1871 / 74 p. 7 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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ammenstoßes ausgesprochen, indem ih sagte, daß unfehlbar der Krieg f oder später ausbrechen werde, ih könnte mich daher nicht wun- dern, dieselbe hier von vielen Leuten getheilt zu sehen, und muß mich, wie Jeder, der sein Vaterland liebt, nur über den Scharfblick unserer fünftigen Feinde betrüben. : /

Preußen, sagte ih bereits, glaubt fi V: berufen, cine Mission zu erfüllen, nämlich die, die Einheit des Deutschen Reiches herzustellen, und es hat den festen Willen, sich derselben zu widmen. Außerdem ist ihm wohl bekannt, daß dieses Vorhaben Frankreich nicht gleih- gültig lassen fann, daß seine Erfolge von 1866 das Mißbehagen seiner ehemaligen Feinde erweckt, und die Gefühle gegenseitigen Miß- trauens einen solchen Grad erreiht haben, daß der Bruch dur den leisesten Zufall herbeigeführt werden föônne. Da nun diese Nation ernst und wachsam ist, ist sie sorgfältig auf ihrer Hut, um an dem Tage, an welchem der Konflikt ausbrehen ivird, nicht überrascht zu werden, wie sie gleichermaßen entschlossen if, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln den Kampf mit uns aufzunehmen.

Daher diese Verdoppelung militärischer Thätigkeit von ganz Preußen; daher diese Eile, \o {nell als möglich seine drei neuen Armee-Corps und auch das von Sachsen, wo es seine Organisirung; seine Reglements und seine Bewaffnungsweise einführte, mit sich auf gleiche Stufe zu stellen; daher diese Ausgaben, diese Verbesserungen in jeder Beziehung, Früchte der 1866 gemachten Erfahrungen; daher diese fostspieligen Uebungen jeder Art; daher diese Ausgaben und bedeuten- den Anstrengungen, sih eine tüchtige Seemacht zu hafen.

Das müssen wir uns gesagt sein lassen: wir werden Prevßen nit überrumpeln. Seine militärische Organisirung, welche ihm er- laubt, an unsere Grenzen in 20 bis 25 Tagen mehrere Armeen von je 100,000 Mann zusammenzuzieheny die Wachsämkeit der Regierung, _ welche diese Anordnungen leitet, sein Glauve an die Wahrscheinlich- feit eines Kampfes bis zum Aeußersten gegen Frankreich sind hin- reihende Gründe, um es zu der Stunde, in welcher der verhängniß- volle Konflikt ausbrechen wird, vollkommen bereit zu finden.

4) Frankreichs Mangel an Scharfbli ck. Unheilvolle Folgen desselben. s :

eigt nun Frankreich unter diesen ernsten Umständen denselben Scharfblick wie Preußen? Leider nein! Und besonders traurig ift, daß Niemand zu sagen wüßte, wann die unheilvolle Verblendung, von welcher Frankreich betroffen ist, ihr Ende finden wird. Während demnach ein furchtbarer Krieg sh aukündigt und von einem Tag zum andecn auszubrehen droht, erkennt unser ernstlihster Gegner aufs Klarste diese schreckenvolle Möglichkeit. Er lauert auf den Augen- blick des Kampfes , obwohl er diesen niht wünscht; ér ist bereit, ihn aufzunehmen mit den ganzen mannhaften Theilen der Nation , mit einer Million der disziplinirtesten , fkrieg8geübtesten und am stärksten organisirten Soldaten, die es giebt; und in &rankreich, wo vierzig Millionen Menschen insgesammt überzeugt sein sollten, so gut wie das preußische Volk, daß der Krieg ein unausweichlihes Verhängniß und vom nächsten besten Zufall abhängig ist, wo alle Sorgen vor der einen zurücktreten sollten, wie der Staat zu retten sei , in Frankreich zähit man kaum einige vereinzelte Personen, welche sich von der Lage eine klare Vorstellung machen und ein Bewußtsein haben von der ungeheuren Gefahr, die sie mit si führt. :

Der vornehmste Grund meiner Befürchtungen is eben dieser auf- allende Gegensaß zwischen dem Scharfblick Preußens und der Ver- lendung Frankreihs. Die Nationen wie die Einzelnen können zur

Abwoendung einer Gefahr nur dann die erforderlichen Anfialten treffen, wenn sie das volle Bewußisein derselben haben; im entgegen- geseßten Fall bleiben sie unthätig und seßen sich dabei den grausam- iten Enttäushungen aus. So sehen wir, wie Preußen alles Andere der Lebensfrage der Vorbereitung auf den Krieg unterordnet und ih beständig gewärtig hält, mit den gewaltigen Streitkräften, Über welche es gebietet, in die Schranken zu treten, während Frankreich sih mehr und mehr s{wächt, als ob es sich um seine eigene Sicherheit nid;t fkümmerte. Beim Anblick eines folhen Schauspiels fann man sh nicht erwehren , laute Klage zu sühren über diese unselige Un- wissenheit und diesen verdammenswerihen Dünkel, welche uns die Einsicht verschließen in das, was Preußen so klar erfennt: die ver- hängnißvolle Nothwendigkeit des Krieges. /

Der Gegensaß , welchen die beiden Länder darbieten , findet \sich leider überall wieder: in den Kammern, in der Presse, wie in der moralischen Haltung der beiden Nationen. | 4

In den preußishen Kammern begegnen sich die verschiedenen Par- teien; wie getheilt sie immer über Fragen der inneren Politik sein mögen, in einem und demselben Gedanken gegen Frankreich und gegen das, was sie unsere Ehrsucht nennen oder unser Gelüsten, uns in die

deutschen Angelegenheiten einzumengen. Alle, von einer glühenden Vaterlandsliebe beseelt und voll sharfblickenden Mißtrauens, opfern die Gefühle der Partei-Gegnerschaft und unterstüßen oder ermuthigen die Regierung in ihren Bestrebungen, furhtgebietende Streitkräfte zu organisiren, eine mächtige Flotte zu sckchaffen und im entscheidenden Augenbli bereit zu sein. i |

Was sehen wir dagegen in Frankreih? Eine Kammer, die sich rühmt, das Land zu vertreten und die au in der That durch ihre Unbeständigkeit und Leichtfertigkeit das getreue Abbild desselben sein mag, wie z. B. das dieser Kammer zu dankende Geseß über die mo- bile Nationalgarde beweist, sowie die eigensinnige Verblendung, mit welcher dieselbe die Wolke nicht schen will , welche von Deutschland her si immer dichter zusammenballt und sich zu entladen droht; eine Majorität, beinahe ganz aus Mittelmäßigkeiten bestehend, aus Leuten ohne Charafter, ohne Adel der Gesinnung und ohne jegliche Kenntniß der - Dinge, welche dem Geseßgeber unentbehrlich sind; eine Opposition, __beherrsht von eitlen und ehrgeizigen Advokaten, welche keinen andern Patriotismus besißen, als ihre gehässigen Anschuldigungen und ihre _“Herechneten Vergeltungspläne, welche ihre Unfähigkeit und Ohnmacht

mit rhetorischen Flosfeln zu verdecken suchen , dabei eine Miene an- nehmen, als ob ihnen allein die Jnteressen des Landes am Herzen lägen und doch, um eine wohlfeile Popularität zu erhaschen, die Re- gierung wegen eines jeden Soldaten oder Thalers kritteln, Leute, die man nur verabscheuen könnte, wenn sie sih ihres s{uldvollen Beneh- mens bewußt wären; denn indem sie Frankreich zu {wächen suchen, verrathen sie das Land an seinen furhtbarsten Feind. Auf derlei Leute passen so ganz die Worte eines Kriegsmannes: »Neue Thersites sind sie beißend mit der Rede, aber s{chwach an Herz und Arm, geeig- neter zu s{wäßen als zu kämpfen.«

6 a nämlichen Gegensäge finden sch in der Presse der beiden

nder.

Mährend die preußische Presse nichts versäumt, um gegen Frank- reich Haß und Neid zu erregen; während dieselbe weder vor Beschim- pfungen, noch vor Verleumdungen zurückschrickt und sich einmüthig zeigt, um im Publikum alle franzesenfeindlichen Leidenschaften zu unterhalten, indem unser Land als der einzige unversöhnliche Feind Deutschlands dargestellt wird, während diese Presse mit ihrem ganzen Einfluß die Regierung bei Ausführung der Maßnahmen unterstüßt, wodur dieselbe sich für alle Vorkommnisse in Bereitschaft seßt, was sehen wir dagegen in Frankreich?

Dort is eine Presse, deren Organe größtentheils von der Gefahr der Lage keine Ahnung haben, unaufhörlich beschäftigt, die Grundeinrihtungen des Landes zu erschüttern. Wir sehen diese Blätter bemüht; Zuchtlosigkeit und Entsittlihung in der Armee zu verbreiten, ja, sie gehen in der Verirrung so weit, daß sie eine Ver- minderung des Präsenzstandes oder eine Entroaffnung verlangen, während Frankreich alle scine Kräfte, scine ganze Thatkraft und die Einigkeit aller Parteien nöthig hätte, um einen Kampf aufzunehmen, der vielleicht nahe bevorsteht, in jedem Fall aber furchtbar sein wird.

Wenn man nunmehr die sittlichen Zustände beider Länder be- trachtet, so muß man anerkennen ; daß dieses so scharfblickende , so wmachsame und der Aufgabe, die es si gestellt, so bewußte preußische Volk zugleich das am meisten unterrichtete «3d disziplinicte in Europa ist; daß es voller Saft, Thatkrast und Patriotismus ist, noch nicht verdorben dur das Bedürfniß materieller Genüsse; daß es sich warme Ueberzeugungen und die Achtung vor allem Achtungswerthen bewahrt hat.

Welch ein betrübender Gegensaß! Frankreich hat Über Alles ge- lacht und das Ehrwürdigße findet daselbst keine Achtung mehr. Die Tugend, die Familie, die Liebe zum Vaterlande, die Ehre, die Religion werden cinem leichtfertigen und zweifelsüchtigen Geschieht als Gegen- stände des Spottes dargestellt. Die Theater sind Schulen der Scham- losigkeit und Unfläthigkeit geworden. Von allen Seiten träufelt das Gift, Tropfen um Tropfen, in die Organe einer unwissenden und entnervten Gesellschaft, die weder die Einsicht noch die Thatkraft be- sißt, um si bessere, auf Recht und Gerechtigkeit -gegründete Einrich- tungen zu geben, die dem Geist unserer Zeit angemessen, aber vor Allem geeignet wären, sie unterrichteter und sittliher zu mahen. So \chwinden allmälig alle shönen Eigenschaften der Nation dahin; der Edelmuth, die Loyalität, der Zauber unseres Geistes und der Shrwoung der Seele verlieren sih, so daß diese edle französische Race sih bald nur noch an ihren Fehlern wiedererkennen wird. Und unterdessen bemerkt Frankreich nicht, wie ernsthaftere Nationen ihm auf der Bahn L Fortschritts vorkommen und es auf den zweiten Rang zurük-

rängen. L

An dieser meiner Darstellung würde man in Frankreich ohne Zweifel wenig Geschmack finden und doch ist dieselbe nichts als der Ausdruck der Wahrheit. Jch wünschte, daß aufgeklärte und von jedem Vorurtheil freie Franzosen nah Preußen kämen und dieses Land studirten. Sie würden da alsbald eine ernste, derbe und starke Nation erkennen, die allerdings jedes Reizes, jeder zarten und edlen Empfindung, aller der Eigenschaften, die man anziehend findet, ent- behrt, aber dafür mit den achtbarsten Tugenden ausgestattet ist, mit der Liebe zur Urbeit und zum Studium, einem unermüdlichen Fleiße, dem Sinn für Ordnung und Sparsamkeit, mit Patriotismus, Pflicht- gefühl und dem Gefühl für persönlihe Würde, mit welchem sich Achtung vor der Autorität und Gehorsam gegen die Gesehe verbinden.

Sie würden ein vortrefflich verwaltetes Land erblicken , dessen Regierung auf festen, gesunden und sittlichen Jnstitutionen beruht, wo die höchsten Stände {ih ihres Ranges würdig zeigen und den ihnen

ebührenden Einfluß bewahren, und wo sie zuglei am meisten aufgeklärt ind , mit dem Beispiel patriotisher Aufopferung voran gehen und sich unablässig dem Dienste des Staates widrmen; ein Land endlich, wo jedes Ding an seinem Plaße ist und wo in allen Gliedern des gesellschaftlihen Körpers die volllommenste Ordnung herrscht. Viel- leicht würden die Beobachter Preußen unwillkürlich mit einem Staunen erregenden, aber stark massiven Gebäude vergleichen, das fest gefügt vom Grunde bis zum Giebel und in welchem jede einzelne Lage in der Weise

angebracht ist, wie es für die Dauerhaftigkeit des Ganzen am meisten

geeignet, ein Gebäude, das man wegen seiner meisterhaften Anord- nung bewundert, an dem aber freilih nichts dem Auge lieblich erscheint, noch in irgend welcher Hinsicht das Gefühl anregt.

Welcher Gegensaß zu der Unordnung, welche in den gesellschaft- lihen Zuständen Frankreichs herrsht, wo Alles gemischt, gemengt und durcheinander geworfen ist; wo, unter dem Vorgeben, daß Jeder das Recht hat, auf die höchsten Stéllungen Anspruch zu machen, man bei der Beurtheilung oder Verwendung eines Mannes ganz und gar das so nothwendige Gleichgewicht zwischen Bildung, Sittlichkeit und Wissen außer Acht läßt, was dann zur Folge hat, daß die ehrenvoll- sten und angesehensten Aemter und Stellen eineötheils ungebildeten Leuten zufallen, die ein gewisses spezielles Talent haben, oder andern- theils unwissenden Menschen, die ihre Ansprüche nur dur ihre ge- sellshaftlihe Stellung und viellciht einige welimännische Gewandt- heit begründen können. Eiñ unheilvolles und auflösend wirkendes

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Verhältniß! Daher findet man auch in Frankreich mehr als irgend- wo jene neiderfüllten Menschen ohne festen gesellschaftlichen Halt, jene aus ihrer Bahn geworfenen Geister, die ihren wahren Lebensweg suchen, aber nicht finden können.

In dieser Hinsicht ließen sich unsere so verworrenen gesellshaft- lichen Zustände im Gegensaß zu den preußischen mit einem der archî- teftonishen Meisterwerke des alten Griechenlands vergleichen , das durch ein Erdbeben bis in seine tiefsten Grundlagen erschüttert, jeßt nur noch in zusammenhangslosen, durch cinandex geworfenen Trürm- mern dalieat. Der Wanderer bewundert noch die prächtigen oder an- muthigen Stücke, welche auf dem Boden umherliegen, es ist aber ein Anblick, der, wenn er auf den Geist seinen Zauber nicht verfehlt, zu-

gleih das Herz mit Trauer erfüllt.

Wie wäre cs möglich, nicht tief betrübt zu sein Über diese Gegen- säße, wenn man, wie ich, von der Unvermeidlichkeit des Krieges üver- zeugt ist! Und man darf nicht vergessen, daß in diesem Kriege Yreußen oder genauex gesprochen der Norddeutshe Bund über eine Miüion unterrichteter, disziplinirter und stark organisirter Soldaten verfügen wird, während Frankreich kaum 3- bis 400,000 zählt. Ueberdies ent- halten die Heere des Bundes den ganzen mannhaften Theil, die ganze Intelligenz und alle lebendigen Kräfte einer Nation, die von Zuver- ht, Thaifkraft und Vaterlandsliebe erfüllt is, während die franzö- fiche Armee fast aus\{ließlich aus dem unwissendsten und ärmsten Theil der Nation zusammengesegt ist. Das deutsche Heer wird eben in Folge des Umstandes, daß es den ganzen mannhaften Theil des Volfcs, ohne Rücksicht auf gesellshafilihe Stellung, umfaßt, sich durch die Achtung und das Ansehen ohne Gleichen unterstüßt und gestärkt fühlen, deren es im Lande genießt, während das französische Heer; von den Einen als eine unnüße Einrichtung betrachtet, von den An- dern, welche darin Verderbniß und Zuchtlosigkeit zu verbreiten streben, in seinem Bestand erschüttert, dur den gänzlichen Mangel an Achtung niedcrgedrückt wird und fast ganz ohne Bewußtsein der Aufgabe dahinlebt, welche es zu erfüllen hat.

Tch mache ein leßtes Mal auf diesen auffallenden Gegensaß auf“ merksam , welchen die militärishen Kräfte der beiden Nationen und die Nationen selbst darbicten. T kann nicht verhehlen, daß derselbe für mich und einige Franzosen , roelche den Krieg als unvermeidlich betrachten und Berlin bewohnen, den Gegenstand unserer {merzlich- sten Besorgnisse und beständiger Trauer bildet.

Tch würde aus dem Rahmen meiner Befugnisse heraustreten, wollte ih die großen Maßnahmen angeben, die geeignet wären, solchen beklagenswerthen Zuständen abzuhelfen. Aber wie sollte man nicht betroffen sein über diese sittlihe Auflösung, die in Frankreich entseh- liche Fortschritte macht, und wie ließe sih verkennen, daß die Erstar- rung, in welcher das französisce Volk lebt, sowie sein verblendeter Dünkel es hindern, zu einer Einsicht in das Uebel zu gelangen è

Es wäre Sache der Regierung, die unumgänglich gewordene Ar- beit einer vollständigen Regencration auf sich-zu nehmen Und dieses edle Bestreben könnte ihr nur dann glücken, wenn mehrere unserer wesentlichsten staatlichen Einrichtungen von Grund aus abgeändert oder besser durch andere exseßt würden, welche geeignet wären, die Bildung und Sittlichkeit des Volkes zu fördern und männliche Tu- genden in demselben zu entwieln.

Unter diesen, die Wiedergeburt des Volkes anbahnenden Einrich- tungen würden, wie das Beispiel Preußens zur Genüge berveist, zwei in erster Linie kommen: die allgemeine Wehrpflicht und der Schul- zivang.

Um nur von der allgemeinen Wehrpflicht zu \prechen, so muß man vor Allem sich fragen, ob dás franzôsische Volk die erforderlichen Eigenschaften besißt, um dieselbe anzunehmen und durchzuführen. Die Antwort lautet leider entmuthigend. Von Eigendünkel erfüllt und durch Selbstsucht verkehrt würde das Volk kaum sich einer Einrich- tung anbequemen, von deren kräftigender und fruchtbarer Wirkung es feine Ahnung hat und deren Durchführung Tugenden erfordert, die es nicht besißt: Aufopferungsfähigkeit , Selbstverleugnung und PBsflichtgefühl Gleich den einzelnen Menschen, welche sich im Leben nur durch die harten Lehren der Erfahrung bessern lassen, kommen auch die Völker zu einer Verbesserung ihrer staatlichen Einrichtungen erst, nachdem sie in grausamen Prüfungen deren Nothwendigkeit haken erkennen müssen. Preußen hat Jena gebraucht, um in sich zu gehen und ein Gefühl der Nothwendigkeit, sich in gesunden und männlichen Institutionen zu verjüngen, um den Grundsaß der allgemeinen Wehr- pflicht für alle Bürger anzunehmen. Und, im Vorbeigehen gesagt, man darf wohl behaupten, daß, wenn Preußen diese Einrichtung nicht be- L besäße, es heute unmöglich wäre, dieselbe zur Durchführung zu ringen. :

Frankreich hat sich seit fünfzig Jahren ein einziges Mal in Um- ständen befunden, welche der Aufnahme der allgemeinen Wehrpflicht unter seine staatlichen Einrichtungen günstig waren. Es war dies im S 1848, wo Dank der durch die Februarrevolution erzeugten

deenberoegung die Nationalversammlung si{ch in einer ausgezeichneten Lage befand, um durch Annahme der allgemeinen Wehrpflicht zu zeigen, daß sie die Prinzipien der Gleichheit, die man so geräuschvoll e EaiE rwoirklih und ernsthaft zur Anwendung gebracht sehen wollte.

__ Sie malte auch na dieser Richtung hin einen Versuch , iadem sie den häßlihen wunden Fleck unseres Heeres , die militärische Stell- L! beseitigen wollte. Eine Kommission wurde ernannt, deren Berichterstatter der General von Lamoricière war: Aber die Mehr- heit der Versammlung, beherrscht von den selbstisüchtigen und fkleinlichen Anschauungen der Bourgeoisie, brachte den Geseßvorschlag zu Falle,

und ich zaudere nicht, es offen auszusprechen: die Männer, welche Frankreich gehindert haben , {on im Jahre 1849 eine Bahn einzu- schlagen , welche später zur Annahme der allgemeinen Wehrpflicht mit Allem , was dieselbe für die sittliche und intellektuelle Entwickelung eines Volkes Fruchtbares mit sich bringt, geführt hätte, haben auf die Geschicke des Landes einen unheilvollen Einfluß ausgeübt.

Berlin, 12. August 1869. Baron Stoffel.

Landwirtl schaft.

Berlin, 14. März. Der bleibende Ausschuß des Landes- Oekonomie-Kollegiums beschäftigte sich in seiner vierten Sißung mit der weiteren Berathung der Vorlage in Betreff der statistischen Aufnahmen über die Anbauverhältnisse, Ernte - Erträge, Thierzucht, Jagd und Fischerei. Die Diskussion bezog sich zunächst auf den zweiten Theil „der Vorlage, welche die Statistik der Ernte-Erträge be- trifft. Hierbei wourde folgende Frage, welhe die Kommission in ihrem Berichte aufgestellt hatte: »Sollen mit Benußung der Anbautabellen und zwar durch dieselben Organe, welche die Anbaurabellen hergestellt haben, Echebangen über die Ernte- Erträge stattfinden?« verneint und hiermit die weitere Beschlußnahme über diesen Theil des Komnaissions- referats beendigt. Jn Betreff des dritten Theil3 der Vorlage, welcher von der Statistik der Viehzucht handelt, wurde beschlossen:

1) Die bisherige Tabelle für ausreichend zu ertlären ; 2) die Hunde zu sireihen ; 3) Federvieh nicht aufzunehmen; 4) als Termin der Zählung den 1. Juni zu empfehlen; 5) die Aufnahme in fünfjährigen Perioden zu befürworten ; 6) die Frage: ob in den Fragen nach dem Viehstande auch die nach Größe der Fläche, auf welcher das Vieh lebt, mit aufgenommen werden foll, zu verneinen, dagegen 7) den Vorschlag der Kommission, die Zählung durch Fragen von Haus zu Haus zu empfehlen, anzunehmen.

Als Referent hatte der Landschafisrath Richter - Schreitlaken fun- girt. Derselbe übernahm die Berichterstaitung des Auss{uses an den Minister. -—- Hierauf referirte der Landes-Deputirte Elsner von Gronow über die Vorlage des Ministers der landwirtbschaftlichen Angelegenheiten, betreffend die Einführung des Gewichts-Verkehrs im Spiritushandel und eines demselben entsprechenden Alkoholometers statt des Volumen-Ulkoho!lometers. Jn Betreff dieser Vorlage ifi vor- auszuschicken, daß der Minister für Handel 2c. durch folgendes Schrei- ben an den Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten

die Frage angeregt hat:

» Auf gegebene Veranlassung hat sich die Normal-Eichung2-Kom- mission des Norddeutschen Bundes neuerdings mit der Frage beschäf- tigt, 0b es sich empfiehlt, an Stelle der jeßt vorgeschriebenen Alfoholo- meter nach Tralles solche einzuführen, welche den Alkoholgehalt wein- geistiger Flüssigkeiten nicht nach dem Volumen, sondern nach dem Gewichte angeben, und zugleih die Herstellung zweckmäßiger Hülfs- mittel ins Auge gefaßt, um auch bei dem weiteren Gebrauch des Volumen-Alkoholometers die Berücksichtigung der Velumen-Schwankun- gen bei verschiedenen Temveraturen, sowie die Ermittelung der Ge- wihtsprozente im Spiritushandel zu erleichtern. Ew. Excellenz beehre ih mich das Ergebnif dieser Verhandlungen mitzutheilen

Die Berathung zerfiel in zwei Theile: Einführung des Gewichts- verkehrs im Spiritushandel und Einführung eines Gewichts-Alkoholo- meters anstatt des Volumen - Alkoholometers. Jn Betreff des exsten Theils trat der Aus\{chuß den Konklusionen des Referenten bei: 1) die Einführung des Gewichtshandels beim Spiritus zu befürworten; 2) desgleichen den Gebrauch der Tabellen 2 und 3 der neuen, von der Norinal - Eichungs - Kommission ausgearbeiteten Reduktions - Tabellen für den Spiritus, welche an Stelle der Brixshen Tabellen getreten sind. Hiermit war auch eine Petition des Ritterguts besißers Schulz- Petershagen erledigt, welche dahin ging , dafür einzutreten, daß beim Spiritushandel Tabelle 4 der Brix’schen Tabellen, oder vielmehr jeßt Nr. 2 und 3 der neuen Tabellen zur Anwendung kommen. Jn Bezug auf den zweiten Theil der Vorlage wurde dahin entschieden, daf der Gegenstand einer weiteren wissenschafilich-tehnishen Prüfung vorzubehalten sei. Ein Antrag des Referenten, Unterhandlungen zur Gewinnung eines internationalen Vikoholometers zu befürworten, wurde abgelehnt. Den lehten Gegenstand der Tagesordnung bildete die Proposition des Grafen v. Borries; betreffend anzustellende Er- mittelungen binsichtlich des vortheilhaftesten Berfahrens der Wäsche des Vließes gegenüber der Rückenwäsche. Es wurde hierbei der An- trag des Vorsibenden: »den Herrn Minister zu exsuchen, eine Spezial- Kommission des Kollegiums mit weiteren Untersuchungen hinsichtlich der Wollwäsche zu beauftragen«, angenommen.

Im Regierungsbezirk Stralsund hat \ich bei dem Erdrush des im verflossenen Jahre gewonnenen Getreides die Qualität des- selben, in Folge des nassen Erntervetters, als noch geringer heraus- gestellt, als sich im Herbste annehmen ließ. Dagegen sind die jungen Saaten, die sich ungeachtet der verzögerten Bestellung bei der milden Witterung im November noch vor Eintritt des Frostes günstig ent- wielt hatten, gut durch den Winter gekommen und berechtigen zu erfreulichen Hoffnungen.

Kunst und Tissenschaft.

Der Appellationsgerihts-Präsident Mär cker ist am 11. März nah {weren Leiden in Halberstadt gestorben. Jm Jahre 1848 war derselbe einige Zeit lang Justiz-Minister. S