1911 / 69 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 21 Mar 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 152. Sigung vom 20. März 1911, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus jet die Spezialberatung des Etats für das Reichsamt des Jnnern beim Kapitel 13 a der fortdauernden Ausgaben (Reichsversicherungsamt) fort.

Abg. Eickhoff (fortshr. Volksp.): Die Solinger Stahlwaren- industrie beschäftigt als Schleifer und Polierer auch Hausgewerbe- treibende, die N di Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Mitte stehen. Diese gehören unzweifelhaft als Hausgewerbetreibende zu den- jenigen, die niht ohne weiteres der Versicherungspfliht unterliegen, oben nur durch Bundesratsbes{luß ihr unterworfen werden können. Neben dteser Kategorie gibt es eine andere, die sih von jener nur dadur unterscheidet, daß sie ihre Betriebsstätte in den Fabrik- räumen haben, ohne daß fie dadurch zu dem Arbeitgeber in ein Arbeiterverhältnis träten ; auch diese sind durchaus selbständige Gewerbe- treibende, die wirtschaftlich und persönlich unabhängig ind. Diese Auffassung wird aber vom Reichsversiherungsamt nicht mehr ge- teilt, wie eine Entscheidung aus 1909 beweist. Diese Entscheidung läuft einer anderen, die das Oberverwaltungsgericht gefällt hat, fraß entgegen; durch die leßtere Entscheidung ist ein solcher Hausgewerbetreibender zur Gewerbesteuer herangezogen worden. Die eine Entscheidung paßt auf die andere wie die Faust aufs Auge. e Redner verliest den Wortlaut beider Entscheidungen.) Wir haben ier einen Beitrag zu der widerspruchsvollen Nechts\sprehung unserer Zeit vor uns. Dieselben Gründe, die das Oberverwaltungsgericht entwidelt, haben früher der Regierungspräsident von Düsseldorf und auch das Reichsversicherungsamt als die durchs{chlaggebenden angesehen. I bitte die Verwaltung, ein Gutachten der Gewerbeinspektion zu Solingen einzufordern. Jedenfalls muß dieser Willkür ein Ende be- reitet werden.

Abg. Hanssen (Däne) beschwert sich über ungerehtfertigte Aus- weisung von Ausländern. Es würden in Nordschleswig verhältnis- mäßig viele Ausländer, Arbeiter aus dem Königreih Dänemark, be- \{äftigt, und unter thnen set au eine Anzahl von Rentenempfängern. Fn mehreren Fällen feien solhe Arbeiter ganz kurze Zeit nach er- littenem Unfall und nah der Festseßung der Rente ausgewiesen und mußten fich nun nah dem Invalidenversicherungsgeseß mit der fümmerlihen Abfindung des dreifachen Betrages der JFahresrente be- gnügen. Aeltere Arbeiter mit Familie würden dadur aufs \{chwerste benachteiligt. Das werfe kein günstiges Licht auf das Gerechtigkeits- und Billigkeitsgefühl der Verwaltung. Der Staatssekretär möge geeignete Schritte tun, um solchen Beschwerden abzuhelfen. Die Reichsgeseßgebung habe doch gerade das Gegenteil gewollt, fie habe beabsichtigt, den Arbeiter im Lande zu behalten, darum sei die Ab- findung so gering bemessen. e

Abg. Sachse (Soz.): Das von dem Ministerialdirektor Caspar bezüglih der Beamtenwohnungsvereine erlassene Rundschreiben ist in den Publikationen des Reichsversicherungsamtes niht veröffentlicht worden. Warum foll denn nicht angegeben werden, welche Vereine Gelder der Versicherungsanstalten zu ermäßigtem Zinsfuß erhalten, und warum wird überhaupt ein Unterschied gemacht? Es ist do sehr auffällig, daß die Beamtenbaugenossenschaft eines Fürsten von Sh der alles an Grundbesiß aufkauft, was in seinem Bereich sich befindet, auch folhe billigen Gelder erhalten hat. JIch bitte dringend, daß diese Einzelheiten künftig in den Fahresberihten erscheinen; wir müssen ch lei wer das Geld bekommt, und zu welhem Zweck es ausgeliehen ist. Gs gibt auch „amtliche Wohlfahrtszwecke“, durch die die Arbeiterinteressen direkt geschädigt werden. Dasselbe Neichsversihherungsamt, das eine Kommission herumgeschickt hat, um überall auf Sparsamkeit zu drängen, ist ja doch Instanz in Revisionsfahen; da kann man sich denn nit wundern, daß die Erfolge der eingelegten Revisionen fo

ering find, daß die Zahl der Rentenbewilligungen in den leßten Fahren vielfa bis auf die Hälfte zurückgegangen ist. Man soll doh lieber an die Beitragserhöhung gehen, natürlich gleichmäßig für Arbeiter und Arbeitgeber, dann bleiben die Versicherungsanstalten auch lebensfähig. In der Sozialgesetzgebung ist tatsählich ein Nück- {ritt zu konstatieren; ih bitte die Neihsverwaltung, ihre Stellung so zu nehmen, daß der berechtigte Vorwurf, den der Abg. Fischer in dieser Richtung erhoben hat, hinfällig wird.

Direktor im Reichsamt des Jnnern Caspar: In den beiden Entscheidungen über die Solinger Stahlschleifer usw. sind die Ver- hältnisse nah verschiedenen Gesichtspunkten beurteilt worden. JInwieweit ein Ausgleih möglich ist, kann ih zurzeit nicht beurteilen. Was die ausländishen Rentenempfänger betrifft, so sollen nach der Neichs En diese Nentenempfänger künftig günstiger behandelt werden.

Nbg. Schmidt - Berlin (Soz.): Der Freisinn hat hier wieder einmal ein fonderbares soziales Empfinden an den Tag gelegt. Ein Arbeiter, der bloß einen Raum von der Firma abgemietet hat, die ihn beschäftigt, ist ein Arbeiter im Sinne des Geseßes und kein selbständiger Gewerbetreibender. Ich hoffe, daß die neue Ent- scheidung, die der Abg. Eickhof wünscht, niht dazu führen wird, die Gntscheidung des Reichsgerichts zu ändern, sondern höchstens die des Oberverwaltungsgerihts. Einzelne Baugewerbeberufsgenossenschaften haben über die sogenannten Handmauern besondere Unfallverhütungs- vorschriften erlassen; cs ist nur zu bedauern, daß diese rihtigen Vor- schriften nit allgemein durhgeführt sind.

Abg. Eickhoff (fortshr. Volksp.): Die beiden Entscheidungen find sowohl für die Arbeitgeber wie für die Arbeiter ungünstig. Jch habe in feiner Weise gegen die Versiherung der Hausgewerbe- treibenden polemisiert, sondern nur eine einheitlihe Rechtsprehung gewünscht. Die Versicherung der Heimarbeiter wird bereits in So lingen erwogen.

Das Kapitel „Reichsversiherungsamt“ wird genehmigt, ebenso die Ausgaben für die Phyfsikalish-Technishe Reichs anstalt.

Zu den Ausgaben für das Kanalamt liegt vor die Reso- lution Wommelsdorf (nl.)-Spethmann (fortshr. Volksp.), eine Kommission von 14 Mitgliedern einzuseßen zur Prüfung der Frage, wie der von Petersen-Möhlhorst projektierte Eckernförder Kanal im Jnteresse des Reichs am besten zu fördern sei.

Abg. Severing (Soz.): Beim Kaiser-Wilhelm-Kanal waren auch Galizier, Ftaliener und Russen beschäftigt. An deutschen Arbeitern feblt es niht. Die Werbungen der ausländischen Arbeiter dauern auch in diesem Jahre fort, und zwar mit sehr unshönen Mitteln. Die ausländishen Arbeiter werden von den Agenten unter allerlei Vorspiegelungen nah Deutschland gelockt. Gegen die Be- [Waftigurs ausländischer Arbeiter haben wir nichts, wenn sie zu den selben Löhnen wie die deutschen Arbeiter beschäftigt würden. Aber diesen ausländischen Arbeitern wird zugemutet, billiger zu arbeiten als die deutschen. Ein Vertreter der Firma Bachstein hat Kieler Arbeiter u Seen, weil sie zu viel Lohn forderten. Ausgesperrte Werftarbeiter sind niht angenommen worden, obwohl in den Zeitungen Hunderte von Arbeitern gesuht worden waren. Das Kanalamt bätte die Pflicht gehabt, auf die Unternehmer ein- zuwirken, daß die ausgesperrten Arbeiter angenommen wurden. Was hat dieses denn veranlaßt, Gewehr bei Fuß zu stehen, aus angeblicher Neutralität? Es i} natürli, daß solhe Dinge den Groll der Arbeiter erregen müssen. Es muß - dagegen protestiert werden, daß arbeitswillige Arbeiter zum Kanalbau nicht zugelassen werden, bloß weil sie niht fo billig arbeiten wie die ausländischen. Die rechte Seite des Hauses tritt doch sonst immer für den Schuß der nationalen Arbeit ein; dazu gehört doch auch der Schußz der nationalen Arbeiter. Die {önen Bestimmungen über die Annahme der Arbeiter und den Betrieb in den Baracken usw. stehen lediglich auf dem BVapier. Die Fußlappen und Speiseüberreste der Ausländer liegen in den Baracken umher, und es herrs{t in diesen eine unerträglihe Atmosphäre, über die die deutschen Arbeiter fich mit Recht beshweren. Die Ausführung der Bestimmungen über die

gesundheitliche Fürsorge für die Arbeiter läßt ebenfalls zu wünschen übrig. Die Vorschriften müßten auch den Ausländern bekannt gemacht werden, dann würde die Zahl der Unfälle abnehmen. Trink- wasser findet sih dort nirgends in brauhbarem Zustande. Die von der Kanalverwaltung erlassenen Vorschriften zur Einschkänkung des Alkoholgenusses sind nicht imstande, den Alkoholgenuß zu bekämpfen. Man müßte andere gute, frishe Getränke bereit stellen; Kaffee ist allerdings kein genügender Ersaß, wenn er nicht fris ist. Arbeiteraus\{hüsse find auch in diesen grundsäßliden Bestimmungen vorgesehen, aber sie bestehen bei keiner an dem Kanalbau beteiligten Ns Wo Arbeiteraus\hüsse niht möglich find, sollten gewählte ommissionen die Arbeiterbe]schwerden entgegennehmen. Diejenigen Arbeiter aber, die davon Gebrauch gemacht haben, sind einfa entlassen. Die Löhne werden oft erst eine Woche bis 14 Tagé später ausgezahlt. Die Kanalverwaltung hat es ausdrücklich ab- ens eine Verpflichtung für nicht bezahlte Löhne zu übernehmen.

ann aber soll fie eine \harfe Kontrolle üben, daß pünktlich ausbezahlt wird. Gerade um Weihnachten ist . versuht worden, die Löhne zu drücken. Ich rihte daher an die Kanalverwaltung das dringende Ersuchen, dafür zu f\orgen, daß die in der Bros üre fo fön aufgeführten Grundsäße bei dem Bau des Kanals auch in Anwendung gebracht werden. Ich bitte, diese Grundsäße auch der Hygieneausstellung in Dresden zu überwetsen. Sie sind ein wert- voller Beitrag dafür, wie bei uns Sozialpolitik auf dem Papier steht. Die verbündeten Regierungen können der Broschüre als Motto die NReutershe Geschichte vom Rindfleisch und den Pflaumen voransetzen, die ein {chönes Gericht sind, das man aber nicht bekommt.

Direktor im Reichsamt des Innern von Jonquidres: Dieses Motto hinzuzufügen, haben wir keine Veranlassung. Die Bestimmungen stehen keineswegs nur auf dem Papier. Troß der großen Schwierig- keiten, die die Kanalarbeiten bieten, haben wir es fertig gebracht, 70 °/o der Stellen mit deutshen Arbeitern zu beseßen, der Rest sind allerdings Ausländer, Staliener sowohl wie Polen. Beide werden aus nationalpolitishen Gründen an sih nicht gern genommen, aber es läßt sih bei der {weren Arbeit niht ganz vermeiden. Bon den Polen ist es ja bekannt, daß’ sie sich zu Wasserarbeiten besonders eignen. Bei den Italienern sind es gewissermaßen erst Versuche, sie werden uns aber als geeigneter Grsaß empfohlen. Die Arbeiter, die fich gemeldet hatten und bereit waren, besonders {chwere Arbeit zu leisten, waren dem teilweise niht gewachsen; es waren folche, die diese Arbeit niht gewohnt sind und fie nur als Notbehelf betrahten. So hat ih die ausschließliche Beschäftigung deutscher Arbeiter nicht durchführen lassen. Die angeblich kostenlose Unterbringung der Arbeiter in Baracken durch Privatgesell- schaften feht außer Beziehung zur Kanalyerwaltung. Wenn diese aber den Betrag für die Unterbringung von 75 auf 85 -Z er- höht, weil die Kosten niht einkommen, so kann man ihr daraus einen Vorwurf niht machen. Die sonst vorgebrachten Mißstände sind bisher nicht zu unseren Ohren gekommen. Von denjenigen, die den Verhältnissen nahestehen, werden diese günstiger beurteilt. Der Abg. Dr. Leonhart hat in der „Kieler Zeitung“ einen ausführlichen Artikel erscheinen e in dem er zu dem! Schluß ommt, daß die Arbeiterfürsorge beim Kanalbau die größte Anerkennung verdiene. Wir werden feststellen, inwieweit die A F aber des Abg. Severing der Wirklichkeit entsprehen. Sollten sich Mißstände eingeshlichen haben, was bei einer Arbeiterschaft von 4800 Köpfen immerhin vor- fommen kann, so werden wir niht säumen, Abhilfe zu schaffen.

Abg. An (dkons.): Der Abg. Severing tat so, als ob seine Partei ein besonderes Interesse hätte an dem Schuße der deutschen Arbeiter. Die Stimmung im Hause geht, soweit ih sie kenne, dahin, daß wir selbstverständlich, wenn wir die Produkte der deutschen Arbeit hüßen wollen, auch den deutschen Arbeiter selbst Vene müssen. Bei der Fülle der Arbeitsgelegenheit, die fortwährend auf allen Ge- bieten geschaffen wird, haben wir aber tatsächlich nicht die genügende Zahl von Arbeitern. Wir haben eine Million ausländischer Wrhaiter im Lande. Es ist doch besser, daß man Arbeiter aus den Nachbar ländern nimmt, als daß man die Betriebe überhaupt stillegt. Fch möchte aber für diejenigen sprehen, die als Schiffer den Kanal benußen. Wir haben eine Resolution eingebracht, die fich gegen die Konkurrenz der fremden Flagge in unserer Binnen- \chiffahrt rihtet. In früheren Jahren sind wir mehrfach dafür ein- getreten, daß man das Recht der Küstenschiffahrt der deutschen Flagge vorbehalten, bezw. die fremde Flagge nicht zulassen möge. Bei der Küstenschiffahrt fahren die Schiffe von einem deutschen Hafen in einen deutschen Hafen, bei der Kanalschiffahrt aber handelt es sich um Binnenschiffahrt, deswegen sind ja auch die Kanalschiffer nicht der Seeberuf8genossenshast unterstellt. Der deutshe Schiffer muß Frau und Kinder am Lande lassen, die Kinder unterliegen dem Schulzwang, er muß Miete zahlen und führt da neben einen Haushalt für sich. Da ist die Konkurrenz mit dem aus- ländishen Schiffer, der Frau und Kinder an Bord hat, sehr schwer, denn diese Schiffer kehren volle drei Jahre niht nah Holland zurück, sondern verkehren nur zwischen deutshen Häfen und betreiben nicht nur Küsten-, sondern auch Binnenschiffahrt. Die Makler bevor zugen die holländishen Schiffer, weil sie mehr dabei verdienen, denn der Holländer muß bei seinem langen Ausbleiben seine Vorräte bei den deutshen Geschäftsleuten ergänzen. Ich habe mich vor Jahren an Exzellenz Lucanus gewandt, um durch Allerhöchstes Eingreifen zu erreichen, daß, wenn die deutshen Schiffer nicht von dieser Konkurrenz befreit werden könnten, doch wenigstens die Frachten der Behörden aus\cließlich ihnen gegeben werden. Das ist mir zugesagt, und die sämtlichen Behörden find dem auch nachgekommen ; es ist bei allen Verträgen eine entsprehende Klausel aufgenommen. Nun is mir mitgeteilt worden, daß diese Klausel umgangen wird. Man behauptet, niht immer deutshe Schiffer be fommen zu fönnen. Erzellenz von Tirpiß hat mir die Auskunft ge- geben, daß die Versendung des Materials in einem Falle, den ih zur Sprache brachte, keine Verzögerung ertragen hätte. Ich rihte aber an das Reichsamt des Innern die Bitte, daß bei den vielen Frachten, die jeßt beim Kanalbau zu vergeben sind, nicht allein diese Klausel beibehalten, sondern auch darauf geachtet wird, daß die Unter nehmer ihr wirklich gerecht werden. Wenn ihnen eine Um- gehung nachgewiesen wird, dürfen sie späterhin nicht mehr berüsichtigt werden. Die Holländer haben auch viel billigere Schiffe. (Vizepräsident Dr. Spahn bittet den Redner, seine Aus- führungen auf den Kanal. zu beschränken. Zuruf des Abg. Fegte r.) Fch untersuhe niht die Ursachen des billigeren Schiffsbaues in Holland; jedenfalls haben die holländischen Besißer der den Nord-Ostsee-Kanal befahrenden Schiffe mehrere hunderttausend Mark weniger zu verzinsen. Dazu werden in Holland billige Schiffs hypotheken gegeben. Jh möchte die Aufmerksamkeit der verbündeten Negierungen darauf lenken, daß die Register über die Schiffs hypotheken bei den Amtsgerichten geführt werden, damit Doppel- eintragungen vermieden werden, und daß eine Versicherung der Schiffs- hypotheken eintreten kann wie in Holland. Jedenfalls muß man alles tun, um die deutschen Schiffer ebenso günstig zu stellen wie die bolländishen. (Vizepräsident Dr. Spahn bittet den Redner erneut, sich mehr ans Thema zu halten.) Die Wasserstraßen der Unterelbe und des Nord-Ostsee-Kanals werden zurzeit in einer bisher unbekannten Weise von den großen Schiffen in Anspruch genommen. Die Unfälle, die darauf zurückzuführen sind, find zahllos. Wenn wir der großen Schiffahrt zuliebe die bedeutenden Aufwendungen für die Berbreiterung des Kanals machen, dann ist es durchaus berechtigt, immer wieder zu betonen, man möge auch der Kleinschiffahrt Fürsorge angedeihen lassen. Diese Fürsorge besteht darin, daß ein Shuß- und Winterhafen gebaut wird, damit bei ftürmischer See und Unwetter die kleinen Schiffe sh vor Zusammenstößen mit den großen in Sicherheit bringen können. Leider sehe ich, daß der Staatssekretär die Absicht hat, den Bau des Hafens allein den íFnteressenten und den anliegenden Kommunen zu überlassen. Gs fommen au nichtdeutsche Kleinschiffer în Betracht. (Wiederholte Zurufe links.) Jett bitte ih den Präsidenten, mich gegen die Zwischenrufe \{chüßen zu wollen, damit ih meine Ausführungen in Ruhe machen kann. Ih werde im preußishen Abgeordnetenhause den Antrag stellen, daß die Strom-

bauverwaltung die Ostemündung s{hüßen möge gegen das Gindringen der Baggermassen, und ih- bitte die Kanalverwaltung, eventuell zy den nötigen Bauten einen Palhubß zu geben, denn diese find not. wendig wesentlih durch die Baggerungen für den Ausbau des Nord. Ostsee-Kanals. Es muß rechts\eitig ein Damm an der Dste aufgeführt werden. In den Auswelchestellen im Kanal müssen die kleineren Schiffer oft eine ungewöhnlich lange Zeit liegen und auf einen Schlepper warten. Anfang Dezember haben 14 Ewer fünf Tage lang liegen bleiben müssen. Auf eine Beschwerde hat der Präsident des Kanalamtes telephonisch mitgeteilt, sie müßten eben warten bis ein Schlepper käme, und hat ihnen den Rat gegeben einen Privatschlepper zu nehmen. Das aber kostet 80 4. / bitte, darauf hinzuwirken, daß so lange Wartezeiten vermieden werden. Der Zeitverlust bedeutet einen erheblichen Geldverlust Ich habe seit Jahren nun Veranlassung gehabt, mih über das Wohl: wollen der Kanalverwaltung von dieser Stelle dankbar auszusprechen. Auch meine heutigen Worte sollen keine abfällige Kritik bedeuten sondern nur ein verehrungsvoll zur Darstellung gebrahter Ansporn sein. Es wird sich wohl beim Reichsschaßzamt ermöglichen lassen, die zur Erfüllung der von mir zum Ausdruck gebrachten kleinen Wünsche nötigen Mittel zu erhalten.

Direktor im Reichsamt des Innern von Jonquiòres: Die Ay, nahme der Resolution erscheint den verbündeten Regierungen bedenklih. Man kann zweifelhaft sein, ob der Verkehr in Kiel und Hamburg nit im Sinne des Geseßes von 1881 als Küstenschiffahrt zu betraten ist, die allerdings der deutshen Flagge nah diesem Gesetze vor- behalten ist. Dem aber steht das Bedenken entgegen, daß auf Grund des § 2 des Geseßes durch eine Kaiserlihe Verordnung von 1886 dieses Recht ausdrücklih den Niederländern eingeräumt ist, alfo ohne den Erlaß eines besonderen Geseßes wären wir gar nit in der Lage den Holländern oder anderen Ausländern den Gewerbebetrieb zu ver bieten. Denn wenn wir sie bei uns dulden, so müssen wir ihnen nah § 1 der Gewerbeordnung auch ‘den Gewerbebetrieb gestatten. Eine weitere Vermehrung der Schleppdampfer würde die Finanzen der Kanalverwaltung sehr belasten. Es sind im leßten Jahre rund 450 000 dafür ausgegeben, und wir können das niht ins Un: gemessene treiben. Im übrigen haben wir kein Schleppmonopol, und es steht jedem frei, fih privater Schlepphilfe zu bedienen.

Abg. Spethmann (fortshr. Volksp.): Das Projekt, den Kaiser; Wilhelm-Kanal mit Ekernförde durch einen Stichkanal zu verbinden, hat den Reichstag hon früher beshäftigt. Damals handelte es fi um ein von privater Seite geplantes Ünternebaen: es wurde eine Kommission zur Prüfung der Frage eingeseßt. Es ist auf Grund der Kommissionsverhandlungen ein Vertrag mit den Unternehmern ab. geshlossen worden. Es ist aber noch immer keine Basis zu finden gewesen, auf die eine Nentabilitätsberechnung hätte aufgestellt werden können. Die Vorschläge des Unternehmers Petersen wurden vom Neichsmarine- amt als unannehmbar bezeihnet, ohne daß ihm Gegenvorschläge ge mat wurden. Wenn aber kein Tarif vereinbart wird, muß die Sache natürlich auf ein totes Gleise kommen. Wir beantragen daher, eine neue Kommission einzuseßen, damit greifbare Vorschläge gemaht werden können; die Sache drängt. Ein größerer Teil der die Ostsee aufsuhenden Schiffe benußt niht mehr den Nord-Ostsee- Kanal, fondern fährt um Skagen herum nach dem Freihafen Kopenhagen. Der omit Ma hat früher ausgeführt, daß die Vorausfeßzung des Unternehmers zurzeit niht mehr zutreffend wäre. Nach Anstcht Sachverständiger ist aber wohl anzunehmen, daß Handel und Wandel nicht nur der Stadt Eckernförde, sondern des ge}amten Hinterlandes sich dadurch bedeutend heben würde.

Abg. Wommeldorf (nl.): Jch habe diesen Ausführungen nur wenig hinzuzufügen und gehe niht auf Details ein. Gs handelt si hier um ein Projekt, dem der Unternehmer Petersen ein Menschenalter all seine ganze Arbeit geopfert hat; er hätte es längst über den Haufen geworfen, wenn er niht von dessen Güte überzeugt wäre. Der Handel in der Ostsee muß leiden, wenn nicht in den ¡jeßigen Verkehrsverhältnissen im Nord-Ostsee-Kanal Wandel geschaffen und wenn nicht das Projekt ausgeführt wird. Nehmen Sie den as einer Kommission an, damit dieses wirklich großzügig: Projekt nochmals geprüft und endlich verwirkliht wird. Es wird eine Entlastung des Kieler Hafens bringen, in dem ja für di Handels\chiffe kaum Raum mehr ist. Die Frequenz auf dem Kanal wird ganz bedeutend zunehmen, wenn diefer Stichkanal gebaut wird; das muß doch für die Regierung ein weiterer Antrieb sein, dem Projekt näher zu treten. Nicht nur für die Städte, nicht nur meiner engeren Heimat, sondern dem ganzen großen Vaterlande wird die Aus iabruna zum Segen gereichen.

Direktor im Reichsamt des Innern von Jonqutidres: Jd möchte doch bitten, von der Einseßung einer nochmaligen Kom mission abzusehen. Es ist das erste Mal nichts dabei herau? gekommen, und es wird au jeßt nihts herauskommen. Der Unter nehmer Petersen erblickt in der Durchführung des Projekts sein Lebensaufgabe; aber er soll nicht von uns verlangen, daß wir vorher mit ihm einen Tarifvertrag vereinbaren, der die Reichs einnahmen aus dem Kanal für das Reich um eine Million verringern muß Petersen selbst hat in Besprehunzen mit uns zugegeben, daß d ganze Angelegenheit nur mit Hilfe der Hamburger Reederei gemad! werden fann, von Edckernförde aus geht das nicht, das fieht e selbst ein. Wir können den Glauben Petersens nit teilen, daf die Amerikaschiffe den Umweg über den Umschlagshafen Ekernförd machen werden; das geht auch aus einem Schreiben einer Hamburge! Needereifirma hervor. Kommt es zum Klappen, so ist also eventuell niemand da, der hinfahren will, und die dafür aufgewendeten Millionen find ins Wasser getrvorfen. |

Abg. Dr. Leonhart (fortschr. Volksp.) : Ob einDutend holländische! Schiffer im Kaiser-Wilhelm-Kanal gefahren ist, spielt keine Rolle. Von der Regierung ist {hon erklärt worden, daß zur Ausführung des Wunsches des Abg. Dr. Hahn ein eigenes Gese erforderli fein würde; auch ein solhes Gesey würden wir ablehnen. Die Arbeiterverhältnisse beim Kaiser-Wilhelm-Kanal habe ih aus eigene! Anschauung kennen zu lernen versucht, und es sind mir aud keine Potemkinshen Dörfer vorgeführt worden, sondern mein Besuch war teilweise ein unerwarteter. Jch wundern müssen über die geradezu musterhaften Verhältni die dort herrschen ; alles, was billigerweise von de! Unternehmern verlangt werden kann, ist für die hewilligt. Die Ausländerfrage ist ja sehr sehr erwünsht, wenn nur deutshe Arbeiter beschäftigt Die Zustände in den Baracken waren tatsächlih so mustergültig 1 nur möglich.

Abg. Spethmann (fortshr. Volksp.): Die Ekernförder Kana! frage ist deshalb ins Stocken geraten, weil es der Regierung fehlte. Petersen keineswegs als eine feststehende Der Stichkanal würde den Weg zur Ostsee um 13 | Der etwaige Ausfall in den Einnahmen des Kaiser-Wilhelm-Kana? würde durch die größere Frequenz niht nur eingeholt, fondern über troffen werden. Der Staatssekretär hat sih auf das ungeeigne! Gutachten aus Hamburg berufen, die anderen Gutachten aus de Hamburger Reedereien lauten wesentli günstiger.

Die Resolution Wommeldorf-Spethmann wird abgelehn!

Summe

über die Resolution Hahn wird später abgestimmt werden, wt }

diese nicht gedruckt vorliegt. : Zu den Ausgaben für das Aufsichtsamt für Priva versicherung liegt vor die Resolution des Zentrum? Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, einen Gesegentwu! vorzulegen, durch welchen die sogenannte Abon nentenve!' sicherung (jede Art von Verbindung von Zeitungsabonnemen! und Versicherung) verboten wird, und die Bassermann: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, t

Denkschrift darüber vorzulegen, welchen Umfang die Ver hind d D s q V j 5

einer BersiMerunag mik der Herausgabe Zeitungen und Zeitschriften angenommen hat, welche Mißstände dabei hervorgetreten find.

(Schluß in der Dritten Beilage.)

und

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c i T Arbeiter au) F unangenehm; es wart j

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an dem Wohlwollen | Die Million, von der hier die Rede ist, hat hingestellt. Y 15 km abfürzen }

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Dritte Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

¿ 69,

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(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Abg. Dr. Marcour (Zentr.): Schon im vorigen Jahre war ein

¿bnlicher Antrag eingebraht und zur Annahme gelangt. Leider sind die Erwägungen - der Regierung hierüber noch nicht abgeschlossen. (5s bandelt sih hier um eine Frage der Volkswirtschaft und um eine ideelle Frage. Die Abonnentenversicherung schädigt die Interessen des Publikums und die Solidität der Presse durh einen unlauteren Wettbewerb. An der Bekämpfung dieses Unfugs haben alle Parteien das gleiche Interesse. Durch die geseßlichen Bestimmungen iber den unlauteren Wettbewerb können wir dem Uebel nicht steuern. Gs muß ein selbständiges Geseß erlassen werden. Wir wollen vor allem den Arbeiter, Landwirt und Handwerker \{chüßen. Wenn ih auch nit so weit gehen will, in dieser Versicherung einen Volksbetrug u sehen, so muß ih doch sagen, daß es sh hier um eine Täuschung und Schädigung des Publikums handelt. Dieses ganze Nersicherungswesen beruht auf einer ungesunden Basis. Die Nbonnenten werden gegen Tod und Unfall, z. B. mit 1000 6, ver- sichert; in kleiner Schrift ist hinzugefügt: „in der Regel“. Man operiert hier mit einer tatsächlihen Täuschung. Unter hundert Abonnenten läßt fih kaum einer die gedruckten Statuten kommen ; die Abonnenten lesen nur die großsprecherishe Reklame, daß sie eine Versicherungssumme von 1000 4 erhalten. Zwischen legern und Versicherungsgesellshaften bestehen vielfach sehr ver- fänglihe Vertragsbestimmungen, wonach z. B. die Versicherung nit gezahlt wird, wenn der Versicherte das 60. Lebensjahr über- {ritten hat. Alle diese Fußangeln kennt der Abonnent nicht. Außerdem enthalten die Statuten noch \o viel Ausnahmen, daß die Auszahlung der Versiherungsfumme nicht die Negel, sondern die Ausnahme ist. Diese Versicherungen haden den foliden Zeitungen, dem guten Nuf der Versicherungsgesellshaften und vor allem Hand- werkern, Arbeitern und Landwirten; darum - ist es notwendig, diesem groben Unfug so bald wie möglich ein Ende zu machen. Abg. Dr. Jun ck (nl.): Von einem „groben Unfug“ möchte ich nit sprechen. Ueberhaupt ist uns der Antrag des Zentrums viel radikal, denn er trifft Gerehte und Ungerehte gleihmäßig. Man muß unterscheiden zwischen solchen“ Versicherungen, wo der Berleger die Abonnenten selbst versichert, und folchen, wo der Ver- leacer Schuß bei Versicherungsgesellshaften suht. Dieser leßte Weg ist unbedenklich. Jn diesem Falle ist der Verleger der Ver- siherung8agent, Akquisiteur. Aufgabe des Aufsichtsamts ist es, die Snteressen der Versicherten zu wahren. Es hält ja auch darauf, daß der Verleger keine Reklame treibt, die ün Widerspruch steht mit den Bedingungen der konzessionierten Versiherungsgesellshaft. Es wacht aub darüber, daß die Versicherung nicht plötlih aufhört. In dieser Beziehung bestehen also keine Bedenken. Gegen die Akquisition läßt Standpunkt der guten Sitte nihts einwenden. Es würde unsozial fein, solche Versicherungen zu verbicten. Wir sind auch vom liberalen Standpunkt dagegen, daß solche Erscheinungen einfach totgeschlagen werden. Auf einem anderen Blatt steht die Ver- rung der Abonnenten durch den Verleger selbst; hier können Miß- tände bervortreten. Zeitungsverleger und Versicherungen sind zwei ganz heterogene Dinge ; die Versicherung ist immer etwas Selbständiges. Zunächst wollen wir einmal flar sehen, wir wollen das Aufsichtsamt fragen, ob ein solcher Eingriff der Gesetzgebung {on notwendig t; mit bloßem sittlihen Pathos läßt fich die Frage wirklich niht erledîgen. Wir bitten daher, unseren Antrag wegen Borlegung einer Denkschrift anzunehmen. Mit dem Antrag auf ein Verbot fommen Sie auch nicht weiter. Politisch ist die Sache niht; wenn man die Presse aller Parteien ansicht, gilt das Wort: Peccatur muros et extra. Das preußische Geseg über die liden Feuerversiherungsanstalten legt den Gesellschaften die Pflicht auf, einen gewissen Prozentsaß dieser Bestände in cktaatsanleiben anzulegen. Der ostpreußishen Landschaft ist eine ähnlide Maßnahme angedroht. Der frühere preußische Finanz- minister von Rheinbaben meinte im Herrenhause, es werde später leiter sein, dann auch die privaten Gesellschaften dazu heranzuziehen. Das Aufsichtsamt bitte ih, die privaten Lebensversicherungsgefell- haften vor einem ähnlichen Schiéfsal zu bewahren, denn ein solches orgehen würde den Interessen der Versicherten entgegen sein, der Verzinsungssaß des Gesamtkapitals würde dadurch wesentlih herab- aedrüdckt werden, und der Verlust würde im Laufe von 30 Jahren beinabe eine halbe Milliarde, nach der Meinung anderer noch viel mebr betragen, und dieser Verlust ginge zu Lasten der Versicherten, im wesentlichen unseres soliden Mittelstandes, der damit gerade für seine Solidität einer Sonderbesteuerung unterworfen würde. Direktor im Neich8amt des InnernC as par: Auf den Beschluß vom i Jahre hat der Reichskanzler die Meinung der Bundesregierungen die Abonnentenversicherung eingeholt. Es hat sich dabei herausgestellt, die vom Abg. Junck geäußerten Gegengründe weitaus überwiegen, ind daß nennenswerte Mißstände ih bei der Abonnentenversicherung iberbaupt nit ergeben haben. Sie hat aber für Kreise der Be völferung große Bedeutung, die sonst von der Versicherung keinen Gebrau machen können. Es find ganz erhebliche Beträge den Kreisen des Mittelstandes zugeführt, in den Jahren 1908, 1909 und 1910 rund 75 Millionen. Die vom Abg. Marcour hervor gehobenen inde sind nit drückend und treten bei der Abonnentenversicherung nit \{härfer hervor als bei anderen Ver- sicherungen auch. Die anscheinend rigorosen Bestimmungen gelten für die Privatversiherung ebenso wie für die Abonnentenversiherung. Abg. Schwartz - Lübeck (Soz.): Die Abonnentenversiherung ijt eine der übelsten Blüten am Baume unseres modernen kapitalisti- | Zeitungswesens. Jede anständige politische Zeitung müßte ein solches Mittel zum Abonnentenfang grundsäßlich ablehnen. Kaum einer der Abonnenten hat cinen Blick in die Bedingungen getan, und cs handelt sich vielfa um offenbaren Schwindel.

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Abg. Dr. Potthoff (fortshr. Volksp.) : Wir stimmen für die nationalliberale Nesolution, obgleih es auch nicht nötig wäre, daß wir, nachdem wir zwei Jahre über die Sache debattiert haben, noch eine besondere Denkschrist verlangen. Die verbündeten Negierungen glauben anscheinend überhaupt nicht an Mißstände auf diesem Ge- biete, und diese Stellungnahme scheint uns denn doch etwas zu optimistis{ zu sein. Die Zentrumsöresolution geht zu weit, denn hie würde auch verbieten, daß Versicherungsgesellschaften Zeitschriften an ihre Versicherungsnehmer herauêgäben. Gegen den Schwindel auf diesem Gebiete sind wir ebenso entschieden wie irgendeine andere Partei des Neichstages. Die Gerichte föunten diesem Schwindel auch ohne neue geseßlihe Bestimmungen zu Leibe gehen, wenn sie nur die Vorschriften über die Verstöße gegen die guten Sitten streng zur Anwendung brächten. Alle folche Berlags- Nebengeschäfte müssen dem Neichsaufsichtsamt unterstellt werden. Wie denkt denn der Abg. Marcour über die Verbindung des Versiche- rungêgeschäfts mit dem Arbeitbvertrage, die doch auch schr bedenklich it? Bis vor kurzem brauhte man dieser Sache keine große Be- deutung beizulegen. Seit wir aber wissen, daß die verbündeten Negierungen beabsichtigen, in dem Privatangestellten-Versicherungs- geseße den Werkspensionskassen nacträglih cinen Play einzuräumen, liegt die Sache anders. Diese Kassen legen den Arbeitern und An- gestellten s{hon durch die S der Freizügigkeit sehr starke Fesseln an. Im rheinischen Industriegebiet sind bekanntlich Gerichtsurteile zweiter Instanz ergangen, die die Vorenthaltung

den 21. März

Berlin, Dienstag,

verhältnis als keinen Verstoß gegen die guten Sitten erklären. | Das Aufsichtsamt sollte mit den Regierungen ins Benehmen | treten, damit diese TRerkspensionskasten einheitlich nach ganz bestimmten Regeln behandelt werden. In den Saßungen der Werkspensionskassen finden sich Bestimmungen, die eine private Versicherungégesellschaft niht darin haben darf, die geseßlich ver- boten \ind: das Aufsihtsamt müßte dafür forgen, daß diefe aus- gemerzt werden. Zwangsbeiträge zunt Zwecke einer Pensionsversorgung von Arbeitern einzuziehen, muß als eine Versicherung und darf nicht als eine Wohlfahrtseinrihtung gelten ; es fann nit fein, daß Wohl fahrtseinri(tungen dieser Art zurückbleiben hinter dem, was von jeder privaten Versicherungsgesell|haft verlangt werden muß. Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Junern, Staatsminister Dr. Delbrüdck:

Meine Herren! Die Verführung liegt sehr nahe, auf die Aus- führungen des Herrn Vorredners in bezug auf die Werkêpensionskassen näher einzugehen. Ich kann das, was er gesagt hat, in vielen Punkten nit für zutreffend eraGten. Namentlih wenn er in dem leßten Sate sagte, daß von einer Wohlfahrtéeinrihtung unter allen Ums ständen verlangt werden müsse, was von einer Bersicherungsgesell {haft verlangt werden muß, fo ist das insofern nicht zutreffend, als man do wohl berechtigt ist, die Frage aufzuwerfen, ob denn eine Werks- pensionskasse unter ten gleichen Bedingungen wie eine Lebens- versicherung8gesellschaft bestehen kann oder nicht, und ob es nit im Interesse der Arbeiter und Angestellten liegt, eine folhe Werkskafse mit etwas anders gearteten Bedingungen bestehen zu lassen. Aber, meine Herren, es ist wirklich niht an der Zeit, heute über diese Fragen zu debattieren, denn nach meiner Ansicht wird das Gesetz über die Privatbeamtenversihherung, mag es nun aus- fallen wie es will, einshneidend in die Rechtsverhältnisse der Werkspensionskassen eingreifen. (ort Dort! links) ©Des- wegen würde ich empfehlen, diese Erörterung auszuseßen, bis wir wissen, wie das Gesetz über die Versicherung der Privatbeamten ausfieht. (Sehr richtig ! links.) Unter Umständen fällt dann eine Reihe der gravamina, die seitens der Herren Vorredner vorgebracht sind, von selbst fort. Ich möchte aus diesem Grunde auf die Einzel- heiten nit weiter eingehen, und das um so weniger, als ja das Auf- sihtsamt für Privatversicherung in einzelnen Punkten bei den ge-

nehmigungépflihtigen Kassen den Wünschen, zu deren Vettreter ih der Herr Vorredner gemacht hat, bereits entgegenkommt. Auch für Preußen bestehen ähnliche Grundsäße in bezug auf die Genehmigung von Kassen, die seitens der Landeszentralbehörde beaufsihtigt werden; auch den anderen Bundesregierungen habe ich unter Mitteilung der vom Aufsichtsamt aufgestellten Grundsäße mit Erfolg anheimgestellt, sich diesen Grundsäßen anzuschließen.

Also, meine Herren, was nah Lage der Verhältnisse möglich ift, ist gesehen. Im übrigen wird die Frage ihre Erledigung finden, wenn wir das Gesey über die Versicherung der Privatbeamten ver- abschieden, was ja in nit allzulanger Zeit der Fall sein wird.

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Dann hat der Herr Vorredner sich auch noch einmal des längeren beschäftigt mit der Frage der Abonnentenversicherung. Die Schwierig- eit liegt für uns ja einmal darin, daß wir vor die Frage gestellt find, ob wir auf Grund einer einzelnen Entscheidung des Reichsgerichts, die ih au nit ohne weiteres für ganz zutreffend halten möchte (hört! hört! links), {on an eine geseßgeberische Regelung der Sache heran- treten wollen, und zweitens darin, daß es für uns nicht leicht ist, tat- \ächlich ein Bild von dem Umfange dieser Versicherungen und ihrer wirtschaftlihen und sozialen Wirkungen zu bekommen, weil eben ein Teil dieser Versicherungen, soweit sie nit beaufsihtigt sind, sih im allgemeinen unserer Kenntnis entzieht, und das ist auch der Grund, warum wir nit ohne weiteres in der Lage sind, die Uebersicht vor- zulegen, die der Herr Borredner éFin als etwas Selbstverständliches von uns verlangt hat. Ich bin aber gern bereit, ‘durch eine Umfrage bei den Bundesregierungen zu versuchen, ein möglich# vollkommenes Bild von dem Umfange und von den Wirkungen der nihtbeauf sihtigten Zeitungsabonnentenversiherung zu gewinnen, und werde mir gestatten, bei gegebener Gelegenheit dem Reichstage von dem Er gebnis dieser Umfrage Mitteilung zu machen. (Bravo!)

Abg. Giesberts (Zentr.): Die kleinen Zeitungsverleger werden von den Erklärungen des Ministerialdirektors Caëpar mit Vergnügen Notiz nehmen und sie zu Reklamezweken benußen. 99 0/6 aller Organisationen sind für ein Verbot der Abonnentenversicherung. Cs

c 4 2 J - J 9 f 4 elt» . handelt ih hier um einen Schädling am Baum der deutschen Presse; er muß einfah totgedrückt werden. Wir begegnen jeßt sogar einer Kreditabonnentenversicherung, der eine Verleger suht dem anderen es vorzutun. Das ist eine Krankheit 1m deutshen Preßwesen, die Presse ist aber wie cin Geschäft, und wir sollten alles daran seyen, zu ver hindern, was die Presse in ihrer Entwiklung hemmen könnte. Wenn der Ministerialdirektor Caspar gemeint hat, es seten keine Beschwerden über die Abonnentenversiherung eingegangen, fo möchte ih ihn darauf hinweisen, daß der Abg. Dr Marcour ein reihhalkiges Material gesammelt hat, und daß die sächsishe Landwirtschaft ein strenges Vorgehen gegen die Abonnentenversicherung gefordert hat. Eine gründliche Untersuchung wird zeigen, daß hier gar nichts anderes hilft als eine NRadifalfur. Wir dürfen die Presse doch nicht beurteilen vom Standpunkt des Heringsgeschäfts; die Presse ist doch etn Kulturfaktor ersten Ranges, sie ist der Vermittler unserer geistigen Kultur, der Vermittler unserer politishen Ideen. Bedeutungsvolle politische Zeitungen haben die Abonnentenversiherung aus Gründen der Vornehmheit nicht ein geführt, und die sie haben einführen mu}jen, beklagen sie jeßt; der Berleger muß die etwaigen Vertuite doch irgendwo herausslagen, und das geschieht auf Kosten des politishen Teiles. Unter den Nationalliberalen werden] A % gegen die Abonnenten- versicherung sein. Gerade die kleine Presse wird durch die städtische Presse mit Abonnentenversiherung totgedrückt. Diese Kreise haben auch kein Bedürfnis nach einer folchen Versicherung. Sollte aber ein solches Bedürsns vorhanden sein, so müßte man einen anderen Weg finden, um diejes zu befriedigen.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern,

Staatsminister Dr. Delbrü:

Was der Herr Vorredner eben über die Bedeutung der Presse gesagt hat, kann ich unbedingt unterschreiben. Ich hoffe, er hat auch aus den Ausführungen des Herrn Ministerialdirektors nit etwa ent- nommen, daß im Reichsamt des Innern diese hohe Vorstellung von unserer Presse nicht besteht. Sicher gibt es manche Tricks, die gewisse

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der gezahlten Beiträge im Falle des Ausscheidens aus dem Arbeits-

Presseorgane hie und da anwenden mögen, um fich Abonnenten zu

1918.

E CSILE Ci ACCADEEC B P

fichern. Es gibt Zeitungen, die ihren Abonnenten die Möglichkeit zu Badereisen geben, die Konzertbillette, Theaterbillelte, Oeldrudke mit Nahmen und was sonst alles an dieselben verteilen. Das alles sind geroiß unerwünshte Auswückse der Konkurrenz. Es fragt sih nur, ob es angezeigt ist, diesen Auswüchsen mit einer Novelle zum Preßgeseß entgegenzutreten. Denn, wenn es sich darum handelt, die allgemeine Moral und die Gesinnung der Presse in Ordnung zu halten, so kann man das nicht gut in einer Novelle zu dem Ver- ficherungsauffichtsgeseß.

Dann hat der Herr Abg. Giesberts gemeint, die Rede des Herrn Ministerialdirektors Caspar hätte fih eigentlich wie eine Reklame für die beaufsichtigte Zeitungëabonnentenversiherung ausgenommen, und die kleineren Blätter würden fich das zu nuße mahen. Gewiß ist es sehr bedauerlich, wenn viele Dinge, die wir hier vom Regierungétish sagen, im Lande ‘draußen zu ganz anderen Zwecken gemißbraucht werden. Das kann ih aber nicht verhindern; denn wenn ih objektiv und das ist meine Pflicht Ihnen gegenüber zu dieser oder jener Frage Stellung nehmen will, so muß ich Ihnen mitteilen, was ih festgestellt habe. Das, was vorhin Herr Ministerialdirektor Caspar über Umfang und Bedeutung der Abonnentenversicherung gesagt hat, beruht auf dem Material, das uns aus zahlreichen Umfragen zugäng- lih gemaht worden ist, und es ist auch von unserer Seite nit an- geführt worden, um etwa diese Einrihtung besonders zu preisen, sondern nur um fklar zu legen, daß es doch nicht so einfa ist, in diesen Dingen eine Entscheidung zu treffen. (Sehr richtig!) Aber wir werden uns ja nach Möglichkeit bemühen, zu vermeiden, hiér Dinge zu sagen, die zu Neklamezwecken verwandt werden können, und ih gebe mich vor allen Dingen der Hoffnung hin, daß der Herr Abg. Giesberts jedenfalls dafür Sorge trägt, daß die „Essener Volks- zeitung“ nicht etwa die Nede des Herrn Ministerialdirektors Caspar als Reklame abdruckt für ihre „Gratisunfallunterstüßung“, die sie unter dem 29. November 1910 \o warm empfohlen hat. (Sehr gut!“ und Heiterkeit.)

Abg Stolle (Soz). Ver „ehrlihe" Krieg gegen die außer- halb der Syndikate stehenden privaten _Versicherungsgesellshasten wird mit allen den Kniffen und Pfiffen geführt, die man den großen Gesellschaften nur zutrauen kann. Dadurch haben sich die kartellierten Gesellschaften ganz ungeheure Gewinne gesichert und ungemein hohe Dividenden verteilen können, so die Aachen-Münchener Ver- sicherungsgesellshaft, die in diejem Fabre 100, die Colonia, die in diesem Jahre 75, die Viktoria, die 60 9/9 Dividende ge: Alle diese Dividenden sind gegen das vorige Jahr ganz erheblich höher. Ist das nicht eine Aushungerung des Publikums? Und sollte das Aufsichtsamt nicht Untersuchungen darüber anstellen, wie solche Riesengewinne herausgearbeitet werden konnten? Meine gesamte Partei hat wiederholt die Verstaatlichung dieser Gesellschaften ver- langt, auf diesem Wege allein kann das Interesse der A gewahrt werden. Die staatliche obligatorische Feuerver)icherung in Sachsen ist ein großer Fortschritt, wenn die Einrichtungen auch noch ihre Mängel haben sollten. Mit der Verstaatlihung würde man si abfinden, wie man sich mit der Verstaatlihung der Eisenbahn ab- gefunden hat.

Direktor im Reichsamt des Innern Caspar: Die Fragen, die der Abg. Stolle eben erörtert hat, sind auch in anderen Kret]en viel be prochen worden. Namentlih hat das Kaiserliche Auffichtsamt für Privatversichherung neuerdings eine eingehende Untersuchung darüber angestellt. Veranlaßt wurde die Untersuchung dadurch, daß die Königlich bayerishe Regierung Erwägungen darüber anstellt, inwieweit für das Mobiliarfeuerversihherung8wesen in Bayern etwa die \taatlibe Versicherung einzuführen sei. Vie Königlich bayerische Negierung hat deshalb eine Aeußerung des Kaiserlichen Aufsichtsamts für Privatversicherung über dieje Fragen erbeten, und diese Fragen, namentlih die vom Abg. Stolle berührten, betreffend die Gewinne der Privatversicherungsgesellschaften, der Feuerversiherungsgesellshaften und die Kartellbestrebungen, Und eingehend erörtert worden. Darüber bat die Königlich bayerische Regierung eine eingehende Ers- klärung veröffentliht, in der Sie die Erwägungen finden, die das KaiserliGe Aufsichtsamt für Privatversicherung angestellt hat.

Abg. Dr. Jun ck (nl.) bleibt bei seiner Erklärung steben, daß der etwaigen Absicht, den Versicherungêgesell|haften bezüglih der An- legung ihrer Bestände einen geseßliche! Zwang aufzuerlegen, von nationalliberaler Seite 1m ( Ber\icherten der {tarktite Widerstand entgegengeseßt werden Die Abonnentenversiche rung betreffen? dner zu, daß, wenn hinter dem Verlage keine NVersicherungsgesellshaft steht, fich Mißstände ergeben können, und daß alle Veranlassung vorliegt, in dieser Richtung die Augen offen zu halten.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Delbrü ck:

Meine Herren! Ich bedaure außerordentli, daß ih den Herrn Abg. Dr. Junck dadurch verleitet habe die Anfrage nah dem Zwang zur Anlegung der Bestände der Versicherungsgesellshaften hier zu stellen, daß ich ihn nicht ausdrüdcklich habe bitten lassen, von einer derartigen Frage abzustehen. Ich habe bisher immer die Auffassung gehabt, daß man ohne Not die Herren niht hindern soll, hier zu sprechen, weil man unter Umständen sehr gern ihre Meinung hört, daß aber darum eine unbedingte Verpflichtung, jede Anregung zu be- antworten, nit besteht, und daß ein Shweigen im allgemeinen dahin zu verstehen ist, daß die Regierung aus irgendwelhen Erwägungen beraus nit in der Lage ist, zu antworten. Das pflegt namentlih immer dann der Fall zu sein, wenn die Regierung felbst noch nit weiß, was sie tun soll (Heiterkeit), weil eben die Erwägungen über den betreffenden Gegenstand s{chweben. So liegt es auch bier. Ih wäre also beim besten Willen nit in der Lage, die Frage zu beant- worten, auch wenn ich es beabsihtigte, und aus diesem Grunde wäre auch der Herr Präsident des Aufsichtsamts für Privatversicherung, wenn er bier anwesend war, dazu niht in der Lage, und wenn er es bätte versuchen wollen, hätte ich ihn darin gehindert. (Heiterkeit.)

Abg. Fegter (fortshr. Volksp.): Meine politischen Freunde werden aus denselben Erwägungen heraus wie der Abg. Dr. Junck einem etwaigen Zwange auf die Versicherungsgefellshaften, einen Teil ihres Vermögens in Reich3- und Staatspapieren anzulegen, entgegentreten. Mir sehen die Gründe für cinen solhen Zwang nicht ein.

Abg. Dr. Pottboff (fortshr. Volksp.): Eine Mißachtung der politishen Presse würde in der Zustimmung zu der Refolution nicht liegen. J bitte nochmals den Staatssekretär dringend, zumal er das Neichsgerichtsurteil selbst nit für zutreffend hält, dafür zu sorgen, daß diese Versicherungsunternehmungen ebenfalls unter die staatliche Aufsicht

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