1891 / 26 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 29 Jan 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Theil der deutshen Auswanderer in Ost-Afrika unterzubringen, wenn dort erst eine Eisenbahn nach dem Kilimandscharo gebaut sei, auch nach Südwest-Afrika. Die geshilderten hlimmen Verhältnisse seien nur für Nord-Brasilien zutreffend, anders liege das für Süd-Brasilien mit seinem subtropishen, den Deutschen fehr zuträglihen Klima, wo prosvperirende deutshe Kolonien beständea. Diese sollte man weiter berüdsihtigen und auch die mäßige Auswanderung dorthin fördern. Die Mißstände, die man heute beklage, seien mit auf das von der Heydt’ sche Reskript zurückzuführen, dessen Ausdehnung auf Süd- Brasilien auch der Interpellant nit habe billigen können. In dieser Beziehung werde erst von einem Autwanderungszefeß Abhülfe zu erwarten sein.

Abg. v. Below (Saleske): Auch unter seiner Partei herrf{che völlige Einmüthigkeit darüber, daß eine Beschränkung der Aus- wanderungét freiheit nicht gewollt werde. Dem Mißstand aber, daß man si durch Auswanderung der Militärpflicht entziehen und ib, wenn man nach 10, 15 Jahren zurückfkehre, mit 50 Thalern los- fFaufen könne, während die im Lande Gebliebenen dem Vaterlande die {were Dienstpflicht abgeleistet hätten, müsse ein Ende gemacht werden. In Beurtheilung des Refkripts theile er die Auffassung des Vorredners: man solle den Auswanderungéstroin gerade nah Süd-Brasilten leiten, anstatt ibn, wie es jet geschehe, in die Vereinigten Staaten zu treiben. Blumenau z. B. babe ein Klima wie ein Land mit ewigen Früßling.

Hiernach wird ein Schlußantrag angenommen. Der Ge- genstand ist damit erledigt. L

Der Antrag des Abg. von Bülow (Wandsbek) auf Annahme eines Gesegentwurfs, welcher die Gültigkeit der preußishen Jagdsheine auch auf den Kreis Herzogthum Lauenburg ausdehnen will, wird ohne Debatte erledigt. Die zweite Lesung dieses Geseßentwurfs wird von der heutigen Tagesordnung abgeseßt, da die Abgg. von Rauchhaupt und Franke erklären, daß die Frage der Höhe der Jagdscheingebühr aus der Verbindung mit den An- trägen wegen des Wildscadengesezes wieder losgelöst und ge- sondert bei dem vorliegenden Geseßentwurfe des Abg. von Bülow in Angriff genommen werden soll. :

Die erste Lesung des Antrags Korsch auf Annahme eines Gesetzentwurfs, betreffend das Verbot des Privat- handels mit Staatslotterieloosen wird auf brieflichen Wunsch des erkrankten Antragstellers ebenfalls von der Tages3- ordnung abgeseßt.

Namens der Wahlprüfungekommission beantragt der Berichterstatter Abg. Dr. Grimm, die Wahl der Abgg. Dieß und Dünkelberg (2. Koblenz, Altentirhen-Neuwied) für gültig zu erklären.

Abg. Frißen beantragt Rüverweisung an die Kom- mission Behufs genauerer Prüfung. Nachdem die Abgg: Dr. Peters und Graf zu Limburg-Stirum sich dagegen, die Abgg. Dr. Windthorst und Nickert sich dafür erklärt haben, wird der Antrag abgelehnt und der Kommissionsantrag angenommen.

Der Gesetzentwurf, betreffend Abänderung der Kirchen- gemeinde- undSynodalordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Scchle- sien und Sachsen vom 10. September 1873, und der Entwurf, betreffend die Errichtung eines Amtsgerichts in der Stadt Kirn, werden ohne Debatte in dritter, der Gesetzentwurf, beireffend die Emeritirungsordnung für die evangelisch-lutherishe Kirche der Provinz Schleswig-Holstein, wird ebenfalls ohne Debatte in zweiter Lesung genehmigt.

Es folgt die erste Berathung der Vorlage, betreffend die

79 des Ausführungsgesehßes

Abänderung des deutshen Gerichts-

vom 24 April 1808 zum verfassungégesetß.

Justiz-Minister Dr, von Schelling:

Meine Herren! Bei der vorçestrigen Verhandlung in dbicsem Hause, welche aber nit zu Ende geführt wurde, ist von mehreren Seiten cine Rede bespr- chen worden, welche bei der Berathung dieser Vorlage im anderen Hause gehalten worden it. Der s\tenographische Bericht über diese Beratkung liegt jeßt vor, Dana ergiebt fi Folgendes:

Der Redner des anderen Hauses begann damit, daß im preußi- hen Richterstande das Pflichtgefühl, der Ficiß, die Disziplin, die ibn stets auszezeihnet häiten, noch immer lebendig seien. Er hat sodann ungünstige Urtheile über die Ausbildung der angehenden Æuristen gefällt und hat dann f@ließlih drei bedauerlihe Fälle erwähnt, in denen das außeramtlihe Verhalten von Ri@tern zu An- tôßen Verarlassung gegeben hat.

Meine Herten, diese Fälle ich habe? bloß, um das zu erklären, das Wort ergriffen stehen in durhaus keinem Zusammenhang mit dem Gegenstande und dem Zweck des vorliegenden Gesezes, (Sehr richtig!) In den Richterstand können {ih ehensogut, wie in anderen Berufszrweigen, moralisch untüchtige Personen eins{leien. Die în dem Nitterstande lebendige Standesehre hat sib aber immer Îräftig genug erwiesen, um solhe untüctige Elemente auêzumerzen, Mit den Disziplinarbefuguissen der Richter hat die gegenwärtige Vorlage absolut nichts zu thun, insbesondere liegt es ihr ganz fern, eine neue Kontrole über das auferamtlihe Verhalten der Richter einzuführen. Sie beschäftigt {H ledigli damit, daß die Aufsicht des aufsicht- führenden AÄmtsriters erweitert werden soll, und diese Aufsicht bestehx nach der geseßlihen Definition nur darin, daß der Richter in die Lagc gesetzt werden soll, auf die ordnungsmäßige Erledigung der Amts8geschäfte hinzuwirken.

Da i nun einmal das Wort habe, so gestatten Sie wohl, meine Herren, mich noH etwas weiter zu verbreiten. Es scheint, daß ein großer Theil derjenigen Mitglieder des Hauses, welche dem Ritbterstande angehören, der Vorlage gegenüber einen abweichenden Standpunkt einnimmt; ih hoffe aber do, die spätere Verhandlung werde den Beweis licfern, daß diese Meinungsverschiedenbeit keine so tiefgehende ift, wie es zu meinem Leidwesen den Anschein hat. Auf Neber.vunkte lege ich durhaus kein Gewicht; ih betrachte es als offene Frage, ob die Aufsiht widerruflich oder unwiderruflich über- tragen wird, in welher Weise die Vergütung des aufsihtführenden Amtsrichters bei den größeren Amtsgerihten diese habe ich allein im Auge geregelt werden soll, Nur das Eine wird si, glaube ih, nicht in Abrede stell-n lassen, daß nach den Ver- hältnissen in größeren Städten durhaus ein Mittelglied noth- wendig ist zwishen dem Landgerichts-Präsidenten einerseits und den Amtsrichtern andererseits.

Auch der Hr. Abg. Dr. Windthorst hat si bei einer früheren Verhandlung in diesem Hause über die Frage dieser Erkenntniß nicht ganz verschlossen. In der Verhandlung vom 4. März 1890 hat der geehrte Herr Abgeordnete anerkannt, daß, wenn man au eine starke Theilung vornehmen könnte und kann, doch immer in den einzelnen

großen Städten, hier in Berlin, Breslau, Frankfurt a. M., Hannover, die Zahl der Richter, welche an einem Amtsgericht wirkt, eine ziemlih erheblihe sein kann, und daß der betreffende aufsihtführende Amts8- rihter wohl eine exceptionele Stellung haben !könnte, und er hat hinzugefügt, er wäre vielleiht dem Herrn Kol- legen er meint damit den Hrn. Abg. Simon von Zastrow so weit entgegenzukommen bereit, für eiazelne Gerichte oder große Gerichte mit so und so viel Besezung etwas derartiges, wie er cs wolle, in Aussicht zu nehmen. In der That, meine Herren, hat der Landgerichts-Präsident in den großen Städten, namentlich hier in Berlin, keine unmiitelbare Wahrnehmung der Dinge bei den Amts- gerihtenz er erfährt nur, was entweder bei Geschäftsrevisionen er- mittelt oder in Beschwerdeschriften angezeigt wird. Das Bewußtsein der. kollegialen Zusammengehörigkeit, das in kleineren Verhältnissen so außerordentlich günstig wirkt, kann in den großen Städten nicht zur Geltung kommen; darin wird mir Niemand widersprechen.

Nun bat allerdings der Hr. Akg. Dr. Windthorst und das muß ich erwähnen, um ni&t eines unvollständigen Citats geziehen zu werden sofort hinzugefügt :

Aker au bei diesen würde ih niemals zugeben, daß der auf- sihtführende Beamte eine Präponderanz in Beziehung auf seine Kollegen hat.

Aber wer den Zweck will, muß au das Mittel wollen, Die Landrichter und Ober-Landesgerihts-Räthe stehen auch unter der Auf- it ihres rihterlihen Kollegen, des Landgerihts-Präsidenten, bezw. des Ober-Landesgerihts-Präsidenten. Allerdings haben diese cinen höheren Rang, aber an und für sih ist doch die Freudigkeit, mit welcher man si in eine gegebene Aufsicht fügt, niht von dem Rang- verbältniß, fondern von anderen Momenten abhängig. Dem Publikum gegenüber darin trete ih den geäußerten Bedenken bei ist es für die Autcrität des aufsihtführenden Amtêsrichters von Wichtigkeit, daß er eine hervorragende Rangstellung einnimmt, und ih bin auch geneigt, wenn der Entwurf Gesez werden soilte, meinerseits dahin zu wirken, daß in den großen Städten wie gesagt, ih reflektire nur auf die großen Städte den aufsihtführenden Amtsrihtern eine äußere Auszeichnung zu Theil wird.

Sollten aber auch Nachtheile mit der vorgeschlagenen Einrichtung verbunden fein, Nachtheile, die übrigens bei einer großen Zahl der Amtsrichter weniger bervortreten, dann werden diese Nachtheile doch dur die Vortheile der vorgeschlagenen Einrichtungen überwogen, die follegiale Aufsicht kann auf Grund eigener Wahrzehmung un- mittelbar auf fcisGer That ihre Einwirkung ausüben; sie kann, namentlich wenn Verzözerungen vorgekommen sind, so rechtzeitig ein- greifen, daß es dem betheiligten Richter selbst noch möglich wird, sich aus seinen Resten herauszuziehen. Sie ist aber vor Allem milder in der Form und doch zuglei wirksamer, weil sie mündlih und daher auf freund- \chaftlihem Wege erfolgen kann; es bleibt keine Verbitterung zurü, die fo oft die Folge \ch{riftliher Erörterung ist; vor Allem aber fährt das Publikum besser bei kollegialer Aufsicht. Wenn man Be- \{chwerden über das Verfahren der Amtsgerichte hört, so beruhen die- selben meistens auf Mißverständnissen. Eine Partei hat ungewöhnlich lange auf Erledigung ihres Geshäfts warten müssen, oder eine Partei , welche die Prozeßgeseße niht kennt, glaubt, daß sie vom Nidhter un- rihtig behandelt ist. Solche Klagen im Publikum, wenn sie ohne Aufklärung bleiben, erzeugen immer eine gewisse Mißstimmung gegen die Justiz.

Nun werden Sie mir sagen, meine Herren, warum wenden sich diese Leute niht an den Landgerichts-Präsidenten? Ja, die streit- \üchtigen Parteien allerdings sind immer geneigt, \chnell die Feder zu nehmenz aber ein großer anderer Theil des Publikums, der gerne mit den Behörden in Frieden lebt, {heut sich vor schriftlichen Beschwerden, Diesem Theil des Publikums kann das Net und die Aufklärung nur zu Theil werden, wenn Derjenige, der eine Beschwerde zu haben glaubt, sich unmittelbar an den aufsihtführenden Amtsrichter wenden kann, dessen Vermittelung nach- suHt, und wenn nun in der kürzesten Weise mündli die Angelegen- heit erledigt und aufgeklärt wird. Wenn es dann auch in einem ein- zeinen Falle zu einer Mißbilligung kommt, nun, so erfolgt sie mündli und hat für das Ansehen des Amtsrichters nicht die miß- lichen Folgen einer schriftliGen Mißbilligung. Andere Staaten in Deutschland, meine Herren, sind uns bkereits auf dem von der Vor- lage betretenen Wege vorau®gegangenz ih möchte Sie bitten, den VorsHlag der Regierung Ihrer gewohnten unbefangenen und sorg- fältigen Prüfung zu unterwerfen.

Aba. Biesenbach: In der Rheinprovinz habe der Entwurf allgemeine Mifßstimmung erregt. Die Frage sei ja nicht neu; bei der Berathung des Gerichtsverfassung2geseßes im Reich und bei der- jenigen des Ausführungsgeseßes in Preußen sei sie gründlich tur{- gearbeitet worden. Eine Aufsicht bei gleihgestellten Beamten sei jedenfalls ein sehr prekäres Mittel, Ja der Rheinprovinz gebe es feine verlotterten Richter, keine Ribter, welche eine derartige intensive Beaufsichtigung brauhten, wie sie der Ober-Landesgerihts- Präsident von Holleben im Herrenhause verlangt habe. Wo liege denn nun das Bedürfniß, einen Richter einem anderen Richter unterzuordnen, der ihm in jeder anderen Beziehung ganz gleich stehe? Was habe denn jeßt der Landgerichts-Präsident fo ungeheuer übermäßig zu thun, daß er niht di: Aufsiht üben könne? Früher habe er doch noch an der ReHtsprechung felbst Theil genommen, jeßt geshebe das nur noch in viel geringerem Maße; also bleibe ihm Zeit genug für die Aufsicht. Die Vorlage in der Gestalt des Herrenhauses seße das Ansehen des Amtsrichters beim rehtsuchenden Publikum einfah herab, Kein Amtsrichter wünsche das Gesetz, wie es aus dem Herrenhause hervor- gegangen sei. Er bitte, das Geseß einer besonderen Kommission zu überweisen.

Abg. Simon von Zastrow: Er freue si, daß der Ober-Landes- gerichts-Präsident von Holleben die abfälligen Aeußerungen über die Amtsrichter nicht in der Allgemeinheit gemacht habe, die die Zeitungen ihm imputirt hätten. (Widerspru links und im Centrum.) Er empfehle die Annahme der Vorlage, die auf eine ursprünglih Eannovershe Einrichtung zurückgehe. Im Abgeordnetenhause sei 1877 die Aufsicht für die größeren Amtsgerichte angenommen, aber

leider vom Herrenhause abgelehnt worden. Jett habe die Re,„ierung auf Anregung aus diesem Hause in Folge eines Antrags Olzem- Enneccerus dem Landtage die Vorlage gebracht, welhe das Herren- baus seiner Ansicht nach durchauz verbessert habe. Man sollte dem Würdigsten und, wenn es sein könne, dem Aeltesten (aha! und Heiterkeit linïs und im Centrum) ja, zuweilen könne das Alter nicht entsheiden die Auffiht übertragen. Die Land- gerihts-Präsidenten hätten auch ein Gewissen; sie wählten nur nach der Würdigkeit, politische, religiöse oder sonstige Rücksihten spielten überhaupt keine Rolle. Dem Kollegialsystem solle damit in keiner Weise Vorschub geleistet werden. Der Abg. Biesenbach sage, die Sache sei bei allen Amtsrichtern mißliebig; er bemerke, daß

gerade aus amtsrichterlihen Kreisen (Zwischenruf : Aufsichtführende !) den Abgg. Olzem und Enneccerus, sowie ihm die vielfahen An-

regungen dazu gekommen seien. Er schlage vor, die Vorlage der um 7 Mitglieder verstärkten Justizkommission zu überweisen.

Abg. Bödiker beantragt die Ueberweisung an eine besondere Kommission von 14 Mitgliedern. In der JIustizkommission säßen zu viel aktiv und passiv betheiligte Personen, welhe doch wohl nicht in eigener Sache würden entscheiden wollen. Die Sache mit der Ueber- nahme einer bewährten hannoverschen Einrichtung stimme nicht ganz; die bezügliche Bestimmung sei eine reaktionäre Verschlehterung der hannovershen Justizverfassüng unter dem Ministerium Borries, und weder Hr. Leonhardt noch Hr. Windthorst hätten von ihr Gebrauch ge- macht. Wenn man erst die Aufsicht für die Gerichte mit mehr als zehn Richtern zu!lasse, würden die Novellen bald kommen, welŸe dieselbe au auf die kleineren Gerichte ausdehnten, und deshalb sei es mit Freude zu begrüßen, daß das Herrenhaus sofort die Konsequenz gezogen und die Aufsicht für alle mit mehreren Richtern beseßten Ges rihte zugelassen habe. Die von dem Ober-Landesgerichts-Präsidenten von Holleken mitgetheilten Fälle scien doch Ausnahmen; wolle man solhe etwa für ausreihend betraŸten, um alle Amisrichter überhaupt unter Kuratel zu stellen? Er betrahte die Vorlage nur als Brücke zu ctwas Weiterem, und weil er das Weitere niht wolle, gelte für ihn: Principiis obsta! (Beifall im Centrum.)

Negierungskommissar Geheimer Ober - Justiz - Rath Eich- holz: Eine Zusammenstellung derjenigen Amtsrichter und derjenigen Fälle, in welchen Amtsrichter si Pflichtwidrigkeiten hätten zu Schulden kommen lassen, werde die Regierung nicht vorlegen; die Vorlage be- gründe sich aus den Mängeln der bestehenden Einrichtungen, nicht aus den Vorkommnissen bei Personen. Die Justizverwaltung habe gegen den Stand der Amtsrichter einen Vorwurf weder in der Be- gründung, noch bei den Verhandlungen im Herrenhause auszesprochen, au sei dort von verlotterten Amtsrichtern nit gesprochen worden. Die Einrichtung des Anitsrihterthums habe ih im Ganzen gut bewährt, au diescr Stand sei von dem Pflicht- gefühl beseelt, welches von jeher den Stolz des preußishen VBeamten- thums gebildet habe. Er wiederhole diese Erklärung hier mit Genehmigung des Ministers.

Abg. Kra h: Herr Dr. Dernburg habe im Herrenhause gesagt, das Ansehen der Justiz sei in Preußen im Weichen begriffen, er habe diesen Ausspruch niht bewiesen; Herr von Holleben habe ihm widersprochen, aber sofori die Befürchtung hinzugefügt, es könne vielleiht so kommen, dem müsse man vorbeugen. Auch dies set un- begründet und so die Befürchtung vor einem Sinken des Amtsrichter- standes völlig unberechtigt; er müsse das auch für die ihm unter- stellten Richter hier konstatiren, In seinem Bezirk habe er kein Bedürfniß der Verstärkung der Aufsiht wahrgenommen, er werde also gegen die Vorlage stimmen, wenn niht anders- wo die Verhältnisse anders und verbesserungsbedürftig seten. Wenn es freiliG so geshehe, wie Hr. von Holleben gesagt habe, daß der Ober-Landesgerichts-Präsident alle drei, der Landgerihts- Präsident alle vier Jahre die Gerichte revidire, dann werde die gesezlihe Vorschrift in ihr Gegentheil verkehrt, da doch die Revision durch die Landgerichts-Präsidenten in der Hauptsache roahrgenommen werden solle. Hier sollte durch Aenderung des Reglements nach- geholfen werden; außerdem sollten den Landgerichts-Präsidenten er- weiterie Befugnisse der Delegation von speziellen Vertcetecn gegeben werden. Verfehlungen von ÄAmtsrichtern kämen in den neuerworbenen Landestheilen eigenthümliherweise vorwiegend bei den Einzelgerichten vor, sodaß für diese weit mehr eine vermehrte Aufsicht angezeigt sei. Für unnöthig könne er aber deshalb die Vorlage nit halten. Wo die Landgerichte ein so großes Kollegium hätten, finde der Prä- fident thatsählich nicht die Zeit, die Aufsicht über die Amtsrichter zweckentsprehend auszuüben, man follte aber auf den ursprünglichen Vorschlag der Regierung zurückgehen. Das Bedürfniß fei wirkli nur für die großen Amtsgerichte anzuerkennen. Außerdem werde die Aufsi@t als unwiderruflich zu übertragen sein, womit denn auh der besondere Rang und Titel des aufsichtführenden Richters ih rechtfertigen würde. Für die Vorprüfung würde er cine besondere Kommission empfehlen. ) i

Abg. Czwalina: Die heutige Frage berühre nicht nur die Amtsrichter, sondern au aufs Tiefste die Rechtsordnung, deren seit 11 Fahren bestehende Form geändert werden solle. Jet ständen Amktsribter und Landrichter im Range vollkommen glei unter dem- selben Vorgesetzten, dem Landesgerichts - Präsidenten. Dies solle durchbrohen werden, es solle ein weiterer Vorgeseßztec für die Amts- richter eingeseßt werden. An Gründen für die piögliche Unhaltbar- feit der Zustände sei nihts Greifbares angeführt worden, Weil einer oder der andere Richter \sich unliebsam benommen habe? Selbst der Minister sage, auf diesen Grund sei gar nichts zu geben. Aber höchst wunderbar sei do&, was Hr. von Holleben, ein Ober-Landes8gèrichts- Präsident, in dem einen Falle erzählt habe; er habe sich nicht mit der Erkundigung beim Landgerichts- Präsidenten begnügt, die ihm doch hâtte ge- nügen müssen, sondern er sei zum Landrath gegangen und habe bei diesem das Entgegengesette erfahren. Was würde man gesagt haben, wenn ein Negierungs-Präsident sih beim Landgerichts-Präsidenten nah der Auffühcung der Landräthe erkundigt hätte? Warum frage man denn gar nit darnach, ob die Amtsrichter, die demnächst mit der Aufsicht betraut werden soliten, neue Belastungen noch ertragen könnten? Im Uebrigen sei zweifelhaft, ob nicht die Einschiebung einer solhen Instanz cine Veränderung des Reichsrechtcs, des Gerichtsverfassungsgesetes be- dinge. Allzuviele Anträge von Richtern selbt werde wohl der Abg. Simon v. Zastrow nicht erhalten haben. Die metallishe Frage spiele hier doch auch sehr mit, da ein besonderes Gehalt für den aufs sihtführenden Richter vorbehalten sei. Es handele fich um 600 Stellen, Das Minimura der Zulage würde doch 309 „(6 bes tragen müssen. Au er bitte, die Vorlage einer besonderen Koms- mission von 14 Mitgliedern zu überweisen, S

Abz. Günther spricht si Namens eines Theils feiner Freunde für die Vorlage aus und empfiehlt ihre Vorberathung in einer besonderen Kommission von 14 Mitgliedern. : l 2

Abg. Brandenburg erklärt, daß er bei seinen neulichen Aus» führungen der Mittheilung des „Preußischen Staatsanzeigers gefolgt sei; sein Prot:st, den er nur bedingt erhoben, sei aber infofern nit bestätigt worden, als der ftenographische Bericht den Wortlaut der Rede anders erscheinen lasse. Er spreche gegen das Gese, niht pro domo, denn er sei Einzelrichter, _sondera pro aris, um der Festi- gung des Rechtsgefühls im Volke willen. Der lebendige Verkehr des Amtsricters mit dem Volke werde zwar nit, wie Herr Dernburg meine, durch ein ministerielles Reglement zu erreihen sein; er müsse von der Person des Amtsrichters seinen Ausgang nehmen. Damit sei aber eine Stellung unter Aufsicht na Innen und na Außen nicht vereinbar. Höchstens könne die Sesammtheit dec Amtsrichter zu \folchem Zweck nach Art der Anwaltskammern zusammengefaßt werden. Er lehne diese Vorlage als s{chädlih a limine ab. /

Abg. Eberhard: Von einer ganz neuen ungeheuerlichen Ver- änderung des bestehenden Zustandes könne nicht geredet werden ; noch 1877 habe das Abgeordnetenhaus in dem Sinne entschieden, wie die Vorlage die Save regeln wolle. Daß eine Verminderung dcs Ansehens der Amtsrichter, eine capitis diminntio die Folge der Einseßung des aufsihtführenden Amtsrichters sein werde, hâtten die Erfahrungen in Bayern nicht bestätigt. Die Bedürfnißfrage müsse er nah der Begründung der Vorlage bejahen. Da die Sache I n eminenter Bedeutung sei, müsse kommissarishe Vorprüfung eintreten. / :

Abg. Dr. Windthorst: Das Haus habe es hier mit dem lezten Ringen des ehemaligen Kreisgerichts gegen den Amtsrichter zu thun. Nach den nicht glücklihen Erörterungen im Herrenhause, in denen er eine Anklage gegen das Amtsrichterthum erblide, dürfe das Haus si auf die Vorlage überhaupt nicht einlassen. Die Erklärung des Kommissars in so besonders feierliher Weise und unter Be- tonung, daß dies mit Genehmigung des Ministers ge|hehe, beweise, daß man das Bedürfniß gefühlt habe, den Eindruck der Verhandlungen im Herrenhause abzuschwähen. Nah feinem Dafürhalten habe aber die Erklärung des Kommissars der Vorlage den Boden entzogen. Er freue sich besonders, daß auch nach Ansicht der Justizverwaltung das Einzelgeriht sich im Großen und Ganzen bewährt habe; das sei ein kleiner Dämpfer für Die, die es

immer woh bekämpften. Der Eindruck im Publikum sei fast allgemein der, daß die Vorlage eine üble Censur für die Richter enthalte. Die Ri(ter selbst müßten ja insgesammt darin eine harte Censur sehen. In der Diskussion sei nun gar niht deutlich hervorgetreten, ob die Redner die Beschlüsse des Herrenhauses oder die Vorlage besprohen hätten. Die Argumente seien für beide sehr verschieden. Mit der Regierungsvorlage könne man handeln, mit den Beschlüssen des Herrenhauses absolut nicht. In Berlin könne es an- gezeigt sein, einen besonderen Direktor mit besonderem Gehalt an die Spize zu stellen. Aber sonst fehle es an jedem Anlaß für eine solhe Aenderung. Wie denke man ih das Verhältniß an einem Gericht mit zwei Richtern, würde dort nit die Uebertragung der Aufsiht an den einen Richter als die Stigmatisirung des Anderen ganz allgemein ersheiaen? Der jüngere Amtsrichter dürfe niht über den älteren gesegt, die Aufficht nicht widerrcuflich übertragen werden. Er sei erstaunt, daß die Jufstiz- verwaltung sich der Ausdehnung der Vorlage im Herrenhause nit widersetzt habe. Wenn man die Rivter, so wie bier geplant, unter die Knute stelle, glaube man dadurch ihre Manneékraft zu heben ? Entweder schafffe man das Amisgeriht ab, wenn es nit gefalle; gefalle es aber, oder könne man es nicht abschaffen, so möge man ihm auth nit solche capitis diminutio zumuthen.

Abg, Dr. Krause: Seine Partei könne in ihrem größten Theile die Vorlage nicht annehmen, sei aber mit der Verweisung an eine Kommission von vierzehn Mitgliedern einverstanden. Die Aufsicht ci, wenn überhaupt, vielleiht bet den Einzelgerichten dringender nöthig. Die großen Ämtsgerichte am Sitze der Landgerichte seien von den Landgerichts-Präsidenten leiht zu beauffichtigenz für Berlin werde au der aufsihiführende Richter nicht ausreichen. Herr von Holleben, das müsse er als Äbgeordneter der Provinz Ostpreußen sagen, habe die Ver- hältnisse der rihterlihen Wirksamkeit in einer Weise vorgetragen, die man sonst nicht in gesetzgebenden Körperschaften zu hören gewohnt sei; auf Mittheilungen, weiche man mit dem flassishen Ausdruck „Klatsc“ bezeichnen könne, bätte er doch lieber verzichten sollen. Seine Partei lege Protest ein wegen cines solchen Verfahrens. Sie könne weder die Regierungévorlage, noch gar. die Herrenhausbeschlüsse acceptiren. Der e Zustand babe zu Beschwerden und Bedenken Anlaß nicht g?7geben,. f i L : S :

Der Geseyentwurf wird einer Kommission von 14 Mit- gliedern überwiesen.

Schluß 41/5 Uhr.

Statiftik und Volkswirthschaft.

Nur Arbeiterbewegung.

Den Geburtstag Sr. Majestät des Kaisers begingen auch viele Arbeitervereine durh eine besondere Feslfeier, Wir erwähnen nur na Zeitungsberihten, daß der evangelische Arbeiterverein zu St, Johann bei Saarbrücken eine s{chône Feier veranstaltet hatte, in welcher Pfarrer Lihrock und Dr, Leon- hardt den Sefühlen des Darkes und der Ghrerbietung Ausdru gaben. Der evangelische Arbeiterverein in Witten beging das Fest in Eemeinschaft mit dem Männer- und Jünglingéverein durch gemeinfamen Kir{gang, welhem im Wereinslokal eine Nac@feier durch Ansprachen, Eesfang- „und Musikvorträge folgte. Der evangelische Avbeiter-_ und Bürger- verein zu Essen hatte feine Feter bereits am Sonntag veranstaltet ; Pastor Klingemann hielt die Festrede. Aus Ottweiler berichtet man der „S. u. Bl, Ztg.“ unter dem 27, d. M.: Gestern Abend ertônie von beiden Kir@en feierlihes Glockengeläute, dazwischen donnerten die Böller von der Höhe des Holzberges, so die Feier des Kaiserlihen Geburtstages einleitend. Um 8 Übr bewegte sich ein Lampions-Zug, Musik voraus, durch die Straßen der Stadt zum Slofplaße, Die Bergleute waren es, welche ihrem obersten Bergherrn zu Ehren diesen Zug veranstaltet hatten. Dort traten die Lampenträger in einen Kreis und die Bergleute Grâässer und Wißel hielten Ansprachen an ihre Kameraden, sie zu Treue und Gehorsam gegen den Kaiser ermahnend, der schon Vieles für sie gethan habe und ferner für sie thun werde. Unker den Klängen des Zapfenstreihs verließ der Zug darauf den Schloßplatz. Der Handwerkermeister- Verein zu Magdeburg- Budckau feierte des Kaisers Geburtsïag am Montag Abend in seinem festlich ges{müdckten Versammlungssaal.

Aus Saarbrücken wird der „Rh. - Wesif. Ztg.“ gesczrieben : Eine zu Bildstock stattgehabte Vertrauensmänner-Ver- sammlung des bergmännischen Rechts\chußvere ins faßte u. A. folgeade Beschlüsse: Vertrauensmänner erßalten, wenn sie vom Vorstande zusammenberufen werden, die Schicht bezahlt, die Eisen- bahnfahrkarte vergütet und 4 4 Reisegeld; die vom Vorstande zur Abhaltung von Versammlungen beorderten Bergleute erhalten ent- sprechende Vergütung; vier abgelegte Vorstandsmitglieder bezichen vorläufig auf fechs Monate 100 bezw. 80 monatli, wie bisher; der Antrag, für den Verein ein eigenes, wöchentlich einma! erscheinendes Blatt herauszugeben, soll noch näher in Erwägung ge- zogen werden. Zum Schluß wurde noch proklamirt, daß der 4, Februar als Gedenktag besonders gefeiert werden solle, an dem Se. Majestät der Kaiser im vorigen Jaßre das Wort gesprochen : „Die fiskalischen Gruben sollten Mustergruben werden,“ Tags vorher will man Namens des Vereins telegraphisch an den Kaiser eine Dankadresse richten. (Vgl. Nc. 23 d. Bl) Die Rechnungs8- ablage ergab für die zwei erften Quartale 1890 eine Einnahme von 19 105 M, eine Ausgabe von 12526 4, worunter si 6197 Prozeßkosten befinden. :

Aus Altona wird der „Mgdb. Ztg." tclegraphirt: Trcy der gegentheiligen sozialistischen Erklärungen flossen die Unterstüßungen aus der General strikeTasse an die ausständigen Glas8macher Otrensen's so spärlich, daß der größte Theil der leßteren die Be- dingungen der Arbeitgeber erfüllte und die Arbeit wieder aufnahm.

„In einer Versammlung der Sozialdemokraten in Passau bekämpfte, wie der „Frkf. Ztg.“ geschrieben wird, der Domkapitular Dr. Pichler, welcher mit cinem Cooperator und 25 Mitgliedern des katholischen M teins erschienen war, den s\ozialdemokratischen Redner in wiederhollen längeren Ausführungen. Nach der Passauec „Donauztg.* ist der Sozialdemokrat dem Domherrn nit gewachsen gewesen, nad der Münchener sozialdemokratishen „Post“ Habe der Verlauf der Versammlung den Geistlichen eine Enttäushung gebracht. Die sozialdemokratishe Resolution wurde angenommen.

In Leipzig sollte am Dienstag eine öffentlihe Versammlung der Tischler und aller in der Holzindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen stattfinden, Man darf der „Lpz. Ztg.“ zufolge die Angehörigen sämmtlicher zu dieser Industrie zählenden Berufe und Gewerkschaften auf 4000 \ch{ätßen; ershienen waren aber nur etwa 100, darunter keine einzige Arbeiterin. Es wurde zu- nächst über den Verlauf des in Hannover abgehaltenen deutschen Tischlerkongresses berichtet. Die Versammlung beshlof;, den minder- jährigen Gehülfen, die in Sachsen der Organisation nit ange- hören dürfen, den Beitritt zum deutshen Tischlerverbande als Einzelmitglieder zu empfehlen, und nahm die Wahlen zur Er- gänzung der Lohnkommission vor. Eine von 80 Perfonen besuchte Sttlammibng der Tapezierergehülfen beschloß, den von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinschaftlich geführten, mit einer Reiseunterstüßungskasse verbundenen Arbeitsnahweis auf- zugeben, nachdem die Innung mit der selbständigen Errichtung eines derartigen Instituts vorgegangen ift. A Hier in Berlin fanden gestern zwei große Versammlungen von Hip,eitslosen statt, in welchen Resolutionen gegen die städtischen logaen gefaßt und Erklärungen im sozialdemokratischen Sinne be- n wurden. hat Die sozialdemokratishe Fraktion des Reichstages Bes wie der „Vorwärts* berichtet, gestern Abend bei sehr starker e]ebung über die Frage der Maifeier dahin entschieden, daß den enossen empfohlen werden soll, die Feier auf den ersten Sonntag

im Mai zu verlegen. Ein demnächst zu veröffentlihender Aufruf der Fraktion soll die Gründe für den Beschluß darlegen.

Aus London wird der „Köln. Ztg.“ unter dem 26. d. M. berichtet: Der Vorstand des Vereins der shottischen Eisen- bahnbediensteten (Amalgamated Society of Railway Servants for Scotland) ift von der North British Eisenbahn gerichtlich belangt worden. Die Gesellschaft klagt den Vorstand an, ihre Be- diensteten abwendig gemaht und zum Ausstand verleitet zu haben; außerdem wird geltend gemacht, er babe unbegründete Ge- rüchte über die UnsiGerheit der Eisenbahnen ausgesprengt. Dafür beansprucht die Eisenbahngesellshaft 20 000 Pfd. Sterl, Scadenersay und hat aub jchon die Kasse des Vereins mit Beschlag belegt. Die North British Eisenbahn forderte die Ausständischen zum leßten Male auf, in den Dienst zurückzukehren und gab ihnen bis Montag Abend Bedenkzeit. In Dundee allein find 200 Mann endgültig entlassen worden. Den Bergleuten im Bezirk von Cleveland ist angezeigt worden, daß die Arbeitgeber in 14 Tagen ihrer Dienste niht mehr bedürfen. Die G-cubenbesiter bestehen auf einer Lohnherabsetßzung von 123°%/o, die Leute aber sagen, 23 o wäre geaug: Etwa 5000 Arbeiter werden davon betroffen.

Qunst und Wissenschaft.

Die „Po st* schreibt: Eine denkwürdige Viertelstunde für alle Betheiligten war es, als der Geheime Medizinal-Rath Dr. K o ch Anfangs dieser Woche das Sanatorium Dr. Cornet's in Charlotten- burg besuhte und sich bemerkens8werthe Kranke vorstellen ließ. Jn ciner Abtheilung kamen fünf Kranke zur VorLellung: zwei Lupus- kranke und drei an der Lungentuberkulose Leidende. Von jenen fonntz die cine 30jährige Patientin, welche seit ihrem dritten Lebensjahre an tem Lupus auf der rechten Gesichtshälfte litt, als geheilt, die andere, welche seit 22 Jahren krank ift, und bei welcher der Lupus vom Gesiht aus sih über den ganzen reten und über Theile des linken Armes verbreitet hat, als wesentli gebessert bezeihnet werden: im Gesicht war selbst für einen Laien die Besserung deutlih erkennbar. Diese beklagenswerthe Kranke, welche vor der Behandlung \{on zehn Mal ohne andauernden Erfolg operirt worden ist, vermochte die beim Anblick ihres Retters überströmenden Gefübßle des Dankes nit zurückzudrängen; vor freudiger Aufregung zu sprechen unfähig, küßte sie dem Gelehrten unter Thränen die Hand. Von den drei vorgestellten Lungenkranken hat ein 13jähriges Mädwen seit ca. einer Woche keine Bacillen mehr und sieht in den nächsten Tagen ihrer Entlassung als geheilt entgegen. Bei einem 28jährigen Manne wurde eine thatsähliche Besserung konstatirt. Der dritte Lungenkranke war seiner anfänglih überaus boben Reaktion wegen bemerkenswerth, nach der se{chsten Injektion reagirte er bisher noch nicht; au bei ihm ift eine wesentlihe Befse- G zu konstatiren, wiewohl er erft seit ca. 3 Wochen in Behand- ung ift.

Die deutsche Kunst auf der Ausstellung deutscher Kunst- und Industrie-GErzeugnisse, London 1891, mat, wie man uns berichtet, ganz besondere Anftrengungen, um die ihr jeßt fo günstig und wohlfeil gebotene Gelegenheit, den englischen

arkt für sich zu gewinnen, nach Möglichkeit au8zunüßen. Das geht {on daraus hervor, daß Dircktor, Professor A. von Werner, Berlin, die Professoren Franz von Defregger, G. Papperiy, Alb. Keller, Herm. Kaulbach, Rud. Seitz in München dem Deutschen Ghreneomité beigetreten und jedenfalls Alles aufbietèn werden, dieser Ausstellung zu einem entschiedenen Erfolg zu verhelfen. Wenn- gleich wir ja in diesem Jahre in Dcutschland selbst drei große Kunsiausstellungen haben und daher der Zeitpunkt kein glücklicher ist, so mag do ganz besonders auf die große Bedeutung des englischen Marfts als des effektiven Weltmarkis für unsere Kunst, sowie darauf hingewiesen werden, daß gerade in der unter derselben Leitung stattgefundenen italienisGen Ausstellung 1888 und französischGen 1890 ganz bedeutende Verkäufe von Bildern stattgefunden haben. Aus den von den Comité-Mitgliedern oder dem Kommissariat Berlin W., Wilhelmstraße 92, zu beziehenden Bedingungen ist zu ersehen, daß die Ausstellung alle Spesen für Verpackung, Tranéport, Versicherung, Platzmiethe, Dekoration, Aufkängen, Bewahung und Insftand- baltung sowie Rüktransport der unverkauft gebliebenen Kunstwerke felbst trägt, au) auf Kosten der Ausstellung ein vom deuishen Chren- comité zu bestellender Vertreter aus\ch(ließlih für die Kunstabtheilung während der ganzen Dauer anwesend sein wird, dagegen rechnet die Ausstellung bei Verkäufen 10 %/% Kommission. Sammelplätze für die Bilder sollen Berlin, München, Düsseldorf sein.

D Von der Ausgabe der Kapitularien (den Geseßen und Ver- ordnungen der fränkishen Könice) in der Sammlung dèr Monu- menta Germaniae historica ift, fieben Jahre nach dem Erscheinen den ersten Bandes, nunmehr das erste Heft des zweiten erschienen, Nachdem Professor Boretius ih wegen seines Gesund- heitiszustandes genöthigt gesehen, auf die Fortseßung des Werks zu verzichten, hat Dr, Victor Krause dieselbe Übernommen, der darüber im soeben ausgegebenen zweiten Heft 16. Bandes des „Neuen Archivs der Gesellschaft für ältere deutshe Geschichtskunde“ (Hannover, Hahn’sche Buchhandlung) berihtet. Das este Heft enthält den Rest der Kapitularien Ludwigs des Frommen sowie die Geseße Lothar's T. und der übrigen Herrscher Italiens mit den dazu gehörigen Additamenta, Dann folgen die venetianischen Pacta und Praecepta, und den Schluß bilden die im osifränkishen Reiche entstandenen Kapitularien. Zum erstzn Mal erscheinen darin Lothar’s I. Capitulare de expeditione contra Sarracenos facienda; die Pacta et Praecepta YVenetica, von denen die Präcepte Ludwig's 11, Wido's, Rudolf's, Hugo’s hier zuerst in ihrem ganzen Wortlaut veröffentlicht sind; endlih das erste Mainzer Konzil vom Jahre 847, Bon Boretius stammen die Einleitungen in ihrem zweiten Theil, der Text, soweit er nicht durch eine von Krause vorgenommene andere Handschriften-Gruppirung alterirt wurde, ein Theil der Varianten und die nicht mit der Sigle des Letzteren verschenen erklärenden Noten. Im Uebrigen {ließt sich der Band aufs Engste an den ersten anz sowohl in den Einleitungen wie in den erklärenden Noten ift nur das Allernothwendigste gesagt und das Hauptgewiht auf die Her- stellung eines möglihst guten Textes gelegt worden. Das Heft bricht kurz vor der Synode von Tribur (895) ab. Das zweite (Schluße-) Hest mit den Addenda und Corrigeada, einem ausführlichen Index zu beiden Bänden und der Handschriften-Beschreibung hofft der Verfasser innerhalb zweier Jahre fertigstellen zu können. Von den „Geschichts\hreibern der deuts{chen Vorzeit“ ist erschienen: die Chronik des Albert von Stade, überseßt von F. Wachter, mit Anmerkungen von Wattenbach, ferner die zweite von Wattenbach neu bearbeitete und vielfach berihtigte Auflage von Jasmund's Ueber- seßung der Vita Brunonis des Ruotger, Von den „Kaiseruckunden in Abbildungen“ wurde die 10, Lieferung ausgegeben. Sie bietet auf 24 Tafeln 42 Urkunden aus der Zeit der Kaiser Koarad III,, Friedri I., Heinrich VI., Philipp und Otto IV, Die Abbildungen find im Laufe der Jahre, seit dem Beginn dieser großen von Heinrich von Sybel und Theodor von Sickel ins Leben gerufenen Publikation technisch immer mehr vervollklommnet worden, Auswahl und Er- läâuterung hat W. Sch{um beforgt.

Handel und Gewerbe.

Die „Swles, Ztg.“ berihtet vom oberschlesischen Stein- koblenmarkt; Der Verkehr ist in den leßten Wochen ungemein rege gewesen, Dir Begehr nah Kohlen machte \sich außergewöhnlih dringend geltend, und in- wie ausländishe Kohlenhändler bezw. deren Vertreter halten sh seit Wochen im Revier auf, um möglichst viel Kohle auf den Transport zu bringen. Doch troy aller Bemühungen und hohen Preieanerbietungen, welche namentlich von Seiten der Wiener Händler den oberschlesishen Kleinhändlern loko Waggon ge- macht werden, sind Leßtere niht im Stande, auch nur den dritten Theil des begehrten Quantums auf den Weg zu bringen, weil das Transportmaterial nit ausreiht und ein beträchtlicher Theil der ge- sammten Förderung fast auf allen Grubenin Bestand gestürzt werden mußte. Die Gründe dieser Kalamität sind ausnahmslos in dem außergewöhnlich

\trengen Winter und den ungeheuren Schneemassen zu suchen, in Folge deren

die Kommunikation niht nur gehemmt, \ondern zeitweise ganz unter- brochen wurde, sodaß die Rücksendung der am Beftimmungsorte ent- leerten Wagen ungeachtet aller Vorkehrungen von Seiten der Bahn- verwaltungen niht in erforderlihem Maße bewirkt werden konnte. Der Andrang der Fuhrwerke, auch aus Galizien, zu den Gruben, welch@e Kohlen cumulativ verkaufen, ift sehr stark. Die auf cinigen Gruben unternommenen Erweiterungsbauten und Neuanlagen gehen der starken Fröfte wegen nur langsam vor sich. Die Koks8anstalten sind in vollem Betriebe, und findet das Produkt \chlanken Absazß. Weniger günstig steht es gegenwärtig mit Theer und Theecproduktea ; für dieselben ist zur Zeit weniger Verwendung vorhanden, sodaß ein großer Theil dieser Produkte auf Lager gehen muß.

Dle „Rh. - Westf. Ztg.“ berihtet vom rheinisch-west- fälischen Eisfen- und Stahlmarkt: Eine wesentlihe Aende- rung läßt sich in der Geschäftslage des rheinisch - westfälischen Eisen- marktes im Verlaufe der leßten Woche nit verzeihnen. Die in den leßten Wochen bemerkbare Besserung \cheint keine Fortschritte ge- macht zu haben. Vielfah haben auch die Verkehrs\stockungen auf den Wasserstraßen hinderlich auf die Entwickelung des Geschäfts gewirkt, und der Betrieb ist fast allenthalben durch den Kohlenmangel ungünstig beeinflußt'worden. Ueber die weitere Gestal{ung des Marktes sind die Meinungen in den Kreisen der Industriellen sehr getheilt, Während man auf der einen Seite mit Sicherheit erwartet, daß für die Gefchäftsftille des firengen Winters mit, Eintritt des Frühjahrs ein Ausgleich geboten werde, alaubt man auf der auderen Seite wieder, daß man in Folge der Unsiherheit der Arbeiter sowie auch der übrigen Erwerbs8verhältnifse feine allzu hohen Erwartungen hegen dürfe. In Eisenerzen hat sih das Geschäft in der lezten Woche nicht gebessert, Vom Siegerlande liegen keine Nachrichten von Belang vor, dagegen haben im Luxzmburg-Lothringischen die Preise für einige Minettesorten wieder etwas nachgegeben. Spanische Erze sind flau, und der Versand ist durch die Versperrung der Flußwege behindert. Auf dein Noheisenmarkt war das Geschäft im Verlauf der leßten Woche ziemlich ill. Austräge auf längere Zeit gingen nur höchst ver- einzeit ein, und die Preise waren gedrückt. Die Roheisenproduzenten führen nach wie vor Klage, daß die augenblickliGen Kohlen- und Kokêpreise zu hohe seien, um mit einigem Nuten zu verkaufen, Für S piegeleisen wird sowohl vom Inlande wie vom Auslande led- haste Nachfrage für sofortigen Bedarf bei unveränderten Preisen ge- meldet. Für die übrigen Roheisensorten ist Besonderes nicht zu berichten, Auf dem Walzeisenmarkt hat sih die Lage der Dinge it Ganzen und Großen nicht anders gefialtet als in der Vorwoche, Die Preise sind für Stabeisen ziemli fest und noch annähernd lohnend. Die Na&frage war eine ungleihmäßige, Bei einigen Werken war dieselbe ziemlich s{chwaG, während von anderer Séite berichtet wird, daß der Eingang von Inlandaufträgen si befriedigen der gestaltet hat. Die pünktli@e Erledigung der Aufträge ogt jedoh auf S{hwierigkeiten, weil eine Reihe von Werken wegen Kohlenmangels zur theilweisen Einstellung ihres Betriebes gezwungen ist. So weit die Spezifikationen regelmäßig einlaufen, reihen die Aufträge vielfach für das erste Vierteljabr noch zum regelmäßigen Betrieb aus. Die Nathfragen vom Ausland sind außerordentli gering; zur Zeit ftockt der Versand dorthin überhaupt in Folge des gestörten Verkehrs gänzli. Die Lager sind durhweg gleihbleibend, doch sollen dieselben vereinzelt zu- genommen haben. Eine energishere Belebung des Geschäfts erwartet man bestimmt mit Eintritt der milden Witterung. Die Händler klagen all emein, daß der strenge Winter eine empfindlihe Stille im Geschäft herbeigeführt habe, die vielfa auch {on von den Werken ver]pürt wurde, Die Trägerwalzwerke sind im Ganzen befriedigend beschäftigt, und es cirkuliren bereits GerüŸte über eine Erhöhung der Preise. Bandeisen ist unverändert; auh hier haben der anhaltende Frost und der Kohlenmangel “sowohl auf die Erzeugung als auf die Befriedigung des Bedarfs hemmend eingewirkt. In Kesselblechen und Grobblechen überhaupt ift das Geschäft flau. Die bisher notirten Preise dürfen als nominell gelten, da man allerseits ziemli bedeutende Preisnachläfse gewährt. In Feinblechen ist die Inlandna@frage schr s{chwach und die aus- ländische so gut wie Null, fodaß gegen die Vorwoche eher ein Rü- gang zu verzeihnen ist, Es liegen jedoch vorläufig noch Aufträge für einige Zeit vor und gestaiten meist noch einen regelmäßigen Betrieb. In Walzdraht, gezogenen Drähten und Drahtstiften ift die Geschäftslage im Allgemeinen unverändert, In Folge des durch den Frost bedingten Stillliegens der Wafserrollen sind die durch Dampf betriebenen Drahtziehereien, sofern sie nicht durch Kohlen- mangel behindert sind, in angestrenater Thätigkeit. Die Eisen- gießereien und MasGinenfabriken sind ungleih beschäftigt; im Rhein- und Rußhrbezirke wird vielfach über Mangel an Aufträgen und unlohnende Preise geklagt.

Dortmund, 28. Januar. (W. T. B.) In der heutigen Auf-

fihtsraths\fibung der Harpener Bergbau-Aktiengesellschaft wurde Über die Betriebsresultcate des ersten Semesters des laufenden Geschäftsjahres Bericht erstattet: der während dieses Zeitraums er- zielte Gewinn beträgt ca. 5400000 A Die Aussfihten für die weitere Geschäft8entwickelung wurden als recht befriedigende be- zeichnet. Auf den Antrag des Vorstandes beschloß der Aufsichts- rath auf Grund vorliegender Anstellungen den Erwerb der Berg- werks-Aktiengesellschaft Gneisenau und der Gewerk- \cchaft Preußen sowie der Majorität der Kure der Gewerk- {haft Swharnhorfst. Der Kaufpreis soll theils aus bereiten Mitteln, theils durch Ausgabe von 3 000000 F neuer Aktien aufs gebraht werden, welche vorbehaltlich der Genehmigung der Neu- emission durch die auf den 28. Februar cr. einberufene General- versammlung begeben sind. München, 29, Januar. (W. V. B) In den gestrigen Sigzungen des Aufsichtsraths der bayerischen Hy potbeken- und Wechselbank und der bayerischen Notenbank wurde be- \chlosfsen, daß erstere 12,017 % = 103 44 pro Aktie, und leßtere 9 9/0 Dividende vertheile.

Nürnberg, 28. Januar. (W. T. B,) Die Nürnberger Vereinsbank beantragt die Vertheilung einer Dividende von 87 9%.

Leipzig, 28. Januar. (W. £. B) Kammzug-Termin- handel. La Plata, Erundmuster B. pr. Februar 4,35 #4, pr. März 4,374 4, pr. April 4,40 #, pr. Mai 4,40 H, pr. Juni 4,40 #4, pr. Juli 4,42} .4, pr. August 4,427 #6, pr. September 4,423 #4, pr. Oktober 4,45 #&, pr. November 4,45 #, pr. Dezember 4,45 A Umsay 215 000 kg. Behauptet.

London, 28. Januar. (W. T. B.) Wollauktion. Stim- mung fest, Preise unverändert, Betheiligung lebhaft.

29. Januar. (W. T. B.) Die Bank von England bat den Diskont von 34% auf 39% herabge!etßt.

Konstantinopel, 28. Januar. (W. T. B.) Die Statuten der „Société du Chemin de Fer Ottoman Salonique- Monastir“ find genchmigt. Das Aktienkapital ist auf 20 Mil- lionen Francs festgeseßt, eingetheilt in 10 Millionen Francs Vorzugs- aftien und 10 Millionen Frgncs Stammaktien. Der erste Verwal- lungêrath besteht aus Bertram Effendi, dem Direktor E. Guttmann, Alfred Kaulla, dem General-Direktor der anatolischen Bahn von Kühl- mann, Karl Shrader und Dr. Siemens.

New-York, 28, Januar. (W, T. B.) In der Klagesache wegen der Verfassungsmäßigkeit des Mac Kinley'shen Tarif- geseßes, welhe die Firma Stennbach bei dem Bezirksgericht angestrengt hatte und in welher dieselbe gegen den Zoll von 45 % ad valorem auf importirte fertige Baumwollenwaaren protestirte, entschied der Richter zu Gunsten des Tarifgeseßes. Gegen diese Ent- Ges wird bei dem obersten Gerichtshofe Berufung eingelegt werden.

Verkehrs-Anstalten.

Königsberg i. Pr., 28. Januar. (W.T.B.) Das König- liheEisenbahn-Betriebsamt meldet: Die Stre. Königs- berg Labiau ist in Folge Zugentgleisung bis auf Weiteres

unfahrbar. Verletzungen von Reisenden sind niht vorgekommen.