1891 / 40 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 14 Feb 1891 18:00:01 GMT) scan diff

des Soitesdienstes zu besorgen pflegt. Für diese Verbältniffe ift der Verkauf am Sonntag nicht zu entbehren, und in diesem Sinne haben ih aug alle Petitionen und Gutaten, die aus folhen Verbältniffen stammen, auëgesprochen.

Wenn der Hr. Abg. Wöllmer uns gesagt bat, daß eine Reibe von Handelékammern si dabin erklärt babe, daß es nur eine Frage der Konkurrenz end der \{lech{ten Gewohnheit sei, daß am Sonntage überhaupt verkauft wird, fo stimme ih dem für die Ortshaften, aus denen derartige Aeußerungen stammen, vollständig zu. Konkurrenz und \chlechte Gewohnheit sind es aber nit, die dazu führen, daß in ländlichen VerkEältnifsen der Arbeiter, der Kleinbauer und alle die Personen, die in der WotGe von ibrem Verdienst leben, ihre Einkäufe am Sonntag maten. Nick&t Konkurrerz, nicht \chle{chte Gewohnheit, sondern die Nothwendigkeit, an Wochentagen bâäutlie Arbeit zu liefern, führt dazu, Sonntags in die Stadt zu geben und dort im Ans{&luß an den Gottesdienst oder vorber die Ein- käufe zu maten, die nur am Sonntag gemaHt vnd für den Haushalt niht entbehrt werden können.

Die verbündeten Regierungen sind aus den angeführten Eründen einverstanden mit der Fassung des zweiten Absatzes des S. 105 b, in welcher derselbe aus den Beschlüssen zweiter Lesung der Kommission bervorgegangen ift. Nur erregt der erste Saß insofern erbebli®e Be- denken, als er ein absolutes Verbot der Beschäftigung am erften Dfter-, Weibnachts- oder Pfingsttag auéspri&t. Nit aus enghberzigen Geldrüdck- sihten oder aus dem Wunsche, den Handlung®egebülfen das leßte Biscken Freiheit zu nehmen, welches ibnen das Gesetz giebt wie dies Hr. Abg. Singer Betreffs aller derjenigen bebauprtet hat, welche für den Antrag Gutfleish stimmen werden begen wir diese Bedenken, nein, meine Herren, aus dem Grunde, weil wir bestimmt wissen, daß es zablreihe Arbeiten giebt, die an diesen drei Tagen gemacht werden müssen. Sie können geseßlihe Verbote autsprechen, so viel Sie wollen, gewisse Arbeiten müssen, wie die Dinge einmal liegen, denr.oŸ verrihtet werden, und deshalb halten wir es rniét für rihtig, ein absolutes Verbot diéser Arbeiten auszusprehen. Das bezieht sich namentli auf alle Comptoirarbeiten der großen Handels- ges&äfte und der Fabrikgeshäfte. Es ift unmögli, zu verhindern, daß eingehende Briefe und Telegramme an diesen Tagen geöffnet werden. Sobald der Prokurist eines großen Handel#ges{chäfts oder Fabrikges{äfts an einem dieser drei Feiertage ins Comptoir gebt und die Briefe offnet, fällt er unter die Strafbestimmungen dieses Gesetzes, Das ift undur@fübrbar. Man kann au nit sagen: der Prinzipal kann selb Hingeben und die Geschäfte besorgen. Das kann er nicht. Denn erstens kann die Masse der zu eröffnenden Briefe und Telegramme fo groß sein, daß er dazu niht im Stande ift. Sodann kann er fk-ank sein. Vor allen Dingen aber wird er in vielen Fällen gar niht wissen, was er zu antworten bat. Das weiß nur der zu diesem Geschäft bestimmte Arbeiter; der Inhaber und Leiter eines grcßzn Geschäfts ist rit im Stande, die Briefshaften aus eigenem Wissen zu beant- worten. Ich deduzire daraus, daß es eine Reibe von Geschäften giebt, die auc an diesen drei Tagen vorgenommen werden müssen. Det2s balb muß eine Ausnahmebestimmung für solhe Geschäfte da sein.

Nun giebt das Geseg eine solche Ausnahmebestimmung dafür nicht, während es für den 1. Abfaß des §. 105b eine Reibe von Ausnahmebestimmungen vorsicht. Die einzigen Ausnabmebestimmungen, die auch auf den 2. Absatz anwendbar sind, sind die im S. 105 ec fest- gesetzten, die Kraft des Gesetzes eintreten, Auënabmebestimmungen für Arbeiten, welche ¿ur Beseitigung eines Notbftandes, zur Abwendung einer Gefahr, zur Reinigung und Instandhaltung u. f. w. unbedingt vorgenommen werden müssen. Andere Ausnahmen sind für das Han- delégewerbe nit vorgesehen. Die Auêsnahmebefugniß des Bundesraths zu §, 105 d erstreckt sich auëdrüdliich rur auf den erften Absatz des §. 105 b, die Befugnisse des §. 105 e aber, die der höheren Verwaltungsbel örde zisteben, sind an bestimmte Kriterien gebunden. Sie beziehen \ich auf solche Arbeiten, die auf Befriedigung tägliher oder für diesen Tag befonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung sich be- \&ränken. Aub bier stehen also die Comptoirarbeiten selbftverftändlih ni&t in Frage. Ebenscwenig treffen für sie die Bestimmungen über Wind- und Wasserkraft zu. In derselben Weise finden endlih au die Vors(briften des 8. 105 f, die den unteren Verwaltungsbebörden die Befugniß ¿u Auênahmen geben, auf diese Arbeiten keine Ar- wendung.

Also das absolute Verbot ift da. Umständen umgangen werden muß, unterliegt meines Erachtens feinem Zweifel. Deshalb if der Antrag, wie er von den

Dr. Gutfleis{, Dr. Hartmann und Genoffen ge- meines Erachtens der einzige Ausweg au

Wenn Sie den Antraz nicht annehmen,

zu übergeben müfsen, eine andere Bestimmung zu

Daß das Verbot unter allen

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werden müssen, zuläßt. Ich muß nun zugeben, daß, s Hrn. Dr. Gutfleisch und Genoffen angenommen eine ganze Reibe anderer Arbeiten an den zwei zi Feiertage verrihtet werden kann, für die das ¡mielben Grade nickt vorhanden ift, und ich muß zu-

¡es durbaus nit für wünschene£werth halte. daber gestattet ist, einen Rath zu ertheilen, so ¿er Antrag zwar jeßt zurückgezogen wird, daß ur die dritte Lesung eine andere Faffung zu 4 wir tervorgehobenen Bedenken nah Möglich- ; enn ic glaube, daß Sie mir nach den obigen Dar- rin zustimmen werden, daß es eine Reihe von Geschäften 1 den großen Feiertagen nit unterlafsen werden fönnen,

iesem Grunde Ausnahmen zuzulaffen sind.

. Hirs&@: Er freue sich, daß der Staaté-Minister _ron Verlepsh gerathen habe, den Antrag bezüglich der drei großen Feiertage zurüdckzuziehen, denn es werde sih zeigen, daß die bier angeführten Gründe für diese über den Kommissionsbeschluß binanégehenden Bestimmungen niht maßgebend sein könnten. Selbst Diejenigen, die gleih ibm (dem Redner) bereit seien, die wirklichen unabweisbaren Bedürfnisse tes gesellswaftlihen Lebens zu _berüd- sibtigen, könnten fi auf die wenigen Fälle hin, die der Staats- Minister Freiherr von Berlepsh angeführt habe, kaum bewegen laffen, eine so sch{chwer wiegende Ausnabme in das Gese aufzunehmen. Aus die Rüdcsi@t auf das plaite Land könne feine (des Redners) Partei nur bestimmen, nicht so weit zu geben, daß man etwa die Geschäfte shon um zehn Uhr Vormittags s{ließe. Der Antrag feiner Partei, die Geschäfte um drei Uhr Nacwmitags zu ließen, ge- währe vollkommene Latitude, um den wirklichen Bedürfnifsen zu genüger. Taß seine Partei durch eine sol&e Vorschrisi diese oder jene Interessen verletze, möge sein, wolle man dies aber vermeiden,

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| netenhause eine unangenehne Erfahrung gemacht, als er über den

so dürfe man überhaupt kein ArkeitersGußgeseß maGhen. Die jungen Kaufleute ständen ohnehin {hon nach diesem Gese s{lechter als die Arbeiter, denn sie hätten, abgesehen von den drei Feiertagen, feinen einzigen wirkli freien Tag. Es sei eine der widerspru(8- vollsten Erscheinungen der jetzigen Zeit, deß unter den Kaufleuten eine entshiedene Hinneigung zur Sozialdemokratie bestehe. Das sei unnatürlih, weil nach dem Ideal der Sczialdemokratie der Handel vollständig aufhören würde. Diese Neigung zur Sozialdemokratie sei nur ein Anzeichen tiefer Unzufriedenheit und Erbitterunz, die man nit vermehren follte. Nehme man den Handlungsgebülfen diesen Grund, so würden sie fiherliG künftig dieses un- natürlihe Bündniß mit den Sozialdemekraten aufgeben. Diese jungen Leute könnten beute ihr Bildungsbedürfniß nicht be- friedigen; das müsse anders werden. Der Abg. Singer wolle orts- statutarishen Bestimmungen nichts überlaffen, denn diejenigen, die entschieden, seien schließlich wieder die Prinzipale selbt. e

Abg. Dr. Gutfleis ch: Der Antrag seiner Partei wolle die Feiertags- rube nicht verkümmecn, fondern im Interefse der Acbeiter wie der Geschäftsbetriebe an den ersten Feiertagen Geschäfte zulassen, die naturgemäß in den Feiertag bineinliefen und in ein bis zwei Stunden erledigt werden fönnten. In weiten Gegenden Deutshland sei es übli, daß erst spät Abends ror dem Feiertage gelohnt werde ; alle diese Arbeiter könnten ihre Einkäufe erft am ersten Feiertage besorgen. Die Bedenken gegen die allgemeine Fassung des Antrages veranlaßten seine Partei, ihn für diese Lesung zurückzu- ziebenz; sie behalte sich aber vor, diejenigen, die er habe treffen sollen, zur dritten Lesunz zusammerzufassen und den Antrag so zu formuliren, daß ein Einsitiger der Zustimmung sich niht werde ent- ziehen können. Der Abg. Singer spreche von einem neuen Kartell. Wenn man unter den Anträgen die Namen von Mitgliedern verschie- dener Parteien sebe, so sei hinter den Namen nit die ganze Partei zu denken. Dieselben Herren hätten si bereits in der Kommission zusammengefunden; auch die Sozialdemokraten seien zu dieser gemein- iamen Arbeit aufgefordert worden, und die Unterzeichner des Antrages bâtten ih gefreut, wenn fie daran Theil genommen hätten, aber sie bâtten es abzelehnt. : :

Abg. Haußmann: Es sei eine weittragende Venderung der Kommission, daß, während die Vorlage nur die Angestellten der Handelsgeschäfte der Wohitbat der gesegliwen Sonntagsruhe theil- baftig werden lafse, die Kommission dazu übergegangen fei, auch persönli nicht s{chugzbedürftigen Inhabcrn von Handelsgeschäften, welhe obne Angestellte arbeiicten, die Verpflihtung aufzuerlegen, zu denselben Zeiten, wie die Inhadver von Geschäften mit Anzestell- ten, ihre Geschäfte zu \sch{ließen. Er stehe auf dem Standpunkt des Kommisßonsberihtes, welher es für wünschenswerth halte, eine Zeit- bestimmung eintreten zu laffen, aber nit generell für das Reich, sondern für die einzelnen Orte nach Ortestatut. Die Einheit- lihfctt sei vollständig dadur gewährleistet, daß das Ortsstatut der Ge- nebmigung staatliwer Behörden unterstellt sei. Ein abfolutes Arkeits- verbot über se{s Uhr Nahmiitags {heine ihm überflüssig, weil, wenn überhaupt nur fünf Stunden Arbeit erlaubt seien, sich die Arbeit sier nicht über sechs Uhr erfstreckin werde. Den Antrag Gutfleish bitte er nicht wieder erscheinen zu laffen. Er verkenne die Bedeutung der Gründe dafür nit, aber im Großen und Ganzen werde das Bedürfniß, an diesen Feiertagen zu arbeiten, noH nitt in 59%, vielleiht 1% der Fälle hervortreten, und deshalb generell die Erlaubniß zu geben, die Angestellten heran- zuziehen, scheine ihm nit ein ganz glückliher Ausweg. Aus diejen Gründen fei seine Partei für die Kommissionsbishlüfse. Sie freue fi, dadurch den Versuh einer gemeinsamen Arbeit aller Partien an einer arbeiterfreundlihen Geseßgebung unteritüßen zu können. Den Herren, die auch dieses wieder ais etwas ganz Unbedeu- tendes hinstellen möchten, sage er, daß es bei so einscneidenden Ein- griffen in die wirtbschaftliven Verbältnisse befser sei, mit kleinen Swritten eine ebrlihe Probe zu mawen und zu seben, wie weit sich die Dinge in die Gewohnheiten der Bevölkerung einlebten, als mit radikalen Bestimmungen vorzugehen. Die Schablone sei auf diesem Gebiete ebenso gefährlih, wie die bureaukratishe Einmishung be- dauerlih.

Abg. Möller: Es sei absolut notiwendig, den kleinen Leuten Gelegenheit zu geben, ihre Einkäufe am Sonntag zu machen; durch diese Nückiht und durh die Rücksickt auf die durch die Hausirer den Kaufleuten gemahte Konkurrenz müsse die Sonntagsrube einge- schränkft werden. Er glaube BVillizung zu gewinnen, wenn er den Antrag Hartmann unterstügze, der dafür die Worte segen wolle: „sofern die Beschäftigungêzeit durch statutarise Bestimmungen ein- geschränft worden ist, dur leßtere, im Uebrigen .… .*._ :

Abg. Dr. Hartmann: Er bestätige dem Abg. Singer, daß er im November 1885 eine Versammlung des biesigen Vereins junger Kaufleute besucht habe, in der die jungen Leute für die Kaufleute den gleiten Arbeits\{uy verlangt hätten, den der damalige sozialdemokra- tisde Geseßentwurf für die Arbeiter angestrebt habe; darin fei eine Beschränkung der Sonntagsarbeit auf fünf chtunden gefordert worden, also das, was der jeßige Kommissionsvors&lag ihnen gewähren wolle, während die darüber binau8gehenden Vortheile, die der sogenannte Kartellantrag ¡hnen zukommen lafsen wolle, damals gar rit er- wähnt worden feien; ta sei es doch wirklih ungereWt und einseitig, werin der Abg. Singer heut das, was man den Kaufleuten zuwende, als ruppig wenig hinitele! Uebrigens fei auc in dem von den Sozialdemokraten fo geräbmten England die Sonntags- rube nit röllig durch Gesetze geregelt, sondern Jakßrbunderte alte Gewohnheiten bätten die Geseße ergänzt. So sei auc in Deutsch- land zu erwarten, daß, wenn erst das Sescß erlassen sei, die Sitte es dann spontan ergänzen werde. Er empfeble also die Annahme des Antrages der Kommission und *Füc die dritte Lesung die des sogenannten Kartellantrages.

Abg. Biebl; Es sei {on bemerkt, daß, wäßrend die Kaufs läden geflossen seien, auch der Hausirbandel seine Tkätigkeit ein- ustellen habe, aber er habe vor einiger Zeit im bayerischen Abgeord-

Der Minister kabe ibm nadgewiesen, daß die Hausirer, die er im Auge gehabt habe, geseßlich keine Hausfirer seien, sondern Gewerbtreibende, welhe ihre eigenen Produkte auf dem Wege des Hausirens an ten Mann bräSten. Wern die Bestimmungen dieses Gesetzes ebenso interpretirt werden könnten, so würde diese allgemein in ganz Deutschland \chmezer;lid empfundene Landplage niht zu beeinträhtizen sein. Er biite die Regierungen um Auskunft darüber. Der, Abg. Singer babe in agitatorisher Weise die Folgerung daran geknüpft, daß die Handlungegehülfen in Zukunft niht besser daran sein würden, da die fünf Stunden auf den Nachmittag verlegt werden könnten. Jn der Handels und Gewerbekammer für Oberbayern babe man ein- stimmig ausgesprochen, daß von der Latitüde dieser fünf Stunden in greßen Städten kein Gebrau gemackt werden solle, daß aber für as platte Land die fünf Stunden nothwendig scien, wenn die dortigen Geschäfte niht ernstlich geschädigt werden sollten. Die Gründe des Abg. Singer seien bedenklißer und eng- berziger Natur, und er habe nur Berlin im Auge, wenn er meine, die Leute kämen nit früh genug in die Natur binaus. Der Antrag Gutfleish sei ibm (de:n Redner) ron vornherein un- sympatbish gewesen. Er freue si, daß der Kommission8antrag mebr biete, als der frübere Arbeitershuß-Entwucf der Sozialdemo- kraten. Im Interesse der kleinen Städte sei eine fünfftündige Oeffnung des Geschäfts statthaft.

Bayerisher Bevollmächtigter Ober-Regierungë-Rath Landmann: Es gebe allerdings Gewerbetreibende, die im Wege des Hausirens ibre Pro- dukte verkauften, aber geseglich nit als Hausirer anzusehen und zu bes handeln seien. Der Abg. Biebl sei zweifelhaft, ob für solche Personen die Bestimmungen dieses Gesezes zuträfen. Soweit der Gewerbebetries im Umberzieben für Andere durch Gehülfen betrieben werde, unter- lägen auch diefe Gebüifen den Beschränkungen des Handelsgewerbes, die in diesem Geseß vorgesehen seien. Dagegen wolle er ni&t in Abrede stellen, daß man darüber zweifelhaft sein könne, ob die Kom- missionsbes{lüfe so, wie sie gefaßt seien, auch den Gewerbebetrieb der

Hausirkandel geklagt Habe.

sei zu erwägen, ob Hier ein Bedürfniß zur Ergänzung der Vorlage vorhanden sei. Diese Le sei als zweifelbaft anzusehen. Wenn man fie abr bejabe, so werde es darum handeln, an anderer Stelle des Gesetzes eventuell Abtülfe zu schaffen ; diese Saaten 41a und 55a föônnten dabei niht in Betracht kommen.

edenfalls möchte er davon abrathen, zur Zeit Abänderungsvors(läge ¿zu machen, er wäre au jeßt nicht in der Lage, sich darüber zu entscheiden, aber man könne die Sahe im Auge bebaiten und eventuell bei der dritten Lesung ins Reine bringen.

Darauf vertagt das Haus die weitere Berathung auf Sonnabend 1 Uhr. S{luß 5 Uhr.

Haus der Abgeordneten. 32. Sitzung vom 13. Februar 1891

Der Sitzung wohnt der Finanz-Minister Dr. Miquel bei. Auf der Tagesordnung steht die Fortsezung der zweiten Berathung des Einkommensteuergeseßes, und zwar zunächst §8. 2 der Vorlage, welher von der Besteuerung der

Einkommen aus Handelsanlagen handelt ; als solche hat die Kommission au die inländishen Agenturen aus- ländisher Geschäfte ‘anzusehen beantragt.

Abg. v. Heede: Der Zusaß der Kommission, wonach die Be- steuerung inländisher Agenturen von auétländischen Geschäften zulässig sein solle, wenn die Agenten seltständige Geschäft8absclüsfse machen Éênnten, bringe eine bédenfkflide Unfkflarbeit in die Regierurgs8vorlage. Das Beispiel der Versicherurgtgefellsœaften könne man für eine Besteuerung der Agenturen nit anfübren, weil alle Versicherungs- gesellschaften, die in Deutsé&lard Geschäfte maLen wollten, au bier domizilirt sein müßten. Er bitte also um Streichung des Kom- missions8zusaßzes. O j .

Abg. Sevffardt: Der Kommissionszusaß werde ungezählte Tausende treffen, an die man in der Kommisfion nit gedacht habe. Die ersten Absâg? des Paragraphen enthielten {on Alles, was der Finani-Minister braube, um da, wo ausländische Gesellschaften im Inlande Betriebe unterhielten, einzugreifen. Es gebe ein internationales Gewobhnheitérecht, das nit gestatte, den Auêëländer mit inländischer Steuer zu belasten, wenn er nit selbst zu erkennen gebe, wie ein Inländer bebandelt werden zu wollen. Bei unferm großen Export sei es sehr wichtig, daß die Deuts@wen im Auslande nit übermäßig belastet würden; deehalb follten wir uns auc vor einer zu weit- gebenden Besteuerung der Ausländer bei uns hüten. Wern wir, wie es geiœebe, die nationale Arbeit {on in allzu ergiebiger Weise durH Zollschranken s&üßten, sollten wir uns wenigstens vor neuen Ers{werungen der Ausländer \{üßzen. Man möge sich büten, der modernen Verkebrsentwicklung Schranken zu jeßen und deshalb den Kommifsionszusaß ablehnen.

Abg. Peters: Es gebe ausländishe Gesellshaften, die allein durch ein großes Net von Agenturen ganz erbeblite Gewinne aus Deutschland zögen. Soweit es \sich hier um eigene Zweignieder- lassungen handele, bestehe \@on heute kein Zweifel, daß diese der inländischen Besteuerung unterlägen. Das Vorhandensein oder Niht- vorbandenscin einer Vollma®t zur felbständigen Geschäftsführung sei bisher noH immer versHieden beurtheilt worden. Ohne den Kommissioa8zusaß werde in Zukunft die ganze Praxis und Ent- scheidung allein den Behörden überlassen sein.

Abg. Weyerbusch tritt gleichfalls für die Heranziehung der Agenten und Agenturen zur Einkommensteuer ein.

Abg. Steffens findet in der Regierungsvorlage eine präzisere Faffung der Bestimmung, was man unter selbständigen Handels- anlagen zu verstehen habe, und bittet um Strei@ung des Kommission8zusatzes. S |

Der Paragraph wird nach den Beschlüssen der Kommis: sion angenommen.

Die §8. 3 und 4 werden gemeinsam zur Debatte gestellt.

In der Fassung der A Ion lautet:

Von der Einkommensteuer sind befreit :

1) die Mitglieder des Königlichen Hauses und des hohenzollern- schen Fürftenbauses ;

2) die Mitglieder des vormaligen hannovershen Königsbauses, des vormaligen Turbessishen und des vormaligen Herzogli nafsauisch:n Fürftenhauses ;

3) die bei dem Kaifer und König beglaubigten Vertreter fremder Mächte und die Bevollmättigten anderer Bundesstaaten zum Bundesrath, die ihnen zugewiesenen Beamten, sowie die in ibren und ihrer Beamten Diensten stehenden Personen, soweit sie Ausländer sind;

4) diéjenigen Personen, denen sonst na& völferre@tliben Grundz säßen oder na besonderen, mit anderen Staaten getrcffenen Vers einbarungen ein Anspruch auf Befreiung von der Eiukommensteuer

zutfommt.

Die Befreiungen zu Nr. 3 und 4 erftrecken sh nit auf das nah §. 2 steucrpflichtige Einkommen und bleiben in denjenigen Fâllen au®ëgesch{iofsen, in welchen in den betreffenden Staaten Gegens seitigkcit niht gewährt wird.

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Die Häupter und Mitglieder der Familien vormals unmittel- barer deutscher Reichéstände, welchen das Reckt der Befreiung von ordentli@en Perfonalfteuern zusteht, werden zu der Einkommen- steuer von dem Zeitpunkt ab herangezogen, in welhem dur be- sonderes Geseh die Entschädigung für die aufzuhebende Befreiung von der Einkommensteuer geregelt fein wird.

Die Abgg. von Eynern und Shmieding beantragen:

1) Im §. 3 die Nr. 2 zu sireihen und

2) Im §. 4 zu Anfang die Worte zu segen:

„Die Mitglieder des vormaligen hannoverschen Körigshauses, des vormaligen kurbéssishen und des vormaligen Herzoglich nafsauis@en Fürstenbauses, sowie ferner“

Der Abg. Dr. Enneccerus beantragt den §. 4 der Regierungsvorlage wiederherzustellen, welcher lautet :

Die Häupter und Mitgiieder der Familien vormals unmittelbarer deutscher Reichsstände, welchen das Recht der Befreiung von ordent- lihen Peifonalsieuern nabtweislih zusteht, unterliegen der Ein- kommensteuer rom 1. April 1894 ab.

Die für Aufhebung der bisherigen Befreiung zu gewährende Entschädigung wird durch besonderes Gesey geregelt.

Die Abgg. von Achenbach u. Gen. beantragen :

Den §. 4 folgendermaßen zu fassen:

Die Häupter und Mitglieder vormals unmittelbarer deutscher Reicbéstände, welhen das Ret der Befreiung von ordentlihen Perfona!steuern na&weiélich zustebt, unterliegen der Einkommen- steuer vom Inkrafitreten diescs Gesetzes ab.

Die für die Aufhebung bisheriger Befreiungen zu gewährende billige Entschädigung wird dur besonderes Geschz geregelt.

Abg. Rickert 2ndlih beantragt:

Den §. 4 in folgender Fassung anzunehmen :

„Die Häupter und Mitglieder der Familien vormals unmittel- barer deuts{cher Reichsstände, welhe bisher die Befreiung von ordentliden Personalfteuern genossen haben, unterliegen der Ein- kfommensteuer vom 1. April 1892 ab.“

Abg. v. Eynern: Die Verträge mit den Häusern Hannover, Kurhessen und Nassau seien zur Zeit der Diktatur abgeschlossen worden und sie könnten natürli nur so weit in Geltung bleiben, als sie mit der Verfaffung nit kollidirten. Nun bandele es \sich um ganz kolossale Vermögen, und er fege keinen Grund, warum die- selben von der Einkommensteuer befreit bleiben sollten. Jett sei man im Begriff, die Steuerfreibeit der ehemals Reich8unmittelbaren zu beseitigen, und es liege kein Anlaß vor, neue Privilegien zu ichaffen in einem Moment, wo man die Verfafsungsbestimmung in

selbständigen Stadthausirer und Stadtreisenden umfafßten. Zunächft

Bezug auf die Steuer völlig durchführen wolle. Die Steuerfreih

dieser in Frage ftehenden ehemals regierenden Häuser unter- scheide sich sachlich durchaus nit von der Steuerfreibeit der ehemaligen Reibsunmittelbaren, nur daß die Erfteren ihr Land erst vor 20 Jabren rerloren bäiten, die Leßteren 30—40 Jahre früber, und deshalb bitte er seinen Antrag anzunehmen. Er wolle ja nicht die Steuerverträge ohne Entschädigung beseitigen, sondern er wolle sie gegen billiges Entgelt abschaffen. Das müsse man um so mehr thun, als bei der erften Berathung dieser Vorlage sowohl der Abg. Freiberr von Huene als auch der Finanz-Minister als erstes Prinzip, das bei dieser Vorlage beobachtet werden müsse, die ausgleihende Gerecktigkeit vorangeftellt hätten.

, „Abg. Dr. Windthorft: Als in Preußen die Steuerfreibeit der Reichéunmittelbaren beseitigt worden sei, sei das in der Erwartung gescheben, daß die zu erwartende Bundesverfafsung diese Materie rundfäßlih neu regeln werde. Als dies aber niht geschehen sei, âtten fi die Reichéunmittelbaren um die Aufrechterhaltung ibrer alten Privilegien bemüht, und die preußisde Regierung babe ein Gefeß eingebracht, wona die Bestimmungen der Verfassung dem alten geltenden Recht der Steuerbefreiung nicht entgegenständen. Dieses Geseg babe die Zustimmung des Landtages erhalten, und damit eien die alten Rehte wieder bestätigt worden. Man sollte nament- li von Seiten der Regierung alte Rebte um so weniger antasten, als von anderer Seite {on genügend daran gerüttelt werde. Halte man s nun aber berechtigt, diese bergebrahten Ansprüche auf- zubeben, tann sei kein Zweifel, daß das nur gegen Entschädigung ge- schehen könne, und diele Entschädigung müsse gegeben werden, ebe

man das Recht entziehz2, und darum sei der Äntrag, wie er aus der Kommission hervorgegangen sei, vollständig berechtigt, und er bitte, denselben anzunehmen, wenn das Recht ni&t mit Füßen getreten werden folle. Man sage nun freili®, das sei nit modern, der moderne Staat habe andere Aufgaben, aber wer so rede, der stehe {on halb auf dem Boden der Sozialdemokratie. Er empfehle deshalb den Antrag der Kommission, und der Regierung möthte er anbeimgeben, weiter mit den ehemals Reichäunmittelbaren zu verban- deln, um im Wege der gütlichen Vereinbarung zum Ziele zu kommen. Jeder andere Weg würde meßr oder minder ein Weg der Gewalt sein. Die Abag. S(mieding und von Eynern bâtiten nun au die Beseiti- gung der Steuerfreibeit der eßemals souveränen Häuser beantragt, weil zwis{en diesen und den ehemals Reicsunmittelbaren keine Unterschiede bestehen. Er glaube aber, daß doc große Verschieden- beiten vorhanden seien. Die Reih2unmittelbaren bâtten ihre Länder unter den Formen, die im Deutschen Bund kierfür geltend gewesen seien, und in Folge großer europäischer Kriege verloren. Er vermeide nicht obne Abiicht, die Verbältnisse bier zu berübren, durch welde die ehemals jouveränen Hâuscr, um welche es si bier handle, in die Lage gebracht seien, in der sie sich beute befänden. Er vermeide das, weil er glaube, es sei für alle Theile am Besten, diese Sache ni@t weiter zu verfolzen, sondern der weiteren Entwidkelung der Ge- schidte und der Gereätigfkeit, die immer zur Wirkung kämen, dies zu überlaffen. Der Vertrag mit dem König Georg besage aus- drücklich, daß das Vermögen des Königs von Einkommensteuer [rei fein solle. Und was dessen folossales Vermögen anlange, fo sei ja der bei Weitem grôöfte Theil desselben bier in der Verwaltuag des Finanz-Ministeriums und nit im Besiß des Königs selbst. Die An- nahme des Antrags von Eynern werde zunächst dabin führen, die sozial- demokratis@en Ideen im kleineren Umfange zur Geltung kommen zu lassen. Der Vertrag fei allerdings abgeslofen zur Zeit der Diktatur, eben weil die Regierung der Meinung gewesen sei, daß sie sonst nitt ¿s einem Ziel kommen werde; darum sei man mit der Sacbe einiger- maßen ins Gedränge gekommen; er könne davon mitsprehen, denn er habe mitten im Sedrânge gestanden. Form und Inhalt des da- maligen Vertrags bewiesen, daß derselbe ein vollständig völferrechtlich gültiger sei, und er babe die Ueberzeugung, daß die Krone Preußen nit gewillt sein werde, einen freiwillig mit ibr abges@lofsenen Vertrag in irgend einer Weise zu verleßen. Und derselbe würde entschieden verleßt werden, wenn dessen S. 9 nit in voller Geltung bliebe. Ebenfo liege es mit Hessen-Nafsau. Er glaube, daß es po- litisch richtiger fei, dieses alte Verhältniß aufrecht zu erhalten, .als die paar Pfennige für den Staat zu erzielen. Er wolle d!e Sae nicht vertiefen, um nicht böfe Erörterungen Bervorzurufen, die Nie- mandem Freude maten. i i

Abg. Rickert: Die Frage wegen der Steuerfreiheit der fürst- lihen Häuser Hannover und Hessen-Nafsau liege wesentlich anders als die Srage der Steuerfreibßeit der Reihéunmittelbaren. Er glaube, daß man in dieser Beziehung zunähst die Erklärung der Staatêregierung über den Antrag Eynern abwarten könne. Der Finanz - Minister habe vollkommen forrekt in der ersten Lesung gesagt : Die Staatéregierung sei nidt der Meinung, daß die Steuer- freiheit der Standesherren auf völkerrechtlihen Verträgen oder auf bundesretlihen Vorscbriften, auf der Bundetakte oder auf der Wiener Kongreßakte heute „wenigstens berube, daß vielmehr die preußische Gesehgebung in dieser Ricßtung vollkommen frei fei. Diese Auf- faffung rühre nit etwa von dem jeßigen Finanz-Minister ber, sie sei au von feinen Vorgängern getheilt worden. Der konservative Staatê- rechtélebrer Bornhak stebe in allen Punkten auf dem von ihm (Redner) vertretenen Standpunkt, Eine Entschädigung zu geben, habe man gar fein Recht, wenn man mit der Regierung meine, daß bier kein Retsanspruch bestehe, und schenten könre man nichts. Die Regie- rung musse erst eine richterlide Entscheidung abwarten, Das Privilegium bedeute beute etwas ganz Anderes, als damals. Zur Zeit der Bundesakte babe man eine Einkommensteuer von 12 guten Grosen pro Kopf gehabt, und diese kapitalisirt, würden bödftens 200 gute Groschen geben. Eine solche Entschädigung würden die Herren a limine zurüdweisen, Wenn man entshâdigen wolle, /o müne es auf Grund der damaligen Verhältnisse gesehen, Die Natur der Steuer, die damals als lästige Last betraGtet worden sei, habe sich seitdem verändert. Er habe übrigens das Zutrauen zu den Herren, daß fie ihr privilegium odicsum selbst ablehnen würden, wenn die Regierung mit Verhandlungen an sie berar- trâte. Je größer die sozialpolitishen Aufgaben des Staates E desto mehr müßten die Herren mit ihren Mitteln dazu

n.

_ Abg. Graf zu Limburg-Stirum: Der Antrag von Eynern- Schmieding set ni&t woblgethan. Die Rethte der Fürstlichen Häuser _berubten auf völkerre@tlichen Abmachungen, und diese gingen Staatsgesecßzen vor. Man fönne sie nicht, obne einen RNechtê- bruch zu begehen, ändern. Seine Partei werde daber den Antrag von Eynern entsicden ablehnen. (Beifall rechts.) Er stehe auf dem Standpunkt des Kommissionéantrages. Die von dem Abg. Riert geäußerte Ansicht, daß die Herren freiwillig darauf verzihten würden , könne eber deren Widerstand er6öhen. Dem Abg. Dr. Windthorst gegenüber habe er immer den Eindruck gehabt, daß es das größte Verdienst der Regierung gewesen fei, daß sie die Rechte der deutschen Bundesfürsten auf das Sorgfältigste gewahrt habe, und daß gerade diese Politif, welche, wie er bcffe, von der jeßigen Regierung L Meebalien E oge wie von der früheren, unsere Ver-

nisse befestigt habe. r bitte, die Kommiisionéfafsur nzus- nehmen. (Beifall rets ) E

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ueber den Antrag der Hren. Abg. von Eynern und Swmieding haben der Hr. Abg. Dr. Windthorst und Abg. Graf zu Limburg-Stirum nach meiner Meinung so erschöôpfend gesprochen, daß ich mi wesentlich auf deren Ausführungen bezieben kann.

Ih theile die Ansichten der beiden Herren, daß die rechtlihe und sachliche Lage in Bezug auf die in dem Absagz 1 des Paragraphen bezeichneten fürstlihen Häuser eine ganz andere ift als die rechtliche und thatsähliche Lage der früher mediatisirten standesherrlihen Häuser. Während dort die Privilegien wesentlih beruhen auf Grund der preufishen Gesetzgebung vor der Verfassung, ift hier die Steuer- freiheit entstanden zu einer Zeit, wo in den betreffenden Ländern, beutigen preußischen Provinzen, die Verfaffung noch gar nit eingeführt

war. Während bei den ftandesherrlihen Häusern die Depoffedirung von Preußen vorgefunden wurde auf Grund großer geschich{tlicher, thatsähliher und rechtlißer Verhältnisse im vormaligen Deutschen Reich, haben wir es hier mit einem neuen Akt der Ge- schichte zu thun, der na ganz anderen Gesichtëépunkten zu beurtbeilen ift. Meine Herren, während dort es sid nit um völkerre{tlihe Fragen handelt, ist bier die Steuerfreiheit entstanden, wenn auch ni&t überall durch einen völkerrechtli%en Akt selbst, sondern im Verfolg und in Konsequenz solcher völkerrechtlihen Akte.

Ih glaube also, es war ganz richtig, wenn Graf Limkburg- Stirum sagte: ein solHer Antrag if nit woblgeihan und wird unter keinen Umständen zu einer Konsequenz führen, und es wäre rihtiger gewesen, ihn nit zu stellen. Vielleiht entschließen fi die Herren, ibn zurüdZzuzieben.

Eanz anders und praktischer liegt allerdings die Frage in Bezug auf die Steuerfreiheit der Standesberren. Ih babe es {on früher ausgesprochen, daß ih die Ansicht des Hrn. Abg. Dr. Windthorst, als wenn gegenwärtig wenigstens diese Steuerfreibeit der standesherrlihen Häuser auf einer völkerrechtlihen oder staatêre{tlicen außerhalb Preußens liegenden Garantie beruhte, in keiner Weise tbeile. Diese Ansiht bat die preußische Staatsregierung, wie Hr. Rickert mit Recht bervorgehoben bat, nie- mals gehabt. Wir bestreiten erstens, daß die DeutsGe Bundesakte ein solches Privilegium jemals gewährt hat; wir bestreiten, daß, wenn das der Fall wäre, es gegenüber den staatsrehtlihen Verände- rungen in Deutschland heute noH zutreffen würde; wir sind der Mei- nung, daß die Steuerfreibeiten der Standesberren allerdings entweder auf Verträgen wit der Krone Preußen beruben oder auf der Gewähß- rung spezieller Privilegien nah dieser Richtung bin dur die preu- ßishe Gesetzgebung selbst. Aber, meine Herren, wir sagen nit: weil diese Privilegien und sofern sie auf der preußishen Gesetzgebung beruhen, können sie au einfach obne Entschädigung wieder abgeschafft werden, denn diese Privilegien im engeren Sinre baben jura quaesita erzeugt und nah dem Geist und Inhalt unferer Verfassung können solhe jura quaesita nur gegen Entschädigung aufgehoben werden. Das ift die Stellung, die wir in der Vorlage eingenommen baben und die wir auch gegenwärtig nah den Kommissionsberathungen noch in allen Beziehungen festhalten.

Der Hr. Abg. Rickert hat immer den Ausdruck gebraucht und namentli bat er diesen Vorwurf erboben gegen die Fommis- sionsbes{lüsse wie man dazu käme, bier neue Steuerfreibeiten ent- gegen der Verfaffung wieder einzuführen. Es bandelt si aber gar nit um die Einführung neuer Steuerprivilegien, sondern es handelt fi um die Anerkennung ibrer Existenz, die bisber nit be- stritten worden ist, und um die Frage: wie sind diese Privilegien aufzubeten? Also ein Artikel der Verfassung steht hier gewiß nicht entgegen, bier werden keine neuen Steuerfreibß eiten eingeführt. Wenn Hr. Rickert nun weiter sagt: die Steuerfreiheiten sollen aber ab- geschafft werden bei Gelegenheit einer Revision nun, meine Herren, so spricht do die Verfassung nihts über die Modalitäten dieser Auf- bebung. (Sehr rihtig! rechts.) Na dem Geist und Inhalt der Verfaffung soll das Ziel verfolgt werden, diese Stéuer- freibeiten aufzuheben, aber in welHer Weise und in welher Zeit das Ziel erreiGt wird, davon steht in der Verfassung auch nicht ein Wort. IH muß daber der Auffassung des Hrn. Grafen Limburg durhaus beitreten, daß die Verfassung in keiner Weise verleßt wird, ob wir heute diese Privilegien aufbeben oder ob wir sie im Jahre 1894 aufheben. (Zuruf links.) Das würde aub rebt , [i ch zulässig sein. (Heiterkeit.) Das würde dem Geist der Ver- fafung wohl nit entsprehen, aber rechtli§ formell zulässig wäre es aub.

Meine Herren, Hr. Rickert, der niht an die rechtlihe Existenz der Exemtionen glaubt obwobl diese Anschauung meines Wissens von keinem Staatsrechttlehrer getheilt wird sagt: es mögen diese Häuser an die VBerihte gehen, dann können sie ihre Steuerfreibeit si fo erstreiten, und bis dahin dürfen sie von der Staatsregierung nit anerkannt werden. Nun, meine Herren, einige von den Hâäu'ern sird an die Gerichte gegangen und sie haben von den obersten Jusftiz- behörden das Urtheil empfangen , daß sie ein sol@es Steuer- privilegium besäßen. Ich will in dieser Beziebung namentlich die gräflich Stolberg'\{hen Häuser anführen. Aber so liegt die Sale au gar nicht. Wenn die preußische Staatsregierung die Ueberzeugung bat, daß diesen Häusern diese Steuerexemtion zusteht, fo muß fie sie au anerkennen, obne darüber erst Prozesse zu führen. (Sehr richtig ! rechts.) Die Staatsregierung kann nit verpflichtet sein, eine Rechts- auffassung, die sie selbs theilt, erft dann ¿ur Geltung zu bringen, wenn sie von den Gerichten bestätigt ist. (Sehr wahr! Bravo! rets.)

Nie ift die Frage gestreift worden, wie weit die Rechte der Standesbäuser gehen und wie wobl die Ents{ädigung zu normiren sei. Der Hr. Abg. Rickert bat darauf bingewiesen, daß heute doch dieses Privilegium etwas ganz Anderes bedeute, als früber, und er hat angedeutet, als wenn das Privilegium si nur beschränkt bätte auf diejenigen Steuern, die zur Zeit der Entítebung des Privilegs bestanden. Nein, so weit kann man ni&t gehen. Das Privilegium ging dahin, niht bloß von den direkten Steuern befreit zu werden, die damals, als die Verordnung erlafsen wurde, cristirten, sondern auch von derjenigen Steuern, die in Zukunft würden auf- erlegt werden. Ih gebe aber allerdings zu und theile in dieser Be- ziehung die Arsiht des Hrn. Grafen Limburg-Stirum, daß bei der Frage der Bemessung der Entschädigung auf diese Thatsache wesent- lich wird Gewicht gelegt werden müssen, denn wenn man von einer billigen Entschädigung spricht, so wird man solche thatsählihen Ver- bältnisse natürli nit außer Acht laffen können, Aber rechtlich fann Niemand behaupten, daß das Privilegium in dem Sinne, wie der Hr. Abg. Rickert es dargelegt hat, beschränkt gewesen wäre.

Nun hat die Kommission in Abweichung von dem Vors§lag der Regierung beschlofsen, das Steuerprivilegium nur aufzuheben glei{- zeitig mit der Gewährung der Ents{ädigung und der gesetzlichen Normirung derselben. Diesem Kommissionsbeschluß gegenüber wuß ih die Vorlage der Staatsregierung aufrecht erhalten. Jh glaube, es kann nit beftritten werden, daß, wenn die Verfassung sagt, es fol das Ziel in der Gesetzgebung verfolgt werden, die Steuerbefreiungen zu beseitigen, die Regierungsvorlage der Ver- faffung und dem Geiste derselben mebr entspriht als der Kommissions- entwurf. Die Verfassung unterscheidet niht zwishen Aufhebung gegen Entshädigung und mit Entschädigung, sie stellt das Prinzip auf : Steuerbefreiungen sollen nit mehr eingeführt werden, und wo sie find, sollen sie abgeschafft werden. Sie mat die Aufhebung

nicht von einer voraufgegangenen Entshädigung abhängig, der Kom-

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missionsantrag aber mat die Aufhebung der Sieuerfreibeit von einer gleihzeitigen oder voraufgegangenen Entschädigung abhängig. Des- balb, meine i, ift die Regierungsvorlage mehr im Geiste der Ver- fassung.

Sodann kann nit behauptet werden, daß die RegierungSvorlage woblbegründete Rechte der betreffenden Häuser verleze. Es wird ja in der Regierungêvorlage ausgespro&en, daß eine Entschädigung ge- währt werden soll, und wern dur irgendwelWe Umstände die Regelung dieser Entschädigungsfrage im Jahre 1894 noch nit durchgeführt wäre, dann soll die Aufhebung eintreten, immer vorbebaltlich der AufrechGterhaltung der geseßliten Vorschrift, das .doch eine Entschädigung eintritt. Von einer Verleßung der Rete dieses Hauses in der Regierungsvorlage kann also nit die Rede sein, Aber wie wird sib thatsählih die S2a&e machen? Es ift ja gewiß sehr erwünscht, daß die Entschädigungsfrage in Uebereirstimmung und im Einvernehmen mit den betreffenden Häusern zur DurH§führung gelangt; es werden die Verhandlungen ja, wenn die Vorlage Gesetz würde, mit den betreffenden Häusern fefort “beginnen, und aller Wabr- scheinli@keit nah werden sie vor 1894 längst abgeschlofsen sein, und es kann doch nur gewiß auf die Verhandlungen günstig einwirken, wenn die Gesehgebung bereits bezügli derselben eine ganz klare Position genommen hat, wenn sie nit die Aufbebung der Steuer- freiheit von dem Gelingen dieser Verbandlungen unbedingt abbângig mat, fondern wenn sie vorschreibt: auch dann, wenn dur irgend welde Umstände die Entshädigungsfrage bis dabin nit geregelt wird, tritt doch die Aufhebung des Steuerprivilegiums in allen Sâllen im Jahre 1894 ein. Es ist dab:i sebr wobl zu beadten, daß die Nebtsverbältnisse der Hier fraglichen Häuser durchaus keine gleihartigen sind, namentlih die Standeskerren aus den neuen Pros- vinzen ftehen unter ganz anderen rechtlihen Gesihtspunkten, wie die Standeskerren des älteren preußischen Staats, die ibre Redbte ja wesentlich und vorzugêweise ay” einer Königlichen Verordnung ber- leiten, welche, wie vorhin ganz riGtig gesagt worden ift, in Beziehung auf die Befreiungen und Eximirungen der Standesherren viel weiter gegangen ift, als eine rechtlide Verpflibtung selbst na der Burdes- akte vorhanden war, und als man fast in allen deutshen Staaten gegangen ift. Wir werden also bei den Verbandlungen die rechtliher Verbältnisse der einzelnen Häuser genau prüfen müssen. Ih

glaube daher, ein Gesetz, welhes alle Standesherren gleihmäßig in Beziehung auf die Ents{ädigungsfrage behandelte, i unter keinen Umständen mögli.

Nat all diesem empfeble ih Ihnen die Regierungévorlage. Ih

glaube allerdings, Sie werden tbatsächlich aub bei der Kom- missionsvorlage vielleiht dasselbe erreichen, vorausgeseßt, daß der Wille der Landeévertretung und der Staatsregierung, diese Steuer- befreiungen aufzubeben, konstant bleibt. Für den Antrag, den die Herren von der freikonservativen Partei gestellt baben, die Frist der Regierungsvorlage zu beseitigen und die Steuerbefreiungen fofort aufs zubeben, \pri{t au nihts Bedeutun 8volleres, bôdbstens die Differenz der Zeit zwis{en 1892/93 und 94, Um deëwillen nun den Versuch aufzugeben, die Entshädigungsfrage im Einverständniß mit den beiden Häusern vor dem Eintreten der Aufhebung der Steuerfreiheit herbeis zuführen, \Geint mir nit rathsam, i ziehe also au diesem Antrage gegenüber die Regierungsvorlage vor und bitte Sie, unter Ablebnung der . Kommissionsaniräge die Regierungêvorlage wieder berzustellen, (Bravo!) __ Abg. Frbr. von Zedlig: Die Rehte der Häuser Hannover Heffen und Naffau sollten in keiner Weise angetaîtet werden. Bezüge lid der Reicßsunmittelbaren müsse die Verfafungsvorschrift wegen der Abschaffung der Vorrehte jeßt ausgeführt werden, wo eine große Revision der Steuergesegebung bevorstebe. Es sei aber niht richtig, den Beshluß über die Beseitigung der Steuer- befreiungen nicht sofort auszusprechben, sondern einer späteren Gesetze gebung vorzubebalten, Dadurch würden die Privilegien entgegen der Verfassung noch eine Zeit lang aufrecht erbalten. Wenn der Antrag seiner Partei angenommen werde, so werde die Regierung nah den Leistungen, welche sie in dieser Session fertig gebrawt babe, bis zum 1. April 1892 auch die Entscädigungsfrage regeln können. Daß die Entschädigung nur eine „billige“, dem Umfange de damaligen Privilegiums angemessene sein solle, sei selbstverständlib; deshalb babe seine Partei das Wort au in ibren Antrag aufgenommen.

Abg. Dr. Windthorst: Die ReibEsunmittelbaren hätten ebenso gut dur die Bundesakte gesiherte Rebte wie die anderen Fürstlichen Hâuser. Die preußis@e Verfassung babe an ihren Rechten nichts geändert. Kein Ret könne obne vorherige Entschädigung aufgehoben werden; deshalb müßten erst die Verträge mit den Reihsunmittel- baren abgeschlofsen werden, ehe man die Steuerfreibeit beseitige. Bei der Grundsteuer habe man das anerkanat, man babe die Ent- schädigung vorher gewährt. Die Rechte der Fürstlihen Häuser sollte man mindestens ebenso boch achten. Der Antrag der Regierung besage aber: Und bist Du nicht willig, dann brau? ih Gewalt. (Heiterkeit.) Das möge im Erlkönig gehen, aber niht in der Geseßgebung. Wenn Preußen seine Verträge richtig balte, dann würden die anderen Bundeëfürften das Vertrauen haben, daß au ibre Stellung im Deuts{en Reich resvektirt werde.

Abg. Schmieding: Der Abg. Dr. Windthorst habe geftern von der Entlastung der s{wätheren Sw@ultern gesprochen , die erfolgen solle durch die Heranztiebung der stärkeren. Gebe es stärkere Sghultern, als die, welhe hier belastet werden sollten? Daß seine Partei mit ibrem Antrage fozialdemokratischbe oder demokratishe Tendenzen verfolge, sei ein Vorwurf, der doch ernsthaft nibt gemadt werden könne, am Aller- wenigsten von dem Abg. Windthorst, welher wohl am Meisten zur Demokratisirung des Voikes beigetragen babe. ;

Abg. Tramm wendet sih gegen den Antrag von Eynern. Daÿ die standesberrlichen Privilegien beseitigt werden sollten, sei ver- ständlich ; die öffentlihe Meinung dränge dahin. Aber die drei Fürst- lihen Häuser von Hannover, Hessen und Nassau ständen anders da. Es würte in den betreffenden Provinzen große Mißbilligung hervor- rufen, wenn die Rete diefer drei Hauser verleßt würden. Auf diese drei Häuser sei der Artikel 101 der Verfassung nicht anwendbar. Die Stellung dieser drei Häuser sei eine Folge der Umwälzungen, welche die Verfassung gar nicht babe voraussehen können. Diese Privilegien seien eingeführt worden auf Grund ftaatsrechtliher Verträge, welche vom Landtage genehmigt worden seien. Diese klaren und bündigen Vertragébestimmungen könnten nur durch Verhandlungen mit den Betheiligten aus der Welt ges{hafft werden. Die Antragsteller bâtten sol@e Verhandlungen mindestens beantragen follen. So fet der Antrag unklug und unpolitisch. (Zustimmung rechts.)

Abg. Bachem- Krefeld: Die Erörterung würde einfacher sein, wenn die materielle Tragweite des Privilegiums bekannt wäre. Er glaube, daf keines der standesherrlihen Häuser die Steuerfreibeit für sein ganzes Vermögen genieße, sondern nur für einen Theil seiner Vermögensobjekte. Die Fürstlihen Häuser von Hannover, Hessen und Naffau sc{ieden hierbei vollständig aus, denn ihre Stellung sei ja erst nach der Verfassung ges{afen und vollständig klar. Vom demo- kratishen wie vom juristishen Standpunkt müße er das biftorisch Gewordene achtes und {üten. Da müsse die Regierungsvorlage seine Verwunderung erregen, denn fie entziehe das Eigenthum ohne vorberige Gntshädigung. Denn eine dringende Nothwendigkeit, wie

sie Artikel 9 der Verfassung voraussete, liege do nit vor ; deshalb müfse die Entshädigung vorher festgestelt werden, wie die Kom-