1890 / 289 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Dec 1890 18:00:01 GMT) scan diff

Ventilation, die nah Koch'shem Vorschlage geregelt ist, Alles fehr reichend und gut. E C würde ein Proviforium bilden auf ungefähr 15 Jahre vielleiht auch auf länger; tedenfalls entspricht es vollkommen den Koh'shen Wünschen. Es sind 128 Betten vorge- sehen; das ist wenig, aber genügend, wenn man bedenkt, daß die Charits jeßt {on 1700 Kranke hat und daß unter diefen Kranken viele si befinden, welche oute e des Austausches für die neu zu n Nbtheilung verwenden lassen.

Ee éas@afiliche Abtheilung soll in dem mit Ihrer Zustim- mung in dem lehten Etat glaube ih _. angekauften Triangel- grundstücke, dem ehemals Köpchen'schen Grundstücke, eingerichtet werden. Dieser Triavgel, welchen Sie wohl Alle kennen, liegt an der Unter- baume- und Swumannstraße und ist gewissermassen eine Art Portier- gebäude zu dem Grundstück der Charits. Dieser Triangel ift ein sehr un- \chönes heute noh von Miethern bewohntes, aber do immer noch baubeständiges Gebäude. Es genügt den Koh’s{hen Ansprüchen voll- kommen. Mit, wenigen Abänderungen in der Substanz des Hauses ist es möglich, dieses ganze Gebäude, welches eigentli eine große Laterne darstellt, îo gestalten, daß es dasjenige Licht und diejenige Arbeitsruhe gewährt? die Koch vor Allem verlangt. Dieses Gebäude gefällt ihm besser als das schönste Gebäude, welhes ich ihm erst na längerer Frist in Berlin zurecht machen könnte. Es besteht fast nur aus Fenster (Heiterkeit), und es hat den großen Vorzug, weil die Arbeitêpläge niht groß zu fein brauchen für die einzelnen Mikroskopiker, daß ein jeder einzelne arbeiten kann. Im Allgemeinen ift die Eintdeilung so, daß in der untern Etage sih verschiedene Wobhn- und Nußzräume befinden, in der Bel - Etage die eigentlichen Räume für den Direktor und für den Dirigenten sowie für - die Praktikanten, dann eine Treppe höher die chemischen Arbeitssäle; im Da wird ein photographisches Atelier errichtet.

Die innere Organisation ist so gedacht, daß an der Spitze der Ansialt der Geheime Rath Koh stehen soll, daß unter ibm fungiren zwei Abtheilungsdirigenten, von denen der cine der Krankenabtheilung, der andere der wissenshaftlichen vorsteht, unter leßterer arbeiten 20 Praktikanten, vorgeschrittene, bakte- riologishe und chemisch durchgebildete Arbeiter; das Ganze foll so ausgestaltet werden, daß Koch, wie er es so dringend wünscht, mit lehr- amtlider und Verwaltungsthätigkeit nur, so weit er es will, be- lastet wird. :

Das Projekt war nach der Superrevision auf 337 000 6 an einmaligen Kosten veranschlagt, nach neuester Berehnung wird die Summe etwas höher kommen, vielleicht bis zu einer halben Million Mark, aber ih zweifle nicht, daß, das Haus mit Dankbarkeit den

Entschluß des Herrn Finanz-Ministers begrüßen wird, den Betrag |

aus den vorhandenen Mitteln sofort bereit zu stellen und - den .Be- darf àâls eine außerordentliche, unvermuthete Ausgabe zu behandeln, (Bravo!) N

Was nun den laufenden Etat betrifft, so wird derselbe natürlich Jhrer Beschlußfassung vorgelegt werden, und au über diesen Theil ist gestern zwischen den Kommissaren des Finanz-Ministeriums und dies\eits eine volle Verständigung erzielt worden. (Bravo!)

Die Disposition ist so, daß jet im Dezember, wenn nicht der Frost zu viele Schwierigkeiten macht, derx Boden vollkommen herge- stellt wird, daß cine Kies- und Betonschicht aufgebracht wird. Der Boden ist für tief fundamentirte Gebäude nicht günstig, weil darunter ein Fluß, ein alter Syreelauf sich befindet, aber Koch kennt den Boden ganz genau, er hat darüber eine bedeutende Arbeit abgefaßt, die jeßt wahrscheinlich aùuh \{chon dem Drud übergeben is, und welche für Bodenuntersuhungen auf Jahrzehnte hinaus witige Fingerzeige geben wird. Er hat au kein Bedenken, die Baracken, wenn ih so sagen darf, oberflächlih, auf Betonschichten zu bauen, ebenso wie {hon das Kinderhospital, welches Sie auf tem Charitégrunds#ück wohl \{on kennen gelernt haben, ohne tiefgeßende Fundamente gebant ist. Die Kontrakte sind abgeschlossen, und es ist

dabei mebr auf die Güte des Materials, als auf die Billigkeit des

Preises gesehen worden (Bravo !); es ist vor Allem darauf gesehen, daß absolut cinwandfreies, ganz trockenes Holz verwandt wird, daß

das Material, so bescheiden es is, so gut und dauerhaft sei wie

mögli. Die Zwischenzeit bis zum Beginn des Baues wird benutzt, um den speziell mit der Bauausführung betrauten Bauinspektor Böttcher nach Paris zu entsenden, damit er dort das Institut von Pasteur und äbnliche Anlagen besuht, von wo er sicherlich einzelne, beachtens8werthe Gesichtspunkte für die Errihtung der wissenschaftlichen Abtheilung mitbringen wird.

Mit diesen Projekten is nun die Sae für die Königliche Staatsregierung, wenn ich so sagen darf, als Fiskus erledigt; aber da id den Begriff einer Staatsregierung weiter fasse, auch nach der Richtung weiterer Anregung und weiterer Ausgestaltung großer Ideen, so möchte ih doch noch Einiges kurz anfügen. Es betrifft Veranstaltungen, die jeßt zwar außerhalb des fiskaliswen Gebiets, aber nit ohne Mitwirkung der Staatsregierung, im Gange sind.

Die erste betrifft das Vorgehen der Stadt Berlin. Die Stadtgemeinde Berlin hat, wie Sie aus den öffentliwen Vlättern wissen, vor einiger Zeit den Bes{luß gefaßt, wonach in einem S(reiben an mi vor einigen Tagen angeboten ist, sie wolle, bis das Staatsinstitut für Infektionskrankbeiten hergestellt ift, dem Geheimen Rath Koh im Barackenlazareth zu Moabit drei Baracken zur Verfügung stellen mit 150 Betten mit freier Auswahl der Kranken aus dem gesammten Krankenstande, wenn er bereit sei, diese Abtbeilung zu übernehmen. Darauf habe ih geantwortet nah dem Vorslage des Hrn. Koch, er möhte das Anerbieten sehr gern an- nehmen, aber nicht in der gebrachten Form. Denn, wenn das Staatsinstitut im April fertig werden wird, was man wobl mit Sicherheit annehmen kann, dann kann er in der Zwischenzeit die im Staateinstitut vorzunehmenden Arbeiten niht mehr in einem Provisorium beginnen, außerdem hat er so viele Aufgaben auf dem Gebiet der Tuberkulose noch zu lösen, daß er sich mit wei- teren Infektionskrankheiten in ter nächsten Zeit anhaltend nit be- schäftigen kann. Er hat der Stadt vorgeslagen, sie mötte diese 150 Betten für arme Tuberkelkranke frei zur Verfügung ftellen. (Bravo!) Er hat si verpflichtet, das Injektionêmittel kostenfrei zu liefern (bravo!) und wenn die Stadt es wünscht, auch die Behand- lung der Acrzte kostenfrei zu stellen. (Bravo !)

Auf dieser Basis ift ein vorläufiges Abkommen zwischen Koch und dem städtishen Vertreter getroffen, und jeßt in diesem Augen- blick wird es definitiv ges{lossen werden draußen im Barackenlazareth zwishen dem Abgesandten des Magistrats, Dr, Straßmann, und dem

Geheimen Rath Koh unter meiner Zustimmung dahin} daß die Stadt die 3 Baracken mit 150 Betten wie bisher administrativ und® au unter gewöhnlicher Krankenbehandlung dur eigene Kräfte leiten und verwalten läßt, daß Koh aber die Auswahl der Kranken aus dem gesammten Krankenmaterial hat und daß Koh den Professor Ehrlich einseßen darf, um unter sei::2er Oberleitung die wissens{haft- liche Behandlung der Kranken zu dirigiren. Und diese 160 Betten, meine Herren, sollen kostenfrei den Armen der Stadt zur Verfügung gestellt werden. (Bravo !).

“Auch auf dem Gebiete der Privatwohlthätigkeit und i halte mich verpflichtet, gegenüber Aeußerungen, die ih in der Presse leider gelesen habe, darauf zurückzukommen is man niht etwa müßig, gewesen. Von den kleineren Versuchen abgesehen, kann ih ver- fichern, daß mir {hon am 17. November Koch einen Brief gezeigt hat, worin ein hiesiger Herr ihm ganz frei eine Million Mark ge- geben hat zur Herstellung eines Krankenhauses für arme Phthisiker unter Kochs Leitung. So wie das Anerbieten gestellt war, war es nicht annehmbar, denn Koch kann die Leitung nicht übernehmen. Aber die Sache war fo überaus \chlicht, klar und einfach, daß ih Koch dringend gerathen habe, vertrauensvoll seine Vorschläge zu machen, Diese Vorschläge sind nun von dem Herrn acceptirt worden. Es foll ungefähr in derselben Weise, wie der Staat beabsichtigt, die Krankenbaracken zu errichten, in der Nähe von Berlin “eine Anstalt errihtet werden zunächst für 50 bis 60 arme Kranke, wo dieselben kostenfrei mit dem Koch'shen Mittel, welhes gleichfalls kostenfrei hergegeben werden wird, behandelt werden können. Dieser Plan kostet über cine Million, \{on die Anlagen kosten mehr als eine Million, und das Grundstück wird außerdem noch geschenkt.

Aber che dieses Projekt ins Leben treten kann, ist nach dem Vor- {lage Koch's in Ausficht genommen worden, ein Interimistikum cin- zuseßen. Es wird wahrscheinli in der Nähe des Zoologischen Gartens sofort ein Lokal gemicthet werden, wo zunächst 30 Kranke auf Kosten des Geschenkgebers kostenfrei verpflegt werden können. Auch hier will Koh umsonst das Mittel liefern und Dr. Cornet will kostenfrei die Behandlung dieser Kranken übernehmen. (Bravo !)

Ich schließe ab, meine Herren, indem ih noch darauf hinweise, daß in den Verhardlungen mit Koh die Stadt auh auf Errichtung eines neuen Krankenhauses in einem großartigen Sana- torium zurückgekommen ist, und daß auch diese Sache in Behand- lung genommen werden wird, sobald die vorläufig mehr drängende Einrichtung in Moabit ihren Abshluß gefunden haben wird.

Ic gebe Ihnen hiermit zwei {chöne. Bilder der kommunalen und * der privaten Wobhlthätigleit und knüpfe daran die Hoff- nung und die Erwartung, daß nah dem Vorgange von Berlin au andere Gemeinden in derselben hochherzigen Weise im Interesse ihrer leidenden Bürger eintreten werden {Bravo !), und daß die Privatthätigkeit nichts Schöncres thun kann, als wenn fle mit ihrem Ueberschuß unserer leidenden Gesellshaft und diese leidet zum Theil dur die ganze Entwickelung unseres Kulturlebens ent- gegenkommen wird. Ich darf daran erinnern, daß, wie mir Koch ver- sichert, von Rechts wegen 1/7 der Menschheit an Tuberkulose stirbt, und daß wir Alle oft noch keine Ahnung von der ungeheuren Aus- dehnung haben, welche sie in der ganzen Entwickelung unseres Volkes einnimmt. Es thut also die Wohlthätigkeit, wenn sie fich der Lungen-

leidenden annimmt, etwas, was die Geber selbst gewissermaßen {üt |

Es gewährt diese Betrachtung, meine Herren, neue Ausblicke auf die Thätigkeit der Berufsgenossenschaften und aller derjenigen Ver-

bände, welhe dur die moderne Sozialgeseßgebung berufen worden | man vielleicht zweifelhaft sein könnte, ob man Hand an ein Werk

find, im Interesse ihrer noihleidenden Mitglieder zu forgen, Meine Herren, ich bin am Schlusse. Jh habe versucht, so ruhig, so objektiv und so nüchtern als möglih die eins{lagenden Fragen,

} welhe zum Theil einen turbulenten Charakter angenommen haben, zu

behandeln; ih hoffe, Sie werden aus meinen Darlegungen ersehen, daß es keinen Zeitpunkt gegeben hat, in dem nicht die Staatsregierung

versu&t hat, diejenigen Bahnen inne zu halten, welch{e es |

möglih machen, das Kowh'sce Mittel zum Segen der Menschheit zu verwerthen und in der vorsihtigsten Weise die Angelegenheiten zu leiten. Es ift ibr nit ganz gelungen; die Verhältnisse sind stärker gewesen als ihr Wille und ihr Einfluß. Jch kann aber mit dem Bee kenntniß \{licßen: ic betrachte als den s{önsten Augenblick, den ih in diesem Hohen Hause verlebt habe, den jetzigen, und ih kann ver- sichern, daß, wenn ich aus meinem Amt scheide, es kaum eine glüd- lihere Erinnerung für mich geben wird, als das Glüdck gehabt zu haben, cinem Mann wie Koch die Wege zu ebnen. Seine Forscher- kraft und seine Wahrheitsliebe wird nur erreiht von feiner Uneigen- nützigkeit und seiner Liebe zur Menschheit, und ih glaube, unser Vater- land kann glücklich sein, einen folchen Sohn sein eigen zu nennèn. (Lebhaftes Bravo und Beifalléklatschen.)

Damit ift die Interpellation erledigt.

Es folgt die erste Berathung der Landgemeindeordnung für die sieben östlihen Provinzen.

Minister des Innern Herrfurt h:

Schon vor länger als zwanzig Jahren, bei der Einbringung des ersten Entwurfs einer Kreisordnung für die östlihen Pro- vinzen, bat die Königliche Staatsregierung in der Begründung desf\elben mit Allerhöchster Genehmigung erklärt, sie werde nah dem Abs{chluß dieser Kreisordnung eine Landgemeindeordnung für diese Landes- theile folgen lassen. Die Landgemeindeordnung solle eine Kodifikation der in vershiedenen Geseßen und Verordnungen zerstreuten Bestim- mungen, eine zeitgemäße Fortbildung der wichtigsten Gemeindeeinrih- tungen und vor Allem cine, den maßgebenden Jnteressen entsprechende Lösung der Frage der kommunalen Gestaltung der Gutsbezirke ent- halten.

Auch in späterer Zeit ist das hiermit amtlich konstatirte Bedürfniß einer Reform unseres ländlichen Gemeinde- verfassungsre{ts sowohl voa den Vertretern der verschiedenen Parteien wiederholt hervorgehoben als auch von der Königlichen Staats- regierung wiederholt anerkannt worden. Diesen Bedürfnissen Abhülfe zu verschaffen, jenes Versprechen einzulösen, ist der Ihnen vorgelegte Entwurf einer Landgemeindeordnung für die sieben östlihen Provinzen der Monarchie bestimmt. /

Dieser Entwurf ist das Ergebniß. mühevoller und zeitraubender Erhebungen, welche auf meine Veranlafsung in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben. Diese Erhebungen, über deren Umfang und Bedeutung ih bereits zweimal von dieser Stelle habe Andeutungen geben können, waren nothwendig, weil aus dem leßten Jahrzehnt die- jenigen Unterlagen, auf welchen eine Landgemeindeordnung aufgebaut

/

werden muß, theils überhaupt nit, theils nur in ungénügender Vollständigkeit vorhanden waren.

Aber die Vorgeschichte der Landgemeinden is eine viel längere; sie greift zurück bis zu dem Anfang diefes Jahrhunderts; das letzte Jahrzehnt desselben soll vollenden, was in dem erften {hon angebahnt und erstrebt wurde. Jeßt, nahdem die Reform der Geseßz- gebung auf dem Gebiete der allgemeinen Landesverwaltung, der Kreis- und Provinzialverwaltung zum Abschluß gelangt ift, erachtet die Staatsregierung den Zeitpunkt für gekommen, um Hand an da3 Werk der Landgemeindeordnung zu legen. Man hat nun der Staats- regierung und niht minder der Landesvertretung, welche der ersteren auf dem von ihr eingeschlagenen Wege gefolgt ist, den Vorwurf ge- macht, sie hätten das Werk am verkehrten Ende angefangen, sie hätten den falshen Weg einges{hlagenz; denn man dürfe bei einem Neubau nit mit den mittleren und oberen Stockwerken beginnen und das andere erst später cinfügen wollen. Diese Auffassung ist un- zutreffend, der Vorwurf unbegründet. Es handelt sih hier niht um einen Neubau, sondern um einen Ausbau; es kommt nur darauf an, stôörende Einbauten zu beseitigen, Lit und Lust in die Räume hineinzubringen und sie wohnlih auszugestalten, und da kann und soll man da beginnen, wo das Bedürfniß am dringendsten isi; da kann man den Ausbau des oberen und mittleren Stockwerks dem des unteren nahfolgen lassen.

Nun ift neuerdings, freilich nur von vereinzelten Stimmen und in Widerspruch mit den Kundgebungen fast aller Parteien, au) das Bedürfniß eines solhen Ausbaues in Abrede zu stellen versuht worden ; allein die von mir erwähnten Erhebungen haben durch die überzeugende Kraft der Thatsachen demselben eine neue Bestätigung gegeben,

Das Bedürfniß ist ein dreifaches: das Bedürfniß einer Kodi- fikation der zur Zeit geltenden Bestimmungen des ländlichen Gemeindeverfassungsrechts, das Bedürfniß einer Ergänzung und vor Allem das Bedürfniß einer Abänderung derselben.

Auf das Bedürfniß der Kodifikation lege ih nur ein geringeres Gewicht, obwohl die Vortheile desfelben keineswegs zu unters{häßen sind. Wenn, wie dies bei unserem ländlihen Gemeindeverfassungs- rechte der Fall iït, die maßgebenden Bestimmungen in einer großen Reihe von Gesetzesverordnungen und Ministerialreskripten zerstreut sind, wenn sie zum Theil nur subsidiäre Geltung haben, wenn sie durch Ortsobservanzen und Ortsstatute durchlöchert und verändert werden, so ist eine klare und übersichtlihe Zusammenstellung derselben niht nur für die Verwaltunesbehörden und WVerwaltungsgerichte, sondern auch nit minder für die Gemeinden und ihre Angehörigen von einem hohen Werth. :

Viel erheblicher ist {hon das Bedürfniß ciner Ergänzung dieser Vorschriften, welche sich als unvollständig und für eine erspricß- lihe Verwaltung der Gemeinden unzureichend er(,eben habea. Für eine Reihe von Materien, für den Erwerb und Verlust des Gemeinde- rechts, für die Abgrenzung der Befugnisse des Gemeindevorstehers, der Gemeindeversammlung und Gemeindevertretung, vor Allem für die Aufbringung und Vertheilung, Ausschreibung und Beitreibung der Gemeindeabgaben fehlen oft die unentbehrlichsten Bestimmungen.

Man entgegnet wohl, dieses Bedürfniß könne nicht ein fo drin- gendes sein; denn, um mit dem Herrn Abgeordneten von Meyer zu reden: Es geht auch so. Nein, meine Herren, es geht eben nit, sondern es bleibt stehen; die befruhtenden Wässer eines regen kommunalen Lebens \tagniren in den Landgemeinden des Ostens und sind in Gefahr zu versumpfen.

Nun will ih aber zugeben, daß, wenn nur das Bedürfniß einer Ergänzung oder einer Kodifikation des bestehenden Rechtes vorläge,

legen follte, welches so große Schwierigkeiten bietet, Allein zu diesem Bedürfniß der Ergänzung und der Kodifikation tritt noch das Be- dürfniß einer durchgreifenden Aenderung wichtiger Bestim- mungen dieses ländlihen Gemeindeverfassung8rechts. Diefes Bedürfniß wird bedingt dur die Enlwickelung der sozialen and wirthschaftlichen Verhältnisse, es wird begründet namentlih dur die Aufgaben, welche auf dem Gebiete des öffentlihen Rechts den Gemeinden gestellt worden sind und künftig in immer größerem Umfange gestellt werden müssen,

Allerdings und ich möchte hier zunähst den einen Punkt berausgreifen, welhec innerhalb und außerhalb dieses Hauses voraus- sichtlich zu den cingehendsten Debatten führen wird: die Frage der kommunalen Gestaltung der Gutsbezirke, allerdings sage ih: es liegt nah der Auffassung der Königlichen Staatsregierung ein Bedürfniß zu ciner so radikalen Aenderung nicht vor, wie dieselbe von einer Seite mit der Forderung verlangt wird: fort mit allen Gutsbezirken! Was an Gutsbezirken besteht, ist werth, daß es zu Grunde geht.

Als ih vor ¿wei Jahren zum ersten Male von dieser Stelle aus über die Vorbereitungen zu einer Landgemeind:ordnung Mittheilung machen konnte, habe ich meine persönlihe Ansicht bereits dahin aus- gesprochen, daß eine solche vollständige Beseitigung der Gutsbezirke niht im öffentlihen Interesse, niht nothwendig und niht nüblich fei, daß eine solhe Maßnahme mit den s{wersten Be- denken in sozialer, wirthschaftlicher und politisher Beziehung verbunden sei, daß eine derartige Vereinigung von sämmtlichen Gutsbezirken mit Landgemeinden eine Zwangskopulation enthalten würde, welche zu Tausenden und Abertauseuden unerquicklicher Ehen führen müßte, in welchen kein Theil etwas sehnliher wünsche, als baldigste Scheidung. Meine Hecren, die inzwischen stattgehabten Erhebungen haben ein Nesultat ergeben, welches mich einen Schritt weiter gehen läßt. Ich kann jeyt sagen: Die Beseitigung des Rehtsinstituts der Gutsbezirke, die Beseitigung der Mehrzahl der be- stehenden Gutsbezirke is nicht nur im öffentlichen Interesse nicht nöthig und nit nüßlich, ja sie ist überhaupt nicht einmal aus- führbar. Man fagt, es ginge wohl, wenn man nur wolle. Denn where is a will, there is a way. Meine Herren, die Thatsachen sind stärker als die Theorien. Es ginge wohl, sagen Sie, aber es geht nicht. Diejenigen Gutsbezirke, welhe auf der Cinheit des Besißes beruhen, nach ihrer Lage gesonderte kommunale Interessen haben, nah ihrem Ertrage und ihrem Umfange leistungsfähig sind, haben bisher die ihnen auf dem Gebiete des öffentlihen Rechts gestellten Aufgaben vollständig und genau in derselben Weise erfüllt, wie leistungsfähige Landgemeinden. Sie bieten in der Haftbarkeit ihrer Besißer für die Aufbringung der zu öffentlichen Zwecken erforderlichen Ausgaben ,

___ k (SWluß in der Zwoeiten Beilage.) f

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

„M2 289,

(Schluß der Rede des Staats-Ministers von Goßler aus der Ersten Beilage.)

sie bieten durch Intelligenz und Gemeinsinn dieser Besißer die vollausreihende Garantie, daß das auch in der Zukunft der Fall sein werde. Solche Gutsbezirke in Gemeinden umzuwandeln, heißt Scheingebilde \{chaffen; sie mit Landgemeinden zu vereinigen, würde häufig zu Mißbildungen führen, die s{limmer sind, als diejenigen, welche jeßt beseitigt werden.

Solche Gutsbezirke auf dem in der Landgemeindeordnung vom 11, März 1850 vorgeschlagenen Wege zu beseitigen, ist niht ausführbar. Dieser Weg würde da niht zum Ziele führea, ohne eine \{chwere Schädigung, nicht nur der Interessen der Betheiligten, sondern auch der Interessen des Staates. (Sehr rihtig) Aber, meine Herren, aus dieser Unmöglichkeit einer Beseitigung aller Gutsbezirke, aus der Nothwendigkeit der Aufrehterhaltung des Rechtsinstituts der Guts- bezirke folgt nun keineswegs, daß auch ein jeder einzelne Bezirk ein noli me tangere sei, Im Gegentheil, dicjenigen Gutsbezirke, denen eins der von mir bezeichneten Kriterien: die Leistungs- fähigkeit, die Einheit des Besiyzes, die Sonderung der kom- munalen Interessen fehlt, haben ihre innere Existenzberechti- gung verloren ; ihre Beseitigung ist angezeigt und auch wünschenswerth. Die Zahl solcher Gutsbezirke ist keineswegs gering, das haben die Erhebungen ergeben, deren Resultate Ste in der Anlage B der Be- gründung aufgeführt finden. Ich werde mir gestatten, Jhnen die Hauptresultate dieser Ziffern, nach Hunderten abgerundet, kurz vor- zuführen.

Was zunächst die Frage der Leistungsfähigkeit anlangt, so baben von den 15 600 Gutsbezirken in den östlihen Provinzen über 600 einen Umfang von weniger als 75 Hektaren, über 800 zwischen 75 und 125 Hektaren, nahe an 2000 zwar einen etwas größeren Um- fang, aber einen so geringen Ertrag, daß die von ihnen zu entrihtende Grund- und Gebäudesteuer cinen Jahresbetrag von 225 M, die Minimalgrenze der Großgrundbesitzer nah den Vorschriften der Kreis- ordnung, nicht erreiht. Nun will ich keineswegs behaupten, daß alle diese 3400 Gutsbezirke leistungsfähig seien. Eine Besißung von 100 Hektaren guten Rüben- oder Weizenbodens kann niht nur relativ viel prästationsfähiger sein, als ein Gutsbezirk von 6 bis 8 fahem Um- fang, der aus fliegendem Sand und magerem Kieferboden besteht, sondern er kann au absolut präfstationsfähiger sein für die Aufgaben, welche auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes ihm gestellt sind. Daß aber unter diesen kleinen und kleinsten Gutsbezirken sih eine große Reihe von Zwerg- und Mißbildungen findet, deren Prästationsfähig- keit absolut in Abrede zu stellen ist, wird wohl nicht bestritten werden können.

Für diejenigen Gutsbezirke, denen die Cinheit der Besitzer abhanden gekommen ist, bin ih ganz bestimmte Ziffern anzugeben niht in der Lagez denn diese Forderung darf nicht im strengsten Wortsinn aufgefaßt werden. Die Grenzen sind hier flüssig, Wenn in einem großen Gutsbezirke auch einmal eine einzelne Mühle, Schänke oder Schmiede in den Privatbesiß des Müllers, Schänkwirths oder Schmicdes gekommen ist, so hat damit dieser Bezirk das Kriterium der Einheit des Besißers noch nicht verloren, es sind damit inê- besondere die Vorbedingungen für die Bildung einer Gemeinde noch nit gegeben. Aber, meine Herren, wenn mehr als 1300 Gutsbezirke vorhanden sind, deren Einwohnerzahl 300 übersteigt, wenn mehr als 1500 Gutsbezirke vorhanden sind, welche vollständige Kolonien haben, so werden Sie nicht in Abrede stellen können, daß bei einer großen Zahl derselben jenes Kriterium der Einheit des Besitzes verloren gegangen ist, daß ihre Umwandlung in Landgemeinden, die Abtrennung der Kolonien und die Vereinigung mit Landgemeinden angezeigt und erwünscht ist.

Noch weit größer ist die Zahl derjenigen Gutsbezirke, welhe im Gemenge mit Landgemeinden liegen. Es ist das bei beinahe dem dritten Theil der Gesammtzahl, bei nahezu 5000 der Fall. Auch hier liegt keineswegs überall, ja nicht einmal in der Mehrzahl der Fälle eine vollständige Gleichartigkeit und Identität der fommunalen nteressen vor. Aber es if doch die Zahl der Fälle nit gering, bei denen ein solches wirthschaftlihes Durheinander besteht, daß eine Sonderung der kommunalen Interessen nicht. möglich ift, daß keine

andere Abhülfe zu hafen is, als durch die vollständige Ver-

einigung dieser im Gemenge liegenden Gutsbezirke und Gemeinden.

Achnlih liegen die Verhältnisse bei den Landgemeinden. Unter den 24 400 Landgemeinden in den östlichen Provinzen haben über 1500 weniger als 50 Einwohner, über 3000 zwischen 50 und 100, noch etwas mehr, nahezu 3200 zwischen 100 und 150 Einwohner. Auch hier muß wiederum gesagt werden: nicht alle diese 7800 Land- gemeinden sind leistungsunfähig. Eine Landgemeinde mit etwa sechs bis aht Bauernhöfen, mit einer Anzahl von Kossäthen und Tagelöhnern kann viel prästationsfähiger sein als eine Gemeinde mit sechs- bis achtfacher Seelenzahl, deren Einwohner einer fluktuirenden Fabrikarbeiter bevölke- rung angehören. Aber daß auch eine große Anzahl dieser Gemeinden absolut niht mehr lebensfähig, absolut ungeeignet ist, den ihnen auf dem Gebiete des öffentlihen Rechts gestellten Aufgaben zu genügen, das, glaube ih, bedarf keines Beweises.

Außer den mit Gutsbezirken im Gemenge liegenden Gemeinden sind ferner noch über 1300 Landgemeinden vorhanden, welche mit anderen Land- und Stadtgemeinden im Gemenge liegen, und von diesen gilt dasselbe, was ih vorhin bezüglih der Gutsbezirke ausge- führt habe.

Nun, meine Herren, bevor zur Beseitigung dieser Zwerg- und Mißbildungen die Klinke der Geseßzgebung in die Hand genommen werden konnte, habe ih mih für verpflichtet erahtet, die Frage einer eingehenden Erörterung zu unterziehen, ob und inwieweit mit Hülfe der zur Zeit in Geltung stehenden Geseßgebung es mögli sein würde, diesen Mißständen Abhülfe zu shaffen. Als ih im Februar dieses Jahres hierüber nähere Andeutungen mate, ift dies irriger Weise ausgelegt worden, als ob es ein Aufgeben oder Sistiren der Vorbereitungen für eine Landgemeindeordnung bedeute. Daß diese

Berlin, Montag, den 1. Dezember

Auffassung irrig war, dafür haben Sie den Beweis jeßt in der Hand. Aber, meine Herren, die auf diese Weise erzielten Resultate sind auch leineswegs zu untershäßen. Da, wo eine umsihtige und energische Snitiative der Kreis- und Bezirksbehörden dem richtigen Verständniß der eigenen Interessen Seitens der Betheiligten begegnet ist, da sind folhe erfreulihe Ergebnisse erzielt worden. Im Laufe der leßten beiden Jahre, namentlich seit dem Erlaß meiner Cirkularverfügung vom 23. Oktober vorigen Jahres sind über 250 leistungsunfähige Gutsbezirke und Landgemeinden unter Zustimmung der Betheiligten mit anderen Gemeinden vereinigt worden. Bei mehr als fünfzig sind die Verhandlungen dem Abschluß nahe. Meine Herren, diese Zahl ift nit zu untershäyzen, sie ist doppelt so groß als diejenigen Bezirl's- veränderungen gleiher Art, welche in den leßten zwanzig Fahren vorher erzielt worden sind.

Immerhin hat \sih ergeben, daß allerdings die bestehenden Bor- schriften niht genügen, um Abhülfe zu schaffen gegen Eigensinn, gegen Eigennuhz und gegen jene vis inertiae, deren Motto: „Es geht auch fo“ ich vorhin zitirt habe. (Heiterkeit) Der Grund davon liegt in der maßgebenden Bestimmung des §, 1 des Geseßes vom 14. April 1856, Hier ist bestimmt, daß nur Theile von Gutsbezirken und Ge- meinden, nit aber volle Landgemeinden und Gutsbezirke, gegen den Widerspruh der Betheiligten miteinander vereinigt werden können. Die Zustimmung derselben ist die Vorbedingung jeder derartigen Ver- einigung der Bezirke,

Meine Herren, hier muß Abhülfe geschaffen werden, das wird fo allgemein anerkannt, daß selbst diejenigen, welche sonst nichts von einer Landgemeindeordnung wissen wollen, erklären: diese Bestimmung kann und darf nit länger bestehen, hier muß ein anderweites Gese gegeben werden. Diese Bestimmung wird nun abzeändert iín dem 8. 2 des vorliegenden Entwurfs. Darin wird bestimmt, daß niht nur bei Theilen von Gemeinde- und Gutsbezirken, sondern auch bei ganzen Landgemeinden und Gutsöbezirken die Vereinigung verfügt werden fann auch gegen den Widerspruch Betheiligter, sofern ein öffentliches Interesse es erfordert. Während bisher in jedem solchen Falle, wo es sich um zwangsweise Bereinigungen von Theilen dec Gutsbezirke handelt, die Königlihe Genehmigung erfor- derlih war, soll hierüber in Zukunft der Kreisausschuß Beshluß fassen. Wo dagegen die Vereinigung ganzer Landgemeinden und Guts- bezirke, die Umbildung von Landgemeinden und Gutsbezirken in Frage fommt, also die Auflösung und Neubildung von Korpo- rationen, da ist landesherrlihe Genehmigung vorgeschen, welhe eingestellt werden soll nach Anhörung der Betheiligten und nah gutahtliher Anhörung des Kreisausschusses.

Aber, meine Herren, es genügt nicht, daß solche geseßlihen Vor- schriften, welhe es ermöglichen, die Beseitigung von Zwerg- nnd Miß- bildungen herbeizuführen, erlassen werden, sie müssen auchzur Anwendung kommen, und dafür bietet der §. 143 der Aus- führungsbestimmungen eine Gewähr.

In diesen Ausführungsbestimmungen ist vorgesehen worden, daß \{chon vor dem Inkrafttreten des Gesehes eine amtliche Prü- fung nah der Nichtung hin stattfinden foll, daß diejenigen Bezirks- veränderungen, welhe im öffentlichen Interesse noth- wendigund sofort ausführbar sind, auch fofort zur Aus- führung gebraht werden. Hferbei ist insbesondere Bedacht zu nehmen auf die Beseitigung leistungsunfähiger Gutsbezirke oder im Gemenge liegender Gutsbezirke und Gemeinden und derjenigen Gutsbezirke, denen das Kriterium der Einheit des Besißes abhanden gekommen ift. Denn es heißt ausdrücklich in dem Paragraphen:

„Insbesondere kommt hierbei in Betracht die Vereinigung der- jenigen Gemeinden und Gutsbezirke, welhe bei Aufrechterhaltung ihrer Selbständigkeit ihre kommunalen Verpflichtungen ‘nicht voll- ständig zu erfüllen vermögen, mit benahbarten Gemeinden, ferner die Zusammenlegung solcher Gemeinden und Gutsbezirke, deren Gehöfte und Feldmarken mit einander derart im Gemenge liegen, daß eine Sonderung der beiderseitigen kommunalen Interessen niht mehr möglich ift, sowie die Umwandlung von zersplitterten Guts- bezirken und von den in Gutsbezirken stehenden Kolonien in Land- gemeinden,“

Diese Prüfung soll besorgt werden durch den Kreisausschuß, welcher die Betheiligten zu hören hat. Soweit es \sich um Ver- änderungen handelt, welche sich nur auf Theile von Gutsbezirken und Gemeinden erstrecken, soll der Kreisaus\{chuß sofort seinerseits die Ver- änderung vornehmen. Soweit die Vereinigung ganzer Gemeinden und Gutsbezirke oder die Umwandlung von Gutsbezirken in Gemeinden in Betracht kommt, foll der Kreisaus\chuß die Verhandlungen dem Bezirksaus\chuß vorlegen, welcher für jeden Kreis den demnächst der

landesherrlihen Genehmigung zu unterbreitenden Plan aufzustellen hat. | Meine Herren, es haben nun auGErmittelungen darüber stattgefunden, |

in wieviel Fällen voraussichtlich eine derartige Bezirksveränderung,

bei der ganze Gemeinden und Gutsbezirke betheiligt find, im öffentlihen | Interesse nothwendig und sofort ausführbar erscheint. Die Grgebnifse | Danahch wird ohne j besondere Schwierigkeiten die im öffentlihen Interesse erforderli®e | Vereinigung von ungefähr 1000 leistungsunfähigen Gutsbezirken | anderen Land- |

derselben sind in der Anlage B enthalten.

und 2400 leistungsunfähigen Gemeinden mit gemeinden, ferner die Vereinigung von über 500 Gutsbezirken,

welche mit Landgemeinden, und von über 500 Landgemeinden, |

wel%e mit Städten im Gemenge liegen, vorgenommen werden können. Endli wird bei etwa 140 Gutsbezirken die Umwandlung in Landgemeinden im öffentlihen Interesse erforderliG und ohne Schwierigkeiten für ausführbar gehalten.

Meine Herren, ih bemerke von vorn herein: für die Nichtigkeit dieser Zahlen kann ih nicht einstehen, niht etwa deshalb, weil irrtbümli6 unri{htige Zahlen aus Versehen untergelaufen wären, es ist [eider in Anlage V Spalte 10 bei einigen wenigen Zahlen ge- sehen, deren Berichtigung ih mir für später vorbehalte, nein, ih kann für die Richtigkeit dieser Zablen aus dem Grunde nit einstehen, weil es überbaupt nicht gezählte Zahlen, sondern geschäßte Zablen sind, sie beruhen auf dem Urtheile der Landräthe, Regierungs -

1890.

Präsidenten und Ober-Präsideuten darüber, was im öffentlihen In- teresse erforderlih und was ohne Schwierigkeiten ausführbar ist, Jmmer- bin, glaube ich, werden diese Zahlen einen zutreffenden Anhalt bieten können, schon aus dem Grunde, weil nah dem Geseh der großen Zahlen die Fehlerquellen sich zu kompensiren pflegen. Sollte dies aber nicht ganz zutreffend sein, so glaube ih nah einzelnen Wahrnehmungen, die ih gemacht habe, mich zur Annahme hinneigen zu sollen, daß diese Zahlen cher zu, niedrig als zu hoch sind, (Abg, Nidkert: Sehr richtig !) Fedenfalls, meine Herren, das ift ganz zweifellos, wird durch eine solche erste amtlihe Prüfung keineswegs die Gesammtzahl der leistungsfähigen Landgemeinden und Gutsbezirke beseitigt werden können; namentli aber wird bei den im Gemenge liegenden Landgemeinde und Gutsbezirken eine große Zahl, voraussihtlich die Mehrzahl, vorhanden sein, bei denen die Verhältnisse sich so gestalten, daß zwar hinsihtlih einer einzel- nen lfommunalen Aufgabe nit nur eine Gleichartigkeit, sondern eine volle Identität der Interessen vorliegt, daß aber diese Gleich-

* artigkeit bei den übrigen kommunalen Aufgaben nicht vorhanden ift

daß im Uebrigen die Interessen disparater Natur find, mit einander im Widerspruch stehen, Hier foll Abhülfe geschaffen werden durch die Vorschriften, welhe im Titel 1V über die Herstellung na chbar- liher Verbände aus mehreren Gutsbezirken und Land- gemeinden zum Zweck gemeinsamer Grfüllung kommu- naler Aufgaben gegeben worden sind.

Füc die Bildung dieser Verbände sind die gleihen Grundfäge maßgebend, wie für die zur vollstänvigen kommunalen Bereinigung von Gutsbezirken und Gemeinden.

Die Verbände sollen die Nechte von Korporationen erhalten; fie sollen deshalb nur gebildet werden können mit Allerhöhstec Genehmi- guyg nach zuvoriger Anhörung der Betheiligten und nach Prüfung des Bedürfnisses durch den Kreisausschuß, Für diese Verbände soll über die Frage, in welcher Weise die gemeinsamen Angelegenheiten wahrzunehmen siad, ein Statut aufgestellt werden, welches der Kreisaus\chuß zu bestätigen und, sofern eine Vereinbarung nit erzielt wird, seinerseits festzuseßen hat. Die zu gemeinsamen Zwecken erforder- lihen Ausgaben sollen in gleiher Weise wie die übrigen Gemeinde- abgaben aufgebracht werden.

Meine Herren, auch hier also soll die Verbandsbildung erfolgen

| fönnen gegen den Widerspruch der Betheiligten unter der

Borauésezung, daß ein öffentlihes Interesse vorliegt. Diese Verbände sind keine Sammtgemeinden, sie sind Zweckverbände, Sie sind vorgesehen zunäbst nur für einen einzelnen oder mehrere fommunale Zwette, bezügli deren die Gemeinsamfkeit zweifellos vor- liegt. Es gilt dies namentli für die Aufgaben auf dem Gebiete der

| Armenpflege. Es ist eine eigenthümlihe Erscheinung, daß da,

wo wir Gesammtarmenverbände haben, welhe im Gemenge liegende Landgemeinden und Gutsbezirke umfafsen es ift dies der Fall in S(lesien, wo sie bestehen auf Grund einer Verordnung vom Zahre 1747, in Neuvorpommern, wo sie bestehen auf Grund der \chwedishen Gesezgebung diese Gesammtarmenverbände sich ganz vortrefflich bewährt haben und von den Betheiligten und den Bes hörden uneingeshränktes Lob erhalten, daß aber auf der andern Seite einé Neubildung solher Gesammtarmenverbände auf Grund des Unterstüßungswohnsißgeseßes und des Ausführungsgeseges vom 8. März 1871 nur in überaus beschränktem Umfange stattgefunden hat.

Ich glaube, es ist diese Erscheinung dadur zu erklären, daß bei der ersten Bildung solher Gesammtarmenverbände, wenn überhaupt Arme vorhanden sind, nothwendigerweise der eine oder der andere Theil zunächst eine kleine pekuniäre Einbuße erleidet. Und, meine Herren, es wird dabei niht bedacht, daß die Ausgleichung in der Regel sehr bald einzutreten pflegt, und daß eine solche Vereinigung für beide Theile auf die Dauer große Vortheile hat,

Daß ein Bedürfniß, und zwar ‘ein dringendes Bedürfnis, Bildung solcher Gesammtarmenverbände vorliegt, das läßt glaube ih, fast ziffermäßig nahweisen durch die Thatsache, d große Mehrzahl der bei den Bezirksausshüfsen, namentli aber dem Bundesamt für das Heimathwesen zur Gatscheidung gelangen Armenstreitsahen aus den Oftprovinazea siŸ darauf bezieht, ob ein Armer der Gemeinde oder dem mit derselb [liegenden Gutsbezirk angehört, oder ob er und fast der häufigfte Fall in Folge eines sehr fianreich durchgeführten Ab- und Zuschiebungsiyftem

Dasselbe Bedürfniß zur Bildung fol Gebiete der Armenpflege liegt vor auf dem Gebiet der S S ule und auf dem Gebiet des Wegewesens. Meine Herren, hier ift einer der Punkte, wo sih die Laxndgemeindeordnung mit dem Gatœzurf des Sulgesezes und auch mit dem Gatwurf des Einkfommenfteuergefezes

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berührt. In diesen beiden Gesetzen ifff vorgesehen, das, wo folhe Kommunalverbände ju anderen Zwecken vorhanden find, fie aunS zu benußen sein werden als Schulverbände, als Beretni §äzungê- bezirke, und in dem Gntwurf der Wegeordnung, die j. Z. für die Pro- vinz Sachsen vorliegt, ist dasselbe vorgesehen. Auf der anderem Seitz bietet die nah dem Gesege statifindende Bildung von Schulverbänden und Voreinshägzungsbezirken die entspreende Grundlage für die voil- fiändige Bildung folher kommunalen Zweckverbände, wie fie in Titel 4 vorgesehen find.

I habe mich für rerpflidtet erachtet, diese Frage der kommz- nalen Gestaltung der Gutsbezirke, der Beseitigung der Zwerg» und Meißbildungen und der Verbandsbildung einer eixngetenden Erörterung zu unterziehen, einmal, weil dies jedenfalls der beftrittenite und vieleidt au der wichtigste Punkt der ganzen Landgemeindeordnznag ift, fedam aber, weil die bezüglichen Vorschriften aus legislativ teimifen Gründen, wegen der Oekonomie des Gesegzes an vershiedenen Strilen, in den Titeln 1 und 4 und in dea Uztergangsbeftimmungen Aufnaßme gefunden haben, und dieser Zusammenhang äußerlich nit Aar erten» bar hervortrat. Ich glaube mi in Betreff der übrigen Punkte dafür desto kürzer faffen zu können.

Not zwei wichtige Abänderungen des bestehenden Ret entbält der vorgelegte Gniwurf einer Landgemeindeordnung. Die eine hetriff das Ge meindestimm- und Wahlret, diz andere die