1890 / 267 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 05 Nov 1890 18:00:01 GMT) scan diff

Die „Amtlichen Nahrichten des Reihs-Versiche- rungsamts“ veröffentlihen eine Geshäftsanweisung für die Vorstände der auf Grund des Fnvaliditäts- und Altersversiherungsgeseßes errichteten Ver- siherungsanstalten, betreffend die Auszahlungen dur die Post, vom 29. Oktober 1890; ferner ein Rund- \chre'iben des Reichs-Versicherungsamts an die Vorstände der Versicheruñgsanstalten über denselben Gegenstand.

an schreibt uns aus Paris: : i

Der getlbtigte Schwindler Julian Zsidor Kayser, welcher um die Mitte der Wer Jahre durch seine Betrügereien und Erpressungen von sih reden machte und von vielen deutschen Behörden wegen derselben verfolgt wurde, hat hier sein gemeingefährlihes Treiben wieder aufgenommen. Er hatte befanntlih damals von hier aus unter verschiedenen Namen wie Céjar, Graf Kleist, Lecomte, Comte de Kinski, Kayser u. A. und unter dem Titel General-Direktor eines Heirathsvermittelungs - oder Bank - Fnstituts „Fortuna“ sowie unter dem Namen seiner Genossin Jeanne d’An- toine zahlreihe Betrügereien Und Erpressungen verübt, denen viele Personen auch besserer Gesellschaftsklassen in Deutschland zum Opfer gefallen find. Nachdem Kayser eine Zeit lang in einer Jrrenanstalt verwahrt gewesen war, hat er mehrere Jahre lang nichts von sich hören lassen. Seit einigen Monaten schreibt er aber wieder von hier aus Briefe an seine Opfer unter der Firma „Themis, TInstitution internationale pour la sauve- garde des droits et la représentation auprès des tribunaux français et étrangers“ und mit der Ünterschrift D, Rae

In diesen Briefen macht er Namens der Jeanne d'Antoine Forderungen aus seinen s{chwindelhaften Heiraths-Vermittelungs- ge‘chäften in den Fahren 1885/1886 geltend. Da voraus- sichtlich viele Personen, welche diesem Schwindler Vertrauen geschenkt und Geheimnisse anvertraut haben, sich dur seine Drohungen zu neuen Opfern werden bewegen lassen, so er- scheint es angezeigt, vor diesem gefährlihen Menschen zu warnen.

Der Königlih bayerishe Gesandte am hiesigen Aller- höchsten Hofe Graf von Lerchenfeld-Köfering hat sih auf einige Tage nah München begeben. Während seiner Ab- wesenheit von Berlin fungirt der Legations-Sekretär Freiherr von der Tann-Nathsamhausen als Geschäftsträger.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische Ober-Regierungs-Rath Geiger ist hier eingetroffen.

Der Direktor des Militär - Oekonomie - Departements im Kriegs-Ministerium, General-Lieutenant Stockmarr ist von Dienstreisen hierher zurückgekehrt.

n der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs- undStaats-Anzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Zucker- mengen, welche in der Zeit vom 16. bis 31, Oktobzr 1890 innerhalb des deutshen Zollgebiets mit dem Anspruch auf Steuervergütung abgefertigt und aus Niederlagen gegen Erstattung der Vergütung in den freien Verkehr zurückgebracht worden sind, veröffentlicht.

Kiel, 4, November. Bei der heute stattgehabten Stadtverordnetenwahl haben, dem „W. T. B.“ zufolge, die Sozialdemokraten den Sieg davon getragen. Die Gegenkandidaten waren Kommerzien-Rath Sartori und Gewerbe- shul-Direktor Ahrens.

Frankfurt a. M., 5. November. Se. Hoheit der Herzog von Nassau ist, laut Meldung des „W. T. B.“, mit dem Erbprinzen Wilhelm heute um 8 Uhr d, nach Luxemburg abgereist. Jn Begleitung des Herzogs befanden sih der Adjutant Graf Metternih und der Kammerherr und Finanz-Präsident von Dungern.

j Kassel, 4. November. Der vierte Provinzial-Landtag ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute durch den Ober-Präsidenten Grafen Eulen burg eröffnet worden.

Sigmaringen, 3. November. Jn den leßten Tagen des vorigen Monats war hier, wie dem „Schw. Merk.“ be- rihtet wird, der hohenzollernsche Landesauss\chuߧ zu einer Sißung versammelt. Den hauptsächlihsten Gegenstand der Berathung bildeten Angelegenheiten der Straßenbauverwaltung. Der Verwaltungs-Etat der hohenzollernschen Feuersozietät für 1891/92 ist auf 133 500 / veranlagt. Die Brandschaden- zahlungen haben seit 1: April bereits eine solche Höhe erreicht, daß die etatsmäßig dafür bestimmte Summe nicht mehr aus- reiht; es muß deshalb der Kommunal- Landtag um Bewilligung eines außerordentlihen Kredits ersucht" werden.

Bayern.

München, 5. November. Der Reichskanzler von Caprivi ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute Vormittag 11 Uhr hier eingetroffen und wurde auf dem Bahnhofe von dem Minister-Präsidenten Freiherrn von Crailsheim im Auftrage Sr. Königlichen Hoheit des Prinz-Regenten sowie von dem preußishen Gesandten Grafen zu Rangau, den Mitgliedern der Gesandtschaft, dem bayerischen Gesandten in Berlin Grafen von Lerchenfeld-Köfering und dem General-Direktor der Staatsbahnen Schnorr von Carolsfeld empfangen. Von dem zahlreih anwesenden Publikum lebhaft begrüßt, begab sih der Reichskanzler in Beglei- tung des Freiherrn von Crailsheim zu Wagen nach dem Hause der preußischen Gesandtschaft, Aen alsbald Graf zu Ranzau und Graf Lerchenseld folgten. ei Sr, Königlichen Hoheit

dem Prinz- Regenten findet heute j Ehren des Reichs- r

kanzlers ein Diner statt. Um 9 Uhr Abends ist beim Minister-Präsidenten Freiherrn von Crailsheim ebenfalls L U e Mee e pee: ani A eine Soirée, 1 er alle Pamistler, die obersten Hofchargen und das diplomatische Corps theilnehmen Werben ars

Sachsen.

Dresden, 4. November. Heute früh brahten, wie das G J.“ meldet, Jhrer Majestät der Königin aus Anlaß llerhöhstihres Namensfestes die Musikcorps des

Nr. 108 in der Königlichen Villa zu Strehlen eine Morgen- musik dar. Zu der um 51/, Uhr daselbst stattfindenden König- lihen Tafel waren die hier anwesenden Ober-Hof- und Hof- chargen befohlen.

Württemberg.

Stuttgart, 4. November. Se. Majestät der König nahm heute, dem „St.-A. f. W.“ zufolge, die Meldung des mit der Führung des XII1. Armee - Corps beauftragten General-Lieutenants von Wölckern entgegen. Jhre König- lichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Wilhelm sowie Se.Durchlaucht der Prinz Friedrich vonSchaumburg- Lippe folgten gestern einer Einladung Jhrer Majestäten zur Tafel. Zu Ehren des bisherigen kommandirenden Generals von Alvensleben geben die Offiziercorps morgen ein Abschiedsessen. Hierzu sind zahlreihe Anmeldungen aus allen Garnisonen des Corpsbezirks eingelaufen.

Hessen. Darmstadt, 4. November. Wie die „Darmst. Ztg.“ vernimmt, findet die Eröffnung des XXVI]. Landtages ain 25, d. M. statt.

Mecklenburg-Schwerin.

_ Parchim, 4. November. An den hiesigen Magistrat ist vom General-Feldmarschall Grafen von Moltke, den „Medl. Nachr.“ zufolge, folgendes Schreiben eingegangen:

| „Meine liebe Vaterstadt Parchim, die mic \{chon so viele Beweise ihrer Sympathie und ihres Wohlwollens gegeben, hat mi auch an- läßlih meines diesjährigen Geburtstages wieder mit einem prachtvollen Geschenk hoh erfreut. Die künstlerisch ausgeführten Ansihten der Stadt und deren Baulichkeiten in dem {önen Album sind mir eine liebe Erinnerung an den Ort, in dem ih meine früheste Kindheit ver- lebte und dem jeßt als Ehrenbürger anzugehören ich als ganz be- sonderen Vorzug betrahte, Ich bitte den Magistrat und die Stadt- verordneten, meinen verbindlihsten Dank entgegennehmen zu wollen. Hochachtungsvoll ergebenst Gr. Moltke, Feldmarschall. Berlin, den 28. Oftober 1890,“

Sachsen-Coburg-Gotha.

__ Coburg, 5. November. Se. Hoheit der Herzog ist, wie „W.T. B.“ meldet, heute Vormittag aus Ober-Oesterreich hierher zurückgekehrt.

Neuf: ä. L.

-+ Greiz, 4. November. Heute Mittag sind Jhre Durchlauchten der Fürst und die Fürstin mit den Fürst- lihen Kindern nah mehrwöchigem Aufenthalt auf dem Jagdschlosse Burgk hierher zurückgekehrt.

Reuß j. L.

Gera, 4. November. Jhre Durchlauht die Erhb- prinzessin ist, der „Ger. Ztg.“ zufolge, gestern aus Pots- dam auf Schloß Osterstein eingetroffen.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 5. November. Das 19. Jn fanterie - Regi- ment „Franz Ferdinand von Desterreih“ stellt, wie „W. T. B.“ meldet, die Ehren - Compagnie zum Empfange Sr. Kaiser- lihen Hoheit des Großfürsten - Thronfolgers von Rußland. Der diesseitige russishe Botschafter Fürst Lobanow Rostowski ist dem hohen Gast bis Prerau ent- gegengereist. 4 ¿

Das „Fremdenblatt “begrüßt in einem Artikel den Groß- fürsten-Thronfolger. Das Blatt erblickt in dessen Wiener Besuch ein Zeichen des freundschaftlichen Verhältnisses beider Herrscherfamilien. Die Bevölkerung sehe hierin ein erfreulihes Symptom der Hochachtung, die dem Kaiser von Rußland von maßgebender Seite in Wien für seine Zurück- weisung der leidenschaftlihen Bestrebungen der panslavistischen Minorität gezollt werde und in der \ympa-hishen Auf- nahme des Großsürsten:Thronfolgers einen aufrichtigen Aus- druck finden werde. Der Großfürst-Thronfolger werde auch in Wien die friedlihsten Gesinnungen finden ; für das öster- reihish-ungarische klare Friedensprogramm herrsche sicherlich auh in St. Petersburg volles Verständniß. Jedes Zeugniß der freundlichen Beziehungen der Monarchen sei ein neuer Beweis des segensreihen Strebens der Herrscher, welche bei FFrieden gegen die Leidenschaften unruhiger Fraktionen e)hüßen.

Der Tiroler Landtag nahm gestern nah längerer Debatte den Antrag Schenk an, die Regierung aufzu- fordern, legislative und administrative Maßregeln zur Ein- haltung der Sonn- und Festtagsru he, sowie zur Heilig- haltung dieser Tage veranlassen zu wollen.

«zn Budapest scheint man, wie die „Presse“ {reibt, aus Anlaß der Wegtaufungs-Affaire niht ganz ohne Sorge zu sein. Wenigstens geht dies aus den Warnungen hervor, welche der „Nemzet“ der Geistlichkeit ertheilt, indem er darauf verweist, daß ein Kampf zwischen Staat und Kirche immer nur in Folge der Agitation des niederen Klerus stattgefunden hätte und daß der hohe Klerus nie und nirgends weder. im FJnteresse der Kirhe, noch im eigenen Fnteresse Grund und Anlaß gefunden hat, mit dem Staate in Konflikt zu gerathen. Fn Ungarn, wo es eigentliÞh noch nie einen Kulturkampf gegeben hat, hätten Staat und Klerus zu jeder Zeit einen modus vivendi zum Ausgleih ihrer Ansprüche gefunden. Die ungarischen Prälaten möchten bei Zeiten der Agitation des niederen Klerus zu Gunsten der Einführung der katholischen Autonomie entgegen- treten. Die bösen Folgen eines Kulturkampfes würde in erster Reihe der hohe Klerus selbst zu tragen haben.

Vorgestern trat, wie wir dem „Prag. Abdbl,“ entnehmen, in Karlowihß die serbishe Bishofs-Synode zusammen. Dieselbe hat sich mit der Besezung der vakant gewordenen Temesvarer Diözese und mit anderen laufenden Angelegen- heiten zu beschäftigen. Vor dem Beginn der vorgestrigen Er- öffnungs-Sizung richtete der Königlihe Kommissär Baron Nikolië an die im Sigßungssaal der Patriarhen-Residenz versammelten Bischöfe eine Ansprache, in welcher er die Zuversicht ausdrückte, daß die Synode ihre Auigone zum Wohle des Vaterlandes, zum Nuyen der Kirche und zur Zu- friedenheit des Monarchen glücklich lösen werde. Der Patriarch Brankovic dankte hierauf im eigenen sowie im Namen des serbishen Episkopats Sr. Majestät dem Kaiser für die Allergnädigste Kenntnißnahme des gZusammentritts der Synode und erblickte darin einen neuerlichen Beweis der väterlihen Fürsorge Sr. Majestät für das Wohl des serbischen Volkes und seiner Kirche, welches, hierfür dankbar, die angestammte Treue zum erxlauhten Herrscherhause und dem

2. Grenadier-Regiments Nr. 101 und des Schüßen-Regiments

geliebten Vaterlande stets und immerdar thatkräftigst beweisen

werde. Der Redner {loß mit einem Hoh auf den Monarchen, in welches alle Anwesenden begeistert einstimmten.

Jn Serajewo hat in den leßten Tagen die diesjährige Assen tirung stattgefunden. Zur Stellung berufen waren im Ganzen 500 junge Männer. Hievon wurden, dem „Prag. Abdbl.“ zufolge, soviel als das vor- geschriebene Kontingent erfordert, afssentirt, und zwar 16 Mohamedaner, 8Orientalisch-Orthodore, 2 Katholiken und 2 Spaniolen (Fuden spanischer Abkunft). Hierauf wurden die neuen Soldaten unter FJntervention der betreffenden Seel- sorger in Eid genommen und mit Musik ins Lager begleitet. Von den zur Stellung Berufenen hatte si, wie schon seit Jahren, kein Einziger seiner Pflicht entzogen.

Großbritannien und Jrland.

__ Die offizielle „London Gazette“ vom 4. November ver- öffentlicht das Uebereinkommen mit dem Sultan vom Sansibar, wonah das Gebiet des Sultans dem britischen Protektorat unterworfen wird.

Jn einem kurzen Leitartikel der „Times“ über die Ei n- nahme Witus wird betont, daß man wahrscheinlich nicht zu weit gehe, wenn man sage: „daß die Nationalität der Opfer. (die es zu rähen galt) die Promptheit der englischen Regierung anspornte und daß die Schnelligkeit und Voll- ständigkeit der Bestrafung ein Beweis unseres Wunsches ist, nihts ungeshehen zu lassen, was die bestehenden freundlihen Beziehungen zwishen Großbritannien. und Deutschland in Afrika befestige. Wie befriedigend diese Beziehungen seien, ergebe sich aus der Nachricht, daß ein grimmiger Angtiff auf die Karawane Stockes! im Jnnern hauptsählih durch die Bravour des Lieutenants Siegel und seiner deutschen Bedeckung zurüdgeshlagen wurde. Für unseren Theil hegen wir die Zuversicht, daß die von der britischen Regierung getroffenen promp:en Maßregeln, um die Unthat in Witu zu rächen, als ein Unterpfand angesehen werden werden, wie besorgt wir sind, jedwedes noch etwa vorhandene Miß- verständniß oder Mißtrauen, das die gemeinschaftlihen Be- mühungen der beiden Mächte in der Sache der Civilisation behindern könnte, zu bescitigen.“

Auf dem Gebiete dec innern Politik stehen jeßt die Er- gebnisse der englishen Munizipalwahlen im Vorder- grunde. Sie sind, wie die „Allg. Corr.“ schreibt, ent- schieden günstig für die Gladstonianer ausgefallen, die nach Berehnung der Gewinne und Verluste auf beiden. Seiten über 40 Siße gewonnen haben. Die konservativen Blätter sind bemüht, die Tragweite des Nesultats abzuschwächen. ereilih meint der „Standard“, daß die Ergebnisse als eine Art Leitfaden der öffentlihen Meinung anzusehen seien, aber es sei ein sehr vager und ungewisser. „Die Munizipalwahlen“, \hreibt das genannte Blatt, „spiegeln freilich die öffentliche Meinung des Landes im Allgemeinen ab, Aber genau ge- nommen, was bedeutet dies ? Welche Art öffentliher Meinung ist es, welche die Munizipalwahlen abspiegeln? Jn neun Fällen unter zehn werden sie von lokalen Rücksichten beeinflußt, und es scheint unermeßlih lächerlih, zu glauben, daß als allgemeine Regel sie eine große politishe Bedeutung haben.“ Die „Dailg News“ dagegen sagt :

„Der Sieg mag nicht so glänzend seinen, als der große Triumph vom vorigen Jahre, wo die Bilanz zu Gunsten der Liberalen einen Uebershuß von ca. 80 Sizen zeigte. Aber der jetzige Erfolg ist ein Gewinn auf Gewinn, ein immenser Zuwahs zu den bereits über- wiegenden Streitkräften des Liberalismus. Es is unmögli für Freund und Feind, die unverkennbare Bedeutung dieses Phänomens zu leugnen. Besonderes Gewicht sei auf Manchester zu legen, und der dortige Sieg bald nach dem Siege in Eccles müsse den Tories als das mene tekel ersdeinen. Man müsse sich erinnern, daß der liberalen Niederlage in den Städten bei den allgemeinen Wahlen von 1885 unmittelbar eine Anzahl Tory- Erfolge bei den Munizipalwahlen vorausging. Die Frage müsse aber entstehen, wenn sie niht {on entstanden, ob der Antrag auf eine Parlaments-Auflösung im Parlament vorgebracht werden solle. Freilih, er würde verworfen werden. Majoritäten dekretiren nit leiht ihre eigene Beseitigung, aber es ist oft für eine Opposition nöthig, sih einer Niederlage als unerläßliher Bedingung der Er- langung cines moralishen und intellektuellen Triumphes zu unter- tehen,“ D Der irische Ober-Sekcetär Balfour empfing {hon am vergangenen Sonnabend in Dublin die (gestern erwähnte) Deputation des Grundbesißzer-Vereins. Die Unter- redung dauerte eine Stunde. Die Deputation legte dem Minister die Ansichten des Erekutivausshusses des Vereins über die Bodenankaufsbill vor, deren Zweck der Verein billigt. Jedes obligatorische Element in der Vorlage und auch das. Limitum eines auf 20jähriger Pacht basirten Kaufschillings werden beansiandet. Balfour versprah eine sorgfältige Er- wägung der Ansichten Seitens der Regierung.

Der diesjährige Lord Mayors-Umzug sell, der „Köln, Ztg.“ zufolge, ungewöhnlih großartig ausfallen, ver- muthlih, weil "der Theater-Direktor Augustus Harris, der jüngst Sheriff geworden, sich an die Spige des Ausführungs8- ausschusses gestellt hat. Die Kolonien werden besonders bei den Zugwagen vertreten sein und daneben die Balaklawa- Helden, für die in leßter Zeit gesammelt worden ist.

Fraukreich.

Paris, 5, November. Jn dem gestern abgehaltenen Ministerrath unterzeihnete, wie „W. T. B.“ meldet, der Präsident Carnot einen Geseßentwurf, betreffend die Ver- proviantirung fester Pläße, wonah jede Festung mit jo viel Lebensmitteln zu verjehen ist, daß auch für den Lebens- unterhalt der Civilbevölkerung auf zwei Monate vorgesorgt ist. Der Unter - Staatssekretär Etienne wird mit der Budgetkommission eine neue finanzielle Vor- lage, betreffend Anam und Tongking, véer- einbaren. Der Ministerrath beauftragte ferner die Minister Roche und Develle, die Zollkommission zur Be- schleunigung der Arbeiten Betreffs des Generalzolltarifs aufzufordern, damit der Generalzolltarif Ende des Monats Januar durchberathen sein könne, indem der Tarif im Laufe des November 1891 in Kraft treten solle, i

Die Deputirtenkammer genehmigle in ihrer gestrigen Sißung das Budget des Handels-Ministeriums, nahm den Antrag des Pariser Deputirten Mesureur, be- treffend Bildung eines höheren Arbeitsraths, an und begann sodann die Berathung des Budgets des Auswär- tigen. Der Deputirte La Ferronnaye von der Rechten warf der Regierung vor, am 12. August 1890 mit England ein Abkommen Betreffs der afrikanischen Besitzungen een zu haben, ohne das Parlament zu Laage Das Abkommen jei in Wirksamkeit getreten und habe eine Gebietsabtretung zur Folge gehabt, Der Minister des Auswärtigen Ribot er- widerte, es hátte sich hauptsählich darum gehandelt, mit Eng-

land über die Ansprüche auf den Besi einzelner Gebiete zu

berathen; die Konvention habe ne der Genehmigung des Parlaments bedurst; es habe sich lediglich um Ab- renzung der Einflußsphäre gehandelt, was vollständig zu er Madhtvollkommenheit der Regierung gehöre, Der Deputirte La marzelle lenkte die Aufmerksamkeit der Kammer auf das english-deutshe Abkommen, Betreffs Sansibars und erklärte, daß die Frankreih gewährten Vortheile ‘im Vergleih damit ungenügend seien. Der Minister des Aeußern Ribot erwiderte, die koloniale Ausdehnung Frank- reihs sei unglückliherweise durch Rücksichten auf die innere Politik gefesselt worden. Das Abkommen mit Eng- land gestatte Frankreich, das weitere Vordringen Englands gegen den Niger zu verhindern. Ferner habe Frankreich freien Zugang zum Tschadsee erlangt, welcher der Mittel- punkt eines großen Verkehrs werden könnte. R behalte ferner sämmtliche durch die Sahara führenden Karawanenstraßen. Das französische Protektorat in Madagascar bleibe unerschüttert, die Regierung werde zur reten Zeit die Gelegenheit ergreifen, dasfelbe auszudehnen. Frank- reih habe iv der Vereinbarung mit England eine durchaus würdige Stellung behauptet und materielle Vortheile daraus gezogen, welche die Zukunft erst würdigen würde. Jndem Frankreih dem Abkommen zwishen Deutschland und England seine Zustimmung gegeben, habe es seine Stellung in Egypten befestigt. Frankreih werde seine historischen Tradi- tionen nicht verleugnen, Der DeputirteDéroulè de erwähnte des in Jtalien zirkulirenden Gerüchts, daß Frankreih Absichten auf Tripolis habe, und verlangte von der Regierung eine formelle Ecklärung, daß Frankreih in Tunis zu bleiben und nicht weiter zu gehen gedenke. Der Minister des Aeußern Ribot erwiderte, Tripolis fei eine Provinz des türkischen Reichs, und nah dem Empfange, welcher der französischen Flotte in Besika-:Bai zu Theil geworden sei, könne die Regierung niht daran denken, einen Angriff vorzubereiten, den Nichts rechtfertigen könnte, und der den Traditionen Frankreihs fern läge. Die Weiterberathung wurde sodann auf morgen vertagt. / : i Jn der Zollkommission begann heute Vormittag die allgemeine Debatte über die Zölle. Die Debatte bezog sich hauptsächlich auf den Minimaltarif, welhen mehrere Mit- glieder für überflüssig hielten, da die Kammer ihn zu jeder Zeit ändern könnte. Die Kommission wies den Antrag, die Regierung noch einmal zu hören, ab und beschloß, täglich bis zum Schluß der allgemeinen Berathung zusammen- utreten. i Wie das „Zournal des Débats“ meldet, telegraphirte der Agent Mizon dem Syndikat vom Ober-Benito, die Royal Niger-Company wolle ihm eine Reise für rein wissenshaftlihe Zwecke möglichst erleichtern, Falls er für dieselbe eine offizielle Autorisation nachsuhe. Die Erreihung der kommerziellen Ziele seiner Reise sei ihm durch das Verbot unmögli gemaht, zum Zwecke der Erneuerung der Lebensmittel und des Brennmaterials für die Expedition an Land zu gehen. Aehnliche Schwierig- keiten seien anderen Reisenden in den Jahren 1887 und 1888 bereitet worden. Mizon ist von den Verwundungen, die er an der Nigermündung bei einem Ueberfall durch die Ein- geborenen erhielt, wieder hergestellt.

Rußland und Polen.

__ Der Großsürst-Thronfolger hat gestern Nachmittag seine Reise ins Ausland angetreten. Bei seiner Abreise wurde der Czarewitsch von dem Kaiser und der Kaiserin bis zur Station Ssiverskaja begleitet. Jm Gefolge des Großfürsten- Thronfolgers befinden sich der General-Major à la suite Fürst Barjatinsky, die Stabs- Rittmeister Fürst Kotschubei und Wulkow und der Flügel-Adjutant Lieutenant Fürst Obolensky. Die „Nowoje Wremja“ sagt: Man könne dem beabsichtigten festlihen Empfange des Großfürsten-Thronfolgers in Wien nicht eine gewisse politishe Bedeutung absprehen. Die Be- rührung Wiens durch den Großfürsten-Thronfolger ändere Nichts an der gegenwärtigen Richtung der internationalen Politik, welche bereits als eine den Frieden garantirende an- erkannt sei. Es sei troßdem bezeihnend, daß ih gegen den Weg über Wien keinerlei Bedenken erhoben hätten. *

Der Gehülfe des Kommandirenden der Truppen des Warschauer Militärbezirks, General der Kavallerie Graf Mussin-Puschkin, ist zum Kommandirenden der Truppen des Odessaer Militärbezirks ernannt worden.

Der „Nowoje Wremja“ zufolge ist eine Kommission zur Prüfung des Entwurfs des neuen finländishen Geseßbuhs auf seine Konformität mit dem russischen ein- geseßt worden.

Jn Tomaszow im Gouvernement Warschau fand gestern in Gegenwart des General-Gouverneurs, Generals Gurko die feierlihe Einweihung der neu erbauten orthodoxen Kirche statt.

Ftalien,

D 1E November, an welchem Tage der Kronprinz sein 21. Lebensjahr erreiht und die Großjährigkeit erlangt, wird von der Königlichen Familie in Monza mit einem Fest begangen werden, das einen durchaus intimen Charakter tragen wird. Am 15. d. M. wird die Königliche Familie Monza verlassen, um nah Rom zurü{zukehren.

, Des Weiteren meldet man der „Pol. Corr.“, daß der Minister-Präsident Crispi am Abend des 5. November \ih

von Rom nah Mailand begiebt, wo ex mit dem König |

am 6. d. M. eine Unterredung haben wird. Nah der Zu- sammenkunft mit dem deutshen Reichskanzler, General von Caprivi wird Hr. Crispi dann nah Rom zurückehren. Am 12. d. M. begiebt sih der Minister-Präsident nah Palermo, um daselbst vor seinen Wählern die angekündigte am rede zu halten. 4

Jn Mailand schlug in einer Versammlung von Führern der dortigen radikalen Partei der Deputirte Cavalotti vor, während der Anwesenheit des Reichskanzlers von Caprivi ein Banket als Kundgebung gegen den Dreibund zu veranstalten. Die Mehrheit war jedoch, wie man dzr „Köln. Ztg.“ meldet, so verstándig, dieses Ansinnen abzulehnen. Cavalotti wollte in Folge dieser Niederlage auf seine Kandi- datur bei den Abgeordnetenwahlen verzichten, nahm jedoch auf dringendes Bitten seiner Freunde diesen Beschluß zurü.

Die Frage der Wahlbetheiligung der Katho- liken soll, der pee Ztg.“ zufolge, praktish in dem Sinne elöst werben, daß sie individuell sih an den Wahlen bethei- igen, jedoch niht als Korporation oder mit eigenen Kandi- daten auftreten werden. : :

Aus Florenz wird der „Wiener Presse“ telegraphirt : Jhre Majestät die Kaiserin von Desterreich besuchte

am 1. d. den Palazzo Vechio und besichtigte ihn auf das Eingehendste. Namentlih verweilte die Kaiserin lange im historishen Appartamento Papst Leo's X. und der Eleonore von Toledo, Da der Besu Abends stattfand, gaben zehn Fackelträger der Kaiserin das -Geleit,

Portugal.

__ Der englishe Premier Marquis von Salisbury hat, wie die „Magdb. Ztg.“ meldet, die portugiesische Denkschrift dahin beantwortet, daß England territoriale Zugeständnisse niht machen könne. Wegen der Handelsvortheile, die Portugal fordert, habe Lord Salisbury erklärt, er werde sie einem be- sonderen Aus\{huß zur Prüfung überweisen.

Schweiz.

, Der Bundesrath hat die tessinishen Delega- tionen zu der nächsten Versöhnungskonferenz auf den 13. November na Bern einberufen.

Der eidgenössische Oberst Barman und der ehemalige Freischaaren-Führer, Bundesrath und französishe General Dchsenbein sind gestorben, Der Letztere starb in seinem Geburtsort Nidau.

Die Verhandlungen der Tessiner großräthlichen Kommission, welhe Soldati's Verständigungs-AÄn- träge (Einführung eines limitirten proportionalen Wahl- systems 2c. ; \. d. gestr, Nr. d. Bl.) zu diskutiren hatte, sind, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, resultatlos geblieben. Die radikale Opposition motivirte ihre Enthaltung mit der Erklärung, Dea Be Rath sei inkompetent, über Soldati’s Anträge zu

eshließen.

Niederlande.

Jn Luxemburg eröffnete der Staats-Minister Eyschen gestern die Kammer-Session durh Verlesung der folgenden Botschaft des Herzogs Adolf von Nassau:

„Gemäß Artikel 70 der Verfassung und Artikel 1 des Kammer- Reglements sollte Ihre ordentlihe Session durch Se. Majestät den König und Großherzog in Person oder dur einen eigens dazu ernannten Bevollmächtigten in Höchstdesfelben Auftrag eröffnet werden.

Die traurigen Verhältnisse, welch? der Ausführung dieser Vor- schrift im Wege stehen, sind Ihnen bekannt. Gegen Ende September find in dem Krankheitszustande Sr. Majestät neue Verwickelungen eingetreten, und die Aerzte des Königs haben bereits am 13, Oktober die offizielle Erklärung abgegeben, daß der verehrte Fürst außer Stande ist, sich mit der Erledigung der Landetgeschäfte zu befassen. Die am 28. des\ M. in einer vereinigten Sißung zusammengetretenen nieder- ländischen Generalstaaten haben die Einseßung einer Regentschaft als unabweislihe Nothwendigkeit anerkannt.

Aus diefer Sachlage erwahsen Ihnen und Mir gar peinliche Pflichten. Ich lasse es Mir angelegen sein, denjenigen Obliegen- heiten, deren Erfüllung Mir anheimfällt, ungesäumt nachzukommen, um so mehr, als der Beginn der legislatorishen Thätigkeit dadur bedingt ist. Von dem Wunsche beseelt, im Sinne der Verfassung und der nafsauishen Hausgeseße zu handeln, erkläre Ih Meich, in Vebereinstimmung mit der Regierung und dem Gutachten des Staats- raths, berett, den dur Artikel 8 des Grundgeseßes vorgesehenen Eid zu leisten.

Die Kammer wird die ihr von der Regierung zu unterbreitenden Schriftstücke prüfen und das Weitere veranlassen wollen.

Schloß Hohenburg, 1. November 1899. dot

O

Der Alters-Präsident Dr. Wacquant verwies die Akten an die Abtheilungen und ersuchte die Regierung, deren Berathungen beizuwohnen. Darauf wurde die Sißung aufgehoben Behufs Prüfung der Mandate der neugewählten Deputirten in den Abtheilungen. Nach Wiedereröffnung der Sißung sprach die Kammer die Gültigkeit der Neuwahlen aus und wählte das Präsidium, worauf sie sich abermals in die Abtheilungen zurückzog Behufs Untersuhung der eingebrahten auf die Regentschaft bezüglichen Akten. Nach halbstündiger Berathung wurde in öffentliher Sißzung der Antrag des Vorsißenden, daß der König regierungsunfähig sei und die Regent- schaft geseßlich dem Herzog von Nassau zufalle, ein- stimmig angenommen. Die Eides leistung findet am Donnerstag statt. Die Kammer erklärte, mit Bedauern zu dieser Maßregel schreiten zu müssen dem König gegenüber, der dem Lande eine 40jährige Aera des Gedeihens und der M verschafft habe. Sodann wurde die Sißung auf- gehoben.

Das offizielle Programm für die Anwesenheit des Herzogs von Nassau lautet nach der „Frkf. Ztg.“: Mittwoch: Einzug und Begrüßung durch die obersten Staats- behörden; Donnerslag: Eidesleistung, Kammereröffnung, Abends Banket der Regierungs- und Kammermitglieder; Freitag: Empfang der Behörden; Sonnabend: Nückreise nah Königstein.

Velgien.

Da die von Belgien abgeschlossenen Handelsverträge binnen Kurzem ablaufen, so hat das Ministerium, wie man dem „Hamb. Corr.“ s{hreibt, die Bildung eines oberen Jndustrie- und Arbeitsraths zum Shuß der na- tionalen Jndustrie beschlossen. Die Wahlen für diesen Rath finden in ganz Belgien vom 10. bis 13. d. M. statt, und es ist jeder Fndustriehef, welher 20 Fr. Gewerbesteuer dem Staat zahlt, stimmberechtigt. Zum ersten Male ist für diese Wahlen auch den Ausländern und den weiblihen Fn- dustriehefs das Stimmrecht bewilligt worden.

Türkei.

Nach einem Bericht aus Konstantinopel scheint die türkishe Regierung nicht gesonnen, dem Patriarchat gegenüber weitere Nachgiebigkeit zu zeigen. Man be- trahtet in maßgebenden Kreisen Konstantinopels die Haltung des Patriarhen nicht als den Ausfluß einer religiösen An- shauung, sondern lediglich als die Folge politisher Erwä- gungen. Darauf deutet au der legte Saß der nachstehenden Aeußerung eines der höchsten türkishen Würdenträger hin, welchen der „Hamb. Corr.“ mittheilt :

Die vom ökumenischen Patriarhen getroffene Maßregel in Betreff der Schließung der orthodoxen Kirhen der Türkei wird von einem sehr wichtigen Theil der Griehen des Reiches lebhaft besprochen. Man weiß nicht, was den Patriarhen veranlaßt hat, zu einer so \{chwerwiegenden Maßregel zu greifen. Die griechische Kirche ist von der osmanishen Regierung niemals verfolgt und die Ausübung des orthodoxen Gottesdienstes ist niemals durch drückende Maßregeln be- hindert worden, wie sie oft in einigen Ländern Europas anders- gläubigen Bekenntnissen gegenüber angewandt werden, Die griechische Geistlichkeit ist stets mit großer Rücksicht behandelt, die Kirchen sind vom türkishen Volk und von der türkishen Regierung zu jeder Zeit geachtet worden, und alle anderweitigen Kundgebungen des griehis{en Kultus wie Prozessionen, Litaneien und dergleichen haben bei der Re- gierung Actung und selbst Schuß gefunden. Die Vorrechte, von denen in der leßten Zeit so viel die Nede war, sind bestätigt und näher bestimmt worden. Auch die große Mehrheit des orthodoxen Publikums kritisirt daher streng die Haltung des Patriarchen, den

man als antikanonisch betrachtet, da er nit vas Net hat, über die Kirchen des Reiches das Interdikt zu verhängen aus Gründen, die nicht auf dogmatishen Erwägungen beruhen,

Amerika,

Ueber das vorläufige Ergebniß der am Dienstag in den Vereinigten Staaten vorgenommenen Staatswahlen meldet ein „Wolff'shes Telegramm“ aus New-York, vom 4, November: Depeshen aus Süd - Carolina berihten, daß dort der demokratishe Kandivat Tillman zum Gouverneur gewählt worden is uud ebenso die ganze demokratische Liste, die bisherigen demokratischen WMit- glieder des Kongresses mit inbegriffen, Es scheint au die Annahme berechtigt, daß in den Süd-Staaten mehrsah Demokraten an Stelle bisheriger 1epublikanischer Abgeocbneten gewählt worden sind. Die Wiederwahl Gran's, des demo- kratiihen Maires von New-York, gilt als sier, und zwar mit 12000 Stimmen Mehrheit gegenüber Scott, welcher die Gesammt: Opposition gegen die Tammany-Hall-Liste repräsen- tirt. Vermuthlich ist in New-York die ganze Liste der Kandidaten von Tammany-Hall mit einer Majorität von 15—20 000 Stimmen gewählt. Jn Massachusetts haben die Demokraten Russell zum Gouverneur gewöhlt und wenigstens zwei Kongreßsize erobert; ferner gewannen fie einen Sis in New- Hampshire, zwei in Maryland, und wohrscheinlih einige im Staate New-York, in Rhode-Jsland und Virginia. Aus den westlichen Staaten find bisher erst wenig Wahlresultate eingetroffen. Die Republikaner be- haupten, die Majorität ihres in Pennsylvanien zum Gouverneur gewählten Kandidaten Delamaters betrage 30000 Stimmen.

Die Regierung von Venezuela hat die Vermittelung der Vereinigten Staaten in den Grenzstreitigkeiten mit dem britishen Guiana nachgesucht.

Brasilien. Nach einem Beriht des vatikanischen Korrespondenten der „Pol. Corr.“ wurde in der Abschieds- audienz des Erzbischofs von Bahia und Primas von Brasilien, Msgr. Macedo de Costa, welche am 30. Oktober stattfand, Ae dem Papst und diesem Kirchenfürsten die der jezigen brasilianishen Regierung gegenüber zu beobachtende Stellung des Klerus und der Katholiken besprochen. Der Papst fordert, daß die Katholiken sich auf den Boden der Freiheit der Kirche stellen, keinerlei Privilegien beanjpruchen, lediglich die Anwendung des gemeinen Rechts, dies aber mit Nachdruck, verlangen sollen. Js die republikanische Regierung bereit, diese Bahn zu betreten, so werden die katholischen Brasilianer sih vollständig den republikanischen Einrich ungen anpassen. Erzbischof Macedo de Costa wird die demnächst in Nio de Janeiro zusammentretende Constituante für eine Negelung des Verhältnisses zwishen Kirhe und Staat in diesem Sinne zu gewinnen trahten. Der Papst hat be- schlossen, dur die Errichtung von sieben neuen Diözesen die Zahl der bestehenden brasilianishen Bisthümer auf 23 zu erhöhen. Jm Laufe des nächsten Winters wird in Bahia ein nationales Konzil unter Vorsiß des Erzbischofs Macedo de Costa zusammentreten. Es verlautet mit ziem- liher Bestimmtheit, daß dieser Kirchenfürst in einem der nächsten päpstlichen Konsistorien die Kardinalswürde erhalten soll.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Reichstags-Kommission zur Berathung des Gesetz- entwurfs, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, nahm heute Vormittag um 11 Uhr ihre durch die am 2. Juli d. J. eingetretene Vertagung unterbrohenen Sitzungen unter dem Vorsiß des Grafen Ballestrem. wieder auf und seßte ihre Berathungen bei Art. V §.154 (Schlußbestimmungen) fort, Nach §. 154 Absayh 1 des bestehenden Gesetzes finden die Be- stimmungen der §8. 105—133 (Sonntagéruhbe, Arbeitsbücher, Gewerbe- hygiene, Verhältnisse der Gesellen und Gehülfen) aufGehülfen undLehrlinge in Apotheken und Handelsgesbäften keine Anwendung. Nach §. 154 Absay1 in der Novelle sollen die §§. 105—133 nur auf Gehülfen und Lehrlinge in Apotheken nicht angewendet werden, die §8. 105, 106—119, 120 a bis 133 auf Gehülfen und Lehrlinge in Handelsgeshäften nicht An- wendung finden. Nach §. 154 Absaß 2 im bestehenden Gesetze sollen dagegen §8. 134 bis 139 þ (Verbältnisse der Fabrikarbeiter) auf Ar- beitgeber und Arbeiter in Werkstätten, in deren Betrieb Dampf- kraft regelmäßig benußt wird, in Hüttenwerken, Bauböfen, Werften angewendet werden. Nach Absaß 2 der Novelle ist die An- wendung der 88, 134 bis 139 b beschränkt auf Arbeitgeber und Arbeiter in Hüttenwerken, Zimmerpläßen und anderen Bauhöfen, Werften, sowie in solchen Ziegeleien, über Tage betriebenen Brüchen und Gruben, welche nit blos vorübergehend oder in geringem Umfange betrieben wer- den. Die höhere Verwaltungsbehörde soll endgültig darüber entscheiden, ob die Anlage vorübergehend oder in geringem Umfange betrieben wird. Die Novelle hat einen neuen dritten Absah eingefügt, nach welchem §8. 135 bis 139b auf Arbeitgeber und Arbeiter in mit elementarer Kraft dauernd betriebenen Werkstätten so ange- wendet werden sollen, daß der Bundesrath für gewisse Betriebsarten gewisse Ausnahmen treffen kann. Auf andere Werkstätten können durch Kaiserlihe Verordnung mit Zu- stimmung des Bundesraths die §8. 135 bis 139b ganz oder theil- weise si erstreken mit Ausnahme von Werkstätten, in welchen der Arbeitgeber aus\{ließlich Familienangehörige beschäftigt. Absäte 3 und 4 im bestehenden Geseße und Absäße 4 und 5 in der Novelle decken sich im Wesentlichen. i : i

Zu §. 154 Absay 3 beantragt Dr Hirs, die Bestimmung, daß die 88. 135 bis 139b auf andere Werkstätten ausgedehnt werden können, zu ftreihen und die Resolution anzunehmen, den Reichskanzler zu ersuhen, dahin zu wirken, daß Seitens der verbündeten Regierungen baldmöglihst auf Grund einer umfassenden Er- hebung ein Gesetzentwurf zur Ausdehnung der Bestimmungen der 88. 135 bis 139b auf die Hausindustrie und das Hand- werk dem Reichstage vorgelegt wird. Freiherr von Stumm bé- antragt, Ausnahmen auch bezüglich des §. 137 Abs. 4 (Mittagpaufe für Frauen) zu gestatten und nicht nur bezügli der Absäße 1, 2 und 3, wie die Vorlage will. Nah einem Antrage des Abg. Hitze sollen die auf dem Verordnungswege erlassenen Bestimmungen dem Reichstage vorgelegt werden. Der Abg. Klemm (Sachsen) beantragt, daß die Besprechung und Beschluß- fassung über §. 154 ausgeseßt werde, bis sämmtliche in diesem §. 154 erwähnten Paragraphen in erster Lesung von der Kommission fest- gestellt sein würden. Dieser Antrag wird mit 10 gegen 10 Stimmen abgelehnt. Die Kommission tritt also in die Berathung und Beschlußfassung über § 154 ein. Zu längerer Diskussion giebt Absatz 3 des §. 154 im Sélußsaze Veranlassung. Regierungs- kommissar Geheimer Regierungs-Rath Königs theilt das Ergebniß der umfangreichen Erhebungen mit, welche die verbündeten Regierungen über die Räthlichkeit bezw. Thunlichkeit der Ausdehnung der in §8 135 bis 139 b vorzgeschlagenen S rungen auf die mit Motorenkraft be- triebenen Kleingewerbe haben anstellen lassen. Der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlep\ch sagt zu, dieses Material der Kommission zugehen lassen zu wollen. Der Antrag Hirsh, vom Minister Freiherrn von Berlep\ch bekämpft, wird angenömmen.

Hierauf trat in den Berathungen eine Pause ein,