1891 / 101 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 30 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Bayern.

München, 29. April. Seine Königliche Hoheit der Prinz-Regent nahm, wie die „Allg. A mittheilt, heute Mittag im Thronsaale im Beisein des Kultus-Ministers und der obersten Hofchargen die Eidesleistung des Erzbischofs von Bamberg entgegen. : L

Der feierlihe Einzug des neuvermählten Prinzlichen Paares, des Prinzen Alfons von Bayern und der Prinzessin Louise von Alençon, hat heutz2 Morgen programmmäßig stattgefunden. Vor der Festiribüne wurden die Neuvermählten von den städtischen Behörd:n empfangen. Um 121/24 Uhr fuhren dieselben in offenem Wagen durch die Stadt, überall von der zahlreih versammelten Volksmenge jubelnd begrüßt, bis zum Palais des Vaters des Prinzen Alfons, woselbst sie von ihren Anverwandten empfangen wurden.

Sachsen.

Dresden, 29. April. Seine Königliche Hoheit der Groß- herzog von Oldenburg verläßt dem „Dr. F.“ zufolge heute Abend nah längerem Aufenthalt Dresdzn, um in seine Residenz zurückzukehren.

Hefen.

Darmstadt, 29. April. Seine Königlihe Hoheit der Großherzog hat sich nah der „Darmfst. Ztg.“ gestern von Berlin nah Alsfeld begeben.

Durch Entschließung vom 1. d. M. hatte der Großherzog den Bataillonen der im Mobilmachungsfalle zu formirenden Neserve-Fnfanterie-Regimenter Nr. 49 und Nr. 50 Fahnen verliehen und bestimmt, daß die feierliche Ueber- gabe derselben an die Truppen während der Einübungs3- periode der Landwehrmannschaft vom 21. bis 30. d. M. statt- finden solle. Diese Uebergabe hat nun heute Vormittag auf dem Jnfanterie-Exerzierplay an die hier zusammengezogenen Landwehr-Ueburgs - Bataillone stattgefunden. Zu dem Ende wurden durch eine Compagnie des 1. Großherzoglichen Infanterie- (Leibgarde-) Regiments Nr. 115 mit der Regimentsmusik die Fahnen von dem Geschäftszimmer der General - Adjutantur Vormittags 8/4 Uhr abgeholt, wobei dieselben von älteren Landwehr-Unteroffizieren der Uebungs-Bataillone getragen wurden. Währenddem hatten die drei Landwehr-Uebungs: Bataillone 115, 117 und 118 unter dem Befehl des General-Majors Lademann auf dem Exerzierplaß in einem nah der Stadt geöffneten Viereck Auf- stellung genommen. Nach dem Eintreffen auf dem Plate formirte sih die Fahnen:-Compagnie in Linie, sodaß sie der Mitte des Bataillons 115 gegenüberstand, und nahm die drei Fahnen, in einem Gliede formirt, zehn Schritte vor die Mitte. Hierauf erfolgte die Uebergabe der Fahnen durch den Divisions - Commandeur General-Lieutenant von Bülow mit einer Ansprache, an deren Schluß ein Hurrah aus- gebraht wurde. Demnächst wurde die Nationalhymne gespielt, worauf sih die Bataillone zum Parademarsh formirten. Nach dem Vorbeimarsh brachte die Fahnen-Compagnie die Fahnen zum Großhberzoglihen Schloß zurück.

Oldenburg.

(H) Dldenburg, 29. April. Nachdem der Aerzte-Verein im Herzogthum Oldenburg auf Grund der dem Großkherzog- lichen Staats-Ministerium vorgelegten Statuten fih konstituirt und ein Statut wegen Bildung einer Aerztekammer ein- gereicht hatte, hat mit Höchster Genehmigung das Staats- Ministerium den von dem Aerzte-Verein aus seiner Mitte unter der Bezeichnung „Aerztekammer“ gewählten Aus\{huß als Vertretung des ärztlihen Standes anerkannt. Die KAerzte- kammer ist befugt, bezügli aller Fragen und Angelegenheiten, welche den ärztlihen Beruf oder das Jnteresse der öffentlichen Gesundheitspflege betreffen, Vorstelungen und Anträge an die Staatsbehörden zu richten, und soll derselben geeigneten- falls von den leßteren auch Gelegenheit gegeben werden, über einshlägige Fragen sich gutachtlih zu äußern.

Oesterreich-Ungarn.

Nach einer Meldung der „Presse“ wäre die Para- graphirung des Handelsvertrags mit Deutschland am Freitag 1. Mai zu erwarten,

Das „Fremdenblatt“ meldet, nah Abschluß der Verhand- lungen über den deutsch-österreihishen Handelèvertrag würde die Zollkonferenz zusammentreten, um Fnfstruk- tionen für die Mitte Mai zu beginnenden Verhandlungen mit der Schweiz auszuarbeiten.

Der durch „Narodny Listi“ veröffentlihte Adreß- entwurf der Jungczehen erklärt, die bisherige Behandlung der nationalen Fragen könne nicht zum Ziele führen. Die Verständigung mit den Deutschen sei nur auf dem Boden völliger Gleihberehtigung mög- lich. Unter Betonung der tiefen staatsrechtlihen Ueber- zeugung der czehishen Nation wird die Lösung der nationalen Frage auf Grundlage selbständiger freier Entwickelung der einzelnen Reichstheile gefordert. Was für Wien geschehe, müsse auch für Prag und andere Haupt- städte der Kronländer geschehen. Ferner wird verlangt: All: gemeines Stimmrecht, Aenderung der Wahlordnung zu Gunsten der Czechen, namentlich in Mähren, Sthlesien; Gleichbereh- tigung der Konfessionen und Nationalitäten, der wirthschaft- lichen Klassen, besonders der arbeitenden Klassen, Decentrali- firung der Eisenbahnen, Herabminderung der Militärlasten, Kräftigung des Einflusses und der Bedeutung der Landtage. Es heißt dann weiter: Es möge der weisen Fürsorge des Kaisers ge- lingen, den Friedenszustand derart zu festigen, daß eine allge- meine Herabminderung der Heereelasten in den europäischen Staaten einen Markstein bilde für die Periode höherer Ge- sittung und höherer Wohlfahrt aller Nationen. Die Fung- czechen seien ferner bereit, dahin mitzuwirken, daß die handels- politischen Beziehungen zu den fremden Staaten neuerlich ge- regelt würden.

Der Adreßaus\chuß des Abgeordnetenhauses nahm, wie „W. T. B.“ berichtet, mit allen gegen die zwei jungczehishen Stimmen den Adreßentwurf Bilinski als Grundlage für die Spezialdebatte an und lehnte den jungczehishen Entwurf mit dem gleihen Stimmverhältniß ab. Jn der darauf folgenden Spezialdebatte beantragte der fatholish - konservative Abgeordnete di Pauli die Auf- nahme eines Passus, in welchem erklärt wird, daß die wahrhaft religiös-sittlihe Erziehung der Jugend zu Gottes- furcht und Gewifsenhaftigkeit erst den rihtigen Boden zur sozialen Erziehung schaft. Der Antrag wurde mit 23 gegen

9 Stimmen abgelehnt und hierauf von di Pauli als Minori- tätsvotum angemeldet. Jn der Abendfizung des Ausschusses wurden sodann zunächst die Stellen, betreffend die Arbeiter- versiherung, die Hebung des Bauernsiandes und des Kleingewerbes, die obligatorische Feuerversiherung, das Ver- kehrswejsen und die Eisenbahnen, sowie andere Säße des Adreßentwurfs angenommen. Eine längere Debatie entspann sih über die in Wien in Aussicht genommenen großen Bauten. Bei diesem Punkte beantragten inebesondere die Jungczechen Kaizl und Trojan unter Hinweis auf Prag die Aufnahme eines Passus, in welhem die Fürsorge des Stoats für den Aufs{wung au and-rer Großstädte empfohlen wird. Schließ- lih gelangte die betreffende Stelle der Adresse in dem von dem Referenten vorgeschlagenen Wortlaut mit den Stimmen der Polen, Deutschen, Konservativen sowie der . Großgrund- befißer und des Caronini-Clubs zur Annahme. : j

In der gestrigen Sißung des Budgetausshusses kündigte der Justiz-Minister die demnähstige Vorlage eines neuen Strafgeseßes an. Eine Totalreform der Civilprozeßordnung sei zur Zeit unthunlich aus finanziellen Rücfsihten und weil die Erfah:ung gelehrt habe, daß die Einführung des mündlichen Verfahrens in Deutschland niht in erhoffter Weise befriedigt habe. Jn Betreff der Spracherfrage in Böhmen erklärte der Justiz-Minister, An- gesihts der Ausgleihsverhandlungen sei es gegenwärtig un- eber legislative oder administrative Aenderungen vorzu- nehmen.

Wie die „Neue freie Presse“ meldet, hat der ungarische Handels-Minister Bar die Ermächtigung des ungari- schen Ministerraths erhalten, mit der Staatseisenbahn- Gesellschaft über die Ablösung des ungarischen Nezes zu verhandeln.

Großbritannien und Frland.

Das Unterhaus hat in seiner gestrigen Sißung die zweite Lesung der Bill, betreffend die Freimachung der Pachtungen, mit 181 gegen 168 Stimmen verworfen. Der Staatssekretär des Jnnern Matthews hatte die Bill im Laufe der Debatte als einen Eingriff in die Grundbesißzer- rechte bekämpft und sie als unnöthig und ungerechtfertigt bezeichnet.

angelegenheiten hielt am Montag wiederum eine Sißung ab, um über die Fabrik- und Werkstättenbill zu be- rathen. Sir Henry James {lug vor, einen Paragraphen in das Geseg aufzunehmen, wonach jeder Weber in der Baumwollen-, Worsted- und Wollenbranche und jeder Winder, Wever oder Spuler in der Baumwollenbranche, welcher per Stü bezahlt wird, derartig zu instruiren sei, daß er den ihm zukommenden Lohn selbst berechnen kann. Die Kommission nahm diesen Antrag nebst dem Amendement, niht nur die Leinenindustrie, sondecn auth alle übrigen Fabriken und Werk- stätten in den Paragraphen einzushließen, an. Die Auf- erlegung von Geldbußen im Falle des Zuwiderhandelns wurde jedoch von der Kommission abgelehnt.

Die konservativen Mitglieder des Unterhauses, welche gegen die Einführung der freien Volks\{hule sind, werden am Freitag über ihre Stellungnahme gegenüber der Vorlage berathen. Jn erster Linie wollen sie die Regierung ersuchen, die Bill bis nah den allgemeinen Wahlen zu ver- schieben, da die Genehmigung der Bill während der jeßigen Tagung ihrer Ansicht nach viele konservative Wähler ent- fremden würde.

__ Bei der gestrigen Wahl zum Unterhause in Wood- sttock wurde der Konservative Morrell mit einer Majo- rität von 688 Stimmen gegen den Gladstonianec Benson

zum Abgeordneten gewählt. Morrell tritt an die Stelle von

Maclean (liberal), welher in Folge der Uebecnahme eines Regierungsamts sein Mandat niedergelegt hatte.

Jn dem mit 31. März beendeten Vierteljahre wurden dem Gzneral-Fnspektor der irishen Constabler 119 Fälle von Agrarverbrechen in Frland berichtet, von denen sih 14 in der Grafschaft Ulster, 14 in Leinster, 27 in Connaught und 64 in Munster zutrugen.

Frankreich.

Paris 30. April. Die Königin Victoria traf, wie „W. T. B.“ meldet, gestern Abend in Cherbourg ein und wurde bei der Ankunft von dem Admiral Lespès, dem Prä- fekten und dem englischen Konsul empfangen. Die Königin begab sich alsbald an Bord der Yacht „Victoria and Albert“, auf welcher sie übernachtete.

Bei dem gestern stattgehabten Fahresbankett der Syndikatskammern, an welhem gegen 500 Personen theilnahmen, wies der Kammer-Präsident Floquet in längerer Rede auf die am 1. Mai zu erwartenden Kundgebungen hin. Ec bemerkte, die Republik türfe unter feinen Umständen mit der Gemwaltthätigkeit paftiren und fügte hinzu, die soziale Frage sei eine Lzbens- frage ersten Ranges, die mit Eifer studirt werden müsse, Floquet gab der Hoffnung Ausdruck, es möge sid aus d¿m Sozialismus eine Politik entwidckeln, welhe alle Bürger ver- einige, und fügte, indem er die Zollfrage berührte, hinzu, der Handels-Minister werde die allgemeinen Jnteressen des Landes wohl zu vertheidigen wissen, und, wenn nöthig, werde das allgemeine Stimmrecht den einzushlagenden Weg bezeichnen. Die Rede wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen.

_ Amtliche Berichte aus dem Sudan bestätigen jeßt die Wiederaufnahme des Feldzuges durh den Obersten Archinard. Der Leßtere hat am 13. April den Niger über- schritten und Kankan, eine Stadt Samory's, besezt. Das neueste Telegramm vom 17. April meldet der „K. Z.“ zufolge, daß eine aus zwei Compagnien regelmäßiger Schüßen und zwei Compagnien Hülfsshüßen zusammengeseßte fliegende Colonne Samory erreicht, ihn geworfen, in der Richtung auf seine Hauptstadt Bissandagu zurückgeshlagen und diesen Tut beseßt habe, ohne auf ernjtlihea Widerstand zu stoßen. Au französisher Seite fielen der Unter-Lieutenant Orsat und vier eingeborene Schüßen ein europäisher Unteroffizier wurde verwundet. Die Truppen des Ober-Kommandanten nahmen den Weg nach Siquiri wieder auf und ließen zwei Compagnien mit vier Kanonen in Kankan als Besaßung zurück. Auch auf den Komoren ist die Ruhe noch nicht hergestellt.

Rußland und Polen. _Der Fürst von Montenegro is mit der Großfürstin Miliza gestern Nachmittags 2 Uhr in St. Petersburg eingetroffen und von den Großfürsten Wladimir, Alexius,

Der Ausschuß des Unterhauses für Kewserf-*"

Das Stadthaupt von St. Petersburg hat im Anslluß an den Eclaß, welcher jüdishen Handwerks3- meistern und Handwerkern die Ansiedelung in Moskau und im Moskauer Gouvernement untersagt, die Anordnung getroffen, daß den bezeichneten Personen auch die Niederlassu in S!. Petersburg verwehrt werde, und daß dieselben na Orten, wo Personen jüdischer Konfession - der Aufenthalt ge- stattet ift, vershickt werden sollen.

Ftalien.

Die gestern in der Deputirtenkammer begonnenen Berathungen über die afrikanischen Kolonien veranlaßten eine äußerst erregte Debatte, welhe den Präfidenten zur Séließung der Sigzung v:ranlaßte. „W. T. B.“ berichtet dar- über: Bovio (radikal) befürwortete in langer Rede die Um- wandlung der militärishen Verwaltung in eine Civilverwaltung. Sollte dies nit mögli sein, so würde er die Räumung der erythräischen Kolonie empfehlen. Fmbriani bestritt, daß die Mission Jtaliens in Asrika eine civilisatorishe sei, da sie den Sklavenhandel zu hindern nicht vermotht habe, Redner erwähnte eines Falles, wo eine Barke mit 35 jungen Sflávinnen beshlagnahmt, und wo die Sklavinnen unter die Offiziere vertheilt worden seien. Der Minister- Präsident Marchese di Rudini protestirte energisch gegen solche die Ehre Ftaliens und der Armee verlegenden Reden, ohne daß Beweise dafür beigebraht würden. (Stürmischer Beifall.) Der Präsident der Kammer forderte unter der lebhaften Zustimmung des Hauses den Deputirten Jmbriani auf, seine Aeußerungen zurückzunehmen. Jmbriani er- widerte: er habe des Vorfalles niht als einer Thatsache er- wähnt, sondern ihn nur als ein Gerücht wiederholt. (Stürmische Rufe: „Zurücnehmen!“) Der Kriegs-Minister Pellour er- klärte den Saal unter Protest verlassen zu wollen, wenn Jmbriani seine Aeußerungea nicht widerrufe. (Stürmischer Beifall, große Bewegung.) Auf eine wiederzolte Aufforderung des Kammer-Präfidenten versuhte Jmbriani sich näher zu er- Élären, wurde jedoch durch Toben und Lärmen unterbrochen. Viele Deputirte eilten dem Ausgange zu; der Präsident seßte den Hui auf und shloß die Sizung.

Der „Tribuna“ zufolge würde dieser Zwischenfall in der Deputirtenkammer h2ute dur eine Erklärung Imbriani's, daß er nur ein Dementi des von ihm er- wähnten Gerüchts habe herbeiführen wollzn, seine Erledigung finden. Wie es heißt, hätte der Präsident der Kammer die Absicht, sein Amt niederzulegen, weil er durch die gestrigen Vorgänge seine Würde als Präsident für verleßt erachte; es jeien jedo Schritte gethan, um ihn von dieser Absicht abzubringen.

__ Crispi ist, dem „W. T. B.“ zufolge, seit einigen Tagen leidend und genöthigt, das Bett zu hüten.

Die Königliche Kommission zur Erörterung der Zollfragen hat sich, wie „W. T B.“ aus Rom meldet, estern konstituirt. Der Minister-Präsident und der Finanz-

inifter erflärten, die Regierung lasse der Kommisfion volle Freiheit Betreffs der Grundzüge und der Methode der Be- rathung. Der Vorfißende Cambray:Digny beauftragte drei aus je drei Mitgliedern bestehende Subcomités mit der Vorberathung der dringenden Fragen Betreffs der Maschinen, der chemischen Produkte und der AVU li onsinitrimaehte. Die nächste Sizung der Kommisfion ist auf den 8. Mai anberaumt.

Der Beshluß der Kammer, betreffend die Abschaffung

des Listenskrutiniums und die Rückehr zum Einzel- wahlverfahren bei den Parlamentswahlen, wird, wie die „P. C.“ schreibt, von der öffentlihen Meinung mit lebhaftem Beifall begrüßt, da das Liitenskrutinium, mit welchem man auc in anderen Ländern ungünstige Ecfahrungen gemacht hat, sih in Ftalien als unpraktish, ja sogar als mit vielfahen Nachtheilen verknüpft erwies. Es öffnete nicht nur wider- finnigen Kombinationen und Koalitionen Thür und Thor, sondern beirrte auch die Wähler und entzog ihnen die Gelegenheit, ihre Wünsche vollständig zum Ausdruck zu bringen. Während bei dem uninomialen System der Wähler meistens seinen Kandidaten perfönlih kannte, somit ziemlih flar wußte, wem er sein Vertrauen schenkt, muß derselbe bei der Methode des Listenskrutiniums für mehrere Kandidaten en bloc stimmen, die er faum fennt, um auc die ihm vertrauten Kandidaten durhzubringen. Für das Kabinet Rudini hat die Annahme des neuen Wahlgeseges noch die besondere Bedeutung, daß es durch dasselbe in die Lage verseßt wird, in dem Augenblick, wo die parlamen- tarishe Situation dics als räthlich oder gar als nothwendig erscheinen läßt, die Kammer, welche auf Grund des Listen- skrutiniums gewählt wurde, aufzulösen und das Land zu be- fragen. Die Berathung des neuen Wahlgeseßes wird keines- wegs überstürzi werden; der Minister des Fnnern Nicotera hat vielmehr e:fkiäri, daß die Regierung bereit sei, alle beahten2werthen Abänderungsvorshläge in ernsie Er- wägung ziehen und, falls sie dieselben als ersprießlih er- fennen sollte, unterstüßen zu wollen.

Velgien.

Die Central-Sektion d2r Kammer beschäftigte sich gestern mit der Frage des Königlichen Referendums. Der Deputirte de Borchgraeve trat auf das Entschiedenste für das Referendum ein und mate die Mittheilung, daß der König ihm gegenüber erkiärt habe, die Zustimmung der Kammer zu dem Könialichen Referendum werde für seine Zustimmung zu der Revision der Verfassung eine conditio sine qua non sein. Der König habe ihn ermäthtigt, diese Erklärung der Central-Sektion mitzutheilen. Am Diensiag Nachmittag 2 Uhr wurde, wie schon ge- meldet, in Brüssel die Antisklaverei-Gesell schaft eröffnet. Die ziemlich zahlreihe Versammlung bestand, der „Wes.-2tg.“ zufolge, größtentheils aus Personen konservativer Richtung ; u. A. waren zugegen: Für#t Chimay und Staats-Minister Lambermont, sowie die Mehrzahl der Mitglieder des Brüsseler diplomatischen Corps, darunter auch der deutsche Ge- sandte. Ferner waren erschienen : die Eczbishöfe von Mecheln und Gent. Der Coadjutor des Kardinals Lavigerie Bischof Brincat hielt die Eröffnungsrede, in welher die Verdienste des Papstes, des Königs Leopold, des Kardinals Lavigerie und des Kölner Kongress:s gefeiert wurden. Ueber die Lage der Gejellshaft wurde mitgetheilt, daß die Fonds derselben 400 000 Fr. betragen. Der Verwaltung des Congostaats sowie

der Deutschen Kolonialgesellshaft de für die Unterstüßun Dank abgestattet. [haft wurde für di rstüßung

Rumänien. Bukarest, 29. April. Von den Stihwahlen des

Georg Michailowitsh und dem Prinzen Eugen von Leuchten- berg am Bahnhofe empfangen worden. 2

ersten Wahlkörpers sind 21 Resultate bekannt. Davon sind 15 regierungsfreundlih, sechs oppositionell. Die Minister

des Innern und der Finanzen befinden- sich laut Meldung des I T. B.“ unter den Gewählten. Bukarest wählte regierungsfreundlich.

Serbien.

Belgrad, 29. April. Graf Hunyadi ift heute von der Königin Natalie in Audienz empfangen worden. Die Königin joll fih eine bestimmte Antwort auf seine Vermitte- lungsverjuche für spätere Zeit vorbehalten haben. Jm Laufe des Tages besuhte Graf Hunyadi die Regenten, einige Minister und den Gesandten von Oesterreih-Ungarn.

Der bulgarische Emigrant Risf off hat vor einigen Tagen Belgrad verlassen, angeblih weil in Sofia bei politis ver- dächtigen Jadividuen kompromittirende Briefe von ihm vor- gefunden wurden, welhe auf eine Verbindung desselben mit dem Attentat auf den Minister Beltsheff hinweisen. Risoff soll in Folge dessen in Kcajewo verhaftet sein.

Amerika.

Chile. Der „Hamb. Börsenh.“ wird aus Jquique vom 25. d. M. gemeldet: Die Kongreßtruppen unter Führung des Obersten Holley hätten Copiapo, die Hauptstadt der Provinz Atacama, eingenommen; die Tru ppenBalmaceda's, in Stärke von 500 Mann, seien nah San Antonio geflohen. Das Torpedoshiff „Almirante Lynch“ sei in Folge Havarie nach Valparaiso gegangen. Wie der „Times“ aus Valparaiso vom 28. d. M. g?meldet wird, wurde am vor- hergehenden Abe::d eine Dynamitbombe in den P rä- sidentenpalast geshleudert, welhe explodirte, ohne indeß Os zu verleßen. Der Thäter ist bieh2r niht ermittelt worden.

Parlamentarische Nachrichten.

Ja der heutigen (111.) Sißzung des Reichstages, welcher di Staatssekretäre Dr, von Boetticher, Freiherr von Malgzahn und Freiherr von Marschall beiwohnten, theilte der Präsident den Eingang eines Geseßentwurfs, betreffend die Feststellung eines Nachtrages zum Reichs- haushalts- Etat für das Etatsjahr 1890/91, und eines Gesezentwurfs, betreffend die Aufnahme einer Anleihe für die Zwede der Verwaltungen des Reichsheeres U. }. w., mit. i

Auf der Tagezordnung stand zunächst die erste Berathung der zwischen dem Reich und Marokko am 1. Juni v. J. zu Fez abgeschlossenen Handelskonvention.

Abg. Prinz Arenberg begrüßte diesen Vertrag als einen für das Deutsche Reich sehr vortheilhaften und bat, ihn unverändert zu genehmigen. Y

Abg. Broemel {loß si diesen Auëführungen an und richtete außerdem an die Reichsregierung die Frage, welche Schritte fie gethan habe, um eventuell den am 10. Juli d. J. ablaufenden Handelsvertrag mit Rumänien zu verlängern. (Schluß des Blattes.)

In der beutigen (78.) Sißung des Hauses der Ab: geordneten, welcher der Justiz-Minister Dr. von Schelling und der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Ent- wurfs eines Staats haushalts-Etats für 1891/92 fort- geseßt, und zwar bei dem Etat der Berg-, Hütten- und Salinen-Verwaltung, „Einnahmen“.

Abg. Schult (Lupiy) erklärte sich mit der Haltung der Regierung gegenüber der Arbeiterbewegung einverstanden und, dankte ihr dafür, daß sie sich als Vertreterin des größten Arbeitgebers, des Staates, mit den Unternehmern vereinigt habe, um den wüsten Agitationen das Handwerk zu legen. /

Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Ritter erwiderte / der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsh, daß nah dem Abschluß der großen Steuergeseze in die Be- rathung über die Reform der Bergwerk3abgabe eingetreten werden würde. Abg. Shmieding empfahl die Aufhebung der Bergwerks3abgabe.

Die Einnahmen wurden bewilligt.

Zei dem Etat des Justiz-Ministeriums brachte Abg. Biesen- bach die große Zahl der unbesoldeten Gerichts-AF-foren zur Sprache, deren Kraft nicht selten im Hülfsrihle&dienste ohne Entgelt vom Staate auzgebeutet werde.

Geheimer Ober- Justiz-Rath Eichholz wies auf die Er- klärung des Finanz-Ministers bei Einbringung /des Etats hin, daß mit Rücsiht auf die Finanzlage /niht alle Be- dürfnisse Befriedigung finden könnten; tas gelte au von der Justizverwaltung. Hoffentlih { werde es in Zukunft möglich sein, überal da, mo ein dauerndes Arbeitsbedürfniß vorhanden, etatêmäßige Eétellen einzurichten. Dies könne aber nur vorübergehend auíf die Abnahme der Zahl der Assessoren einwirken. Dauernd würde der Ueberzahl der Affsessoren nur abgeholfen werden, wen der Andrang zur Justizcarrière nachlasse oder wenn dur Aenderung dec Geseß-

ebung die O in die Lage geseßt werde, nur 0 viel Assessoren zu übernehmen, als, zur Ergänzung des Richterpersonals nothwendig seien. i

Auf Anregung des Abg. Lucius (Erfurt) bezeichnete es der Zustiz-Minister Dr, von Schellirig im Jnteresse des Justizdienstes für wünschenswerth, das Rihhter in vor- gerückterem Alter jüngeren Kräften Plaß? machten. Das einzige Mittel, dies zu erreichen, wäre vielleicht \die Bestimmung, daß na Erreichung eines gewissen Lebensaslters jeder Richter in den Ruheftand zu treten habe, unabhängig davon, ob dies seinerseits oder Seitens der Behörde S werde; das Alter müßte natürlih höher sein, ls das zurüdgelegte 65. Lebensalter, das für nihtrihterli®,e Beamte zur Außer: dienststellung berehtigt. J

„Abg. Rickert brate eine Verfüczung des Ober-Landes- gerihte:Präsidenten von Breslau zur Sprache, welche auf eine ae te Verwendung der Juden im Geschworenendienste a ;

Geheimer Justiz-Rath Lucas garb die Thatsache einer solchen Verfügung zu, rechtfertigte abe,r ihre Zulässigkeit aus dem Znhalt derselben. Die Form det: Verfügung habe der Justiz-Minister gemißbilligt; die Verfütgung sei deshalb au thatsählih zurückgenommen worden. (|Schluß des Blattes.)

Der Graf Adelmann von Ade i nannsfelden at nach- stehenden Geseßentwurf, betreffend dae Abanveru ng des S. 157 des Jnvaliditäts- und Altersversicherungs- Seeger im As age als Antrasz eingebracht :

rtikel 1. Der §. 157 des Gesetzes, ibetreffend die Invaliditäts- und Altersversiherung, vom 22. Juni T (Reihs-Geseßbl. S 97),

erbält folgende Fassung: §. 157. Für Versicherte, welche zur Zeit des Inkrafttretens dieses Geseßes das 40. Lebensjahr voll- endet haben und den Nachweis liefern, daß sie während der dem Inkrafttreten dieses Gefeßes unmittelbar vorangegangenen drei Kalenderjahre insgesammt mindestens 141 Wochen hindur thatsäh- li in einem ra diesem Gese die Versicherungsrflicht begründenden Arbeits- oder Dieastverhältnifse gestanden haben, vermindert sich die Wartezeit für die Altersrente (S 16 Ziffer 2), unbeschadet der Vor- \hriften des §. 32, um so viele Beitragsjahre und Beitragswowen, als ibr Lebenêalter am 1. Januar 1891 das vollendete vierzigste Lebensjahr überstiegen hat. Ist die Zahl der übers Ließenden Wochen böber als sizbenundvierzig, so find neben der Vollzabl der Jahre nur fiebenundvierzig Wochen in Anrechnung zu bringen.

Artikel 11. Dieses Gesetz tritt mit der Wirkung vom 1. Januar 1891 ab in Kraft. Ueber Anträge auf Gewährung von Altersrente, welche im Widerspru mit Artikel T endgültig abgelehnt worden sind, haben die Versicerung8anstalten von Amtswezen unter Anwendung des Artikels T erneute Entscheidung zu treffen.

Der vom Abg. Gamp verfaßte Bericht der Reichs: tags - Kommission zur Vorberathung der Novelle zum Branntweinsteuergeseß liegt jezt im Druck vor. Nach den Beschlüssen der Kommission soll der Zoll für Liqueure vom 1. Juli ab 180 4 per 100 kg, für alle übrigen Brannt- weine in Fässern 125 A, in Flaschen 2c. 180 A per 100 kg betragen. Die Regierungsvorlage hatte allgemein einen Zollsatß von 150 F vorgeschlagen.

Die Kommission des Herrenhauses für Vor- berathung des Entwurfs einer Landgemeindeordnung für die sieben ösilihen Provinzen der Monarchie hat sih konstituirt. Die Mitglieder derselben find: Staats- Ministec von Puttkamer (Karzin), Vorsizender, Wirklicher Geheimer Rath Persius, Stellvertreter des Vorsigenden, Prinz zu Schoenaih:Carolath, Sgriftführer, Herr von Schöning, Stellvertreter des Schriftführers, Staats- Minister Dr. von Friedberg, Fürst von Haßgtfeldt- Trachenberg, Freiherr von Maltzahn, Graf von Klindfowstroem, Graf von Schwerin, Minister des Königlichen Hauses von Wedell, Fürst zu Carolath- Beuthen, Herr von Helldorff (Bedra), Obz-r:-:Bürger- meister Martins, Graf von Zieten-Schwerin, Herr vonBethmann-Hollwe g, Landes-Direktor von Levetow, Furst zu Putbus, Geheimer Regierungs-Rath Bredt,

irkliher Geheimer Rath von Kleist-Reßow und Herr von Winterfeldt (Menkin).

Entscheidungen des Reichsgerichts.

In Bezug auf §. 183 1, 11 des Preuß. Allg. Landrechts (,Privat- dienstbarkeiten, Lasten und Abgaben, welche nit allen Grundstüdcken derselben Art in der Provinz gemein zu sein pflegen, ift der Ver- käufer dem Käufer bei der Kauféhandlung anzuzeigen oder zu ver- treten \{buldig*) hat das Reich8gericht, V. Civilsenat, dur% Urthzil vom 4. März 1891, ausgesproen, daß der Verkäufer, wenn er sich niht auf die allgemeine Mittheilung, von dem Grundstück? sei Rente oder“ eine Rente festen Betrages zu entrichten, beshränkt, son- dern aus eigenem Antri:be oder auf Anfrage des Käufers die anzu- zeigende Laît \pezialisirt, für die Richtigkeit seiner Spzzial- angaben einzustehen hat, auch wenn die Laft im Grundbuche einge- tragen/’ ift.

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/ Kunst und Wissenschaft.

Beim Umgraben eines Weinberges in der Nähe von Unteröwisheim (Baden) stießen, wie die „Bad. Ldopft.“ berichtet, die Arkeiter auf einen Haufen mit Silbermünzen und Papieren, welhe Leßtere jedo bim Zutritt der Luft in Asche zerfallen sein follen. Die Silbermünzen bestehen aus einer großen Menge kleinerer Münzen von der Größe eines alten Groshens bis zu der eines Dreibäßners, je&och anderen Gepräges und meist sehr abgegriffen; ferner aus dreißig Stücken, die etwa unsern Einmark- und Zweimarkstücken entsprehen mögen, und deren zum Theil no§ gut erhaltenes Gepräge Brustbilder von weltlichen und geistliden Fürsten, Wappen u. a. von freien Reichs- und \{weizeris{en Städten nebît interessanten Umschriften aufweist, ¿. B. auf Münzen von 1601: Carolus D. G. card. lothr, ep. argent. et met. (Karl, dur Gottes Grade Kardinal von Lothringen, Bischof von Straßburg und Met); auf solchen von 1617: oram paci cum his qui od. pace; auf andern von 1614: Sanct Leodigardi und mon. nov. lucernensis; oder: mon. nova chafusensis und auf der Rüdseite: deus spes nostra est; oder: assìís duplex reipubl argent. und auf der Rüdfeite : deo gloria u. \. w. Die \&önften Münzen, 16 an der Zahl, von der Öröße unserer Fünfmarkitücke, weisen auf den beiligen Rubertus, Bischof von Salzburg, St. Marcus von Venedig mit der Zabl 140, einen Bischof Heinrich Julius (auf der Rüdseite das Bild des „wilden Mannes* mit der Umschrift: honestum pro patria und die Jahres- zahl 1610). oder enthalten den „Baselstab®“ mit der Um- \chrift: moneta nova urbis bagiliensis und auf der Rüd- seite die Inschrift: domine conserva nos pacem Eine größere Anzahl weisen das Brustbild Philipv's auf: D. G. Hispan. rex, die Jahreszahl 1550 und die Umschrift: dominus mihi adjutor, Da sämmtlihe Münzen, soweit si dies bei einer flühtigen Durch- iht erkennen ließ, in der Zeit von 1559 bis 1617 geprägt worden sind, dürfte der Schaß bei Ausbruh des 30 jährigen Krieges, vielleiht auch „in dem leidigen französishen Kriege anno 1689“, in welchem laut alten Urkunden „die Kirhe sampt dem Thurn mit der gaußen Stadt if verbrandt worden“, an der jeßigen Fund- stätte vergraben und der Eigenthümer selbst ein Opfer des Krieges geworden sein. : :

Die diesjährige Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste in London, welbe demrähft eröffnet werden wird, ist der „Pall Mall Gazette“ zufolge keine besonders glänzende. «„Wahrscheinlih*, {reibt das genannte Blatt, „wird man sie noch lange als „Ausftellung des Schaurigen“ in der Erinnerung behalten, so zablreih sind die Leichen, die Trauerzüge, die Krisen auf den: Bildern, welche die Wände bedecken, vertreten. Luke Fildes' Bild „Der Doctor“ muß sozusagen als da: Ereigniß des Jahres bezeihnet werden. ‘- Die Beerdigungsscene von Bramley Cornish, das pathetishe „Denn fo ift das Himmelreich“ erzeugt einen ftarken Eindruck. Leider hängt es nicht an der günstigsten Stelle. Sir Frederick Leighton tritt mit seinem Bilde „Perseus und Andromeda“ und seiner „Rückkehr der Persephone“ dem Beschauer in seiner besten Eigenart entgegen. Jn der Abtheilung für Bildhauerei rimmt er unstreitig den erften Plaß mit seinem „Atblet und Python“* ein. Die übrigen ausgestellten Skulpturen gehören nit gerade denen erften Ranges zu.“

Land- und Forftwirthschaft.

Stand der Saaten.

Im Reg.-Bez. Aurich haben die Winterfrühte in Folge der günstigen Entwickelung während der ersten beiden Monate des Herbstes gegen die andauernde Kälte einige Widerstandsfähigkeit gehabt. Der

oggen, namentlih der frühgesäecte, ift gut dur den Winter ge- kommen, auch. der Klee ftebt gut; Weizen und Gerste zeigen dagegen vielfa einen lückenhaften Stand, der Raps ift größtentheils verloren gegangen. Die Frübjahrsbestellung hat nur auf den besondecs boH-

gelegenen Ländereien in Angriff genommen werden können ; im Allge- meinen ist der Boden noh sehr naß und kalt.

Durch die in Folge des Thauwetters eingetretenen Ueberschwem- mungen der niedrig gelegenen Ländereien ist bis jegt wesentlicher Shaden nicht entstanden, dagegen unter den Feldmäusen erheblich aufgeräumt. Der Futtervorrath ist etwas knapp, wird jedoch voraus- sichtlih ausreihen ; das Vieh befindet sich durhweg in gutem Ge- fundheit8zustande. : j E

Wie aus dem Reg.-Bez Hildesheim berichtet wird, ift der Stand der Wintersaaten ein durchweg mangelhafter. Eine Reibe von Umständen hat ihre Entwickelung ungünstig beeinflußt. Die Mäuse plage ift allerdings durch die strenge Kälte des Winters größtentbeils bescitigt, sodaß nur ftrihweise nod weitere Maßregeln gegen sie er- forderlih find. Dagegen machen sich ihre Wirkungen auf den Stand der Saaten erft jeßt in vollem Umfange bemerkbar. Es kommt hinzu, daß in Folge des naßkalten Herbstwetters und des früben Froftes die aufgegangene Saat nur s{chwer bestockt und wenig kräftig in die Winterrußhe kam und daber gegen die monate- lang anhaltende ftarke Kälte ungewöhnlih empfindlih war. Eine schüßende Schneedeckte, welche si bald nach dem Eintritt des Froîtes über die Felder legte und fast zwei Monate ausbielt, wandte zunächst den zu besorgenden Schaden in der Hauptsahe noch ab. Dagegen übte die na dem Wegsbmeklzen des Schnees eintretende Periode eines fortwährenden Wechsels zwishen Thauwetter am Tage und ftarken Nachtfröfien einen um fo verheerenderen Enfluß aus. Die junge Saat ftand Tags im Waffer, Nachts im Eise. Stellenweise hat der Roggen, in anderen Gegenden der Weizen in höherem Maße gelitten. Faft überall aber ift die Ueberzeugung verbreitet, daß ganz bedeutende mit Winterkorn bestellte Flähen die höchsten Schätungen übersteigen 50% umgepflügt werden müssen. Dies is, abgesehen von dem daraus erwadßsenden unmittelbaren Schaden, um fo ftôörender, als die meisten Land- wirthe dieser Gegend bereits im Herbfte mit ihren Bestellangs- arbeiten im Rückstande geblieben waren. Seit der zweiten Hâlfte des November ruhte der Pflug, sodaß bedeutende Aer- flähen überhaupt noch nihi umgebrochen find. Die land- wirth\{chaftliGen Arbeiten werden si also in diesem Früh- jahre außerordentlich drängen. Auch das Gedeihen des Klees ist durh den Mäusefraß und die Witterung sehr beein- trähtizt worden. Die Hoffnung auf eine gute Ernte ift daher zur Zeit in jeder Beziehung äußerst \{chwach. Auf die Getreidepreise hat diefer Sa&verhalt befestigend gewirkt. Da eine wesentlich: Ver- änderung derselben seit Ee Zeit nicht eingetreten ift und sich im Allgemeinen auch die Viehpreise, abgeseben von einem hier und da beobachteten kleinen Rückschlage der Preise für Fettvieh, niht ver- mindert haben, fo berrscht in dieser Hinsicht in landwirthschaftlichen Kreisen augenblicklih volle Zufriedenheit.

Zudckerinduftrie. :

Die Lage der Zuckerindustrie hat sih im Regierungsbezirk Hildes- heim in Folge der seit Anfang d. I. um etwa 1 bis 15 # für den Centner gestiegenen Zuckerpreise verbessert. Doch ift in einigen Gegenden der Ernteertrag und der Zuckergeb"lt der Rüben ein minder befriedigender als im Vorjahre. Die Zuckervorräthe in erster Hand und in den Lagerhäusern {äßt man auf etwa 1 Million Centner geringer. In dem Zuerlagerhause zu Hildesheim lagern zur Zeit etwa 75 000 Centner. Die Zuckerraffinerie daselbft hat günstige Absatzverbältnifse und konnte meistens die Produktion von mehreren Monaten im Voraus verkaufen.

Die Berichte über das neue Verfahren der Rübenschnigel- trocknung nah dem System Büttner und Meyer lauten fortgesetzt günstig. Die Verfütterung der Trockenschnizel hat sich sowohl bei Swafen wie bei Rindvieh in jeder Beziehung bewährt, Man er- wartet von derselben einen vortbeilhaften Einfluß auf die gesammten Fütterung8verbältnifse der betheiligten Wirthschaften, namentli weil sie gecignet ift, das kostspielige Grünfatter, besonders im Falle schlechter Futterernten, zu einem Theile zu ersetzen.

Hammelmaft.

Bereits seit längerer Bi wird über die \{lechten Grgebnifse der für den Regierungsbezirk Hildesheim niht unwibtigen Hammel- mast geklagt. Dieselbe bildet Bebufs Verwerthung der Zuckzrrüben- rückstände in den meisten größeren Wirthschaften einen wesentlihen Theil der Viebhaltung. Die Hammel werden im Sommer in Gegenden mit extensiver Wirthschaft und bedeutender Viehzußt an- gekauft, weiden im Sommer und im Hæxrbst auf den Stoppeïn und Rübenfeldern und werden im Frübjabr nah

j beendeter Campagne an Ausfuhrhändler nah Belgien, Frankrei und

England verkauft. Die von den beiden leßteren Ländern angeordneten Einfubrbeshränkungen haben dazu beigetragen, diesen Geschäftszweig zu einem wenig lohnenden zu machen. Während die mageren Hammel im leßten Sommer etwa 30 # für den Centner kosteten, bieten die

ändler jeßt für den Centner fette Waare nur 25 bis 26 A Diese Scädigung ift um so fühlbarer, als in einigen großen Wirthschaften tausend Hammel und darüber gemästet werden.

Theater und Musik.

Kroll'’s Theater.

Gestern Abend gelangte Hal évy's große Oper „Die Jüdin“ mit Fr. Lilli Lebmann als Trägerin der Titelrolle zur Auf- führung. Der verbältnißmäßig {wae Besuh des Theaters ließ erkennen, daß das heutige Publikum für solche Werke älteren franzö- sishen Stils tros der vorhandenen einzelnen bervorragenden Schönheiten des Musikdramas keine ftarke Neigung besißt. Es fehlt dieser Oper der ver- \chwenderis@e Melodienreichibum der italienishen Opern und sie besißt keinen Ausdruck für den elementaren Ausbruch ungebändigter mächtiger Leidenschaft, wie er die modernen Arbeiten auszeihnet. Anstatt der- selben müssen wir uns an einer zwar gefälligen, aber weihherzigen Widerspiegelung feelisher Empfindungen genügen lassen.

Fr. Lehmann fang und spielte die Titelrolle mit glei6mäßig künstlerisher Vollendung; der Ton füllte in seltener Klarheit und S{hönheit mächtig den Raum; erfreulich ift jedesmal die Beobachtung, in wie strenger Zucht die Künstlerin ihr Organ bält; nirgends ein Zuviel, aber au nirgends ein Zuwenig der Tonstärke; glockenhell und rein bleibt dabei die Stimme in der Höhe wie in der Tiefe und die gelegentlih von der Sängerin angewandten Naturtöne wurden gestern wenig gehört. Zu prähtigster Entfaltung gelangte ihr ganzes künstlerishes Vermögen in der großen Romanze des zweiten Aktes „Er kommt zurück* und in dem anschließenden Duett und großen Terzett ; lebhafter Beifall wurde ferner mit dem Rezitativ und Duett im Beginn des vierten Aktes erzielt. Fr. Lilli Lehmann und Frl. Marie Lehmann, welche die Partie der Prinzessin sany, ließen darin ihre Stimmen in s{ôner Harmonie und zarter Be- scelung znsammenklingen. Im Uebrigen trat die Schärfe und Spißigkeit der Siimme des Frl. Marie Lehmann etwas mehr als neulich hervor ; eine wahrhaft edle Klangfärbung \{heint dem Organ fast nur im Piano eigen zu sein; da wurden freilih einige wundervoll zarte und duftige Wirkungen vermittelt. Hr. Kalisch sang den Eieazar mit kräftiger Stimme, und da die Kraft durch eindruck8volles Spiel unterstüßt wurde, erzielte er nach seiner großen Arie im vierten Akt stürmiswven Beifall und mebrfahe Hervorrufe. Als Kardinal entwickelte Hr. Hofer eine gute Techni „und führte dabei erfreulihe, wenn au etwas rauh anklingende Stimmmittel ins Treffen. Mit der Rolle des Leopold fand fi Hc. Alma zur Zusriedenheit ab. Der vortref- lihen Orchesterführung muß immer wieder lobend gedaht werden. Das Publikum spendete den Hauptdarstellern warmen Beifall und rief sie wiederholt vor die Gardine.

s Sing- Akademie.

Frl. Rica Ventura (Sopran), aus der Schule Lamperti's hervorgezangen, erschien geftern zum ersten Mal vor dem biesigen Publikam. Ihre Stimme, die wenig Kraft besitzt, ist sorgfältig ge- sœult und zeihnet sich besonders durch sehr bedeutende Koloratur- gewandtheit aus, Mit Leidtigkeit ging die Sängerin in schnellen