1891 / 45 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 Feb 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Sonntags8arbeit nicht verboten werden, aber wenn im Gast- und StHankgewerbe am Sonntag eine übermäßig lange Arbeitszeit eintritt, so ist gar kein Zweifel, daß {on auf Grund diefer Bestimmung der Bundesrath in der Lage ist, den hier geschilderten Mißständen entgegenzutreten. Ich muß hier ausdrücklich auf dief.n Paragraphen verweisen und Sie nochmals bitten, die Anträge Auer u. Gen. und Gutfleish u. Gen. niht anzunehmen, weil es bedenklih ist, aus diesem Gebiete, das so ungemein \{wierig ist, einzelne Be- stimmungen herauszugreifen, deren Tragweite wir nit rollftändig Überseben können.

Abg. Möller: Seine Freunde seien mit ihm der Meinung, daß man unbedingt an den Beschlüssen der Kommission festhalten müsse. Man könne bier nit jo nebenbei eine Materie an\chneiden, deren Behandlung man für die nähste Zeit in Aussicht nehmen müsse. Der Abg. Bebel lege zwar auf Sympathiecerklärungen keinen Werth, aber er (Redner) versichere, daß auch seine Freunde die Ne- gelung dieser Verhältnisse wünschten. Es sei unrichtig, daß hier ledigli das Interesse der Arbeitgeber in Frage fomme, das große Publikum sei dabei viel mehr interessirt. Die Arbeitgeber, d. h. die Scankwirthe u. \#. w.,, würden den ihnen entstehenden Schaden einfa auf die Konsumenten abwälzen, und darunter werde gerade die arbeitende Klasse zu leiden haben. Eine weitgehende Einschrän- fung oder vollständige Beseitigung des Güterverfehrs sei nur mögli dur eine internationale Regelung.

Abg. Vollrath: Er werde selbstverständlih für den von seiner Partei eingebrachten Antrag stimmen, Er gehe aber darüber noch hinaus und stimme zunächst für den von sozialdemofkratisher Seite eingebrachten Antrag, und zwar hauptsäblih im Hinblick auf die Nerbältnisse des Verkehrägewerbes, vor Allem der Straßenbahnen. Die bimmelshreicnden Zustände, die nah den Angaben des Abg. Bebel bei dec Berliner Omnibus®gesellshaft herrschten , wiederholten si vollfommen übereinstimmend bei den meisten Straßenbahnen. In Breélau beispielsweise seien die bezüglichen Verbältnisse geradezu zu einem öffentlihen Skandal geworden. (Hört, hört! links.) Es seien dort nicht Blätter gewesen, welhe man bezihtigt, gewohnheits- oder gewerbsmäßig Unzufriedenheit zu säen, fondern Blätter, welche gewohnheitsmäßig die allergrößte Zufriedenheit nährten, die die unbaltbaren Uebelstände öffentliÞ gebrandmarkt hätten, sodaß die öffentlihe Meinung dadurch auf’'s Höchste erregt worden sei. Die Kutscher und Kondukteure der Breslauer Straßenbahn hätten dur- \cnittlib, namentlich im Sommer, eine achtzehnstündige Arbeitszeit. Wenn er für gewöhnlich Instand nehme, das Wort „Ausbeutung“ zu gebrauchen, weil damit leider ein übergroßer Mißbrauch getrieben werde, so müsse er doch sagen, hier liege eine Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft vor, wie sie unerhörter und ver- werfliher nit gedacht werden könne. (Sehr richtig! links.) Das Be- denken des Abg. Möller, daß man im § 105i nit ein einzelnes Ge- werbe besonders berücksihtigen könne, sei dadurch widerlegt, daß man in früher angenommenen Bestimmungen dieses Gesetzes bereits andere bestimmte Gewerbe berüsihtigt habe, und die Befürchtung, daß das große Publikum, daß Alle, die mit der Straßenbahn führen, in ibren Gewohnheiten dur die von der linken Seite gewünschte Be- \chränkung der Arbeitszeit der Angestellten unbequem beeinträchtigt werden könnten, theile er vollends niht. Man könne ohne Verminde- rung des Betriebes ganz gut den Pferdebahnbediensteten wöchentlih eine Rubepause von 36 Stunden geben, die alle vier Wochen einmal auf den Sonntag fallen müsse, denn die Verwaltungen würden dann einfa ein paar Leute mehr einstellen (sehr richtig! links), was die Gesellschaften, die hohe Dividenden zahlten, ohne Schwierigkeiten fönnten (fehr gut! links), die Straßenbahnen aber, die nur 1—2°/o Dividende zahlten, hätten ihren Beruf verfehlt, denn sie hätten si offenbar in Städte verirrt, in denen ein Bedürfniß zu Pferdebahn nit vorhanden sei. Man dürfe auf dem Wege, gerade den bedrütesten Arbeitern durch das vorliegende Gese Scbuß gegen die alles Maß überschreitende Inanspruhnahme ihrer Kräfte zu gewähren, mit der von der Kommission vorgeschlagenen Resolution niht Halt maten. Man sei hier in der Lage, zu helfen, also müsse man es thun. (Beifall links.

Abg. von Vollmar: Die Erklärungen des Staats-Ministers Freiherrn von Berleps{ seien sehr erfreulih gewesen, aber sie gingen ibm (dem Redner) nicht weit genug, und vor Allem habe man feine Garantie, daß die verbündeten Regierungen bei dem Wechsel der Meinungen und Personen des Handels-Ministers Ideen ausführen würden. Die Sympathie des Abg. Möller für die in diesen Ge- werben Angestellten könne niht weit her feip, wenn er ängstlih auf eine Schädigung des Publikums hinweise. Bei einer jolchen Er- wägung dürfe man auf diese ganze Gesetzgebung nit eingehen. „An- geschnitten“ sei diese Materie ohnehin s{chon, denn es werde hier bestimmt, daß die Arbeiter dieser Branchen zu Arbeiten an den be- treffenden Tagen nicht verpflichtet werden könnten. Natürlich sei dies au bloß eine Redensart. Mißstände in Bezug auf die Pferde- babnen bätten auch in Münten bis vor Kurzem bestanden; es [ei erst cine Besserung eingetreten, als in Wien der große Pferdebahn- ftrike auëgebrochen sei. Wolle man alfo weitere Strikes vermeiden, so môge man diese Verbesserungen jeßt nit aufscieben, man könnte ih sonst niht über eine Störung des sozialen Friedens beklagen. Die deutshen Pferdebahnkutsher und Conducteure seien um 10 {lechter daran, als sie während der Fahrt nit einen Augenblick fiten dürften. In Fra1.kreich sei es anders. In der Schweiz seien allen Beamten und Bediensteten im Verkehrsgewerbe geseßlich 26 Sonn- tage des Jahres freigehalten. Für die Post seien im leßten Budget 300000 Fr. das entsprehe 5 Millionen Franks im deutshen Etat für denselben Zweck ausgeseßt. Im großmächtigen Deutschen Reih werde keine Anstalt gemacht, diesem Beispiele zu folgen. Es stehe fest, daß eine Reihe von Dienstzweigen bei der Eisenbahn fehr wobl am Sonntage ziemlih bedeutend einges{hränkt werden könne, er meine namentli den Güterfrachtverkehr „und die Viehbeförderung. Internationale Vereinbarungen könnten fehr leiht das Loos der Ar- beiter nit erleitern, sondern erschweren. Deutschland sei do groß genug, um aus fi selbst in dieser Frage vorzugehen. Daß in Bayern {on so viel geschehen sei, müsse er bestreiten. Es bedürfe nur eines Eisenbahnunglüs, und dann spreche die ganze bayerische Presse anders darüber. Man könnte in Bayern noch wesentlich mehr thun, und die bayeris&e Regierung lasse ja auch {hon Erhebungen über die Ver- bältnisse anstellen. Besonderen Anlaß zu Klagen hâtten die Cisen- bahnbeamtien in Sachsen. In jeder Landtagsperiode wendeten sie fh an den Landtag mit Beschwerden der ärgsten Art. In einer Eingabe werde auseinandergeseßzt, daß man nur erstrebe, was be- reits vor 1880 vorhanden gewesen sei. Damals fei ein raffinirtes Sparsystem eingeführt, in Folge dessen beute troß der großen Aus- dehnung des Eisenbahnnetes niht mehr Beamte vorhanden feien als vor 1880. Man habe um so mehr die Pflicht, für diefe Arbeiter einzutreten, als dieselben nicht dur Striken Befsserungen ertroßen fönnten und ihnen auch das Petitionsrecht fast ganz verslofsen sei, wie die Postverwaltung zeige. Die Beamten würden unmenschlich avsgebeutet, und manhes Eisenbahnunglück sei darauf zurüd- zuführen. Die Resolution lege Alles in die Willkür der ein- zelnen Regierungen, er wünshte daber eine schärfere Fassung. Da man aber vorläufig kein anderes Mittel habe, stimme seine Partei für die Resolution und hoffe, daß die Einstimmigkeit, mit welcher sie angenommen werden würde, die Regierung veranlafse, gründlich in ch zu gehen und, bevor fie den Arbeitgebern Vorlesungen darüber halte, was si vernunft- und rechtmäßig gehöre, felbst bei fich an- ufangen. ; N M Abg. Bichl : Er beschränke sich auf das, was die Kommission vorshlage, umsomehr als der Staats-Minister eine beruhigende Er- klärung gegeben habe. Manches müsse ja besser werden, aber wenn auf der Linken in so grellen Farben gemalt werde, so beziehe si das nur auf Berlin und einige - große Städte Norddeutshlands. (Abg. Bebel: München!) Was über die Münchener Trambahn-

esellschaft gesagt sei, treffe nicht zu. In Süddeutschland seien die Berbältnifse im Swankgewerbe dúrhaus nicht so s{chlimm. Es

komme dort gar nit vor, daß eine Kellnerin keinen Lohn beziehe. Wenn die Leute der Omnibusgesellschaft in Berlin nur sieben Minuten zum Mittagsmahl hätten (Abg Bebel: Und noh Pferdeutspann!), so sei das allerdings eine barbarische Behandlung. Die Münchener Trambahngesellshaft habe das auch erst so shablonenhaft einrichten zu fönnen geglaubt, aber der böse ultramontane Magistrat und die Polizei-Direktion in München hätten der Gesellshaft mit Konzessions- entziebung gedroßt, wenn sie das nicht ändere, und jeßt hätten die Kutscher und Conducteure 35 Minuten für ihr Mittagsmahl. Er wünschte zwar, sie hätten, wie in anderen Gewerben, mehr als eine Stunde, aber für cine Trambahn existirten eben besondere Verhältnisse. Magistrat und Polizei-Direktion in München seßten es auch dur, daß jeder Kutsher und Conducteur im Hohsommer Nachmittags eine Stunde Ablösung erfahre. Man könne also auch ohne die \{werfällige Reich8geseßgebungsmaschinerie Uebelstände be- seitigen. Der Wiener Trambahnstrike habe das nit zu Wege ge- braHt, alle diese Dinge seien in Münden {hon vorher erledigt worden. Auf seinen Antrag im Münchener Magistrat sei die Trambakbngesell- saft zu einer Aeußerung aufgefordert worden, ob ähnliche Befürchtungen wie in Wien zu gewärtigen seien, und ob die Beamten Anlaß zu Klagen hätten. Die Trambahndirektion habe einen wohlmotivirten Bescheid gegeben, mit dem Magistrat und Polizei-Direktion zufrieden gewefen seicn. Man dürfe hier aber nichts überstürzen, und seine Partei warte daher eine sorgfältig ausgearbeitete Vorlage der Regierung ab. Mane berechtigte Klagen bedürften nit erft der geseßlichen Regelung. Die Herren mögen in der Stadtverwaltung ihren Einfluß geltend machen, dann werde man hoffentlich auch in Berlin folche barbarische Behandlung nit gerechtfertigt finden.

Abg. Sitolle: Er freue si, daß in Folge seines Antrages der Handels-Minister erklärt habe, daß eine Vorlage vorbereitet werden solle, die den Uebelständen im Verkehrsgewerbe abhelfen solle. Daß die Uebelstände \{chlimm seien, sei von keiner Seite bestritten. Die Sozialdemokraten hätten hier einen Erfolg zu verzei®nen, ebenso wie in Sa@sen, wo sie im Landtage die Regierung immer mehr gedrängt hätten. Der Antrag Klemm zeige, daß auch in jenen Kreisen die Anschauungen der Sozialdemokraten Plaß griffen und man die Un- zufriedenheit beseitigen wolle. Die Abgeordneten der Einzelstaaten müßten die Einzelregierungen ebenfalls drängen. Bei dem Etat der Reiché-Eisenbahnverwaltung werde seine Partei untersuchen, ob dieselbe als Musteranstalt gelten könne. Die preußische Eisenbahnverwaltung sehe au niht nah einer Musteranstalt aus. In Leipzig, wo vier Bahnhöfe unter preußischer Eisenbahnverwaltung ständen, beklagten es die Beamten, daß sie ihre Beschwerden keinem höheren Beamten vortragen könnten, weil dort kein preußishes Betriebsamt existire; und die Beamten beschwerten sich, daß fie in Sklaverei unter dem Güterexpeditions - Vorsteher s{chmachteten. Wenn nun der Abg. Schmidt - Elberfeld sage, daß die Referenten in der Kellner- versammlung hier in Berlin über die Beschlüsse der Kom- mission fals berihtet hätten, so wäre er (Rednec) entschieden da- gegen aufgetreten, Wenn der Abg. Schmidt ferner behaupte, daß die Berichterstatter in den Zeitungen falsch berihtet hätten, so habe er Namen nit genannt. Die Herren vom Centrum, die den Aus- \{chlag gäben, mögen dem Beispiele des Abg. Biehl folgen und dafür sorgen, daß es so gemacht werde, wie von dem Magistrat in München. Man möge also für den Antrag feiner Partei stimmen.

Aba. Schmidt (Elberfeld): Er fkonstatire nochmals, daß in der Kommission und von der Regierung die Kellner einmüthig als Gewerbegehülfen anerkannt seien. Abg. Stolle telle es immer noch fo dar, als ob die ganze Arbeitershußzgeseßgebung nur von den Sozialdemokraten angeregt sei; um dieser Legendenbildung entgegen zu treten , weise er (Redner) darauf hin, daß diefe Geseßgebung troß vielfacher Anregungen aus verschiedenen Parteien des Hauses in den leßten 10 Jahren durch den Fürsten Bismarck verhindert worden sei. Die vom Abg. Stolle gewünschten Namen werde er hier öffentlich nicht nennen, werde sie ihm aber nach dem „Volksblatt“, also dem offiziellen Blatt seiner Partei, auf Verlangen privatim nennen.

Abg. Dr. Orterer: Er danke dem Staats-Minister Freiherrn von Berlepsh für seine bestimmten Ausführungen, und man könne vertrauen, daß die Sabe auch weiter günstig entwickelt werde. Er bestreite, daß nur die Sozialdemokraten die Anregung zur Arbeiter- \chutgesezgebung gegeben hätten; was hätten z. B. die Arbeiter der Or und Eisenbahnverwaltungen den Anträgen des Abg. Singer zu danken!

Abg. Möller: Die Beshränkung der Sonntag8ruhe auf das von der Kommission beschlossene Maß sei durch die Schwierigkeit der Materie bedingt, und darum bitte er, lediglich den Antrag der Kommission und die Resolution anzunehmen. :

Abg. v. Vollmar: Der Abg. Schmidt bezeihne es als eine „Legende“, daß die Arbeitershußtgeseßgebung von den Sozialdemo- kraten veranlaßt sei; wisse er nicht, daß die Kaiserlihe Botschaft vom Jahre 1881 direkt auf das Sozialistengeseß, also doch auf die sozialistishe Bewegung Bezug nehme? Wisse er niht, daß Fürst Bismarck, der \{limmfste Feind der Sozialdemokraten, ihre Anwesen- beit hier im Hause begrüßt habe, weil ohne sie das Bischen Arbeitershut, das man habe, auch nit erreiht wäre? Was die Stellung der Kellner anlange, in welcher Beziehung der Abg. Biehl diese Bayern für bessere Menschen erkläre, als die Berliner, so seien allerdings dort die Verhältnisse insofern besser, als die übel beleumdeten Münchener früher nah Hause gingen, aber es gebe genug größere Etablissements, die die ganze Nacht hindurch geöffnet blieben, und wo das Personal 14 bis 16 Stunden thätig sein müsse. Was die Bezahlung des Per- sonals betreffe, so gebe es auch in München Etablissements genug, in denen die Kellnerinnen monatlich 4 bis 5 (f erhielten, wovon sie noch ihre Gehülfinnen, die Wassermädchen, bezahlen müßten; die erhielten also doch thatsählich so gut wie kein Gehalt. Der Abg. Biehl habe gemeint, unter Hinweis auf die Verhältnisse der Münchener Trambahn, es bedürfe nicht der \{werfälligen Reichs- geseßzgebungsmaschine, der „böse ultramontane“ Magistrat habe dort folhe Aenderungen vorgenommen, daß die Trambahn-Direktion und der Magistrat zufriedengestelli seien ja, aber die Arbeiter seien nit zufrieden! Und wie nöthig die \{werfällige Gesetzgebungsmaschine sei, zeige derselbe „ultramontane“ Magistrat, der sh der Einführung der Gewerbeschiedgerihte so lange widerseßt habe, bis sie dur Reichsgesez eingeführt worden seien. In ganz Bayern ständen die Kellner unter dem ODienstbotengeseßh, und er möchte ih nicht dafür “verbürgen, wie diese Dinge in Medlen- burg u. st w. liegen mögen. Der Antrag Bebel, die Kellner im ganzen Reih unter die Gewerbeordnung zu stellen, sei in der Kommission abgelehnt worden, weil die Gesetzgebung eines großen Einzelstaates entgegenstände das sei bezeihnend! Er hoffe au, daß die Arbeitershußgeseßgebung im günstigen Sinne weiter entwickelt werde was auf diesem Gebiet {hon geschehen sei, z. B. die Be- stimmung des §. 105 b, erkenne scine Partei dankbar an!

Abg. Schmidt (Elberfeld): Die Kaiserlihe Botschaft erkenne allerdings etnen Zusammenhang der sozialdemokratishen Thätigkeit mit den Bestrebungen auf dem Gebiete des Arbeitershutes an, aber in einer Weise, die dem Abg. von Vollmar nicht angenehm sein könne. Es heiße in der Botschaft: „Schon im Februar dieses Jahres haben Wir unsere Ueberzeugung aus\sprehen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden niht aus\{liezlich im Wege der Repression sozialdemokratisher Ausschreitungen, sondern gleih- mäßig in der Besjerung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde.“ Der Abg. v. Vollmar habe von dem Fürsten Bismarck als dem s{limmsten Feinde der Sozialdemokraten gesprochen. Er (Redner) erinnere den Abg. v. Vollmar an den freundlihen Guts- nachbarn; und sodann habe der Fürst Bismarck dur Erlaß desSozialisten- gesetzes den Sozialdemokraten mehr genüßt, als alle Agitationen. Er (Redner) habe übrigens nicht vom Fürsten Bismarck , sondern von dem Reichstage gesprochen, davon, daß man bier in diesem Hause, und zwar auf allen Seiten, auf Verbesserung der Lage der Arbeiter hin- gearbeitet habe. Der Reihshemmshuh der leßten zwölf Jahre sei auf ganz anderer Seite zu suchen, als da, wo ihn der Abg. von

Vollmar suche. (Beifall links.)

Abg. Bi ehl: Die Kellner und Kellnerinnen gehörten in Bayern

seit Jahren nit mehr unter die Kategorie der Dienstboten; der Stand-

punkt sei längst überwunden. Die Verbesserungen bei der Trambahn in München seien lange vor dem Wiener Strike eingeführt. Der Wiener Strike habe nur Veranlassung gegeben, in geheimer Sizung den Antrag zu stellen, die Trambahngesell|chaft aufzufordern, Rechen- schaft über ihr Verhältniß zu den Bebiensteten zu geben, und ob ähnlihe Verhältnisse wie in Wien zu befürhten seien. Die Antwort habe Magistrat und Polizei - Direktion beruhigt. Wenn die Kutscher und Kondukteure niht zufrieden gewesen wären, hätten sie längst gestrikt. (Heiterkeit.) Daß Kellner und Kellnerinnen in Münwen 4,50 4 Lohn monatlih erhielten, sei ihm unbe?annt. Er würde es lebhaft bedauern. Im Privatdienst erhielten folche Be- diensteten 20 bis 24 M Lange vor der sozialdemokratishen Partei habe der bayerishe Handwerkerbund beim Magistrat die Einrichtung der Gewerbeschied8gerihte in Anregung gebracht. Die Verhältnisse hätten es aber mit ih gebracht, daß die Frage nit früher habe gelöst werden können. j

Damit {ließt die Diskussion. A

Der Antrag Auer und der Antrag Gutfleish-Hähnle werden abgelehnt. Der Antrag Gutfleish-Krause und mit ihm 8. 105i gelangen zur Annahme. Die Resolution wird

fast einstimmig angenommen. / :

Nachdem noch §. 106 (Verbot der Anleitung von Arbeitern unter 18 Jahren für Gewerbetreibende, welhen die bürger- lihen Ehrenrehte aberkannt sind) ohne Debatte erledigt ist, wird um 41/2 Uhr die Fortseßung der Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Haus der Abgeordneten. 37, Sizung vom 19. Februar 1891.

Der Sizung wohnt der Finanz-Minister Dr. Miquel bei.

Die zweite Berathung des Einkommensteuer- geseßes wird fortgeseßt und zwar beim Abschnitt IILI, Theil 4: Organe, Bezirke und Verfahren der Veranlagung. (88. 31—39.) |

Nach §. 31 sollen Landgemeinden und Gutsbezirke, welche nah der Landgemeinde-Ordnung zu Zweckverbänden verbunden sind, auch für die Voreinshäßung zu einem Bezirke ver- bunden sein. S : |

Abg. von Krö cher beantragt, diese Vorschrift zu streichen, wei nidt gesagt sei, welhe Bebörden über die Bildung der Bezirke zu entscheiden hätten. : i

Abg. Freiherr von Zedliß empfiehlt die Aufrechterbaltung, weik es bequemer sei an {on vorhandene Bezirke und Verbände ich anzulehnen, als neue Bezirke zu bilden und dadur den ganzen Verwaltungsapparat in Thätigkeit zu seyen. S E

Geheimer Finanz- Rath Wallach schließt fich diesen Aus- führungen an. ;

8. 31 wird unverändert angenommen, ebenso S8. 32 und 33.

8. 34 lautet: i: :

Für jeden Veranlagungsbezirk ist unter dem Vorsitz des Land- raths oder cines von der Regierung zu ernennenden Kommijjars eine Veranlagurgstommission zu bilden, deren Mitglieder theils von der Regierung ernannt, theils von der Kreisvertretung, und in den Stadtkreisen von der Gemeindevertretung aus den Einwohnern des Veranlagungébezirks, unter mögli{hster Berücksichtigung der ver- schiedenen Arten des Einkommens, auf die Dauer von sechs Jahren gewäblt werden. : S :

Die Zahl der ernannten und der gewählten M'tglicder wird für die einzelnen Veranlagungsbezirke mit Rücksicht auf deren Größe und auf die Einkommensverbältnifse der Einwohner von der Regierung in der Art bestimmt, daß die Zabl der ernannten Mit- glieder einschließlich des Vorsißenden die Hälfte der gewählten Mitglieder nicht übershreitet.

Alle drei Jahre scheidet je die Hälfte der ernannten und der ge- wählten Mitglieder, und zwar bei ungerader Zahl das erste Mal die größere Hälfte aus und wird durch neue Ernennungen bezw. Wahlen erseßt. Die das erste Mal Ausscheidenden werden durch das Loos bestimmt ; die Ausscheidenden können wieder ernannt bezw. gewählt werden.

Abg. Rickert beantragt: _

1) Den §. 34 wie folgt zu fassen: S

„Für jeden Veranlagungsbezirk ist eine Veranlagungskommission zu bilden, deren Mitglieder von der Kreisvertretung und in den Stadtkreisen von der Gemeindevertretung aus den Einwohnern des Veranlagungsbezirks unter möglichster Berücksichtigung der ver- schiedenen Arten des Einkommens auf die Dauer von se{chs Jahren gewählt werden. S O

Alle drei Jahre scheidet je die Hälfte der Mitglieder, und zwar bei ungerader Zahl das erste Mal die größere Hälfte aus und wird durch neue Wahlen ersetzt. Die das erste Mal Ausscheidenden werden durch das Loos bestimmt; die Aus\cheidenden können wieder- gewählt werden. j E |

Die Zahl der Mitglieder wird für jeden Veranlagungsbezir mit Rücksicht auf dessen Größe und die Einkommensverhältnisse der Einwohner von der Regierung bestimmt. i

Die Kommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsißenden und einen Stellvertreter. 7

Jeder Veranlagungskommission wird ein von dem Finanz- Minister zu ernennender steuertehnischer Beamter als Staats- fommifsar zugeordnet, welcher das Interesse des Staats vertritt.“

bg. Dr. Enneccerus:

Im §. 34 Abs, 1 die Worte „des Landrat hs oder“ zu streichen.

Abg. Freiherr von Loë:

Den e 34 wie folgt zu fafsen:

„Für jeden Veranlagungsbezirk ist unter dem ens des Land- raths oder cines von der Regierung zu ernennenden Kommissars eine Veranlagungskommission zu bilden, deren Mitglieder von der Kreisvertretung und in den Stadtkreisen von der Gemeindevertretung aus den Einwohnern des Veranlagungsbezirks, unter möglichster Berücksichtigung der verschiedenen Arten des Einkommens, auf die Dauer von sechs Jahren gewählt werden. E

Die Zahl der gewählten Mitglieder wird für die einzelnen Veranlagungsbezirke mit Rücksiht auf deren Größe und auf die Einkommensverhältnisse der Einwohner von der Regierung bestimmt.

Alle drei Jahre scheidet die Hälfte der gewählten Mitglieder, und zwar bei ungerader Zahl das erste Mal die größere Hälfte aus und wird durch neue Wahlen ersezt. Die das erste Mal Aus- \cheidenden werden durch das Loos bestimmt; die Ausscheidenden können wiedergewählt werden.“

Abg. Dr. Enneccerus:; Es müsse dafür gesorgt werden, daß an die Spiße der Kommission ein Beamter komme, der die Geschäfte dauernd versehe. Der Landrath sei mit Geschäften aller Art zu sehr überhäuft, als daß er mit Gründli(hkeit dieses Geschäft wahrnehmen könne. Der Landrath solle der Vertrauensmarn des Kreises sein, und damit vertrage es si nicht, daß von ihm die Entscheidung über die Steuerverhältnifse abhänge. Der Antrag Rickert, welcher dem fteuer- technischen Beamten niht Siß und Stimme in der Kommission geben wolle, sei niht ausreichend, noh viel weniger könne es gestattet wer- den Jas die Kommission gar keine staatlich ernannten Mitglieder enthalte.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Freiherr Senfft vonPilsach: Er bitte, es bei dem Antrage der Kommission zu belassen. Der Land- rath kenne die Einkommensverhältnisse in seinem Kreise am Genauesten, und das sei heute um so \hwieriger, als unsere Verhältnisse immer mehr individuell würden. Der Abg. Enneccerus habe dagegen ge- sprochen wegen der politishen Stellung des Landraths. Aber bis jeßt sei der Landrath noch immer der Vertrauensmann in seinem Kreise gewesen, und gerade s gesagt, wenn der Landrath einen poli- tishen Gegner der Regierung das in anderen Sahen fühlen lassen

würde, so würde er ih eine grobe Pflichtverleßung zu Schulden kommen lassen. Es sei bisher noch niemals auch nur die Spur eines Beweises dafür erbracht. Man werde es in weiten Kreisen nit verstehen, wenn dem Landrath diese Befugniß entzogen werde, und sein Ansehen werde darunter leiden.

Abg. Freiherr von Zedlitz: Er bitte, die Anträge Rickert und von Loë abzulehnen. Beide böten keine Garantie für die Sicherheit der Veranlagung. Der richtige Shuß der Defklaranten gegen die Meogelanten sei der Landrath. Nur ein seit Alters her für dieses Geschäft erzogenes festes Beamtenthum der inneren Selbstverwaltung sei im Stande, diejenigen Kräfte für solche Stellen herzugeben, welche der Abg. Rickert in Aussiht genommen habe. Der Antrag Enneccerus sei durchaus entbehrlich und überflüssig. Dagegen fürchte er, daß mit der Zunahme der Steuergeshäfte eine große Zahl derselben niht vom Landrath selbst, sondern von Sub- alternbeamten des\felben werde wahrgenommen werden; das werde dazu führen, den Landrath aus dem Vorsitz zu eliminiren und ihn durch einen böberen Steuerbeamten zu erseßen. Er habe ur- \prünglih die Absicht gehabt, zu beantragen, den Landrath zwar an dic Spitze der Veranlagungskommission zu seßen, ihm den Vorsig und die rihterlihe Thätigkeit in der Veranlagung zu überlassen, ihm aber zur Wahrnehmung der staatsfiskalisen Interessen einen Steuer- beamten mit einer gewissen steuerlihen Verantwortlichkeit zur Seite fu geben. Wäre dieser Weg ganabar, fo würde das Interesse der Steuerverwaltung in vollem Umfange zur Geltung kommen. JIn- dessen die von Seiten der Regterung, namentlich vou Seite des Ministers des Innern erhobenen Bedenken hätten ihn bestimmt, von dem Antrage abzusehen, und es bleibe nihts übrig, als die Re- gierung8vorlage anzunehmen.

Abg. Dr. Lotichius erklärt sich für den Antrag Loës, Die Regierungsvorlage {lage eine Zusammensetzung der Kommission vor, welche die Gegensäße innerhalb derselben vers{ärfen ur.d die Er- ledigung der Geschäfte erschweren würde. Würden aber alle Mit- glieder von der Kreisvertretung gewählt, so hätten alle gleichmäßig die Verantwortlichkeit zu tragen. Die Kreisvertretung werde schon die rihtigen Männer finden. Die Regierungêvorlage bedeute einen Rückschritt gegenüber den bisherigen Verbältnifsen.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum: Er empfehle den Kom- mission2antrag zur Annahme. Gerade die Stellung des Landraths im Kreise und das Vertrauen, das er bei den Kreiseingesefsenen genieße, machten ihn geeignet zum Vorsitzenden in der Veranlagungskommission mindestens für die Uebergangs8zeit; später, wenn die neuen Einrich- tungen eingebürgert sein würden, werde man auch anderen Beamten den Vorsiy übertragen können. Die sämmt- lien gestellten Anträge würden das Prinzip der Deklaration that- fählih einshränken, namentlih der Antrag Rickert wolle es bei den bestehenden Zuständen belassen. Cr denke fih die Sache einfa, aber er (Redner) glaube nicht, daß alles fo glait und ohne Widerspruch abgehen werde. Wenn aber in dem Gefeß das Prinzip der Deklaration angenommen habe und dur die Einzelbestimmung die Ausführung dersel- ben erheblich beeinträchtigt werde, so wisse er nit, ob seine Fraktion dann für das ganze Gese stimmen könne. Alle die Herren, welche die Deklaration durch ihre Anträge abschwächen wollten, könnten ihr Votum eigentlich abgeben unter dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber ma’ ihn mir niht naß.“ (Heiterkeit.)

Abg. Dr, Krause: Die Anträge Rickert und Loë erschienen ihm

darum nicht angemessen, weil bei nur gewählten Mitgliedern der Kommission das Staatsinteresse zu wenig gewahrt werden dürfte. Er möchte also auch ernannte Mitglieder in dieser Kommission sehen. Den Landrath aber empfehle er nicht als Vorfißenden einzuführen ; denn wenn er auch das Vertrauen des Kreises habe, so sei das Ver- trauen bei einzelnen Krei8eingesefsenen doch geringer als bei anderen, und dieser Umstand lasse ihn nit geeignet erscheinen zum Vorsitßenden der Veranlagungskommission. Außerdem kenne der Landrath roobl die Kreiseingesessenen, aber ihre Vermögensverhältnifse fcien ihm niht genau bekannt. Gegen den Landrath als Kom- missionsvorsißenden sprehe auch, daß er anderweitig mit Geschäften stark belastet sei. Das Beispiel Englands zeige, daß diese Dinge fahmännish erledigt und in die Hände der “technischen Beamten gelegt werden müßten, die sie im Hauptamt verwalteten. Die Autorität des Landraths werde dur eine Aenderung nit leiden; eine folche Rücksicht würde übrigens jede organische Verwaltungsänderung un- möglich machen. Die nöthigen Beamten würden sih {on finden. Der Antrag Enneccerus sei der erste Schritt zu dem Ziel, das seine Partei verfolge. Sie wolle nihts, als daß an die erste Stelle ein besonderer Kommissar geseßt werde und nicht der Landrath an erster Stelle genannt werde. Auch die Rücksicht, daß bei Ab- enaag des Antrages Enneccerus auf dem Lande der Landrath Vorsteher der Kommission würde, in den Städten aber niht der Bürgermeister, sondern ein besonderer Kommissar, daß alfo eine Un- gleihheit zwishen Land und Stadt entstehen würde, lasse die An- nahme des Antrages Enneccerus empfehlenswerth ersheinen, wodurch alle Disparitäten vermieden würden. __ Abg. Freiherr von Huene: Der Kommissionsvors{hlag bedeute im Gegensaß zur Regierungsvorlage einen wesentlihen Fortschritt für alle diejenigen, die für gewählte Mitglieder feien. Das Ver- bältniß der ernannten Mitglieder zu den gewählten sei ein solches, daß man eine gleihmäßige unparteiische Handhabung des Gesetzes erwarten dürfe. Eine vorurtheilsfreie Beurtheilung der Einkommen- verhältnisse pflege von denen auszugehen, die mit den Censiten nihts zu thun hätten. Seine politishen Freunde seien über die Frage des Vorsitzenden der Kommission getheilter Ansicht. Die Herren aus dem Osten seien meistentheils für den Landrath als Vorsitzenden, die Herren aus den neuen Provinzen, die die Stellung des Landraths, dieses für die preußishe Verwaltung so carakteristisGen Beamten, niemals recht kennen gelernt hätten, für einen Kommissar. Es fei auf den fäbsishen Kommissar verwiesen, der von den Steuervflihtigen häufig zu Diners gezogen werden solle. Gerade dieser Punkt gebe zu denken (Heiterkeit), selbst wenn, was er für sicher halte, keine Be- einflussung damit geschehe. In großen Städten werde allerdings der Landrath alle seine Funktionen oft nicht erfüllen können, und hier möge der Kommissar aushelfen. Doch wünsche er, daß man nicht ¿u häufig Kommissare ernenne. Das Haus möge also nur den Kom- missionsvorshlag annehmen.

Abg. Freiherr von Loë: In den Motiven ck x Regierungs- vorlage fei der Vorschlag, di Hälfte der Kommissionsmitglieder zu ernennen, damit motivirt, daß dadur eine sachkundige und unpar- teiishe Veranlagung gewährleistet werde. Die Kommission sei ebenso kurz in der Begründung ihres Vorshlags. Die heutigen mangel- haften Zustände in den Einshäßungskommissionen sollten aber eines Besseren belehren. Vielleicht liege ein großer Theil der Mängel bei der Einshäßung in dem heutigen Geseß selbst; aber einen ge- wissen Antheil Habe die Zusammenseßung der Kommission immerhin gehabt. Dem Staats- und fiskalishen Interesse sei vollauf genügt, wenn die Regierung den Vorsißenden ernenne. Eine sah- kundige Behandlung der Einschäßung werde doch am Besten durch die Personen geübt werden, die in der Kreis- und Gemeindevertretung säßen und die Verhältnisse jedes Ein- zelnen möglid| genau Tkennten. Nun meine man, wenn alle Mitglieder gewählt würden, werde die Kommission zu einem Kollegium werden, das nur nah eigenem Ermessen handele. Er habe eine bessere Meinung von der Gewissenhaftigkeit der Mitglieder. Der Antrag Rickert gehe zu weit, wenn er auch den Vorsißenden gewählt haben wolle. Es seien jet Alle mit Selbstverwaltungs- und Ehren- âmtern so überlastet, daß es nicht leiht sein werde, Einen zu finden, der das überaus _verantiwortlihe Amt eines Vorsißenden übernehme. Schon heute sträubten sich sehr viele ARgneTOE Leute, in die Ab- \{äßungskommission gewählt zu werden, in Anbetraht der großen Verantwortlichkeit „und des Odiums, das sie auf si lüden. Das Haus möge also seinen Antrag annehmen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Da die Anträge der Regierung, beziehungsweise die Beschlüsse der Kommission in so beredter und erschöpfender Weise aus dem Hause bereits vertheidigt sind, kann ih sehr kurz sein. Jch

gestatte mir aber, noch einige Bemerkungen zu der Rede des Freiherrn von Loë, die wir eben gehört haben, zu machen.

Hr. von Loë meint, bis jeßt haben zwar die Zusammensetzung der Kommissionen und die Ergebnisse der Einshäßung dur dieselben Vieles zu wünschen übrig gelassen. Nun, meine Herren, das ist ein Sat, glaube ich, dem wir Alle in vollem Maße zustimmen. Er meint aber, das sei daber gekommen, daß es bisher nicht möglich ge- wesen wäre, rihtig zu \{chäßen. Jch glaube, das ift ein \{werer Irrthum. Wer in der Praxis des Lebens gestanden hat, der weiß, daß vielfah ganz andere Rücksihten maßgebend gewesen sind, der weiß namentli, daß eine Hauptrücksiht, welche zur bewußt geringen Einshätzung geführt hat, die Vergleichung der Einshätzung in einem Bezirk mit dem anderen war. (Sehr richtig !)

Meine Herren, wie oft habe ih gehört: warum sollen wir uns denn in der und der Stadt so ho einschätßen, in der anderen Stadt wird noch viel weniger einge\{äßt? Die Ungleihmäßigkeit der Ein- schäßung in den einzelnen Bezirken führte niht nach oben, fondern se führte hauptsählich nah unten. Gerade deshalb ift es aber noth- wendig, ernannte Mitglieder zu haben, denn nur dadurch wird eine gewisse Gleihmäßigkeit der Veranlagung in der ganzen Monarcie ermöglicht.

Meine Herren, der bisherige Zustand, wo die Staatsregierung auf die Zusammenseßung der Kommissionen gar keine Einwirkung hatte, hat doch zu sehr sonderbaren Ergebnissen geführt, und zwar zu Ergebnissen, die doch dem Herrn Vorredner einigermaßen bekannt sein müßten. Wenn beispielsweise in einem Veranlagungsbezirk eine Kommission öffentlih angegriffen wird, daß sie durchgängig viel zu niedrig einges{äßt habe, wenn der von dem Finanz-Minister in diesen Bezirk geshickte Vorsißende der Bezirkskommission diese Ansicht be- stätigt, wenn er eine Reihe bestimmter Personen der Kommission namhaft mat und vermöge des Aufsihisrechts des Finanz-Ministers um nochmalige Erwägung bittet, wenn die Kommission diese Erwägung ablehnt und in Folge dessen von der Vertretung cinftimmig wiedergewählt wird bei ihrer Neuwahl, fo ift es doch lar, daß bier die Staatsregierung zu kurz kommt in der Wahrung der gesammten Interessen des Landes. (Sehr richtig !)

Ich glaube, Hr. von Loë, der doch auch in der Selbstverwaltung stebt, wird folhe Aeußerungen auch {on gebört haben: Nein, aber den Mann wählen wir nicht wieder, der {äßt zu {arf ein. Wenn aber der Mann in vollen Maße rücksihtslos seine Schuldigkeit ge- than hat, und er wird nit wiedergewählt aus diesem Grunde, so werden wic in Zukunft in der Lage sein, einen solchen gewissenhaften Mann in die Kommission hinein zu ernennen. Es fann ja gar nit die Absiht sein, zu den ernannten Personen solche aus- zuwählen, welche mit den Verhältnissen des Bezirks niht be- kannt sind. NatürliG wird die Staatsregierung diese Rücksicht wahrnehmen. Aber die volle Berücksihtigung der lokalen und persönlien Verhältnisse ist dann doch auch an sich {on dur das Gese genügend gewährleistet, indem zwei Drittel der gesammten Kommissionsmitglieder ja noch immer gewählt werden follen. Also in diefer Beziehung is auch keine Gefahr vorhanden. Wenn die Staatsregierung auf den Gedanken kommen follte, für diese Ver- anlagungskommission Personen zu ernennen, welhe mit den Ver- hältnissen gar nicht bekannt sind, so würde sie ja gar keine Wirkung erzielen. Solche Personen können ja innerhalb der Kommission über- haupt keinerlei Einfluß üben.

Ic kann daher Ihnen nur empfehlen, den Antrag des Hrn. von Loë abzulehnen und auch in dieser Beziehung bei den Kommissions- vorshlägen stehen zu bleiben.

Was die Frage des Vorsitzenden betrifft, so habe ih mich darüber chon mehrfach geäußert. Heute haben der Vertreter des Ministers des Innern und verschiedene Mitglieder aus dem Hause die Frage so eingehend behandelt, daß ih nichts weiter hinzuzufügen brauche. Ih möthte nur einen Irrthum des Hrn. Abg. Krause berichtigen, indem er meint, das Wort „Landrath“ solle hier nit auch den Ober-Bürgermeister in Stadtkreisen bezeichnen. Das ift ein Irrthum. Es handelt fich um diejenigen Personen, welch{e landräth- lihe Befugnisse ausüben, und darunter fällt natürli in diesen Stadt- kreisen auch der Ober-Bürgermeister; er würde also in dieser Be- ziehung ganz gleich behandelt werden wie der Landrath in einem Land- kreise.

Abg. von Benda: Auf dem Provinzial-Landtag der Provinz Brandenburg habe er ih vertraulih erkundigt und fast allgemein die Stimmung gefunden, daß die Landräthe sehr zufrieden sein würden, wenn ihnen diese neue Last nicht auferlegt würde, Andere aber meinten, es sei nicht zweckmäßig, neben dem Landrath noch einen besonderen Steuerrath einzuseßen, Die Bedenken gegen den Landrath als Vorsigenden der Veranlagungskommission seien durch die Einführung der Deklaration wesentlich beseitigt. Ein großer Unterschied bestehe ja au zwischen der Kommissionsfassung und dem Antrag Enneccerus nicht. Auf Grund feiner zwanzigjährigen Erfahrung in der Selbstverwaltung der Provinz Brandenburg könne er nur für die Kommissionsfafsung stimmen. Die überwiegende

Mehrbeit seiner Fraktion sei zwar anderer Ansicht, aber große politisGWe Differenzen trennten sie hier nicht.

Der Abg. Das bach beantragt für den Fall der Ab- lehnung der Anträge von Loë und Rickert folgenden Zusaß: „Nicht wählbar sind Personen, welche ein besoldetes, der Auf- ncht des Landraths unterstelltes Amt bekleiden.“

Abg. Rickert: Er ziehe den Antrag Enneccerus der Kommis- fionsfafsung vor, weil er klar aus\preche, daß man den Landrath nicht als Vorsitzenden der Veranlagungskommission für geeignet halte. Die Deklaration vermindere die Bedenken gegen den Landrath nicht. Früher sei das Haus darin einig gewesen, daß die Steuereinshäßung nicht in der Hand eines politischen Beamten sein dürfe, sondern einem steuertechnis{chen Beamten zu übergeben sei, der unmittelbar unter dem Finanz-Minister stehe. Das steuerlihe Interesse erfordere dies. Daß der von seiner Partei beantragte Steuerkommissar keine Stimme in der Kommission baben folle, stehe niht in dem Antrage. Seine Partei wünsche den Landrath als Vorsißenden wesentlih aus technischen Gründen nicht. Die Autorität des Landraths werde nur gewahrt, wenn er auch Zeit und Kraft habe, fein Amt voll auszuüben. Jn Folge der Vermehrung seiner Geschäfte sei er aher nit im Stande, auch diese wichtige Aufgabe noch zu übernehmen. Ob die Landräthe objektiv entscheiden würden, lasse er dahin gestelt, aber wenn au nur ein Gerüht umlaufe, daß dies nicht der Fall fein könnte, dann verlange es das Ansehen und die Autorität des Amts, daß das Steuergeshäft von dem Amt getrennt werde. Welches Staatsinteresse set denn vorhanden, daß man diesem politishen Beamten das Steuergeshäft auflade? Auch: die Landräthe würden sich mit der Zeit überzeugen, daß ihre Autorität dadurch ge- \chädigt werde, und daß er in ihrem Interesse selbst sage: Fort mit dem Landrath als Vorsißenden der Veranlagungékommission ! (Beifall links.) f

Abg. von Eynern spriht ih dagegen aus, daß die Kommission

nur aus gewählten Mitgliedern bestehen folle. Dabei könne es sehr

leiht geschehen, daß die Wahl von Vertretern erfolge, welche nur nah politischen Rücksichten gewählt seien und auch nur nah politi- schen Rücksichten wählten; deshalb müsse ein Theil der Mitglieder ernannt werden, natürlich ebenfalls nur aus den dem Bezirke ange- hörenden Perfonen, fo daß ihnen Kenntniß der örtlihen Verhältnisse beiwohne. Redner tritt für den Antrag Enneccerus ein.

Abg. Dr. Windthorst: Wenn man die Deklaration wolle, dann müsse man auch die Mittel dazu bewilligen, daß sie durch- geführt werde; aber dazu gehöre die Bestimmung über die Zu- sammenseßung der Kommission niht. Er (Redner) halte den Antrag des Abg. von Loë für vollkommen zutreffend. Mißbräuche könnten ja vor- kommen, wenn nur gewählte Mitglieder vorhanden seien, aber sie fönnten auch vorkommen bei ernannten Mitgliedern; denn das seien auch Menschen. Aus welchen Kreisen sollten denn die ernannten Mitglieder genommen werden? Das fei wichtiger als die Zahl der- selben. Der Abg. von Eynern meine, daß die ernannten Mitglieder aus dem Bezirke genommen werden müßten; das sei doH sehr zweifel- haft. Nach dem Wortlaut habe der Finanz-Minister freie Hand, au von Auswärts Mitglieder zu ernennen. Das Landrathsamt müsse gut beseßt sein und der Landrath volles Vertrauen genießen, wenn es dem Lande gut gehen solle. Aber das Landrathsamt habe die alte Be- deutung nicht mehr, namentlich nicht in -ven neuen Provinzen, wo an die Stelle der alten eingesessenen Landräthe sehr viele Berufs- Landräthe getreten feien. Ein Landrath müsse fich gleihsam mit seinem Kreise verebelihen und ihn niemals wieder verlassen. (Sebr rittig !) Deshalb dürften die Land- räthe aber au keine Arbeiten übernehmen, welche das Ver- ¿rauen zu ihnen vermindern müßten. Durch die Ueber- tragung des Vorsißes auf den Landrath werde seine Arbeitskraft zu sehr in Ansyruch genommen und es werde ihm das Vertrauen der Kreiseingesefsenen entzogen. Die Regierung seine ihm auch geschwenkt zu haben, Ihm scheine, daß der Kommissarius aus dem Finanz- Ministerium stamme, daß der Landrath nun im Ministerium des Innern wiederbelebt sei. Ein Kommissarius sei durhaus nothwendig ; das brauhe durchaus nicht ein Finanzbeamter zu sein, sondern irgend ein anderer Verwaltungsbeamter. Er werde deshalb beute für den Antrag Enneccerus stimmen, in dem Sinn, daß der Landrath nicht als Kommissarius ernannt werden dürfe.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Der Gang der Diskussion zwingt mih noch zu einigen Bemerkungen.

Es ist zuerst gefragt worden, wie die Regierungsvorlage in Be- ziehung auf die Ernennung der Mitglieder zu verstehen sei, ob die Vorlage dahin zu verstehen sei, daß die Regierung nur berechtigt sein soll, Mitglieder zu ernennen, welche in dem betreffenden Kreise ansässig sind. Wenn ih recht verstanden habe, ist das der Zweifelpunkt.

Meine Herren, die Regierungsvorlage sowohl wie die Kommissions- vorlage wollen in dieser Beziehung die Staatsregierung nicht binden. Es ift die Absicht, die Mögli(keit zu gewähren, daß auch einmal eîn Mitglied in die Kommission ernannt wird, welches in dem betreffenden Kreise nit gerade ansässig ist. Die Sade ift {hon bei der ersten Lesung zur Verhandlung gekommen auf Grund einer Anfrage des Hrn. von Rauchhaupt, wie die Herren fich erinnern. Richtig ist und insofern kann ih den Abg. Windthorst beruhigen —, daß dies ja gewiß nicht die Regel sein kann. Wenn seine Phantasie, wie er sagt, ihn dahin führt, daß der Finanz-Minister gewissermaßen ein fliegendes Corps durch die ganze Monarchie einrichten würde von ernannten Mitgliedern, die nun überall theilnehmen sollen, so ist dieser Phan- tasieflug doch zu kühn. Die Regel wird sein, daß man das Ver- trauen ihrer Mitbürger genießende, in dem betreffenden Kreis an- gesessene Personen nimmt. Darüber kann do gar kein Zweifel sein ; denn die Regierung muß doch wünschen, daß diese ernannten Mit- glieder ein gewisses Ansehen, eine gewisse Bedeutung in den Kom- missionen haben. Das würde ja ganz unmöglih sein, wenn die be- treffenden Mitglieder mit den Personen und den lokalen Verhältnissen in den betreffenden Kreisen durch lange Lebensstellung in denselben gar niht bekaunt sind. Das kann also gar nit eintreten, daß man da gewissermaßen reisende Kommissionemitglieder ernennt und außerdem wäre es ja auch geschäftliÞch ganz unausführbar, weil die Verarlagungs-Kommissionen wesentlih gleichzeitig tagen. Aus diesen Gründen möchte ich doch dringend bitten, nicht gerade unbedingt dur das Gese die ausnahmsweise Ernennung eines Mitgliedes, welches nicht in dem betreffenden Kreise angesessen, zu verbieten, Es kann doch mannigfach sehr erwünscht sein, daß eine Persönlichkeit, welche in zwei angrenzenden Kreisen beispielsweise oder in einem an die Stadt angrenzenden Kreise kundig und angesehen ift, das größte Vertrauen genießt, ausnahmsweise in zwei solben Beranlagungs - Kommissionen thätig i, um die Gleih- mäßigkeit der Behandlung der Geschäfte ihrerseits mit zu vertreten und ein Bindeglied zwishen zwei Ver- anlagungskommissionen zu sein. Gerade die verhältnißmäßige Gleich- mäßigkeit der Veranlagung kann ja niht repräsentirt werden durch die Vorsitzenden, sondern wesentli dadurch, wenn ein einzelnes Mit- glied auch einmal ausnahmsweise in zwei Bezirken mitwirkt.

Ich glaube wirklich, der Abg. Dr. Windthorst kann sich durhaus beruhigen, daß dies doch nur Ausnahmefälle sein werden, Fälle, wo man fühlt, die Kommissionen gehen von ganz vershiedenen Prinzipien bei der Veranlagung aus, wo man also Veranlassung hat, auf eine größere Gleihmäßigkeit auch {on in der erften Instanz hinzuwirken, was man durch die Berufung gar nit erreihen kann.

Die Berufung kann wohl einzelne Fälle korrigiren , aber nit dazu führen, daß cine im Grunde verkehrte Auffassung im Allgemeinen korrigirt wird.

Was den Antrag des Abg. Dasbah betrifft, so halte ich den- selben jedenfalls nit für nöthig; die Kreistage und ebenso die anderen Vertretungen zu beschränken in der freien Wahl der Mitglieder, und die passive Wählbarkeit einzuengen, das halte ich wirkli nit für nöthig, auch na den bisherigen Erfahrungen nicht. Das Vertrauen fann man wohl den Vertretungen \{henken, daß sie geeignete Männer wählen; aber nah der andern Seite hin könnte der Antrag do in vielen Fällen dazu führen, daß Personen nicht gewählt werden dürfen, von denen ih überzeugt bin, daß der Herr Antragsteller selbs sie nicht aus\{ließen will. Beispiels- weise sind in verschiedenen Landestheilen die Gemeindevor- steher besoldete Beamte, stehen auch unter der Aufsiht des Landraths, und es ist doch durchaus nicht wünschenswerth, fole fachkundigen Personen von vornherein von der Theilnahme an den Arbeiten der Veranlagungskommissionen auszuschließen. Ih glaube auch nicht, daß das die Absiht des Herrn Antragstellers selber sei kann.

Und nun noch zwei Worte im Anschluß an die Aeußerungen des Abg. Dr. Windkthorst über die Frage des Vorsitzes. Er hat die Ver- muthung ausgesprochen, daß zwischen dem Minister des Innern und dem Finanz-Minister wesentlihe Meinungsverschiedenheiten herrs@ten.

Diese Vermuthung trifft nicht zuz ich werde das näher erläutern,