1871 / 98 p. 1 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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“Leben.

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| Seine Werke erlebten vielfache Auflagen), noch mehr aber

siein zu Bischofsburg, einem ostpreußischen Städtchen im so- genannten Oberlande, übernahm zunächst seine Erziehung, ein treffliher Geistlicher, unter dessen Einfluß sein Naturell das Gepräge, das ihm geblieben ist, vor Allem den religiösen Grundcharafter erhielt. Nach einigen Jahren zog er nah Königsberg, um ein Gymnasium zu besuchen. Jn dem Hause des Professor Lehmann fand er eine Heimathstätte. Mit Freu- den sah er sich wieder in das Element einer großen Stadt ver- sezt. Der eigenthümliche landschaftliche und klimatishe Cha- rakter Königsbergs wirkte bestimmend auf seinen Natursinn. An sich selber erfuhr er hier den Konflikt der Schule und des Le- bens, der ihn stets verfolgte. Er gewann es nicht über sich, das Gymnasium bis zur Universitätsreife zu besuchen und ver- ließ es, 16jährig, um Landwirth zu werden, ein Schritt, der im Ganzen nachtheilig auf seinen Lebens- und Bildungs8gang gewirkt bat. Bogumil Goly gerieth in ein Schwanken zwischen Oekonomie und Philosophie und hat sih von dem Dilettanti®- mus des Autodidakten nicht völlig losmacben können. Als Lehrling der Agrikultur ging er nah Ciechocin , einem Gute an der polnischen Grenze bei Thorn. Shäter bezog er auf kurze Zeit die Universität Breslau und ließ sih, ohne Matu- rität8prüfung , bei der theologischen Fakultät inskribiren , be- schäftigte sich aber mit deutscher Philosophie, ohne deren Jünger zu werden, und übernahm dann die Bewirthschastung des von seinem Vater ererbten Gutes Lissewo in der Nähe von Thorn. Bald darauf verheirathete ex sich mit der Adoptiv- tochter eines GutS8besißers der Nachbarschaft, die er {con von seiner Kindheit her kannte, einem Fräulein von Blumberg. Mit ihr lebte er fast ein halbes Jahrhundert in einer sehr glük- lien, wenn auch kinderlosen Ehe. Doch auch das häusliche Glü fTonnte nicht die innere Unruhe eines unbestimmten gährenden Talentes beseitigen, das, unausgebildet und mit sich selber uneins, den praktischen Lebenswforderungen feindlich gegen- Überstand. Des Landlebens überdrüssig, verkaufte er im Jahre 1830 sein Grundstück und zog mit einer Pension von 400 Thlrn. nah Gollub, einem Städtchen an der polnischen Grenze, von völlig reizloser Umgebung.

Hier lebte er 17 Jahre lang ohne jeden Umgang. Wäh- rend dieser Zeit bildete er sich zum Schriftsteller aus. Er studirte, dachte und schrieb, ohne etwas zu veröffentlihen. Die Manuskripte häuften sich auf und wurden stets zurückgelegt. Er wollte seine eigene Gedankenwelt aus sich entwickeln, sich seine Sprache shaffen. Mochte er auch in den Landsleuten Hamann, Hippel und Herder, sowie in Jean Paul Geistesver- wandte sehen, für seine Gedankenbilder und Jdiosynkrafien be- durfte er einer besondern Form. Daher machte er eigene Sprachstudien, deren Ergebnisse hohe Aktenstöße mit deutschen Synonymen »Redens- und Lebensarten« waren, leihsam Lexika seines Dialekts. Seine Philosopbie ege er in einer »allgemeinen Symbolik« nieder, von der die Aesthetik nur ein Theil sein sollte. Selten machte er nach einer benachbarten Stadt, wie Thorn oder Bromberg, einen Ausflug, um sich Freunden mitzutheilen. Seine weiteste Reise galt Königsberg und dem Jugendfreunde Lucas, in dessen Haus er eine Masse von Manuskripten brachte. Hier wurde der Ausschlag zum Beginne seiner s\{rift- stellerishen Laufbahn gegeben; im Jahre 1847 erschien das »Buch der Kindheit«, bald darauf »Deutsche Entartung in der lichtfreundlihen und modernen Lebens§art. «

Beide Werke find beeinflußt durch das Wiederschen des alten und doch veränderten Königsberg, beide kämpfen gegen die herr- schenden ZJeit-Tendenzen an. Noch einmal übernahm er eine Pachtung in Polen, doch bald, nah bedeutenden Verlusten , wandte er der Oekonomie für immer den Rücken. Er {lug seinen dauernden Wohnfiß in Thorn auf ; hier kaufte er ein Haus, dessen obere Etage er bewoohnte. Wenigstens erinnerte ein grüner Baum vor der Thür Und ein kleines sorgfältig gepfleg- tes Blumenbeet auf dem Hofraum an das Land- ‘Ießt folgten seine Produktionen rasch aufeinander. »Das Menschendasein in seinen weltewigen Zügen und Zeichen« (1850) enthält im Wesentlichen seine Symbolik. Die Frucht einer Reise nach Aegypten, dem Lande der uralten versteinerten Symbolif , war »ein Kleinstädter in Aegypten« (1853). Vom Nil zur Weichsel zurückgekehrt , vertiefte er sich in die Erinne- rungen der Heimath; er s{hrieb »ein Jugendleben , ein biogra- phishes Jdyll aus Westpreußen « (1855), eine Fort- sezung - des » Buches der“ Kindheit «. Es folgten » Der Mensch und die Leute« (1858), »zur Physiognomie und Charakteristik des Volkes « (1859), » Charakteristik und Naturgeschichte der Frauen (1859 und 1863), »die Deutschen« (1860), »Typen der Gesellshaft« (1860), »Feigenblätter« (1861), »zur Geschichte und Charakteristik des deutshen Genius, eine ethnographische Studie« Ae die Bildung und die Gebilde- ten« (1864), »die Weltklugheit und Lebensweisheit« (1869).

wurde er durch seine öffentlihen Vorträge allgemein be- kannt. Als Rhapsode besuchte er während des legten Jahr- zehends die bedeutendsten Städte Deutschlands. Gedruckt wurde von seinen Vorlesungen: »die Ehe und die Ehe- stands-Kandidatench«, »Charakteristik der Männer und Frauench«, »Shakespeare's Genius und die Tragödie Hamlet«, »Kindheit, Jugend und Alter«e, »Das deutsche Volksmärchen und sein Humor«. Qu jenen Wanderungen kamen noch andere größere Reisen. Mit seinem steigenden Rufe gewann er auch in seiner Heimath mehr und -mehr Geltung. Seine Rhetorik fand Gegner, sein Charakter niht. Leidenschaftlihes Bedürf- niß der Mittheilung machte ihn rücksichtslos au gegen si selber. Seine Todeskrankheit, fast die einzige seines Lebens, mitveranlaßt durch Reiseansitrengungen, wurde durch innere Unruhe beschleunigt. Er starb am Herzshlage am 12. No- vember vorigen Jahres. Der Copernikus- Verein in Thorn s{chmüdckte seinen Sarg mit Lorbeerkranz und Palmenzweigen.

Vergegenwärtigen wir uns noch sein Geistesbild in den Haupt- zügen. Jn Kontrasten bewegt sich sein Leben wie sein Denken. Vor der Schule floh er in das Landleben, vor demLandleben, der Praxis in seine eigene Gedankenwelt. Wie Propheten in der Wüste bereitete er sich in Einöden auf ein Wirken im Geiste vor. Jn den kräftigsten Entwoiklungs- und Mannesjahren cinsam, so weit als möglich der Welt und dem Verkehr entfremdet, er- faßt ihn in einer Zeit , wo sich andere zur Ruhe seßen, rast- lose Wanderlust. Anderthalb Menschenalter sind seine Lippen versiegelt, während des Restes seines Lebens holt er reihlih als Schriftsteller und Redner das Versäumte wieder nach. Von allen seinen Fahrten, von den Pyramiden und dem Atlas, kehrt er immer wieder zur Heimathprovinz 'zurück, wie durch magishe Anziehungskräfie an der polnischen Grenze festgehalten. Die Sehnsucht nach der Heimath, in der seine Seele wurzelt, trägt er überall mit sich. Dieses Haften und Fortstreben, diese Phantastik neben scharfer Auffassung der Erscheinungen und Reflexion, zunächst provinzielle Eigenthümlichkeit, wird durch seine geniale Anlage zu höherer Vedeutung erhoben, zu humo- ristischer Virtuosität ausgebildet.

Von ganzem Herzen Deutscher ; gelangk er in der Nach- barschaft eines fremden Eleimeintes zum vollen Bewußtsein der kulturgeschichtlien Kontraste. Die Nachklänge der Befreiungs8= kriege, die Träume der Romantik erfüllen noch das Herz des werdenden Poeten , der unter fester Familien- und Staats- Autorität aufgewachsen, von frühauf an den Unterschied der Stände und Stämme gewöhnt ist. Jn abgelegener Einsamkeit erkämpft er fich sciae Geistesindividualität; als er nah shwerer Novizenzeit sich eine Brücke zum Leben zu schlagen sucht, da beginnen die Wogen der neuen Zeit ungestüm an seine Brust zu schla- gen; ihnen wirft er sich entgegen. Einer geträumten Qukunft stellt er die Vergangenheit, den Traum der Kindheit gegenüber, der hohlen Phrase die Originalität innerlihen Lebens, den nivellirenden Kräften das Recht der Jndividualität. Doch über den Gegensaß hinaus strebt er mehr und mehr nach einer Ver- söhnung. Gleichwohl fühlt er in sich selbst einen Bruch, den Widerstreit von Natur und Kultur, der sih in allen seinen Werken spiegelt. Dem Denken möchte er den Urgrund, von dem er sich gelöst, dem Geist die verlorengegangene Seele wieder= geben, den von der Schule gemeisterten Verstand in die gott- erschaffene Natur zurücktauchen. Das Kind, die Frau und das Volk repräsentiren ihm die Naturseele.- Das Paradies findet er in ihren Jdealen wieder. »Den Blüthenäther vom Gewächse der Kindheit« möchte er »in Worte des Lebens wandeln«, aber er schildert nicht sowohl jene selber als ihre in der Er- innerung spätern Bewußtseins verklärten Bilder. Er kennt den Widerspruch von Jdeal und Wirklichkeit. Sein Denken hat etwas dualistishes, so auch sein Stil. Er bewegt sich in Gegensäten, in tausend sih ergänzenden Kontrasten, da er stets in Brusttönen, wie er sich ausdrückt, reden, Himmel und Erde, Gott und Welt, alle Höhen und Tiefen umfassen will, Die Sprache ist ihm ein Jnstrument, auf dem er Vir- tuose ist; mit jeder Hand greift er Doppeloktaven. Deshalb wird sie zu einer Macht, die eine Art dämonischer Gewalt über ihn ausübt, statt daß er sie beherrschen sollte. Ohne Selbst- beshränkung und eigentliche Kunst läßt er sih in seinen Variationen gehen, würfelt ohne Sichtung die verschiedensten Motive durcheinander. Unwillkürlih kehren die Finger zu früheren Passagen zurück. Aber diese seine Shwächen hängen mit seinen Vorzügen genau zusammen. Er is} eben seinen eignen Weg gegangen. Die wahre Originalität von Bogumil Goly liegt in der einfachen Melodie, in dem Genregemälde und seinem köstlihen Humor, wo sich s{härf|e Auffassung des Details mit wahrer Herzenspoesie verschmelzen.

* Der größte Theil der Werke von Bogumil Golß ist im Ver«

lage von Otto Janke, Berlin, erschienen,

Das Abonnement beträgt A Thlr. #7 Sgr. 6 Pfg- für das Vierteljahr.

Insertionspreis für den Raum einer Druzeile #7 Sgr.

lle Post - Anstalten des In- und

Auslandes nehmen Sestelung an,

für Berlin die Expedition des Äönigl, Preußischen Staats - Anzeigers :

Zieten-Plaß Nr. 8. ———

Deutsches Xeis.

Bekanntmachung.

Posi-Dampfschiffverbindung mit Shweden.

Auf der Linie Stralsund-M almoe wird auch in die- sem Jahre eine direkte Post-Dampfschiffverbindung zwischen Deutschland und Schweden unterhalten werden. Die Fahrten finden in der Zeit vom 15. April bis zum 13. Juni und vom 14. September . bis zum 15. Oktober in beiden Richtungen zweimal wöchentlih, während der Zeit vom 14. Juni bis zum 13. September dreimal wöchentlich statt. Vorerst ist der Fahrplan wie folgt, festgeseßt:

Abgang aus Straljund: Montag und Donnerstag mit Tagesanbruch nach Ankunft des leßten, am Tage vorher von Berlin abgegangenen Eisenbahnzuges.

Ankunst in Malmoe: Montag und Donnerstag gegen Mittag zum Anschluß an den um 2 Uhr Nachmittags ab- gehenden Zug nach Stockholm,

Abgang aus Malmoe: Dienstag und Freitag um 105 Uhr Vormittags nah Ankunfi des Postizuges.

Ankunft in Stralsund an denselben Tagen Abends.

Dauer der Ueberfahrt 8 Stunden.

Durch die Postdampfschiffahrten zwischen Stralsund und Malmoe wird im Anschluß an die zwishen Malmoe und

Kopenhagen coursirenden Dampfschiffe zugleih cine günstige

Reiseverbindung mit Dänemark geboten. :

Personengeld zwischen Stralsund und Malmoe: Erster Plaß 5 Thaler pr. Crt. Zweiter Play 3'/, Thaler pr. Crt. Verdeckplay 2 Thaler pr. Crt. Tour- und Retourbillets, 14 Tage gültig: Eriter Play 8 Thaler pr. Crt. Zweiter Play 5'/, Thaler pr. Crt. Reisegepäck bis 100 Pfund ist frei.

Auf dem Stettiner Bahnhofe in Berlin werden direkte Billets zur Reise nah Malmoe, Kopenhagen, Gothenburg und Stockholm ausgegeben.

Berlin , den 8. April 1871,

General - Postamt, Stephan.

Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten.

Der Königliche Eisenbahn - Bau - JTnspektor Bormann, früher in Bromberg, zur Zeit in Ratibor, is als Vorsteher des technischen Central - Bureaus der Westfälischen Eisenbahn nah Münster verseßt worden.

Ministerium der geistlichen, Unterrichts - und Medizinal - Angelegenheiten.

An der lateinischen Hauptschule in Halle ist der Collaborator Dr, Voß zum Oberlehrer befördert worden.

Finanz- Ministerium.

Bekanntmachung. Unter Bezugnahme auf den §. 17 des Bunde8geseßes vom 21. Juli 1870, betreffend die Gründung öffentlicher Darlehns- kassen und die Ausgabe von Darlehnskassenscheinen im Bereiche des Norddeutschen Bundes (Bundes-Geseßblatt Seite 499) wird bierdurch bekannt gemacht, daß am 31. März d. J. 25,366,080 e solhen Darlehnskassenscheinen in Umlauf gewe- en sind.

Berlin, den 8, April 1871.

Der Finanz-Minister. Camphausen.

Angekommen: Se. Excellenz der General der Jnfan- terie und kommandirende General des XIV, Armee-Corps, von Werder, und :

Se. Excellenz der General-Lieutenant und kommandirende General des I[. Armee-Corps, Hann- von Weyhern, vom Krieg8schauplaßt.

Abgereist: Der Ministerial-Direktor, Ober-Berg-Haupt- mann Krug von Nidda, nach Clausthal.

Tagesordununung.

13. Plenar-Sißzung des Deutschen Reichstages Mittwoch, den 12. April 1871, Mittags 12 Uhr.

1) Antrag der Abgeordneten Dr. Prosch und Dr. Braun (Gera) auf Vorlegung eines Gesehes, betreffend die Erhebung der vom Gewerbe im Umherziehen zu entrichtenden Abgaben. 2) Jweite Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Ein-

führung Norddeutscher Bundes8gescße in Bayern.

BerannctmaQu s

Da das in Frankreich im Dienste der freiroilligen Kranken- pflege verwandte Personal in nächster Zeit vollständig in die Heimath zurückgekehrt sein wird, so sehe ih mich veranlaßt, die Gültigkeit der sämmtlichen, unter meiner Namensunterschrift O Eijsenbahn-Fahrkarten vom 20. April d. J. an auf- zuheben.

Von dem erwähnten Jeitpunkt ab kann die freie Fahrt nur auf Grund einer besonderen, von mir unterzeichneten \{rift- lihen Legitimation, im Diensie der freiwilligen Krankenpflege beansprucht werden.

Berlin, den 8. April 1871.

Der Königliche Kommissar und Militär- Inspecteur der freiwilligen Krankenpflege.

Fürst von Pleß.

_ Zu Landecf in Westpreußen im Regierungs-Bezirk Marienwerder wird. am 16. April cer. eine Telegraphenstation mit beschränktem Tages®sdienste eröffnet werden. Cf. §. 4 der Telegraphen-Ordnung.

Stettin, den 8. April 1871. Telegraphen-Direktion.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 11. April. Se. Majestät der Kaiser und König wohnten am ersten Osterfeiertage um 10 Uhr dem Gottesdienst im Dome bei und empfingen nach demselben den Hauptmann von Großmann vom 4. West- fälischen Jnfanterie-Regiment Nr. 17, welcher die Orden seines verstorbenen Vaters, des General-Lieutenants von Großmann, Sr. Majestät zurückzureichen die Ehre hatte. Hierauf nahmen Allerhöchstdieselben die Meldung Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrih Carl und dann die des Generals à la suite Sr. Majestät, Freiherrn von Steinäcker, welcher sich zur Bei- seßung der Leiche der verewigten Erbgroßherzogin von Mecklen- burg-Schwerin im Allerhöchsten Auftrage nach Ludwigslust begiebt, entgegen.

Um #2 Uhr empfingen Se. Majeslät den s{wediscen Oberst von Cederström, welcher ein eigenhändiges Schreiben seines Souveräns an Se. Majestät den Kaiser zu überreichen die Ehre hatte. Später machten Allerhöchfidieselben eine Spazierfahrt.

1855