1890 / 300 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 13 Dec 1890 18:00:01 GMT) scan diff

besten, bei denen die ‘Landwirthe den Haupteinfluß haben ; das wird nâtürli@ bei relativ kleinéren Fabriken mehr der Fall sein, als bei Fabriken, die so groß sind, daß sie die Führung übernehmen und ß die betreffenden Virthschaften „nur angliedern. Unser jetziges Sysiem aber führt mit Nothwendigkeit dazu, die Fabriken so groß als möglich zu machen, weil, je vollständiger die Entzuckerung stattfindet, deslo größer der der Fabrik zufließende Vortheil ift, weil natürli die Herausnahme der leßten Prozente Zucker aus der Rübe das Theuerste ist, weil also das Streben dahin gerichtet sein muß, die Fabrik auf einen möglichs| großen Betrieb einzurichten, um durch Verminderung der Generalkosten die vollständige Entzuckerung billiger ehmen.

S glaube aber au, daß wir auf dem Punkt angelangt sind, wo die weitere Aufrechterhaltung des bestehenden Systems für unfere Zuerindustrie felbst nit mehr nüßlih, sondern vielleicht \chädlid wirken würde. Ich kann mih dem Eindrucke nicht entziehen, daß auf dem Gebiet der Zuckerproduktion für den Weltmarkt sich eine Ueber- produktion anbahnt, die durch jede neu entstehende Fabrik gesteigert wird,“ Lassen Sie mi hier zunähst einmal von unseren deutschen Verhältnissen ausgehen.

Wir haben in runder Zahl etwa 400 Zuckerfabriken in Deutsch- land. Seit dera Jahre 1889/90 sind nun folgende Fabriken neu ge- baut und eröffnet: eine Aktienzuckerfabrik in Nauen, eine Aktienzucker- fabrik în Opalenita, eine Rübenzuckerfabrik in Guhrau, eine Aktien- zucketfabrik in Alleringersleben, eine Zuckerfabrik in Teterow, eine iftienzuckerfabrik in Diehdorf, eine in Delißsch, eine in Goldbeck, eine in Gommern, eine in Wismar, eine in Groß-Rudestedt ; das sind zusamnien 11 neue Fabriken. Zur Zeit sind im Bau oder geplant, somit mir bekannt ist ih nehme an, daß dies Verzeichniß nicht vollständig sein wird —: eine Fabrik in Schottwiz, eine Fabrik in Stendal, eine Fabrik in Rohrsheim, eine Fabrik in Wecze im Rheinland, eine Fabrik in Neubrandenburg oder Friedland, eine Fabrik in Greifenberg, eine zweite Fabrik in Teterow; das sind sieben Fabriken, von denen ih weiß; ih néhme an, daß es jedenfalls noch mehr sind, 7 und 11 ma@t 18. Fch will einmal nur mit 15 rechnen. Die Durchschnittêprodufktion utisexer bisberigen deutschen Zuckerfabriken, die Rüben verarbeiten, beträgt pro Fabrik etwa 30 000 Doppel-Centner. Diese 15 neuen

“Fabtikén würden also eine Vermehrung der deutshen Zuckerproduktion von etwa 450 000 Doppel-Centnern repräsentiren. 4F Millionen =— Fran erinnere ich ist der inländis&e Konsum, ungefähr 12“ Millionen zur Zeit die gesammte deutsche Produktion. Dies s\ämmtlihe Zucker geht natürlich in das Ausland ; denn von dem Zucker, den wir zur Zeit produziren, gehen bereits zwei Drittel ins Ausland. Es erschwert also diese vermehrte Produktion den Absaß auf dem Weltmarkt.

Nun fehlen mir zur Zeit bestimmte, absolut sihere Zahlen über den Zuckerkonsum pro Kopf in den hauptsächlich betheiligten Ländern. In Deutschland stellt ch nach den Materialien, die uns überhaupt bis jeßt zu Gebote stehen, die Konsumtion pro Kopf zwischen 8 und 10 kg; ih nehme an, 9 kg pro Kopf. Ich will aber hier mal annehmen, daß man 10 kg pro Kopf verbraucht. 30 000 Doppel-Centner ist die Produkiion einer einzelnen Fabrik; 10 kg pro Kopf ist die Konsumtionz; also würden zu einem jeden Doppel-Centner Zucker zeha Menschen gehören, zu 30 000 Doppel-Centnern also 300 000 neue Konsumenten. Um also das Produkt jener 15 neuen deutshen Fabriken zu konsumiren, würden Sie 44 Millionen neue Zuckerkonsumenten gewinnen müssen, deren Konsumtion pro Kopf ebenso stark is wie der Verbrauch der zeitigen Konsumenten.

Nun ist eine derartige Vermehrung der Produktion nit allein in Deutschland im Werk, sondern in allen bei der Zuckerproduktion betheiligten Ländern mat sich das gleihe Streben geltend. Nicht nur in den Ländern, die {on jeßt Rüben bauen, sondern auch in den Ländern, die, wie Nord-Amerika, weite Gegenden haben, die zur Kultur der Rübe geeignet sind, aber noch nicht mit Rüben beftelt sind, macht sch das Streben geltend, die Kultur der Rübe einzuführen und daraus Zucker zu gewinnen. Sn den Zuckerrohr-, in den Sorghum-Ländern macht sich das Be- streben geltend, die Technik zu verbessern. Dadurh wird naturgemäß das Quantum produzirten Zuckers in einigen Jahren sih schr wesentlih vergrößern.

Früher konnte man sagen: ja, was will die amerikanische Kon- kurrenz, die der Rohrzukerländer ? die Leute verstehen die Sache nit! fie haben die Arbeitskräfte nicht! Heute steht die Sache anders. Wer gründet in den Konkurrenzländern denn die Fabriken? Wer [leitet sie? Und wer liefert die Maschinen? Deutsches Kapital, deutsche Techniker, deutsche Maschinen find es, die unsern Konkurrenz- ländern zu Gute kommen. Ich verdenke cs den Leuten nicht, ih freue mich darüber, wenn deutse Arbeit im Auslande si au einen Plat erringt und dort etwas erwirbt. Aber ih muß sagen, dieser Entwickelung gegenüber muß man do fürchten, daß die Vergrößerung der Produïtion \{chneller gehen wird, als die Konsumtion damit Schritt halten kann. Nun kommt hinzu, wenn wir auf die deutschen Verhältnisse allein ahten, daß unser Abseßmarkt sich in absehbarer Zeit verringern dürfte; denn Amerika is auf dem Wege, si abzu- \chließen, und damit wird unser Absatzgebiet geringer gegenüber früher. Also verstärkte Produktion, geringerer Absatz ist das nicht eine große Gefahr, daß eine Krisis eintreten kann; und ist es bei dieser Sa(hlage wirkli geboten, die stärkere Entwicke\ung der deutschen Zuckerproduktion durch Zuschüsse aus öffentlihe: Mitteln noch weiter zu fördern? Ich glaube, nein!

Nun, meine Herren, ich sage, es kommt hinzu, daß üterwiegende Gründe, hergenommen aus dem Interesse der nicht bei der Zucker- produktion betheiligten Deutschen, die Aufhebung des bisherigen Systems in absehbarer Zeit fordern. Jch will Sie niht mit Vor- rechnung langer Exempel hier ermüden; ich will einfa den Saß hin- stellen: die Steigerung unserer Reichsausgaben, die von Ihnen als noth- wendig aneckannt sind, hat bereits jeßt einen solhen Umfang angenommen, daß den Einzelstaaten von den Reichseinnahmen für ihre Zwele herzlih wenig übrig bleibt, weniger vielfa, als diejenigen Summen betragen, welche sie selbst unter Zustimmung ihrer Einzel-Landtage im Hinblick auf die erwarteten Einnahmen aus den Reihsmitteln für Landeszwecke festgelegt haben. Wir können nicht auf eine Ver-

minderung des Austgabebedürfnisses rechnen, wohl aber haben wir zu rechnen mit einer Steigerung desselben aus den bisher, bis zum vorigen Jahre, dem Reichshaushalt zur Last fallenden Aufgaben, mit einer solchen Steigerung, wie sie in diesem so großen Gemeinwesen normal is. Mit

einer solchen Steigerung würde auch die natürlihe Steigerung unserer bisherigen Reichseinnahmen vielleiht Shritt halten können; wenn aber eine völlig neue Aufgabe hinzutritt, wie jeßt die Alters- und Fnvalidenversorgung, von ter wir bestimmt wissen, daß fie sehr große Anforderungen an die Reichskasse in absehbarer Zeit stellen wird, wenn wir Iknen auch nicht vorrehnen können, wie hoch diese Be- lastung sein wird und wann sie genau eintreten wird, so muß man doch sagen, es erfordert die effektive Uebernahme ciner derartigen neuen Aufgabe auch die Sicherstellung der dafür nöihigen Mittel durch entsprehende Schaffung neuer Einnahmen odec wenigstens da dur, daß man dafür sorgt, daß die Steuerbelastung, welche jeßt den Deutschen trifft, wirklich der Reichskasse zufließt und nicht anderen Kassen.

Dies sind im Wesentlichen die Erwägungen, welche die ver- bündeten Regierungen zu der Ueberzeugung gebracht haben, daß in ab- \sehbarer Zeit man das System dec Materialsteuer auf dem Gebiet der Zuckerversteuerung wird verlassen müssen. Will man dies aber, so glaube ich, ist der gegenwärtige Moment verhältnißmäßig günstig. Sie wissen ja, daß von allen Seiten dieses Hauses seit Jahren darauf

gedrängt ist, mit diesem System zu brechen, daß ih persönli wieder-

holt interpellirt bin, zu sagen: ja, was wird mit der Zuckersteuer ? Werden wir nicht das System der Materialsteuer verlassen ? Dem gegenüber haben die verbündeten Regierungen bisher und habe ich als Vertreter des Reichskanzlers stets eine ablehnende Richtung eingehalten. Warum? Weil wir bis- her hoffen konnten, auf Grund der Londoner Konvention ursere Konkurrenz;staaten dazu zu bringen, mit uns gleichzeitig ihre Prämien aufzuheben, wenn wir damit vorgehen, die Begünstigung, welche unsere Produzenten aus dem Steuersystem genießen, in Fortfall zu bringen. Die Ratifikationsfrist für die Londoner Konvention lief bis 1. August d. I. Mit Rücksicht hierauf habe ih noch in der leßten Session des Reichstages es positiv abgelehnt, irgend eine Erklärung darüber zu geben, wa8“wir thun würden, wenn die Kon- vention nicht zu Stande käme. Wir glauben allerdings, daß, wenn Deutschland diesen Schritt thut, die andcren Staaten, die bei der Zuckerproduktion betheiligt find, diesem Schritt folgen werden in wohlverstandenem eigenen Interesse, und wir geben, da wir Ihnen vorshlagen, für die Uebergangszeit feste Zuschüsse beim Export von Zucker zu gewähren, die Mittel noh nit aus der Hand, auch auf die Beschlüsse der betheiligten anderen Staaten unsererseits zu wirken. Wir behalten, um einen bekannten Volksausdruck zu benußten, mit der Einführung von festen Prämien unseren Nachbarstaaten gegenüber Ball und Stock noch immer in der Hand. Aber verschieben die Maßregel, das würde mir sehr bedenklich ersheinen, wenn ih daran denke, was ih Ihnen bereits eben dargelegt habe, daß vorausfihtlich in einigen Jahren das Geldbedürsniß der Reichskasse uns zu der Maßregel doch bringen würde, und daß dann gegenüber der vermehrten Weltproduktion an Zucker, geaenüber dem beshränkten Absaßgebiete unsere Zudcker- industrie fich in einer sehr viel \{chwierigeren Lage ihrer Konkurrenz gegenüber befinden würde, als es im jeßigen Augenblick der Fall ist. Diese Ecwägyung wiegt bei mir um so s{rwerer, wenn ih mir vergegenwärtige, daß, wenn die Maßregel etwa nah drei Fahren eingeführt werden würde, nah unseren bisherigen Erfahrungen wir ungefähr 20 bis 25 neue Fabriken haben würden, die alle in den Kinderschuhen \stecken und natürlich durch den Fortfall der bisherigen Steuerbegünstigung viel s{werer betroffen werden würden, als die zur Zeit bestehenden Fabriken davon betroffen werden, wenn sie nach mehreren Jahren die bisherige Steuerbegünstigung verlieren, Nun fommt noch dazu, daß augenblicklich die Möglichkeit gegeben ift, den Uebergang milde und allmählich zu gestalten, weil das dringende Geld- bedürfniß erst in einigen Jahren eintritt. Geben wir erst in dem Moment mit der Maßregel vor, wo wirklich das Geldbedürfniß ¿wingend und unaufschiebbar ift, kann man den betheiligten Kreisen ja Uebergangs8- erleihterungen niht gewähren. Aus diesem Grunde haben die ver- bündet en Regierungen \ich dafür entschieden, Ihnen im gegenwärtigen Momente den Gesezentwurf vorzulegen, und sie bitten, daß der Reichs- tag demselben seine Zustimmung geben wolle.

Die vorgeschlagene Einführung von festen Prämien für die Uebergangszeit wird nur von einem Theile der bei der Zuckerindustrie betheiligten Kreise von dem Gesichtspunkte aus bekämpft, daß damit die Steuervortheile, welhe bisher nur diejenigen Gegenden voll ge- nofsen hätten, welche cine besonders zuckerrei@e Nübe bauen, auch den Gegenden zufließen würden, welche eine weniger zuckerreihe Rübe bauen. Dies kann ih niht als durchschlagendes Argument gegen die Einführung von festen Zusüssen anerkennen, denn, wenn wir überhaupt Steuervortheile gewähren, ist es billig, sie auch allen be- theiligten Gegenden zuzuwenden.

Für den Zeitpunkt der völligen Abschaffung der Rübensteuer aber ist im Geschentwurf eine Maßregel vorbehalten, die ih noch erwähnen möchte, um die Bedeutung des betreffenden Satzes in den Motiven zu erläutern, weil mir im Privatgespräh ein Mißverständniß dieses Satzes begegnet ist. Unsere Zuckerindustrie hat eine gewisse Kon- kurrenz zu erleiden durch den Stärkezucker. Die Stärkezuckerindustrie arbeitet zur Zeit ohne Steuerklelastung, und dieses Verhältniß würde man wohl aufrecht erhalten können , solange aus dem bestehenden System der Zuckersteuer die Zuckerindustrie wesentlihe Steuervortheile genießt. Mit dem Moment aber, wo diese Skuervortheile der Zukerindustrie fortfallen, glaube ih, wird es eine Forderung ausgleihender Gerechtigkeit sein, daß man auch das Konkurrenz- produkt, den Stärkezucker, zur Besteuerung heranzieht. Da aber dieser Augenblick erst im Jahre 1895, also mit Wirkung für bas Etatsjahr 1896/97 eintreten foll, so erscheint es nicht nothwendig und nicht zweckmäßig, die detaillirte Ausgestaltung dieses Gedankens bereits jetzt in vieser Vorlage vorzunehmen, Wir glaubten, daß wir richtiger handeln würden, wenn wir die Entscheidung über die Form und Höhe der Besteuerung des Stärkezuckers, der eventuellen Besteuerung des Saccharins und was sonst in Frage kommen könnte, jeßt vertagen bis zu dem Augenblick, wo die jeßige Besteuerung der Zuckerindustrie definitiv in Fortfall kommt.

Meine Herren, wie der Reichstag entscheiden wird, weiß ich in diesem Augenblick niht. Die verbündeten Regierungen haben jeden- falls der Industrie gegenüber ein reines Gewissen, wenn sie Ihnen ofen und klar die Sachlage, wie sie sie ansehen, vorgeführt und Ihnen diesen Geseßentwurf vorgelegt haben. Ih wünsche und ih bitte, daß Sie dem Geseßentwurf zuslimmen im Interesse der soliden Herstellung unserer Reichéfinanzen und im Interesse der betheiligten

Kreise selber. (Bravo!)

Abg. Dr. Witte: Mit dem Grundgedanken des Entkwuifs, mit der Beseitigung der Matcrialsteuer, seien seine Freunde und er voll- ständig einverstanden. Er wolle nicht in diesem Augenblick Schritt für Swritt auf die Ausführungen des Staatssekretärs des Reichs- Schatzamts eingehen; aber es habe ihn im hôbsten Grade gefreut in seiner (des Staatsfckretärs) Rede die Richtigkeit aller der Aus- führungen durchweg bestätigt zu hören, die er (Redner) seit einem Jahrzehnt dem Haufe vorgetragen habe, und die, wenn sie von dieser Seite* geltend gemacht worden seien, bisher drüben, rets und am Regierungstische, mit dem hautnäkigsten Eifer bestritten worden seten. Auch er erkenne die Bedeutung des Gesecßentwurfes an: derselbe sneide auf das Alertiefste ein und bedürfe der sorgfältigsten Prüfung; er beantrage, ihn einer Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen. Die Vorlage fordere , dem Gange der Entwickelung ent- sprechend, die Beseitigung der Materialsteuer. Aber was geschehe ? Die- selben Rufer im Streite, die seit zehn Jahren vorangestanden hätten im Kampfe gegen jede Reform der Zuckersteuer, vor Allem in den Korridoren des Reichstages, die entfalteten auch heute wieder ihre Agitation, dieselben Männer und dieselben Namen. Uls er vor zehn Jahren mit wohldurchdachten und wichtigen Berechnungen die Nothwendigkeit der Zuckersteuerreform nachgewiesen habe, hätten sie si ablehnend ibm entgegengestellt, uud es sei auch dieselbe Kategorie von der dieser Widerstand ausgehe, nämli die Melasseinterefsenten. Sie thâten, als ob durch Annahme der Vorlage in der einen oder anderen Form und vor Allem unbedingt durch Beseitigung der Materialsteuer der Ruin der Zuckerindustrie und der ganzen Land- wirthschaft besiegelt fein würde. Nun seien seit 1871—1886 zusammen- gerechnet 285 139 682 M an Prämien gezaßzlt (hört!) und 1886/87 65 504538 M (hôrt!), 1887/88 62504066 A; 1888/89 noh 31 769 449 M, 1889/90 36 382 746 Æ, das mache Alles in Allem 481 305 5592 M (Hört!) Er frage: was sei mit diesen Zucker- prämien erreiht? Das seien doch Summen, welhe noh nirgends in der Welt irgend einer Industrie zu Theil geworden seien; dabei werde aber von den Gegnern der Zuckersteuerreform die Sache fo darge- stellt, als ob mit allen diejen ungeheuren Opfern des Reichs die Lebensfähigkeit, die Gristenz der deutshen Zuckterproduktion do noh nit gesihert worden sei. Dem, was die Motive darüber fagten, könne er wesentli beitreten; in einem wichtigen Punkt aber gäben sie den Gegnern ohne Noth eine bedenkliche Waffe in die Hand. In den Motiven heiße es und der Staatssckretär des Reichs-Schatzamts habe heute ähnlih gesprohen —, an die Reihs- kasse seien fo erzeblihe Mehransprühe herangetreten, daß dem- gegenüber Behufs einer Entlastung eine Reform der Zucker- steuer angebahnt werden müsse. Das sei nun nicht ganz genau. Heute habe mit mehr Ret der Staatsjekretär des RNeihs-Schah- amts Freiherr von Malyahn auf die Aufgaben der Altersversicherung hingetwoiesen, die in allerdings absehbarer Frist an die Reichskasse herantreten würden; wenn aber die Motive von den Arforderungen in der Gegenwart sprächen, welche cine Reform der Zukersteuer nöthig machten, so könnten die Gegner der Reform, indem fie den Nah weis finanzieller Mehrbedürfnisse in der Gegenwart als nit geführt bezeichneten, der Reform zur Zeit fich überhaupt widerseßen, während doch die Reform der Zucker|\teuer an sich, ohne Rücksicht auf die finanziellen Bedürfnisse, eine unabweisbare Aufgabe sei. (Sehr richtig!) Man müsse endlich einmal freie Bahn |jchafen und dieses ganze Prämiensystem beseitigen, damit der Zuckerindustrie Zeit zur Ge- fundung und ruhigen Entwickelung gegönnt werde; und in dieser Be- ziehung halte er den Zeitpunkt der Einbringung der Vorlage aller- dings für rihtig gewählt. Der Widerstand gegen die Vorlage gehe von ganz bestimmten Kreisen der Zuckerindustrie aus, Dadurch werde der soziale Friede in Deutshland gewiß nit gefördert, wenn fortgeseckt ein Theil der deutshen Industrie auf Kosten der Allgemeinheit Prämien gezahlt erhalte, deren abfoölute Nothwendigkeit niht für Jeden klar erwiesen sei. Was die Schädigung der Landwirthschaft angehe, so sei er der Ansicht, daß die Abschaffung der Prämien einen Einfluß gar nicht haben werde. Der Landtags-Abg. Nobbe werde als Autorität anerkannt sowohl in Bezug auf die Landwirthschaft, wie in Bezug auf die Zuckerindustrie, und der spreche sih nit nur in gleihem Sinne aus, sondern er befürchte \ogac von einer Foridauer der Materialbesteuerung eine direkt \{hädi- gende Einwirkung auf die Landwirth\chaft. Er (Redner) babe vor Jahren bereits ch auf einen ähnlihen Standpunkt gestellt, dem die Regierung erst jeßt beigetreten sei und den sie dur diese Vor- lage zum Ausdruck bringe. Deutschland habe im lezten Jahre 12 Millionen Doppel-Centner Zucker produzirt. Das sei der höchste Betrag, den es jemals produzirt habe, und diese Thatsache allein widerlege die Behauptung der Gegner des Gesehes, daß die Aenderung, die man durh die Novelle vor drei Jahren habe eintreten laffen n Va auf die Zulkersteuer, die Lebensfähigkcit unserer Zudckerindustrie beeinträchtigt habe. Er habe die Magdeburger Zuckerpreise zujammengestellt und finde Folgendes: 1882/83 61,38, 1883/84 5953, 1884/85 44, 1885/86 46, 1886/87 41, 1887/88 46 «(6 Mit 1888/89 habe die Einwirkung der Novelle von 1887 begonnen, der Preis sei auf 41 gesunken, 1889/90 habe er 33 und 1890/91 34,20 M betrggen, Wenn man die ersparte Rübensteuer in den verbilligten Preis" einrechne, fo er- gebe si, daß troy der an sih niedrigeren Zahlen den Fabrikanten dennoch cin höherer Gewinn verblieben sei, als felbst in den Jahren vocber, wo der Zuckerpreis an sich erheblih höher gewesen sei. Er seße in dieser Thatsache den direkten Beweis, daß bei einer weiteren Fortdauer des Prämienwesens in Deutschland die Preise auf dem Weltmarkt sinken müßten. Und wie habe sich denn in Deutschland der Rübenbau unter der Einwirkung der Novelle von 1887 gestaltet ? Das Verhältniß der verarbeiteten Rüben in den deutschen Zucker- fabriken sei so gewesen, daß im Jahre 1884/85 von den Fabriken 47 9/0 der verbrauchten Rüben selbst gebaut und 53 9/0 Rüben zuge- kauft worden scien Die gleichen entsprechenden Zahlen hätten be- tragen für 1885/86 59% felbst gebaut, 41% gekauft; im Jahre 1886/87 5399/9 gebaut, 47% gekauft; 1887/88 54 9% gebaut, 46 9/6 gekauft; 1888/89 5409/0 gebaut, 46 9/9 gekauft. Daraus gehe doch wohl hervor, daß die Preise, welche die Fabriken den Landwirthen bezahlt hätten, welche nicht direkt an dem Sewinn der Fabriken betheiligt gewesen seien, völlig auskömmliche gewesen fein müßten. Der wichtigste Punkt in dem Angriff gegen das Geseß bestehe in der Behauptung, daß, wenn die Prämien wegfielen, die Stellung der deutshen Zukerindustrie auf dem Weltmarkt so außerordentlich erschüttert werden würde, daß ein Rückschlag auf Deutschland unausbleiblich sein würde. Er bestreite das. Er sei der Meinung, daß auch nachher die deutsche Zukerindustrie völlig konkurrenzfähig dem Auslande gegenüber bleiben werde; vielmehr werde umgekehrt cine Gesundung der Weltmarktpreise eintreten. Was sei denn die Prämie und was bewirke sie? Der Abg. Pr. Barth habe in der „Nation“ vorige Woche sich über den Fortfall der Prämien in einem Artikel ausge\prochen, den er als außerordentli lehrreih empfehle, wie diese vorzüglihste aller deutshen Wochen- {riften überhaupt. (Heiterkeit! Rufe rech18: Neklame!) Die Prämie bedeute cine Abminderung der Produktionskosten und ermögliche es dadur dem Produzenten, auf den Weitmarktpreis auch preisdrückend einzuwirken. Fielen die Prämien nun fort, so werde der deutshe Zucker allerdings auf dem Weltmarkt theurer verkauft werden müssen; aber dur den Fortfall der Prämien müsse dann der Weltmarktpreis steigen unter der Vorausseßung, daß nicht irgend eine andere Produktion den deutshen Zuker vollständig vom Weltmarkt verdrängen und ihn erseßen könne. Ene solhe Möglichkeit sei aber absolut aut- geschlossen. Es werde gesprochen von der Bedrohung dur Oester- reih und Frankreih; aber beide Länder könnten nicht das Material produziren, das Deutschland auf den Markt werfe. Oesterreich könne höchstens nach der Levante hin einige Konkurrenz machen, und was Frankreich angehe, so sei es geradezu eine Ironie, wenn von _ da eine erheblihe Konkurrenz auf dem Zuckermarkte drohen solle. Seit der Reform der Zuckersteuer in Frankrei, die erst vor wenigen Jahren erfolgt sci, habe man dort \{chon zweimal Aenderungen eintreten lassen müssen, und auch gegenwärtig sei man mit einer Sanirung der französishen Zuckerindustrie beschäftigt. Frankrei sei im jeßigen Augenblick \chon an der Grenze seiner Lebensfähigkeit in der

euktion angelangt, es habe im legten Jahre fieben Zueerprodul Doppel - Gentner produzirt. Nun gedeihe ader in rankrei die Rübe nur in ganz Lestimmten nördlichen Distrikten, 3 könne nicht wie ta Deutschland der Zuckerrübenbau nah Belieben weiter und weiter ausgedehnt werden. „Von diesen sieben Millionen Doppel-Centnern fonfumire Frankrei selber fünf Millionen, es fönne also nur zwei Millionen ausführen, und mit dieser Auéfubr ei es durd'aus niht im Stande, den deutschen Zucker irgendwie zu efährden; denn Deutscland exportire so viel Zucker, wie Frankrei berhaupt zu bauen im Stande sei, und damit zerfalle dieser Ein- wand gegen die Vorlage von selber. Daneben sei die Lage der uckerindustrie in Deutschland eine bessere als in Frankreich, Selleiht überhaupt besser als in irgend einem anderen Lande der Welt, und wenn Deutschland mit seiner bedeutenden Zuckerindustrie den ernsten und wihtigen Schritt der Abshaffung der Materialsteuer thue, so kônne fein anderes Land der Welt sih auf die Dauer den Folgen dieses Schrittes entziehen, jedes andere müsse vielmehr mit Nothwendig- fait denselben W:g betreten. (Zustimmung links.) Mit dem Grundgedanken des Gesezes, der Abschaffung der Materialsteuer, sei er einverstanden; er bedauere nur, daß das Geseß erst am 1, August 1892 eingeführt werden folle. Diese Uebergangéperiode bedeute nichts weiter, als ein weiteres Geschenk von 35 Millionen Prämien an die Zuckerindustrie. Die Lage der Zuckerindustrie werde am 1. August 1891 dieselbe scia, wie am 1. August 1892, Sein Hauptbedenken richte sih gegen die Erhöhung der Konsum- teuer von 12 auf 22 6 Er hal!e es volkswirtbschaftlich nicht für rihtig, cine so große und nach seiner Ueberzeugung fort- während steigende Summe überhaupt aus dem Zucker heraus- zuzichen. Der Zucker sei heutzutage kein Luxusmittel, fondern ein wichtiger Gegenstand der Volksernährung. Daher sollte man den Konsum des Zuckers möglichst weit ausdehnen. Wolle man überhaupt eine Erhöhung der Konsumsteuer, so empfehle es fi, den Ertrag, welchen die Zuckersteuer geben solle, zu kontingentiren, man habe dann cine gewisse Sicherheit, daß der Ertrag aus der Zuckersteuer nicht gerade in ungemessener Weise steige. Cine erheblihe Verbilligung der Preise wirke aber günstig auf den Konsum ein, und er glaube deshalb, daß, wenn die Regierung die jeßige Konfumstcuer beließe oder sie nur um etwa 3 M erhöhte, der Konsum si so erheblih steigern würde, daß eine Erhöhung der Reicseinnahmen die nothwendige Folge sein würde. Möge es der Kommission gelingen, im Interesse der Wirthschaft des ganzen Vaterlandes und au der Zuckerindustrie ein recht gangbares und tüchtiges Gese zu hafen! (Lebhafter Beifall links.) E Abg. Udo Graf zu Stolberg-Wernigerode: Seine Freunde seien bereit, für die Bedürfnisse des Reis Opfer zu bringen, sie hielten auch speziell den Zucker für cin Objekt, welches mehr Geld bringen könne als bisher, und seien bereit, dieses Objekt höher zu belasten, Dies sei aber nur mögli), wenn dadurh die Zukerindustrie niht wesentlich geshädigt oder gar in ihrem Bestande erschüttert werde. Jede Schädigung der Zucker- branhe ziehe auch die Landwirthschaft in Mitleidenscaft. Die In- dustrie werde immer in der Lage sein, cinen Theil dieser Schädigung auf den Landwirth abzuwälzen, die Landwirthschaft sei aber nicht webr in der Lage, etwas von sih auf Andere abwälzen zu können. Wenn nun der Vorredner ‘gemeint habe, die Abschaffung des Prämiensystems würde für die Landwirthschaft gleichgültig sein , a a im Gegentheil die Jeulge Materialsteuer mancherlei Schädigungen für die Landwirthschast herbeiführe, so fönne er (Redner) das nicht zugeben. Der maßgebende Faktor für die Landwirthschaft sei und bleibe der Rübenpreis, uind es könne von feiner Seite bestritten werden, daß durch cine Exportvergütung der MRübenpreis erhöht werde. 9b die Landwirthschaft durch den Bau der edlen kleinen Rübe ge- shädigt werde, sei zum Mindesten cine ofene Frage. Im Allgemeinen sei der Anbau einer edlen Pflanze dem Boden vortheilhafter als der Bau einer nit edlen, weil die edle Pflanze dem Boden nur die- jenigen Bestandtheile entziehe, die nothwendig seien. Gegen den Gesezentwurf felbst kabe er doch nicht unerhebliche rationes dubi- tandi vorzutragen. Der Gesetzentwurf breche mit der Materialsteuer. Nun möge man über diese Steuer denken, wie man wolle, un- bestreitbar sei unter ihrer Herrschaft die deutshe Zuckerindustrie die größte der Welt geworden. (Sehr wabr! rechts.) Der Vorredner behaupte, Frankreich habe weniger Rübenbau als Deutschland, er (Redner) behaupte das Gegentheil. (Zustimmung rechts.) In den fünfzizer Jahren habe die französishe Zuckerindustrie eine ebenso domi- nirende Stellung gehabt, wie die deutsche jeßt. Durch die Material- steuer habe Deutshland die Franzosen so gründlih ges{lagen, daß ihnen nihts weiter übrig geblieben sei, als zu derselben Steuer überzugehen. Auf die Wichtigkeit der deutshen Zuckerindustrie als Expcrtindustrie brauche er niht hinzuweisen; wenn die Zuckcrindustrie niht mehr in der Lage wäre, ein gleiches Quantum zu exportiren, würde unsere Handelsbilanz erheblih gestört werden. Der Konsument habe von dem bisherigen System den allergrößten Vortheil gehabt. Durch den Wettkampf auf dem Weltmarkt, wie durch die Exportprämien seien die Preise ganz erheblih reduzirt worden. Der raffinirte Zucker sei von 48 A. auf die Hälfte her- untergegangen. Troy dieser unleugbaren Vortheile der Material- steuer und der Exportprämien seien seine Freunde nicht der Ansicht, daß es wünschenétwerth sei, dieses System für alle Ewigkeit beizu- behalten. Seine Freunde betrahteten es nur als einea Nothbehelf und seien bereit, es sofort aufzugeben, wenn etwas Besseres gefunden werde. Aber es sei doch eine andere Frage, ob cerade Deutschland wit der Abschaffung vorangehen müsse, Die französische Jnduftrie sei dur die Matecrialsteuer so weit gestärkt, daß sie gerade jeßt anfange, Deutschland eine \{harfe Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu bereiten, und er behaupte, daß der Zulkerrübenbau in Frankrei noch weiterer Ausdehnung fähig sei. Heutzutage werde über- haupt jede deutsWe Industrie durch die Höhe der Ar- beitslöhne , dur die Anforderungen der Sozialgesetz- gebung, durch das theure Eisen und niht am wenigsten dur die theuren Kohlen in ihrem Export mehr in Anspruch) genommen, Dies mache si gerade für die östliden Zuckerfabriken ganz besonders fühlbar. Wolle man aber die Materialsteuer definitiv beseitigen, fo werde man erwägen müssen, ob nicht ein längeres Uebergangsstadium erforderlich sei, ob die Prämie von 1 4 nicht auf cine längere Reihe von Jahren festgelegt werden müsse, und ferner, ob der Sprung in der Konsumsteuer von 12 auf 22 6 nicht zu hoch gegriffen sei. Man könne ja im Voraus nit wissen, welhe Folgen das Geseh haben werde. Sollte aber durch den Fortfall der Prämien der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt si erhöhen, dann werde sh auch der Preis für den Konsumenten erhöhen bei einer Erhöhung der Konsumsteuer. Bei der Geschäftslage des Hauses glaube er sich den Dank des Hauses zu verdienen, wenn er sich darauf beschränke, diese rationes dubitandi vorzutragen. Der Schwerpunkt der Verhandlungen werde in der Kommission liegen. Hoffentlich werde es gelingen, die Interessen der Konsumenten mit denen der Produzenten und der Reichskasse in Einklang zu bringen. (Beifall rechts.) S Abg. Oechelhäuser: Er schicke voraus, daß die Ansichten setner politischen Freunde in dieser Frage verschiedene seien, daß er also nur m Namen einzelner seiner Freunde sprehe. Er- bedauere im Großen und Ganzen, daß das A eingebracht sei, niht als wenn ec in leßter Instanz dem Ziele der Aufhebung der Exportprämie widerftrebe. Er habe in dieser Beziehung den Muth, vollständig klar sich auszusprechen. Gr sei in keiner Weise vou Interessen beeinflußt, wenn er si aus verpflichtet halte, den Interessen der größten und bedeutendsten Zuker- distrikte Deutschlands Ausdruck zu geben. Zum fünften Mal in sieben Jahren habe der Reichstag sich mit der Zulkersteuer zu be- \häftigen. (Zustimmung.) Er gebe vollkommen zu, daß früher bei dem raschen Fortschreiten der Rübenrendements eine Herabseßung der Exportvergütung vollständig begründet gewesen sei. Ganz anders stehe es aber jeßt. Das Gesetz von 1887 sei erst zwei Jahre im Gange. Weder von dem Abg:--Dr--von Bennigsen, von dem es vorgeshlagen worden sei, noch von der Regierung sei dieses Geseß als ein Provisorium hingestellt worden. Die Industrie habe also dieses Geseg als ein definitives betrahten und darauf

fortbaven müssen. Dér Staatssekretär des Riits-Schaßamts habe am 28. Januar v. J. selbst gesagt, daß die Zuckerprämien nur auf dem Wege der Konvention aufgehoben werden könnten. Was lägen denn nun für absolut genügende Gründe vor, {on jeßt diesen Standpunkt zu verlassen? Dem wichtigsflen Theile der Vorloge, dem fiékfalishen Bedürfniß des Reichs, babe der Staatssekretär tes Reichs-Schaßamts den geringsten Raum in feiner Rede gegeben, der Amtssekretär werde ibm aber gestatten, zu sagen, daß diese fiskalischen An- forderungen des Reichs die zwingenderen und vorßerrs{chenderen gewesen seien. Seine Freunde seien gern bereit, au in dieser Frage sich in Verhandlungen einzulassen, wenn die bisherigen Einnahmen des Reichs nit reichten, oder wenn die Bedürfnisse des Meichs so wachsen sollten, daß darüber hinausgeganzen erden müsse. Unter dem Geseß von 1887 seien nun aber die Zuckersteuereinnahmen erheblich günstiger geworden. Die Zuckersteuer habe 1889/90 60 Millionen eingebracht. Zu keiner Zeit sei aber von der Zuckersteuer eine höhere Reineinnahme als 50—60Millionen in Anspruch genommen worden. Es sei also im abgelaufenen Jahre die höchste Stufe {hon erreiht worden; und daraus gebe hervor, daß die Laßregel von 1887 gesetgeberisch keine verfehlte gewesen sei. Allerdings werde das Reih in Zukunft bedeutend höhere Bedürfnisse haben; die fe{s Millionen für die Alters- und. Invalidenversiherung seien nur ein {waer Anfang und man werde sich auf eine sehr starke Steigerung dieses Postens einrick{ten müssen. Er sei au dafür, daß der Zucker einen Antheil an dieser Mehrbelastung tragen könne ; andererseits sei die Frage einer Unter- su@Gung werth, ob nicht diese bestehende Steuer no wachsen werde. Er nehme an, daß, wein das Rendementsverhältniß um 5 °/g niedriger sein werde als im abgelaufenen Jahre, man in diesem Jahre zu einer Einnahme von 75 Millionen von selbst kommen werde. Diese Zahlen ständen freiliß auf dem Papier, sie könnten überschritten und unterschritten werden. Er glaube aber, daß man in Bezug auf die finanziellen Ergebnisse des neuen Gesetzes keinen Grund habe, an dem Gesey von 1887 {on jeßt etwas zu ändern. Aber auch die Verhältnisse der Industrie und der Landwirthschaft rechtfertigten eine solhe Aenderung nit. Niemand werde behaupten können, daß seit dem Geseß von 1887 in irgend einer Beziehung eine günstigere Lage der Industrie eingetreten sei. Das Mendement habe sich allerdings etwas verringert, und es ließe ih darüber reden, ob niht die Exportvergütung nah diefem Ver- hältniß geändert werden müsse Aber diefer Vortheil werde aufge- hoben durch die bedeutenden Mehrkosten, welce die neue Ausbeutung im Gefolge gehabt habe. Gine Masse der wichtigsten Matertalien, z. B. Kohlen, außerdem die Arbeitslöhne seien außerordbentlih ge- stiegen, und- auch dur die von Frankreich verfügte Besteuerung der Melasse sei die Industrie erheblich geschädigt worden. Wie Anierika sich bemüke, eine eigene dele ins Leben zu rufen, so drohe auch von Frankrei eine verschärfte Konkurrenz. Der französishe Finanz - Minister habe erst am 10. Dezember er- klärt, daß er die das Zweieinhalbfache der deutschen Ausfuhrvergütung betragende französische Prämie auch in Zukunft zum Schutze der Jn- dustrie beibehalten wolle. Die ganze im Jahre 1887 erfolgte Steuer- erhöhung werde dort durch Vergünstigungen hinfällig gemacht, die im Ganzen fünf Mal höher \cien, als die deutshen. Weshalb Frank- reih bei solchen Produktionsbedingungen nicht im Stande sein solle, seine Zuckerindustrie noch zu erweitern, den Export zu vermehren, set ihm unerfindlih. Klima und Boden feien in Frankreich auch weit günstiger für die Zuckerrübe, als in Deutschland, Amerika zahle bis jeßt keine Ausfuhrprämien, die bei dem dürftigen Stande der dortigen Industrie auch nihts nüßen würden, wohl aber eine Fabrikationéprämie von 15 # für den Doppel-Centner. Ein zweiter Schlag Nord-Amerikas gegen die deutsche Zuckerindustrie bestehe in der Möglichkeit, die ganze Einfuhr deutschen Zuckers zu verbieten, wenn Deutschland den agrarishen Produkten Amerikas nicht eine günstige Behandlung angedeihen lasse. Daß Deutschland dieses nicht könne, liege auf der Hand. Kuba und Bra- filien ständen {hon im Begriff, solche Verträge mit Nord- Amerika zu \chließen, und beide Länder zeigten die besten Bedin- gungen für die Rohrzuckerfabrikation. Die frühere wie die gegen- wärtige brasilianishe Regierung hätten mit den größten Opfern den Fabriken einen Ertrag von mindestens 5 %/o garantirt und Prämien für solche Fabriken ausgeseßt, die ein besonders hohes Nendement erzielten. Aber au in Oesterreih sei dec Besteuerungsmodus ganz unverhältnißmäßig günstiger als in Deutschland. Der Abg. Dr. Witte babe bei der Berehnung der Gesammt - Prämiensummen zunächst unterlassen, anzugeben, inwieweit wirklich den Fabrikanten die Prämien zuflössenz er habe die Auslandspreise ganz unbeachtet gelassen und andererseits den im Inlande konsumirten Zucker mit in ]etne Rechnung gezogen. Wenn aber wirklich das Reich wie die Konsumenten finanziell in einem kleinen Nachtheil bei der bisherigen Bes steuerung gewesen wären, so sei dafür ein reihliher Ersaß in der großen Ausdehnung der Industrie, der der Staatssekretär des Neichs- Schaßamts heute ein so glänzendes Zeugniß ausgestellt habe, und in der erheblichen Zunahme des Konsums geboten worden. Ohne die Exportprämien würde der Weltmarktpreis und fomit au der inländische ein ganz anderer sein. Vor Allem aber würden die Londwirthschaft und gerade die kleineren Besißer von dem neuen Gesetz erheblihe Nachtheile haben. Von den zehn rheinishen Zudterfabrifen habe jede mit ungefähr 550 kleinen Rüben- lieferanten zu tbun, von den süddeutshen Fabriken arbeite jede im Durchschnitt mit 2213 kleinen Rübenbauern, eine größere Fabrik sogar mit 6273. Daran könne man sen, wie weit das Gesetz in die Interessen der kleinen Grundbesißer eingreifen werde. _Er halte es deshalb für die Pflicht des Reichstages, nichts zu riêfiren, was der Zuckerindustrie und der Landwirthfaft erheblichen Schaden bringen könne. Obgleih kein Freund der Ausfuhrprämien, wünsche er doch, daß man den Moment der Abschaffung der Auëfuhrvergü- tungen denn als Ausfuhrprämien könne er sie eigentlich nicht be- zeihnen noch weiter hinausrüde, als bis ¿zum Fahre 1895. Man fönne heute die Wirkungen solher Maßregel noch nicht absehen; Man solle die Entscheidung über die Vorlage überhaupt bis auf Weiteres vertagen.

Staatssekretär des Reichs - Shaßamts Freiherr von Malgzahn:

Die Gründe, welche meiner Meinung nah gegen die Ver- tagung der Entscheidung über diese Frage \prechen, habe i vorer bereits vorgetragen und ih möchte sie niht noch einmal wiederhclen ; nur das möchte ih noch aussprechen, daß es meines Erachtens vor Allem darauf ankommt, im gegenwärtigen Moment einen bestiaimten Zeitpunkt zu fixiren, mit wel@em das bisherige System der Rübensteuer aufgegeben wird, und daß andererseits es nit zweckmäßig scin würde, dem inländischen Konsum in diesem Augenblick eine Last abzunehmen, wenn man die Ueberzeugung hat, daß man diese Last ihm zu Gunsten der Reichskasse in wenig Jahren wieder würde auflegen müzjen.

Einzelheiten des Geseßes werden ja nätürlih einer forgfältigen Prüfung in der Kommission unterliegen können und müssen. Selbst- verständlich liegt so wenig bei diesem Geseß, wie bei einem auderen die Sache so, als ob die verbündeten Regierungen unabänderlich auf jedem einzelnen Paragraphen des Gesetzes beständen.

Für cine Ueberweisung an eine Kommission kann ih also meiner, seits nur dankbar sein. Je genauer, je eingehender die Prüfung des Gegenstandes dort im kleineren Kreise vorgenommen wird, desto mehr wird boffentlich sh die Ueberzeugung auch bei den Mitgliedern des Reichstages befestigen, daß die Vorlage der verbündeten Regierungen nothwendig und nüßlich ist. Um das Wort habe ih aber in diesem Augenblick nur gebeten, weil der Herr Vorredner eine Aeußerung von mir aus dem Januar 1889 zitirt hat, in welcher ich mich für die Beibehaltung des bisherigen Systems der Besteuerung mit den daraus

folgenden Steuerbegünstigungen in Deutschland auêgesprohen habe, so lange nicht in den anderen Konkurzenzitaaten eine Abschaffung der Prämie erfolgt sein würde. Ich erinnere die Herren zunächst daran, daß ich von dieser Stelle nicht berufen bin, meine persönliche Arsicht zu vertreten, sondern die Ansicht der verbündeten Regierungen, Und daß der Gesezentwurf wegen Aufhebung des bisher geltenden Steuer- systems erst in der leßten Zeit von den verbündeten Regierungen zum Beschluß erhoben worden ift ; aber, meine Herren, die damalige Situation war do eine solhe, daß ih glaube, die Herren müssen mir zu- geben, ih konnte gar nit anders sprechen, als ich damals gesprochen habe. Diese Reichstags-Verhandlung vom 28. Januar 1889 war, soweit ich im Augenblick übersehen kann, die erste Parlaments-Ver- handlung in Deutschland, in welcher die Frage der Londoner Kon- vention überbaupt unter Betbeiligung der Regierungsvertreter erörtert wurde. Könnten Sie es wirklich mit der Stellung eines Vertreters der verbündeten Regierungen vereinbaren, wenn er in diesem Augen- blick, selbst wenn er persönlih der Meinung gewesen wäre, gesagt bätte, ja, die Konvention mag zu Stande kommen oder nicht, wir werden die Steuerbegünstigung der deutshen Industrie doch nehtüen ? Nein, meine Herren, solange wie wir eben in Verhandlung mitdei anderen Staaten standen und die Hoffnung haben konnten, auf Grund dieser Verhandlungen die Prämien in unseren Konkürktéênz® ländern fortfallen zu sehen, durften wir überhaupt : mit feinem Wort andeuten, daß der Zweck, den die Konkurrenzstaäten uns gegenüber verfolgten, nämlich die Beseitigung der Stéuerbeglin- tigung bei uns, erreicht werden könnte, ohne daß sie vorangingen mit Aufhebung der Prämien. Also daraus, daß ich damals diese Gr- flärung abgegeben habe, meine ich, können Sie einen be- gründeten Vorwurf dem Vertreter der verbündeten Regiekürigen nicht machen. Ih habe auch im Sommer aus déñselben Gründea es rundweg abgelehnt, irgend eine Erklärung, ab- zugeben darüber, was geshehen würde, wenn die Verhandlungen über die Londoner Konvention resultatlos verlaufen follten, Sonst äber möchte ih die Herren, welche den Interessen der Zuckerindustriezahe stehen, fragen, ob wirklich in den Kreisen der Zuckerindustrie das"Be- stehen der Möglichkeit, daß die verbündeten Regierungen gezwungen sein würden, mit einer Vorlage, wie diese, vor den Reichstag zu treten, so unbekannt gewesen ist, wie die Herren hier thun. Jch kann weni t sagen, daß bereits im Frühjahr dieses Jahres ih persönli hervorragenden Herren aus der Zuckerindustrie verhandelt habe über den Gegenstand und daß damals doch über diese Möglichkeit" ein Zweifel nit bestanden hat. Die Frage selbst ift ja {hon vor Jahr und Tag während des Bestehens der Londoner Konvention mit den Bertretern der Zukerindustrie im Reihs-Schaßzamt besprochen und erörtert worden. Nun aber weiter, meine Herren, seit dem Janvar 1889, wo ih jene Worte als Vertreier der verbündeten Regierungen gesprochen habe, ist denn seitdem nichts anders geworden? Es tritt mir in der Diskussion hier die Meinung entgegen, als wenn man ohne jede Aenderung der thatsächlihen Verhältnisse eine veränderte

tellung der Zuckerindustrie gegenüber einnehme. Seit diefen andert- halb Jahren ist das finanzielle Bedürfniß der Reihskasse ein sehr viel erhebliheres und drängenderes geworden. Jch halte es niht für die Aufgabe der Plenarberathung, in erster Lesung detaillirte Exem pel hier vorzutragen, bei denen die einzelnen Zahlen die Kritik heraus- fordern, das gehört meiner Meinung nah in die Kommission; aber ih will Sie nur an zwei Ihnen Allen bekannte Zahlen erinnern: seitdem haben Sie einen Jahres-Etat beschlossen und ein zweiter Fahres- Etat liegt Ihnen vor; zu dem ersten Jahres-Etat haben Sie eizen Nachtrag beschlossen, der mit 36 Millionen Mark Erhöhung im Ordinarium abs{chloß; in dem zweiten Etat handelt es #fch, wie ich Ihnen vorgerechnet habe, um 56 Millionen Mark Erböbung im Ordinarium. Das sind doch Zahlen, die eine gewi{h- tige Rolle spielen, und außerdem liegt in der Zwischenzeit die Verab- \chiedung des Gesetzes über die Invaliditäts- und Altersversorgung;z jeßt stehen wir vor dem Inkrafttreten dieses Gesehes mit einer finanziellen Belastung, von der wir wissen, daß sie sehr hoh sein und {nell steigen wird, wenn wir auch noch nicht wissen, mit welchen Summen wir dabei zu renen haben. Das Andere, was sih seitdem geändert hat, ist, daß der erste Versuh, auf dem Wege ciner Konvention unsere Konkurrenzstaaten zu gleichmäßigem Vorgehen mit uns zu bringen, gescheitert ist. Ein weiteres Novum ist, daß man in Frankreich eine wesentliche Herabminderung der Prätnien vorgenommen hat.

Also, meine Herren, etwas is die Situation seit dem vorigen Jahre in der That verändert.

Abg. von Kardorff: Er sei si soeben vorgekommen, als ob er siebzehn Jahre jünger geworden sei, und als ob man nit über die Zuckersteuer, sondern wie 1873 über eine Camphausen-Delbrück'\{e Vorlage wegen Beseitigung der Eisenzölle verhandle. Damals dieselben Reden wie heute! Damals habe es auch geheißen: weg mit den Schutzzöllen, fie bereihern bloß den SWhlotjunker, den Eisenbaron, und die Eisenindustrie ist stark genug, diese Zölle zu entbehren, Da- mals hätten die Schußzöllner einen {weren Stand gehabt, viel \chwerer als heute. Auch heute noch müßten sie ja Vieles hinnehmen, wenn z. B. der Abg. Dr. Bamberger ihnen sage, es fei eine Koalition von Industrie und Agrarierthum erfolgt, um vereinigt dem Volke das Fell über die Ohren zu ziehen; aber damals hätten sie es noc viel schlimmer gehabt, sie hätten cine kleine Mino- rität und keine Presse zur Verfügung gehabt. Als aber durch die Auf- bebung der Eisenzölle die Katastrophe hereingebrocen sei, da habe die Nation in den Wahlen zum 1879er Reichstage ihr Verdikt ausgesprochen über eine Politik, welde Hungerlöhne und Brotlosigkeit herbei- geführt habe, und es habe eine Politik begonnen, deren Gelingen zu den größten Verdiensten des Fürsten Bismark gehöre. (Bravo! rets.) Nohnliche Empfindungen babe er (Redner) dieser Vorlage gegenüber, die namentlich in ihrer Begründung der Bedeutung des Rüben- baues und der Zukerindustrie lange niht gerecht werde. Frankrei trage den Intercssen seiner Zuckerproduktion gegenwärtig in einer ganz anderen Weise Rechnung. Gr könne au niht so leichten derzens wie der Abg. Dr. Witte über die französishe Konkurrenz R iribien, Einer der bedeutendsten Kenner, der ee, Schoeller, glaube sogar, daß die französishe Zuckertechnik die deutshe zu überflügeln im Begriffe sei. Allerdings habe Deutschland noch eine lebensfähige Zuckerindustrie, aber mit dem Wegfall ber Begünstigungen werde es mit ihr am Ende ebenso kommen, wie es seiner Zeit mit der Eifen- industrie dur den Wegfall der Eifenzölle gekommen sei, Eine ähnliche Katastrophe könne leiht auch die deutshe Zukerindustrie treffen, und es sei vorsichtiger, die gewagten Experimente zu ersparen. Die deutshe Nation werde von Neuem ihren Wahrspruch fällen. habe es eigentli für unmögli gehalten, daß man in diesem Augen- blick, wo die Verhandlungen mit Oesterreich -Ungarn im Gange

e

seien wegen eines Handelsvertrag8s, mit einer solchen Vorlage ha fommen können. Die Zuckerindustrie in. Oesterreih- Ungarn beginne

neuerdings einen Umfang und eine Bedeutung anzunehmen, die sie der deutschen ebenbürtig an die Seite treten lasse; solle man nun die