1891 / 45 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 Feb 1891 18:00:01 GMT) scan diff

IH glaube, beide Ministerien fteßen wesentlich auf demselben Stand- punkt.

Hr. von Benda hat s&on gesagt, er könne eigentli nur mit der 9uve eiren Unters&icd crbliken ¿wishen der Kommissionsvorlage bzw. der Regierurgsvorlage und dem Antrage Enneccerus. Was die thatächlide Gestaltung der Verkältnisse betrifft, so kann ih nur sagen, daß in dieser Beziehung Hr. von Benda vollkommen Ret bat. Meine Herren, wenn heute die Vorschrift käme, das Staats- Ministerium müßte unter allen Umständen nur den Landrath nehmen, fo würde ih ein solches Gesetz für undurGfüßrbar halten, weil sehr viele Fâlle vorkommen können, namentliß in Städten und in ganz großen Kreisen, wo es geradezu unausführbar ift, daß der Land- rath unbedingt persönli den Vorsig führen soll. Aber eben- sewenigq kalte ib zur Zeit die ertgegengesezte Bestimmung für mög- lib, daß der Landrath unbedingt ni&t Vorsitzender fcin foll, das vâre ecbiénso wenig möglid. Das will aber au der Antrag Enneccerus nickt, nur Hr. Dr. Windthorst geht so weit.

Wir baben wenigstens zur Zeit das ges{ulte Personal noch nit, wovon die Regierungsvro:lage spri®&t. Wir haben ja nit, wie in Satsen, eine ausgebildete besondere Beamtenschaft für die Ver- a:lagung der direkten Steuern, eine folche haben wir nur für die in- direkten Steuern und die Zölle; aber bis jeßt faben wir gar kein Gelegenheit gehabt, für die direkte Steuerveranlagung úns eine folche Beamtenshast auszubilden.

Nun verwundere ich mi, daß Hr. Windthorst uns den Rath aiebt, auf junge Regierungs- und Gerihts-Afsefsoren die Er- rerinungen zu Vorsitzenden zu lenken. Er sagt, «s giebt Landrätße, welcke noH jurg find, die roch zu wünsen haben, die also abhängig und geneigt wären, nach den Winken der vorgeseßten Bebörde zu ver- fabren. Nun, meine Herren, wenn das ribtig wäre, so würde es für junge Afsessoren Regierungs- oder Gerickts-Afessoren noch viel toebr zutreffen, darüber kann fein Zweifel sein. Während der Land- ih sckon in einer Stellung ift, wo es sich aushalten läßt, wollen ese anderen Herren überbaupt erst in cine Stellung kommen. (Sehr ¿Dtig!)

Nber würden dann überhaupt solche jungen Afsefforen, die gar keine andere Stellung haben als die von Aspiranten auf weitcre Be- förderung auch die nöthige Stellung und Autorität im Kreise gewinnen, um Vorsitzende sein zu können gerade bei fo eigenartig ¡ufammengeseßten Kommissionen, wie es diese Veranlagungëkom- tiisfionen sind? (Sehr richtig!)

Diese Herren bleiben ja noch viel weniger ständig in einem Be- zirk. Wo sollen sie die versonelle und lokale Satkenntniß her- r25mwen? Ich claube, ein \folches fliegendes Corps, wenn ich es mal so nennen darf, das fortwährend den Vorsiß wechselt, wäre gar nicht azn Plat.

Andererseits aber bin ih mit dem Herrn Minister des Innern rollständig einig und habe zu meiner Freude aus den Reden der Hern. von Zedliß und Graf Limburg au ersehen, daß die Herren

5n drüben dieselbe Auffassung theilen, daß die erste Frage, die gestellt werden muß bei der Ernennung des Vorsitzenden, die ist, ift der betreffende Herr nach seiner ganzen Lebensstellung, seinen Vorkenntnifsen, seiner Vertrautheit mit den Verhältnissen der Etngesessenen, sciner sonstigen Belastung, der geeignete Vorsißende für die Steuerveranlagung? Sowie die Frage verneint werden muß, w-:nun der Landrath in cinem bestimmten Kreise fo überlaftet ift, daß er dem so fchwicrigen und wittigen Geschäft mit Erfolo nicht vor- eben farn, so ist die Staatsregierung darauf angewiesen, einen be- scndern Komuissarius zu ernennen. Noch weniger wird irgend eine preußis%e Regierung von einem rein politishen und Parteigesihts- punkte bei diesen Ernennungen ausgeben dürfen. Ih bin überzeugt, daß das auß niemals eine Regierung gethan at. Ich kann mir auch nicht denken, daß jemals ein Landrath fo vflihtverge?en sein würde, bei der Behandlung der Steuerpflitigen ledigli nah politishen Gesichtépunkten zu bandeln. (Widerspruch links, Sehr richtig! 1echts.) I& bin über- zcugt davon, daß ein solcher Na@weis nicht geführt werden kann; sollte er aber geführt werden können, so können Sie fiber fein, daß ie jetzige Staatsregierung und i persönlih insbesondere jeden Land- ratb, der solche politishen Nebenrüsihten bei der Veranlagung zur Steuer, wo er nur na Reckt und GereHtigkeit und Gewissen ver- fabren soll, entsheidend sein läßt, sofort seines Amtes als Vor- Ftender der Kommission eniscgen würde, und ih bin überzeugt, die 2ustimmung aller Theile dieses Hauses, ob sie auf der Rechten oder Linken siten, dabei zu baben. (AlUfeitiger lebhafter Beifall.)

Abg. Freiberr von Hammerstein: Nicht im Interesse der Fisfalität wolle scine Partei das Gese ausgefstalten, sondern es jolle gerecht gestaltet werden, deshalb wolle seine Partei den Landrath mit \ciner Sacbkenntniß in die Kommission hineinbringen. Der Abg. Riert sei ja überhaupt ein politisher Gegner des Landraths; des- balb werde er ihn nit überzeugen. Der Aba. Windthorst habe die Stellung des altpreußischen Landrathes rihtig gewürdigt , aber er sei trogdem bedenklih? geworden, ihm die Veranlagung zu übertragen. Es sei ja möglih , daß die Autorität der Landräthe in manchen Kreisen leiden werde, daß der Landrath überbürdet werde dur die Veranlagung. Diese Fâlle sehe die Vorlage ja aber vor, und für diese Fälle werde das Beamtenmaterial ausreichen, aber nit für die allgemeine Ersezung des Landraths durch besondere Steuer- beamte. Die meisten Landräthe würden in der Anftelurg beson- derer Beamten eine Beeinträhtigung ihrer Stellung [ehen.,

Abg. Dasbach beantragt:

Für den Fall, daß nach dem Kommissionsvorshlage der Re- gierung das Recht bleibt, fat die Hälfte der Mitglieder, oder na dem Kommissionsvorshlage das Recht, fast ein Drittel zu ernennen, zu beschlicßen, daß Personen, welche ein befoldetes, der Aufsicht des Landrathes unterstehendes Amt bekleiden, nicht dur gee Kreisvertretung oder die städtishen Vertretungen gewählt werden

Es würde dies die besoldeten Bürgermeister treffen. Dieselben seien schon in der Voreinschägungs-Kommission von Einfluß; sie könnten aub nod na Annabme feines Antrages von der Regierung zu Mit- gliedern ernannt werden, ebenso wie au die Gemeindevorsteher, deren SSIMIIaNs der Herr Finanz-Minifter als wünschenswerth bezeihnet abe.

Abg. von Mever (Arnêwalde) führt aus, daß er aus eigener 33 jähriger Erfahrung das Veranlagungsverfahren kenne. Er habe die Steuersachen selbst durhgearbeitet und dabei erkannt, daß es für den Landrath nothwendig sei, die Steuerverbältnifse seines Kreises auswendig zu wissen, wenn er überhaupt verwalten wolle. (Zustim- mung rechts.) Deshalb müsse der Landrath die Seele der Ver- azlagung bleiben. Die Steuerbeamten würden au nit mehr ver- chen als die Landräthe. Ein sol&er Beamter lege bei der Eins@äßgung immer die Grundsteuer zu Grunde. Die sei ja ein Faftor zur S6äturg, aber man müsse auch die betreffenden Güter fennen. Redner führt on, daß ein Gut in feinem Kceise von 3000 Morzen, in- bester Wirthschaft befindlick,

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ebenso viel Grundsteuer zahle wie ein anderes Gut von 17 000 Morgen abgeboliter Forst. Das erste Gut nähme er gern gesenkt; wer ihm das zweite s{henken wolle, den würde er wegen Injurie ver- klagen. (Heiterkeit.) Das fiskalische Interesse sei ausreichend gewahrt durch die ernannten Mitglieder. Der Abg. Rickert woe den Land- rath überhaupt beseitigen, obne zu sagen, was er an die Stelle seßen wolle. Redner erklärt si für den Antrag der Kommission.

Abg. von Evnern: Der Finanz-Minifter wolle allerdings nur ausnahmsweise Personen, die außerhalb des Bezirkes wohnten, in die Kommissionen berufen. Aber es könnten andere Finanz-Minifter kommen, welche andere Ziele verfolgten, und deêwegen müsse die Bestimmurg getroffen werden, daß nur aus dem Bezirk Mitglieder ernannt werden könnten. Redner stellt einen dahin gehenden Antrag.

Der Antrag wird gegen die Stimmen der Freisinnigen und Polen, der Antrag von Loë gegen die Stimmen der Freisinnigen, Polen und eines Theiles des Centrums, der Antrag Enneccerus gegen die Stimmen der Freifinnigen, Polen, eines großen Theiles der Nationalliberalen und des Centrums abgelehnt, 8. 34 also unverändert angenommen.

Nach §. 35 kann der Vorsigende den Steuerpflihtigen Gelegenheit zur persönlihen Verhandlung geben.

Aba. Enneccerus beantragt zu seten: Der Vorsitzende hat zu persönlichen Verhandlungen Gelegenbeit zu geben.

__ Gebeimer Finanz-Rath Wallach hält es für unnöthig und aus gesSäftlicen Gründen für bedenklich, den Steuerpflichzigen ein foles Ret zu gewähren, welches die Vorsitzenden fehr erheblih belasten könnte. S

Aba. v. Eynern tritt für den Antrag ein, weil gerade bei Ausführung dieses Geseßes die Steuerpflichtigen den guten Rath des Vorsißenden der Einschäßungskommission fehr nothwendig ge- brauchen würden.

Der Antrag wird abgelehnt. §. 35 wird anger.ommen, ebenso die S8. 36 und 37. i:

_ Nah §. 38 sollen bei Zweifeln über die Steuererklärung Sachverständige und Zeugen vernommen, auch der Steuer- pflitige befragt werden können. Bleiben trogdem Zweifel bestehen, so ist die Kommission an die Angaben des Steuer- pflihtigen niht gebunden, sondern kann den Steuersaß nah ihren Ermittelungen fest}egen. :

: Abg. Metzner beantragt, taß die Kommission nur dann eine höhere Steuer festsezen dürfe, wenn ein höheres Einkommen be- wiesen werde. ;

_ Abg: Dr. Brüel s{lägt vor, daß die Kommission nur, soweit die Angaben des Steuerpfliwtigen si als unrihtig ergeben bätten, nah eigenem Ermessen s{chäßen könne, sonst aber an die Angabe des Steuervflibtigen gebunden fei. Dem Steuerpflichtigen solle zu- gleih die Grundlage für die Festseßung des Steuersaßzes mitgetheilt werden.

_ Abg. Rickert will nur dann die Kommission na freiem Er- messen entscheiden laffen, wenn dur Thatsachen die Ungerechtigkeit der Anzabe des Steuerpflichtigen erwiesen fei.

_ Abg. Metzner hält es für bedenklih, der Kommission ganz freie Entschließung zuzugestehen, während sich daraus nit heraus- gestellt habe, was die Angabe der Steuerpflichtigen ershüttern E die Kommission habe eben einen Zweifel und damit sei es ab- gemat.

_ Abg. Peters: Wenn einer der Anträge angenommen werde, dann bleibe es überhaupt beim Alten; denn die Kommission könne keinen Beweis antreten, keine Thatsachen beibringen, wele dartbäten, daß der Steuerpflichtige ein böberes Einkommen habe. Die Beweis- last dürfe man der Kommijsion nit auferlegen, weil dadur die Gefahr entstehe, daß viele unribtige Steuerdeklarationen durh- gehen würden. Wenn einem Steuerpflichtigen zwar nicht die Un- ribtigkeit aller seiner Angaben , aber wenigîtens einiger derselben nachgewiesen fei, dann fei er nicht mehr als ganz glaubwürdig zu betraten, tropdem verlange der Antrag Meyner, daß ihm die

Kommission noch Glauben |chenken folie.

_Abg. Dr. Brüel: Die Steuerdeklaration, wel&e nah bestem Wissen und Gewissen angegeben werde. solle die objeftive Grund- lage des ganzen Veranlagungêverfahrens bilden und nicht bloß den weiteren Ausgangspunkt des weiteren Verfahrens. Deshalb sei es nit mögli, wenn an einem Punkte die Deklaration si als un- richtig ergebe, die ganze Steuererklärung vers(winden und sie als unglaubwürdig ers@einen zu laffen. Die Unrichtigkeit Tönne ja auf einem ganz entshuldbaren Irrthum beruben. Daß dem Steuer- pflichtigen die Grundlage seiner Eins&äâßung angegeben werden müsse, sei selbstverständlih, weil allein auf dieser Grundlage die Berufung aufgebaui werden kTônne.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Der Hr. Abg. Dr. Brüel hat fch berufen auf die früher in Hannover bestehende Einrichtung der Deklaration zur Einkommen- steuer. Jch glaube, daß der Hr. Abg. Dr. Brüel mir nicht widersprewen wird aus seiner Erinnerung, daß es ein öffentliches Geheimniß war und die allgemeine Uebereinstimmung im damaligen KönigreiG Hannover dahin ging, daß auch nur der aller- geringste Theil der wirklichen Kapitalrente versteuert wurte, und gerade aus den Gründen, die hier in Frage stehen. Mir ift stets als jungem Mann und nachber als Anwalt diese Steuer- veranlagung geradezu als eine Karikatur bezeichnet. Diese Erfaß- rungen sprechen also jedenfalls nicht für den Antrag.

Meine Herren, ich muß anerkennen, daß der Antrag des Hrn. Dr, Brüel fich wesentlich unterscheidet von dem Antrage des Hrn. Abg. Metzner, den ich übrigens nicht ganz versteße, denn dieser Antrag verlangt, daß dem Steuerpflichtigen bewiesen werde, daß seine Deklaration falsch sei. Nan, wer soll denn entscheiden, ob dieser Beweis geführt ist? Hier soll also die Veranlagungskommission gewissermaßen wie ein S{wurgeriht über die Richtigkeit der Steuerdeklarationen zu Gericht siten.

Nun bezeihnet der Hr. Dr. Brüel dies als den milderen Weg für den Censiten. Der Anst bin ich gar nicht, denn, wenn ein solcher Ausspruch von der Kommission dabin gefällt wird, daß die Kommission die Ueberzeugung gewonnen habe, die Deklaration fei falsch, so ift das für den Censiten viel bärter, als wenn die Kom- mission nur sagt: wir glauben nicht an die Richtigkeit, wir verlangen weitere Aufklärung, die Richtigkeit bleibt uns zweifelßaft, und demgemäß mit dem Censiten in Verhandlung tritt.

Meine Herren, die Kommission muß berechtigt sein, nach ihrem freien Ermefsen zu veranlagen, wenn sie nicht positiv von der Richtig- keit der Steuererklärung überzeugt ist, während der Hr. Dr. Brüel ihr erst dann diese Berechtigung zugestehen will, wenn sie positiv von der Unrichtigkeit überzeugt ist und dafür ganz bestimmte Gründe hat. Meine Herren, wenn ein Fremder in einen Bezirk zieht, den Niemand kennt, beispielsweise ein Rückwanderer von Amerika, der einen solchen Aufwand führt, daß man wohl mit Ret annehmen darf, er hat ein bedeutendes Vermögen, er deklarirt aber nur fehr gering, man kennt seine Vermögensverhältnifse nicht anders als aus fcinem Aufwand, fo wird es s\chwer sein, positiv zu sagen und durch bestimmte Beweis- mittel klar zu machen, daß der Mann ein größeres Vermögen hat; wohl aber kann die Kommission vcllkommen davon durchdrungen sein, daß die Steuererkläruig fals ift, und fich nab den gesammten Ver- bâltnifsen berechtigt halten, anzunehmen, daß ein größeres Einkommen vorhanden ift, es sei denn, die Verhandlungen der Kommission

mit dem Steuerpflichtigen ergeben das Gegentheil, Meine Herren der Unterschied ift der: in dem einen Falle, nach der Regierungs8- vorlage und der Kommissionsvorlage, if die Steuererklärung nur ein Material zur richtigen Veranlagung; in dem anderen Falle ift sie aber eine Selbfteinschäßung, die so lange gilt, als das Gegentheil nicht bewiesen wird. Meine Herren, keine einzige Geseßzgebung in Deutshland hat eine solche Bestimmung, und die Erfahrung des Herrn Regierungëkommifsars, der die praktische Handhabung dieser Geseße persönli in einigen Ländern Deutschlands sib mit angesehen hat er wird darüber noch nähere Auskunft geben hat erwiesen, daß eine folhe Selbfiv:ranlagung, wie sie aus den Anträgen der Herrn. Meßner und Dr. Brüel bervorgebt, in keinem Lande besteht, und au in der praktishen Handhabung gänzli undurch fübrbar ift ; das wird noch näher dargelegt werden. Die Regierungsvorlage entbäâltja doch Barantiengenug, mein: Herren, der Steuerpflihtige hat das Recht, wenn feine Deklaration beanstandet wird, daß ihm mit Gründen mitgetheilt wird, warum fie beanstandet wird. Er hat dadur®% Ge- legenkeit, seine Deklaration zu vertreten, die Gründe für die Richtig- keit derselben anzugeben, auf die Ueberzeugung der Kommission dem- entsprehend einzuwirken. Wenn die Kommission denno% ihm keinen Glauben s@enkt, hat er die Berufung; nach der Regierungsvorlage hat er sogar das ReŸt, seine Behauptung in der Berufungsinftanz eidesftattlih zu vertreten. Ein rückßchtsvolleres Verfahren gegen den Steuerpflichtigen, wie wir es vor uns haben, ist in keinem einzigen deutshen Gesetze vorhanden.

Ic kann Ihnen nur empfehlen, meine Herren, die Regierungs- vorlage unverändert anzunelmen; die Garantien, die für den Steuer- pflichtigen vorhanden sind, find in jeder Weise ausreichend.

_ Abg. v. Bismarck erklärt si ebenfalls gegen die Arträge; für den Steuerpflichtigen seien binreihende Shußmaßregeln vorhanden, während die Anträge ein übergroßes Mißtrauen gegen die Kommission befundeten. Gerade im Interesse der ebrliwen Leute, welche rictig deklarirtea, solle man nicht diejenigen s{üßen, welde urrichtig deklarirten. Die Einkommensteuer unter 3000 # würde von der Kommission eingeschäßt; es werde unangenehm empfunden werden, wenn diesen Leuten nit geglaubt werde, während man den Personen mit mehr als 3000 #6 Einkommen Glauben sch{enken müsse, so lange man ibnen feine Unrichtigkeiten na@weisen könne. Abg. Klose tritt für dea Antrag Megyner ein, dessen Bere(- tigurg er nawzuweisen fut durch Vorbringung einiger Spezialfälle. __ Geheimer Finanz-Rath Wallach: Sol@e Svezialfälle be- wiesen gar nichts, denn man könne G ohne Dur&siht der Akten darüber kein Urtbeil bilden. Der Eine oder der Andere werde sich immer als zu bo eingeschäßt betraten und fh darüber besweren. Die Anträge wollten das Deklarationsrecht, aber nicht die Dekla- rationspfliht. (Widerspruh.) Die Erfahrungen in den anderen Staaten böten keine Veranlaffung, das ganze Verfahren noch mit weiteren Garantieen zu umgeben, die fi in anderen Steuergesezen gar nit fänden. Wie häufig unri@tige Angaben, und zwar sowohl aus Unkenntniß als aus Fahrlässigkeit, als au wesentlih unricztige Angaben vorkämen, beweise die Thatsache, daß in Hamburg etwa 10 ‘% des Steuereinkommens daraus entständen, daß binterzogene Steuerbeträge und Strafgelder nachträglih eingezogen seten.

Abg. Freiherr von Zedlitz hält die Anträge sämmtli für un- annehmbar; der Antrag Meßner sowobl, wie der Antrag Brüel kämen darauf hinaus, der Kommission eine Beweislaft aufzuerlegen, die sie niemals tragen, welWe aber die Veranlagung in ibrem Endergebniß gefährden Tönnte. : e

__ Abg. Rickert: Einen prozefsualis@en Beweis verlange er nit, die Kommission folle nur die feste Ueberzeugung davon gewinnen, daß die Steuererklärung unrichtig sei. Der Hinweis auf die anderen Staaten pafse bier gar niht; Sachsen habe eine ganz anders zusammen- geseßte Kommission, und in England seien die konstitutionellen Ver- bältnifse ganz andere.

Finanz-Minister Dr, Miquel:

Hr. Abg. Rickert ermahnt uns, aus der englishen Geschihte Etwas zu lernen. Ih will ihm aut eine lehrrei@e Sache aus der englishen Gescichte erzählen. Der berühmte englishe Staatsmann Gladstone und die Blaubücher der betreffenden Parlamentskommissionen bezeugen uns, daß in England zwischen einem Drittel und der Hälfte des wirklichen Einkommens thatsächlich deklarirt ist. (Hört, bört! rechts.) Jenn wir also auf diese Deklaration allein absolut und entscheidend Gewicht legen wollten, so würde es uns wahrscheinlich au nit viel besser geben.

Dann will i aber au aus einem andern Lande, welches vorhin der Herr Antragsteller angeführt hat, nämlich aus dem vormaligen Königreich Hannover eine Geschichte erzählen. Da hatten wir einen Finanz-Minister, der als die erste Autorität auf dem Finanzgebiet von jeber gegolten hat und von allen Parteien anerkannt worden ift. Ich glaube sogar, es war ein guter Freund des Hrn. Dr. Brüel. Er heißt Leeten und er bat ein Buch geschrieben über den hannover- \chen Staatshaushalt. Da beißt es: i:

Die Einkommensteuer hat 1834 bis 1835 etwa 28 000 Thaler, seitdem aber jährli ziemlich unverändert ungefähr 30 000 Thaler betragen. Erst 1850 bis 1851 ift sie auf 33 670 Thaler gestiegen.

Jett denken Sie sh in einem \o woblhabenden Lande eine Einkommensteuer, die 27% des Einkommens beträgt, mit 30 009 Thaler ! Nun beißt es weiter:

Au läßt ih wobl niht bezweifeln, sagt dieser beste Kenner des hannoverischen Finanzwesens daß die fast ledigli auf eigene Angaben der Steuerpflichtigen gestüßte Beschreibung der Einkommensteuer keineswegs alles gesegz- lid pflihtige Eirkommen trifft. (Hört, Hört! rets.) Ueber die Unzulänglichkeit der Beschreibung das beißt: der Steuerveranlagung nah unserer Ausdrucksweise ist oft geklagt und gewiß mit vollem Recht. Wenn der Hr. Abg. Dr. Brüel also, um seinen Antrag zu begründen, sich auf diese Erfabrung stützt, so glaube ih, kann ich mih mit viel mehr Recht für das Gegentheil auf dieselben Erfahrungen stüßen. (Bravo! Sehr ricbtig! rechts.)

Damit schließt die Debatte. Die Anträge werden ab- gelehnt und §. 38 unverändert angenommen, ebenso §. 39.

Um 41/5 Uhr wird die weitere Berathung vertagt.

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Skaals-Anzeiger.

M 45.

Rekursentscheidungen des Reichs-Verficherung8amts2,

(939.) Eia Restaurateur ließ für seine ReSnung dur von ibm angenommene Arbeiter ein ibm gehöriges Gelände zum Zweck der An- lage von Gärten auéfüslen und ebnen. Das Gelände hatte eine Größe von etwa 860 qm, und es waren etwa 200 Fuder Erde zu vertheilen. Hierbei erlitt einer der Arbeiter des Restaurateurs einen Unfall. Die Tiefbau-Berufêgenossenscaft beziehungsweise deren Versickerungeanfstalt lebnte den Eniscädigungëanspru desselben mit der Begründung ab, daß cs sich bier niht um eine Regie-Erdarbeit, fondern um die Anlage eines Ziergartens gehandelt habe, welche nat §. 1 Absag 5 des lantwirth- \chaftliden UnfallversiLerung2gesezes der Versiberungépfliht nit unterliege. Das Schiedegeriht war dieser Auffassung beigetreten, Dur Rekursentscheidung vom 20. Nevembéer 1890 i die Versithe- rungêanstalt der Tiesbau-Berufsgenossenshaft zur Gewährung der geseßlichen Entschädigung verurtheilt worden. Das Bauunfall- versiwerungêgeseß hat alle Arbeiter, welbe bei der RKusführung von Bauarbeiten besäftigt und ni@t {hon auf Grund der älteren Unfall- versicherung2geseßze versichert sind, der Versi&erung unterworfen, obne Rüdsiht auf den Umfang der Arbeiten (zu vergleichen S. 1 Absay 1 und §. 21 Litt. b. des Bauunfallversiherungëgesezes). Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß das Bewegen von Erdmafsen zur Höherlegung oder Ausfüllung ron Unebenbeiten des Bodens an si und abgesehen von der demnächstizen Verwendung der Bodenfläe eine Bauarbeit darstellt. Diese Bauarbeit ist bei der Tiefbau:-Be- rufsgenossenshaft beziehungëweise, da es si hier um eine Eigenkau- arbeit handelt, bei deren Versicherungsanstalt versichert. Denn eine Versitherung bei der zuständigen land- und forstwirtbs{chaftliden Be- rufsgenofsen\chaft würde nur dann in Frage kommen können, wenn die Arbeit Bestandtheil eines landwirtbschaftlihen Betriebes dcs Neftau- rateurs gewesen wäre. Hier aber fehlt es an einem solchen {on des- balb, weil die von dem Kläger und den übrigen Arbeitern geleisteten Erdarbeiten erft die Anlage von Gärten ermöglichen soüten. Es kann also dahingestellt bleiben, ob die Gartenanlage nach ihrer dem- nâchstigen vollen Fertigstellung etwa als Parkwirtbschaft dem land- wirtb\ch%aftlihen Unfalversierungägeseß unterworfen oder gemäß & 1 Absay 5 a. a, O. als Ziergarten von der Versicherung na diesem Gefeß ausgeschlossen sein sollte. Letzterenfalis ift aber ent- gegen der Auffassung der Beklagten nab dem klaren Wortlaut der leßtangefübrten Voricbrift nur die „Bewirtbschaftung“ des Gartens der Versiherungépfliht entzogen, nicht etwa auch die Herrichtung desselben, soweit diese, wie hier, als Bauarbeit anzusehen urd daher nah Maßgabe des Bauunfallversiherungsgeseßzes versichert ift.

(940.) Ein selbstversiGerter landwirthschaftliter Unternebmer batte sich bei der Züchtigung eines seiner in der Landwirtbicaft mit- thätigen Kinder verletzt, indem er mit der Hand in ein Meffer \{lug, weles das zu strafende Kind bereits ergriffen hatte, um Viebfutter zu shneiden. Dur Urtheil vom 18. Dezember 1890 hat das Reich2- Versierungsamt das Vorliegen eines Betriebsunfalls verneint, weil, wie festgestellt, der Kläger seine Tochter dur den Swlag, bei dem er si verlette, ledigli dafür hat strafen wollen, daß sie kurz zuvor ibren Bruder geworfen batte, nit aber, um sie etwa zur s{chleunigeren Fnangriffnahme des Futterschneidens zu veranlassen. Der Grund der Züchtigung wurde daher niht in der Stellung des Klägers als eines landwirthschaftlichen Arbeitgebers, sondern in der Ausübung der haus- väterlihen Strafgewalt gefunden, und es reite die Thatsache, daß das von dem Kinde ergriffene Messer zu Wirthschaftszwecken bestimmt war, nit aus, um den Unfall als bei dem landwirthscafiliden Be- triebe eingetreten erscheinen zu laffen.

E F O 3

Statiftik und Volkswirthschaft.

Zur Invaliden- und Altersversicherung.

Der Erlös an verkauften Beitragsmarken für die Invali- ditäts- und Altersversiherungs-Anftalt Berlin betrug, biesigen Blättern zufolge, für die Monate Dezember und Januar 486 000

Die Lage der Industrie und des Handels i war in den leßten Monaten im Regierungsbezirk Potsdam eine ziemli günstige. Hat au das Jahr 1890 mit seinen Vertheue- rungen der Rohmaterialien und vielen Arbeiter-Ausftänden eine ge- wisse Unsicerbeit und Zurückhaltung in den Geschäftsabwickelungen und dadurch einen wesentlihen Zurücckgang der heimishen Industrie gegen die Vorjahre hervorgerufen, fo läßt sich doch wenig|tens in

einzelnen Industriezweigen eine Besserung nicht verkennen.

Die von der Ausfubr abbängenden Industriezweige zeigten sis

auéreihend beschäftigt; do waren die Eeschäftsverbindungen na Süd-Amerika während der dortigen unsicheren politishen Zustände speziel für die Hut- und Tuchinduftrie außerordentli er- schwert. Das Ausfuhrgesck&äft nach Nord - Amerika war noch nugbringend, bat jedoch dur das Inkrafttreten des neuen Zolltarifs (Mac Kinley - Bill) eine S&ädigung erfahren, deren Folgen allerdings erft später zu erkenzen sein werden. Ver- fürzungen der Arbeitszeit und Arbeiterentlaffungen sind mehrfa, Betriebseinstellungen dagegen nur vereinzelt vorgekommen. Neubauten oder Erweiterungen von Fabriken sind in geringer Anzahl und fast nur in den größeren Industriestädten in Angriff bezw. in Betrieb genommen worden. / e

Von den einzelnen Industriezweigen ist hervorzuheben, daß die vom Baugewerbe abbängigen Industrien, wie die Ziegel-, Ofens, Glas- und Holzschneide- Indusirie, in den leßten Monaten wegen des allgemeinen Rückganges der Bauthätigkeit durchs{nittlich wenig befriedigt waren und zum Theil erheblihe Preisermaßzigungen eîin- treten lassen mußten. : ;

Die Papier- und Pappenfabrikation war im Allgemeinen befriedigt beschäftigt, hat jedo gegen einen großen Mitbewerb zu arbeiten und erzielt immer noch geringe Preise.

Die Rübenzudcker- Industrie ist weniger als alle anderen In- dustricn dur die berrshende Geschäftskrifis in Mitleidenschaft ge- zogen. Dur die in diesem Jahre in jeder Beziehung befriedigend ausgefallene Ernte find die Fabriken gut beschäftigt und erzielen er- träglihe Resultate. E

Das Leder geschäft war im Allgemeinen als zufciedenstellend zu bezeihnen. Recht gut gingen lohgare Roß-, Schaf- und Rindleder; A iwarie Glanzleder verkauften sich flott und erzielten befriedigende

reife, Die Geschäftslage der Taback- und Cigarrenfabrikation war eine allgemein befriedigende. Die diesjährige Ernte lieferte einen lobnenden Ertrag, und auth die Fabriken zeigten fich gut beschäftigt.

Handfertigkeitsunterricht.

Die vor zwei Jahren eingeleiteten Bestrebungen, dem Knaben- De E im Reg.-Bez, Köln Eingang zu verschaffen, ind andauernd von günstigem Erfolg begleitet. Die Gemeinden bringen diesem Unterrihtsgegenstand mehr und mehr Interesse ent- gegen und übernehmen die Kosten für denselben. Der Handfertigkeits- unterricht wird zur Zeit ertheilt in den GemeindenBonn, Euskirchen, Muül- beim a. Rh., Wahlscheid, Siegburg, Kalk, Worringen, Godesberg, Honnef, Rodenkirhen, Köln-Ghrenfeld und Köln-Altstadt. In dem leßtgenannten Orte sind drei Unterrichtskurse in den Knabenhorten,

Berlin, Freitag, den 20. Februar

drei für nit zahlende S&üler und drei für zablende Sch{üler der böberen Lehranstalten eingerihtet worden.

Deutsche Arbeiterkolonien.

In der gestrigen Schlaßsitung wurde über die Frage: „Was fann gesehen, um die Halkinvaliden, Krüppel und Greise von den LandftraSen, Vervflegungtstationen und Kolonien, wobin se id jeßt aus Noth drängen, gründli& weazuschaffen und dieselben barmberzig und chriftlich zu versergen ?* verhandelt und \{ließlih folgende von dem Bezirks-Präßdenten Frhrn. von Reitenstein beantragte Resolution: „Der Centralvorstand erklärt es für ein dringendes Bedürfniß, daß den Ucbelständen, wie fie aus der Snansprubnahme der Arbeiterkolonien für Halb- invalide, Krüppel und Greise erwasen, durch eine intensivere und zweckentsprechendere Handhabung der den Armenbehörden ob- liegenden Fürsorge für derartige Hülfsbedürftige Abhülfe gescbafft werde. Dem Zweck solcher Fürsorge, soweit sie na Lage der Um- stände zu gewähren ist, entsprechen am Meisten Anstalten, welche von größeren Verbänden, Kreis-, Provinzial-, Kommunal - Verbänden unterbalten werden* angenommen. Ferner wurde über den „Arbeitsnachweis in den Arbeiterkolonien“ verhandelt. Die von dem Referenten, Regierungs-Rath Evert beantragte Reso- lution: „Um das wirthschaftliche Hauptziel der Kolonien, die spätere Wiedereinführung ihrer Zöglinge in geeignete feste Arbeitéstellen, möglichst vollkommen und sier zu erreichen, ist neben einer Be- \cäftigung oder Anlernung der Kolonisten von angemessener Art und Dauer, namentlich der weitere Ausbau der Einrichtungen für Arbeitsvermittelung bei diesen Anstalten erwünscht. Es gebören bierber inébesondere die Pflege persônliLer Veziebungen zu den Arbeit- gebe:n des Bezirks, die Benußung der Zeitungéanzeigen, die Ver- öffentlibung der Monatéauêweise mit Berufsangabe der Kolonisten, endli die Verbindung mit anderweitigen Arbeitsna&weisen und ge- werblihen Körbershaften. Es empfiehlt si ferner, sowobl die Arbeitêvermittielung für die Kolonisten, wie auch die spätere Ver- bindung mit ibnen auf ein ausgebreitetes Ney von ftändigen BVer- trauerémännern in Stadt und Land zu fiüßen“ wurde angenommen, Es wurde ferner bes{lossen, fortan nur alle ¡wei Jahre zusammen- zutreten. Betreffs der Invaliden- und Altersversi&:erung der K-lo- nisten soll zunä mit dem Reichs-Versicherungsamt in Verbandlung getreten werden.

Zur Arbeiterbewegung.

Die Arbeitseinstellung auf der Zehe „Ver. Trappe“ ist, wie der „Rb. Westf. Ztg.“ aus Silschede berihtet wird, beendet. Am Mittwoch sind von der ganzen Morgen- und Mittags- (idt zusammen nur 12 Mann ausgeblieben, .

In Riesa legten am Mittwoch Nackbmittag gegen 300 Ar - beiter am Babnkofsumbau die Arbeit nieder. Es geshab, wie dem „Vorwärts* berichtet wird, mit einem Schlage. Sämmtliche Arbeiter gehören keiner Organisation an, es hatten sh rur 3 oder 4 geweigert, für den Lohn zu arbeiten und in weniger als fünf Miruten ruhte alles. Der Unternehmer bat den Arbeitern von jeder Lowry 40 abgezogen. Früher bekamen fie 2 M, jeßt 1,60 M, dazu gehören je vier Mann zu einem Wagen und vier Wagen werden den Tag über gewöhnli voll, in Folge dessen bleiben pro Mann 40 & § Defizit den Tag gegen früher.

In Charlottenburg haben die Glasarbeiter der grünen Hütte ihre Forderungen bewilligt erbalten, sodaß dort der zum 1. März drohende Ausftand vermieden it.

In Heidenheim a. d. Ber. fand am 15. d. M. eine sozial - demokratische Versammlung statt, zu welcher dem „Sw. M.“ zufolge hauptsählih die Arbeiter und Arbeiterinnen der Terxtil- industrie geladen waren. Der säsische Referent Brett- \chneider sprach über die Lage der Textilarbeiter. Die Schuld aller Mißstände sehe er in der heutigen Produktionsweife, die nur dur& Verstaatlichung aller Fabriken im fogenannten Zukunftsftaat gebessert werden könne. Fabrikant Alb. Hartmann entgegnete dem Redner, daß die gescilderten \{limmen Zustände glüdlicherweise für Hecidenbeim nit zutreffen, da die Arbeitgeber stets ein offenes Obr für berechtigte Wünshe und Klagen der Arbeiter gehabt haben. Jeder Unbefangene mühe zugeben, daß die Lage der Arbeiter in den leßten Jahren sich gegen früher bedeutend beffer gestaltet habe. Wenn auch da und dort no zu befsern sei, so würde diese Besserung niht auf dem Wege der Sozial- demokratie zu erreihen sein, denn die}er führe zum gewalt- samen Umsturz der bestehenden Verhältnisse. Die Arbeiter würden mebr erreihen dur friedlihes Vorgehen und einträhtiges Zu- sammenwirken mit den Arbeitgebern. Auch dürften die Arbeiter die Veberzeugung gewonnen haben, daß von Seiten der Reichsregierung und unseres Kaisers sich warmes Interesse für Verbesserung der Arbeiterlage in den Gesetzen betbätige. Nab Schluß der Erörterung verlas Brettschneider einen Aufruf zur Bildung eines Fachvereins für Textilarbeiter. 7 e : :

In Leipzig fand am leßten Vienstag eine Versammlung der Graveur- und Ciseleurgehülfen ftatt, in welcher nah dem Bericht der „Lpz. Zta.“ ein Hr. Zack aus Berlin über die geplante Be- wegung der Arbeiter im graphischen Gewerbe fprach. Er fah für diese Bewegung keinen Erfolg voraus und warnte davor, si voreilig bineinzustürzen. Die grapbis@en Arbeiter würden vorausfitlich auf sich selbst angewiesen sein. Die General-Kommission der Gewerkschaften Deutschlands werde ibre Unterstüßung versagen mühen, da es n um einen Angriffsstrike bandle und prinzipiell nur Abwehr- strikes die allgemeine Unterstüßung genießen sollen. Lroß diefer Unter- stüßung seien die strikenden Sbubmacher in Erfurt unterlegen und würden die Hamburger Tabakarbeiter demnächst die Arbeitseinstellung erfolglos aufheben müfsen. Es sei nicht anzunchmen, daß die graphishen Gewerbe ohne diese Unterstüßung ihre Forderungen durch- seßen würden, und er verstebe nit, wie das Leipziger Gewerk- \caftskartell die Bewegung habe gutheißen können. Die Versamm- lung erkannte zwar offenbar das Zutreffende dieser Ausführungen an, indessen sien den während der Debatte vorgebrahten Aeußerungen nach die Ansicht vorzuherrschen, daß man sich dem einmal gefaßten Beslusse gemäß an der Bewegung betbeiligen und sie unterstüßen müsse, wenn es nicht mögli sei, sie rückgängig zu machen.

Hier in Berlin wurde am leßten Montag in einer Versamm- lung der in der Pelzmüßen- und Zurichterbranche besbäftig- ten Arbeiter und Arbeiterinnen über die T u einer diesjährigen Lohnbewegung verhandelt. Es wurde, wie die Berliner „Volks-Ztg.“ mittheilt, hervorgehoben, daß der im Jahre 1889 festgeseßte Tarif vielfa nit mehr eingehalten werde, und daß ein Festhalten an demselben Existenzbedingung für die Arbeiter sei. Der starke Ge- \chäftsgang in diesem für das Kürschnergewerbe so günstigen Winter babe die Lagervorräthe erschöpft, sodaß man mit Aussiht auf Erfolg an eine Lohnbewegung denken könne. Die selbst- ständigen (hausindustriellen) Kürschner betonten, fch zwar in keiner besseren Lage zu befinden, troßdem aber können sie an die Fabrikanten keine höheren Forderungen ftellen. Es wurde beschlofsen, in vier Wochen noch eine Versammlung einzuberufen, in welcher eine Lohnkommission gewählt werden foll. Außerdem ver- vflihteten sch die Anwesenden (au die Selbständigen), in den Verband der deutshen Kürschner einzutreten. Außer hier \chon erwähnten Einzelarbeitseinstellungen führt das Blatt

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noch die Former der Bronze- und Messingwaarenfabrik von S A. Loevy und die Tis&ler in der Werkstatt von E. Dewig an.

Aus Frauenfeld (Schwei) wird dem „Vorwärts“ geschrieben, daß die Firma Martini u. Co. Mas@inenfabrifk die Afkordlöhne der BVütbsenmacher um 20 9/0 reduzirt hat. Die Arbeiter traten in Unterbandluna mit dem Fabrikanten, wurden aber abgewiesen. Sämmtliche Vüchscnmather kündigten in Folge dessen am 16. d, M. die Arbeit. :

Mie aus Rom gemeldet wird, haben in der Tuchfabrik d Senators Rossi in Schio aegen 3009 Arbeiter wegen Hera seßung des Lobnes die Arbeit niedergelegt. Man befür{t weitere Arbeitseinstellungen.

Kunft und Wissenschaft.

4+ Als si das Comité zur Errichtung des Schinkel- Denkmals auflöste, überwies es den selbst nah Ausshmücckung des Platzes vor der chemaligen Bau-Akademie noch verbliebenen Rest des aufgesammelten Kapitals dem Kultus-Ministerium zu gelegentliher Erwerbung Schinkel'sher Nachlaßgegenstände, Auf Grund dessen sind nunmehr der Königlichen Nationalgalerie das Originalg-mälde einer französisch- gothishen Kathedrale, deren Kopie dieselbe ber-:its b2saß, der Königlihen Tehnishen Hochschule in Charlottenburg dagegen eine arößere Sammlung von Skizzen zu den Fresfo- bildern des Alten Museums fowie zu verschiedenen Bauten, ferner eigenhändige Notizen Schinkel's welche er auf seinen Reisen gemacht hatte, endlih auH allerlei Dokumente, welche fi auf Schinkel's amtlihe Stellung beziehen, zur Vervoll- ständigung des dortigen Schinkel-Museums zugetheilt worden,

4+ Jn der Königlichen Technischen Hochschule wird das vom Bildhauer Harzer dem Kultus-Ministerium zur Verfügung gestellte Modell zu der von ihm gefertigten Statue voi Wöhlers demnächst seine Aufstellung finden, während die von demselben Bildhauer ausgeführte Marmorbüste des Phi- lologen Sauppe nah Göttingen in die Universitäts-Aula ge- langen wird.

+# Ein .m Laufe des verflossenen Sommers in der Nähe des bei Trier gelegenen Ortes Ehrang aufgedecktes Platten- grab merovingisher Zeit ist von dem Provinzial-Viuseum in Trier im Oktober und November v. J. einer ein- gehenden Untersuhung unterzogen worden. Hierbei wur- den 75 fränfishe und 19 römische Gräber und außerdem die Grundmauern eines umfangreihen römischen Gebäudes ge- funden. Die Untersuchung des leßteren ist noch niht beendet. Die fränkishen Gräber waren offenbar theilweise schon durchwühlt, haben aber doch noch eine größer? Anzahl gut erhaltener Waffen, tauschirter Schnallen, einige ver- zierte Bronzeshnallen, Rundfibeln, einige Ringe und Gläser ergeben; die römishen Gräber enthielten einige sehr fostbare Gläser. Von Einzelfunden, welche dem Provinzial - Museum in leßter Zeit zugeführt wurden, ver- dienen Erwähnung: ein Bronzearm, in Trier gefunden und von einer halblebensgroßen Statue herrührend, fowie ein s{höner, mit Steinen verzierter mittelalterliher Ring aus schwerem Golde. Seitens Sr. Hoheit des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen ist dem Museum eine huldvolle Schenkung gemacht worden, welche in den Gypsabgüfsen eines fleinen Dianastandbildes und eines Altars mit Jn- schriften besteht; diese Bildwerke wurden vor Jahren unweit Bertrich gefunden und waren in die Sammlung des Fürsten übergegangen.

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Verein für GeschiGte der Mark Brandenburg.

Hr. Graf zur Lippe-Weißenfeld. sprach in der_ Sißung rom 11. Februar über einen Günitling Friedrih'sdes Großen, den Neifser Shuhmacher und Gastwirth Göppert. Der König lernte den strebsamen Bürger während des zweiten \{lesi\hen Krieges fernen, unterstüßte ihn beim Hausbau und verlieh ihm ein Avotheken- privilegium. Im Neubau richtete Friedri sich ein Absteigequartier ein, das er auch nach dem Tode Göppert's, der den siebenjährigen Krieg überlebte, regelmäßig benugzte. Ebenso baben Friedri Wilbelm IL., Fricdrich Wilbelm Il. und die Königin Luise, Friedrich Wilhelm IV, so oft fie zu Neisse übernahteten, in Göppert's „Bergapotbeke“ gewohnt. Hr. Archivar Dr. M ei- nardus malte einige Mittheilungen über bisher zum größten Theil unbekannte Einribtungen des Großen Kurfürsten zur Förderung von Handel und Schiffahrt und über die Einsetzung von Kommerz - Kollegien. Na der Eroberung Stettins, Januar 1678, beabsihiigte der Kurfürst, die Kom- merziensachen, deren Erledigung bisher Sache der Amtskammer ge- wesen war, eigenen Behörden zu unterstellen. In verschiedenen Küsten- pläßen Pommerns und Preußens sollten Kommerz-Kollegien eingescht werden, die in ein bestimmtes Verbältniß zu einem in Berlin zu er- rihtenden General-Kommerz-Kolleg treten sollten. Von hier aus follte der innere und auëwärtige Handel neu organisirt und Gewerbe und Industrie zu virmehrter Thätigkeit angeregt und gefördert werden, Der Friede von St. Germain vereitelte diese Pläne. Nur ein 1678 in Berlin errihtetes Kommerz-Kolleg, von dessen Zusammenseßung und Befugnifsen wir aber nur wenig wissen, blieb bestehen. Der Kur- fürst suchte nun seine Entwürfe in anderer Weise zu verwirklichen. In dem Edikt vom 24. Dezember 1680 über die Freiheit derjenigen, 19 na® Königsberg in Preußen und in Pommern zu Schiffe bandeln, werden den einheimischcn Schiffsrhedern freie Holzlieferung für den Scwiffsbau und andere namhafte Vortheile zugesichert, ferner geeignete Maßregeln zur Vertiefung der Fahrrinne_ zwischen Pillau und Königsberg in Aussicht gestellt und andere Einrichtungen zur Belebung des auëwärtigen und inneren Handels in Preußen und Hinterpommern versprochen. In den folgenden Jahren Uf nan dan in beiden Provinzen mit Hülfe einbeimisher Sahpverftänd!ger a gutem Erfolge in diesen Nihtungen vorgegangen. Erwähnenswerk ist besonders au, daß es dem Kurfürsten gelang, in Hinterpommern einen neuen Handelêweg zur See ins Leben zu rufen, au! dem zuna das französishe Boysalz, womit Hinterpommern und die Neuma! bisher von Stettin aus versehen waren, eingeführt wurde, Und zwar 1n der Weise, daß von Kolberg aus die Tonnen dur Landfuhren nar Dramburg an der Drage çebracht und von dort auf der mit vieler Mühe \chifbar gemachten Drage in die Neße, Warthe und Oder h \chifft wurden. Au andere Waaren und Güter suchten ba d 7 Les Weg auf, von dem man si viel versprach. Zur Weiteren ung der begonnenen Organisationen follten nun die Kommerz-Kol en dienen, über deren Einseßung im Anfang des Jahres 16 io e rathungen in“ Berlin stattfanden, denen namentli auch eine Denk- {rift Raules zu Grunde lag. Hierin werden die allgemeinen Kompetenzen der Kommerz-Kollegien berührt : sie sollten Handels- gerihte sein, um alle Streitigkeiten und Prozefse in andels\sachen ohne weitläufiges Verfahren s{chleunigft zu erledigen, und Verwaltungss