1891 / 50 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 26 Feb 1891 18:00:01 GMT) scan diff

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die Sozialdemokraten an Spielraum gewinnen würden, fo sei das nit so bedenklih. Es sei ganz gut, wenn auch ein paar Sozial- demokraten in die Stadtverordneten-Versammlungen kämen, denn dur die praktishe Mitarbeit an der Verwaltung würden sie am ersten von ibren verkehrten Ideen abgebraht werden. Der Antrag Richter, welcher das Gemeindewahlrecht nur nah der Einkommensteuer bemessen wolle, sei fals; er schließe eine ganze Menge von Perfonen aus den böberen Klassen aus, welhe gerade für die Gemeindewablen von bober Bedeutung seien, nämlich Diejenigen, welhe Grund- und Gebäude- steuer bezahlten.

Aba. Freiherr v. Zedliß beantragt zu dem Antrage Rickert, daf die Vorlage in der laufenden Legislaturperiode gemaht werden solle, und zwar auf Grundlage der Artikel 70—72 der Verfaffung (Dreiklafsenwablsystem); die Sclußworte, welche sh auf die Ein- führung des allgemeinen gleihen und direkten Wablrehtes bezögen, sollten deshalb gestrihen werden. Er hoffe, daß wie die Steuer- reform au die Reform des Wakblrechtes nod von diesem Hause zu Ende geführt roerden könne. Das allgemeine gleiche direkte Wablrecht balte er weder für den preußishen Staat, noch für die Gemeinden für passend; in beiden Fällen müsse dem Besiy und der Intelligenz ein größerer Einfluß auf die Staatsgeshäfte gesichert werden. Der Antrag Rickert, welcher statt 3 #4 4 & für jede nickt veranlagte Person einseßen wolle, bringe im Osten eine erbeblihe Verschiebung des Wablrechts zu Gunsten der dritten Klasse hervor, sei deshalb unannehmbar. Der Antrag der Kommission, daß die Bildung der Abtheilungen innerhalb der Urwablbezirke erfolgen fönne, werde allerdings an manchen Stellen einige Seltsamkeiten hervorbringen; aber solche Ungleichheiten seien au jet {on häufig vorgekommen; so seien z. B. in Berlin Fälle vorgekommen, daß in man®em Urwablbezirk gar keine Wähler erster Klasse vorbanden gewesen seien. Iedenfalls liege in dieser Maßregel ein kleiner Aus- glei gegen die Verschiebung des Wablrechts. Eine Aenderung der Verfassung liege niht vor; die Einsezung eines fingirten Steuer]aßzes fei ja Gon 1883 beliebt worden Lediglih auf die Perfonalsteuer fönne man das Gemeindewablrecht nit basiren; denn die Anfässigen, deren Interessen dauernd mit der Gemeinde verknüpft seien, dürften in ibrem Wablrecht nit beeinträhtigt werden. Deshalb sei der Antrag Rit§ter zu verwerfen namentlich au, weil er die Gegenden nicht berüd- fidtige, wo das Dreiklafsenwablrecht nit bestehe, wohl aber ein Census. Der Vors§lag der Kommission sei beffer wie der Antrag Bachem, weil er niót einen so zerseßzenden Einfluß auf die beiden ersten Klassen ausübe, wie der leßtere. Wenn der Abg. Bachem au jeßt viellei@t die Anwesenheit eines Sozialdemokraten in der Stadt- vertretung für nit so gefährlich halte, so werde er doch in einigen Jahren vielleiht \chon anderer Ansicht sein. .

Abg. Wuermeling bält eine Reform des Wakblrechtes für durdhaus nothwendig, und zwar aus sozialen Gründer. Der Rei- toum bâufe É immer mebr in den Händen Einzelner; es sei kein Grund vorbanden, nun au das Wablrecht der reiben Leute zu verstärken. Wenn man das Wablreht nah der Steuerleistung be- messe, dann dürfe man dabei nit vergessen, daß die unteren Kla}en der Bevölkerung au viele indirekte Steuern zu bezablen bâtten, und dafür müsse ein Ausaglei& gefunden werden, wie ihn der Antrag Badem verlange. Besonders \{limm liege das auf dem Gebiete der Sgule. Gerade die breite Mafe des Volkes habe an der Bolks- \chule das Hauptinterese. Wenn aber die Vorlage angenommen werde, darn bâtten in den Gemeinden die beiden ersten Abtheilungen, also gerade die reisten Leute, die mit der BYolksshule wenig zu thun bätten, den Haupteinfluß. Das sei um fo bedenklicher, als immer mehr Schulen zu Kowmmunalshulen gemacht würden, was er lebhaft bedauere.

Minisier des Jnnern Herrfurth:

Der Hr. Abg. Bachem bat mit Recht zu Anfang seiner Rede hervorgehoben, daß bei dem hier zur Diskussion stehenden Paragraphen drei sch{werwiegende Fragen miteinander fombinirt find, welbe au in der Diskussion nit überall auseinander gehalten worden find und wegen ihres inneren Zusammenhänges nit baben auseinander gebalten werden können. Einmal die Frage, ob und inwieweit durch die Be- stimmungen dieses Gesetzes eine VerfassungS8änderung bedingt werde; sodann die Frage, inwieweit Aenderungen des staatlichen MWablrebts, und endlih die Frage, inwieweit Aenderungen des fommunalen Wablrechts dur den Gesetzentwurf über die Ein- fommensteuer bedingt werden.

Auf die beiden ersten Fragen will ich nur mit wenigen Be- rfungen eingehen. Die Königliche Staatsregierung hat ihrerseits er eingehenden Prüfung die Frage unterzogen, ob se glaube, daß

die Bestimmungen des neuen Einkommensteuergesezes in der urs der Kommissionébes{lüfe in irgend einer Weise Bestimmungen Zer'aiïsung abgeändert werden, und sie ist ihrerseits zu einer

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erneinung dieser Frage gelangt. Die Gründe, die hierfür maß- nd, find in dem s{riftli@en Kommissionsbericht

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iedergeleat; fe find heute von dem Herrn Referenten wr! [t worden, und ich glaube auf dieselben Bezug dürfen. Ich möchte nur eine Bemerkung hier noch

D Betref eines neuen Arguments, das mir in Privat- ¿ur Kenntniß gebracht worden ift. Dieses Argument stüßt F des Art. 71 der Verfafsungsurkunde. Meine rede stellen, daß allerdings die Aende-

¡e Geseg herbeigeführt würden, als folhe an- melde mit den in dem genannten Artikel für

ommern. vereinigen laffen. Aber es handelt ih jeßt E definitives Wakblgesetzes, sondern es und inwieweit diejenige Verordnung, 16len als verfafungémäßiges Recht gilt, taatêrezierung glaubte deshalb, ihrerseits

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die Frace der VerfaFurgéveränderung verneinen zu sollen. Ich gebe ber 30, daf allerdingf tie Frage eine zweifelhafte ift, und die König- liSe Stantéregierurg mif e natürli der gewifsenbaftes Erwägung ciret ieden cinzelnen Mitgliedes überlaffen, inwieweit es glaubt, si dur© iecicen G die Verfassung gebunden zu erachten,

irwiereit es glaubi, diesen Vorschlägen zustimmen zu erer, chre baf formell die Verfassung geändert werde. Die rbole es steht aber und das ist

& die ¿r Majorität der Kommission gewesen rer Startrurft: bur dieses Geseh findet eine Veränderung der Beriaïung ritt ftatt; e ift nit erforderli, daß in den Formen, e tér BeriaFunoSänderungen vorgeschrieben find, auÿ dieses Geschz

Faatliven Wablrets anbelangt, edingt werde, so glaubt die Königliche iSrericits durH die Vorschläge in §. 79 der Der den Anforderungen genügt zu baben, welche ez ?önnten jur Verbütung einer Aenderung des bgzordnetenhaus zur Zeit in Geltung a inss dur die Grhößung des

obl als dur die Ermäßigung ittleren und niederen Klassen zum Theil mit

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vcrgenommen werden

bin beschlofsen worden: Statt des Satzes von 2,40 #4 für die nit zur Staatseinkommensteuer veranlagten Personen is ein Say von 3 M festgestellt. Und außerdem ift nach dem Antrage des Abg. Freiherrn von Huene ein leßter Absaß beigefügt worden, wonach die Abtheilungslisten gesondert für die einzelnen Urwahlbezirke gebildet werden sollen. Hierzu bat der Abg. Bachem noch einen Antrag ge- stellt, der, wenn ih ibn recht verstehe, wobl nur redaktioneller Natur ift, der, wie ich glaube, in einer Beziehung zwar eine redaktionelle Verbesserung enthält, aber nach einer anderen Ribtung hin nicht ganz korrekt i. Er enthält eine redaktionelle Verbesserung insoweit, als er ausdrücklich sagt, daß die zur Staatseinkommensteuer niht veranlagten wah!- berechtigten Personen in Frage kommen. Aber wenn er weg- gelassen bat, daß der Steuerbetrag von 3 H an Stelle der bisherigen Klassensteuer treten solle, so könnte das, glaube i, zu Mißverständnifsen Anlaß geben. (Abg. Rickert: Sehr richtig!) Ich erinnere an dén Fall, daß eine nit zur Klassensteuer veranlagte Person ein kleines unbedeutendes Grundstück besitzt, von dem sie eine oder zwei Mark Grundsteuer zu entrihten hat. An Stelle dieses Betrages kann dann die Summe von 3 # nit treten, viel- mebr wird dieselbe dem letzteren Betrage hinzugerechnet werden müsen, und ich glaube, die redaktionelle Aenderung in dem Antrage Badem würde noch verbessert werden, wenn hinter den Worten „drei Mark* binzugeseßt würde: „an Stelle des bisherigen Klafsen- steuersazes*. Die Tragweite der Aenderung, die die Kommission auf Antrag des Abg. Freiherrn von Huene beschlossen hat, vermag ih heute, troß der für fünf bis sechs Gemcinden angestellten Stihproben, nob nicht völlig zu übersehen und ich muß sagen, daß ohne ganz genaue zifermäßige Ermittelungen niht mit Bestimmtheit fi er- kennen läßt, ob bier wirklich eine Verbefferung vorliegt oder nit. (Hört! bört! links.)

Prinzipielle Bedenken glaube ich allerdings nicht gegen diesen Zusatz erheben zu sollen; ich meine, daß die Aenderung doch nicht von großer praktis&er Erbebli&keit sein wird; namentli in Rücksicht darauf, daß alle diejenigen Wahlbezirke, welche aus Gemeinden mit weniger als 750 Seelen bestehen, unberührt bleiben, würde man wohl obne allzus6were Bedenken diesen Zusay acceptiren können.

Auf die sonstigen Anträge, die in Betreff des staatlichen MWablrechts gestellt worden sind, glaube i hier nit näher ein- geben zu müssen. Was insbesondere den Antrag Rickert anlangt, so hat ja der Abg. Wuermeling ausdrücklich erklärt, er stimme diefem Antrage zu ledigli in der Form einer platonischen Liebeserklärung, und ih glaube, diese Liebe8erklärung wird hier im Hause wenig Gegen- liebe finden (Heiterkeit), und so lange das nit geschehen ift, ift von der Staatsregierung wohl nit zu erwarten, daß sie nh über den äInbalt einer Resolution, die voraussihtli® ni cht gefaßt werden wird, noch weiter ausfpricht.

IH möhte meinerseits bauptsä{lih nur noch in Betreff des fommunalen Wablrech{ts, namentli® mit Rücksicht auf eine Reihe von Ausführunzen des Hrn. Abg. Wuermeling Einiges hinzufügen. Meine Herren, bei der ersten Berathung des Antrages der Hrrn. Abgg. Frigen und Bachem habe ih meinerseits Namens desStaats-Ministeriums erklärt, daß, insoweit wie dieser Antrag bestimmt und geeignet sei, die Verschiebungen zu beseitigen, welche in Folge des neuen Ein- fommensteuergesees in dem Kommunalwahlrecht entstehen würden, Seitens des Staats-Ministeriums Bedenken gegen denselben nit zu erheben seien. Ich habe aber ausdrücklich hervorgehoben, daß die Frage. in wie weit der Antrag wirklih dazu geeignet sei, ect si beurtbeilen lassen werde, wenn spezielle, ziffermäßige Ermittelungen hierüber stattgefunden haben würden. Es baben inzwischen solche Er- mittelungen stattgefunden, sie liegen Ihnen als Nr. 149 der Drucksacben vor, und sie haben meines Erachtens ergeben, daß der Antrag Bachem für den Zweck, für den er eigentlih gestellt ift, ih überhaupt nicht eignet. Er beseitigt diese Vershiebungen nicht vollständig, er beseitigt sie nur zu einem geringen Theil in den Klassen 1 und 2 und er verstärkt sie ganz erbeblih in der dritten Klasse. Die Ver- \chiebungen, welche überhaupt das neue Einkommensteuergeseß bezüg- li des kommunalen Wablrechts herbeiführen wird, können doch nur darin bestehen, daß ein Theil der Wähler der ersten Klafse in die zweite, und ein Theil der Wähler der zweiten Klasse in die dritte geshoben würde, daß also somit ver- hältnißmäßig das Wakblrecht der ersten und zweiten Klasse ge- steigert, das der dritten vermindert wird. Nun gebe ih dem Hrn. Abg. Badem zu: in Betreff der Verstärkung des Wahlrechts in der ersten und zweiten Klasse hilft der Antrag etwas, aber nicht vollständig, wenigstens nit in allen Gemeinden, sondern nur in ¿wei oder drei von denen, für wele Erhebungen stattgefunden haben. Es wird immer noch éine Verschiebung zu Gunsten dieser Klassen ein- treten, nur in wenigen Fällen findet ein Ausgleich statt. Wie steht es nun aber in Betreff dec dritten Klasse? Für dieselbe wird das Wahl- recht aller derjenigen, welche jeßt dieser Klasse angehören, nach der Regierungsvorlage etwas, aber wenig vermindert durch den Hinzutritt von einigen, wir wollen fagen, Hunderten von Wählern aus der ersten und zweiten Klafse ; nah dem Antrage Bathem aber würde das Wahlrecht des Einzelnen in außerordentlich starfer Weise vermindert durch den Hinzutritt von Tausenden von Wählern.

F könnte in Uebereinstimmung mit den von mir Anfangs ab- gegebenen Erklärungen mi auf den rein negativen Standpunkt stellen: auf dem Weze, den Hr. Batem vorschlägt, ift das von ihm angestrebte Ziel überhaupt nit zu erreichen; dieser Weg ist niht gangbar, sein Antrag bedeutet jet etwas ganz Anderes, als das, was er bei der Einbringung nach seiner eigenen Begründung bedeuten sollte; er bedeutet jeßt nichts Anderes, als eine Abänderung einer bestehenden speziellen Be- stimmung der rheiniihen Städteordnung über das fommunale Wablre&t. Unt ta, meine Herren, laffen sich allerdings die Einwendungen wiederholen, bie ih damals erhoben habe: das gehört nit in tas Einkommensteuergeseß, das ist nur zu maten tur ein provinzielles Spéezialgefeß, welches auf dem Wege, wie eben Provinzialgeseze ¿u Stande zu kommen pflegen, in separato zu behandeln sein würde.

Ich erkenne aber mit Hrn. Baem und Hrn. Dr. Wuermeling an, daß wir einen anderen Weg bereits im Jahre 1873 beschritten baben, als wir au Bestimmungen, die sich auf das kommunale Wahlrecht bezogen, in das Klafsen- und Einkommensteuergeseß mit aufgenommen haben ; und ich glaube deshalb Namens des Königlichen Staats-Mini-

Bon Ihrer Kommi

steriumsEinspruch ni cht dagegen erhebenzu sollen, daß dieser Weg aug hier

beschritten werde namentli aber nicht Widerspruch erheben zu sollen ’gegen den Antrag Ihrer Kommission, der meines Grachtens berehtigte Beshwerden beseitigt, dabei au gleichzeitig verhindert, daß eine allzugroße Vermehrung der Wähler eintrete, die aus voli- tishen wie sozialpolitischen, aber au aus wirthshaftlihen Gründen in den Städten der Rheinprovinz als sehr bedenklich zu erachten sein würde.

Von Hrn. Bachem is die Ausführung des Bürgermeisteramts in Köln fkritisirt worden, defsen Vertreter die Befürchtung aussprach, daß in Zukunft die Sozialdemokratie in den Stadtverwaltungen einen erbeblihen Einfluß gewinnen könne und werde. Aber daneben ift noch ein anderer Punkt, glaube i, mit vollem Reht vom Bürgermeisteramt hervorgehoben worden, nämli der Hinweis darauf, daß nah dem Antrag des Hrn. Abg. Bachem eiue große Anzahl von Mitgliedern, welche von jeder Kommunalsteuer frei sind, das Wahlrecht erhalten würde. Dies würde aber vorzugsweise von den unverbeiratbheten jugendlichen Arbeitern gelten, welhe auf Grund ihres hohen Verdienstes zu einem Steuersay von 4 Einkommen- steuer veranlagt worden, während die älteren verheiratheten Arbeiter mit Rücksiht auf den Abzug, der bei ihrem Einkommen nab dem neuen Steuergeses gemaht werden wird, das Wahlrecht nit erbalten.

Der Hr. Abg. Wuermeling bat nun den Wuns ausgesprochen, es möhten möglichsst bald statistishe Ermittelungen gemadt werden über die prozentualen Verhältnisse, die sch in den einzelnen Wablklafsen sowohl bei den Wahlen zum Abgeordneten- bause als au bei den Kommunalwahlen bisher herausgestellt hätten. Er hat zur Begründung feines Antrages ‘aber in nit ganz richtiger Weise Bezug genommen auf die Lerhandlungen, wele im Jahre 1876 bei der Erörterung der Frage des Erlasses einer allgemeinen Städteordnurg über diesen Punkt stattgefunden haben. Damals ift allerdings im Anschluß an das badishe Wahlsystem in der zweiten Lesung des Abgeordnetenhauses der Beschluß gefaßt worden, daß man eine Minimalzabhl der Wähler von ein Zwölftel auf die 1. Klasse, und von zwei Zwölftel für die 2. Klasse festhalten wolle. Allein dieser Bes{luß ist in der dritten Lesung wieder fallen ge - lassen worden. Er stand im Widerspru mit der Regierung®- vorlage, er stand im Widerspru mit den Beshlüfsen des Herren- hauses, und i glaube, aus diesen Vorgängen lassen fi irgend welche Stlüsse auf die Uebereinstimmung der geseßgebenden Faktoren be- züzlih der Zwekmäßigkeit der Festseßung eines prozentualen Ver- bäâltnisses nah feiner Rithtung hin ziehen,

Wenn ich bei dem Entwurf der Landgemeindeordnung und bei dem Entwurf der Städteordnung für Wiesbaden mi lediglih an das bestehende Wahlrecht gehalten habe, so ift das bezügli des Entwurfs einer Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden selbstverständlih; denn dieser Entwurf carakterisirt h lediglih als ein Interimistikum, als ein Ngotbgeset, welches einem zur Zeit in der Provinz Naffau bestehenden Nothstande dadurch ab- belfen soll, daß die Grundsäße der bisher in den ösilihen Provinzen bestehenden Städteordnung in jenem Regierungsbezirk eingeführt werden. Hier sind irgendwelhe grundsäßliche Aenderungen garnicht in Erwägung gezogen, vielmehr is ausdrücklih ausgesprowen worden, es sei von einer solhen grundfäßlihen Erörterung Abstand genommen.

Meine Herren, was nun aber die Frage der Landgemeinde- ordnung für die 7 östlihen Provinzen anlangt, fo glaube i, werden Sie mir zugeben, daß hier, wo wir überhaupt erst ein Wahl- recht neu für diese Gemeinden einführen, am Allerwernigsten die Land- gemeinden des Ostens als diejenigen Körperschaften zu bezeichnen wären, bei denen man dieses neue Experiment mit ausführen kann. (Sehr richtig! rechts.) Ueberhaupt wird, wenn man diesem Gedanken näber triit ich will das ja fkeineswegs8 ablehnen, namentli, soweit es sich um die Vorfrage der ftatistischen Ermittelungen handelt, so wird man das generell für den ganzen Staat, sowobl für das fstaatlihe wie für das Kommunalwahlrecht machen müßen. Das kann man nicht für Landgemeinden oder Stadtgemeinden einzelner Provinzen in vershiedener Weise; da muß eine generelle Regelung stattfinden. Schließlih bemerke id und ich befinde mi damit im Einverständniß mit sämmtlihen Herren Rednern, ih glaube es als eine glüdckliche Lösung an- jebhen zu können, baß durch den Komvyromißvorschlag der Kommission die von den verschiedenen Seiten geäußerten Wünsche ihre Befriedigung gefunden haben und daß Diejenigen, welche ihrerseits mit Rücksickt auf die Rückwirkung des Einkommensteuer- gesezes auf das Kommunalwahlreckt gegen dieses Geseg Widerspruch erboben hatten, heute noch erklärt haben, daß fie ihren Widerspru fallen laffen wollen. Denn das ist ja zweifellos: die König- liche Staatsregierung kann bei einem Geseß von solcher Wichtigkeit, wie das Einkommensteuergesey, bei seiner Rück- wirkung auf das ftaatlihe und auf das Kommunalwahlrecht, ja auf die gesammte wirthshaftliße und politische Lage unseres Landes nur das allergrößte Gewicht darauf legen, daß mit möglichst großer Einstimmigkeit dieses Gesez demnächst hier im Hause Annahme finden möge.

Abg. Freiherr von Huene: Der Antrag der Kommission sei von keiner Seite angefobten, au vom Minifter als annehmbar bezeihnet worden. Es handele si ja hier nur um eine provisorische Regelung der Frage und von diesem Standpunkte aus müsse man über mande Mängel der Vorschläge hinweggehen. Man dürfe die Gestaltung des Wahlrechts nicht bloß nah diesem Geseye beurtheilen, sondern nah der ganzen Steuerreform. Wenn die Grundsteuer über- wiesen werde, wie werde dadurch das Wahlrecht verändert! Ießt fönne man das Gemeindewahlrecht nicht nach der Einkommen- steuer allein bemessen, denn die Grund- und Gebäudesteuer zahlenden Bürger seien diejenigen, welhe das meiste Interesse an der Ge- meindeverwaltung hätten. Ob eine Verfassungsänderung vorliege oder nit, darüber müsse Jeder si seine eigene Meinung bilden, Aber allseitig werde man wohl überzeugt sein, daß es so mit dem Wablreht niht weiter gehe. Daß man die _Fundamente dur Stützen ersege, sei auf die Dauer nicht durchführbar. Mit der Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer an die Kommunen müsse auch das Gemeindewahlrecht anders geregelt werden. Daran müsse der Regierung ebensoviel liegen, wie jedem Mitgliede des Hauses.

Abg. Francke (Tondern): Die Verfassung und die Wahlordnung bestimmen, daß die Gemeinden im Ganzen in drei Klafsen getheilt werden sollten; jede Klafse solle füc sich wählen. Was auf An- trag des Abg. von Huene von der Kommission beschloflen worden sei, entiprece dieser Verfassungsvorschrift nit. Wenn es sich jeßt au niht um Beschaffung eines neuen Wahlgeseßes handele, so sei man au bei Aenderung des bestehenden Gesezes an die Direktiven ge- bunden, welche die Verfaffung gebe.

Um 4 Uhr wird die weitere Berathung vertagt.

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Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischeu Staats-Anzeiger.

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Statiftik und Volkswirthschaft.

S Die wirthsGaftlihe Lage 2 der ländlihen Bevölkerung im Regierungsbezirk Osnabrücck wird im Hinblick auf die Viehpreise und die mit geringen Ausnahmen immerbin genügende Ernte größtentheils als befriedigead bezeichnet. Doch ift die Strenge des diesjährigen Winters niht ohne nadbtbeilige Wirkun; geblieben. Den kleineren Grundbesißern und besonders den Heuerleuten und Tagel!öhnern war durch das Froftwetter zumeist für längere Zeit die Gelegenheit genommen, lobnen- dem Verdienste nabzugehen. Die Koblenpreise stiegen, und nit überall sind auêreihende Vorräthe an Korn und Futter vorhanden. So find viele Schafbesitzer dadur empfindlich betroffen, daß die Schafe ihre Nahrung nicht mebr außerhalb des Stalles finden konnten, Vor Allem aber klagen die Moorkolonisten, deren leßte Buch- weizenernte ganz unzureiWend ausgefallen ift. Doch ift ein Nothstand nur im Kreise Hümmling, speziell in der Gemeinde Esterwegen, her- vorgetreten, wie dies {on bei Beginn des Winters befürchtet wurde.

Zur Lage der Textilindustrie.

Man {reibt aus dem Regierungébezirk Breélau: Der Einfluß î schreibt die „Schles. Ztg.“ :

der Mc. Kinley-Bill is zwar zum Glück hinter den Befürchtungen

, zurückgeblieben, hat aber zu dem auffallenden Rüdckgang einzelner

Industriezweige, wie z. B. der Bieichereien, Färbereien und Appretur- Anstalten, der Portefeuille: und feineren Porzellanfabrikation sowie der Handwebereî, offenbar wesentli® mit beigetragen. Unter dem Rückgang der Industrie hat vor Allem die Textilindustrie zu leiden gehabt. Der Absatz der Gewebe hat in unerwartetem Maße na- gelasjenz selbs das Weihnahtsgeschäft war, wie aub sonst in JIn- dustrie und Handel, nur sebr mäßig belebt. Alle Fabriken gingen mit aroßen Waarenbeständen in das neue Jahr über.

Die besonders in den Kreisen Reichenbah, Waldenburg und Glag not stark vertretene Handweberei erweist fich mehr und mebr als völlig außer Stande, gegen die mechanische Weberei aufzu- kommen.

Von den Svinnereien geht es der Leinenspirnerei no® immer verbältnißmäßig am Besten. Wenn auch die Werggarcre einen unver- bältnifimäßig niedrigen Preis baben, so werden dafür die Flacêgarne zu gewinnbringenden Preisen abgesezt. Die dieëjäbrigen russischen und schlesischen Fläcse sind besser als die des Vorjahres, die rufsisck@en in Folge des Zurückgehens der russishen Valuta auch billiger. Die Baumwollspinnerei leidet dagegen an Ueberproduktion und muß zu unrentablen Preisen verkaufen. Ganz darnieder liegt die Spinnerei harter Kammgarne. Ihr Absatz ist sehr beschränkt, die Preise der Garne sind verlustbringend, die Fabrikation ist stark zurückgegangen.

Roheisen-Produktion.

Nach ten statistishen Ermittelungen des Vereins deuts®er Eisen- und Stablindustrieller belief sich die Roheisen- vroduktion des Deutschen Reichs (eins{l. Luxemburgs) im Monat Januar 1891 auf 348355 t; darunter Puddelrohejsen und Spiegeleisen 137 685 t, Bessemerrobeisen 30895 t, Thomas- robeisen 131802 t und Gießerciroßeisen 47973 t. Die Pro- O im Dezember 1890 betrug 362560 t und im Januar 1890

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Zur Arbeiterbewegung.

Aus Bochum berihtet man der Berliner „Volks-Ztg.“", das Organ des Deutschen Bergarbeiterverbandes theile mit, daß au die Reviere Elsaß-Lothringen, Pfalz und Könitgreid Sachsen H die Forderungen des Delegirtentages ancignen werden; bei einem Strike würde au Oberschlesien zur Gesammtheit steben.

Wie der „Köln. Ztg.“ aus Aachen telegraphirt wird, foll zum Frübjahr ein Ausstand der Zinkarbeiter, Bleiarbeiter und Silberarbeiter geplant sein, Die Zinkhütten-Konvention habe bereits diesen Angrifféplänen gegenüber Stellung genommen,

Die „Hamb. B -H.* theilt mit, daß für die sogenannte All- gemeine große Strikekasse, „die General-FKommission der Gewerkschaften Deutshlands“ (Centralkassirer: A. Dammann in Hamburg), in der Zeit vom d. bis zum 18. Februar 1891 im Ganzen 15 200 Æ eingegangen sind. In diejer Summe ift ein Posten von 5000 6 quittirt mit „Von der Börse“ und ein Betrag von 2790 M, eingegangen vom „Verband der Cigarrenarbeiter“ in Antwerpen, enthalten. Die Einnahmen vom 20. November v. F, bis zum 4. Februar d. J. betrugen 159 650 4, sodaß ih die Gesammt- einnabmen auf 174 850 4 beziffern. Es ist jeyt laui Beschluß der Führer der Hamburcer Gewerkschaften mit dem bisherigen Sammelsystem gebrochen und ein Markfenverkauf eingeführt worden. Die Quittungsmarken sizd in verschiedenen Zahlstellen in Hamburg, Altona und Ditensen à 10, 30 und 50 S fäuflic.

Ueber den Arbeiterausstand in Thalheim (Val, Nr. 34 d. Bl.) bemerkt cine Zuschrift der „Lpz Ztg.*, daß bei demselben die eigenthümlihe Beobachtung habe „emacht werden können, daß die Führer der sozialdemokratis@en Partei in und um Thalbeim öffentli von der Arkeitseinstelung beziehentlih von dem Anschlusse an dieselbe abgemabnt, nihtsdestoweniger aber im Stillen dieselbe auf olle möglihe Weise unterstüßt und gefördert baben. Die ausftändigen Arbeiter hatten in voriger Woche die Vermittelung des Chemnitzer Amtsßauptmanns angerufen, dessen Vors&lag aber, „ibnen einen anständigen Nüdäzug zu vermitteln“, nicht angenommen. Úebrigens ift troß aller Versicherungen, daß die Arbeiter Thalheims „in ihrem Klafjenbewußtsein feststeben und dadurch zum Siege und zu ihrem unveräußerlihen Rechte gelangen“ werden, die gründliche Niederlage der Strikenden doch unausbleiblich; Einzelne ihiden fc bereits an, in aller Stille die Arbeit wieder aufzunehmen. Mit oem Antrage der sozialdemokratishen Gemeindevertreter, aus Gemeindemitteln die ausftändigen Arbeiter zu unterstüßen, baben dieselben selbstverständlih kein Glück gehabt. Die Aufsichtsbehörde hat auf Anrufen die Beschlußfassung in diesem Sinne als eine un- geseßlihe bezeiwnet und die Antragsteller haben si dabei beruhigt.

In Leipzig wurde am leßten Sonntag in einer öffentlichen Versammlung der biefigen Buchdruck-Maschinenmeister beshlossen, dem von München und Wien ausgehenden Vorschlag, einen Maschinenmeister- Verband für Deutschland, mit dem Sie in Berlin, zu gründen, nicht beizutreten, sondern zu erklären, daß die bestehende Orga- nisation des Budruckgewerbes, der „Unterstüßungsverein Deutscher Buchdrucer“, vollkommen im Stande sei, die Interessen seiner Mit- glieder zu wahren. Die Drechslergehülfen und verwandten Beruf8genosscn Leipzigs beschlossen, wle das „Chemn. Tgbl.“ berihtet, in einer Versammlung am Montag, die am 30. Vêärz d. I. in Halle a. S. stattfindende Generalversammlung des Nerbandes der Drechsler Deutschlands, die sich in der Hauptsache mit der Organisationéfrage beschäftigen wird, zu bescicken und dieser Generalversammlung den Vorschlag der sozialdemokratishen Reichstagsfraktion, den ersten Sonntag im Mai als allgemeinen Arbeiterfeiertag zu begehen, zur Annahme zu empfehlen,

Einem Londoner Telegramm des „Wolff hen Bureaus“ zufolge kam es nah Meldungen aus Durham heute anläßlich der gerihtlihen Ausweisung von fstrikenden Kohlen- grubenarbeitern der Grube Silksworth aus den von dem Grubenbesißer Marquis Londonderry erbauten Arbeiter- wobnungen zu Ruhestörungen. Gegen die Polizeimann-

Berlin, Donnerstag, den 26. Februar

\chaften,.w che mit Stöten gegen die Ruhestörer eins{ritten, wurden Ct geschleudert. Mehrere Personen wurden, zum Theil erheblich, erlett.

us Lyon wird telegraphis® gemeldet, daß fast sämmtliche Arbeiter der dortigen Glasfabriken in den angekündigten Strike eingetreten sind, da die vor vierzehn Tagen von ibnen geforderte Lohnerhöhung nicht zugestanden wurde.

Aus Brisbane batte die Londoner „Allg. Corr.* unter dem 22. d. M. gemeldet, daß in Clermont eine 180 Marn starke be- waffnete Schaar erwartet werde, welhe von dem Queenslander Gewerkverein der Scheerer abgesandt wurde, um die aus Melboucne importirten „freien“ Arbeiter des Auftra lischen Heer denbesizervereins zur Niederlegung der Arbeit zu zwingen. Unter dem 24. d. M. wird nun weiter berichtet, daß 500 bewaffnete, dem Gewerkverein angehörige Shafscheerer in der Nähe von Clermont eingetroffen sind. Da jedoch 400 Mann Polizei uad Militär in der Gegend stehen, so werden kaum Ruhestörungen vorkommen. Die Behörden haben die Schafscheerer aufgefordert, ihre Waffen abzuliefern. Zur Sachfsengängerei Die Satbsengängerei eint im kom- menden Frübjabr einen besonders großen Umfang annehmen zu follen. So wird aus dem Kreise Namslau berichtet, daß in der Gegend von Reihthal nit blos Arbeiter, sondern sogar Hausbesizer und Handwerksmecister - ich anwerben lassen, gewissenlose Eltern geben zu, daß ihre kaum der Schule entwadsenen Töchter in die Ferne ziehen. Ebenso wird aus dem Kreise Falkenberg dem „Landwirt“ geshrieben, daß dort aus Dörfern, die bisher von der Wapderseue noch nicht anzesteckt waren, cine große Anzahl Arbeiter und Arbeiterinnen durch Agenten geworben worden find, um, sobald das Scheiden des Winters Feldarbeit gestattet, nah Sasen zu ziehen. Es eröffnet ih dadurch eine trübe Aussicht für alle die, welche Forstkulturen zu machen haben; da im Walde noch an zwei Fuß vereisten Schnees liegen, fo ift augenblickli% an eine Pflanzung nit zu denkey, und wenn die Witterung ‘endli die Pflanzenarbeit gestatten wird, muß sie aus Arbeitermangel unterbleiben. Eine Vernahlässigung in der Aufforftung ist aber niht nur éin privater eer des Forstbesizers, fordern eine Schädigung des National- wodles.

Kunft und Wiffenschaft.

Ueber sein neues Heilmittel gegen Tuberkulose hielt gestern Abend Professor Oscar Liebreich in der Medi- zinishen Gesellshaft einen Vortraa, worin er über dasselbe nähere Mittheilungen machte. Wir entnehmen darüber der „National- Ztg.“ folgenden Bericht :

„Das Heilmittel besteht in kantbaridinsaurem Kali resv. Natron, d. i. eine Lösung von Kantharidin der bekannten, aus der spanischen Fliege gewonnenen krystallinishen Substanz in Kali oder Natron, und wird, wie das Koch {he Tuberkulin, auf dem Rücken unter die Haut eingesprizt. Mit begreifliher Spannung batte man in der ärztliGen Welt dem Liebreich'sben Vortrage ent- gegengesehen; das bewies der übervolle Sitzungssaal, in welchem \ih etwa 200 Aerzte Kopf an Kopf drängten, das bewies ferner die An- wesenbeit des Geheimen Ober- Regierungs-Raths Dr. Althoff vom Kultus - Ministerium. In seinem Vortrage ging Professor Liebreih von seiner größten Entdeckung, der dcs Cfloralbydrats als Sclafmittel, aus und erirnerte daran, daß er {on damals den Wunsch aus- gesprochen habe, es möôze jede Arzneimittel-Untersuung mit chemis{en Untersuchungen beginnen, eine vbvysiologishe Prüfung folgen und dann am Krankenbett beobahtet werden, ob die theoretishen Voraus- sezungen sh bestätigen, Neben dieser chemis{chen Methode der phar- makologishen Untersuhurgen kommen indcfsen auch noch andere Prinzipien der Forschung in Betrat, wie die Entdeckung des La- rolín, durch welches das bis daßin nahezu verachtete Gebiet der Salbenanwendung auf eine wissenschaftlihe Basis erhoben wurde, ferner die Untersubungen der Desinfektionsmittel durch Robert Ko u. A. be- wiesen. Andererseits hatte Ko's Entdecku1ng des Tuberkelbacillus neue Hoffnungen erweckt, daß nämlich jene von Pasteur für die Gährung nachgewiesene Erscheinung, won2ch die von den Mikro- organismen gebildeten Stoffe ihien selber Vernichtung bringen, au für die Heilkunde verwerthet werden könnte. Allerdings waltet dabei die große Schwierigkeit ob, taß die von den Bakterien produzirten Stoffe hochgradig giftig sind. Günstiger stehe es da- gegen um die Bestrebungen, dur abgeschwächte Kulturen heilbringend zu wirken. Bei seinen Untersuhungen über die \chmerzstillenden Mittel hat sh der Vortragende auch mit dem Kantharidin, der von Alters her bekannten, aus den spanischen Fliegen gewonnenen Substanz beschäftigt, deren stark reizende, blasenzießende Wirkung wohl Ieder fennt. Als er nun die Wirkung des Koch'scen Tuberkulins an einem Lupuskranken beobachtete, fiel ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit der Wirkung des Kantbaridin auf, dem er nunmebr seine besondere Aufmerksamkeit widmete. An die Kanthariden knüpfen si von Alters ber vortreflihe Heilberichte, aber man hat auch sehr unangenehme Nebenwirkungen derselben beobachtet, weil bei der früberen ungenauen Art der irnerliben Verabrei{hung Magen und Darm sie nit vertragen fonnten. Um sie für den mens&lien Organismus nun do erträglih zu machen, versuchte Liebreich hier cine neue Art der Anwendung in Form von subkutanen Injektionen (Einsprißungen unter die Haut). Um dies zu ermöglichen, mußte vorerst eine geeignete Lsung des Kantharidin hergest:llt werden, und dau wurde die geringste Menge von Kali resp. Natron benußt, welche für eine aeetanete Arzneilösung nöthig is. Hiermit wurden zunächst im Pharmakologishen Institut Thierversuche angestellt und, nach- dem damit die Ungefährlihkeit der Lösung festgestellt war, zu B:rsuhen an Menschen übergegangen. Der erste Versu wurde an einem fünfzigjährigen Vêanne unternommen, der an einer Geschwulst der Speiseröbre litt und zwar wurde ‘ihm der fünfzigsten Theil eines Milligramms eingespißt, worauf er soglei eine Erleiterung seines Leidens verspürte. Dann wurden die Versuche im Augusta - Hospital auf der Abtheilung?des Professors Ewald, im Friedrichshain - Krankenhause auf der Abtheilung des Professors Hahn und anz Privatpatienten des Dr. Landgraf fort- geselzt. Die Injektionen waren \chmerzlos, es zeigie fich keine stôrende Nebenwirkung und, die Leidenden besserten sich auf- fallend schnell. Allerdings wurde mit minimalen Dosen von einem Zehntel Milligramm begonnen und nur allmählich bis auf sechs Zehntel gesteigert. Bei größeren Dosen kann zuweilen Nierenreizung eintreten , doh ist ein folher Zustand nit besonders zu fürchten, weil derselbe durch geeignete Behandlung bald rückgängig gemacht werden kann, sodaß der Körper keinen dauernden Nachtheil erleidet. Die überrashende Heilwirkung des Mittels erklärt si{ch der Vortragende o, daß dasselbe, in minimalen Dosen gegeben, den gesunden Körper nit beeinflußt ; sobald aber an einer Stelie eine Blutgefäßwand h nicht in normalem Zustande, in Entzündung oder Eiterung befindet, dann wirkt es reizend auf dieselbe ein; es erfolgt dort ein Ausguß, eine Transsudation von Blutserum, durch welhe die Bakterien ver- nihtet oder das kranke Gewebe in einen besseren Ernährungs- zustand verseßt wird, vermöge dessen die Bakterien nicht weiter gedeihen können, Bisher ift das Mittel nur noch bei

1891.

| Kehlkopfpatienten des Prof. B. Fränkel und des Dr. Paul Heymann

mit bestem Erfolge versucht worden. Ob es auch bei der Tuber- fulose arderer Orçcanr wirksam if, müssen weitere Beobachtungen zeigen. Das Mittel wirkt aber nit allein bei Tuberkulose des Keblkopfes, sondern avch bei chronischen Katarrhen, An- \chwellungen der Stimmbänder 2c. Prof. Liebrei verwahrte ib dagegen, daß sein Mittel ein Spezifikum sei, sondern betonte nur dessen Heilwirkung bei Kehlkopfleiden, soweit die biéherigen Versuche es ergeben haben.

Das Rezept, nab welHem das Mittel bereitet wird, lautet : 0,2 g Kantharidin und 0,4 g Kalibvdrat (resp. dafür 0,3 s Natron- bvdrat) werden auf das Geraueste abzewogen und in einem 1000 cem Maßkolben mit etwa 20 cem Wassir im Wasserbade erwärmt, bis flare Lösung erfolgt. Dann wird ganz aümählich unter fort- dauerndem Erwärmen bis ungefähr zur Marke Wasser zugeseßt und (e nach dem Erkalten genau bis zu einem Liter Wasser auf- gefullt.

Dr. Paul Heymann, wezlcher seit dem 30. Januar das Lieb- reich'’sche Mittel an 28 ambulanten Patienten angewendet hat, be- rihtete sodann eingehend über séine Erfahrungen, unter Vorstellung der betreffenden Kranken. Von den 28 Patienten heiden vorläufig 11 wegen zu kurzer Bebandlungsdauer aus; von den übrigzn 17 [litten 11 an Tuberkulose des Keblkopfes und der Lungen, 6 an {weren Kehlkopf- Katarrhen. Kranke, wehe zu Beginn der Behandlung vollständig stimmlos waren, konnten nah wenigen Einsprißungen wieder sprechen, ibr Leiden bcßerte ch in überraswend schneller Zeit, auch das Allgemeinbefinden bob si, und selbs tas Lungenleiden \ch{ien in einz:lnen Fällen nazulaîssen. Ein Fall ift geheilt, von den anderen fann bei der Kürze der Behandlung nur von einer deutlien Besserung gesprochen werden. Als Vorzug des Liebreib’\{en Mittels konstatirte Dr. Heymann, daß es dur®baus ungefährlih ist, sehr gut vertragen wird und daß die Kranken während der Behandlung ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nacbgehen können. Professor B. Fränkel stellte etwa ein halbes Dußend Patienten vor und berihtete über glei er- freulihe Erfolge. Derselbe kat sein besonderes Augenmerk auf die Unteriubung der Bacillen gerichtet und gefunden, daß sie unter der Einwirkung des Mittels \pärliher, magerer und dünner werden. Zum Stwhluß berichtete Dr. Guttmann über einen Fall von tuber- fulöfer Augenerkrankung, der durch das Liebreih'\he Mittel bedeutend gebessert worden ift.“

Das Wolff'she Telegraphenbureau verbreitet ferner fol- gende Mitth-ilung über das Liebreih'she Mittel: Es scheint, daß niht nur bei der Tuberkulose, sondern auch bei anderen Infektionen das Mittel, in richtiger Weise benußt, einen beilenden Einfluß ausübt. Eine große Reihe sorgfältiger Beobachtungen wird erforderlih sein, um dem Mittel, dessen Wirksamkeit außer Zweifel steßt, die rihtige Stellung im Arzneishay anzuweisen. Nach Liebreich's Erklärung ijt er vor Sthluß feiner Untersuchungen gezwungzn worden, Alles mitzutheilen; er hofft, daß bei gemeinsamer Arbeit aller Aerzte

dem Mittel bald die richtige Stellung gegeben wird. Die Versuche mit dem Mittel werden bei Hautkcankheiten und Tuberkulose sofort in Angriff genommen werden. Von

Seiten des Kultus-Ministers von Goßler ist auch dieser Ent- deckung volle Aufmerksamkeit und Stütze zu Theil geworden.

Der Ueberseter der sämmtlihen Werke des portugiesischen Dichters Luis de Camoens und dessen Lebensbeshreiber Herr Geheimer Regierungs-Rath Dr. Wilhelm Storck, Professor an der König- liden Akademie zu Münster ist nach dem „Westf. Volksbl.“ Anfangs diescs Monats von der Königlihen Akademie der Wifserschaften zu Lissabon einstimmig zum fkorrespondirenden Mitgliede ernannt worden.

In der Sitzung der französishen Akademie der Wissenschaften vom 16, Februar theilte Hr. Milne-Edwards einen Berit des Hrn. Colin über die Einwirkung außer- ordentlicher Kältegrade auf die Hausthiere mit. Nah demselben bat das Kaninchen, dessen geringe Körpermasse an- \cheinend am Schnellsten von der Kälte durchdrungen werden müßte, die größte Widerstandéfähigkeit dagegen. Ausgewacbsene Kaninchen, welde in eisernen Käfigen, an Bäumen oder auf Schneebhaufen 5 oder 6 Tage lang einer Kälte von 109 bis 159 C. ausgesetzt wurden, ver- loren nicht mehr als ein und einige Zehntel Grad von ibrer inneren Wärme, andere, welhe von Ende November bis Ende Januar in auf der einen Seite vollständig offenen Hütten einer Kälte von 10° bis zu 20° und selbst 259 ausgeseßt waren, blieben voll- ständig gesund. Solche, welhe cinen Tag und eine Nacht in Eis- blôcke eingepackt wurden, die den Körper von allen Seiten be- rübrten, behielten eine gleihe innere Temperatur, wie die in Käfigen der Kälte ausgeseßten, obsdon die Temperatur der Ohren und Füße um 129 159 und sogar 20° sank. Rach dem Kaninchen zeigen Schafe die größte Widerstandskraft, vorauêgeseut, daß die Wolle vor Näfse geschüßt worden war. Nach den fkältesten Nächten zeigte die innere Wärme nahezu eine normaleHöhe, und unmittelbar unter der mit Wolle be- deckten Haut ergaben si 36° bis 379. Schweine zeigten fast die gleiche Widerstandsfähigkeit. Ihre Hauttemperatur erhielt fih in der Mehr- zahl der Fälle auf 34° bis 35%. Ihnen folgen die Hunde, welche nach einer im Freien auf gefrorenem Boden verbrahten Naht, un- geaHtet starken Zitterns, nur eine Abnahme der inneren Temperatur um 19° oder 209 aufwiesen. Bei den Einhufern zeigte h die größte Emvfindli&keit. Bei den obea erwähnten Kältegraden sank die Temperatur der Haut bei langbehaarten Thieren um 6°, 89 und 10 9, bei denen mit kurzen Haaren um 109 bis 129. Hühner und Truthühbner zeigten si fast ganz unempfindlih gegen die Kälte, wenn das Gefieder trocken war; nur wurde das Eierlegen um eine oder zwei Wocben verzögerk.

Aus Cannes meldet ,„W. T. B": Die Aerzte Dr. Bertin, Pick und Roustan nahmen gestern Versuche mit Transfusion von Ziegenblut vor und erzielten damit sehr günstige Resultate.

Das Comité für die Errichtung eines Denkmals für Meissonier hat nah einer Meldung des „W. T. B.“ den Herzog von Aumale zum Ehren-Präsidenten und Jules Simon zum Prâäsi- denten gewählt.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrung8- Maßregeln. Paris, 25. Februar. (W. T. B.) Der Gouverneur des Senegalgebiets telegraphirt, im Senegalgebiet sei kein Fall von gelbem Fieber vorgekommen.

Handel und Gewerbe,

Die Zulassung des Auslands zu der in Nr. 39 des „Reihs-Anzeigers“ vom 13. d. M. erwähnten Thon- und Asphalt - Stein- und Cement - Ausstellung in Budapest ist nahträglih auf folgende Gruppen ausgedehnt

worden : 6 : Thonindustrie.

A. Zu Zwecken derselben dienende Roh- materialien: 1) Thon (plastishe Substanzen). 2) Un-

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