graphi]chen

Gewerbes einzuberufen,

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