1891 / 95 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

weniger, als am Dienstag. Auf der benachbarten Zeche eEiberg*“ find von der 398 Mann ftiarken Beleg'chaft der Morgensciht 102 Mann ohne Angabe von Gründen ausgeblieben. Auf der Zeche „Holland“ bei Watten- scheid, deren Belegsbaft durchshnittlih 1400 Mann beträgt, ift auf SgHacht 3 die ganze Belegschaft der Morgenschicht ohne Angabe von Gründen fortgeblieben. Auf der Zeche „Carolinenglüdck*“, zroishen Wattensbeid und Bochum, sind von 200 Mann der Morgenshicht nur 35 angefahren. Ueber Tage arbeiten alle Arbeiter. Im Dort- munder und Essener Bergwerkrevier ist keine Arbeits- einstellung vorgekommen. Aus Gelsenkirchen wird ferner berichtet, daß seit heute früh auch die Belegschaft von Schacht 3 der Zehe „Hoffnung“ (Revier Gelsenkirchen) ausftändig ist. Wir knüpfen hieran den folgenden Bericht der „Rhb.-W. Ztg.“ über eine Versamm- lung der Belegschaft der Zehe „Hoffnung“ am leßten Sonntag in Essen, welcher etwa 130 von den 470 Bergleuten der Zeche beiwohnten. Der Einberufer erklärte, daß die Versammlung den Zweck babe, mehrere Wünsche der Belegschaft öffentli zum Ausdruck zu bringen. Es müsse dahin gewirkt werden, „daß dos Holzauftragen fortfalle und das Holz auf einem Geleise vom -Ma- gazin nah der Brücke geschaft werde; daß der Gang zum Schahte dur eine Treppe verbessert werde; daß den Leuten zur Unterbringung ihrer Kleidungasftücke Schränke gegeben werden; daß die Wasth- kauen mit MRuhbrwafser gespeist und ferner mehr Wetter- müßlen aufgestellt werden.“ Diese Wünsche sollen nun als diejenigen der gesammten Belegschaft der Zechenverwaltung dur Delegirte kund gegeben werden. Von cinem der Redner wurde zwar anerkannt, daß es der Verwaltung kaum möglih sein würde, den Wünschen sofort Rechnung zu tragen. Es müsse aber dafür gesorgt werden, daß dies allmählich geschehe und deshalb müsse ein festes Zusammen- schließen in dem allgemeinen deutschen Bergarbeiter-Verband erfolgen, Ferner ift seit heute auch auf der dem Bochumer Verein gehörenden Zeche „Vereinigte Maria Anna“ und „Steinbank“ zwischen Stecle und Bou der g!oßte Theil der ungefähr 1100 Mann betragenden Belegschaft ausständig geworden. Auf den der Zee «Carolinenglücck“ benaWbarten Schähten von der Zehe „Hannover“, die der Firma Krupp gehören, ist dagegen Alles an der Arbeit. Auf dec Zehe „Centrum“ bei Wattenscheid mit ciner Belegscaft von 1500 Mann sind keute die Belegschaften auf beiden Schächten auêsftändig. Auf der Zehe „Bonifacius* sind von dec heutigen Véorgenshi@t 50 Mann nicht eingefahren. Auf der Zehe „HasenwinLel“ bei Dakblhaufen a. d. N. ist Niemand angefahren, auf der Zehe „Fröhlihe Morgensonne* bei Watten- seid sind nur 121 Mann und auf der Zee „Friedlicher Nach- bar“ bei Dahlhausen nur 25 Mann angefahren. Wie endlich aus Boum telegraphisch gemeldet wird, find beute früß die Beleg- scaften der Zehen „Herminenglück-Liborius* und ,Prinz von Preußen“ nit angefabren.

Aus Dortmund telegraphirt man der „Köln. Ztg.*, daß eine Belegschaftsversammlung der Zeche Westhausen das Gebahren der deutschen Abgeordneten in Paris verurtheilte und den BefGluß faßte, weder einem Verband noch anderen Belegschaften {ih anzuschließen.

Aus Freisenbrucch wird der „Nhein.-Westf. Ztg.“ geschrieben : Seit Dienstag Morgen werden hier unter den Bergleutea Aufrufe ver- theilt, in welchen es heißt: „Kameraden! Wie Ihr wißt, strikt die Belegschaft der Zee „Eintracht Tiefbau“ wegen unerhörter Be- drückung. Beweis dafür ist die Anerkennung der Forderungen der Belegscast von hohen Beamtcn der Zeche sowohl wie vom GSe- meindevorsteher Amtmann Hens u, st w“ Wir find in der Lage und ermäctigt, die in dem Aufrufe enthaltene Bemerkung, die Forderungen der Belegschaft der Zeche „Eintracht Tiefbau“ seien vom Hrn, Amtmann Hans als richtig anerkannt worden, für unwahr und nicht zutreffend zu eklären. Hr. Amtmann Hans Hat nur auf spezielles Ersuchen der Versammlung vom leßten Sonntag es über- nommen, vermittelnd zwis{chen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein- zuwirken, niemals ift es demselben cingefallen, die gestellten Forderungen der Belegschaft als bere{chtigt oder gar als eine unerhörte Bedrückung der Belegschaft anzuerkennen.

Aus Gottesberg in S(hlesien wird der „Magdb. Ztg.“ unter dem 21, d. M, telegraphirt: Die aligemeine Bergarbeiter- versammlung im nahen Fellhammer verlief ohne Störung. Der Beitritt älterer Bergarbeiter zum Rehtsverbande war fehr shwach. Die Kohlenkonsumenten, die einen Strike befürchten, ccriGten große Niederlagen, sodaß auf einzelnen Gruben bereits Feiershiten vorfonmen.

Aus Köln wird der Berliner „Volksztz.* geschrieben : In ciner stark besuhten Versammlung der Schuhmacher würde am Montag beschlossen, in den nähsten Tagen die Forderung auf E in- führung des Elfftundentages und cine löprozentige Lohn- erhöhung für Akkordarbeiter zu stellen, Vei Nichtbewilligung der Forderung soll cine allgemeine Arbeits einstellung stattfinden.

Aus Kiel \{reibt man demselben Blatt; Die Swiffs- zimmerleute der Germania-Werft und der Howaldtêwerke sind wegen Lobnerb öhung vorstellig geworden. Sie beanspruchen einen Minimallobnfaß von 40 H die Stunde und einen entsprechend böberen Prozentsaß für Ueberstunden, als bisher bewilligt worden ift,

In Altona ist, wie ,„W. T. B,* meldet, der von den Sozial- 0A für den 3, Mai beabsichtigte Umzug verboten worden.

Uus Hanau schreibt man der „Frkf, Zta.", daß dort seit Montag die Schuhmachergesellen im Ausstand sind, weil die Meister die Einführung eines erhöhten Lobntarifs ablehnten. Nach dem neuen Tarif fordern die Gesellen als Wochenlohn 15 K obne Kost und Logis oder 7 f mit Kost und Logis 2c. Außerdem wollen sie den Arbeitstag von 12 auf 10 Stunden gekürzt und ihre Ueber- stunden bei Wochenlohn mit 40 § und bei Stückarbeit mit 30 9% vom Verdienst vergütet haben, während seither Ueberstunden nit vergütet rourden.

Aus Brüssel wird vom 21. d. M. berihtet, daß die dortige Vereinigung der Arbeiterpartei dur% Maueranshläge und dur cin Manife st, welches sie in 100 000 Exemplaren vertheilen läßt, die Arbeiter auffordern wird, an der für den 1. Mai zu Gunsten des ahtstündigen Arbeitstages und des allgemeinen Stimm- rechts in Aussicht genommenen Kund gebung theilzunehmen. Heute wird nun telegraphisch gemeldet, die geplante Arbeiter- kundgebung am 1, Mai sei von dem Bürgermeister unter der Bedingung gestattet worden, daß der Weg, den der Zug nehmen soll, von_ der Gemeindebehörde festgéseßt werde, und daß die Führer für die Ordnung einstehen.

Aus Nom meldet ein Wolff’shes Telegramm: Dem ,„Fanfulla“ zufolge werden alle Polizei-Kommissare am 25. d. M. eine gleihlautende Bekanntmachung bezüglih des 1. Mai erlassen. Nach derselben „follen Versammlungen, selbst an öffentlichen Orten, ebenso Reden, soweit sie keine Beleidigung und keine Angriffe gegen Staatsgeseße enthalten, gestattet, jedoh Aufzüge, unter welcher Form immer, verboten und um jeden Preis unterdrückt werden.

Aus Arras wird telegraphish mitgetheilt: Das Syndikat der Bergarbeiter des Departements Pas-de-Calais beab- sichtigt, eine Kundgebung zu veröffentlichen, in welcher die Ber g- arbeiter aufgefordert werden, anläßlich des 1. Mai Petitionen zu unterzeihnen, in denen die Beschwerden der Arbeitec dargelegt werden sollen, fih jedoch im Uebrigen jegliGer Demonstration zu enthalten.

Aus La Croyern berihtet ,W. T. B,*; Einige Walzwerk- arbeiter, wele seit ses Wochen \trikten, nahmen am MDienftag die Arbeit wieder auf. Zahlreiche noch Strikende versammelten si vor dem Ausgang der Werkstätten und mußten durch Gendarmerie und Polizei zerstreut werden, Dabei wurden mehrere Verhaftungen L t E Deer

Zie aus Scottdale (Pennsylvanien) über London telegrapbi gemeldet wird, erwartet man daselbst e Itetieo als aro A die ausständigen Arbeiter im Cokesgebiete.

Kunst und Wissenschaft.

4+ Der Bildhauer Henry Chapu is am 21. April in Paris gestorben. Chapu war am 29. September 1833 in Lemiée geboren, ein Schüler von James Pradier, dessen Meistershaft in der Behandlung des Marmors auch er erreichte. Seine zahlreihen, vielfah in öffent: lichem Auftrage geschaffenen Arbeiten offenbaren neben dieser Sauberkeit der Durchführung einen großen Reichthum an poetishen Gedanken. Es sei hier nur die ¿Jeunesse“ für Regnault's Grabmal und die „Jeanne d’'Arc im „Luxembourg“ genannt. Der 1872 zum Offizier der Ehrenlegion ernannte Künstler zählte mit zu. den bekanntesten fünstlerishen Persönlichkeiten von Paris, obwohl er mit seiner Auffassung einer bereits als überwunden ‘geltendèn Richtung angehörte.

Das Befinden des erkcankten Historikers Ferdinand Gregorovius in München hat si nach einer Meldung des W. T. B.“ weiter vers{chlimmert.

Bei Ausgrabungen, die in Wien in der Nähe des Arsenals vorgenommen werden, wurden nach einer Mittheilung der „Mgdb. 3.“ sechzehn römische Grabstätten gefunden. Skelette, die fi darin befanden, wurden dem Centralfriedhof, verschiedene Gegenstände, so Opfermünzen, KleideSpangen, Urzen, Shüsseln und Släschczen der Direktion der Sammlungen des Kaiserhauses übergeben.

Gesundheitswesen, Thicrkrankheiten und Nbsperrung2- Maßregeln. Australien.

Durch Bekanntmaung des Gouverneu:s zu Sydney vom 26. Februar 1891 is angeordnet worden, daß die von Colombo, fei es direkt, sei es über Zwischenhäfen, kommenden Schiffe, mit MRücktsi{t auf die angeblih dort herrschende Pokenkrankheit, bei Ankunft in der Kolonie Neu-Süd-Walcs so lange in Quarantäne gehalten werden follen, bis sie von dem zuständigen Gesundheits- beamten zum freien Verkehr zugelassen werden.

Handel und Gewerbe.

Subhafstations3-Resultate.

Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin standen die naG- verzeihneten Grundstücke zur Versteigerung: Gontard straße 1, den Baumeistetn F. Overbeck und G. Lübdicke gehörig. Das geringste Gebot wurde auf 900 M festgesezï, Ersteber wurde der Kim. Eduard Ullendorf zu Berlin für das Meisigebot von 295 000 G Grundstü in der Gontardstraße 2, den oben- genannten Baumeistern gehörig. Das geringste (Hebot wurde auf 900 M festgeseßt. Erstcher wurden die Rentier Boesche’shen Erben für das Meistaebot von 315 100

Die ESeneralversammlung der Aktionäre der Stettiner Rückversiherungs-Aktien-Gesellschaft vom 21. d. M. er- theilte dem Aufsichtsrath und der Direktion Decharge. Die Dividende von 89% = 24 Æ# pro Aktie gelangt bereits zur Aus8zablung.

Der MRechenschaftsberiht der Lebens-, Pensions- und Leibrenten - Versicherung8gesellshaft „Iduna“ in Halle a. S. für das Gescäftsjahr 1890 1äßt eine befriedigende Weiterentwicklung der Gesellschaft nachþ allen Ri&&tungen erkennen. Der erzielte Neinübershuß des abgelaufenen Geschäftsjahres beträgt 970542 Æ und gestattet die Fortgewährung der vom 1. Januar d. F. ab auf 25 °% erhöhten Dividende, Im Jahre 1899 waren 2429 An- träge über 9117 138 # Kapital und 12890 4 Rente zu erledigen ; neugeschlossen wurden 1859 Versicherunzen über 6 819 038 6 Kapital und 124176 Rente. Der Gesammtversicerungs- bestand am S(lusse des Geschäftsjahres belief Kch auf 50 374 Versicherungen über 84 983 243 # Kapital und 119643 Æ Rente. Die Prämtenecinnahme der „Jduna*® betrug 1890 3 289 662 Æ, der Ertrag der Kapitalsanlagen 914 327 4, der durch: \chnittlich erzielte Zinsfuß 4,297 0/0. Zur Vermehrung der Prämien- Meserve wurden 1495489 #4 benutzt, sodaß dieselbe ultimo 1890 20 126 001 6 betrug. In sicheren Hypotheken, Effekten, baarer Kasse, Bankier-Guthaben und Policen-Darleben besaß die Gelellschaft am Jahress{chluß 20 637798 A In der ordentlichen General- versammlung der Gesellschaft vom 18. d, M, wurden die zur Er- örterung stehenden Punkte der Tagesordnung durch Dewargirung der Jahresrechnung und Wiederwabl der turnuëgemäß ausscbeidenden Mitglieder des Verwaltungsratbs erledigt. Í

Der „Köln. Ztg.“ wird unter dem 21, d. M. aus Düssel- dorf gemeldet: Die Hauptversammlung des westdeutschen Grobblechverbandes ftelite fest, daß die Beschäftigung zu- genommen, die Preife aber dur) außerhalb des Verbandes stehende Werke stark gedrückt würden. Es wurde beschlossen, dem Wettbewerb mit Entschiedenheit zu begegnen und einen Aus\{chuß mit der Prüfung der Frage, betreffend die Errichtung einer gemeinsamen Ver-

kaufsftelle, zu betrauen. i

München, 23, April. (W. T. B) Die Einnahmen der bayerishen Staatsbahnen im 1. Quartal d. J. betrugen 21 823 609 M, mithin 121573 6 weniger als im gleihen Quartale des Vorjabres, obwohl 92 km hinzugekommen sind; _der Frachten- verkehr izn März ergab 404 062 #4 weniger a!s im März 1890,

Letpzig, 22. April. (W. T. B) Kammzag - Termin- handel. La Plata. Grundmustec B. pr. April 4,374 4, pr. BVèai 4,377 Æ, pr. Juni 4,425 6, pr. Juli 4,45 A, pr. August 4,473 K, pr. September 4,477 4, pr. Oktober 4,477 #6, pr. November 4,477 #4, pr. Dezember 4,474 , pr. Januar 4,473 #4 Umsay 100 000 ke, Nuhig. :

New - York, 21. April. (W. T. B.) Heute sind im Ganzen 1# Millionen Dollars Gold für ben Export bestellt S davon eine halbe Million mit der Bestimmung nah

erlin.

Der Werth der in der vergangenen Woche ausgeführten Produkte betrug 6358 970 Dollars gegen 7 801 532 Dollars in der Vorwoche. :

Wetzen - Verschiffungen der leßten Woche von den atlantischen Häfen der Vereinigten Staaten na Großbritannien 29 000, bo. na Frankrei —, do. nah anderen Häfen des Kon- tinenis 31 000, bo, von Kaliforaien und Oregon nach Groß- britannien 41 000, bo. nach anderen Häfen des Kontinents 87 000 Qrts.

Mannigfaltiges.

Die Einführung eines Z”ehnpfennig-Tarifs auf den Pferde- eisenbahnen ist, wie bekannt, in einem Ausschuß der Stadt» verordneten-Versammlung zur Sprache gekommen. Nach dem jeßt vorliegenden Ausfchuß-Protokoll überzeugte si, wie die „N. Pr. Di mittheilt, der Aus\{chuß, daß die städtischen Behörden nah ben mit den Pferdeeisenbabn-Gesellshaften geschlossenen Verträgen sich nicht in der Lage befänden, cinen Druck nah der gewünschten Richtung hin auf die Gesellshaften auszuüben, daß dies vielmehr nur bei neuen Konzessionsertheilungen der Fall sein könne. Andererseiis wurde im Aus\chuß aber auch darauf hingewiesen, daß Berlin von allen Welt- städten die billigsten Pferdeeisenbahn- Fahrpreise habe und, wie der Geschäftsberiht der Großen Berliner Pferdecisenbahn-Gesellschaft ergebe, son legt die bei Weitem meisten Fahrgäste nur 10 S zahlen. 764% aller Einnahmen werden dur die Zehnpfennig- Fabrs@eine erzielt. Nach den von der Gesellschaft angestellten Berechnungen würde die Einsührung eines Durchschnitts-Zehnpfennig- Tarifs in den nächsten Jahren einen Ausfall von 14 Millionen Mark verursachen; außerdem würde der Andrang zu den Wagen ein so gesteigerter werden, daß .er mit den vorhandenen Betriebsmitteln nicht bewältigt werden könnte, sodaß die Gesellschaft genöthigt sein würde, ihren Fuhrpark zu vergrößern und neue Babnhöfe anzulegen, was nur mit erheblihen Kosten geschehen könnte. Die Gesellschast hat es deshalb abyelehnt, einen derartigen Tarif einzuführen.

Die Jahresversammlung des Berliner Zweigvereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke findet am Freitag, 24. Apcil 1891, Abends 7 Ühr, im Bürgersaale des Berlinischen Rathhauses, Königstraße 15/18, mit folgender Tagsordnung ftatt: 1) Geschäftsbericht des Vorsitßenden. 2) Malter s 3) Vorstands- wak1. 4) Mittheilung des Professors Dr. Jolly: „Ueber rückfällige Trinker*. 5) Vortrag des Geheimen Saritäts-Raths Dr. Baer: „Ueber Behandlung der T'inker*. 6) Vortrag des Ober-Verwaltungs- gerichts-Raths Dr. von Strauß und Torney: „Ueber EGntmündigung von Gewohnheits-Trinkern“. 7) Mittheilungen des Geschäftsführers A. Lammers aus Bremen: „Ueber den Entwurf zu dem neuen Reichs: geseß gegen die Trunksuht“. 8) Sonstige Vereinsangelegenhciten.

Königsberg i, Ostpr. Ein ehemaliger Student der Albertus- Universität in Königsberg, gegenwärtig einer der angesehensten Aerzte in New-York, hat es sih zur Aufgabe geftellt, dahin zu wirken, daß das Voroild der vortrefflißen Einrihtungen, wele an den höheren amerikanisen Lehranstalten für die Pflege aller Leibes- übungen bestehen, au an deutsch:n Hochschulen Nachahmung findet. Er wünscht zu diesem Zweck Anstalten errichtet zu sehen, welche eine Turn- und Festhalle, Näume für Uaterri®t und Uebung im Feten, Bäder, eine Reitbahn, au Speisehallen mit Billardsälen, Kegelbahnen Ballspiel- pläte u. st. w. in sich vereinigen und den Studirenden für ein geringes Entgelt die Möglichkeit bieten, sowohl in ernsten Uebungen als in heiterer Ge- selligkeit die Muskelkraft des Körpers zu pflegen und zu stählen. Er hat dur die hochherzige Schenkung eines großen, passend ge- legenen Grundstücks den ersten Schritt dazu gethan, ‘daß dieser \chöne Gedanke zunächst an der Universität Königsberg zur Ver- wirklihung gelangt. Zur weiteren Verfolgung seines Plans, welHer nach ciner Mittheilung des „Centr.-Bl. d. Bauv.“ Scitens des Kultus-Ministeriums mit wärmster Theilnahme aufgenommen worden ist, {rat im vorigen Winter ein Aus\{huß zusammen, dem die anges sehensten Männer der Provinz Ostpreußen angehören. Dieser be- {loß zuvörderst unter den Mitgltedern des Ostyreußischen Archi- tekten- und Ingenieur-Vereins auf Grund eines von Sachverständigen aufgestellten Programmes cine W:ttbewerbung zur Erlangung geetg- neter Entwürfe für die bauliche Anlage auszushreiben. Der Wettbewerb hat das günstige Ergebniß gebabt, sodaß unter den ein- gegangenen Entwürfen den Arbeiten des Architekten Heitmann in Königéberg und des Kreis-Bauinspektors Tiesfenbach in Ortelëburg die ausgeschten Preise von 509 46 und 300 ( zuerkannt werden fonnten (der Plan des Regierungs-Baumeisters Schulz-Stegliß werde zurn Ankauf empfohlen). Mit diesen Entwürfen ist, wennschon sie für die Ausführung noh niht ohne Weiteres geeignet erscheinen, ein werthvolles Material für die Förderung des groß gedahien und ge- meinmnügigen Unternehmens gewonnen.

Hamburg, 21. April. Die in Nr. 94 des ,N- u. St.-A.“ kurz gemeldete Feuersbrunst im Freihafengebiet (Sandthor-Quai) war die größte, welche jemals daselbst ausgebrochen ist Der „N. Pr. Ztg.“ ist darüber folgender Berit zugegangen: Bis tief in die Nacht binein wüthete das feurige Element, und die Feuerwehr hotie ihre Noth, die Nachbarbetriebe, die Elektrizitätswerke, sowie den Sandthor-Quaishuppen por demselben Schicksal zu bewahren, dem der geroaltige Speicherblock Ò, mit seinen sech8 Böden nunmehr zum Opfer gefallen ist, Jn dem Speicher befanden i außer der Schmidt'schen Kaffeerösterei, welche mehrere Böden einnimmt, noch etwa sechzehn andere Kaufmannélager, deren Güter, meistens Kolontal- und Materialwaaren, dem gierigen Element so reihlihe Nahrung boten, daß in dem Augenblick, als man die Luken öffnete, der ganze Speicher cin einziges Flamwenmeer war, nachdem vorher der Häuferkoloß im Junern ganz von Rau angefüllt gewesen, Letzteres war in der Zeit zwishen 6 und 7 Uhr, wo no Duyende von Menschen in dem Speier beschäftigt waren, ohne cine Ahnung davon zu haben, daß das Feuer selbst bereits den Speicher 0. er- griffen hatte. Vls die Feuerwehr, welche anscheinend zu \pât alacmirt worden war, um 7 Uhr erschien, schallten ihr markerschütternde Rufe von Leuten entgegen, welchen durch den undurhèringlihen Rau der Weg zum Ausgange abgeschnitten war. Sie waren zu den Noth- thüren geeilt, die aber verschlossen und eingerostet waren und nicht sunktionirien. Den Tod vor den Augen mußten diese Armen warten, bis die Feuerwehr sie einzeln mit Leitecn und Stricken retten konnte, was endlich mit sämmtlichem Personal gesehen konnte. Die Lezten wußten sich an den Feuerwehrshläuhen zum Wasserkanal hinablassen, welcher den Sandthor-Quai begrenzt und wo Fahrzeuge der Geängstigten warteten, Mehrere der geretteten Personen baben erheblid)e Brandwunden erlitten. Wie es angehen konnte, daß das Feuer in dem massiven Bau so rasch si ausdehnen konnte, er- lärt fich daraus, daß der in der benaHbarten Central: Heizanlage aufgestellte Hydrant, welcher sonst das ganze Gebäude hätte unter Wasser segen können, abgestellt worden war, weil man der Gefahr des Explodirens vorbeugen mußte, in welcher die Dampfkesselanlage sih bejand, wo das Feuer entstanden war. Zu der Verwirrung, welche der Nuf „Feuer“ veranlaßte, kam, daß um 64 Uhr plößlih alle clektrishen Lichter versagten, denn die elektrishe Centralanlage war selbst vom Feuer ergriffen worden und ihr Betrich ist auf längere Zeit hinaus gestört. Der Speicher 0. ift ganz aus- gebrannt, Der „Hamburgishen Börsenhalle“ zufolge beläuft si der bei dem Brande angerihtcte Schaden auf etwa 3 Millionen Mark und ift durch Versicherungen bei 26 Gesellschaften gedeckt. Betheiligt scien unter anderen die Hanseatische Versicherungsgesellschaft mit 330 000 46, die Hamburg-Bremer mit 260 000 4, der Londoner „Phönix“ mit 300 000 #4, die Preußische Nationalversiberung mit 280 000 M, die Versicherungsgesellshaft „Sun“ mit 200009 # und die Berlinische Feuerversicherungs-Gesellshaft mit 100 000 6

London, 20. April. Sämmtlie heutigen Londoner Morgen- blätter widmen dem Werk des Dr. Carl Peters' über die deuts he Emin-Pascha-Erpedition, welhes heute im Verlag von Ward, Lock u. Co. in englischer Ueberseßung unter dem Titel ; „New Light on Dark Africa“ erscheint, eingehende und im Großen und Ganzen sympathishe Besprechungen.

Paris, 20. April, Aus Fontainebleau wird der Mgdb_ Z.* telegraphirt, daß gestern in den dortigen Waldungen zwei Brände ausbraten : der eine, in seinen Wirkungen gerinaer, in der Richtung der Malerkolonie Barbizon, wo er etwa ses Hektar Haide- land versengte, der andere in der Nähe des Rocher Besnard, ebenfalls einer Lieblingsgegend der Landschaftsmaler. In beiden Fällen scheinen unvorsichtige Raucher den Brand verursacht zu haben. Der größere verzehrte die Fihten und Birken auf dreizehn Hektar in der Runde,

Rom, 23. April, Heute früh gegen 7 Ubr wurde, wie das „W, T. B.* meldet, die Stadt von einem donnerähnliten SHlage ershüttert, zahlreihe Fenstersheiben zersprangen. Als die Urfache ter gemeldeten Ershütterung ergab sich eine vor der Porta Portese, etwa 4 km von der Stadt, erfolgte starke Pulver-Explosion in dem Pulverthurm von Pozzo Pantaleo. Fünfzehn Soidaten sollen bei dem Pulverthurm Wache gehalten haben. Wie verlautet, sind durch die Explosion die benawbarten Gebäude shwer beschädigt worden, 120 Personen sollen zum Theil \{chwer verletzt sein. Todte sind bisher niht aufgefunden worden, doch befürhtet man, daß solche unter den Trümmern begraben liegen. Der König, der Herzog der Abruzzen, der Minister-Präsident di Rudini, der Minister des Innern Nicotera, die übrigen Minister, alle zuständigen Behörden und zahlreihe Personen haben sich nah dem Scauplazg der Explosion e Verwundeten werden nah dem Hospital Confolazione ransportirt,

_New- York, 21. April. Die heutige Todtenliste für New-York weist laut Meldung des „W. T. B.“ 291 Todesfälle auf, darunter 27 an der Influenza. Es. ist dies die größte Sterblichkeitsziffer dieses Jahres.

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih P

M 95.

Deutscher Reichstaa. 105. Sigung vom Dienstag, 21. April.

Am Bundesrathstische der Staats-Minister Freiherr von Berlepsch. Die zweite Berathung der Gewerbeordnungs-Novelle (Arbeiterschubgeseß) wird fortgeseßt mit 8. 153. Im bestehenden Geseg lautet §. 153 wie folgt:

„Wer Andere dur Anwendung körperlihen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverleßzung oder dur Verrufserklärung be- stimmt oder zu bestimmen versucht, an solhen Verabredungen (§. 152) tbeilzunehmen oder ihnea Folge zu leisten, oder Andere durch gleihe Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabre- dungen zurückzutreten, wird mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, sofern na dem allgemeinen Strafgeseß niht cine härtere Strafe eintritt.“ Z

Die Vorlage hatte für den §8. 153 folgende neue Fassung vorgeschlagen :

„Wer es unternimmt, durch Anwendung körperlihen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverlezungen oder durch WVerrufs- erklärung 1) Arbeiter oder Arbeitgeber zur Theilnahme an Ver- abredungen der im §. 152 bezeihneten Art zu bestimmen oder am Rücktritt von solhea Verabredungen zu hindern, 2) Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen oder an der Fortseßung oder Annahme der Arbeit zu hindern, 3) Arbeitgeber zur Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der- Annahme von Arbeitern zu hindern, wird mit Gefängniß niht unter einem Monat bestraft. Ist die Handlung gewohnheitsmäßig begangen, so tritt Gefängniß nicht unter einem Jahre ein.

Die gleichen Strafvorschriften finden auf Denjenigen Anwen- dung, welcher Arbeiter zur widerrechtlichen Einstellung der Arbeit oder Arbeitgeber zur widerre{tlichen Entlassung von Arbeitern öffentlich auffordert.“ /

Die Kommission hatte in beiden Lesungen den 8. 153 abgelehnt.

_ Die Abgg. Auerx und Genossen beantragen eine ander- weitige galns des §. 153, deren erster Absay die geltende Vorschrift wiederholt, aber mit Weglassung der „Ehrverlezung“ und des Schlußsaßes „sofern niht eintritt“. Jn einem weiten Absaß wird dieselbe Strafandrohung unter denselben

orausseßungen für Diejenigen ausgesprochen, welche Andere zu bestimmen versuchen, an solhen Verabredungen und Ver- einen nit theilzunehmen oder Arbeitern deshalb die Arbeits- gelegenheit ershweren, sie niht in Arbeit nehmen oder aus der Arbeit entlassen, weil sie daran theilgenommen haben oder theilnehmen.

Abg. Dr. Schädler:, Der §. 152 gebe den Arbeitern das Koali- tionsrecht, es sei das größte und \{önste Recht des Arbeiters. Die Vorlage bringe jeßt Vershärfungen der Bestrafung des Mißbrauchs diefes Rechts in Vorschlag, denen seine Partei nicht zustimmen könne. Es habe sich in der Kommission keine Mehrheit für diese Ver- \härfungen gefunden, welche das bisherige Strafmarimum von drei Monaten zum Strafminimum machten und das Véaximum bis auf ¿wei Jahre erhöhten, Diese Höhe der Strafen und das -Kautschuk- artige des ganzen Wortlauts machten denselben sehr bedenklih, Der Ausdruck „unternimmt“ sei viel zu unbestimmt; die Bestrafung nah Ziffer 2 Desjenigen, der au ohne vorausgehende Vereinbarung oder Ver- abredung die Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen versuce, die {were Strafe für Verrufserklärung vermöge seine Partei nit anzuneh- men. Wenn man sehe, wie die Unternehmer si zu Kartellen und Ringen Vereinigten, wenn man von dem Vorgehen höre, wic es die Broschüre in Betreff des Deutschen Metallindustriellenverbandes enthülle, ein Vorgehen, welches seine Partei ganz entshieden verwerfe und ver- urtheile, fo könne man umfoweniger in diesen Gesetesbestimmungen einek gerehten Ausgleich sehen. Seine Partei glaube nit, daß damit die Ausschreitungen bei Strikes verhindert, oder die Strikes selbst aus der Welt geschafft werden könnten. Die Statistik der Ausständigen fei noch nit eine Statistik des Kontraktbruchs. Manter Strike habe wohlberechtigte Gründe. Zu helfen sei durch die Anerkennung der becuflihen Organisation der Arbeiter, worüber man ja später beim Antrag Hirsch ausführlih verhandeln werde. Seine Partei wolle den Frieden zwishen Kapital und Arbeit fördern, die Ver- föhnung beider. änbahnen; dazu gehôre Gerehtigkeit und Liebe, nicht aber diese drakonishen Mittel des §, 153 der Vorlage. s

Abg. Liebkneht: Der Vorredner habe das Koalitionsreht das größte und {hönste Recht des Arbeiters genannt ; er (Redner) sehe in ihm den Schlußstein der Mündigerklärung der Arbeiterklassen. Für die Arbeitgeber habe das Koalitionsreht als solches keine Bedeutung, das entspcehende Reht der Arbeiter sci ihnen aber verhaßt, denn der Arbeiter, der als Einzelner eine Null sei, werde Durch die Möglichkeit, sich zu koaliren, eine Macht, mit der ¡man rechnen müsse. Daher die Anstrengung der Unternehiunerklassen in allen Ländern, das Koalitionsrecht der Arbeiter zu vershränken oder unmöglih: zu machen. Wie unbegründet die Furcht vor dem Koalitionsrecht der Arbeiter sei, zeige das Beispiel Englands, welches dieses Recht vollständig verwirklicht babe und unter den Kämpfen, welche zu diesem Resultat geführt, nicht zusammengesltürzt sei. Nach einer eingehenden Darstellung des Verlaufs dieses Kampfes in England fährt Redner fort: Der _Antrag seiner Partei sei dahin gerihtct, Luft und Licht für beide Matte gleih zu vertheilen. Bis jeßt sei nur der rbeiter unter diese Strafbestimmungen gestellt, seine Partei wolle den Arbeitgeber genau denselben Strafen unterwerfen, Vit folwher Reform verschärfe man nur die Mißstände, die beständen, und erzeuge eine Mißstimmung, die zu Katastrophen führen müsse. Der Denkschrift, welche seine Jane dem Reichstage habe zugehen lassen, verdanke sie, daß die

ehrheit gestern zum ersten Male dem Rufe nach Gerechtigkeit endlih einmal ihr Ohr geöffnet habe. Der Verband, dessen Vor- ehen in jener Broschüre geschildert werde, verletze das Geseß in flagrantester Weise, verbünde ih mit Behörden. und die Behörden riefen niht nach dem Staatéanwalt, sondern gingen Hand in Hand mit ihm, machten gemeinschaftlihe Sache mit ihm gegen die Arbeiter und das Gefeß. In N Komplott zeige sich recht deutlich, wie Reht man habe, von einem neuen Feudalismus zu sprehen. Durch die Verkümmerung der beiden Hauptrechte des Volks, des Wahl und des Koalitions- rechts, werde dem Volke der Glaube an das Kccht überhaupt ge- raubt. Seiner Partei werfe man die Diktatur des Proletariats vor; aber seit 1878 treibe die Bourgeoisie die Diktatur. Die ganze Geset- gebung sei das Werk der vereinigten Kapitalistenklasse zur Förderung hrer Interessen gewesen. Der Gegenfaß der Unternehmer- und Arbeiterklasse könne nur durch die Beseitigung der beiden Klassen beseitigt werden; alle müßten Arbeiter werden, und die Arbeitsver- t, müsse vom Staat geregelt werden, Durch das Züchten von Millionären habe man große Massen von ehedem ökonomisch selbständigen Existenzen zu Proletariern gemacht. Diesen Prozeß Tônne man nicht verhindern, aber was man verhindern könne, sei, daß dieser Prozeß sih verknüpfe mit politischen Katastrophen dur Aechtung des Koalitionérechts. Man könne den Kampf dadurch in friedlihe Bahnen leiten, die Mehrheit könne einer blutige sozialen Revolution vorbeugen. Wer den fozialen Frieden wolle, müsse den

In den Kampf der Parteien gegen einander hat die Geseßgebung

hon aus diesem Grunde der Antrag der Herren Sozialdemokraten für die verbündeten Regierungen nicht annehmbar. besteht, daß er mit Mitteln geführt wird, die häufig nicht zu billigen sind, ist eine beklagen8werthe Thatsahe. Ih will, meine Herren, hier niht untersuchen, welhe der in Frage stehenden Parteien zuerst zu solchen gewaltsamen Mitteln gegriffen hat, wie der Boycott, wie die s{chwarzen Listen, wie die Kontrolmarken es sind. Alle diese Mittel werden von und wenn die

würde sie zu einem Uebermaß von f\trafrechtlißen Bestimmungen kommen, die nebenbei nicht einmal ihr Ziel erreiGen würden, weil es immer für beide Theile Mittel und Wege geben würde, die be-

Dritte Beilage

reußischen Staats-Anzeiger. Berlin, Donnerstag, den 23. April

Staats-Minister Freiherr von Berlep\ch:

Meine Herren! Es ift nicht meine Absicht, gegen den dekorativen Theil der Rede, die w r soeben gehört haben, zu s\pre{hen, zu dem ih all die Angriffe und Uebertreibungen rechne, die cine Variation dessen sind, was wir von Seiten der Herren Sozialdemokraten ja seit langen Tagen zu hören bekommen. Es is au nit eine Absitht, näher auf die Frage einzugehen, die von Hrn. Liebknecht ganz besonders erörtert worden ist, ob es au außerhalb und neben den hier in Frage stehenden geseßlihen Bestimmungen Verhältnisse giebt, die in der That, wie er behauptet, die Koalitionsfreiheit der Arbeiter zu einem Messer ohne Klinge machen ; nur kurz bemerke ib, daß meiner Meinung nach der Verlauf der Strikebewegung der leßten Jahre als Beweis für die Richtigkeit der Behauptung des Hrn. Liebkneht nicht ange- führt werden kann. Ih fühle vielmehr die Verpflichtung, nachdem in der Kommission die Vorlage der Regierung in §. 153 abgelehnt worden ist, zur Begründung derselben hier nur noch einige Worte zu sagen. Mir scheint es erforderli, wenn man an die Frage herantritt, ob eine derartige Vorlage berechtigt und nothwendig war, sih zunäthst zu vergegenwärtigen, welche Stellung die bisherige Gesetzgebung in SS. 152 und 153 der Gewerbeordnung zur Koalitionsfreiheit der Arbeiter und den Nießbrauch derselben einnimmt. Als die verbündeten Regierungen und der Reichstag zu der Ueberzeugung kamen, daß das Verbot der Koalition der Arbeiter niht mehr aufrecht erhalten werden könnte, daß den Arbeitern die Möglichkeit gegeben werden müßte, in der Vereinigung die Kraft zu suchen, die der Eirzelne niht hat, um günstigere Lohnbedingungen zu erzielen, waren Sie zugleih der Meinung, daß es unerläßlich nothwendig sei, die Willens- freiheit derjenigen Arbeiter, die an einer Koalition oder einem Ausstande sich nicht betheiligen wollten, gegen den Zwang ihrer Genossen zu \{chüßen. Das beweisen aufs Klarste gerade die Bestimmungen der§von mir erwähnten Paragraphen, die Motive der Gewerbeordnung von 1869 und die Reichstagsverhand- lungen, welche zu diesem Paragraphen ftattgefunden haben. In den Motiven befindet sich ein Paf}fus, welcher folgendermaßen lautet :

Die bestehenden Koalitionsbeshränkungen für die gewerblichen Unternehmer und Arbeiter werden beseitigt, dagegen bleibt den Koali- tionsverabredungen der staatlihe Schuh vorenthalten, und der im In- teresse der Freiheit nothwendige Schutz gegen den Mißbrauth, die freie Entschließung der Arbeiter durch Drohung und Anmaßung von Gewalt zu beeinträchtigen, wird in einer Strafbestimmung gesucht.

Ich berufe mich ferner auf die Verhandlungen des Reichstages, und da ist ganz ‘besonders eine Aeußerung des Hrn. Abg. Lasker be- merkenswerth, die in der Sißung vom 3, Mai 1869 gethan worden ist und folgendermaßen lautet :

Wenn wir die Freiheit der Vereinigung proklamiren, so wollen wir sie proklamiren auch für Diejenigen, welche ih dieser Vereinigung nicht fügen wollen. Es muß die Freiheit bestehen, zurückzuweisen, daß kein Arbeitnehmer zu ciner Vereinigung mit widerrehtlihen Mitteln gezwungen werde. Jch bezweifle nit, daß es Niemand in diesem Hause giebt, der niht eine generelle Strafbestimmung für diesen Fall wünsht. Wir würden sonst die Freiheit der Vereinigung in einen Vereinigungszwang umwandeln ; ih sprehe nicht bloß von Hypothesen, sondern von Dingen, die thatsählich vor unseren Augen vorgehen.

Auf dem Sat, daß kein Arbeitnehmer durch widerrehtlihe Mittel zu einer Vereinigung gezwungen werden soll und darf, und auf der Erfahrung, daß es sich hier nicht um Hypothefen, sondern um Dinge handelt, die thatsählich vor unseren Augen vorgehen auf diesem Say und dieser Erfahrung berubt die Vorlage. Sie unterscheidet sih prinzipiell niht von der bestehenden Gesetzgebung, und ih muß bemerken, daß die leßtere bis zum Beginn dieser Reichs- tagssession von keiner Seite angefohten worden ist, und daß auch von keiner Seite behauptet worden ist, daß in der bestehenden Gesetz- gebung ein Ausnahmegesey, ein Geseß, welhes Ausfluß der Klafsen- gesegebung ist, enthalten sei. Nur der leßte Absatz des 8. 153 betrifft ein Gebiet, welches die Geseßgebung bisher nit umfaßt hat, nämlich die öffentlihe Aufforderung zur widerre{chtlichen Einstellung der Arbeit und zur widerrechtlihen Entlassung von Arbeitern. Im Uebrigen bandelt es si bei dieser Vorlage ledigli um eine Er- weiterung des Begriffs der strafbaren Handlung indem nit nur der Zwang zur Theilnahme an Verabredungen, sondern au der Zwang zur Niederlegung von Arbeit auch ohne Verabredung unter Strafe gestellt wird —, und um eine Erhöhung des bisherigen Strafmaßes.

Wenn gegen die Vorlage der Vorwurf erk oben worden ift, daß sie mehr gegen die Arbeiter, als gegen die Arbeitgeber gerichtet ift, so muß i bemerken, meine Herren, daß die Absiht der Vorlage dahin geht, wie es auch die Absicht der bisherigen Geseßgebang war, den Zwang gegen den Genossen auszuf ließen.

Sollte in der Fassung der Vorlage hier eine Dunkelheit vor- liegen, so würden die verbündeten Regierungen durhaus bereit sein, diese Dunkelheit aus dem Gesetz zu entfernen und ganz klar zum Ausdruck zu bringen, daß ihre Absiht lediglih die ist, den Zwang der Genossen gegen den Genossen zu verbieten und zu unterdrücken.

bisher nicht eingegriffen, das will auch die Vorlage nicht, und deshalb ist Daß dieser Kampf

beiden Seiten zur Gesetzgebung hier eingreifen

Anwendung gebracht, wollte, so

1891.

Arbeitnehmer gegen die Arbeitgeber und umgekehrt, der, wie gesagt, augenblickÆlich in beklagens8werther Schärfe herrsht, kann nur eines helfen, die Ueberzeugung, daß eine Verständigung über die gegenseitigen Interessen das einzig richtige Mittel ist, um ihn beizulegen (Bravo! rets), und iy hoffe, daß die Einigungsämter, die durch das Gesetz über die Gewerbegerihte in’s Leben gerufen werden, ihr Theil dazu beitragen werden, um die Verständigung, die ih eben erwähnt habe, zu erleichtern,

Nur, meine Herren, fragt es ch, ob in der That Gründe vor- gelegen haben, um eine Vershärfüng ber bestehenden Strafbestim- mungen in die Vorlage aufzunehmen. Die verbündeten Regierungen sind nit zweifelhaft darüber, daß namentlich im Laufe der lchzten beiden Jahre die Fälle, in denen Zwang gegen arbeitswillige Arbeiter dur ihre ausständigen Genossen ausgeübt worden ift, ih in erheb- lihstem Maße vermehrt haben. Da3 trat zuerst bei dem großen Bergarbeiteraussia:d im Jahre 1889 in die Erscheinung. Nicht nur zablreie gerihtlide Bestrafungen, sondern auch das Zeugniß der Behörden tritt dafür ein, der Behörden, die in völlig unpartetischer Weise aus nächster Nähe in der Lage waren, die Ver hältnisse zu beobahten, die häufig ihre Vermittelung auch zu Gursten der Arbeiter haben eintreten lassen. Nach dem Bergarbeiterauêstand hat diese Erscheinung siŸ vielfa wiederholt. Aus ganz Deuts{land liegen Bericßte von allen betheiligten Behörden vor, die zweifellos feststellen, daß der Zwang zum Strike, zur Koalition in unerhörtem Maße zugenommen hat. Der Fall, daß Arbeiter auf der Arbeitsstätte, auf dem Gange von und zur Arbeit thätlih angegriffen wurden, if ein ungemein häufiger; die Be- lästigungen und Drohungen verfolgen die Arbeiter bis in die Wohnungen hinein, sie rihten |ch gegen Frau und Kind. Der Fall ift häufig, daß Arbeiter genöthigt sind, um zu ihrer Arbeit zu gelangen, Sonn- tagskleider anzulegen, daß sie durch die Hinterthüre der Fabriken gehen müssen, um sihch der Veberwahung ihrer ftrikenden Genossen und den ih daran knüpfenden Folgen zu entziehen, (Sehr rihtig! rets.)

Dieser anarcische Zustand, in dem der freie Wille des Arbeiters, si die Arbeit unter den ihm rihtig und annehmbar erscheinenden Bedingungen zu suchen (Bewegung bei den Sozialdemokraten) von den ausständigen Genofsen vollständig unterdrückt wird, entspriht nah der Auffassung der verbündeten Regierungen niht unserer staatlichen und unserer rechtlichen Ordnung; und um ihm ein Ende zu machen, haben sie es für erforderlih gehalten, die Strafbestimmung des §. 153 in das Geseß aufzunehmen.

Nun hat der Hr. Abg, Bebel bereits in der Kommission aus- gesprochen, daß, wenn man mit derartigen drakonishen Bestimmungen ¿. B. in England aufträte, ein Schrei der Entrüstung durch das ganze Land gehen würde; und der Hr. Abg. Liebknecht hat auch heute seinerseits wiederholt auf die Verhältnisse der englischen Gesetzgebung hingewiesen, die in \{hreiendem Widerspruch ftänden zu dem, was hier Ihnen vorgeschlagen wird. Jh habe mir erlaubt, bereits in der Kommission auf die Bestimmung der englishen Verschwörungsakte hinzuweisen, und ih nehme an, daß es für das hohe Haus von Interesse ist, den Wortlaut dieser Bestimmung kennen zu lernen. Sie lautet folgendermaßen :

Wer in der Absiht, eine andere Person zur „Begehung oder Unterlassung einer Handlung zu nöthigen, welche die fragliche Person zu begehen oder zu unterlassen ein geseßlihes Recht hat, unrecht- mäßiger Weise und ohne dazu geseßlih ermähtigt zu sein:

1} einer solhen Person, deren Ehefrau oder Kindern gegen, über Gewalt braucht oder sie einshüchtert oder deren Vermögen beschädigt; oder

T

2) unablässig solher anderen Person von Ort zu Ort folgt; oder

3) Werkzeuge, Kleidungsstücke, die jener anderen Person ge- hören oder von derselben gebrauht werden, verbirgt oder sie außer Besiß derselben seßt (deprive) oder an dem Gebrauche hindert ; oder

4) das Haus oder fonstige Oertlichkeiten, wojelbst eine solche Person wohnt oder arbeitet oder Geschäfte betreibt oder zufälliger Weise sih aufhält, oder die Zugänge zu derartigea Häusern oder Oertlichkeiten bewacht oder beseßt hält; oder

5) solher Person mit zwei oder mehreren anderen Personen auf ungehörige Weise in oder durch Straßen oder auf Wegen folgt, soll entweder einer Geldbuße von niht mehr als 20 £ oder einer Gefängnißstrafe für die Dauer von niht mehr als drei Monaten mit oder ohne Zwangsarbeit unterliegen.

Meine Herren, ih bemerke, daß die Strafe in keinem Falle weniger als ein Viertel der hier angedrohten Strafe betragen karn. Auf Grund dieser Beslimmung ist noch vor wenigen Tagen einer der Führer eines großen englishen Gewerkvereins wegen aufreizender Reden zu mehrwöchentliher Gefängnißstrafe verurtheilt worden. Ich glaube also, der Vergleich zwishen dem, was in England Gesey ift, und dem, was die Vorlage als Gesey einführen will, fällt nicht derart aus, daß man behaupten kann, die Bestimmungen der deutschen Geseßgebung seien drakonish gegenüber denen des englischen Rechts. Man ift eben in England der Meinung, daß nur durch scharfe Strafbestimmungen den Uebelständen, die man kannte, beizukommen sei, und dieser selben Meinung sind au die verbündeten Regie- rungen. Wie man nun behaupten will, daß dur die Bestimmungen der Vorlage die Koalitionsfreiheit der Arbeiter beseitigt werde, das ist mir in der That unerfindlich. Ist denn dur die Bestimmungen der englishen Geseßgebung die Koalitionsfreiheit der englischen Arbeiter beseitigt worden? Die Geschihte der Strikes der leßten Zeit \{lägt dieser Behauptung auf das Allerentschiecdenste ins Gesicht. Nein, meine Herren, die re@tmäßige Ausübung der Koalitionsfreiheit wird durch dieses Geseß in keiner Weise berührt, das Gesey richtet sih niht gegen die Arbeiter, niht gegen ikre Befugniß zur Erlan- gung von günstigeren Arbeitsbedingungen stch zu verbinden, nit gegen den Ausstand an sich, sondern lediglich gegen Diejenigen, die durch Zwang die Theilnahme Derjenigen ihrer Arbeitsgenossen be-

Antrag seiner Partei annehmen,

treffenden Strafbestimmungen zu umgehen. In diesem Kampf der

wirken woll-n, welhe einem Strike abgeneigt sind. Es hat die