1891 / 54 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 03 Mar 1891 18:00:01 GMT) scan diff

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Darin stimme seine (des Redners) Partei mit ihm überein, daß der Offizierstand aus den gebildeten und besten Kreisen des Bürgerthums hervorgehen möge. In erster Linie verdienten aber die Familien Berückfichtigung, deren Söhne durch Generationen in der Armee in uneigennügiger und aufopfernder Weise gedient hätten. Die Vermehrung der Armee sei bisher eine viel größere gewesen, als die Vermehrung der Kadetten, und deshalb könne man die bier ge- wünschte Vermehrung der Kadetten nur mit Freude begrüßen. Man wisse dochþ und billige es, daß die Lehrersöhne an Gymnasien wesentliche Vortbeile hätten in dem Erlaß des Schulgeldes ; warum wolle man eine sol&e Wokhlthat nicht aub den Offuters\öhnen, den Söhnen der Wittwen der gefallenen Offiziere gewähren ? Die Kadettenhausbildung sei keineëwegs eine eng begrenzte, fie habe sh \&lehterdings als eine der besten Erziehungen heraus- gestellt, sie sei geradezu vorbildlich für alle anderen Erziehung8- anstalten. Daß die Kadettenbausbildung eine sehr gute fet, gehe {con daraus hervor, daß viele junge Leute aus den Kadetten- häusern, die aus Gesundheitérücksihten die Militärcarrière aufgeben müßten, sich in einem bürgerli{en Berufe als tüchtig bewährten. Er empfehle die unbedingte Bewilligung der Position.

Abg. Richter: Er vermöge in den Ausführungen des Aba. Hinze durchaus keinen Widerspruch zu erkennen. Es heiße doch bei- nabe die Augen verschließen, wenn man leugnen wolle, daß hier ein wihtiges Prinzip in Frage komme. Allerdings bandele es fi bier nur um 80 neue Stellen. Diese wurzelten aber in der Denk- rift, welhe tas ganze System mit Schärfe zur Geltung bringe. Gr wisse nit, ob jeßt noch geklagt werden könne, daß b ni&t junge Leute genug meldeten bei den Regiments - Commandeuren, um auf Avancement zu dienen. Vor einiger Zeit habe man sebr lebhaft in bürgerlihen Kreisen über die S&wierigkeiten geklagt, die von vielen Regiments: Commandeuren gemacht würden bei der An- nabme sfolcher jungen Leute als Avantageure, z. B. unter Hinweis auf die Beschäftigung des Vaters, au wenn derselbe ein geateter Kauf- mann oder Fabrikant gewesen sei. Der Zudrang habe unzweifelhaft auch darunter gelitten, daß von den Regiments - Commandeuren zu viel Privatzulagen verlangt worden seien. In der bekannten Kabinetsordre werde gerade darauf Hingewirkt, daß man die For- derungen dieser Zulagen nicht so hoh ftellen möge, und es werde das Cinreifien eines zu großen Luxus im Offiziercorps gerügt, welches ein Hinderniß dafür sei, daß si das Offiziercorps aus bürgerlichen Kreisen ergänze. Der Reichskanzler habe vorgestern eine Aeußerung gethan gegen ihn (den Redner), auf die er in diesem Zus fammenbang zurückfommen fönne. Dec Reichskan;ler habe ge- meint, daß das Mißtrauen gegen den preußishen Offizier bei ibm (dem Redner) \sich ¿u einem chronischen Leiden ausgebildet zu haben sch{eine. Er habe tbei keiner Ge- legenbeit ein Mißtrauen zur technischen Befähigung oder zur mora- lishen: Qualifikation der Offiziere oder des Offizierstandes kundgegeben, und wenn er au gar keine Gelegenheit hätte, fich über den Werth des Offiziercorps zu unterrihten, so würden die 20 Jahre, während deren er mit böberen und niederen Offizieren in der Budgetkommission ver- fehrt habe, {on allein hingereiht Haben, um ihn zu überzeugen von dem hohen Maß von Sah- und Fahkenntniß innerhalb des Offiziercorps, von dem Streben, alle technishen Fortschritte der Zeit für das Heer auszunußen und namentli alle Fortschritte des Nuslandes nahzuahmen und für das eigene Heer nußbar zu machen. Was er. aber sehr oft bei den Offizieren vermißt habe, sei eine ge- nügende Kenntniß der bürgerlichen Verhältnisse, eine gerechte Würdi- gung und Abwägung der bürgerlihen und militärishen Interessen. Man habe zu einseitig die militärishen Verhältnisse betont, um einen Ausgleich mit den bürgerlihen Interessen zu finden. Wie wenig man oft die bürgerlichen Verhältnisse wirklich kenne, gehe daraus hervor, daß ein sehr hervorragender Offizier noch_ vor einigen Monatea den bekannten Verglei zwishen den Ferienkolonien und der Militärdienstzeit gemadt habe. Es würde ein viel größeres Verständniß der bürgerlihen Verhältnisse und damit eine viel größere Leichtigkeit der Verständigung zwischen bürgerlichen und militärischen Interessen vorhanden sein, wenn nit die Offiziere ih in einem großen Umfange aus dem Kadettenhause rekrutirten, Die Kadetten würden in einem frühen Lebensalter, wo das Kind kaum auf- hôre zu spielen, von den Eltern getrennt und ledigli mit solchen jungen Leuten, die auch nur für denselben Beruf vorgebildet würden, zusammen erzogen. Das ganze Dihten und Trachten konzentrire ih natur- gemäß auf die Offizierslaufbahn. Könne man sich da wundern, wenn eine gewisse Entfremdung für die bürgerlichen Interessen und ein geringeres Verständniß für die bürgerlichen Verhältnisse dann îm Offiziercorps Platz griffen ?

General-Lieutenant Vogel von Falckenstein: Die Nede des Abg. Hinze habe nicht klar erkennen lassen, aus wel{en Gründen man si eigentlich über das System des Kadettencorps beshwere, Der Abg. Richter habe diese Lücke ausgefüllt und darauf aufmerksam gemacht, daß im Allgemeinen eine einseitige Ausbildung in diesen militärischen Fabshulen stattfinde, welche eine Abneigung gegen die- selben in weiten Kreisen hervorbringe. Er sei dann auf gewi}e Einzel- beiten eingegangen, die ibn (den Redner) speziell interessirten. Er babe die Konsequenzen einer einseitigen Kadettenausbildung soweit gezogen, daß er gemeint habe, es hätte soaar ein Kommi)ar der Militärverwaltung fich zu einer derartigen Aeußerung verstiegen, wie der bekannte, hier so beliebte Vergleich mit den Ferienfkolonien. Zunähst müsse er (Redner) zu seinem Bedauern dem Abg. Richter erwidern, daß Derjenige, der diese Aeußerung gethan, nicht dem Kadettencorvs entstamme. (Heiterkeit rechts.) Aber er sei dem Abg. Richter dankbar, daß dieser ihm die erwünschte Gelegenheit gegeben babe, der von ihm jeßt zu einem geflügelten Worte gemachten Bemerkung doch nur endlih einmal die Wahrheit angedeihen zu lassen. Er (Redner) habe in jener Kommissionssißung wörctlich ge- sagt: „Im Vergleich zu dem Leben in gewissen Fabriken, im Ver- glei! ijt das Leben in den Kasernen in Bezug auf Gesundheitspflege vielfach die reine Ferienkolonie.“ (Zustimmung rechts.)_ Man habe von dem Abg. Richter vernommen, daß allerdings Kreise existirten, wele eine gewisse Abneigung gegen die Kadettenerziehung hätten. Er müsse nun aber do gestatten, auch einmal der Kreise zu gedenken, wele das Gegentheil von einer derartigen Abneigung hätten und viel- leit am Meisten dabei interessirt seien, das seien nach seiner (des Redners) Auffassung die Familien und demnächst die Armee selbst. Von diesen beiden Kreisen seien bisher Bedenken gegen diese Art der Erziehung noch nit vorgebracht worden. Das gehe daraus hervor, daß der Andrang zu diesen Anstalten ein außerordent- licher sei, daß die Eltern ausnahmslos mit voller Zufriedenheit die Erziehung ihrer Kinder dort verfolgten. Ohne si auf Einzelheiten einzulassen, bemerke er, daß die Kadettencorps bei den leßten Schul- enqueten ausgezeibnet gut abgeschnitten hätten. (Zustimmung rechts.) Die Leute, die aus dem Kadettencorps hervorgingen, zählten heute noch ¿u den Helden Deutslands. Er könnte eine große Zahl solcher Namen nennen, welche das, was sie dem Vaterlande geleistet hätten, der Erziehung im Kadettencorps verdankten, und dana babe man gar feine Veranlassung, von diesem durchaus bewährten System in irgend ciner Weise abzugehen. (Beifall rets.) : :

Abg. Dr. Pieschel: Die Ausführungen des Abg. Hinze würden von seinem Standpunkt richtig sein, wenn die Kadettenhäuser den Eintritt von Avantageuren aus bürgerlichen Kreisen beeinträchtigten. So liege aber die Sache nicht, es könne vielmehr Jeder, der sonst die nöthigen Voraussetzungen biete, Offizier werden. Die bürgerlichen Kreise lieferten indeß den ganzen Bedarf niht; man müsse deshalb auf anderweitige Vermehrung der Offiziere Bedacht nehmen, selbst wenn man er spreche dabei nur im Sinne des Abg. Hinze auf diesem Wege minderwerthiges Material {üfe.

Abg. Richter: Es sei ihm nicht unbekannt gewesen, daß der General Vogel von Falckenstein nicht aus dem Kadettencorps hervor- gegangen sei. Er mache aber derartige Bemerkungen überhaupt nie- mals zugespißt auf einzelne Persönlichkeiten der Vertreter der ver- bündeten Regierungen, wie von den Herren angenommen zu werden i{eine. ‘Er - habe immer die Meinung gehabt, daß der General damals nit bloß seine subjektive Auffassung mitgetheilt, sondern diejenigen Anschauungen, die in den Kreisen der Militär-Verwaltung

überbauxt verbreitet seicn. Die Klage, daß feine damaligen Aeuße- rungen vielfach falsch kolportirt würden, wundere ihn (den Redner). Als er seinen Vortrag in der Kommission geendet, habe er (Redner) sofort den Antrag gestellt, um Mißverständnissen vorzu- beugen, genau den Wortlaut festzustellen und dem gesammten Reichs- tage zugänglih zu machen. Der General habe zugesagt, diese Zu- sage sci aber nicht erfüllt worden, troß feiner wiederholten Anregung. Der General sei also selbst \{uld, wenn seine Aeußerungen anders folportirt würden, als sie damals gemaht seien. Er (Redner) habe seine damaligen Aufzeihnungen im Augenblicke niht gegenwärtig, um sie entgegenzuhalten. In der Sathe selbst fei mit der Ferienkolonie etwas mehr gemeint gewesen, als das Leben der Fabrikarbeiter ent- gegenzustellen dem Kasernenleben. Denn seine Partei habe die Ver- fürzung der Dienstzeit niht bloß der Fabrikarbeiter, sondern all- gemein verlangt; und was würde das Argument bedeutet haben, wenn es sib bloß auf die Fabrikarbeiter und nit auf allgemeine Ver- bältnifse bezogen bätte? Nath seinen ftenographischen Aufzeihnungen, die ibm eben überbrabt würden, babe der General gemeint: „Ueber die Hälfte der Soldaten befindet fi in der Kaserne besser als daheim ; dort bekommen sie hôbstens an hohen Festtagen Fleis zu efsen, in der Kaserne tägli so viel Fleish sie mögen; er habe wahr- genommen, daß die Soldaten, dur die Ernährung mit Kommißbrot bis zum Plazen stark gemacht, nah Jahresfrist als abgemagerte Reservisten aus ibrem Privaterwerbétleben zurückehren ; das Leben in der Kaserne babe für sie die Wirkung des Lebens in der Ferienkolonie bezüglich der Hygiene.“ Hier sci also gar nicht die Rede von Fabrikarbeitern. Die stenogravbisde Aufzeihnung sei gemacht in dem Augenblick, wo der General gesprochen habe.

Damit ließt die Diskussion.

Der Antrag Richter wird abgelehnt, die Forderung unverkürzt bewilligt. j E

Zu Tit. 26 werden für zwei neue Unteroffizier- vorschulen in Jülich und Wohlau 152086 F (ein halber Jahresbedarf) mehr gefordert. Die Abgg. Richter und Hinze beantragen, diese Mehrforderung zu streichen.

Ybg. Haußmann: Der Kriegs-Minister von Bronfart habe 1887 mitgetheilt, daß das Marquement damals 5 0/9 betragen habe, sich aber in Folge der Heereëvermehrung von 1887 auf 13—14 ©/6 steigern werde. Troßdem babe er nur die Begründung einer einzigen neuen Unter- offiziervorschule für nötbig gehalten. Das Heer habe gegenwärtig nur 7,7% Manquement, obwobl die bedeutende Heeresvermehrung von 1890 no® binzagetreten sei; sons würde es nur 3,6% baben, und glei&wwohl würden zwei weitere Unteroffizier- vorshulen zur Verminderung des Manquements verlangt. Man mache seiner Partei so oft den Vorwurf, daß sie si nit der böberen Satbkenntniß der Sachverständigen unter- werfe ; das aber dürfe sie doch in Anspru nehmen, daß der Kriegs- Minister von 1887 ein ebenso werthvoller Sachverständiger sei wie der von 1891. Aus der Bewilligung der Schule in Neu-Breisah und der jetzigen Forderung von zwei weiteren Sqchulen Tönne man den Schluß ziehen, daß die Regierung in einigen Jahren noch weiter gehen werde und überhaupt mehr und mehr fortschreiten wolle auf dem Wege, die Bildung des Unteroffiziercorps möglichs kastenmäßig anzulegen und wie bei dem Offiziercorps die frühzeitige Isolirung dieser Leute von den anderen Berufskreisen zu bewirken. Mit solchen Schulen werde nur Inzucht getrieben, meistens würden nur die Söhne von Unteroffizieren hineinkommen. Die Stellung der Unter- offiziere, nachdem sie die Truppe verlassen hätten, dürfe auh nicht übersehen werden. Es sei zweckmäßig, wenn die Leute, die später im Civildienst Verwendung finden sollten, nicht \{chon in früher Jugend von den anderen Berufszweigen fich abgesondert hätten. Vor wenigen Tagen habe der Kriegs-Minister gesagt, das Weiterdienen der Unteroffiziere sei veranlaßt durch die Hoffnung auf eine Civilver- sorgung. Er (Redner) hätte geglaubt, daß die Haupttriebfeder für den Beruf die Lust und Liebe si, Wenn der Krieg2-Minister aber jeßt auch noch andere Rücksichten mit in NeWnung ziehe, wenn das Vorleben in der Armee bedingt sei dur die spätere Stellung, fo sei es dienlih, diefer Stellung dadurch vorzuarbeiten, daß man die Abscheidung möglichst spät vornehme. Ein hoher Offizier, der seine Stellung verliere, könne {on jeßt sich nur \{chwer eine neue Stellung in dem bürgerlihen Leben verschafen, weil er so frübzeitig von dem bürgerlichen Leben abgeschlossen worden sei. Diesen Zustand möchte er auf die unteren Chargen möglichsstt wenig übertragen haben. Die Unteroffiziervorshüler würden erst am Ende dieses oder Anfang des nähsten Jahrhunderts in der Armee dienen. So sehr vermöge er nit von dem Axiom auszugehen, daß die Heeresmacht, die Europa heute aufbringe, eine ständige sein müsse, daß er \{chon heute zur Schaffung von Unteroffizieren in jener Zeit Summen zu bewilligen bereit wäre. Seine Partei stehe auch hier wieder einmal auf dem Stand- punkt, daß sie neaire. Er glaube, daß cs niht der richtige Ort ge- wesen sei, beim Militär-Etat diese Vorwürfe zu erheben.

General-Lieutenant Vogel von Falckenstein: Die Grund- anschauungen über Kastengeiit, Militarismus und sonstige Begriffe seien allerdings zwishen der Partei des Vorredners und der Re- gterung so außerordentli vershieden, daß es nit nüßlich sei, näher darauf einzugehen. Was aber das Wort „Inzuhi“ betreffe, so mache es doch wahrlich keinen großen Unterschied, ob die jungen Leute vor dem Eintritt in die Armee einige Jahre die Unteroffizier- vorshule und die Unteroffiziershule besu&t hätten oder nicht; die anderen Unteroffiziere fielen dann genau ebenso unter den Ausdruck „Inzuht“. Der Vorredner mae ferner darauf aufmerksam, daß die Wirkungen dieser Vorlage erst „am Ende des Jahrhunderts“ es handele sich dabei freilich nur um etwa sech8 Jahre \ich zeigen würden. Da könnte die Regierung ih höchstens vorwerfen, nicht früher mit der Vorlage hervorgetreten zu sein, und sie meine allerdings, daß es jeßt die höchste Zeit fei. Auf einem thatsächblihen Irrthum des Vorredners berube es, wenn er versucht habe, einen Gegensaß zwishen dem Kriegs-Minister von 1887 und dem von 1891 zu fonstruiren, indem er gemeint habe, daß der Erstere einen weit geringeren Prozentsaß aus den Unteroffizier- vorshulen hätte hervorgehen lassen wollen. Das sei aber nit der Fall. Es handele sh hier vorzugsweise um die Aufbesserung der Qualität, wenn auch nebenbei eine ganz geringe Veränderung der Quantität eintrete in Folge des Wegfalls eines Jahreskurses bei der einen Unteroffiziershule.

Abg. Hahn: Die Einrichtung der Unteroffiziervorshulen habe sich \chon früher als eine heilsame und nüßlihe bewährt, und seine Partei sei bereit, auch weiter das Material des Unteroffizierstandes besser vorbilden zu lassen. Der Grund, weshalb man Unteroffizier- vorshulen überhaupt eingerichtet habe, liege darin, daß _man die jungen Leute in der Zwischenzeit zwischen der eigentlichen Schule und dem Eintritt in die Unteroffiziershule angemessen beschäftigen könne, sie niht den Versuhungen des Lebens mehr als nöthig aussetze, und ihnen ferner für ihren Beruf eine angemessene Vorbildung gebe. Man habe deshalb nur mit einer Unteroffiziervorshule angefangen, um zu sehen, wie sich der Versuch bewähren würde. Daß es nothwendig sei, das Manquement an Unteroffizieren zu decken, babe der Reichstag neulich \chon gehört. Der Kriegs - Minister Bronsart von Stellendorff habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Manquement sich |. Z. niht sofort beseitigen [assen würde. Leider habe es sich aber noch vermehrt. Er könne des- halb nur dringend bitten, die Forderung für die beiden Unteroffizier- vorshulen zu bewilligen.

: Abg. Richter: Er wisse nicht, wie jene Herren dazu kämen, seiner Partei den Vorwurf einer dauernden Negation zu machen. Sie Io doh bei dem neuen Zuckersteuergesez în einer viel stärkeren

egation gewesen. Auch in der Budgetkommission sei die vorliegende Frage nicht fo einfah angesehen worden, wie sie hier behandelt werde. Bei der Abstimmung sei die Centrum8?partei getheilt gewesen, bei voll beseßter Kommission wäre die Abstimmung vielleiht anders aus- gefallen. Bei den Kommissionsverhandlungen habe man überdies noch an die Ablehnung der Unteroffiziersprämien geglaubt. Nach dem Beshluß vom Sonnabend würde die Stimmung in der Kom-

mission wobl au eine andere sein. Der Reichskanzler habe es neulich so dargestellt, als ob er (Redner) überbaupt die Nothwendigkeit militärishen Selbstbewußtseins leugnete. Seine Aeufterung bâtte aber mit dem militärishen Selbstbewußtsein, das der Reichskanzler im Sinne gehabt babe, durhaus nichts zu thun; er babe nur gemeint, daß in den Unteroffizierschulen eine Art von militärisdem Selbst- bewußtsein erzogen würde, das mit dem bürgerlihen Selbstbewußtsein nit mehr verträglih sei. Er habe si nur gegen das milis» tärishe Selbstbewußtsein wenden wollen, das aus einer ungerechtfertigten Mindershäßung bürgerliwer Intereffen entspringe und das fkünstlib groß gezogen werde. Das könne nur dazu führen, daß die Leute später im bürgerlichen Leben si nit zurehtfänden, wenn sie nicht überall etwas zu kommandiren fänden. Von einer Wükung der Unteroffiziervorshulen könne man heute noG nit sprehen. Dazu sei die Institution noch zu jung. Daß die Unter- offiziere heute früher die Armee verließen, habe vielleiht auch seinen Grund in den Unteroffiziershulen und den Unteroffiziervors{ulen. Int vierzehnten Jahre könnten weder Eltern noch Kinder beurtheilen, für welchen Beruf sie vaßten, und deshalb sei es nit zu verwundern, wenn sie ibren Beruf so {nell wie möglich verließen. Die erste Unteroffizier- vorshule in Annaburg habe nur für Kinder von Unteroffizieren be- stimmt sein sollen. Die UnteroffiziervorsQule in Weilburg habe eingeribtet werden sollen, weil die in Annaburg nit mehr ausgereicht habe. Dann sei die Neu-Breisaher Anftalt gekommen, um welche vier bis fünf Jahre gekämpft worden sei, und die erft na den Septennatswahlen bewilligt worden fei mit dem Hinweis darauf, daß dieselbe zur Germanisirung des Elsaß beitragen sollte. Ießt follten mit einem Male zwei Unteroffiziervorshulen zu den alten kommen, und man seine offenbar darauf auéëzugebhen, für jede Unteroffiziers \{ule cine Unteroffiziervorschule zu hafen. Wenn die Unteroffiziers prämien wirklih die berühmte Zugkraft besäßen, bedürfte das System der Unteroffizierrorschulen keiner Erweiterung.

Major Gäde: Die Unteroffizierrorschulen feien dur{haus nit so jung, daß dic Regierung keine Erfahrungen mit ihnen hätte machen können. Die Anftalt in Weilburg fei 1877 begründet worden, also vor vierzehn Jahren. Die jungen Leute blieben zwei Jahre in der Vorschule und zwei Jahre in der Unteroffiziershule. Man habe also bis jeßt bereits Unteroffiziere zehn Jabre in der Armee, die aus dieser Anstalt hervorgegangen seien. Gerade diese Leute bâätten ch als viel besser erwiesen, als die anderen Unteroffiziere. Die Anftalt in Annaburg sei 1880 errichtet, bier liege also au {on ein Jahr- zehnt der Erfahrung vor. Der Gesihtspunkt, daß viele Unteroffiziere deshalb nicht in Civilstellen gingen, weil fie ihnen nit ftandesgemäß seien, sei in der Kommission nit hervorgehoben worden. Es fei nur gesagt worden, daß viele Stellen zu s{le{cht dotirt seien. Ein Feld- webel, der 100 46 monatli bekommen habe, werde ih mit Recht sträuben, in Stellen zu geben, die kaum das Dreifate an Jahre®- besoldung aufweisen. Der Briefträger mit dem Eisernen Kreuz auf der Brust, den der Abg. Richter in feiner Jugend noŸ gekannt babe, würde heute auch hervorgezaubert werden können, wenn die Stellen besser dotirt wären. Heute seien die Stellen eben zu niedrig besoldet, zu \ch{lecht seien sie den Anwär- tern nit. Der Abg. Richter habe gesagt, daß nicht widerlegt sei, was er bezüglich der Dienstverpflihtung der Leute, die aus Unteroffiziershulen hervorgingen, geäußert habe. Es stehe ausdrüd- lich in der Wehrordnung, daß die Leute, nachdem fie vom siebzehnten bis zwanzigsten Iahre die Unteroffiziershule besuht bâtten, vier Fahre aktiv dienen müßten, also ein Jahr mehr als die anderen. Die Ünteroffiziervors&üler müßten für jedes Jahr ihres Schulbesus die doppelte Zeit binzufügen. Es komme also eine Dienstpflicht von aht Jahren böchitens heraus, nit, wie [der Abg. Richter ge=- meint habe, von zehn bis elf Jahren,

Abg. Hahn: Als Landrath des dortigen Kreises habe er damals bei der Einri{tung der Weilburger Unteroffiziervorshule die Ver- handlungen mit den Kommunalbehörden geleitet und behalte deëhalb ein dauerndes Interesse für diese Schulen, und daher ftamme seine genaue Kenntniß der Dinge. Die Vorschule in Weilburg errege wegen ibrer guten Erziehungsresultate die Anerkennung der Weilburger Fraktionsangehörigen des Abg. Richter. Diese Schule sei nicht wegen der Ueberfüllung der Annaburger eingerihtet worden, sondern weil man, wie Abg. Richter am 21. April 1877 selbst gesagt habe, von dem Prinzip, nur Unteroffiziersöhne in die Schulen aufzunehmen, das in Annaburg allgemein in Uebung sei, habe abgehen wollen. Damals babe der Aba. Richter übrigens gesagt, die Begründung der einen Unteroffiziervorshule würde nothwendig die von vier oder ünf anderen für die anderen Unteroffizierschulen nach sh ziehen er (Redner) bitte also, die Konsequenz dieser Worte zu ziehen und die Regierungsforderung zu genehmigen.

Abg. Hinze: Die Weilburger würden noch mehr erfreut fein, als sie jetzt seien, wenn statt der Schule mit 250 Köpfen ein volles Bataillon dorthin gelegt wäre, dabei handele es sich also um andere als um Erziehungsrüksihten. Die Vorschulen beftänden allerdings \{chon vierzehn Jahre _ lang, über ihre Resultate in Hinsicht der Erziehung tüchtiger Unteroffiziere aber feien eine Zeit lang die Urtheile in der Armee sehr getheilt gewesen. Die Schulen lieferten allerdings gute Funktions-Unteroffiziere, aber die aus ihnen hervorgegangenen Nichtfunktione-Unteroffiziere gehörten nicht zu denen, auf deren Beibehaltung die Heeresverwaltung großes Gewicht lege. Bei den Ausführungen über das Selbstbewußtsein der Unteroffiziere habe sich Abg. Richter auf die Ausführungen des Reichskanzlers von neulich, nicht _ auf die Kommissionsverhandlungen bezogen. Die Regierungskommifsare betonten heute, daß es sich bei den Vorschulen um die Schaffung einer guten Qualität von Unteroffizieren bandele, vorgestern aber habe man die gute Qualität der Unteroffiziere für dur die Dienstprämien gewährleistet erklärt. So ändere sih also das Bild, je nachdem die Prämien abgelehnt oder bewilligt feien, Ec wolle die einseitige militärishe Erziehung niht von Jugend auf in die Leute gebracht sehen, sondern diese solle aus der Truppe heraus vor sich gehen, und da er ih hierbei in Ueberein- stimmung finde mit früheren Ausführungen des Abg. Dr. Windthorst, hoffe er, daß das Centrum für diesen Antrag stimmen werde.

L Maloe Gäde: Vom Selbstbewußtsein der Unteroffiziere sei in der Kommission allerdings keine Rede gewesen, der Abg. Richter sei hier darauf zu \prechen gekommen, und erst in Folge dieser Aeußerung habe sich der Reichskanzler auf diesen Gegenstand eingelassen. Auch glaube er (Redner) niht gesagt zu haben, daß die Prämien aus- \chlaggebend für die Qualität der Unteroffiziere seien.

Abg. Nichter: Dem gegenüber erinnere er daran, idaß in der Kommission zwar nicht der Major Gäde, aber ein anderer Regierungs- kommifsar hervorgehoben babe, wie wichtig die Dienstprämien für eine bessere Qualität der Unteroffiziere seien. Das Bild habe si seitdem in der That völlig geändert. Diejenigen, die nicht von vorn- herein für die Bewilligung der Unteroffiziervorschule gewesen seien, mögen dieselbe doch nur aus Rücksidt auf die dur? die Bewilligung der Dienstprämien entstandene Mehrbelastung ablehnen, zumal es si hier um eine Uebergangézeit handele, und man abwarten müsse, wie die Dienstprämien und die übrigen in jüngster Zeit beshlofsenen Aenderungen wirken würden.

g. Haußmann: Der Kriegs - Minister Bronsart von Sgellendorff habe im Jahre 1887 betont, daß bei einem Unteroffizier- Manquement von 13 bis 14/0 die eine Unteroffiziervorshule in Neu-- Breisah zur Schaffung des Ersazes genüge; nahdem dies Manque- ment bis auf 7,9 9/0 zurückgegangen, halte er (Redner) es mit scinem enen für durhaus vereinbar, wenn er gegen die jeßige Forderung

imme. i

Darauf wird unter Ablehnung des Antrags Hinze die Etatsforderung genehmigt, ebenso obne Debatte der Rest des Kapitels und der Rest des Ordi- nariums, enthaltend die Ausgaben für das Ge- fängnißwesen, Artillerie- und Waffenwesen, tehnishe JFnstitute der Artillerie, au- und E E der Festungen, evn eg zushuß, Unterstüßungen, Zuschüsse zur Militär=

Wittwenkasse, vershiedene Ausgaben, Bayerische Quote.

Um 48 Uhr wird die Weiterberathung des Militär- Etats auf Dienstag 12 Uhr vertagt.

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Haus der Abgeordneten. 46. Sigung vom Montag, 2. März 1891.

Der Sizung wohnen der Minister der öffentlihen Arbeiten von Maybach, der Minister für Handel und Gewerbe Frei- herr von Berlep\ch und der Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden bei. Z - i

Die erste Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Erweiterung, Vervollständigung und bessere Aus- rüstung des Staatseisenbahnneßes wird fortgeseßt beim Abschnitt TV: Zur Beschaffung von Betriebsmitteln für die bereits bestehenden Staatseisenbahnen 53 800 000 6

Abg. Schmieding: Wenn man den geradezu zu einer Kalamität gewordenen Wagenmangel unserer Staatsbahnverwaltung betrachte, wie er sh besonders in Rheinland und Westfalen im vergangenen Frübjahr und auch {on bei Beginn dieses Jahres herausgestellt babe, Töane es eigentlich faum zweifelbaft sein, woher die Koßblen- theuerung stamme. Der Lohnausfall für die Bergarbeiter sei dadurch ein ganz bedeutender geworden, und mehrere Male sei es vorgekommen, daß ganze Belegschaften hätten nach Hause geshickt werden müssen. Die Gründe für den Wagenmangel seien vorzug8weise in der zu starken Centralisation und in der bureaukratishen Handhabung der Verwaltung zu suen; den Eisenbahn-Direktionen fehle die nöthige Selbständigkeit, und das Verantwortung8gefühl werde dadurch ab- geschwäht. Die Auffassung aber, daß das Verfahren der Zechen selbft, daß anfechtbare Manipulationen derselben zu dem Kohlenmangel ge- führt hätten, müsse er entshieden zurückweisen. Wenn au der Handels8- Minister erklärt habe, daß er die in seinem Rundschreiben enthaltenen Anschuldigungen nicht zu den seinigen mache, so sei doch in der gesammten Presse das Schreiben als eine An- \chuldigung der Kokblengrubenbesißer aufgefaßt worden. Die beim Handels-Minister erhobenen Beschwerden beruhten ledigli auf der Unkenntniß der Thatsachen. Die Zechen seien unter strengen Konventionalstrafen verpflictet, die kontraktmäßig ausgeseßte Zahl von Efsenbahnzügen und Waggons zum Tranêport von Kohlen nah dem Auslande, besonders nach den Niederlanden, mit Koblen zu laden. Mehr zu verladen seien die Zehen in diesem Jahre gerade wegen des Wagenmangels gar nicht in der Lage gewesen. Es bätte also jede Form vermieden werden müssen, die eine große vaterländische Industrie herabzusetzen geeignet sei, und er hoffe, der Handels-Minister werde, wie er es privatim {on gethan habe, auch öffentlih noch erklären, daß er mit scinem Rundschreiben Beschuldigungen nicht habe er- beben wollen,

Abg. von Tiedemann (Bomst): Es scheine, als ob die Nationalliberalen aus Freunden der Eisenbahnverstaatlichung zu Feinden derselben geworden seien. Es komme vor, daß Zechen die doppelte Zahl von Wagen verlangten, als sie überhaupt gebrauchen könnten. Da sei es denn leiht, von Wagenmangel zu sprechen. Gerade die Centralisation unseres Staatsbahnwesens ermögliche die große Ausnußzung des vorhandenen Wagenmaterials, und in Ländern, wo heute noch Privatbahnen beständen, wie in den Niederlanden, lägen die Dinge weit \{chlimmer, als bei uns. Vielleicht bätte die Regierung ihre Forderung für Neu- beshaffung von Betriebsmitteln no erböben fönnen, wenn nicht zu fürchten wäre, daß dadurch ganz bedeutende Preistreibereien des Materials entstehen würden. Jedenfalls aber werde man ih darauf gefaßt mahen müssen, im näbsten Jahre weitere Forde- rungen zu bewilligen. Daß die Tragfähigkeit der Wagen erhöht werden folle, babe er mit großer Freude begrüßt; das Wagen- material werde fast um 59 °% vermehrt werden, sodaß man einer weiteren Verkehrssteigerung mit Ruhe entgegensehen könne. Zu erwägen würde sein, ob man nit dur besondere Ermäßigung den Wagenpark noch besser ausnüßen könne, befonders in den font verfehrsstilleren Monaten. Im Allgemeinen könne man mit den Er- gebnissen der Eisenbahnverstaatlihung zufrieden sein; seit der Verstaat- End sei ein jährli@er Ueberschuß von 73 Millionen Mark vor-

anden.

Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berleps ch:

Meine Herren! Es wird mir mitgetheilt, daß Hr. Abg. Shmieding einen Erlaß berührt hat, den ich unter dem 2. Februar dieses Sahres an diejenigen Handelskammern gerichtet hatte, die in der Nähe des rheinisch-westfälis{chen Koblenreviers funktioniren, und der die Mißstände betrifft, die angeblich beim Kohlenhandel in der legten Zeit hervor- getreten sein sollen. Der Herr Abgeordnete hat die Berechtigung des Handels-Ministers, sich um solche Dinge zu kümmern, nicht bestritten, er hat zugegeben, daß namentlich bei einer Industrie, die die Be- deutung der Koblenindustrie niht nur für die sonstigen Zweige unserer gewerblichen Thätigkeit, sondern auch für das allgemeine Wohlbefiaden hat, wohl Veranlassung für den Chef des Ministeriums für Handel und Gewerbe vzrliegt, in solche Fragen hineinzusteigen und festzustellen , ob die angegebenen Mißstände wirklich vorhanden find oder nicht. Der Herr Abgeordnete hat seine Vorwürfe wobl mehr dagegen gerichtet, daß für den betreffenden Erlaß nicht die richtige Form gewählt fei und daß nicht eine hinreihende Information vorhergegangen sei, ebe, wie er meint, solche schwerwiegenden Anklagen ins Land gegeben werden.

Was die Form anlangt, so kann ih nicht zugeben, daß dieselbe die Interpretation zuläßt, daß Seitens des Handels-Ministeriums gegen die Gruben des rheinis@-westfälishen Gebietes der allgemeine Vorwurf erhoben wird, daß sie sich eines unsoliden und unri@tigen Geschäftsgebarens befleißigt hätten. In diesem] Erlaß ift ausge- \sprochen worden, daß Beshwerden an den Handels-Minister gerichtet worden sind; er hat es nah den Unterlagen, die ihm gegeben worden sind, nit für ausgeshlossen gehalten, daß diefe Beshwerden zum Theil wenigstens begründet sind, und daraus für fich die Verpflichtung hergeleitet, sie zu untersuhen. Er mußte zu diefer Untersuchung die Handelskammern benugen, weil das diejenigen Organe sind, die fh allein in der Lage befinden, festzustellen, ob die erhobenen Vorwürfe richtig seien oder nicht. Es ist in dem Erlaß ausdrücklich ausgesprohen worden, daß der Handels-Minister verlangt, daß ziffer- mäßiges Material beschafft werde, um zu vermeiden, daß oberflächlihe Beschwerden als berechtigt anerkannt werden und bestehen bleiben.

Nun möchte ich Sie noch bitten, meine Herren, zu beachten : der Erlaß war ein vertrauliher. Ih war mir wohl bewußt, daß es nit möglih sein würde, einen solchen Erlaß der Oeffentlichkeit durchaus zu entziehen. Aber die Voraussezung war siher richtig, daß es nit zulässig war, dea Inhalt in seinem Wortlaut der Oeffentlichkeit ohne Weiteres zu übergeben. (Sehr wabr !)

Meine Herren, die Handelskammern waren verpflichtet, diesen Erlaß vertraulich zu behandeln; sie sollten ihren Mitgliedern von dem Inhalt desselben vertraulihe Mittheilung machen; weder sie als Korporation, noh die einzelnen Mitglieder derselben hatten aber die Befugniß, diesen Erlaß seinem Wortlaute nah zu veröffentlichen.

Nachdem das aber, von welcher Scite weiß ih nicht, geshehen

war, hat der Vorsißende des bergbaulihen Vereins in Rheinland- Westfalen an mi die Frage gerihtet, ob er befugt sei, nunmebr diesen Erlaß wörtlih seinem Vereine mitzutheilen; der betreffende Vorsitzende ist nämlih glei{zeitig Mitglied der Handelskammer in Efsen und hat als solches Kenntniß von dem Inhalt dieses Erlasses bekommen; der Herr Vorsitzende hatte die Empfindung, daß er nit befugt sei, seinem Vereine, der so lebhaft bei dieser Sache interessirt war, den Inhalt dieses Erlasses mitzutheilen. Dieser Standpunkt war völlig korrekt und rihtig, und ich kann nur wünschen, daß die Handelskammern alle diesen selben Standpunkt eingenommen hätten; dann wäre vieles vermieden worden, was Anlaß zu Mißdeutungen und Verstimmung gegeben hat. Also, meine Herren, wenn beachtet wird, daß der Erlaß ein vertraulicer war, so kann auf die Form überhaupt nicht mehr dieser entsheidende Werth gelegt werden, wie das von verschiedenen Seiten geschehen ift.

Es wird weiter zum Vorwurf gemacht, daß nit eine genügende Information vorhergegangen sei, der Handels-Minister habe die Ver- pflichtung gehabt, \ih vorher bei dem Eisenbahn-Minister zu ver- gewissern, ob die erhobenen Beschwerden begründet seien. Diese Art der Information is von mir eingeschlagen worden, allerdings nicht vorher, sondern gleihzeitig und meines Erachtens aus gutem Grunde. Die Eisenbahnverwaltung würde niht in der Lage sein, er- \chöpfend diesen Anklagen auf den Grund zu gehen und darzuthun, daß z. B. die Kohlenzehen ihren Abnehmern im Auslande gegenüber ihre Verpflihtungen gewissenhafter erfüllt hätten, wie ihren Ab- nehmern im Inlande gegenüber. Sie hätte wohl hier und da Ma- terial dazu liefern können, eine ers{öpfende Antwort auf diefe Frage kann ih aber nur von den Handelskammern bekommen. Aus diesem Grunde mußte meines Erachtens die Erkundigung na der Berechtigung der Beschwerden auf zweierlei Wegen geschehen: erstens bei dem Eisenbahn-Minister und zweitens bei den Handelskammern.

Nun hat der Herr Abgeordnete den Wunsch ausgesprochen, daß, wie ih dies in einer Privatbesprehung [bereits gethan habe, ich auch der Oeffentlichkeit gegenüber aussprehen möchte, daß ih die in dem Rundfcreiben vom 2. Februar d. I. enthaltenen Behauptungen nit zu den meinigen mache und diese Anklagen ni cht im Allgemeinen gegen die Zebenverwaltungen erhebe. Ih nehme durchaus keinen Anstand, dies zu wiederholen, was meines Erachtens aus dem Wortlaut des Anschreibens si von selbst ergiebt. (Bravo!)

I habe dem Vorsitzenden des bergbaulihen Vereins auf feine Mittheilung von den großen Mißständen, die in bergbaulihen Kreisen erwachsen seien, crwidert, daß ih diefe Anschuldigungen nicht zu den meinigen mahe daß ih aber die Verpflichtung habe, wenn mir substantiirte Beshwerden über solGe Mißstände vorgelegt werden, wie sie in jenem Rundschreiben näher dargestellt sind, der Sache auf den Grund zu gehen. Ih wiederhole hiermit diese Erklärung. Wenn solche Beschwerden an mih gebracht werden, so habe ih zwei Wege: entweder ih {reibe sie zu den Akten oder untersuche sie. Nun, daß ih sie nit zu den Akten schreiben konnte, werden Sie mir obne Weiteres zugeben (schr richtig !); deshalb glaube ih keine Handlung begangen zu haben, die formell angreifbar und die materiell niht zu rechtfertigen wäre. (Sehr richtig !)

Meine Herren, solche Erlasse, wie der besprochene hier, ergehen gar nit selten, wenn Beschwerden ¿. B. über das Geschäftsgebaren einzelner Industriezweige nah dem Auslande an den Handels-Minister gelangen. Ich will erinnern an die Bezeihnung von Waaren mit einem Ursprungsorte, der nit rihtig ist. Kommen solhe Beschwerden, so ist es meine Pflicht, und es geschieht au, daß den betheiligten Handelskammern cin vertraulihes Schreiben zugeht, das ebenso lautet wie daëjenige, das heute in Frage steht: es sind Beschwerden an mich ergangen, daß Industrielle dieses oder ienes Gebaren bei ihren Handelsbeziehungen zum Auslande innehalten, was unserer Industrie zum Swaden gereiht. Ich ersuße die Handelskammern vertrauli®, zu untersuhen, ob die Angaben begründet sind, und eventuell die Mittel mitzutheilen, wie dem entgegengetreten werden kann. Genau so ist hier au verfahren worden, nur ist es nicht vorgekommen, daß jene Erlasse der Oeffentlichkeit übergeben worden sind, während bier das auf die Geheimbaltung des Schreibens gesetzte Vertrauen nit erfüllt worden ift.

Meine Herren, die Untersuhungen sind ja im Gange, und weiß nit, zu welchem Resultat sie führen werden. Wenn sie sich als nit begründet erweisen, dann wird Niemand si darüber lebhafter freuen als ich. (Lebhafter Beifall.)

Minister der öffentlihen Arbeiten von Maybah:

Der Hr. Abg. von Tiedemann hat an mi die Frage gerichtet, ob ih ein Gesez in Ausarbeitung befinde, welches sich auf das sogenannte Tertiärbahnwesen bezieht, dessen {on früher in diesem bohen Hause gedaht worden ist. Ich kann diese Frage bejahen; ein solhes Gesetz ist in der Ausarbeitung begriffen. Es ist dies aber ein sehr \{chwieriges nah verschiedenen Richtungen hin und erfordert sehr genaue und weitgehende Vorerörterungen; dasselbe ift aber bereits {on weit gediehen, und wir würden vielleiht in der Lage sein, dieses Gesetz noch im Laufe dieser Session Ihnen vorzulegen (Rufe: Dho! Leb- hafter Widerspru. Heiterkeit), wenn Sie nicht bereits mit sebr vielen anderen wichtigen Gesetzen belastet wären und wir niht Be- denken tragen müßten, das Arbeitspensum des hohen Hauses noch weiter zu vergrößern. Wir behalten die Sade also bis zur nästen Session vor.

Sodann fragte Hr. von Tiedemann, ob nicht etwas mehr geshehen könne für eine bessere Ausnußung der Wagen. Diese Frage beschäftigt mich auch; nach der einen Richtung hin ganz besonders, näwlich nah der Richtung hin, daß diejenigen fremden Eisenbahnen, welche an den Transporten, die wir ihnen zu- führen, interessirt sind, sich auch wieder betheiligen müfsen mit ent- \prehenden Wagenbeistellungen. In Norddeutsland exportiren wir von Jahr zu Jahr stärker und auf immer weitere Entfernungen. Das bedingt einen größeren Wagenpark, und zwar einen stärkeren als wir ibn für unser eigenes Bedürfniß nöthig hätten, und wir können in die Lage kommen, für fremde Länder, z. B. für Traneporte nach dem Balkan, wo wir nur ganz wenige Meilen auf unseren eigenen Bahnen zurück- legen, au noch das Wagenbedürfniß zu bestreiten. Die Frage der besseren Hülfeleistung Seitens anderer Bahnen, welche bisher zu wünschen übrig ließ, denn wir hatten ein bedeutendes Plus von Miethen für unsere Wagen gegenüber unseren Miethen für fremde Wagen, beschäftigt uns auch.

Des Weiteren ist erörtert worden von den Hrrn. von Tiedemann und Swmieding, daß ja vielleicht die Summen, die heute im Wege der Anleihe gegeben werden sollen, in das Extraordinarium

oder gar in das Ordinarium des Etats hâtten ein- gestellt werden sollen Ja, meine Herren, der Eisenbahn- verwaltung als folch{er ift es an \sich ganz und gar glei{gültig, wohin die Summen gebracht werden. Wollen Sie die Summen für Ver- mehrung der Betriebsmittel, für zweite Gleise, für große Bahnhof- bauten, ja meinetwegen fogar auch für neue Bahnen in das Ordinarium der Eisenbahnverwaltung bringen, so ist uns das gleichgültig. Es fommt nur darauf an, daß uns die Mittel überhaupt gegeben werden. Wollen Sie dieselben ins Extraordinarium oder Ordinarium bringen, dann fann mir das gleihgültig sein; aber ih bitte Sie, fch das Bild des Gesammt-Etats vorzustellen, wie es scin würde, wenn wir diese Summe in das Ordinarium oder in das Extraordinarium brächten. Die Eisenbahnverwaltung dürfte dann vielleiht abschließen in Plus und Minus, aber dtr Gesammt- Etat würde ein ganz bedeutendes Defizit aufweisen, und ob das gut wäre, ob es für den Staatétkredit gut wärs, .das -ist dto eine ganz andere Frage. Ich glaube, es wird der Herr Finanz-Minister das verneinen. Der Weg, den wir heute cinschlagen, ift der- selbe seit langen Jahren gewesen; wir haben in den Motiven des Geseßzes auf Seite 49 nachgewiesen, daß dieser Weg in Preußen immer eingeshlagen worden ist seit 1867 und au schon in früheren Jahren. Auch die Privatbahnen mit wenigen Ausnahmen haben es ebenso gemacht. Sie finden fast in jeder Nummer der Geseß-Sammlung ein Privilegium zur Ausgabe von Eisenbahn- Prioritäts-Obligationen oder Bergrößerung des Aktien- kapitals Behufs Vermehrung des Betrieb8materials,

Also ih wiederhole, für uns würde das gleichgültig sein.

Die Ueberschüsse, die Hr. von Tiedemann erwähnt hat, bestehen in der That; wir würden auch dafür Sorge tragen, daß, wenn derartige Summen mit Einverständniß der Staatsregierung in das Ordinarium oder Extraordinarium des Etats gebracht werden, die Statistik gegenüber andern Bahnen und den Vorjahren klar bleibt.

Dann möchte ih mi nech mit einigen Aeußerungen des Hrn. Abg. Sqmieding beschäftigen. Er hat Verschiedenes gesagt, was ich früher auch hon in der Presse gelesen habe, in Artikeln gewisser Organe, die ih niht gerade als freundliche bezeichnen kann ih begreife, daß, wenn es Einem sch{chleck{t geht, er die Shuld nit an si, sondern lieber an Anderen suŸt; und so ist es auch dort gewesen. Es ift eine gewisse Nervosität in unsere Industriebezirke gekommen. Ich weiß ja, woher das kommt, und Sie wissen es Alle; ih würde es deshalb besser gefunden haben, wenn man heute diesen Punkt nit so sehr berührt bätte. Denn duobus litigantibus tertius gaudet, und wer hier der sih freuende tertius ist, das werden die Herren wohl wissen. Gerade aus sozialpolitishen Gründen halte ich es für beffer, diese Dinge nicht soweit und so ausführlich zu erörtern. Aber da sie ein- mal berührt sind, so muß ich doch mit cinigen Worten die erhobenen Vorwürfe zurückweisen. Der Herr Abgeordnete hat gesagt, daß in Oberschlesien im Okteber vorigen Jahres große Wagen- noth gewesen wäre. Ih habe hier ein amtlihes Verzeich- niß vor mir liegen, welches das Wagenbedürfniß an der Ruhr wie in Oberschlesien ausweist. Darnach hat in Obers(lesien im September vorigen Jahres kein Wagen gefehlt. Im Oktober is allerdings eine Mindergestellung von 6% zu verzeihnen, im November eine Mindergestellung von 19/9 und im Dezember eine Mindergestellung von 20/0; es sind 94121 Wagen gestellt und 1941 Wagen nicht gestellt. Die \{limmste Erscheinung kommt mit 22/9 minus auf den Januar. In dem Rubhrbezirk ist bis zum Monat Oktober die Wagengestellung eine fast durchweg regelmäßige gewesen. Im September noch haben auf 956 801 gestellte Wagen nur 112 gefehlt, Im Oktober bat sich im Ruhrrevier eine Mindergestellung ergeben von 1,3 9%, im November eine sol@e von 2,89%, im Dezember eine folhe von 11 9%; der Januar ist sogar mit einer Mindergestellung von 19°/o aufgetreten, während die oberslesische Mindergestellung, wie gesagt, auf allerdings 22 9/0 ge» stiegen ist. Meine Herren, woher das kam, das habe ih Ihnen {hon auseinanderzusezen mir erlaubt, und ih kann wiederholen, es liegt das niGt so sehr an der minderen Anzahl von Wagen denn wir haben ja eine erbebliGe Vermehrung im vorigen Jahre eintreten lassen —, als an den elcmentaren Hindernissen, die uns entgegen- standen. Gewiß, es sind ja au einige Dinge dabei zur Sprache ge- kommen und au in den öffentlihen Blättern erwähnt worden, die in Zukunft geändert werden sollen. Es ift gewiß, daß die großen Sammelbahnhöfe niht das geleistet haben, was sie leisten sollten und in der Regel au leisten können. Ihre Leistungsfähigkeit ist zu Zeiten beinahe auf die Hälfte oder gar ein Drittel reduzirt ge- wesen. Das hat in der Schwierigkeit der Bewegung der Wagea auf den Ablaufgeleisen gelegen. Wir haben früher Rüböl {miere benutt, diese friert aber bekanntlich rasch; an deren Stelle if ein anderes Schmiermaterial getreten, das minder rasch gefriert. Aber auch dieses Material ist noch nit befriedigend; wir werden noch auf ein anderes leistungsfähigeres Material Bedacht nebmen müssen, und im Winter vielleicht auch ein anderes als im Sommer gebrauchen. Das wird dic Leistungéfähigkeit der Sammel- babnböfe erheblich erhöhen.

Des Weiteren ist bemerkt worden der Bahnhof in Gelsen- firen ist angeführt —, daß auf cinzelnen Bahnhöfen Stockungen ein- getreten seien ; der Herr Abgeordnete dürfte sih indeß erinnern, daß der Babnbof in Gelsenkirhen zeitweise übershwemmt war und daß seine Leistungsfähigkeit vermöge des Zuströmens der Wagen von allen Richtungen unter den \{chwierigsten Verk ältnissen arbeitete.

Darn ist weiter angeführt worden, daß die Tragfähigkeit der Wagen der Tranéportgefäße son früher hätte vergrößert werden sollen. Ja, meine Herren, ih bitte Sie, sich mal zu vergegen- wärtigen: noch im vorigen Fahre haben wir mehrere hundert Kilo- meter Privatbahnen übernommen, Jahr für Jahr sind wir daran ge- wesen, die neuen Bahnen mit ungcheurer Arbeit in das große Neß einzugliedern. Wir haben einen Wagenpark von den virschiedenen Bahnen, von dem verschiedensten Kaliber überkommen ; Wagen von 80, 100, 120, 1650, 180, 200 und 250 Gentnern Tragfähigkeit. Zunächst kam es darauf an, auf diesem Gebiete mögli Einheitlich- feit zu hafen und zwar anschließend an das befte gende Tarifsystem, welches sich auf Wagen von 200 Centnern aufbaut. Diese Einheit- lichkeit ist herbeigeführt, und jeßt können wir dazu übergehen, Wagen von größerer Tragsähigkeit zur Ausführung zu bringen. Es liegt also keine Nachlässigkeit unsererseits vor. Es ist dabei genau wie mit den Tarifen. Diese haben wir auch ers na und nach ordnen und eingliedern können. Wir müssen Verschiebungen vermeiden, welche einen Landestheil, einen wirthshaftlihen Zweig