1910 / 272 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 19 Nov 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Die Verkehrseinnahmen deutscher Eisenbahnen für Oftober 1910 betrugen nach der im Reichseisenbahnamt

aufgestellten Uebersicht :

Gegen das Vorjahr (mehr, weniger)

im ganzen auf 1 km M M M M | 9%

Personenverkehr 66 916 26 1316| + 4219 775|+ 60|+ 4,78 Güterverkehr 165 866 710

Auf

AR Im ganzen |1 1.5

Laut Meldung des „W.: T. B.“ ist S. M. Flußkbt.

„Vaterland“ am 16. November in Hankau (Yangtse) ein-

getroffen und gestern von dort nah Schanghai abgegangen. S. M. S. „Freya“ ist gestern von Kingston (Jamaica) nah Puerto Cabello (Venezuela) in See gegangen.

Kiel, 19. November. Seine Majestät der Kaiser ist heute früh 7 Uhr 30 Minuten hier eingetroffen und, „W. T. B.“ zufolge, auf dem Bahnhof von Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Adalbert von Preußen, dem Staats- sekretär des Reichsmarineamts, Admiral von Tirpiß, dem Chef der Marinestation der Ostsee, Vizeadmiral Schröder, dem Vize- admiral Freiherrn von Seckendorff, dem Stadtkommandanten Obersten von Bodungen, dem Polizeipräsidenten von Schroeter u. a. empfangen worden. Am Bahnhofskai bestieg Seine Majestät der Kaiser das Verkehrsboot „Hulda“, um Sich an Bord der „Deutschland“ zu begeben.

Mecklenburg-Schwerin.

Der Mecklenburgische Landtag ist gestern in Malchin eröffnet worden. Eingegangen ist, „W. T. B.“ zufolge, ein Reskript der Schweriner Regierung, in dem angekündigt wird, daß die Verfassungsvorlage vom 19. November 1909 dem Landtag . wieder zugehen wird und zwar zunächst zur fommissarisch-deputatischen Beratung. Ferner ist dem Landtag ein Entwurf zur Reform der bestehenden Steuergeset- gebung zugegangen, der eine progressive Einkommensteuer und eine Ergänzungssteuer vorsieht. Außerdem sind Vorlagen ein- gegangen, betreffend Gehaltserhöhungen für Beamte.

Hessen. Jhre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin sind, „W. T. B.“ zufolge, gestern abend inkognito nah Paris abgereist.

Oesterreich-Ungarn.

Jn der österreichishen Delegation standen gestern mehrere Jnterpellationen unddie Beratung der restierenden gemeinsamen Vorlagen auf der Tagesordnung.

In Beantwortung einer Interpellation, betreffend die Abgaben - freiheit der Elbschiffahrt, verwies der Minister des Aeußern Graf von Aehrenthal laut Bericht. des „W. T. B.“ darauf, daß diese Abgabenfreiheit durch internationale Verträge garantiert sei. Die österreihisbe Regierung habe an anderer Stelle ibrer Anschauung über die Aufrehterhaltung der Abgabenfreibeit Ausdruck verliehen, und er könne sich diesen Aeußerungen nur anschließen.

Auf die Interpellation des Delegierten Dr. Nenner und Genossen wegen angebliher Einmischung von Organen der russischen Regierung in Amtshandlungen österreihischer Gerichts- und Polizeibehörden erklärte der Ministerpräsident Freiherr von Bienerth, taß zwischen der österreichishen und der russischen Regierung irgendwelche geheime Abmachungen wegen Erteilung von Informationen über politishe Prozesse an die russische Polizei nicht bestehen. Die Annahme, als ob eine Beeinflussung der vom Inter- pellanten erwähnten Amtshandlungen der österreichishen Behörden dur ausländische Organe stattgefunden habe, müsse als vollkommen unbegründet bezeihnet werden.

In Beantwortung der Interpellation des Delegierten Seitz, be- treffend die Konfiskation des „Grazer Arbeiterwillen“ wegen eines antimilitaristischen Artikels, betonte der Kriegsminister Freiherr von Schönaich, daß die Disziplin der Grundpfeiler der Armce sei. Die immer mehr um sich greifende anti- militaristis{e Bewegung arbeite mit allen Mitteln, intbesondere durch die Presse, um diesen Grundpfeiler zu untergraben. Dem Kriegsministerium könne es daher nur willkommen fein, wenn Presseerzeugnisse antimilitaristisher Tendenz beshlagnahmt würden. Das Ministerium sei jedoch weder befugt, noch in der Lage, die Pressebehörde zu beeinflussen

Bei der Beratung des Berichts über die Heeresliefer u ngen besprach der Delegierte Klofac den Einfluß des Eisenkartells auf die Kosten der ODreadnoughts an Hand des nah seiner Angabe authentishen Textes des zwishen den fartellierten Eisenwerken bestehenden Vertrages, und folgerte daraus, daß für die drei Firmen, nämlich die Alpine Montan - Ges llsdaft, die Krai- nishe Montan - Gesellschaft und die Witkowiter Werke, ein Monopol für Lieferung von Walzwaren bestehe. Hinsichtlich der Liefe- rungen für Eisenbahnen sei der weitaus größte Teil der Lieferungen der Alpinen-, der Prager, der Teschener Gejellshaft und Witkowigz vorbehalten. Da diese vier Etablissements in der Hand des Zentral- direktors Kes!ranek vereinigt sind, ersehe man daraus, daß innerhalb des Cisenkartells eigentlich auch ein Monopol für Gifenbahnlieferungen bestehe, woraus sich das sprunghafte Aufshwellen der Schienenpreise erkläre.

Die Delegation nahm \cließlich die restlichen gemeinsamen Vorlagen an, worauf nah den üblichen Dankeskundgebungen die Session mit einer Nede des Präsidenten Glombinsfki geschlossen wurde.

In seiner Nede betonte Glombinéki die bistoriscbe Fricdenêmission der Monarchie und hob hervor, daß die fulturhistorische Bedeutung der diesjährigen Delegation in dem Bestreben gipfele, die annektierten Pro- vinzen der Monarchie zu gewinnen und die Borausfetzungen ihrer Wohl- fahrt und ihres Gereihens zu erweitern und zu stärken. Er gedachte ferner der väterlichen Fürsorge des erhabenen Monarchen, der {hon vor 60 Fahren der Politik als leitente Idee vorgezeichnet habe, mit den vereinten Kräften aller Länder und aller Völker unter Wahrung ihrer Rechte, ibrer Gleichberehtigung, ihrer Eigenart und ihrer eigenen Interessen das gemeinsame Wohl zu erstreben. Der Redner {loß mit einem be- geistert aufgenommenen dieimaligen Hoch auf den Kaiser.

Großbritannien und Frland.

Das Unterhaus war gestern wegen der erwarteten Er- klärung des Premierministers Asquith in allen Teilen dicht beseßt. Zu Beginn seiner Nede stellte der Minister laut Bericht des „W. T. B.“ in Abrede, daß sich in den Plänen der Regierung irgend etwas geändert habe; sie habe sih niemals mit dem Gedanken befaßt, die Budget- vorlage fallen zu lassen, und {lage vor, daß das Haus

3 187] + 12 641 899|-+ 1954 6,52.

x

die wesentlihen Teile des Budgets erledige, nämli den Teezoll, die Einkommensteuer und den Amortisationsfonds. Nachdem Asquith noch zwei andere minder wichtige Maß- nahmen erwähnt hatte, die noch in diesem Jahre erledigt werden müßten, und mitgeteilt hatte, daß die Negierung be- absichtige, im nächsten Parlament eine Entschädigung für die Mitglieder des Hauses in Vorschlag zu bringen, erklärte er, daß die Negierung dem König geraten habe, nach Erledigung der erwähnten parlamentarischen Arbeiten die gegenwärtige Session und das jeßige Parlament zu schließen.

Im weiteren Verlaufe seiner Nede erinnerte Asquith an die An- nahme der von der Regierung beantragten Vetoresolutionen, die im April durch starke Mehrheiten im Hause erfolgt sei, und an den einzig- artigen Vorgang, daß bei dem Tode des geliebten Königs Eduard die beiden bereits in Schlachtordnung stehenden Parteien ihre Waffen niedergelegt und die e sih zu einer vertraulihen Konferenz zurückzezogen hätten. as diese Konferenz angehe, so shäme er sich nicht zu gestehen, daß er fast bis zum leßten Augenblick auf die Möglichkeit einer Verständigung gehofft habe, und diese Hoffnung sei wohl von allen Mitgliedern der Konferenz geteilt worden. Obschon sie nit in Er- füllung gegangen, sei der Versuh doch der Mühe wert gewesen. Niemals sei von Männern stark verschiedener Meinung ein ehrlicherer Versuch gemaht worden, die beiderseitigen Ansichten zu verstehen, wenn - möglich, eine gemeinschaftlihe Basis für eine Verständigung zu finden und auf dieser Basis einen Bau zu errichten, der wenigstens eine Aussicht auf Stabilität und Dauer gewähre. Sie hâtten sämtli die Lösung dieser Aufgabe nur mit Widetstreben auf gegeben, aber jie hätten sie doch aufgegeben, weil fie die Veberzeugung gewonnen hätten, daß es für den Augenblick nußlos sei, die Lösung weiter zu versuchen. Es set unmöglih, anzunehmen, daß die Ver- ständigung, die sich selbst unter so günstigen Verhältnissen als un- erreihbar erwiesen habe, in diesem Parlament in dem Lärm und dem Ungestüm des Parteikampfes ausgearbeitet werden könnte „Das Nesfultat ist“, fuhr Asquith fort, „daß wir wieder zum Kriegs- zustand gelangen. Wenùi die Lords eine Gelegenheit wünschen, vor der Wahl zu- der von dem Unterhause gebilligten Politik Fa oder Nein zu sagen, so wird diese Gelegenheit in der nächsten Woche geboten werden. Man kann aber nit ernstlichß daran zweifeln, welhes die wirklihe Entscheidung der Lorts über die Vetobill sein wird. Jn dem jetzigen Stadium der Angelegenheit handelt es sih nicht um Amendements oder Umwandlungen, fondern um eine Annahme oder Ablehnung des Ganzen. Wir haben es daher für unfere Pflicht gehalten, der Krone die Auflösung zu einem möglichst frühen eitpunkt, nämlich zu Anfang der über- nächsten Woche, anzuraten, und wir sehen keinen Grund, warum dieser Tag niht Montag, der 28. d. M., sein sollte. Die allgemeine Wahl kann zeitig vor Weihnachten beendet sein und wird daher nur eine ganz geringe Störung der Interessen des Geschäftslebens und der allgemeinen Bequemlichkeit der Nation verursahen. Nachdem zwei aufeinanderfolgende Unterhäuser dasfelbe Urteil gefällt haben, ift die Zeit gekommen, diese Streitfrage, die der fortschrittlichen Gesetzgebung den Weg völlig sperrt, dem Schiedsspruch der Nation zur endgültigen Entscheidung zu unterbreiten.“ (Lauter Beifall auf seiten der Ministeriellen.)

Nach dem Premierminister ergrif} Balfour das Wort und wandte si gegen die Entscheidung der Regierung, nur einen Teil des Budgets zux Debatte zu bringen.

Die Negicrung fürchte anscheinend, Zeit zur Erwägung der Sach- lage zu geben. Sie habe eine sehr {were Verantwortung auf fich genommen durch den Rat, den sie dem König erteilt habe. Als Mann, der die Traditionen und die Konstitution von Königen und Minislern respektiert zu seßen wünsche, gebe er seinem tiefen Bedauern über die Politik der ‘Negtng Ausdru.

Auf eine Ansraÿe bezüglich seiner bekannten Erklärung über die Stellung der! Regierung zur-ODbêrhausfrage, die er am 14. April abgegeben, erwiderte Asquith:

„Diese Erklärung repräsentiert jeßt wie damals die Intentionen der Negierung. Ich weigere mich und werde mich immer weigern, irgend eine Erklärung bezüglih eines Nates abzugeben, den ich als verantwortliher Minister der Krone gegeben haben mag oder vielleicht später geben werde. Der König steht außerhalb der politischen und Wahlkontroversen. Es ist die Pflicht seiner Untertanen, diese vom Parteikampf abgesonderte Stellung zu erhalten und zu sichern.“

Nach weiterer Debatte wurde die zu Anfang der Sißzung beantragte Nesolution, den Rest der Session für die Regierungs vorlagen zu verwenden, angenommen und die Sißung darauf vertagt.

Jm Oberhaus gab der Earl of Crewe eine ähn lihe Erklärung ab wie der Premierminister Asquith im Unterhause.

Wie das „W. T. B." meldet, bezeihnete Lord Lansdowne die Auflösung als ein parlamentarisches Manöver, das mit dem größten Zynismus auszeführt werde. Er stellte die kategorische Frage, ob die Negterung die erbetenen Garantien erhalten habe und unter welchen Bedingungen. Der Carl of Crewe gab feine direkte Antwort. Er erklärte: „Der Rat, das Parlament aufzulösen, ist der Krone auf Grund der Annahme erteilt worden, daß die Peers die Vetobill niht annehmen werden. Wenn Lord Lans- downe mir die Versicherung gibt, daß er die Vetboill annebmen will so wie sie ist, so würde die Frage erneut erwogen werden. Ich nehme an, daß die Peers, wenn die Negierung mit einer genügenden Mehrheit aus den Wahlen bervorgeht, bereit fein werden, dem Willen des Volkes nachzukommen, so wie er bei den Wahlen zum Ausdru gelangt."

Frankreich.

Die Deputiertenkammer hat gestern den Justizetat angenommen. Die für die Vollstreckung von Hinrichtungen be stimmten Kredite wurden, „W. T. B.“ zufolge, mit 393 gegen 156 Stimmen genehmigt.

Aus Anlaß der Debatte über die Schaffung eincs Handelsgerichts in Salon (Buches du-Nhône) kam es zu einem Zwischenfall zwischen dem Unterstaatésekretär im Finanzministerium Lefèvre und dem Finanzminister Kloy. Während nämlich alle Minister für die Schaffung eines Handelsgerihts in dem genannten Ort stimmten, stimmte Lefèvre, der den Wahlkreis Aix vertritt, im Interesse des bereits in Aix bestehenden Handelsgerichts dagegen. Kloß und Lefèyre hatten darauf in den Wandelgängen der Kammer eine lebhafte Aus- einandersezung, die vielfa besprochen wurde. Auf eine Anfrage er- klärte Lefèvre später, der Zwischenfall sei ohne Bedeutung; eine ein- fache Meinungsverschiedenheit über eine Frage von lokalem Interesse könne ihn nicht zur Amlsniederlegung veranlassen.

Nufßland.

Der Neichsduma ist gestern eine Vorlage über die Um- bildung der Hauptagrarverwaltung in ein Ackerbauministerium unterbreitet worden. Jm Laufe der Sißung wurde eine an den Marineminister gerichtete Jnterpellation verlesen, in der, „W. T. B.“ zufolge, darauf hingewiesen wird, daß durch die Schuld von Angehörigen des Marineressorts das von Ports- mouth nah Algier bestimmte Linienschiff „Slawa“ wegen Be- schädigung fast sämtliher Kessel außer Dienst gestellt werden mußte.

Portugal. Der Minister der öffentlichen Arbeiten Antonio (Gomez

hat, „W. T. R zufolge, seine Entlassung genommen ; er wird zum Gesandten in Nio de Janeiro ernannt werden.

Türkei.

Aus Anlaß der bevorstehenden Komplettierung der Gen: darmerie hat der Kriegsminister, wie die ,- Srankfury Zeitung“ meldet, angeordnet, die Aufnahme christlicher Rekruten zu umgehen.

Amerika,

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus San Ant (Texas) haben Geheimagenten der Verschwörung gegen den Präsidenten und die 6 gierung von Mexiko entdeckt. Die Erhebung war für morgen geplant. Die Verschwörer, die über reihe Mittel ver: nen, haben in San Antonio und an anderen Orten Wasfey; Depots. Diese stehen unter Ueberwahung und werden mit Beschlag belegt werden, wenn man versuchen sollte, die Wasfey über die Grenze zu schaffen.

daß gestern abend

Onig

Meldungen aus Puebla besagen, zwischen Bundestruppen und den Gegnern einer Wiederwah] des gegenwärtigen Präsidenten Porfirio Diaz ein Kampf stattgefunden habe, worin die Bundestruppen siegreich qs; wesen seien. Nach amtlichen Berichten sind 18 Mann. gefallen nach nichtamtlichen gegen hundert. Nach dem Bericht vot Neisenden, die in Mexiko aus Puebla eingetroffen sind, hz gannen die Unruhen, als die Polizei unter Führung ihres Chess eine Protestversammlung gegen die Wiederwahl Porfirio Dig! aufzulösen versuchte. Diese Versammlung fand in einem großen Saal statt, dessen Tür bei Ankunft der Polizei von einer Frau aufgerissen wurde, die dur einen Nevolverschuß dey Polizeichef niederstreckte. Jn dem sich darauf entspinnendey Handgemenge wurde auch aus einem Fenster eine Bombe q \chleudert, die viele Polizisten tötete. Endlich gelang es, daz Gebäude zn räumen. Aus der Stadt Mexiko lrafen dann Truppen ein, griffen, verstärkt durch Landleute das Haus an, in welhem sich die Aufrührer ver shanzt hatten, und nahmen es nah beiderseitigen heftigen Gewehrfeuer. Eine große Zahl der Aufrührer wurde getötet, darunter mehrere Frauen, unter diesen auch die, welche den Polizeichef erschossen hatte. Es wurden 100 Gewehre mit viel Munition beschlagnahmt. Nach den letzten Nachrichten soll die Ordnung wiederhergestellt fein.

Der Friede zwischen der Negierung und den Auf: ständischen in Uruguay ist, obiger Quelle zufolge, endgültig gesichert. Die Negierung hat einen Erlaß über die Auf hebung aller außerordentlichen Maßnahmen unterzeichnet. Die Führer der Aufständischen haben eine Kundgebung erlassen, der zufolge die Bewegung ausschließlich gegen die Präsidentschafts- tandidatur Batele y Ordonez' gerichtet gewesen sei. Die Auf ständischen haben die Waffen niedergelegt.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

In den Ausstand getreten sind die Arbeiter und Arbeite- rinnen in den Shraubenfabriken von Berlin; sie verlangen, der „Voss. Ztg.“ zufolge, eine Aufbesserung der Akkordlöhne. Die Arbeitgeber haben für in Lohn arbeitende Schraubendreher 60 4 für die Stunde, für Maschinenarbeiter 45 F und für Mädten 3718 F bewilligt. Hiermit waren die Ausständigen, die fast | sämtlich in Akkord arbeiten, einverstanden. Die Akkord. lôöbhnè sollten so gehoben werden, daß der Verdienst un 9 b. O. steigt. Hiermit waren die Ausständigen indes nicht einver- standen und beschlossen am Donnerstagabend, die Arbeit niederzulegen, Das ist gestern früh ge\{ehen. Nund 1000 haben die Arbeit nieder: gelegt. Der Durchschnittsverdienst der Ausständigen in den Berliner Fabriken stellt sih auf 59 .„ für die Stunde. In einer von mebr als 4000 Personen besuhten Versammlung der B er liner t ädtisch{en Gas8arbeiter wurde am 17. d. M. zu der Ablehnung der Forde- rungen durch die städtische Gaswerkdeputation Stellung genommen. Der Bevollmächtigte des Gemeindearbeiterverbandes teilte mit, die Ver- trauensmännerversammlung habe mit 122 gegen eine Stimme be lossen, den Gasarbeitern dicsmal die Anwendung aller Mittel zur Durchführung dieser Lobnforderung zu empfehlen. Aus den Reiben der Arbeiterausshüsse wird cine Lohnkommission eingesetzt, die zunädst noch einmal mit den in Frage kommenden Stellen verhandeln soll. In einigen Tagen soll dann eine neue Versammlung dazu Stellung nehmen und nôötigenfalls die Arbeitsntederlegung beschließen.

Aus Düsseldorf meldet die „Köln. Ztg.“: Der Boykott- \chußverband rheiniiG-westfälisher Brauereien hatte Unterzeihnung des neuen Tarifvertrags mit dem Verband Brauereiarbeiter in Rheinland und Westfalen von der Aufhebung d Boykotts abhängig gemactt, den das Gewerkschaftékartell in Lütgen Dortmund über die dortigen Gastwirte wegen Verkleinerung d Gläser verhängt hatte. Der Boykott ist nunmehr a ufgehoben worden.

In Saarbrücken ist, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, cin Aus stand der Schreiner nach einer Dauer von neun Woten dur einen bis 1913 dauernden Tarifvertrag beigelegt worden, der einige Lehn- und Arbeitsverbesserungen einführt.

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Kunst und Wissenschaft.

In der Wiener Aerztegesell {haft teilte gestern, wie der „Vo| Ztg." gemeldet wird, der Chemiker Dr. Fischer mit, daß es den Wiener Professoren Ulzer und Sommer gelungen sei, durch eis neues Verfahren binnen sechs Wochen aus Uranpe(h- blende Nadium herzustellen, während das bisherige Verfahren ahtzehn Monate erforderte. Die praktishe Folgerung ist die größere mediztnishe Verwertbarkeit. In threm Laboratorium in Neulen, bad bei Wien haben sie medizinishe Präparate erzeugt, die vierzigma! stärker sind als die bisherigen. Das erzeugte Nadium ist die zweil- größte Menge der Welt, beinahe so groß wie die des Nadiuminstituls und ungefähr eine Million Mark wert.

Technik.

In der Jahresversammlung der Schiffbau teh nischen Gee sellschaft sprach am Donnerstagnachmittag noch der Zivilingenteuk Dtto Weiß- Berlin über „Temperaturmessungen 00) Schiffen der Kriegs- und Handelsmarine unter Bel wendung elefktrisher Fernthermometer an Bord «Det Vortragende wies zunächst nah, von wie hoher Wichtigkeit sichert Temperaturbestimmungen auf jedem Schiffe find: in den Koblen bunkern zum Erkennen der Gefahr und zur rehtzeitigen D hütung einer Selbstentzündung, in den Munitionsräumen au ähnlichen Gründen, in den Proviant- und Kühlräumen, um der rationelll® Verwahrung der Lebenémittel allezeit sicher zu sein. _PUeber i Wichtigkeit einer genauen Kontrolle besteht kaum ein Zweifel 1 allen ÎIntereßenten der Schiffahrt; aber noch wird zumeilt 9 Methoden verfahren, die veraltet und das Gegenteil von Ee mäßigkeit sind. Welche Sicherheit für eine sorgrältige Tempe messu' g bietet z. B. das Verfahren, wona von Zeit zu Zeil ck fle silberthermometer in die Kohlenhaufen versenkt, darin eine if Zeit belassen und dann schnell herausgezogen werden? ‘iber- fast befremdlih, - daß solche rohen Versicherungsweisen s wi haupt noch angewandt werden, während seit Jahrzehnten au Feinsit diesem Gebiet der Techaik Errungenschaften vorliegen, 18

Vereinigten Staaten eine

Apparate, die von den Ungenauigkeiten und Unzuverlässigkeiten der peralteten Quecksilber- und Metallthermometer vollfommen unabhängig emacht haben, Apparate, die bequeme Ablesungen der Temperaturen bis zu Hundertsteln von Celsiusgraden gestatten und die Möglichkeit geben, die einzelnen Temperaturen nit der Neihe nach kontrollieren und ablesen zu müssen, sondern von einer Zentralstelle aus eine ganz beliebige Anzahl von Punkten auf ihre Temperatur zu untersuchen. Solche modernen Temperaturmeßzgeräte sind an erster Stelle das eleltrische_ Widerstandsthermometer (letzte d die von Heraeus-Hanau), dessen Grenze nach unten unbeschränkt ist, ir höhere Temperaturen bei 700° C. liegt, und an zweiter Stelle das sogenannte Thermoelement, das von 190° C. bis + 1600 ° C. Nerwendung findet. Auch über diesen Hizegrad hinaus hat die Technik das zuverlässige optische Pyrometer geboten; doch ist dieses ür die Zwecke der Schiffahrt ohne Interesse. Die beiden genannten Temperaturinstrumente dagegen gestatten übereinstimmend die unaus- esetzte Selbstregistrierung der Temperaturen an allen Punkten inner- halb einer mit ihnen elektrisch verbundenen Zentralstelle. Daß diese Einrichtung, der sich eine Anzahl von Industrien zu ihrem Nußen bereits eit langembedtenen, bisher auf Schiffen nicht angewandt wird, vermag ih der Vortragende nur durch die Annahme zu erklären, daß ¿. B. in dem Munitiontraum und Kohlenbunkern die Gefahr der Entzündung und Explosion gerade durch diejenigen Apparate heraufbes{chworen oder ver- größert wird, die eben diese Gefahr beseitigen sollten, nämlich dur die elektrishen Leitungen. in etwaiger plößlicer Bruch der Leitung könnte, fo nimmt man an, einen gunken erzeugen. Daß diese Besorgnis unbegründet is, bewies der Vortragende durth das Experiment, wonach der Bruch einer Leitung der Widerstands- thermometeranlage nicht einmal das explosive Gemisch von Knallgafen zur Entzündung bringt. Der Redner {loß unter dem Beifall der Versamm- lung mit der Hoffnung, daß Handelsmarine wie Kriegsmarine in böherem Maße als bisher sich den gesilderten Fortschritt der Technik zunute machen werden. Tatsächlich find {hon mehrere eçernthermometeranlagen in der beschriebenen Weise von der Firma Siemens u. Halske für Kühlräume und Transportschiffe ausgeführt worden.

Der zweiten Sißung am Freitagvormittag, die unter dem Chren- porsip_ Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs yon Oldenburg stattfand, wohnte Seine Majestät der Kaiser und König bei. R

Den ersten Vortrag hielt der Geheime Regierungsrat, Professor Or. C. Cranz von der Militärtehni|schen Akademie zu Charlottenburg

uber die Bewegungserscheinungen beim Schuß.“ Nur einen allgemeinen UÜeberblick über einige der wichtigsten Zweige der Ballistik und über deren gegenwärtigen Stand wolle er geben, so leitete der Nedner seine Mitteilungen ein, von mathematischen Gntwiklungen wolle er sih fern balten. Ünter Bewegungserscheinungen beim Schuß verstehe er ebenso die Bewegungen des Geschosses als der Waffe, des Pulvers und der Pulvergase, der Luft und der Teile des Ziels, in welde das Geschoß ecindringt. Danach bitte er, das Geschoß in Gedanken zu verfolgen, von seiner Nuhelage im Nohr der Waffe ab auf seinem Weg durch die Luft, bis es \{ließlih, mehr oder weniger deformiert im Innern des Ziels zur Ruhe kommt. Dieser Ein- leitung entsprah der mit gespanntester Aufmerksamkeit angehörte, von trefflihen Lichtbildern und \chließlich von fkinematographischen Darbietungen begleitete Vortrag, von dessen rethem JInhalk an dieser Stelle nur wenige Proben geboten werden können: Eine kleine Hölle ist der Pulverraum einer Waffe beim Schuß; denn hier herrscht momentan eine Temperatur von 21009 C. und ein Druck von 3500 Atmosphären. Unter der Wirkung des fsich s\teigernden Gaédrucks verläßt das Geschoß die Hülse, preßt sh in die Züge ein und geht mit Beschleunigung durch das Rohr. Nach etwa 1/10000 Sekunde vom Beginn der Pulververbrennung ab oder nach etwa 1/10000 Sekunde vom Beginn der Geshoßbewegung ab i} das Geshoß an der Mündung angelangt. Bis zur Mündung ist der Gasdruck auf 400 Atm. abgefallen Folgende Arbeitsbilanz läßt sich aufstellen: Durch die Verbrennung der 3,2 g Pulver einer Patrone des Infanteriegewehrs entstehen 2762 Grammfkalorien; die Nugarbeit, die lebendige Kraft des Geschosses an der Mündung be- trägt hierin etwa 339% = 905 Kalorien. Auf die Energie der Geschoßdrehung mit einer Tourenzahl von 3709 in der Sekunde an der Mündung werden 4,3 Kalorien, auf den Nückstoß 3 RKaloricn verwendet, an den sich erhißenden Lauf werden 620 Kalorien abgegeben, 1230 Kalorien gehen mit den heißen Gasen, dem Knall usw. unbenußt in der Luft. Hat das Geschoß die Mündung verlassen, so nimmt es seinen Flug dur die Luft, der eine Parabel mit vertikaler Achse sein würde, wäre der Widerstand der Luft nicht vorhanden. Durch diesen wird die Flugbahn derart abgeändert, daß die Schußweite und die Auftreffges{hwindigkeit ver- fleinert, die Flugzeit verlängert, der Scheitel fr Flugbahn mehr nah dem Auftreffepunkt hin verlegt werden. Doch sind diese Verluste sehr verschieden, weit geringer bei relativ großen Geschossen und kleiner Geshwindigkeit. Das deutshe Infanteriegeshoß verliert bei Abgangswinkel durch den Luftwiderstand 720/69 setner Schußweite, die 80 kg Granate des 21 ecm Mörsers bei 38° Abgangswinkel nur 2% von der Schuß- weite im leeren Naum. Wäre der Luftwiderstand nicht, so würde ein Zhuß aus der 30,5 cm Krupp-Kanone bei einem Geschoßgewicht von 445 kg und ciner Anfangsgeschwindigkeit von 820 m in der Sekunde unter 44 ° Abgangêswinkel vom Bahnhof Grunewald bis über den Müggelsee fliegen und dabei eine Scheitelhöhe yon 11 000 m er- reichen. Die Photographie des fliegenden Geschosses, von Professor E. Mach in Wien begründet, zeigt deutlih drei Begleiterscheinungen : die von der Geschoßspite auéëgehende Verdichtungswelle der Uft, die vom Geschoßboden ausgehende Schwanzwelle und eine große Zahl kleiner Luftwirbel hinter dem Geschoß. Gelangt die Kopfwelle bei ibrer allmählichen Ausbreitung. im Naum nah dem Trommelfell des Okbres, so wird die Empfindung eines Knalles des Geschoßknalles erzeugt. Der etwa 3000 m vor der Mündung des Gewehres in Deckung stehende Beobachter hört indessen deutlich voneinander getrennt zwei Knalle, den zweiten meist eiwas stärker und dumpfer als den ersten. Der zweite Knall ist die Virkung der sich kugelförmig um die Mündung her ausbreitenden, mit der normalen Schnellgeschwindigkeit forts{chwebendeu Lusft- erschütterung. Er rührt daher, daß die Pulvergase, deren Druck fast vlôößlich von 400 auf 1 Atm. abfällt, sehr heftig, mit 1000 bis 1500 m Scekundengeschwindigkeit , bei Austritt aus dem Rohr gegen die äußere Luft stoßen. Von einseitigen oder konstanten Abweichungen sind neuerdings die von der Erdrotation erzeugten lbweihungen nah rechts auf der nördlichen, na links auf der süd- lihen Halbkugel genauer festgestellt worden. Ste ergeben z. B. bei der Kruppshen 30,5 ecm Kanone beim Schießen nah Norden am Ende der Flugbahn eine Nechtsabweihung von 156 m, .eine Ver- fürzung der Shußweite um 10 m. Dur Geschoßrotation werden lehr erheblide Abweichungen hervorgerufen. Dem Langgeschoß mußte man durch den Drall der Waffe eine rashe Notation um ihre Ungsachse erteilen, damit es dauernd mit seiner Achse in der Be- Tegungsrihtung bleibe. Aber der Drall is ein notwendiges Uebel, da er gleichzeitig Pendelungen der Geschoßachse im Gefolge hat.

_ Der Vortrag war von ciner großen Anzahl anschaulicher Licht- bilder begleitet. Den Schluß bildeten kinematographische Vor- sübrungen von Geschoßwirkungen, jede einzelne Schußaufnahme be- \lebend aus einer Bilderreibe von etwa 400 Teilbildern. Die Zeit- diferenz zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Teilbildern hatte nur ‘000 Sekunde bei der Aufnahme betragen. Von diesen etwa 25 Be- vegungsbildern zeigten einige das Funktionieren der Waffe bei Ab- gabe des Schusses, die meisten aber allerlei Geschoßwirkungen, z. B. uf mehrere große Tonkugeln, auf eine frei aufgehängte, wasser- Fefüllte Gummiblase, eine desgl. Schweinsblase, ein desgl. horizontales Vleirohr, einen Markknohen 2c. Die Wirkung war in vielen Fällen einer vollständigen Zerstörung in kleinste Teile (beim Rücckwärts- tehen des Films fügten si diese Teile, gewissermaßen die Probe Wu das Exempel machend, wieder zum ursprünglichen Objekt zu- ammen). In die lebhafte Diékussion, die sich an diesen Vortrag lnüpfte, griff auch Seine Majestät der Kaiser und König durch eine ingere Darlegung ein, anknüpfend an die vom Vortragenden be- andelten Begleitersheinungen der Geschoßrotation. Seine Majestät

sprah von persönlichen Beobachtungen über Geschoßwirkungen bei

chüssen auf Wild, von der immer {wer zu findenden Einschußstelle, dagegen der sehr erweiterten Aus\chußstelle, die meist erstaunlih groß sei, vermutlih die Folge von Explosionswirkungen im Körper, veranlaßt dur die „Notation®“ des Geschosses beim Durchgang durch den Körper. Seine Majestät hat die Frage der Drall- und Notations- wirkung des nachher meist keine Spur von Deformation zeigenden Geschosses seit lange interessiert.

Den nächsten Vortrag hielt Direktor H. Frahm- Hamburg über „Neuartige Schlingertanks zur Abdämpfung der Schiffs - rollbewegungen und ihre erfolgreihe prafktische An- wendung“. Der Erfinder dieser Einrichtung ist der Nedner, die Er- findung ist in den leßten Jahren auf der Werft von Blohm u. Voß entwickelt worden. Ihr Wesen besteht darin, daß die dem Schiff durch die Wellen aufgezwungenen NRollbewegungen bis auf ein geringes Maß abgedämpft werden durrch Wassermassen, die in einem quer- {i}ff}s angeordneten V-förmigen Tank in oszillierende Bewegung ver- seyt werden, eine Bewegung, die vollksmmen selbsttätig ledig- lih unter dem Einfluß der stark gedämpften Eigenbewegungen des Schiffes erfolgt. Der Tank bildet somit eine Art kommu- nizierender Röhre, bestehend aus zwei vertikalen an der Schiffsfeite angeordneten Schenkeln und einem e Ber, bindenden horizontalen Kanalschenkel. Seine Abmessungen sind derartig bestimmt, daß die Eigenshwingungszahl der einge- {lossenen Wassertanks der Eigenshwingungszahl des Schiffes gleich ift. Die Wirkung der Einrichtung it offensihtlich. So wurde von dem Vortragenden an Hand eines großen, im Saal ausgestellten Modells ein Schiff gezeigt, das in einem Wassergefäß s{chwamm, und dem fünstlih Rollbewegungen erteilt wurden, dessen Tankwassersäule aber bald ein- bald ausgeschaltet werden konnte. Bei Einschaltung gingen die Schwingungsausschläge soglei erheblih zurück. Prafktish erprobt wurde die Einrichtung zum ersten Male im Sommer 1909 auf einem von der Kaiserlichen Marine zur Verfügung gestellten Hetzöl- fahrzeug. Es wurde hierbei eine Abdämpfung der Noll- bewegungen bis auf § der ungedämpften Aus\hläge nac- gewiesen. Die bedeutungsvollsten Erprobungen der Erfindung fanden auf den Dampfern der Hamburg-Amerika-Linie „Ypiranga" und „Corco- vado“ statt, die im Nufe starken Schlingerns standen. An der „Ypiranga“ wurde auf der Auéreise nah Südamerika die Wirkung der eingebauten Tanks im Golf von Biscaya in Gegenwart nautischer und schiffbautehnisher Sachverständiger cinwandsfrei festgestellt. Erst dann wurde an der „Corcovado“ mit Tanks ausgerüstet. Die auf beiden Schiffen bei den verschiedensten Seeverhältnissen angestellten und graphisch aufgenommenen Versuche bestätigten die volle Wirksam- leit der Einrichtung: Die bis zu 11° nach jeder Seite stattfindenden Schlingerbewegungen verminderten sich bei Einschaltung der Tankwirkung auf 29/6.

Das Cinbaugewicht der Tanks ist im Verhältnis zum Schiffs- gewiht gering, einshließlich des Wassergehalts der Tanks 0,8—1,5 9/9 des Deplacements. Wasser braucht nur bei lästigem Nollen des Schiffes eingenommen zu werden. Die Erfindung erscheint niht nur für Handels|chiffe, im besonderen für Passagierschiffe, von Bedeutung, sondern in ganz besonderem Maße auch für Kriegsschiffe wegen der ruhigen Geschüßplattform für den Artilleristen, die sie verheißt. Elwaige konstruktive Schwierigkeiten bei Kriegs\chiffen werden \ih nach Ansicht des Erfinders überwinden lassen.

In der sih an diesen Vortrag anschließenden Diskussion wurde an der Erfindung strenge Kritik geübt und von etner Seite das Interesse an der Beseitigung starken Rollens der Schiffe niht für genügend wichtig befunden, um große Kosten an die Einrichtung zu wagen; namentlih hätten es die Führer der Handelsschiffe durch gehörige sichere Verstauung der Ladung in der Hand, der Besorgnis ciner Verschiebung der Ladung bei starkem Nollen zu begegnen. Von einer andern Seite wurde dagegen auf Grund ganz unabhängig von dem Erfinder gemachter Versuche der Einrichtuf| volle Anerkennung gespendet. Am Schluß der Versammlung hatte Seine Majestät noch eine längere Unterhaltung mit Direktor Frahm.

Den dritten und leßten Vortrag des Vormittags hielt Ober- ingenieur Ludwig Lichtensteiner-Mannheim über Heißdampf- anlagen mit Ventilmaschinen für Schiffsbetrieb. * Die Entwicklung der altbewährten Schiffskolbendampfmaschine hat, wie der Nedner ausführte, dur das Erscheinen der Dampfturbine einen neuen Anstoß empfangen. Um ihr und der Verbrennungsmaschine gegenüber an erster Stelle im Wettbewerb zu bleiben, haben die Konstrukteure der Schiffsdampfmaschinen neue Bahnen eingeschlagen.

Seit etwa 5 Jahren ist nach langem Widerstreben die Verwendung des-

Heißdampfes an Schiffsborden eingeführt worden dank der Be- mühungen von W. Schmidt in Cassel. Die Schiffsmaschine dem Heißdampf anzupassen war seitdem das Bestreben der Ingenieure. Die Ausgestaltung der Kolbenmashhine zur Ventilmaschine erwies sich als der geeignete Ausweg. Eine von Heinrich Lanz in Mannheim erbaute 6000 PS. Schiffsmaschine dieser Art erregte auf der Brüsseler Ausstellung Aufsehen. Das System „Lanßz“, nah welchem der Um- bau der Jacht „Lensahn“" erfolgt ist, die mit neuen Ventilzylindern versehen wurde, während die Kessel der Jaht Schmidt-Ueberhitzer empfingen, scheint bei guter Sicherheit des Betriebes den Wettbewerb von Turbinen und Gasmaschinen hinter ih zu lassen.

Zum Schluß führte Geheimrat Professor Dr. Miethe einen Teil der zahlreichen farbigen Photographien, die er von feiner Spißbergener Reise im leßten Sommer heimgebracht hat, vor. :

Nach der Mittagspause wurde von der Gesellshaft noch ein Vortrag des Dr. Ing. Fr. Gebert- Berlin über das Thema: „Ein neuer Schleppdampfer für Schhiffahrtskanäle" entgegen genommen. Es handelt sich hierbei um die _Entwicklung einer Schleppdampferart, um dem beträchtlihen und \{ädlichen Anariff auf die Kanalsohle zu begegnen, den jeßt noch der Schleppbetrieb mit Schraubendampfern übt, indem er in der Kanalmitte eine tiefe Mulde und seitlich erheblihe Auflandungen herausbildet. Der Vermeidung dieses Sohlenangriffes wird als Hauptvorzug von den Verfechtern der elcktrishen Treidelei mit Lokomotiven angeführt. Nachdem man himn- sichtlich des staatlihen Schleppmonopols fih für die Schleppdampfer entschieden, ist die Staatsbauverwaltung bestrebt gewesen, diejenige Schleppdampferart durch Modellversuhe in der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau ausfindig zu machen, die am Kanalprofil am wenigsten ändert. Dabei haben \sih alle Einschraubenschiffe bisherigen Systems auch bei Lagerung der Schraube an einem Tunnel oder teilweise über Wasser als wenig, brauhbar erwiesen. Schon glaubte man sih für Zweischraubenschiffe entscheiden zu sollen, als die Anstalt einen neuen Typ \huf, indem sie anstatt des stets hinter der Schraube in der Schiffsmittellinie befindlihen Nuders deren zwei zu jeder Seite des Schraubenstrahls anordnete. Diese neue Doppel- ruderanordnung hat fich als die günstigste erwiesen, eine Beschädigung der Sohle konnte überhaupt niht mehr festgestellt werden. Es ist zu hoffen, daß auch im großen si die neue Doppelruderanordnung für Kanalfahrer bewähren wird. Durh Aufwendung verhältnismäßig geringer Mittel für die im kleinen ausgeführten Versuhe wäre damit eine wesentlihe Ersparnis am Nationalvermögen erzielt worden.

Jagd.

Dienstag, den 22. d. M, findet Königliche Parforce- jagd statt. Stelldichein: Mittags 12 Uhr 45 am Zieldorf Warendorff.

Theater und Musik.

Königliches Opernhaus.

Im Königlichen Opernhause wurden gestern, als erste Opern- vorstellung nah dem Bühnenumbau, auf Allerhöchsten Befehl Nichard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ gegeben. Der Kapellmeister Blech dirigierte, die Hauptrollen hatten Herr Bischoff (Hans Sachs), Herr Knüpfer (Pogner), Herr Habih (Beckmesser), Herr Bronèégeest (Kothner), Herr Kirchhoff (Stolzing), Herr Lieban (David), Fräulein Hempel (Eva) und Frau von Scheele-Müller (Magdalena) inne. Das Haus war ausverkauft

und bot, da für das Parkett und die unteren Nänge Gesellschafts- toilette gewünscht war, einen festlichen Anblick. Die vortreffliche Vor- stellung fand reihen Beifall. In der großen Seitenloge wohnten der Aufführung, wie „W. T. B." meldet, Seine Majestät der Kaiser, Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Eitel: Friedri, der Prinz und die. Prinzessin August Wilhelm und die Prinzessin Viktoria Luise bei, und in der großen Hofloge hatten zahlreiße Damen und Herren der Umgebungen und die Gefolge Plat genommen. Lessingtheater.

In Georg Hirs chfeld begrüßt man, so oft ein von ihm ver- faßtes Stück auf der Bühne erscheint, immer gern den Poeten, wenn er auch den Beweis, daß er ein Dramatiker it, bisher eigentli immer s{uldig blieb. Auch in seinem dreiaktigen Schauspiel „Das zweite Leben“, das gestern im Lessingtheater zum ersten Male ge- geben wurde, s{chlägt der dramatische Puls\chlag nur {chwach, darum wollten fich die Zuschauer von der seltsamen Fabel, die dem Stücke zugrunde liegt, ebensowenig überzeugen lassen, wie vor Jahresfrist das Wiener Publikum, das dem inzwischen mit einem versöhnlichen Schluß versehenen Schauspiel kühl gegénüberstand. Eine kleine Minderheit kämpfte auch hier für und wider das Werk, die große Mehrzahl sah dem leidenschaftslos geführten Kampfe gleihgültig zu. Der Dichter verlegt die Handlung seines Schauspiels, in dem er an die tiefsten Geheimnisse der Menschennatur rührt, in das siebzehnte Jahrhundert. Auf dem Seziertish eines englischen Arztes Dr. Arthur Lyde erwaht eine Scheintote. Es ist Evelyn Gray, die vermeintlich verstorbene Braut des Lord Warwick, die Leichenräuber, die sogenannten „Auferstehungsmänner“, aus der fris geschlossenen Gruft stahlen und gegen klingende Münze dem Anatomen ins Haus brachten. Völlige Amnesie hat bei CEvelyn die Erinne- rung an *ihr früheres Leben ausgelösht, und Arthux, der, von ihrer Schönheit geblendet, dieses herrlihe Weib bei {ih behalten will, suggeriert ihr eine andere Vergangenheit. Er reist mit ihr, um vor Gnîdeckung sicher zu sein, von London nah Florenz, wo er bei dem befreundeten Arzt Malpighi gastlihe Aufnahme findet und wo, völlig abgeschlossen von der Welt, Evelyn einem Kinde das Leben \chenkt. In dieser Zeit dämmert in Evelyns Seele in shattenhaften, unbe- stimmten Umrissen das Erinnern an ihr früheres Leben herauf. Ein altes Volkslied, das sie einst sang, hat es erweckt, und das scheue Wesen ihres Mannes, den Furcht vor Entdeckung und Gewissens- \krupel quälen, steigert ihre innere Unruhe. Da kreuzt Lord Warwick, ihr früherer Verlobter, ihren Weg, und plößlich ist der Schleier, der über der Vergangenheit lag, zerrissen. Alles steht klar vor ihr da. Aber die Lebe zu dem Vater ihres Kindes behält die Ober- hand, und sie bes{ließt nun, freiwillig bet ihm zu bleiben. Warwiek tritt edelmütig zurück, und mit dem Ausblick auf eine \ich nicht nur auf Liebe, sondern auch Wahrhaftigkeit gründende, glückliche Che {ließt das Stück. Jn der Originalfassung gab \ich Arthur selbst den Tod und Evelyn ging ins Kloster. Der versöhnliche Schluß vermag gewiß den etwas grassen Stoff zu mildern, an der mangelnden dramatischen Bewegung der Handlung, die im wesentlichen nur Auseinandersezungen zwischen den beiden Hauptpersonen bietet, ver- mag er nichts zu ändern. Aber das Stück hat doch zwei Momente von packender Gewalt: das Erwachen Evelyns aus dem fataleptischen Schlaf und das Aufdämmern der Erinnerung an die Vergangenheit. Irene Triesh wußte diese beiden Momente erschütternd in die Er- scheinung treten zu lassen, wie fie überhaupt der seltsamen, zwishen Traum und Wachen wandelnden Gestalt gçlaub- haftes Leben zu verleihen wußte. Die Nolle des Arztes war Oskar Sauer anvertraut, der das Wesen dieses Sonderlings, den die Schönheit eines Weibes völlig aus der Bahn wirft, mit sicheren Linien zeihnete. Leider \prach er, besonders im ersten Akt, fo leise, daß vieles unverständlih blieb. Die anderen Mitwirkenden, die Damen Sussin und Herterich, die Herren Froboese, Marr, Stieler u. a. mußten sih mit Nebenrollen begnügen, {ufen aber ein einwandfreies Zusammenspiel.

Kammerspiele des Deutschen Theaters.

Die gestrige Erstaufführung der vieraktigen Komödie „Der ver- wundete Vogel“ von Alfred Capus (deutsch von Julius Elias) im Kammerspielhause gab den auserlesenen Darstellern, mit denen die einzelnen Nollen des Stückes beseßt waren, Gelegenheit, ihre hohe künst- lerishe Kultur zu zeigen. Es muß vorweg genommen werden, daß dieses

Spiel eine Abrundung und Vollendung erreihte, wie man fie selten im Theater erlebt, und man darf hinzufügen, daß soviel Hingabe nicht zu Unrecht an das Stück gewendet war. Dieses dreht sih um das Ningen zweier Frauen um einen Mann. Es ift sein Vorzug, daß in ihmalle Ueber- heizung der Empfindungen, alle theatralishen Effekte vermieden werden, daß mit möglichster Natürlichkeit, mit dem Maß des einfachen Lebens, das nicht immer alles Unglück, jeden Fehltritt zu \{chwerer Tragik aufbausht, ein Lebenskomplex entrollt wird, der zwar viel Schmerz und Elend birgt, aber endlich anstatt Ver- zweiflung gute oder wenigstens annehmbare Aussichten eröffnet. „Der verwundete Vogel“ in der Fabel von Lafontaine wird mit seinen Worten: „Es gibt ein Teil der Erdenfsöhne dem andern Waffen in die Hand“, zum Gleichnis für Yvonne, das Mädchen mit dem gütigen, unshuldigen Herzen und der Sehnsucht nah dem Leben. Von ihrem Bräutigam wverraten, zieht sie mit der Mutter, dem Bruder und ihrem Kinde nach Paris. Ein Herr Salviòre, der eigent- lich zwishen ihr und dem Bräutigam vermitteln sollte, wird ihr Protektor und ihr Geliebter. Dieser abermalige Fehl- tritt ersheint zunächst unverzeihliß; aber Yvonne ist im Grunde ein anständiges, vortrefflihes Mädhen, und was sie zu Salviòre treibt, ist eine heiße Liebe für ibn, die ich wobl aus der großen Dankbarkeit gegen den ausgezeihneten Mann entwideln konnte. Die Frau Salviòres ahnt und erfährt den Sachverhalt. Sie will ihren Mann zurückgewinnen. Die Auseinanderseßungen sind ge- tragen von viel gegenseitigem Verständnis, ohne Zorn und äußeren Kampf, obwohl der Schmerz dieser drei Menschen alle Worte dur{h- zittert. Salvière s{chwankt hin und her. Er liebt beide und kann keiner weh tun. Die Frau bleibt {ließlich Siegerin, weil Yvonne, die in einem s{chmerzlichen Ausbruch ihm die Größe ihrer Uebe, die sie stets verborgen hatte, gesteht, für ihn den Reiz verliert, den thre bisherige Zurückhaltung ausgeübt hatte. Yvonne faßt ih und geht mit einer Schauspielgesellshaft auf Kunstreisen, und es bleibt der Hoffnung Naum, daß der „verwundete Vogel“ wieder genesen werde. Camilla Eibenshüy als Yvonne, Helene Fehdmer und Eduard von Winterstein als Frau und Herr Salvière waren in ihrem Wechselspiel außerordentlich fesselnd. Als vollwertige künstlerishe Persönlichkeiten gaben fie thren Rollen das von warmer Empfindung erfüllte, \tark pulsierende Leben, das den Zuschauer hinreißt. Unter den anderen Mitwirkenden legte be- fonders Joseph Wörz in der Rolle des Bruders der Vvonne, eines Mannes von einfacher, braver Gesinnuna, voll Uebe für die S{wester, unter der er [hwer leidet, eine starke Talentprobe ab. Ein beweglicher Journalist fand in Paul Biensfeldt vortrefflihe Ver- tretung. Herr Reinhardt hatte das Stück, auf dessen ges{chmackvolle Ausstattung gebührend hingewiesen sei, persönlih in Szene gesetzt.

Im Königlichen Overnhause findet morgen eine Auffüh- ruug von „Mignon“ in der bekannten Beseßung der Hauptrollen statt. Montag geht „Lohengrin“ in Szene. Herr Berger singt die Titel- rolle. Die Damen Nose, Goeße, die Herren Griswold, Bachmann, Bronsgeest sind Träger der übrigen Hauptrollen. (Anfang der Vor- stellung 7 Uhr.)

Im Neuen Königlihen Overntheater wird morgen „Der Evangelimann“ gegeben. Herr Philipp singt die Titelrolle, die Martha Fräulein Rose, die Magdalena Fräulein Ober, den Johannes Herr Bischoff, den Justitiar Herr Knüpfer, den Schnappauf Herr Bachmann, den Zitterbart Herr Lieban.

Im Königlihen Schauspielhause wird morgen, Sonntag, „Wallensteins Tod" in der bekannten Besetzung wiederholt. Am: Montag geht E. v. Wildenbruchs Schauspiel „Die Rabensteinerin“