1910 / 264 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Nov 1910 18:00:01 GMT) scan diff

n der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs- und Staatsanzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Berichte von deutschen Fruhtmärkten für den Monat Oktober 1910 veröffentlicht.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Loreley“ vorgestern in Korfu eingetroffen und geht heute von dort nach Cattaro in See.

S. M. S. „Victoria Louise“ ist vorgestern in Venedig eingetroffen und geht am 17. November nah Smyrna in See.

S. M. „Jaguar“ ist gestern in Hongkong ein- geiroffen und von dort wieder in See gegangen.

S M N Otter f am 6, Tschungking (Yangtse) eingetroffen.

November in

Potsdam, 9. November. Gestern vormittag hat, „W. T. B.“ zufolge, im Exerzierhause an der Plantage die Vereidigung der Rekruten der Potsdamer Garnison in Gegenwart Seiner Majestät des Kaisers und Königs, Jhrer Königlichen Hoheiten der Prinzen Eitel-

remdherrlichen Offiziere, des Generalobersten von Plessen, ber Auch Jhre

fremdhenl August Wilhelm, Oskar und Joachim, der

erren des Hauptquartiers u. a. stattgefunden. Majestät die Kaiserin und Königin sowie Jhre Königlichen Hoheiten die Prinzessinnen Viktoria Luise und Victoria Margarete, die Prinzessinnen Eitel-Friedrih und August Wilhelm wohnten dem feier- lichen Akte bei. Nach der Vereidigung hielt Seine Majestät der Kaiser eine kurze Ansprache an die Rekruten, worauf der

Stadtkommandant Generalmajor von Plüskow das Hoch auf den Allerhöchsten Kriegsherrn ausbrachte.

Bayern.

Der Generaladjutant Seiner Majestät des Königs von England Sir Arthur Paget ist nebst den übrigen Herren der Sondergesandtschaft, die Seiner Königlichen Hoheit dem Prinz-Negenten die Thronbesteigung Seiner Majestät des Königs Georg V. anzeigen sollen, gestern in München eingetroffen und wird, „W. T. B.“ zu- folge, heute von Seiner Königlichen Hoheit dem Prinz-Negenten in Audienz empfangen werden.

Oesterreich-Ungaru.

Jn der gestrigen Plenarsißzung der österreihischen Delegation stand das Budget des Ministeriums des Auswärtigen zur Beratung.

Nach dem Beriht des „W. T. B.“ s\prach der Delegierte Sustersic im Laufe der Debatte sein Bedauern darüber aus, daß Bosnien und die Herzegowina in der Delegation niht dur Delegierte vertreten seien. Weiter erklärte er bei der Erörterung der Vorgänge der leßten Jahre, daß die Südslaven der Monarchie wie früher so auch jeßt die Annexiontpolitik Pbilligten und daher auch bereit seien, ihre Konsequenzen zu tragen. „Die Annexions- Ee, fuUbrle dex Vredner aus, ¿bewies nicht nur die militärische, sondern auch die politische Stärke der Monarchie, indem alle Völker der Monarchie eine einzige Front bildeten und ihre inneren Streitigkeiten zurükstellten. Der Lobgesang auf die Bundestreue Deutschlands is überflüssig, weil Deutschland bet der felbstverständlihen Wahrung der Bundes- treue nur im wohlverstandenen eigenen Interesse handelte. Die sicherste Garantie für die Dauer des Bundesverhältnisses mit Italien liegt in der Stärke der Monarchie.“ Der Redner billigte sodann die Führung der auswärtigen Angelegenheiten in den leßten Jahren und fuhr fort: „Die Slaven haben aber nicht die Be- ruhigung, daß unser Bündnissy|tem niht ohne Einfluß auf die innere Politik der Monarchie ist. Den Balkanländern dürfen wirtschaftliche Konzessionen niht auf Kosten der Landwirte gewährt werden, wohl aber bin ih für eine Zollunion mit den Balkanstaaten. Die Balkanpolitik muß auf vollständig neue Grundlagen gestellt werden, wir müssen die Sympathien der Balkanstaaten zu erwerben suchen." „Dor Baron Gautsch betonte die Wichtigkeit der Herstellung günstiger Handelsbeziehungén mit den Balkanstaaten, wobei neben der not- wendigen Berückfichtigung der landwirt schaftlihen Interessen diejenigen der Industrie niht verkürzt werden dürften. Deshalb warne er vor jeder Einseitigkeit in dieser Hinsicht. Der Redner richtete zum Schluß einen Appell an die Jugend, sie möge ihre bisherige Auslandssheu überwinden und nah dem Vorbild Deutschlands durch Reisen ins Ausland in harter Arbeit ihren Gesichts- kreis erweitern und Kenntnisse erwerben, um auf diese Weise dem Vaterlande und dem Staat wirksam zu dienen. Bei der weiteren Beratung wies Grabmayr nah, daß juristisch von einem Nechts- oder Vertragsbruh bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina niht die Nede fein köônne. Er betonte, Deutschland habe dur seinen trenen Beistand in fkritishen Tagen Oesierreihs Haltung in Algeciras mit Zinsen vergolten, was Oesterreih nie vergessen werde. Bezüglich des Verhältnisses zu Italien bedauerte der Nedner, daß die italienische Universitätsfrage noch nit gelöst worden fei, und erklärte, das einzige Mittel gegen die zweifellos bestehende Irredenta liege darin, daß den Italienern die wirtschaftliche, intellektuelle und kulturelle Entwicklung innerhalb Oesterreihs gewährleistet werde. Oesterreih wünsche auf- richtigen Frieden mit Italien und verlange nichts anderes, als den Verzicht auf unrealisierbare Träume als Gegenleistung. Der Nedner appellierte an die maßgebenden Faktoren Italiens, auf die öffentliche

einung und die Presse im Sinne eines Umshwungs der öffentlichen Meinung zugunsten Oesterreihs einzuwirken. Er begrüßte die Be- mühungen beider Regierungen im Interesse der Herstellung eines ehrlihen und loyalen Bündnisses. Der VDelegierte S imionovict betonte die lebhafte Sympathie der Rumänen für den Dreibund: die Numänen würden den eventuellen Anshluß Numäniens an den Drei- bund begrüßen.

Die Verhandlung dieses Punktes wurde hierauf ab- gebrochen. Jn Beantwortung der sozialdemokratishen Jnter- pellation, betreffend die jüngste Rede des Wiener Vize- bürgermeisters Porzer im Rathaus, erklärte der Minister des Aeußern Graf von Aehrenthal:

Die Regierungen hielten an dem Grundprinzip der Nichtein- mischung in fremde Angelegenheiten fest. Weder der römische BVürger- meister Nathan noch der Vizebürgermeister Porzer seien öffentliche

unktionäre und daher engagierten sie die Negierungen durch ihre Ausführungen keineswegs. Ferner hob C Aehrenthal hervor, daß die Angriffe gegen den Heiligen Vater allenthalben, speziell in Italien, eine große intensive Bewegung hervorriefen.

Am Schlusse der Sizung teilte der Präsident mit, daß der Vizepräsident Bärnreither infolge seiner zur Ordnung der böhmisd en Angelegenheiten notwendigen Anwesenheit in Prag den Posten als Vizepräsident niederlege.

Die ungarische Delegation verhandelte gestern über das Heeresbudget. Die Delegierten Le und Bakonyi begründeten den ablehnenden Standpunkt der Unab-

hängigkeitspartei segen das Budget mit der Nichterfüllukng der

orderungen.

Frankreich.

__ Der Ministerrat hat den Präfekten des Departements Aisne zur Disposition gestellt. Der Präfekt hatte sich, wie das „W. T. B.“ meldet, beim Ausbruch des Eisenbahnerausstandes ohne Urlaub in Paris aufgehalten und die für die Aufrecht- erhaltung der Ordnung vorgeschriebenen Maßnahmen auf dem Bahnhof in Tergnier zu spät getroffen.

Zu Beginn der gestrigen Kammersißzung herrschte im Saale und in den Wandelgängen lebhafte Bewegung. Der Ministerpräsident Briand verlas die Erklärung der neuen Regierung, die, obiger Quelle zufolge, besagt:

Die Regierung, die an der Trennung der \taatlichen von der tirhlichen Gewalt, an der Gerechtigkeit und der Freiheit festhält, wird sich aus\ließlih auf eine republikanishe Mehrheit stüßen, die aus Männern besteht, die entschlossen sind, die Eroberungen der Nepublik gegenüber der Kirche gegen die Neaktion zu verteidigen und weiter auszudehnen. Die Regierung wird ein Geseß zur Ver- teidigung der Laienschule einbringen und auf geseßlihem Wege die Wahl-, die Verwaltungs- und die Justizreform sowie das Beamten- und das -Einkommensteuergeses ins Leben rufen. Die Er- klärung erinnert sodann an die zugunsten der Arbeiter ins Werk geseßten Neformen, namentlich an die Altersversorgung, und sagt, die Arbeiter dürften einzig vom Geseß, niht aber von Unordnung und Gewalttat ihre wirtschaftlihe Befreiung erwarten. Gs werde sich empfehlen, den geseßzlihen Maßnahmen zur Vermeidung der unerträglihen Fälle von Sabotage und Anarchie, wie sie beim Eisenbahnerausstand zutage getreten wären, dadur größeren Nachdruck zu verleihen, daß man dur sie die Urheber sol@er Handlungen und die, die zu ihnen aufreizten, treffe. Die éereiheiten der Syndikate würden dadurh nicht berührt, sie seien unverleßglih wie die Freiheit der Arbeit. Die NRegierungserklärung weist ferner auf die Notwendigkeit hin, die Berufssyndikate in thren nüßlichen Bestrebungen zu fördern und die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn unter den bereits angegebenen Bedingungen zu sichern. Die Negierung werde aber nicht dulden, daß die Syndikate eine gesellhaftsfeindliche politishe Aktion organi- sierten. Es werde auch notwendig sein, die Syndikatêverbände derart auszugestalten, daß sie eine richtige Vertretung der Arbeiter dar- stellten, und die Frage des Ausstandes der Angestellten der öffent- lichen Betriebe unzweideutigg zu regeln. Ein Schiedegericht sei ¿war ein vorzüglihes Vorbeugungsmittel, könnte aber unwirksam sein. Es wäre unzulässig, daß Angestellte, die Sondervorteile genössen, durch Lähmung des öffentiichen Lebens das Vaterland in Gefahr brähten. Die Regierung werde eine Abstim- mung über die Maßregeln fordern, die nötig len, um den öffent- lichen Dienst im Falle eines Auéstandes der Angestellten der öffentlihen Betriebe sicherzustellen. Dank dieser Maßnahmen werde die Nepublik, stark auch durch ihre Allianz und ihre freundschaftlihen Beziehungen, denen sie unabänderlich treu zu bleiben beabsichtige, inmitten der Nationen den Nang bewahren können, der ihr zukomme, werde ihrer Stimme nach außen Geltung verschaffen und in den Beziehungen zu den anderen Staaten die traditionelle Politik üben können, die die Größe Frank- reichs geschaffen habe. Die Regierung sei entschlossen, die militärische Macht, die sichere Garantie des internationalen Friedens und das Unterpfand der nationalen Würde, zu stärken. Die Negierung rechne L darauf, daß das Parlament das Marineprogramm annehmen werde.

Nach der Verlesung der Erklärung trat die Kammer sofort in die Debatte über die Jnterpella tionen der Sozialisten, betreffend die arbeiterfeindlihe Politik des Ministeriums und f Umstände, unter denen das Kabinett gebildet worden ist, ein. y

Der Abg. Painlevé (unabhängiger Soz.) warf Briand vor, daß er um das Vertrauen der Kammer gebeten habe für ein Mi- nisterium, das niht mehr bestanden habe, da e3 gleich darauf zurüd- tral. Painlevé griff in seinen weiteren Ausführungen die Persön- lichkeit Briands -{fftig an, dem er vorwarf, daß er das Volk nit patriotischen Redensarten getäuscht habe und daß er erst habe Minister werden müssem, um zu lernen, daß Frankreich Grenzen habe. B riand erwiderte, er habe nit darauf gewartet, die antipatriotische Taktik gewisser Sozialisten zu brandmoarken, bis er Minister geworden ei. Der Abg. Painlevó warf Briand ferner seine \ozia- listishe Propaganda und seinen Mangel an republikani- her Loyalität heftig vor und rief: „Solange Sie dort sind, wird auf der Ministerbank etmas faul sein!“ Aubriot (geeinigter Sozialist) erklärte bei Besprechung der Um- stände, unter denen der legte Ministerwesel stattgefunden, Briand habe einen wahrhaften Vertrauensmißbrauch gegen seine Majorität be- gangen. Jaurès sagte, die ministerielle Erklärung enthalte zwei Charakterzüge: Brutalität und Zweideutigkeit, die erltere, weil sie wage, den Arbeitern in den öffentlißen Betrieben das Streikreht zu - nehmen, die zweite, weil sie nicht angebe, wie sie diese Drohung ausführen wolle. Im weiteren Verlauf seiner Rede wünshte Jaurès, daß die Negierung erkläre, ob sie Anhängerin des fakultativen oder des obligatorischen Schieds- gerichts sei, und warf Briand vor, daß er ein doppeltes Spiel spiele mit den Parteien der Linken und des Zentrums. Der Redner erklärte ferner, die Gemäßigten und die Konservativen bätten den neuen Arbeitsminister Lafferre angenommen, weil sie in ihm einen Neaktionär fehen. Er griff Briand dann von neuem beftig an, ter sich allen Parteien entziehe, und bedauerte zum D: daß alle reaktionären Regierungen heute Briand als Beispiel anführten.

Als leßter der gestrigen Redner trat Theodore Reinach (radikal) für das obligatorische Schiedsgericht ein, worauf die Sitzung auf heute vertagt wurde.

Jm Senat wurde die ministerielle Erklärung von Justizminister Girard unter lebhaftem Beifall verlesen.

ungarischen Militär

Spanien.

Der Minister des Aeußern hatte gestern nachmittag eine Besprechung mit El Mokri über die Garantien, die der Machsen für die Spanien zu zahlende Entschädigung geben soll. El Mokri bat, wie das „W. T. B.“ meldet, die Verhand- lungen bis nächsten Freitag zu vertagen, um si Jn struktionen aus Tanger einholen zu können.

Belgien.

Der König Albert hat gestern das Parlament mit einer Thronrede eröffnet, in der er, „W. T. B.“ zufolge, zunächst des Königs Leopold ets dessen Sorge es gewesen sei, Belgien schöner zu gestalten und ihm durch Schaffung einer Kolonie neue Absatmöglichkeiten zu eröffnen, und dann, an seine eigene Thronbesteigung erinnernd, für die Sympathie- beweise seines Volkes dankte und weiter feststellte, daß er und die Königin an den ausländischen Höfen eine herzliche Auf- nahme gefunden hätten, wie das belgische Volk seinerseits dem Kaiser Wilhelm einen herzlihen Empfang bereitet habe.

Die Thronrede kündigt sodann an, daß die zwischen Deutschland, Gngland und Belgien getroffenen Vereinbarungen über die Grenze im Kongogebiet demnächst der Kammer zugehen werden, hebt den großen Grfolg der Weltausstellung hervor und betont, daß immer mehr daran gearbeitet werden müsse, auf dem Gebiete der Kunit, Literatur und Wissenschaft das Niveau der nationalen Erziehung zu heben. Auch der gelungenen Ausstellung alter Kunst des

XVII, Jahrhunderts wird gedaht. Die Thronrede „« . Sprachenkämpfe mit Mäßigung zu führen, a tit y Förderung des Fachunterrihts zu heben und den Kindern ven 1 besuch durch geseßliche Maßnahmen zu erleichtern. Dey F,6 vater müsse durh geseßlide Vorkehrungen das Necht ! Dan werden, den ihm gemehmen Unterricht für sein Kind auszu die soziale Fürsorge müsse erweitert werden dur Vervolistänp Gesege über die Altersrenten und den Kindershuß und dur, Q von Handels- und Industrieräten. Endlich werde die Regieru, d Heimarbeit regeln. Nach Ankündigung einiger Geseßzentwi 0) die Militärpensionen erörtert die Thronrede die Abnahme dei L enusses und das günstige Ergebnis des neuen Militärgeseßez ¿etnanzlage des Landes sei gut, jedoch sei Sparsamkeit aeb

Schluß erwähnt die Thronrede die Reformen in der Ron ì die in diesem Jahre vervollständigt werden sollen. oge __ Vor dem Verlesen der Thronrede kam es zy lärme Kundgebungen. Als nämlich der König den Sibungssu/ l Kammer betrat, riefen die Sozialisten: „Auflösung ! Allgens

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Stimmrecht!“ Sie wurden aber durch die Rufe: „Es (oh König!“ übertönt. E

Jm Senat erklärte gestern, obiger Quelle zjg der wiedergewählte Präsident Vicomte Simonis, daß h. fich durch den Besuch des Deutschen Kaiserpaares am belgid Hofe geehrt fühle. Man dürfe aus diesen Freundigal bezeugungen einer großen Nation \hließen, daß man allge wisse und anerkenne, daß Belgien als neutrales und d hängiges Land sih allgemein Achtung verdient habe. \

Griechenland.

Die gestrige, vom „W. T. B.“ verbreitete Nachridht y einem Zusammenstoß zwischen griechischen Evzonen und türki Truppen in der Gegend von Prevesa wird in Athen in d Form für falsch erklärt. |

Serbien.

Nach dem gestern ausgegebenen Krankheitsbericht ht Kronprinz Alexander die Nacht in ruhigem, tiefem Si verbraht. Nach Mitternacht stellte sich reichliche Sd absonderung ein. Morgens fühlte sich der Patient sehr Die Untersuhung aller Organe zeigt keine Verände Temperatur 37,8. |

Schweiz.

Das Aktionskomitee gegen den Gotthardverty veröffentlicht einen Aufruf an das Schweizer Volk, worin „W. T. B.“ zufolge, die Bürger ermahnt, sich ernstlih dieser für die wirtschaftliche Zukunft der Schweiz wid Frage zu beschäftigen. Das Komitee fordert auf, eine P an das eidgenössische Parlament zu unterzeichnen und V versammlungen abzuhalten. Der Aufruf trägt 113 l schriften, darunter von 24 Mitgliedern des eidgenössischen laments, von zahlreihen bekannten Vertretern von V1 Militär, Universitäten, Handel und Jndustrie, aus allen Gege des Landes und von allen politischen Parteien.

Amerika.

Jn der Mehrzahl der Einzelstaaten der amerikanis Union haben gestern Gouverneurs-, Staats- y Kongreßwahlen stattgefunden. Jn vielen Staaten wel auch die Staatslegislaturmitglieder gewählt, die ihre

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etwa 30 neue Bundessenatoren zu wählen haben. Angesd

der Unzufriedenheit mit dem neuen Zolltarif und der Ÿ wirrung, die über diese Frage in republikanischen Kri

herrscht, hoffen, „W. T. B.“ zufolge, die Demokraten zu sichtlih auf eine Majorität im Nepräsentantenhause und d Zuwachs an demokratischen Bundessenatoren. Das gu „Interesse wendet sich den Staaten New York, wo die L lichkeit und die Politik Noosevelts im Mittelpunkte stebt, Y Jersey, Ohio und Connecticut zu. Jn den Staaten Wisca Jdaho, Minnesota, Indiana und in Teilen von Washing! Californien, Oregon, Colorado und Teras rechnet man 1 einem Siege des progressiven Flügels der republikanischen Pa wenn niht der Demokraten.

Bei der vorgestrigen Eröffnung des kubanisd Kongresses erklärte der Präsident Gomez den bishui A für veraltet, forderte, wie das „W. T. B.“ ml anläßlih der Tarifrevision die Erhöhung der Zölle {hußzöllnerischer Grundlage und erwähnte, daß besonder Zölle auf Schuhe, Gewebe, Seife, Flaschen und Papier Erhöhung bedürfen.

Die chilenishe Regierung hat, obiger Quell! folge, 94 791 500 chilenishe Gold-Piaster angewiesen zun von 2405 km Eisenbahnen.

NAfien.

Nach Depeschen des Wali von Van hat, wie das „W. 2 meldet, bei Dschar ein heftiger Zusammenstoß zwisl| türkishen Truppen und persischen Jrregulären,! geblich auch persischen Regulären, stattgefunden, die ein ! türkishen Truppen beseßtes Gebiet überfallen haben, abt! Verlusten zurückgeshlagen worden sind. Die Pforte 1 bei der persischen Regierung Protest erheben.

Nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegra! agentur“ ist in Schiras der Belagerungszustand erklärt wn

Parlamentarische Nachrichten.

Nah dem amtlichen Wahlergebnis sind Reichstagsersaßzwahl im 4. Posener MWahlin! (Neutomischel, Gräß, Kosten, Schmiegel) am 4. Novembt ganzen 22149 Stimmen abgegeben worden. Davon ? der Schriftsteller Morawski (Pole) 16 413, der Ritter besißer Schwarßkopf (deutshkons.) 5678, der Ret Sremski (Soz.) 46 Stimmen erhalten. Zersplittert 1! 12 Stimmen.

Bei der Ersaßwahl eines Mitglieds des Hauses! Abgeordneten, die am 8. d. M. im 4. Wahlbezirlt Stadt Berlin (umfassend den östlichen Teil der Temp Vorstadt und den südlichen Teil der Luisenstadt diess Kanals) stattfand, wurde an Stelle des Abg. Dr. Müller, d! Mandat niedergelegt hat, wie hiesige Blätter berichte! Stadtverordnete Kreitling (Forlschrittliche Volkspartei) | 269 Stimmen gegen 193, die auf den Schriftsteller Gn (Sosiaälbamokeat) entfielen, gewählt. s

E wenigstens 100 Personen verleßt worden. E hefinden sich

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung. amberger Konferenz von Vertretern der deutschen isterten Schuh fabrikanten hat, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, organ Zuziehung von Fabrikanten und auéständigen Arbeitern aus Me n den leßtern einige Zugeständnisse gemacht, über di? gestern

L bie Aus\1ändigen in Dresden beschließen soliten. Man be- Met aber, daß die Zugeständnisse unzureichend seien, um dort den Vibfiand beizuleg°n und die drohende allgemeine Aus\perrung in der Ven Schuhindustrie zu verhindern. (Vgl. Nr. 260 d. Bl.) deu Die Aus standsunruhen der Bergarbeiter in Wales (val. Nr. 263 d. Bl.) nehmen einen bedrohlihen Umfarg an, Der Minister des Innern (T h urMill, DET vermittelnd eingreifen will, hat, vie „W. T. B.“ meldet, gestern an die Bergarbeiter von Südwales ein Schreiben gerichtet, in dem es heißt, ihre besten Freunde in London seien sehr betrübt über die Unruhen, die ausgebrochen feien, und vollten ihr Bestes daran wenden, den Bergleuten zu helfen. Ein Ver- (eter des Handelsamts wünsche mit den Vertretern der Bergarbeiter zu verhandeln. Aber die Unruhen müßten sofort aufhören, sod3ß die Unter- suchung niht beeinflußt werde. Im Vertrauen auf den gesunden Sinn der Bergleute balte er die Soldaten vorläufig zurück und. sende I ihrer Stelle Polizeimannshaften. Im Laufe des geslrigen Abends begingen die Ausständigen in den Orten Tonypandy und Aberaman mehrfach A usfhreitun gen. In Tonypandy wurden zahl- reidhe Läden geplündert, senstersMeiben wurden ‘ingeworfen und großer Schaden angerichtet. G8 fam gu heftigen Zusammenstößen mit der

olizei, wobci auf beiden Sciten zahlreiche Personen verwundet wurden. In Pont yp ridd, wo sich die Unruhen wiederbolten, ift eine Shwadron Ka vallerie eingetroffen, eine zweite Schwadron wird morgen folgen. Außerdem sind dort gestern abend 270 Polizei- beamte aus London eingetroffen, die sih unverzüglich nach T onypandy und Aberaman weiterbegeben haben; heute vormittag wurden noch weitere 900 Polizeibeamte dort erwartet. Nach Meldungen aus Cardiff sind bei den Unruhen im A D A org fs

Inter den Verleßten j Während die Polizei “den

Wohnsiß des Bergwerkedirektors in der Nachbarschaft der Stadt Tonypandy zu {chüßen bemüht war, war die Menge geraume Zeit Herr von Tonypandy, durchzog in Trupps die Straßen, zer- irüummerte die Ladenfenster und warf die Waren auf die Straße, sodaß die Stadt aussah, als sei sie beschossen und geplündert worden. Ein Polizeibeamter von Tonypandy wurde {wer verleßt und ist seinen Wunden erlegen. Aus Cardiff werden Truppen er- warte. Man hegt Befürchtungen wegen der Stcherheit YUewellyns, des Generaldirektors der Cambrianbergwerke, der mit etwa fünfzig Mann in der Hauptstation der Glamorgan-Kohlenberg- werke einge\chlossen ist. Llemwellyn und seine Mannschaft halten die Maschinen im Betrieb, um einer Ueberflutung der Mine vorzubeugen. Während der Nuhestöcungen sind die Ventilationsanlagen von zwei Schächten unbrauchbar gemacht worden, und man fürchtet, daß infolge- dessen 400 Pferde in diesen Schächten erstickt sind. Der ganze Bezirk bietet ein Bild dec Zerstörung. Mehrere Polizeibeamte sind {wer verlegt worden.

Die im englischen Schiffbau beschäftigten Kesselshmtede haben, „W. T. B.“ zufolge, das von ihren Vertretern mit den Ver- tretern der Arbeitgeber abgeschlossene Abkommen mit 15 563 gegen 5850 Stimmen verworfen. (Vgl. Nr. 247 d. Bl.)

In Liverpool war geltern, wie ,W. T. B." meldet, infolge eines Ausstandes der Fuhrleute, die kürzere Arbeitszeit verlangten, der Veikehr im Hafen und in den Docks lahmgelegt. Etwa 4000 Mann feterten. Der Ausstand ist aber inzwischen wieder bei- gelegt worden.

Die B

zwei Journalisten.

Kunft und Wissenschaft.

Wir sind heute dabei, das Scheckwesen innerhalb der deutscen Post- verwaltung mehr und mehr auszubauen und volkstümlih zu machen. Wir halten das für eine neuzeitlihe Errungenschaft, und doch hat {hon im Altertum ein Giro- und Scheckverke hr bestanden, dessen Einrichtungen im alten Aegypten uns durch die Papyi überliefert sind. Während zahlreiche sonstige Einrichtungen des praktischen Ver- waltungédienstes sich durch das Mittelalter hindurh forterhielten, fonnte das Scheck- und Girowesen, das sih auf gegen]eitiges Vertrauen stüßt, die {weren Erschütterungen, die den Untergang der antifen Welt zur Folge hatten, niht überdauern und selbft die Erinnerung an das hochwichtige antike Girowesen ging verloren. Der Telegraphendirektor Dr. Preisigke in Straßburg hat nun in einer Schrift „Girowesen im griechischen Ncgypten, enthaltend Korn- giro, Geldgiro, Girobanknotariat, mit Einschluß des Archivwesens" auf Grund der Papyrusurkunden ein genaues Bild von dem ägypti- hen Girowesen entworfen. In der legten Nummer des „Archivs für Post und Telegraphie“ teilt er die Hauptergebnisse seiner in jenem Buch dargelegten Feststellungen mit; diesem Aufsaß sind die nach- stehenden Angaben entnommen. Im alten Aegypten, das ein Ackerbau- staat war, waren neben Geldzahlungen auch Naturalzahlungen üblich. Ein großer Teil des Fruchtbodens war Staatseigentum oder Krongut, daher waren die Skeuern und Pachtzinsen vielsach in Kern statt in Geld festgesetzt und diese Zahlungen erfolgten auch in dex Negel durch Korn. Diese Zahlungéform war in Aegypten nicht die Folge- ersheinung einer primitiven Kultur, vielmehr bei dem agrarischen Charakter des Landes durchaus zweckmäßig und ein Zeichen einsichtiger Staatsklugheit. Dieser K ornzahlungsverkehr trägt nun die Durzeln des Giro- und Schheckverkehrs in ih. Die Sthwierigkeit des Austausches der Naturalien drängte auf Ver- einfahung; dabei richteten fi die Blicke ganz von felbst’ auf die staat- lien Getreidespeicher, die fast in jedem größeren Dorf errichtet waren.

n thnen wurde das als Pachtzins für Staats- und Kronländereten gelieferte Getreide gelagert, aber aud) die Ernte von Privatbesißern fonte in ihnen als Privatguthaben untergebracht werden. So ent- wielten sich bei diesen Staatsspeichern private Guthaben in

aturalien, von denen Steuern, Pacht oder sonsrige Zahlungen in Form bon Abschreibungen geleistet werden konnten. Da der Privatmann bei

enußung der sta.tliben Spcicher die Kosten für eigene Bauten ersparte, au vor Diebstahl und Feuer sicherer war, andererseits die gesiherte Lagerung der Ernte das geschäftliche Vertrauen und damit die Steuerkraft des Landes erhöhte, war diese Einrichtung für den fivatmann wie für den Staat von gleichem Nußen und 0s Korngirowesen kam in Aegypten bald zu hoher Blüte. indere Stellen zur Abwicktlung von Girokornzahlungen als die staat- ihen Speicher gab es nicht. Der Girogeldverkehr hingegen lag durchweg in den Händen von Privatbanken und drängte \ich natur- s in den Gauhauptstädten zusammen. Jn jeder Gauhauptstadt efand sich freilih au eine d va die sih aber nur mit der Fetwaltung der Staatégelter befaßte. Der Privatmann benutzte bei ie see olungen sowohl an Private wie an den Staat Bankinstitute,

e Whnlih unserer Neihsbank eine Mittelstellung zwischen Behörde und Privatbank einnahmen (Staatsbanken) und die von der Negierung Fes tet waren. Die Staatskasse des Gaues und alle in ihm augen Staatsfpeicher standen unter der Oberleitung einer Gau- di jhtsbehörde, die man als Gaurchenkammer bezeichnen kann; bei er Behörde flossen monatlih die Nechenschaftsberihte und Ab- ‘nungen des Gaues zusammen: von der Staatskasse die Ab- eOnungen über Bargeld, von den Staatéspeichern diejenigen über s etreide. In der Landeshauptstadt Alexandrien befand fich die vrgeordnete Landesrechenkammer, an deren Spiße der Finanz- B ister stand. Von dieser Behörde wurden die Geld- id Kornrehnungsbelege aus allen Städten und Dörfern nachgeprüft. Nu Feten Aegyten finden wir also dieselbe Dreiteilung der Behörden, daß 1e fo ei uns heute besteht. Aus den Papyri ist ersichtlich, Lins meist Weizen, seltener Gerste in den Staatsspeichern als Privat- urguthaben verwaltet wurde. In allen Belegen und Uebersichten ¿ O die Korngattung und der Jahrgang angegeben, _Unter- old) ungen nah der Güte wurden aber niht gemaht. Mit einer

en Unterscheidung wäre das Girowesen in Korn au garnicht

durchführbar gewescn: ein Scheffel Weizen, den man im Dorfe A beim Staats\peicher einzahlte, mußte denselben Wert haben, wie ein Scheffel Weizen, den der Staatsspeicher des Dorfes B an den Giroempfänger auszahlte. Die eigenartige Fruchtbarkeit Aegyptens brachte es auch mit sih, daß der Weizen in allen Teilen des Landes von gleiher Güte war. Das Staatsgetreide scheint von dem Privat- getreide nit getrennt gelagert worden zu sein. Die Form der Giro- anweisung mag eine Aufzeihnung auf einer Tonsceibe aus dem 2 oder 3. Jahrhundert n. Chr. zeigen. Die auf ihr enthaltene griehisde Inschrist lautet in deutscher Uebersezung: „Prophetes an Umonios Gruß zuvor. Buhe um aus meinem Giroguthaben auf den Namen Wikillas 4 —+ 4 Weizen, wiederhole f + } Weizen“. Prophetes ist der Aussteller der Giroanweisung, Amonios der Borsteher des betreffenden Staatsspeichers, Lukillas der Giro- empfänger. Das übliche Getreidemaß war die Artabe (etwa 33 1); die Benennung des Maßes ist als selbstverständlich fortgelassen. Die geringe Veenge der Zahlung zeigt, daß man auch kleine Schulden in Korn tilgte und sih auch bei ihnen des Giro bediente. Die Wieder- holung der Summe geshah im Kassen- und Rechnungswesen allgemein. Es war dem Girozahler gestattet, mehrere Giro- anweisungen an verschiedene Empfänger auf einem Papyrus- blatt oder auf ciner Scherbe niederzuschreiben. Die Anweisung verblieb als Kassenbelag dauernd beim Staatsspeicher. Die Giro- anweisungen mußten im Ausstellungsmonate beim Staats\peicher ver- rechnet werden; erst im Monat nah threr Ausstellung eingehende Nechnungen galten als überfällig und ungültig. Diese Vorschrift war erlassen, weil man weder \sprachlich noch ge\chäftlich eine Unterscheidung zwischen Giroanweisung und Scheck machte. Beide hteßen Faorolxós und es war dem Aussteller eines solhen überlassen, es unmittelbar an den Speicher zu senden (Giroanroeisung) oder dem Zablungsempfänger auszuhändigen (Scheck). Durch jene Vorschrift wollte man die Lauffrist des Schecks auf den Ausstellungsmonat be- s{ränlen. Neben den Schecks, auf denen eine bestimmte Person als Zahlungsempfänger genannt war, gab es solche, die von Hand zu Hand laufen konnten, bis \{ließlich ein beliebiger Inhaber den Sche beim Speicher zur Zablung vorwies; bei jenen mußte der Vorweisfer Namensunterschrift leisten, bei diesen fiel jede Prüfung fort, doch mußte der leßte Inhaber eine besondere Antragsformel unter den S&eck eßen. Eine solche aus der Z-it um 155 n. Chr. lautet in deutscher Ueberseßung: „Jh, Philoxenos, genannt Philiekos, Sohn des Dionysios, weise den Scheck hiermit vor mit dem Antrage, mir die (oben im Sek) benannte eine Artabe Weizen auszufolgen unter Lastschrift auf den Namen des (Scheckausstellers) Diogas, Sohnes des Anois". Das Giroguthaben wurde teils durch Selbsteinlage des Guthabers, teils dur Zahlungen anderer Personen gebildet, wobei Ein- zahlungen durch Giroumsf\chrift oder durch Zuführung in Getreide in natura erfolgen konnten; ob cin Mindestbestand festgeseßt war, wissen wir niht. In zahlreihen Ackerpathtverträgen findet ih die Bestimmung, daß der Pächter sih verpflichte, den Pachtzins in Weizen an den Verpächter im Girowege zu zahlen, und zwar sofort nah der Ernte. Der Verpächter besaß in solchen Fällen entweder noch andere LUndereien, um derentwillen er cin Girokonto beim Staatsspeicher unterhielt, oder er hatte ein Getreidegeshäft. Aehnlih wurde die Girozahlung von Getreidesteuern erledigt. Diese flossen dem Staat nicht un- mittelbar zu, sondern liefen vorher dur die Hand von Steuererhebern. Jährlich wurde von der Regierung ein Steueretat aufgestellt, wobei die Einnahmen des Vorjahres als Grundlage dienten. Der Etat zerfiel in den Etat für Getreidesteuern und in den für Geldsteuern. Jedem Gau wurde dann die Gauhauptsumme als Steuersoll zu- geschrieben. Der Gau verteilte diese Hauptsumme auf die einzelnen Gemeinden, diese wiederum auf die Zünfte, Körperschaften usw. Staat- liche Steuerbeamten besorgten die Einziehung, sie waren entweder Ge- treide- oder Geldsteuererheber. Die Erheber waren liturgishe Beamte, das heißt, sie hatten den Erheberdienst als Fron ein Jahr lang unentgelt- lich zu leisten, und zwar auf eigene Gefahr ; uneinziehbare Steuerbeträge mußten sie aus eigener Tasche decken. War ein Steuerer heber für eine Dorfgemarkung bestellt, so ließ er bei dem Staats\peicher dieser Ge- markung fofort ein Girokonto für ih einrichten. Alle Steuerzahler, die selbst ein solbes Konto besaßen, zahlten dann ihre Steuern auf das Konto des Getreidesteuererhebers, indem fie den Steuerbetrag von ihrem Konto abshreiben ließen. Wer kein Konto besaß, mußte seine Steuer in natura im Staatsspeiher abliefern, wo der Betrag im K»nto des Erhebers gutgeshrieben wurde. Dieses Konto, das lediglih für die Steuereinnahmen diente, war an sich ein Privatkonto, der Staat hatte aber jeden Steuerbetrag vom Augenblick der Einzahlung in seinem Gewahrsam und konnte auch Tag für. Tag die Steuereinnahmen feststellen. Das Privat- steuerkonto diente zugleih als Abrechnungsbuch über die dem Erheber amtlich zugefertigten undvonihm eingezogenen Beträge. So wurde das pri- vate Girokonto des Erbebers ganz von selbstzum Dienstkonto. Ein weiterer Borteil aus der Giroeinrihtung erwuchs den Steuererhebern daraus, daß das Girowesen einen Fernverkehr ermöglihte. Im Altertum war jedermann nur in feinem Heimatkort steuerpflihtig; bei neuen Scäßungen mußte sich daher jeder in fcinen Heimat8ort begeben. um an Ort und Stelle persönlich seine Steuererklärungen abzugeben. Nach erfolgter Schäßung zerstreuten sih die Leute wieder, blieben aber zahlungspflichtig in ihrem Heimatsort. Daraus erwuchGsen den Steuer- erhebern große Schwierigkeiten und Verluste, denen sie dur gegen- seitige Hilfe zu begegnen suhten. Man zog gegenseitig Kornsteuern ein, führte sie an die Staatskonten der Staatsspeiher ab uñd be- wirkte den Ausgleih buhmäßig durch die an die Gaurechnungs- fammer eingesandten Monatsübersihten. Die Fremdpostenunterschiede, die aus dem Fernverkebr über die Gaugrenzen noch verblieben, wurden durch Gegenrehnung bei der Landesrehnungekammer in Alexandrien auÒgeglihen. Eine andere Gattung des Girofernverkehrs war der Fernverkehr für Privatzahlungen; wurde er von den Steuererhebern zwecks Einziehung unterhalten, so bedienten fich die Privatleute seiner zwecks Auszahlung von Getreide- summen am Fernorte, was für Landwirte sebr wertvoll war. Zur Sicherung des Fernbetriebes waren Dienstrückmeldungen vor- geschrieben. Die Privatguthaben im Staatsspeiher konnten wie jeder andere Besiß verpfändet oder beschlagnahmt werden. Gehörte der Girobesiß unmündigen Kindern, so bedurfte die Giroanweisung der Gegenschrift des Vormundes. Für die Lagerung und Behandlung der Giroguthaben mußte der Guthaber an die Staatsspeicher be- stimmte Gebühren zahlen. Ueber jede Zahlung erteilte der Staats- \peiher Quittung an den Einzahler, gleihviel ob die Ein- zahlung durch Einmessen von Korn oder durch Lastshrift im Konto des Zahlers geschah; ebenso wurde bei jedcr Giro- éinzablung zu Händen des Giroempfängers eine Meldung ausgefertigt. Die Steuergiroguittung enthielt nur den Etatstitel, in den die Zahlung fiel (Gewerbcsteuer, Kopfsteuer, Erntesteuer usw.). Eine Steuerquittung des Staatsspcichers lautet also z. B.: „Im Jahre x, am x. des Monats. N. Eingezahlt hat N. für Rechnung des Titels Kopfsleuer x Artaben Weizen. N., Speichervorsteher.“

Kassentagebücher und Kontobücher waren, wie heute, \o auch damals die grundlegenden Kassenbücher.

Die Akademie der Medizin in Paris wählte den Fatteriologen Loeffler-Greifêwald zum wirklihen auswärtigen Mitglied.

Literatur.

Der Lehrprinz. Lehrbuch der heutigen Jagdwissenschaft mit besonderer Berücksi tigung der Bedürfnisse des Jagdbesitzers und des Jagdverwalters. Von Oberländer. Zweite, nah den neuesten Er- fahrungen bearbeitete und verbesserte Auflage. Mit 242 Abbildungen nach Originalzeihnungen, Photographien und Originalholzschnitten. (Verlag von J. Neumann in Neudamm.) Preis gebunden 10 4. Die alten Lehrbücher der Jagd und Sagdwissenschaft von Hartig, Diezel u. a. sind siher auch noch heute lesenswêrt, für eine neue, den modernen Verhältnissen angepaßte Bearbeitung des ganzen Stoffes lagen aber unstreitig triftige Gründe vor, da sich

die Jagdverhältnisse seit der Zeit, in der jene Bücher er- schienen, durchaus geändert haben. Nicht nur die Gesetzgebung hat in sie eingegriffen, sondern auch die moderne Technik hat ihre Hilfs- mittel ausgestaltet, die Naturwissenschaft unsere Kenntnis vom jagdlichen Nußten und Schaden einzelner Tiere erweitert, und es fann auch nicht bestritten werden, daß ein verfeinertes sittlihes Gefühl das Weidwerk in den Anschauungen der wirklich weidgerehten Jäger veredelt hat. Oberländer hat es in dem vorliegenden Buch ausge- zeichnet verstanten, die überfommenen, noch heute gültigen weidmännishen Regeln nah den Forderungen der Gegenwart auszugestalten, unter pietätvoller Wahrung der wertvollen Ueberlieferung den neuen Errungenschaften den ihnen gebührenden Plag anzuweisen. Sein Buch wird dem erfahrenen Jager ebenso Unregung und Aufschlüsse bieten, wie es ein trefflihes Lehrbuch für den jungen Nahwuchs ist. Ueberall zeigen ih in ihm Theorie und Praxis auf das glücklichste vereinigt, und aus jedem Kapitel spricht eine vollflommene Beherrshung des reihen Stoffes und der über- reihen Jagdliteratur. Die Anordnung ist praktisch und über- sichtlich. Nachdem einleitend das Weidwerk vom Standpunkt der Ethik betrachtet ist, beschäftigt fh der erste Abschnitt mit allen Fragen, die für die Erziehung des jungen JIägers von besonderer Wichtigkeit sind. Dem Leser werden in ihm neben einer kurzen Ge- schichte des deutshen Jagdwesens die Grundzüge des deutschen Jagd- rechts und die der Jagdzoologie geboten und er wird mit der deutschen Jagdsprache bekannt gemacht. Der zweite Abschnitt behandelt die Vorbereitung für die Praxis, das Schießwesen, die JIagdwaffen, Schicßkunst und Jagdausrüstung, während im dritten alle Fragen be- antwortet werden, die den Jäger als Revierinhaber und Jagd- verwalter angehen. Jn diesem besonders wichtigen Ab- schnitt ist auf Fknappem Raum eine geradezu erstaun- lide Fülle von Material übersihtlich und eingehend behandelt: Die Erwerbung des RMeviers, das Verhältnis zu den Jagdteilhabern und Grenznahbarn, Jagdschußpersonal und Jagdverwaltung, Wildhege, Wildschaden und Wildschadenvergütung, Wildererunwesen und Gastshütze. Der leßte Abschnitt handelt von der eigentlihen Jagdausübung. Die zahlreichen Abbildungen gereichen dem Buche ebenso zur Zierde, wie sie seinen Text veranschaulichen. Ein forgfältiges Negister {ließt das fast 600 Seiten starke Werk ab. Der Unistand, daß der Verlag den Preis der zeitgemäß ergänzten Neu- auflage von 18 auf 10 M herabgeseßt hat, wird sicher dazu beitragen, dem wertvollen Buch in immer weiteren Kreisen der Jäger und Jagd- liebhaber Verbreitung zu verschaffen. |

Friedrich Lienhard: Oberlin. Roman aus der fran- zösishen Revolutionszeit. Buchshmuck und Einband nah Zeichnungen von Kurt Jäckel. Broschiert 4,50 4, gebunden 5,50 Æ. Verlag von Greiner u. Pfeiffer in Stuttgart. Dieses Buch gibt uns die Entwicklungsgeschichte eines jungen Elsässers und zugleih ein an- haulihes Bild der französishen Revolution und ihrer Wirkungen auf das Elsaß. Leidenschaft, Freundschaft und Liebe und daneben die Grschütterungen und leidvollen Erfahrungen, die durch die französische Revolution hervorgerufen werden, {ind es, die einshneidend in Viktor Hartmanns inneren und äußeren Lebensgang eingreifen. Sein Lehrer, Führer und Meister wird Oberlin, ein bedeutender Pfarrer und eigenartiger Mann, dessen Trachten und Wirken dahin geht, die Menschen von innen heraus zu veredeln, zu erleuhten, zum Frieden der Seele und zu wahrem Herzensadel zu leiten. Geschickt sind Geschichte und Phantasie zu einem Ganzen verbunden, und wir gewinnen einen tieferen Einblick in jene bewegte Zeit. Vertraute Namen, wie Lili von Türckheim, Friederike Brion, Pfeffel 2c., treten als redende und handelnde Menschen vor uns hin, oder wir vernehmen die Wirkungen von Persönlichkeiten wie Goethe, Kant 2c. an anderen. Der Roman hat genaue Studien, unveröffent- [lihte Papiere aus Privatbesißz, Reste von Oberlins Bücherei, eine Reihe von Briefen und Memoiren der auftretenden Personen zur Grundlage. Das gediegen ausgestattete, 480 Seiten starke Buch eignet sih gut zum Geschenk für die Jugend.

Ausftellungsnachrichten.

Wie die Ständige Ausstellungskommission für die Deutsche Industrie, „W. T. B.“ znfolge, mitteilt, wird die Internationale Eisenbahn- und Verkehrsmittel-Ausstellung in Buenos Aires am 2. Januar 1911 ges{lossen werden.

Land- und Forstwirtschaft.

Wien, 8. Novemher. (W. T. B.) Das Ergebnis der Obst - ernte ist befriedigend bis sehr befriedigend, das der Olivenernte infolge Umsichgreifens der Oelfliege vershlehtert. Der heimische Weinbau hat ein Mißjahr gehabt; im allgemeinen ist die Qualität schwachmittel.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs- maßregeln.

Das Kaiserlihe Gesundheitsamt meldet den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche aus Pianovo, Kreis Kosten, Reg.- Bez. Posen, Kandlau, Kreis Fraustadt, Neg.-Bez. Posen, und Peitz, Landkreis Kottbus, Neg.-Bez. Frankfurt, sowie aus Pirmasens, Bezirksamt Pirmasens, Neg.-Bez. Pfalz, Niederlustadt, Bezirksamt Germersheim, Neg.-Bez. Pfalz, und Schlacht- und Viebhof zu Nürn- berg am 7. November 1910.

Türkei.

Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat folgende Quaratütänemaßnahmen verfügt:

Die für: die Herkünfte von Neapel angeordneten Quarantäne- maßregeln \ind“aufgehoben, Herkünfte von Neapel unterliegen bei der Ankunst im erstenztürkishen Hafen, in dem si ein Sanitätsarzt be- findet, einer ärztlihen UntersuBung. Das Lazarett von Touzla ift für die Handelsschiffe ges{lossen. Schiffe, die Konstantinopel ver- lasscn, haben sih je nach ihrem Reiseziele na. einem anderen türki- schen Lazarett oder nah iner türkishen Sanitätsstation zu begeben, um sih hier der vorges{hriebenen ärztlichen Besichtigung und der Desinfektion zu unterwerfen. Die für die Herkünfte von den Eöftenstrihen zwishen Anapa und Poti, diese beiden Häfen ein- geschlossen, Kertsch-Yéni-Cála und Eupatoria, diese beiden Häfen ein- geflossen, sowie von den Städten Akerman und Taganrog angeord- neten Quarantänemaßregeln sind aufgehoben. Von dort kommende Schiffe, welche Passagiere an Bord haber: unterliegen im Lazarett von Sinope oder in demjenigen von Monastir. Aghzi (Cavak) einer ärztlichen Untersuhung nebst Desinfektion. Haben Schiffe dieser Her- kunft Passagiere niht an Bord, fo unterliegen sie einer ärztlichen Tag im ersten türkishen Hafen, wo sich ein Sanitätsarzt efindet.

N Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat für die Herkünfte von Rodosto und Eregli (Marmarameer) eine ärzt- lihe Untersuhung angeordnet, die im ersten türkishen Hafen, wo fs ein Sanitätsarzt befindet, zu erfolgen hat. Treffen Schiffè aus diesen Häfen in einem Hafen des Marmarameeres ein, wo si ein Sanitäts- arzt nicht befindet, so erfolgt die ärztliche Besichtigung durch den Munizipalarzt des Ortes. Die für die Konstantinopel zu Schiff ver- talsenden Reisenden angeordnete ärztlihe Untersuhung bei der Ab- fahrt ist aufgehöben. Die für die Herkünfte von Adalia ange- ordnete ärztliche Untersuchung ist aufgeboben.

Niederlande.

Die Königlich niederländishen Minister des Innern und der Finanzen haben unter dem 3. d. M. (Bekanntmachung im Nieder- ländischen Staatscourant Nr. 259 vom 5. d. M.) ihre Hes vom 24./25. v. M. (vgl. Deutsch. Reichsanz. vom 2. d. M. Nr. 258), betreffend das Verbot der Cin- und Durfubr von Lumpen, ge- brauchten Kleidungsstücken und ungewaschener Leib- und Bettwäsche, soweit es Barletta betrifft, vom 6. d. M. ab aufgehoben. derselben Nummer des Staatscourants i\t eine Verfügung des genannten Ministers des Innern vom 5. d. M. ffentliht,