1911 / 16 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 19 Jan 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Dr. Dahlem (Zentr.) befürwortet die von seiner Partei ge- stellten Abänderungsanträge zu Ziffer 3 im Interesse des Mittelstandes. Abg. Binder (Soz.) weist darauf hin, daß {on in der Kom- mission 27 Abschwächungsanträge gestellt wurden. Durch die Fassung der Kommission habe die Vorlage eine Gestalt erhalten, durch die sih niemand mehr hindurchfinden könne. Jeder einzelne Interessent wolle seine Sonderinteressen in dem Geseß zur Geltung bringen ; daher die vielen Ausnahmen ; bei der Finanzreform habe man so zarte Rücksichten auf die Steuerzahler nicht genommen. Der Appell an die kleinen Leute werde den Antragstellern draußen im Volke nichts nüzen ; den unverdienten Gewinn müsse jeder versteuern, der Landesfürst o gut wie der Arbeiter. Das Geseß sei von Freunden der Regierung in einer Weise verunstaltet worden, daß der Staats- sckretär daran feine Freudè haben werde. An diesen Operationen der Antragsteller werde das Gefeß sterben. Seine Freunde be- antragen, die Ziffern 3 und 4 zu streihen und die Regierungsvorlage wieder herzustellen. _ Abg. Cuno empfiehlt die von ihm gestellten Anträge und be- kämpft den Antrag Müller-Fulda zu Ziffer 3, der in vielen Fällen dem kleinen Handwerker {aden würde.

Staatssekretär des Reichsshaßzamts Wermuth:

Meine Herren! Ich lege den größten Wert darauf, \chon hier festzustellen, daß ih den Antrag des Herrn Abg. Cuno auf 603 unter Ziffer 2a und einen ähnlichen Antrag des Herrn Abg. Dr. Weber auf 616 unter -Ziffer. 2-þ, Anträge, die dahin gehen, daß auch die- jenigen Aufwendungen und Bauten angerechnet werden sollen, welche nit mehr vorhanden find, daß ich diese Anträge mit dem Prinzip des Gesetzes für absolut unvereinbar und für die Wirkung des Gesetzes, und zwar ohne Not, für so \{ädlich halte, daß ich Sie dringend bitte, diesen Anträgen nit stattgeben zu wollen. Würden Sie diese Anträge gutheißen, so würden Sie das Prinzip des Gesetzes vollständig verlassen und in eine persönlißhe Vermögenssteuer hineingeraten. Wenn \ich der Wertzuwahs nach dem Zeit- punkt der Veräußerung bemißt, so muß das auh be- züglih der Aufwendungen gelten, die auf den Wert- zuwachs angerechnet werden. Es is ganz unmögli, alle die vfonomis{en Vorgänge, die inzwishen seit dem Erwerb in der Zwischenzeit zwishen Erwerb und Veräußerung eingetreten sind, jeßt nahträglich noch zu berücksihtigen. Ganz vereinzelte Härten und Ungleichmäßigkeiten, die hier besonders geschildert zu werden pflegen, können vorkommen. Aber in der überwiegenden Zahbl der Fälle ist die Aufwendung, der das Grundstück unterzogen ift, in normaler Weise ausgenutt; sie ist deshalb entweder beseitigt oder durch einen anderen Bau erfeßt, oder abgeshrieben. Es würde auch ökonomisch völlig ungerehtfertigt sein, nunmehr dem Betreffenden noch nahh- träglih zu gestatten, daß er alles, was er in der Vergangenheit getan hat, was er selbst beseitigt, was er amortisiert hat, jegt noch anzurechnen und dadurch die Erträge der Zuwachssteuer in einer überaus weitgebenden, gar nicht berehenbaren Weise zu beeinträthtigen. Ich bitte Sie dringend, meine Herren, diesem Antrag nicht Folge geben zu wollen.

Abg. Weber (nl.) tritt für seine Anträge ein und bittet das Zentrum, in seinem Antrag statt 10%/9 15 9% zu sagen. Der Antrag Carmer, die Geshäfts\pefen zu berücksichtigen, geht zu weit. Dem Abg. Binder müsse er erwidern, daß es si bier um eine ganz neue Materie handle, und daß man bei einem solhen Gefeße auch die kleinen Leute berücsihtigen und ihnen das Geschäft erleihtern müsse. Die Welt bestehe doch nit bloß aus Terraingesellschaften und Spekulanten, man dürfe doch nit ohne weiteres jeden Hausbesiter für einen Verbrecher halfen.

Abg. Vogel (nl.) befürwortet den nationalliberalen Antrag in bezug auf die bergmännnishen Versuhs- und Ausrihtungsarbeiten.

_ Unterstaatssefretär im Reichsshaßzamt Kühn bält diesen Antrag für bedenklih, ebenfo die Erhöhung der 10 auf 15 Jahre. Gegen den Antrag Cuno zu Ziffer 2 spräche, daß es sih sehr {wer feststellen lasse, ob dem Veräußerer bei dem Erwerbe eines Gläubigerrechtes die Einleitung der Zwangsversteigerung nit bekannt war.

__ Abg. Dr. Noef i cke (dkons.) begründet einen Antrag, wona für den Fall der Annabme des Antrags Müller - Fulda unter a diesem am Schluß die Worte hinzugefügt werden follen: „die nicht aus\{licßli aus Baugewerbetreibenden oder Bauhandwerkern be- steben".

Jn der Abstimmung gelangen die Anträge Müller-Fulda und Roesicke zur Annahme, außerdem wird der Saß von Mm - -— F , .. . E ..

10 Prozent auf 15 Prozent erhöht. Die übrigen Anträge werden abgelehnt, der Antrag Graf Carmer zurückgezogen. S 10 wird mit diesen Veränderungen angenommen.

§ 10a der Kommissionsvorschläge lautet :

Soweit es si um die Verbesserung von Flächen handelt, die aus Moorland, Sumpfland, Oed- oder Heideland bestehen, ist auf Antrag des Veräußerers an Stelle der in § 10 Ziffer 3 bezeichneten Aufwendungen dem Erwerbspreis die Erhöhung des Ertragswertes hinzuzurehnen.

Hierzu beantragen die Abgg. Graf Carmer-Zieserwiß und Genossen (dkons.) folgenden neuen Absaß:

„Dem Erwerbspreis sind Aufwendungen der in § 10 Ziffer 3

bezeichneten Art au dann hinzuzurechnen, wenn sie an sich der laufenden Unterbaltung dienen, aber dadur notwendig geworden sind, daß fie in der Zeit vor dem leßten steuerpflihtigen Rechts- vorgang von einem Besißvorgänger unterlassen worden find.“ ___ Abg. Graf von Westarp (dkons.) begründet den Antrag, zieht ihn jedo, da sich Unterstaatssekretàr h n und die Abgg. Dr. Weber, h Südektum und Cuno dagegen aussprechen, für jet zutüdck. S 10a wird hierauf in der Kommissionsfassung an- genommen.

Um 62/4 Uhr wird die Fortsezung der Beratung auf Donnerstag, 1 Uhr, vertagt.

Gy e Le

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 6. Sißung vom 18. Januar 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung, in der die erste Be- ratung des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1911 und des Entwurfs eines Anleihegesetes fortgeseßt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf die daselbst im Auszuge wiedergegebenen Ausfülungen des Abg. von Dewitz (freikons.) entgegnet der

B

Finanzminister Dr. Lenßze:

Meine Herren! Es find sehr wichtige und bedeutsame Probleme, welche der Herr Abg. von Dewitz soeben näher erörtert hat.

Er hat sih zunächst vertieft in die Besprehung einer Neugestaltung unseres Steuersvystems und hat darauf hingewiesen, daß es unbillig

Steuerquelle besitze, deren Heranzichung fehr viel eber berechtigt sei. Der Herr Abg. von Dewih hat hierzu folgendes gesagt: Durdl» die Zuschläge, welche in der leßten Novelle zu unserer Einkommensteuer beschlossen worden sind, werden vorwiegend diejenigen getroffen, welche von der Steuer verschont werden müßten, nämlich der Mittelstand, und es sei erwünsht, daß der Mittelstand eine Entlastung erfahre; wenn in Zukunft die bisher beshchlossenen Zuschläge in das Gesetz hineingearbeitet würden, würden die Gemeinden das Recht erlangen, hiervon die Kommunalsieuerzuschläge zu erheben, und es würde dadur eine sehr starke Belastung aller Steuerzahler in den Kommunen eintreten.

Meine Herren, daß die Gemeinden das Recht erlangen würden, dann au die Zuschläge von den neuen staatlihen Einkommensteuer- sätzen zu erheben, das gebe ih zu; ich kann aber nicht ohne weiteres zugeben, daß auch die Wirkung eintritt, welhe der Herr Abg. von Dewiß in Aussicht gestellt hat. Die Gemeinden leiden zurzeit durchweg Not; fie haben für ihre eigenen Gemeindebedürfnisse, zum großen Teil auch dadur, daß die Staats- und Reichsgesezgebung ihnen neue Lasten auferlegt haben, sfolhe Summen aufzubringen, daß sie niht wissen, woher sie die Mittel nehmen sollen. (Sehr richtig!) Sie haben bisher diese Mittel durch Zuschläge zur Einkommensteuer beschaffen müssen. Nach der Novelle ist thnen versagt, Zuschläge auf die staatlihen Zuschläge zu nehmen: deéhalb mußten sie die Zuschläge zu den bisherigen staatlichen Steuersäßen erhöhen. Es ist also den Steuerzahlern in der einzelnen Gemeinde auch biéher der kommunale Zuschlag zu dem durch die Novelle eingeführten staatlihen Zuschlag nicht erspart worden, sondern er ist nur etwas anders umgelegt, nah meiner Kenntnis der Dinge fogar in einer Weise, die die unteren Steuerstufen stärker trifft, als es der Fall sein würde, wenn den Ge- meinden gestattet würde, Zuschläge zu den staatlihen Zuschlägen zu erheben. :

Meine Herren, die Kommunen erheben bekanntlich ihre Steuer- zuschläge hon von dem Einkommen von 420 oder 660 M, mindestens aber von 900 4; die staatlichen setzen aber erst etwas höher ein, und infolgedessen müssen die erhöhten Kommunalzuschläge, um den Bedarf zu decken, von dem niederen Steuersaß an miterhoben werden. Ich glaube deshalb, daß eine Minderbelastung für die einzelnen Steuerzahler in den Kommunen nach dem Vorschlage des Herrn Abg. von Dewitz nicht eintreten würde.

Nun könnte mir erwidert werden: wenn die Gemeinden mal irgend etwas an Einnahmen haben, werden sie das auch nicht wieder herausgeben; wenn sie also dur die bisherigen Zuschläge bei Zu- grundelegung der \taatliden neuen Steuersfäße mehr bekommen, dann werden sie es auch behalten. Da kann tch aus eigener Erfahrung sagen, daß die Gemeindevertretungen doch sehr aufpassen und nicht zulassen, daß die Stadtverwaltungen und Gemeindeverwaltungen sich mehr Mittel bewilligen lassen, als tatsächlich erforderlich sind. Ich möchte an einem praktishen Beispiel die Frage erläutern. Es ist nah den bisherigen Säßen notwendig, daß eine Kommune, ih will mal sagen, 180 9/5 Zuschläge zur Einkommen- steuer erhebt. Dadurch daß in ein neues Steuergeseßz die staatlichen Zuschläge hbineingearbeitet werden, bringen in Zukunft die Zuschläge von 180 % ganz erbeblich mehr Reineinnahmen. Dann wird die Gemeindevertretung fofort dafür sorgen, daß in Zukunft niht 180 °/ erhoben werden, sondern fie wird darauf drücken, daß mit den Zu- {lägen beruntergegangen wird. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestimmt sagen. Wenn es etwa in dem ersten Jahre niht ges{ehen sollte, fo wird doch sofort im folgenden Iahre, sobald es sih heraus- stellt, auch da für Herabseßung der Zuschläge gesorgt werden. Ich glaube also nit, daß dieser Grund dazu zwingen müßte, dazu über- zugehen, die Zuschläge nit in das Gesetz hineinzuarbeiten.

Meine Herren, die andere Frage, ob die Vermögenssteuer anders auëgestaltet werden müsse, bedarf einer fehr gründlihen Prüfung. Ich möchte mir erlauben, hier heute nicht näher darauf einzugehen, weil das eine schr weit tragende und s{hwierige Frage ist. (Sehr richtig !) Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Ausführungen des Herrn Abg. von Dewitz dazu zwingen würden, den Kommunen das Necht zu geben, Zuschläge zur Vermögensstêuer zu erheben, ein Recht, das sie bisher niht besißen. Herr Abg. von Dewitz meinte, es müßten die Steuerzahler gegenüber dem Steuerrecht der Kommunen etwas entlastet werden, und diese Entlastung wollte er dur eine stärkere Heranziehung zur Vermögenssteuer herbeiführen. Es müßte also den Kommunen das Recht verlieheu werden, Zuschläge zur Vermögens- steuer zu erheben. Dieses Recht besteht bisher niht, und ih glaube nicht, daß diejes Recht jemals verliehen werden kann.

Dann ist Herr von Dewitz auf ein anderes, sehr \{chwieriges und großes Problem eingegangen: die Besserung des Kurss\tandes unscrer Staatsanleihen. Meine Herren, es wird von uns allen an- erkannt, daß es sehr betrübend {ff, taß unsere Staats- anleiben nicht den Kurs besißen, den sie ihrer Sicherheit halber haben müßten und den wir im Interesse unserer Staats- fiuanzen wünschen müßten. Es sind da die allerverschiedenartigsten Mittel und Wege angedeutet worden, und neuerdings hat \ich die Literatur, sowohl in der Presse wie in Monographien, sehr lebhaft mit der Frage befaßt. Herr von Dewiß hat zunächst darauf hin- gewiesen, daß wahrscheinlich bei der Finanzverwaltung insofern nit rihtig verfahren werde, als in Höhe derjenigen Beträge, welche für die Amortisation bestimmt seien, nicht die Einlösung von Anleihen in natura erfolge, sondern diefe zur Amortisierung bestimmten Be- träge von den neuen Krediten abgeschrieben würden. Meine Herren, ih gebe zu, daß früber in dieser Weise verfahren worden ist: es ist aber seit einigen Jahren eine andere Praxis eingetreten, wonach der Betrag, der zur Amortisation verwendet werden soll, auf dem Markt angekauft wird, sodaß auf dem Markte cin Käufer für diese Beträge erscheint. Außerdem hat die Königliche Sechandlung wiederholt, um den Kurs zu halten, Käufe vorgenommen, welche außerhalb der Amortisation lagen. Der Erfolg hat sih ja auch geltend gemacht; wenn es sih zeigte, daß die Kurse zu stark sinken wollten, konnte dies aufgehalten werden.

Nun meinte Herr von Dewiß, es sei doch sehr erwünscht, daß ein neuer Anleibetyp eingeführt würde, daß wir eine zu pari aus- losbare Anleihe s{chüfen, und glaubte, daß man auf dem Wege es tun müsse, daß ein Einheitstyp den er mit dem 33 prozentigen als solchen binstellte geschaffen und daß dieser dann regelmäßig aus- gelost würde. Meine Herren, der Zweck, welchen wir verfolgen, ist doch der, daß wir für unsere Anleihen eine Nachfrage schaffen, daß

- . , , e + - , j , -—.- - . . . sei, in der bisherigen Form bei der Einkommensteuer Erhöhungen / wir uns regelmäßige Käufer suhen und dadurch den Preis in der

stattfinden zu lassen, während man in der Ergänzungssteuer eine ergiebige | Höbe erbalten wollen. Meine* Herren, von den Anleihen, welche wir

bis dahin besitzen, sind die 3prozentigen die am meisten gefragten,

jedenfalls viel mehr gefragt- als. die 3} prozentigen. Wenn wir also die 3 prozentigen Anleihen auf den Zinsfuß der 3F prozentigen in dic Höhe brächten, dann würde zweifellos insofern ein Bedürfnis nicht erfüllt; es würde nur der Vorausseßung zenügt, daß wir dann den Einheitstyp hätten, welcher gleihmäßig mit in die Amertisatione cin- bezogen werden fann.

Herr von Dewitz hat gemeint, der Einheitstyp sollte dadur er- reicht werden, daß eine Hinaufkonvertierung vorgenommen würde, daß also der Staat, statt bisher 39/6, in Zukunft 359% Zinsen zu zahlen hätte. Das macht bei 1,6 Milliarden, welche der Staat an 3 pro- zentigen Anleihen bis dahin aufgelegt hat, eine jährlihe Mehrausgabe für Verzinsung von 8 Millionen Mark. Mit diesen 8 Millionen Mark muß der Staat unter allen Umständen rechnen. Demgegenüber steht dann die Erwartung, welche die Maßregel erfüllen foll: es foll der Kurs so in die Höhe gehen, daß tatsählich diese 8 Millionen Mark jährliGßer Mehraufwendung für den Staat wieder heraus- springen. Meine Herren, das ist natürlih eine Annahme; man kann es nicht wissen. Es ist aber doch höchst zweifelhaft, ob dadur tatsählich der Kurs in dieser Weise gesteigert werden kann. Meine Herren, es gibt auf dem Markte schon jeßt eine große Zahl mündel- sicherer Paptere, die ebenfalls ausgelost werden, für die ebenfalls eine jährliche Amortisation besteht, und diese mündelsiheren Papiere haben allefamt einen geringeren Kurs oder höchstens denselben Kurs, wie ihn unsere Staatsanleihen heute haben. Ob infolge der Auslosung bei der Staatsanleihe der Kurs erheblih steigen wird, das ist also sehr zweifelhaft meine Herren. Ih verweise auf die gesamten Kom- munalanleihen, welhe amortisierbar sind, und ih verweise auf die Rentenbriefe. Für die Nentenbriefe haftet außer der Staatsgarantie fogar noch das Immobiliarvermögen, und nichtsdestoweniger stehen die Rentenbriefe niedriger als unsere preußishen Staatsanleihen.

Also mit der Hoffnung, daß dur die Einführung der Auslosbar- keit tatsäGlich eine Kurssteigerung eintrete, kann man ohne weiteres nicht rechnen. Das wäre ein Experiment, und diesem Erperiment gegenüber stände die Verpflichtung des Staates, jährlich 8 Millionen Mark mehr für die Verzinsung derselben Anleihen aufzubringen.

Meine Herren, eine derartige Maßregel ist bis dahin auch noch in keinem anderen Lande vorgenommen worden; es würde das erste Mal sein, daß ein Staat dazu überginge, den Zinsfuß seiner eigenen Schulden in die Höbe zu seßen. Es ist niht unmögli, daß eine \olhe Maßregel im Auslande so aufgefaßt werden könnte, als ob der preußishe Staat dur seine {lechten Finanzen dazu gezwungen wäre. (Sehr ridtig! bei den Nationalliberalen.) Denn wenn ein Schuldner den Zinsfuß seiner Schulden in die Höhe seßt, so ist das im all- gemeinen kein gutes, sondern ein \{lechtes Zeihen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)

Zu der Amortisation möchte ich noch auf folgendes hinweisen, Ih persönlih bin jahrelang der Ansicht gewesen, das bekenne ih offen, daß unsere Staatsobligationen einen besseren Markt haben würden, wenn sie einer Amortisation durch Auslosung unterlägen. Durch eingehendes Studium habe ich mich aber davon überzeugt, daß ih auf einem Holzwege war. Meine Herren, diejenigen Anleihen, welche auslosbar sind, stehen nur gut, wenn nur noch wenige Stücke davon vorhanden sind, wenn also die Chance, daß man bei der Aus- losung berauskomme, groß ist. Sind dagegen viele Stücke vorhanden, ist die Chance gering, dann stehen diese Anleihen alle ziemlich tief. Fch hatte mir vorhin {on erlaubt, auf die einzelnen Kommunal- anleibhen hinzuweisen. Bei diesen ist es durchweg so, daß nur die- jenigen ziemli hohen Kurs haben, von denen nur noch wenige Stüde vorhanden sind, bei denen also die Chance des Gewinnes größer ist als bei den anderen Anleihen.

Dann stehen auch noch weitere Schwierigkeiten im Wege. Wir sind jahraus jahrein genötigt, Obligationen auszugeben. Bis dahin haben wir einen einheitlihen Typ, den Konsoltyp. Wenn wir nun in Zukunft zu einer amortisierbaren Anleihe übergehen, dann wäre die Frage: wollen wir bei diesem Typ bleiben oder wollen wir nicht dabei bleiben? Wollen wir jede einzelne neu aufzunehmende Anleibe besonders bezeichnen, und wollen wir fie in fich auslosen, oder wollen wir die gesamte Staats\{uld nach wie vor als einheitliche betraten und - einheitlich auslosen? Wenn wir die Anleihen jede für \ich nehmen, dann tritt natürlih allmäblich das ein, was ih vorhin als gewinnsteigernd bezeihnet habe, daß nämlich {on eine große Zabl von Stücken ausgelost ist und dadurch die Kurse in die Höhe gehen. Dieser Umstand würde aber auf der anderen Seite den großen Nach- teil haben, daß wir allmählich auf dem Kurszettel eine lange Liste von einzelnen preußishen Serien hätten, daß wir einen Kurszettel be- fämen, der auf die Dauer zu unübersihtlich und, ih glaube, auch im Lande sehr unbeliebt würde und daß wir dadur eine Zersplitterung von Angebot und Nachfrage auf dem Anleihemarkte berbeiführten, die nachteilig auf die Kurse wirken muß. Früher hat der preußische Staat eine folche Zersplitterung gehabt, und es ist dann erst 1869 dur das Konsolidationsgeset der einheitlihe große Staatstyp einge- führt worden. Wir würden also zu den Zuständen zurückehren, die wir früber gehabt und als nachteilig erkannt haben.

Würden wir aber, nun bei einer einheitlihen Staats\{uld bleiben, dann käme es natürlich darauf an, daß wir, wenn eine Aus- losung irgend welden Erfolg haben sollte, sehr viel stärker tilgen müßten als bisher. Wir haben bis dahin eine Jahrestilgung von knapp 60 Millionen. Bei einer Staats\{uld von über 9 Milliarden würde selbstverständlih eine Auslosung von 60 Millionen überhaupt gar feine fursfteigernde Wirkung haben können; denn die Chance für jeden einzelnen, bei der Auslosung heraus8zukommen, wäre sehr gering, es müßte also {hon eine sehr verstärkte Auslosung eintreten, um diese Chance herbeizuführen. Andererseits gibt es aber sehr viel Käufer für die Staatsanleihen im Lande, denen eine Auslosung un- bequem ist. Meine Herren, die Auslosung wird durchaus nicht ven allen verlangt. Das beweist auch die immer mehr zunehmende Be- nußung tes Staatsshuldbuches. Alle diejenigen, die sich in das Staats\chuldbuch haben eintragen lassen, wollen auch dauernd In- haber dieser Obligationen bleiben, sie wollen sich nicht um irgend etwas bekümmern; fie wollen nihts mit Auslosungen zu tun haben usw,

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Könuiglih Preußischen Staatsanzeiger.

(S{hluß aus der Ersten Beilage.)

Zie wollen die feste Skaatsrente beziehen, und diese ist ibnen durch die (Fintragung . im S{huldbuh am meisten gesichert. . Sobald also die Amortisation eingeführt würde, würde tas Staatss{huldbuch in ciner jetzigen Gestalt niht bestehen bleiben können; denn bei dem Staats- {uldbuch werden die einzelnen Obligationsnummern vernichtet ; die bleiben niht mehr. Wir haben es dann einfach nur mit einer Staats- huld zu tun, mit weiter nichts. Bekanntlich wird neuerdings eine Staatsschuld au eingetragen, ohne daß Obligationen mit überreicht werden: man kann durch Einzablung bei der Seehandlung ih sofort eine (intragung in das Staatsschuldbuch verschaffen.

Meine Herren, wie wenig auch durchweg die Ansicht vertreten ist, daß amortisierbare Schulden mehr Käufer haben würden und be- liebter im Lande sind, das beweist jeßt auch eine Neuemission, die in diefen Tagen herausgekommen ist. Im „Börsencourter“ vom 13. Januar 1911 ift eine Subskription auf 25 Millionen Mark 4 °/g tiger Pfandbriefe der Preußischen Zentral-Boden-Kredit-Aktien- gesellshaft bekannt gemaht. Sie werden aufgelegt mit der ausdrück- lichen, gesperrt gedruckten Angabe: „Eine Verlosung findet bei dieser Anleihe nit statt, ebenso wenig eine Rückzahlung innerhalb einer bestimmten Frist". Die Preußische Zentral-Boden-Kreditanstalt ist also offenbar der Ansicht, daß sie sich durch diesen Typ eine große Zahk von Kunden gewinnen wird, die sie sonst nit bekommen würde.

Man kann also niht durchweg sagen, daß eine auslosbare An- leibe beliebter ift und daß die Ausloëtbarkeit infolgedessen kurs\teigernd wirkt. Icdenfalls bestehen erheblihe Bedenken dagegen, daß man das Nisiko übernimmt, durch Heraufkonvertierung eine jährlide Schuld von 8 Millionen Mark an Schuldendienst auf sich zu laden. Außerdem muß ja auch jedesmal zu pari amortisiert werden, und eine Pari- amortisation erfordert natürli für den Staat höhere Opfer als ein Ankauf zum derzeitigen Kursstand. Ich glaube nit, daß, selbst wenn man ih ganz auf den Standpunkt des Herrn von Dewih stellt, der Kurs alsbald auf pari steigen wird, und somit würden für den Staat hier noch weitere Opfer entstehen. Wenn man alfo auf der einen Zeite Mehreinnahmen dadur {afen will, daß wir dur Ein- führung der neuen, zu pari amortisierbaren Obligationen einen besseren Kurs bekommen, so müßte man auf der anderen Seite do wenigstens die Gewißheit haben, daß die Opfer, die man dafür bringt, auch im Verhältnis zu dem stehen, was man damit erreichen will und errcihen wird. (Sehr rihtig!) Das aber, meine Herren, ist außer- ordentli zweifelhaft (sehr wahr! bei den Nationalliberalen), und ih glaube infolgedessen, daß die Anshauungen des Abg. Hérrn von Dewitz, so bestehend se auch sein mögen, in der Praxis doch faum auf Durch- führung renen können. (Sehr ritig! bei den Konservativen.)

Herr von Dewiß hat dann bemerkt, daß unsere Staatsanleihen auf dein Anleihemáärkt eine große Konkurrenz durch Obligationen er- fahren, die în dieser Form ceigentlich gar nicht auf dem Markt zu crschcinen hätten, nämlich Industrieobligationen. Es ift zutreffend, daß alljährliß ungeheure Summen an Industrieobligationen auf den Markt kommen, und daß se sämtlih eine staatliche Genehmigung nicht ‘erhalten Haben, dice Herr von Dewitz für erforderli bält. Herr von Dewitz cmpfall zugleich noch, diese Industrieobligationen einer

sonderen Couponsteuer zu unterwerfen. Meine Herren, ich will niht untersuden, ob die Industrieobligationen denen, welGe fie faufen, unter allen Umständen Schaden bringen; ich möchte aber doc) bemerken, daß: sie sid ganz offenbar als ein Bedürfnis für Handel und Gewerbe herausgestellt haben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen 1d Freikonservativen.) Denn sonst würden sie niht in fo großer Zahl vorhanden fein und auch nimmer einen so großen Käuferkreis finden. Ich halte es daher doch für sebr wichtig und notwendig, daß man, wenn man den Industrieobligattonen gegenüber irgendwelchße Maß- nahmen ergreifen will, das mit sehr s{onender Hand tut. (Sehr ridtig!)) Denn man soll si ni{t den Ast absägen, auf dem man ißt, und gerade Händel und Wandel, die Industrie bringen uns doch großen Einnahmen, deren wir bedürfen. (Sebr rihtig! bei den Nationalliberalen.)

Außerdem glaube ih au, daß der Staat eine große Verant- vortang übernehmen würde, wenn er die einzelnen Industrie- bligationen einer Prüfung unterwerfen wollte. (Sehr wahr!) Zu- bst stebt es noch dabin, ob der Staat überhaupt die geeigneten Organe besitzt, die cine richtige saWgemäße Prüfung vornehmen können.

Staat kann au die Verantwortung, die er dur eine folhe rüfung übernimmt, gar nit tragen; denn er hat ja gar keinen Einfluß darauf und gar keine Kontrolle darüber, wie das dur die ligationen beschaffte Geld hinterher verwendet wird. Wenn die Industrieobligationen zugelassen sind, dann ist gleihsam ein staatliches Plazet därauf gesetzt, und sie gelten dann für um so sicherer. Der Ztaat würde damit also einé sebr große Verantwortung auf si laden.

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würde sie wobl kaum eingeführt werden Tonnen: denn es ift

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direkte Steuer, welhe der Landesgesckßgebung vorbehalten is, und wie weit män da mit einer Besteuerung vorgehen känn, bedarf, wie ¡cesagt, au einer sehr gründlien Untersuhuñng. Die Folgen könnten 'onst verhängnibvoll sein. - Ich möchte infolgedesjen hier nur erklären 13 alle diese Fragen sebr gründlih geprüft werden müfsen, che man nâher auf sie eingekbt.

Dagegen bin i mit Herrn Abgeordneten von Dewiß vollständig der Meinung, daß; ter Staat unter allen Umständen einen steigenden Abnehmerkreis für seine Obligationen zu gewinnen suhen muß. Der Ztaat ist genötigt, alljährliß mehrere 100 Millionen auf den Anleibe- markt zu bringen, und ér muß für diefe Anleiben dann au einen festen Abnehmerkreis haben: sonst wird der Kurs sinken, weil der Preis 1h nach Angebot und Na(frage rihtet. IG bin mit Herrn Abg. von Dewitz èurchaus derselben Meinung, daß dazu in erstèr Reibe die Sparkassen mit berufen sind, Meine Herrén, ich bin selbs während tneiner

Berlin, Donnerstag, den 19. Januar

ganzen früheren Tätigkeit au im Dienste der Sparkassen mit tätig gewesen und fann es nur als eine absolut notwendige Maßregel be- zeidnen, daß dic Sparkassen einen größeren Teil ihrer Einlagen zum Ankauf mündelsiherer Staatspapiere verwenden müssen. (Sehr ridtig!)) Ih Halte es für höchst gefährlih, wenn die Sparkassen alles in Hypotheken anlegen (sehr rihtig!); denn einmal finden die Sparkaffen in vielen Gemeinden nicht immer die ri@tigen Hypotheken zu einem Zinsfuß, den fie gern haben, und sie werden dann dazu geführt, in andere Gegenden zu gehen und dort Hypotheken auszugeben, -deren Sicherheit sie niht so kontrollieren und beurteilen können, als in der eigenen Gemeinde. (Sehr richtig !) Auf der anderen Seite liegt darin für eine Sparkasse auch eine ziem- lie Gefahr, daß sie, wenn plößlich. größere Zahlungen für sie not- wendig werden, alle ihre Gelder festgelegt hat (sehr ritig !), denn sie weiß dann niht, wie sie die Mittel beschafen sfoll: die Hypotheken baben alle längere Kündigungsfristen. Darum müssen Sparkassen über bestimmte Beträge Staatsanleihen und müöndelsihere Papiere verfügen. Ich kann auch versichern, daß bei den meisten größeren Sparkassen dieselbe Ansicht besteht und auch viele kleißere diese An- sit vertreten. Denn man kann ih den großen Gefahren nit ver- s{ließen, dic die Anlegung der Sparkafsengelder lediglich in Hypotheken im Gefolge hat. (Sehr rihtig!)) Diejenigen Sparkassen, die sich dagegen sträuben, verkennen ihren eignen Vorteil. Die Sparkassen wollen fehr oft mit- einander Konkurrenz treiben, fie wollen sich gegenseitig die Sparer abjagen, und sie tun das nur dadur, daß die cine Sparkasse einen höheren Zinsfuß für die Spareinlagen bietet als die andere. Das ist ein sehr gefährlihes Unternehmen : denn da- dur wächst die Gefahr, taß die Spareinlagen nicht so sier angelegt werden, wie sie angelegt werden müßten (sehr richtig !), und wenn die Sparkassen ihre Einlagen -nit überall zu so hohem Zinsfuße anlegen können, wie fie bei Hypotheken erreihen, dann wird im allgemeinen ihre ganze Rechnungs- und Wirtschaftsführung solider, als wenn alles auf Hypotheken ausgegeben ist.

Herr von Dewitz hat dann darauf hingewiesen, daß auch die AktiengesellsGaften durch geseßgeberisWe Maßnahmen verpflichtet werden mödten, die gesetlihen Reservefonds in Staatspapieren an- zulegen, und ebenso hat er geglaubt, daß es notwendig sei, auch den Lebensrversicherunasgesellshaften und Überhaupt fämtli&en Ver- sicherungsge!ellshaften eine gleiche Verpflichtung gefeßlich aufzuerlegen. Meine Herren, dicse Frage unterliegt zurzeit ciner eingehenden Er- örterung und Beratung in den beteiligten Nefsorts: ih bin daher außer stande, mich näher darüber auszulassen. Ich muß aber Herrn von Dewitz durchaus zugeben, daß diesêh Bestrebungen ein fehr gesunder Gedanke - zugrunde liegt, und daß e an sh, ohne daß ich mich festlegen will, doch sehr erwünscht wäre, wenn au bei diesen Unternehmungen und GesellsGaften eine Pflicht bestände, ¡ährlich einen bestimmten Betrag ibrer Bestände în Staatsanleikben anzulegen.

Meine Herren, ih möchte dann noch auf die Ausführungen ein- gehen, die der Abg. Dr. Wiemer vor zwei Tagen gegenüber der Etats aufstellung gemacht hat. Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat erklärt, daß die Etatsaufstellung, wie sie bis dahin beliebt worden wäre, be- denklih fei. Er hat wörtlich gesagt :

Die allzuweit getriebene Vorsicht ist die größte Fehlerquelle unseres Etats,

und er hat mir zu gleicher Zeit empfohlen, ih möchte doch in Zukunft von diesem Grundsaß absehen und dazu übergehen, lieber den Etat

auf andere Grundlagen zu stellen.

Meine Herren, wenn, wie das die preußis{che Finanzverwaltung zu tun hat, fremde Gelder verwaltet werden, dann muß man andere Grund- säße anwenden, als wenn man sein eigenes Vermögen verwaltet. (Sebr richtig! rets.) Bei der Verwaltung des cigenen Vermögens trage id s{ließlih sclbst den Schaden und niemand anders, und ih bin infolgedesten in der Lage, überbliden, ob ih einmal etwas riékfieren will oder nicht. Wenn ih dagegen cine Finanzverwaltung fübre, von deren Maßnahmen ein ganzes Land mit betroffen wird, dann muß ih jedenfalls eine Vorsicht üben, die über die hinausgeht, die ih bei meinem eigenen Vermögen zu üben pflege. Jh muß alles

j

ausscheiden, was ein gewisses Risiko in sih trägt, was einen

V

Optimismus und Wagemut verrät. Cin gewisser Optimismus ist natürlih gar nicht zu entbehren: cin Wagemut darf aber meiner

Ansidßt na nicht sein. Denn der Wagemut kann auch, da die Zu- kunft dunkel - vor uns liegt, das Gegenteil ums{lagen und fich verbängnisvoll geltend machen.

Infolgedefsen stehe ih nickcht an, erklären, daß ih die bis- berige Finanzpolitik für cine durhaus gesunde gehalten habe und sie au noch heute balte, und daß id auc für meine Perfon bei Prüfung aller Fragen von ähnlißen Grundsäßen ausgehen werde, als es bis dabin der Fall gewesen ift. (Bravo! rets.)

Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat gesagt, die Finanzverwaltung wäre darauf aus, Plusmazherei betreiben. Meine Herren, kei unserem beutigen Etat, wie wir ihn hon seit langer Zeit haben, fann man do von ciner Plusmacherei nicht reden, wir haben eigent- li cine Minus8macherei (Zustimmung und Heiterkeit), und wenn die man das do nit gleich als Plusmacherei bezeihnen. (Sehr richtig !) Ib glaube, solange wir uns noch in Fehlbeträgen bewegen, dürfen wir nit von den bewährten Grundsäßen und Grundlagen abgehen, und da auf der anderen Seite noch sebr viele unsihere Faktoren im Staatsbausbalt enthalten sind, müssen wir au auf dem bisherigen Standvunkte und bei den bisherigen Prinzipien verbleiben.

Ich babe mir schon das vorige Mal auszuführen erlaubt, daß wir bei unserem Etat doch noch mit sehr unsicheren Zahlen renen müssen. Der Höclhstbetrag, den wir von der Eisenbähnverwaltung bekommen, cträgt 2,10 °/9 des ftatistis@en Anlagekapitals. Das ist der Höchst- betrag. Zum Glück ist die wirtschaftliche Lage ja derartig der Herr Abg. Schmieding hat das gestern sehr treffend ausgeführt —, daß wir bei- der Eifenbähnverwaltung mit wirklich größeren Ein-

1908.

nahmen zu rechnen haben. Solange wir das können, bekommen wir den Hölhstbetrag:; sobald aber wieder der Verkehr auf der Eisenbahn nachläßt, bekommen wir niht den Höchstbetrag, sondern entsprehend weniger, und. dieses Weniger muß dann wieder durch Beschränkung der Ausgaben und durch möglichs pflegliße Behandlung der Ein- nahmen ausgeglihen werden. Also, meine Herren, wir find zurzeit noch gar nit imstande, zu sagen, wir wären in einer so günstigen Finanzlage, daß wir an Plusmacherei überhaupt denken können.

Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat mir dann zum Vorwurf gemacht, daß ih die Kirhhoff\{Wen Pläne mit einer Handbewegung beiseite geschoben hätte. Meine Herren, es ist mir gar nicht eingefallen, die Kirhbhoff\s{chen Pläne mit einer Handb-wegung beiseite zu schieben; denn fie haben ja dieses hohe Haus wiederholt länger be- \häftigt und haben au für mich Veranlassung zu einem sehr ernsten Studium der Frage gegeben. Ich habe mir nur erlaubt zu sagen: ih wolle dieses Mal auf die Kirhhoffshen Pläne niht näher eingehen, weil der Herr Abg. Dr. Friedberg erklärt habe, er würde erst darauf zurückgreifen, wenn die Staatsregierung mit einer Erhöhung der Steuern kommen würde, und ih habe mir dann autdrüdälih vor- behalten: sobald es gewünscht werde, würde ih die Kirhhoffschen Pläne meinerseits au hier näher erörtern. Das kann man doch niht so ohne weiteres als ein Beiseiteshieben durch eine Hand- bewegung bezeihnen.

Meine Herren, ich will beute aber doch mit ein par Worten diese Frage streifen. In der neuesten Publikation, die Exzellenz Kirchhoff erlassen bat, \spricht er davon, daß das vorhandene Defizit für den Staat beseitigt werden könnte, wenn man seinen Plänen nachfolgte- wenn man alfo auf der einen Seite das Ertraordinarium der Eisen- babnverwaltung aus Anleihemitteln bestritte und auf der anderen Seite denjenigen Bedarf, welchen die Staatsverwaltung noch hätte, 18 den Einuahmen der Eisenbahnverwaltung ihr zuwiese: es würden dann noch ausreichende Mittel vorhanden fein, um den Ausgleihsfonds u füllen. Er hat dabei-aber noch eine Einschränkung gema@t, indem er binzugefügt hat, es müsse aber au der preußische Staat sich daran ge- wohnen, daß er in Zukunft keine Ausgaben macht, obne die nötige Deckung dafür zu besitten. Meine Herren, diese Einschränkung läßt doch darauf s{ließen, daß auch Exzellenz Kirhhoff sch jeßt dazu bekehrt hat, daß der Finanzverwaltung nur ein bestimmter Betrag von der Eisenbahnverwaltung überwiescn werden foll, daß fie nur diesen Betrag jährli verwendet, und daß sie im übrigen, wenn fie dann noch neue Ausgaben notwendig hat, ebenso die Steuerschraube anzicht, wie das sonst au der Fall ist. Dieser Zusay is in der Presse gar niht richtig gewürdigt worden. In der Presse hat man allgemein gesagt: die Kirhhoffshen Pläne würden bedeuten, daß der preußische Staat damit ein für allemal aus seiner Steuer- und Finanznot herausfein würde, es wäre damit alles gut und gesund, und die böse Finanzverwaltung follte dem nur folgen.

Meine Herren, so ift das nun nicht. Die Kirhhoffs{hen Pläne bedeuten nach meiner Ansicht jeßt mit dieser Einshränkung nit mehr das, was sie früher bedeutet haben, und sie nähern sich sehr wesentlih der Negelung, welhe im vorigen Jabre mit Zustimmung

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dieses Hohen Hauses auf cinen Zeitraum on fünf

Jahren getroffen worden is. Denn wenn ich der Finanzverival-

tung dauernd nur einen bestimmten Betrag liefere und ihr fage:

wenn du damit nicht auskommst, dann mußt du Steuern crheben, f: ¿e

ist dies nichts anderes, als was sich bei der im Vorjahre beschlossenen Regelung auch ergibt, und auch fkassenmäßig ist es zunächst ganz dasfelbe, ob binsihtlich der aufzunehmenden Anleihe nach dem Kirhhoffshen Vorschlage oder nach der vorjährigen Regelung verfahren wird. Dies: hat der Herr Ministerialdirektor Offenberg in seiner vor- jährigen Studie ja {on ganz überzeugend dargelegt. Es liegt indessen doch ein wesentliher Unterschied darin, daß man, wenn das Ertra ordinarium immer aus Anleiben genommen wird, doch schr viel leichter gencigt ist, Ausgaben zu bewilligen, als wenn es niht aus Anleihen genommen wird, und daß dann tatsählih die Cparsamkeit nicht gcübl wird, welhe im Interesse des Staatshaushalts und der ganzen Staats- finanzen geübt werden muß.

Meine Herren, die Eisenbahneinnahmen sind nun einmal im Laufe der Zeit bistorisch verwendet worden zur Bestreitung der Kosten der allgemeinen Staatsverwaltung; das läßt ih niht mehr rückgängig maten. Ursprünglich beschränkte sh der Zushuß auf 2,2 Millionen ; man ift aber allmählich dazu übergegangen, die ganzen Staats- ausgaben auf diese Einnahmen hin zu begründen. Da h das nit mehr rücgänggg machen läßt, \o läßt ch nur das eine noch tun, um. den Staat vor den großen Sch{hwankungen, die ein so großer Betrieb natürlih zur Folge hat, befreien, daß man die Spiße abschneidet, daß man sagt: Staat, richte dich für die Zukunft auf einen Mittelsatz ein, mehr bekommst du vo1 der Eisenbahnverwaltung niht: mit anderen Worten: cs foll die größte Gefahr dadurch abgewendet werden, daß nur ein Mittelbetrag gewährt wird. Meine Herren, das ist durch die Lösung geschehen, die im vorigen Jahre gefunden worden ist, und das würde au nah den Kirchoffshen Vorschlägen gesehen. Die KirchhoffsWen Vorschläge würden uns also, wie gesagt, gar niht von Steuerzushlägen befreien, wenn es notwendig werden sollte, daß wir neue Einnahmen brauchten.

Meine Herren, um mal auf den diesjährigen Etat zu exemplifi zieren, möchte ih folgendes sagen: Bei unserem diesjährigen Etat schneiden wir mit cinem Fehlbetrage von 29 Millionen ab. Wenn wir nah den Vorschlägen von Exzellenz Kirchhoff verführen, würden wir diese 29 Millionen von der Staatseisenbahnverwaltung erhalten : wir würden überhaupt keinen Fehlbetrag im Staatshaushalt haben. Jch nehme aber an, daß auch Exzellenz Kirhhoff sagen würde: das ist das Höchste, was die Staatsverwaltung jemals von der Eisenbahn- verwaltung bekommt; rihte dih damit ein, mehr wirst du in Zukunft nit bekommen. Dann würde dieser Betrag von 29 Millionen Mark von der Staatseisenbahnverwaltung anzuleihen sein. Dies würde fassenmäßig genau dasselbe sein wie jezt. Der Ausgleihfonds würde statt 327 Millionen nur 34 Millionen betragen und würde vermehrt

werden um denjenigen Betrag, welcher für das bis dahin aus laufen-