1891 / 112 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 14 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

dieses Jahrbunderts die Reformbestrebungen bätten vorgenommen werden müssen, ohne Rücksiht auf die Angriffe, denen die Refor- matoren si ausgeseßt hätten, so müsse auch jeßt die Reform in Angriff genommen werden troß der dagegen vorgebrachten Angriffe.

rr von Manteuffel habe gesagt, man dürfe das Ruhbige nicht in

ewegung bringen, wenigstens sei das der Sinn seiner Aeußerungen ‘i u Dazu bemerke er, es komme darauf an, wie man das

ubige in Bewegung bringe. . 3 : gr von Ratibor; Diese Bemerkung greife etwas über die

i rk heraus. E N x M, 5 n leut el (thatsähli@): Er habe weder gesagt,

etwas Ruhiges in Bewegung gefeßt sei, no daran irgendwelhe ah r B aft Er habe nur die Thatsache konstatirt, daß eine gewisse Angelegenheit auf die Tagesordnung gebracht sei. i

Graf von Klinckowstrôöm: Seine Freunde hätten gegen die Vorlage große Bedenken, aber sie wollten sie, soweit irgend mög- lih, in dem Sinne der Regierung zu Stande bringen. Dazu fei aber nöthig, daß bei diesem Paragraphen ihre Anträge angenommen würden. Die Ausführungen des Ministers von heute deckten die nach seiner Auffaffung nit mit seinen früheren, aber er freue sich, wenn der Minister erkläre, daß eine Aenderung seiner Auffaffung nicht stattgefunden habe. Au er hoffe, daß der Minister, wenn auch niht generell, so doch von Fall zu Fall Anweisung darüber geben werde, was er unter Zwerggemeinden und Mißbildungen verstehe. Denn darin gebe er ihm ganz Recht, daß Zwergbildungen und Mißbildungen beseitigt werden müßten. Um auch hierin ' eine gewisse Einheitlichkeit herzu- tellen, hätten seine Freunde eben ihren Antrag gestellt. Man könne dagegen sagen, der Antrag sei nicht nothwendig, denn der Minifter habe genügend Erklärungen abgegeben, um den Antrag überflüssig zu machen. Aber der Minifter habe in den leßten Monaten so viel Erklärungen abgegeben, daß sie einen ftattlihen Band füllen könnten, und darum thue man besser, man verlafse sich nicht auf die Erklärungen des Ministers, sondern füge die Bestimmung in das DaE ein. Wenn man sage, die Annahme des Antrages würde ein Kompromi zerstören, so meine er, daß dies Haus auf die Gefühle des anderen Hauses nicht gar zu sehr Rücksiht zu nehmen brauche, denn das andere Haus berüdcksichtige die Auffassung dieses Hauses au niht sehr. Er bitte den Herrn Minister, eine Erklärung abzugeben, daß er die ihm unterstellten Verwaltungsbehörden niht generell über die Ausführung des Geseßes instruiren wolle, sondern daß es nur von Fall zu Fall ges{chehen werde. Er bitte, seinem Antrag zu- zustimmen und dadurch die Annahme des Ltg überhaupt erst zu ermöglihen. Schweren Herzens würden seine Freunde ohnehin nur dafür stimmen können.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Meine Herren! Der Herr Graf von Klinckowström hat mit dem Bemerken, daß Erklärungen des Ministers, die hier abgegeben worden, für die praktishe Ausführung des Gesetzes ziemli irrelevant seien, demnächst für die Anwendung dieses Gesetzes dennoch zwei ausdrück- lihe Erklärungen von mir provozirt, welche i, au wenn ih mit ihm darin einverstanden bin, daß nur der Wortlaut desGesetzes und nicht Erklärungen, die etwa von dem Miniftertish oder aus der Mitte des Hauses ausgehen, für die Interpretation maßgebend sind, ihm nit vorenthalten will. Der Graf von Klinckowstrôöm hat be- mängelt, daß ich gesagt hätte, es sei durch die Aenderung des §8. 2 Abs. 3 lediglih die Vorbereitung der definitiven Entsheidung geändert, daß aber in Betreff der Frage, wer definitiv zu ent- \heiden habe, nihts prinzipiell durch die Beschlüsse des Hauses geändert würde. Jh bitte den Herrn Grafen den erften und zweiten Say von §. 2 Abs. 3 zu lesen, dann wird er mir zugeben, daß das vollständig richtig ift.

Die Frage, ob eine Gemeinde oder ein Gutsbezirk oder eine Landgemeinde und Gemeinde vereinigt werden sollen, wird \ chließli entschieden nur auf dem Wege, daß mit Königlicher Genehmigung eine hierauf bezüglihe Allerhöchste Ordre extrahirt wird. Das ist die definitive Entsheidung, diese bleibt unverändert na der Regierungsvorlage und nach den Beschlüssen des anderen Hauses. Der Unterschied is der, daß für den Fall, wenn eine Einigung zwishen den Betheiligten nit erzielt wird, die Vorbereitung der Ergänzung der mangelnden Zustimmung auf verschiedene Weise kon- struirt wird, und zwar so, wie sie jeßt der §. 2 Absay 3 in seinem ¿weiten und dritten Saß enthält. Hierin, aber nur hierin, ist eine Aenderung eingetreten. Jn dieser Aenderung wird aber in Betreff des Verfahrens ausdrücklich Bezug genommen auf den 8. 123 des Landesverwaltungsgesezes, und auch in Betreff der Auslegung dieses Geseßes kann ih keine andere Erklärung abgeben, als in dem Gesetz selbst enthalten ist, daß nämli die Einlegung der Bes{werde im öffentlichen Interesse auh dem Vorsitzenden der Behörde zusteht, und, meine Herren, nah der ganzen Konstruktion unserer Verwaltungs- behörden können Sie niht daraus folgern, daß eine Anweisung der vorgeseßten an eine untergebene Behörde über die Ausübung ihrer Re(te ausges{lofsen werden sollte; darüber kann auc kein Zweifel sein, denn eine solhe Anweisung darf nicht ausgeshlofsen werden, wenn Sie niht das Gesetz überhaupt ändern wollen.

Was die einzelnen Anträge des Herrn Grafen von Klinckowström anlangt, so kann ih mich nur den Ausführungen des Herrn Referenten anschließen. Eine Vereinigung von Gutsbezirk und Landgemeinde kann sowokl in der Form erfolgen, daß daraus cine Landgemeinde oder ein Gutébezirk entsteht; das ift selbstredend; daß wenn eine leistungsunfähige Gemeinde und ein leiftungéfähiger Gutsbezirk zu- sammengelegt werden, das in der Regel in der Form eines Gutsbezirks erfolgen wird, darüber kann au kein Zweifel sein. Ob aber nicht ein- mal ein Fall konftruirt werden karn, daß ein Gutsbezirk, der bereits nabe an der Grenze der Zersplitterung angekommen ift, der also außer dem gutsberrlihen Besiß eine große Reihe von fremdem Besitz umfaßt, in dem Falle, daß ibm eine leistungsunfähige Gemeinde zugelegt werde, nach dem Gutaten und den Beschlüssen des Kreisausschusses sich vielleicht mit Zustimmung des Gutsbesitzers selbft in Form einer Ge- meinde besser fkonstruirt das fann man meines Er- abtens dur das Gesetz von vornherein nicht aus- \{ließen. Jh glaube, dur den folgenden §. 3, wonaH von den Selbstverwaltungsbehörden über die Art und Weise der Ausführung und der Auseinandersezung entschieden werden soll, ist jede denkbare Garantie gegeben, sodaß dem Wunsche, dem der Herr Graf von Klinckowstrôm in dem Gefeß Ausdruck geben will, da, wo es zweckmäßig erscheint, auch Rechnung getragen wird.

Was seinen zweiten Zusatz anlangt, so ist das Wort „bestimmend“ meines Era@tens zu unbestimmt, als daß man irgend eine Direktive für eine Behörde damit geben könnte, die anders lautete, als das- jenige, was mit allgemeiner Vebereinstimmung in beiden Häusern des Landtages , in der Kommission und im Plenum konstatirt worden ift, daß nämlich die bloße Thatsahe des Erhaltens von Zuschüfsen zu Wege-, Ar men- und Schulzwecken für sih allein nit genügt zum Nachweis der Leistungêunfähigkeit einer Gemeinde oder eines Guts- bezirks, daß abcr wobl bei Prüfung dieser Frage auch tas Erhalten

von Zushüfsen mit in den Kreis der Erwägungen gezogen werden kann und gezogenz=chrden muß.

Was endlich den dritten Absaß anlangt, so verstehe ih nit ganz, ob nah der Intention des Herrn Antragstellers die Voraus- sezungen zu a, b und e alternativ oder kumulativ zutreffen sollen. Jh meine aber, man möge sie alternativ oder kumulativ fassen, sie sind aus den von dem Herrn Referenten vorgetragenen Gründen in jedem Falle unzutreffend und ih bitte das Haus um Ablehnung aller drei Zusaßzanträge.

Graf von Klinckowström (thatsählich): Er habe durchaus niht die Erklärungen des Ministers für irrelevant erklärt, sondern er meine nur, daß die Anzabl dieser Erklärungen so groß geworden sei, e M nicht geeignet seien, eine Interpretation des Gesetzes

l Graf von Brühl: Er halte den §8, 2 für unannehmbar, dean er werde den Ruin für unsere Gutsbezirke herbeiführen. Er ftehe nit allein da in dieser Meinung, sondern stütze sich dabei auf weite Kreise der Bevölkerung, die ihm Recht gäben.

Wirkliher Gezeimer Rath von Kleist-Reßow: Er müsse dem Minister do entgegenhalten, daß er nach dessen. früheren und heutigen Erklärungen immerhin noch bedenklih sei über die Art, wie das Gesez ausgeführt werden solle. Das Herrenhaus wolle do \{ließlich nichts Anderes als das Abgeordnetenhaus; aber es müsse die Sache doch genau prüfen, ob das, was es erstrebe und was au das Abgeordnetenhaus erstrebe, durch die Fassung des Gesetzes erreicht werde. Es handele si um den wichtigsten Paragraphen des ganzen Geseges, und er sei ents{lossen, dem entgegenzutreten, daß aus doktri- nären liberalen Ansichten eine Veränderung der Selbftändigkeit der einzelnen Gemeinden und der Gutsbezirke si ergebe. Darum sei der Antrag geftellt worden. Nah §. 2, wie er vorgeschlagen sei, und wie er, fürhte er, durchgeführt werden werde, könnten geradezu monströse Gemeindebildungen entstehen.

Minister des Jnnern Herr furth:

Ih möthte zunächst den Ausdruck meines Bedauzrns darüber niht zurüdckhalten, daß Seine Excellenz Herr von Kleist meinen Aus- fübrungen, die ich als Antwort auf die Frage des Herrn Freiherrn von Manteuffel gegeben habe, niht ganz gefolgt zu sein {eint : Denn ih babe in den Zahlen, die ih gegeben habe, nit bloß die Fälle be- zeihnet, in denen nah dem Gutachten der Selbstverwaltungs- behörden entshieden worden if, sondern auH den einen Fall unter ungefähr 600, in dem gegen das Gutahten entsGieden worden ist; und ih wiederhole, einen zweiten kann ich nit auffinden, denn es ist nur Einer vorgekommen. Er hat ferner an- scheinend überbört, daß ih Hrn. von Manteuffel ausdrüdlich erklärt habe, das Verfahren, welches pro praeterito stattgefunden habe, werde ebenfalls beibehalten werden, wenn es si pro futuro um die Aus- führung dieses Geseßes handeln wird. Wenn nun Se. Excellenz diesen Hunderten von Fällen aus der Vergangenheit gegenüber auf die Tausende von Fällen verweift, welhe auf Seite 45 der Motive, als einer künftigen Regelung harrend angeführt sind, und daraus folgert, daß die Absiht vorgelegen habe ledigli liberal-doktrinären Ideen bei einer Regelung der kommunalen ländlichen Verhältnisse unserer Ostprovinzen zu folgen, so kann ih ihn nur auf das ver- weisen, was ih in Betreff dieser Zahlen bei der Einführung der Landgemeindeordnung im anderen Hause gesagt habe, nämli, daß ih niht in der Lage wäre, für die Richtigkeit dieser Zahlen einzuftehen, weil sie niht auf Zählungen, sondern auf Urtheilen berubten, und zwar auf Urtheilen der Landräthe, welche darüber gehört worden seien, in welchen Fällen Mißbildungen und Zwergbildungen vorhanden wären, in welchen Fällen das öffentliche Interesse deren Beseitigung erbeisGe und in welchen Fällen diese Beseitigung aus- führbar sei. Wenn Herr von Kleist-Reßzow wirklih zu der Annahme gelangt, daß bei solchen Zabhlenergebnifsen man liberal-doktrinären Ideen gefolgt sein müsse, so kann ih nur sagen, daß ih die Richtig- keit jener Zahlen nit habe kontroliren können, sondern sie nur den Berichten habe entnehmen müssen, wie sie mir von den Landräthen gebracht worden sind. Dann bin ich unbewußt ein Opfer der liberal- doktrinären Ideen unserer Landräthe und Regierungs-Präsidenten ge- worden. (Große Heiterkeit.)

Was die von Herrn von Kleist-Rezow gewünschten entgegen- kommenden Erklärungen anbetrifft, so bin ih gern bereit, mi per- sönlich so viel wie möglih entgegenkommend zu zeigen. Wenn es si aber darum handelt, ob eine Bestimmung, die unzutrefffend oder un- klar oder überflüssig ist, in den Text eines Gesetzes aufgenommen werden soll, so hört eben ein persönlihes Entgegenkommen auf, und es entsheidet nur, was zweckmäßig oder rihtig ist oder nit. Und da bin ich zu der Auffassung gelangt, daß die Anträge des Herrn Grafen von Klinckowström zu 1 und 2 nit zur Klarstellung, sondern eher zur Verdunkelung führen und überflüssig sind, und daß der An- trag zu 3 sogar s{chwere sahlihe Bedenken gegen ih hat. Deshalb hört hier alles Entgegenkommen auf, und ih kann nur bitten, diese drei Anträge abzulehnen. (Bravo!)

Graf Mirba ch: Er könne in der Vorlage nur die Vernichtung zahlreicher bäuerliher Existenzen erblicken, an deren Aufrechterhaltung do die Staatsregierung ein großes Interesse habe. In der Praxis werde der Stärkere immer über den Shwäheren siegen. Die Me- gierung sollte, wenn die Vorlage Geseß werde, diesen Gesichtspunkt niht aus dem Auge verlieren.

Freiherr von Manteuffel: Die Antwort des Minifters ent- sprede nicht ganz seiner Anfrage. Er (Redner) wisse nit, ob bei einer ablehnenden Haltung der Selbstrerwaltungskörper gegen die e B die Haltung des Ministers ebenso entgegenkTommend

,

ein werde, wie er es vorhin ausgesprochen babe.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Ich glaube mit Sicherheit annehmen zu können, daß bisher alle Fälle, in denen überhaupt eine solche Vereinigung möglich gewesen ist und ih darf wobl daran erinnern, daß, soweit es sh um ganze Ge- meinden und ganze Gutsbezirke handelt, die Zustimmung der Be- theiligten zur Zeit nothwendig ift und im öffentlichen Interesse gegen einen Widerspruch der Betheiligten nur eine Parzellenvereinigung vor- genommen werden kann —, daß in allen solchen Fällen die Sache zur ministeriellen Cognition gelangt ist. Das aber kann ih mit Be- stimmtheit sagen, daß kein Fall außer dem- einen von mir erwähnten Fall unter etwa 600 zur Cognition des Ministeriums gelangt ift, in welchem gegen das Votum der Selbstverwaltungsbehörde die Ent- scheidung getroffen worden ift.

Damit {ließt die Diskussion.

, Die Anträge 1 und 2 des Grafen Klinckowström werden mit Majorität angenommen; über den dritten Antrag muß nah vergeblicer zweimaliger Probe und Gegenprobe nament- li abgestimmt werden. Jn dteser Abstimmung wird der An- trag mit 77 gegen 59 Stimmen abgelehnt.

. 2 wird in der so modifizirten Tafsung angenommen. ah §. 3 hat über die durch die Grenzveränderung noth-

wendig werdende Auseinanderseßung der Kreisausshuß zu be-

Da:

\hließen. Bei derselben können einzelne Betheiligte mit Präzipualleistungen herangezogen werden im Verhältniß zu andern Betheiligten, welche Be gewisse kommunale Zwe

bereits vor der Vereinigung für fi allein Fürsorge getroffen

n.

Ein Antrag von Kleist: w will au solche Betheiligte welche Dorvienenb Lasten N neue A ate zu solhen Vorausleistungen verpflichten.

Landes- Direktor von Levetzow: Es bestehe an man®en Stellen ein Mißtrauen gegen die Vorlage bezüglih der Frage, ob, wenn die Betheiligten über die Vereinigung von Landgemeinden und Guts- bezirken nit einig seien und der Kreisaus\{uß das Einverständniß derselben zu ergänzen habe, etwa eine generelle Anweisung an die Vorsißenden des Kreisaus\chu}ses resp. des Bezirksaus\chusses ergeben werde, gegen einen das Einverständniß nicht ergänzenden Beschluß auf Grund des Fe adgeiges Rekurs einzulegen. Der ¡Minister habe sich nit deutlih darüber ausgesprochen, und er bitte ihn um eine bestimmte Auskunft, ob eine solche generelle Anweisung beab- sichtigt sei.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Meine Herren! J glaube zunächst, dem Herrn von Leveßow ent- gegnen zu können, daß seine Frage gar nit zu §8. 3 paßt, sondern zu S. 2 hâtte gestellt werden müssen. Ich glaube sodann, ih babe die Frage vorher bereits in unzweideutiger Weise beantwortet. Da er aber noch nit zufrieden geftellt ist, so will ich die Antwort so for- muliren: es ist nothwendig, daß vom Vorsitzenden Beschwerde gegen den Beschluß eingelegt wird, wenn die Sae so liegt, daß dur den Beschluß das öffentliche Interesse verleßt wird. Glaukbt der betreffende Vorsitzende, daß das öffentlihe Interesse durh den Be- \chluß, sei er in zustimmender, sei er in ablehnender Weise erfolgt, verleßt worden, so is er nach seinem Gewissen verpflichtet, Be- \chwerde einzulegen. Glaubt der Regierungs-Präsident, daß in einem zu seiner Kenntniß gelangten Falle nach der einen oder der anderen Ritung, sei es durch die Ablehnung, sei es dur die Zu- stimmung, eine Verleßung des öffentlichen Interesses stattgefunden habe, fo ist er verpflihtet, den Landrath zur Erhebung der Beschwerde anzuweisen. Daß aber eine Anweisung dahin erlassen werde, wenn irgend eine Vereinigung, sei sie von den Betheiligten beantragt oder ex officio zur Erörterung gebraËt, vom Kreisaus\chuß abgelehnt werde, so solle dagegen ohne Weiteres vom Vorsitzenden die Be- \chwerde eingelegt werden, das würde mit den Intentionen und dem Wortlaut des Geseßes im Widerspruch stehen, und eine Absiht ¿um Erlaß einer solchen Anweisung liegt nit vor.

Wirklicher Geheimer Rath von Kleist-Reßow weist darauf bin, daß der von ihm beantragte Zusaß den andern Fall berück- sihtig?, in welhem Betheiligte besondere Lasten in die neue Gemein- saft hineinbrächten und bittet durch Annahme seines Antrags diese Lücke auszufüllen.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Herr von Kleist wendet gegen die Fafsung des S. 3 ein, daß in demselben nur eines der beiden Fälle gedacht werde, welhe bezügli der Verbands-Bildung im §. 130 ausdrücklih angeführt worden find, und er glaubt, diese Lücke ergänzen zu sollen dur den Zusaß, welchen er zu Nr. 111 unter I. beantragt hat. Er hat sich dabei aber nicht an den Wortlaut des §. 130 gehalten, sondern hat einen anderen Wortlaut gewählt, sodaß er also nicht eine Kongruenz beider Paragraphen herbeiführt und gerade dadur, daß er eine andere Faffung für denselben vorschlägt, zu der Vermuthung führt, taß er etwas anderes damit habe sagen wollen. Nun f\ch{eint mir aug die Faffung seines Antrages do etwas zu allgemein gehalten zu sein. Wenn ledigli die Fälle, die §. 130 im Sinne hat und die auch wohl Herr von Kleist-Reßow dabei im Sinne gehabt hat, wirkli gedeckt werden follen, würde man materielle Bedenken gegen feinen Antrag kaum erbeben können. Nun spriht er aber von einer Aus- gleihung für den Fall, daß die Betheiligten vorwiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen. Man könnte diesen Ausdruck doch sehr weit ausdehnen. Wenn z. B. zwei Gemeinden miteinander vereinigt werden, weil ihre kommunalen In- teressen einen erheblißhen Widerstceit zeigen, die eine Gemeinde eine große Steuerkraft hat, vorzugsweise aus wohlhabenden Leuten bestehe, die zweite dagegen mit geringerer Steuer- kraft vorzugsweise aus minder Wohlhabenden besteht und das ges sammte Steuerfoll der einen nur ein Drittel so groß, wie das der anderen ist, fo würden, wenn man die Gemeindeabgaben auf die Gesammtheit der Steuern gleichmäßig vertheilt, die Einen dreimal so viel wie die Anderen zahlen, und dann würde die Ausgleihung nach dem Wortlaut so weit ausgedehnt werden können, daß die minder Woblhabenden im Verhältniß wie 3 : 1 zu den Präzipual- [leiftungen herangezogen werden müßten. Das ift etwas, was, wie ih annehme, Herr von Kleist mit seinem Antrage au nicht beabsichtigt. Ich will aber ganz offen sagen, ih lege einen großen Werth nit darauf, wie dieser Say gefaßt wird, weil darauf möhte ih aufs merksam machen, und ih glaube, das beseitigt alle Bedenken, fowohl die, welche gegen die jeßige Fassung, als auch diejenigen, welhe gegen die Einführung des bezeichneten Zusatzes erhoben werden, weil diese ganze Regulirung eigentlich nur ein Provisorium bedeutet. Beide Betheiligte baben geçcen die Auseinandersezung, die der Kreisausshuß hat eintreten lassen, das Recht zur Bes \shreitung des Verwaltungsrechtsweaes, sie können beide deswegen sich an die Verwaltungsgerichtsbehörden, {ließli an das Ober-Verwaltungsgeriht wenden, und deshalb wird, weil es H hier um ein Provisorium handelt, auG meinerseits kein großer Werth darauf gelegt, ob dieser Zusaß aufgenommen oder weggelafsen wird. Aber ih glaube, er is überflüssig und kann au zu Miß- deutungen Ankaß geben. Nothwendig ist er jedenfaliís nit, weil dur den Zusaß zu Nr. 2 das, was Herr von Kleift-Reyow wünscht, erreiht wird.

Nach einer kurzen Entgegnung des Wirklichen Geheimen Raths von Kleist-Reßow wird der Antrag angenommen und mit dieser Aenderung §. 3, ebenso S8. 4 bis 47 ohne Debatte.

__§. 48 regelt das Stimmrecht in der Gemeindeversammlung. Die Kommissionsbeschlüsse enthalten eine Aenderung der Be- [hilfe des Abgeordnetenhauses dahin, daß die für das mehr- ache Stimmrecht geltenden Steuerjäße durch Ortsstatut bis auf die Hälfte (ftatt um ein Drittel) herabgeseßt werden können. Ferner will die Kommission den 8. 48 dur eine Bestimmung ergänzen, wonach, Falls ein Ortsstatut durch Be- {luß der Gemeindeversammlung nicht zu Stande kommt, auf Anrufen Betheiligter der D RUEAR Guß die statutarische Rege- zung vorschreiben kann, wenn die Vertheilung der Stimmen im Mißverhältniß zur Theilnahme an den Gemeindelasten steht.

Minister des Königlichen Hauses von Wedell bemerkt, daß

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Me f uis ihren Beshluß nur mit einer Stimme Majorität efa e.

5 Wirklicher Geheimer Rath von Kleist-Reyow will nur kei „erbeblihem“\ Mifverhältniß und durch den Kreisausschuß die Oktroyirung des Ortsstatuts gestatten.

Over - Dürgermeister Bräsicke (Bromberg) tritt für die Poentngeris Annabme des §. 48 in der Faffung des Abgeordneten- aufes ein.

Herr von Bethmann-Hollweg beantragt, den von der Kommission beschlossenen Zusaß folgendermaßen zu fassen: „Auf Antrag des Kreisautschufses können durh Beshluß des Provinzial- Landtages im Einverständniß mit dem Ober - Präsidenten die vor- erten Säge erhöht oder, höchstens jedo um die Hälfte, ermäßigt werden. *

Ober-Bürgermeifter Bräsicke: Sowohl die Kommission als auch die anderen Antragsteller stellten sih die Gefahr, daß die Bauern überstimmt werden könnten, doch zu bedeutend vor. Im Allgemeinen sei der reichste Bauer auch der tüchtigste und angesehenste und deshalb der Führer der Gemeinde. Nur wenn auf ihm ein Makel ruhe, gehe die Führershaft auf den zweit- reisten Bauer über. Daß ein Büdner die Führerrolle über- nehmen könne, werde fehr selten eintreten. Trete es ein, so sei das ein Zeichen, daß dieser Mann sehr tüchtig sei und eine solche Kraft werde der Landrath \{leunigst zur Verwaltung heranziehen. Die Annabme der Beschlüsse des anderen Hauses sichere den Bauern das nöthige Uebergewicht. Er bitte deshalb, die Beschlüsse des Ab- geordnetenhauses zu genehmigen.

Herr von Bethmann-Hollweg: Für den Fall, daß die gefeßz: lihe Vorschrift niht ausreihe, und daß die Gemeinde kein Orts\tatut erlafse, was sehr leiht denkbar sei, müsse Aushülfe eintreten, aber den Bezirks- oder Kreiëaus\chuß als die dazu geeignete Abhülfe ein-

…_ zusegen, sei niht praktish, weil diese Behörden den Verhältrissen zu

nabe ständen und zu fehr von lokalen Rüdcksichten sch leiten lassen würden.{Der Provinzial-Landiag gebe eine größere Gewähr für Auf- rechterhaltung rein sachGliher und größerer Gesichtspunkte.

Minister des Jnnern Herr furth:

Wenngleich ih den Ausführungen des Herrn Bürgermeisters Bräsicke über die Matt der Plutokratie in den Bauerngemeinden nicht beizutreten vermag, so glaube ih do, daß er richtig den In- halt des §. 48 dahin carakterisirt hat, daß dieser Paragraph in der jeßigen Konstruktion die berechtigte Präponderanz des Grundbesitzes der Angesefsenen gegenüber den Nichtangesessenen und des größeren Grundbesites gegenüber dem kleineren in durchaus zufriedenstellender Weise regelt. (Sehr richtig!) Ih möchte desbalb auch glauben, daß es sih empfiehlt, jede Abänderung dieses Paragrapßen sei es nach den Anträgen der Kommission, sei es auh nach dem Antrage des Herrn von Bethmann-Hollweg abzulehnen und denselben in der Fafsung des Abgeordnetenhauses anzunehmen. JImmerbin will ic mit der Erklärung nicht zurückhalten, daß ich gegen- über der Konstruktion, die Herr von Bethmann-Hollweg seinem Antrage jeßt gegeben hat, durchaus keineswegs mi unbedingt ablehnend verhalte. Dieser Antrag hat sogar Vorzüge vor den Be- \{lüfsen des anderen Hauses, nämli insoweit als er an Stelle des Ortsstatuts den Beshluß des Provinzial-Landtages auf Antrag des Kreisaus\{husses unter Hinzutritt der Genehmigung des Ober-Präsi- denten substituirt. Es ist mit Recht hervorgehoben worden, daß bei der Beschlußfaffung durch Ortsstatut, welche nur durch die Gemeinde- versammlung erfolgen kann, die divergirenden Interessen innerhalb derselben Gemeinde in auss{laggebender Weise zur Sprache kommen und daß daraus Unzuträgiichkeiten entstehen können, welche vermieden werden, wenn aus der Initiative des Kreisaus\husses die Sache entsprehend der Vorschrift in §. 86 Absaß 2 der Kreigordnung an die Inftanz des Provinzial-Landtages gebracht wird. Ih darf wohl annehmen es ift zwar in dem Antrage nit direkt ausge» sproWen —, daß diese Regelung auf Antrag des Kreisaus\husses für den betreffenden Kreis sowohl im Ganzen, als auth für einzelne Theile desselben erfolgen kann. Herr von Bethmann-Hollweg scheint mir dies zu bestätigen, und wenn das noch viellei&t in dem Antrage Ausdruck fände, so würde das Bedenken, welches man nach dieser Richtung herleiten könnte, vermieden werden. Allerdings ist mir in dem Antrage unerwünscht die Ermäßigung bis auf „die Hälfte“, weil ih glaube, daß durch die Ermäßigung auf ein Drittel auch dem Bedürfniß voll Genüge geleistet wird, und ih darf Herrn von Bethmann-Hollweg daran erinnern, daß in der Be- stimmung des §. 86 der Kreisordaunz, wel&e ihm den Anbalt zur Formulirung seines Antrages gegeben hat, sowobl die Erhöbung, als die Ermäßigung nur auf ein Drittel des Satzes von 225 4 ncrmirt wird, und daß, wenn er diesem Beispiel folgen wollte, er auch das Drittel statt der Hälfte aufnehmen müßte. Dagegen glaube ih ganz entschieden Widerspruch gegen die Bestimmungen erheben zu sollen, welhe die Kommission zu Absatz 4 der Nr. 2 des §8. 48 berein- getragen hat. Meine Herren, ih gebe zu, es ist gewissermaßen eine Ein- fügung eines Theils des bestehenden Rechts in die neue Landgemeinde- ordnung aber dieses Recht besteht eben nur deshalb, weil wir zur Zeit keine Landgemeindeordnung haben, weil eine gesetz- liche Bestimmung über die Bedingungen des kommunalen Stimm- rechts fehlt, hier das Oktroyirungsreht des Kreisaus\{chusses ergänzend eintreten müßte. Wenn Sie aber in das Geseß Bestimmungen auf- nehmen, welche das Gemeinde-Stimmreht allgemein regeln, wenn Sie der Gemeinde die Mögli(keit geben, durch Ortsftatut innerbalb gewisser Grenzen Abweichungen zu beschließen, dann aber noch diesen Absatz 4 hinzufügen, und den Bezirksauë\huß ermätigen, zu dekretiren : „wenn ihr niht wollt, so müßt ihr“, so glaube ih, daß dies die Grundsäße einer Gemeindeverwaltung vollständig auf den Kopf stellen würde. Eine solche Vorschrift enthält einen Einbruch in die Regelung desen, was der eigentlihe Sinn und die Absiht der Land- gemeindeordnung ift, und ih fürchte, daß zu einér derartigen Bestim- muag weder die Zustimmung des anderen Hauses noch auc die Zu- stimmung der Kösniglihen Staatsregierung zu gewinnen sein möchte. Jh halte eiae derartige Bestimmung für prinzip- widrig, für nicht nothwendig, ih halte sie für einen bedenklichen Eingriff in die Negelung unserer kommunalen Ver- hältnisse, in das Prinzip der Gemeindeautonomie und ih würde bitten, diesen Antrag der Kommission abzulehnen. Mir würde das Wünschenswertheste sein, wenn in den Vorshriften des §. 48 über diese sehr shwierige Frage, die auch im Abgeordnetenhause zu eingehenden Verhandlungen und Kompromißverhandlungen geführt hat, Aenderungen überhaupt nit eintret:zn. Sollten aber Aenderungen bes{chlossen werden, so würde ih dem Antrage von Bethmann-Hollweg vor dem Kommissionsbeschlufse weitaus den Vorzug geben.

Herr von Bethmann-Hollweg (thatsählich): Er meine allerdings, daß sein Antrag sih nicht bloß auf ganze Kreise, fondern au auf Theile von Kreisen beziehen solle, halte es aber nit für nöthig, dies besonders im Gefeß auszudrücken.

Wirklicher Geheimer Rath von Kleist-Reßow: Dieser Para- graph sei nebex §. 2 der wichtigste des ganzen Gesetzes, und zwar

bandele es si ledigliH um den Bauernstand, die Gutsbezirke kämen bier gar nicht in Betracht. Die Bauern seien ihrer ganzen Natur nah fonservativ gesinnt und würden eine Verleihung des Stimm- rechts an Nichteingesessene unangenehm empfinden. Da dürfe man ibnen nun nicht gar die Möglichkeit der Ueberstimmung dur die Nichteingesessenen geben. Die Kommission babe die Vereinigung mehrerer Stimmen auf einen Bauern mit Ret vorgeschlagen, und das sei ein Ersay der Dreiklassenwahl. Darum sei es gerechtfertigt, au dort, wo, wie in Brandenburg, bisher Gleihstimmigkeit be- ftanden habe, mehrfaWße Stimmen eingeführt würden. Er bitte, es bei seinem Antrage zu belassen, weil gerade die Berücksichtigun der lokalen Verhältnisse in Rehnung gezogen werden müsse, was na

dem Antrage von Bethmann-Hollweg niht in genügendem Maße der Fall sein dürfte. Dem Ober-Bürgermeister Bräsicke bemerke er, daß niht immer der reichste auch der angesehenste Bauer sei, sondern daß gerade da bäufig sih Neid und Umtriebe in einem unerfreulichen Grade geliend maten. :

Herr von Helldorff: Das geltende Recht sei ursprünglich, daß jeder Bauer eine Stimme gehabt habe, und nur in oige von Par- zellirungen seien Modifikationen zugelassen worden. o aber solche Modifikationen einträten, da, glaube er, aus praktischen Gründen und na der Erfahrung sei die Sahe am Besten so geregelt, wie es das Abgeordnetenhaus vorgeschlagen habe. j

Ober-Bürgermeister Bräsicke: Er bemerke Herrn von Kleist- Retow, daß er nit lediglih vom rei&ften Bauern, sondern auch vom tüchtigsten gesprochen habe.

Graf zu Eulenburg (Prafsen): Er beantrage in dem Antrage von Bethmann-Hollweg zu seßen statt »Provinzial-Landtag* „Pro- vinzialaus\{chuß“, weil der rovinzial-Landtag nit genügend Zeit haben werde, fih mit diefen Materien zu beschäftigen, während der Provinzialaus\chuß die geeignete Instanz für diefe Sathe fei.

Landes-Direktor von Leveßow: Er empfehle die Annahme tes Antrages von Bethmann - Hollweg, welcher geeignet sei, bäufig eintretende Lücken insofern auszufüllen, als oft die Bauern nit geneigt sein würden, das Ortsstatut zu erlassen und andererseits in den verschiedenen Theilen des Landes der Boden nicht überall den gleiben Werth habe. Der Vorschlag, den Provinzialauss{uß an die Stelle dessen zu seßen, sei nicht empfehlentwerih, weil der Provinzial- aus\chuß eine kommunale Behörde sei und mit solchen Funktionen, wie sie hier vorliegen, nit betraut werden sollte. Uebrigens werde that: säclich das, was Graf Eulenburg haben wolle, au erreibt werden, weil alle Beschlüffe des Provinzial - Landtages vom Provinzial- aus\{chuß vorzubereiten seien.

Staats-Minister von Puttkamer: Während er in der Koms- mission zu der Miriderheit gehört habe, die sür die Annabme der Be- \{lüfse des Abgeordnetenhauses eingetreten sei, babe er sich do aus dem Gang der Debatte überzeugt, daß die Annahme des Antrages von Bethmann-Holiweg das Beste sei. Er habe in der That vor dem Antrage von Klei11 und vor dem der Kommission den Vortheil, daß danach die in Rede stehende Frage von größeren Gesichtspunkten aus und nit nah lokalen Rücksichten erledigt würde. Den Grafen Eulen- burg bitte er, seinen Antrag zurüczuziehen, weil, wenn auch der Provinzial-Landtag sich mit diesen Frage zu beschäftigen nur wenig Zeit haben werde, der Provinzialaus\chuß doch die zu sol{hen Kunktionen nicht geeignete Behörde sei; thatsählich werde aber der Provinzialaus\{uß die Sachen so erledigen, wie es Graf Eulen- burg wünsche, weil er alle Entscheidungen des Provinzial-Landtages vorzubereiten habe. : / :

Graf Q Eulenburg zieht seinen Antrag zurück.

Der Antrag von Bethmann wird faft einstimmig an-

enommen, darauf J: 48 mit diesem Antrage, ebenso ohne ebatte S8. 49 bis (4. Um 3/4, Uhr wird die Fortsezung der Berathung vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Getreideproduktion und Getreidebandel.

Wie \ch{on früher einmal erwähnt, ersheint von den rühmli@Gst bekannten „Uebersichten der Weltwirtbschaft*“ von Dr. von Neumann Spallart, na dem Tode d2s Verfassers jeßt eine neue Ausgabe, welde von Professor Dr. Franz von Jurashek (Verlag für Sprah- und Handelswissenshaët, Dr. P. Langenscheidt,, in Berlin) herausgegeben wird. Hiervon sind soeben die 2., 3. und 4. Lieferung erschienen. Es sind darin die gerade jeßt besonders interessirenden statistishen Mittbeilungen über die Pro: duktion von Getreide und Brotfrücbten enthalten. Zunätst werden die Getreide - Export - Länder ausführlid kte- handelt. Lieferung 1 bebandelte die Vereinigten Staaten und zum großen Theil au Rußland. In Lieferung 2 ift die Getreide- produktion von Oesfterreih-Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien mit Osftrumelien, europäische Türkei, British-Ostindien, Algier und Australien bearbeitet; in Licferung 3 kommen Egypten, Canada, Chile, Tunis, Argentinishe Republik, Uruguay und Japan hinzu. Die 3. Lieferung behandelt die Getreide-Import-Länder: Groß- britannien und Irland, Frankrei, Deutschland, Belgien,Scweiz, Nieder- lande, Jtalien, Lieferung 4: Spanien, Dänemark, Schweden und Norwegen, Finland, Portugal, Griechenland und Tripolis. Die An- gaben beruben auf den von den einzelnen Staaten selbst gemachten amtliden Mittheilungen, theils au auf sorgfältigen Schäßungen und reichen bis 1889 (ein\chl ). :

Die mittlere Getreide-Produktion berechnet Jurashek? in den Jahren 1878/87 für Weizen in sämmtlichen genannten Staaten zu- sammengenommen auf 766,4 Millionen Hektoliter, für Roggen auf 455,8 Millionen Hektoliter. In den leßten acht Jahren bat die Produktion von Weizen, Hafer und Mais stetig ¿ugenommen. Der Gesammtwerth der Ernten an allen Getreide- und Brodfrücbten uf der ganzen Erde wird für 1878/81 im Durch{\chnitt auf 27 067 Millionen Mark, für 1884 auf 22 092 Millionen Mark und 1887 auf 21 352 Millionen Mark berechnet, was einen beständigen Rückgang des Erntewerths bedeutet. Auch der Welthandel mit Getreide ift zurüdgegangen: im Jahre 1877 betrug der Gesammtumsaßz 6214 Millionen Mark, im Jahre 1888: 5529 Millionen Mark. ‘Die Ursachen des Rückgangs sind vorzügli in dem Preisfall des Ge- treides zu sucen. Ganz besonders stark war der Rückgang des Gesammtumsates in den Jahren 1885 und 1886 in Folge der Er- Lw Ler Zölle in einigen Ländern er ging auf 5087 bezw. 4805 Millionen Mark zurück. j Was speziell Deutschland anbetrifft, so berechnet Jurashek, daß von der eigenen Produktion auf den Kopf der Bevölkerung im Jahre 1889/90 138,53 kg fkonsumirt und außerdem durch Mehr- einfuhr 23,82 kg gedeckt wurde, sodaß ic der Gesammtkonsum auf 162,35 kgm beltef. Ein fast gleihes Verhältniß wird für die Vorjahre nabgewiejen; es haben per Kopf stets je nah dem Ausfall der eigenen Ernte durhschnittlich 12 bis 26 kg durch Mehreinfuhr gedeckt werden müssen. Troy vermehrter Anbauflähhen vermochte Deutschland seiner Bevölkerung nit die nothwendige Menge Ge- treide zu gewähren. Die deutse Getreideproduktion läßt ein Nahrungsdefizit zurück, welches durch Einfuhr fremden Getreides gedeckt werden muß. Hieraus ergiebt sich, daß wenn nicht die Ernährung der Bevölkerung \{lechter werden soll, Deutschland mit einem Export- land in Zollverbindung treten muß, welch{es das Defizit regelmäßig zu decken vermag. Dies wird klar, wenn man die thatsählihen An- gaben über die in Deutschland erfolgte Mebreinfuhr prüft. _ :

In den Erntejahren 1880/84 wurden durschnittlich jährli mehr eingeführt: an Roggen 715 Millioven Kilogramm, an Weizen und Mehl 495,8 Millionen Kilogramm, an Gerste und Malz 335,0 Millionen Kilogramm, an Hafer 253,6 Millionen Kilogramm, zusammen 1799,5 Millionen Kilogramm; in den Jahren 1885/89 zusammen jährlich 1538,2 Millionen Kilogramm.

Dieses Quantum der Mehreinfubr kann jedoch von Oesterrei- Ungarn nit allein gedeckt werden, da dieses in den betreffenden Pe- rioden nur 538,5 und 906,7 Millionen Kilogramm mehr

ausführte. Der Verfaffer bemerkt hierzu: „eine Zollverbindung dieser Staaten würde alfo eine vollkommene Bedeckuüng des Defizits für Deuts{hland nit ergeben, aber immerhin eine beiden Theilen vor- theilhafte Ausgleihung ermöglichen.“

Die Frage der Getreideproduktion und des Getreidehandels erfährt in dem vorliegenden Werk eine ers{öpfende Behandlung; es führt dem Wirthschaftspolitiker ein umfafsendes Material vor Augen und gewährt ihm die Mittel, die rihtige Nußanwendung daraus zu ziehen.

Bevorstehende Versammlungen und Kongresse.

Die deutschen landwirthschaftlihen Genossenschaften balten ihren siebenten allgemeinen Vercinstag vom 9. bis 12. Juni in Kiel ab, Der deutsbe Verein für öffentlihe Gesund- beitspf lege bält seine 17. Versammlung zu Leipzig vom 17. bis 20. Septewber. Die Verhandlungen werden sich auf folgende Gegen» stände beziehen: 1) Selbstreinigung der Flüsse. 2) Handhabung der Gesundheitspolizei in Bezug auf Benuzung der Wohnung und ihrer Einrichtungen. 3) Anforderungen der Gesundheitspflege an die Be- shaffenheit der Mil. 4) Küblräume für Fleis und andere Nahrungsmittel. 5) Sulspiele der deutschen Jugend. Der deutsche Verein für Knaben-Handarbeit hält seine Jahresversamm- lung am 23, und 24. Mai in Eisena ab, Den evangelisch{- sozialen Kongreß, welcher “anï 28. und 29, Mai in Berlin ab- gehalten wird, haben wir bereits erwähnt.

/ Veber die Fürsorge für mittellose Wanderer

im Königreih Sa fen ist von einem besonderen Aus\{hufse, der die Begründung eines sächsischen Stationsverbandes anstrebt, eine Zu- fammenftellung erfolgt, der wir folgendes Endergebniß entnehmen : In Sa&sen gab es 1889: 118 Stellen, wo Durcreisende unterstützt wurden ; 51 davon wurden von Bezirken unterhalten, 32 von Ge- meinden, 18 von Vereinen. 49 derselben verabreichten Geldgaben, 19 Tageêverpfl-gung, 49 Tages- und Nawtvervflequng. An 30 Stellen wurde vor der Unterstüßung eine Arbeitsleistung gefordert ; 42 waren mit Arbeitênahweisstellen verbunden. In diesen Stellen wurden im genannten Jahre zusammen 139 519 Wanderer unterstüyt; die Gesammtkosten hierfür beliefen fh auf über 66 000 4

Zur Arbeiterbewegung.

Die heute vorliegenden Nachrichten über die Aus stands bewegung in Belgien bestätigen eine weitere Verringe- rung der Zahl der Strikenden, namentlih der ausständigen Bergleute. ömmerhin is die weitere Entwickelung der Be- wegung noch nicht zu übersehen, da gestern noch der Generalrath der Arbeiterpartei und das Conuité der Bergarbeitervereinigung, welche in Brüssel zu gemeinsamer Berathung zusammengetreten waren, be- \hlossen, den Strike in den großen Städt2n so weit möglich fortzuseßen und durch einen Strike der Do@arbeiter das Abladen von ausländischen Kohlen in Gent, Antwerpen, Ostende und Ter-Neuzen zu verhindern. Ausländische Berg- arbeiter haben, wie in der Versammlung mitgetheilt wurde, Unterstüßung der Strikenden dur Geldspenden und Verhin- derung von Kohlensendungen nah Belgien in Aussicht gestellt. Gestern Abend fand außerdem in Brüssel unter freiem Himmel ein Meeting statt, in welhem gegen das vom Bürgermeister erlassene Verbot einer Kundgebung protestirt wurde. Nach dem Meeting zogen etwa tausend Manifestanten nah der Börse. Hier stellte sich ihnen ein starkes Polizei- aufgebot entgegen, welches jedoh troß energischen Vorgehens alsbald zurückgedrängt wurde. Ecst nah Ankunft von Ver- stärkungen konnte die Polizei die Menge zerstreuen und zur Verhaftung von zehn Personen \{hreiten. Schon unter dem 12. d. M. war der „Köln. Ztg.“ aus Lütti telegraphirt worden, daß die Abnahme der Ausstandsbewegung nicht er- folge, ohne auf Widerstand zu stoßen. An dem erwähnten Tage beschlossen die Gewerkvereine, für die Stahlwerke und Walzwerke der Coerill-Gesellshaft den Ausstand fortzusezen. Troßdem trat die Besserung der Lage schärfer hervor, da Dank dem Schuge, der den Arbeitern« vurch die Behörden zu Theil wird, die Aufnahme der Arbeit eine weit stärkere war, als am Montag. Für den gestrigen Tag wird die Gesammtzahl der belgischen Ausständigen auf 71 000 angegeben, wovon 14000 auf die Provinz Lütti, 30000 auf das Becken von Charleroi, 13000 auf das Mittelbecken und 14000 auf den Borinage entfallen. Troß der Anstrengungen der Sozialisten und der Brotvertheilungen stellt sich eine allgemeine Abspannung ein. Gegenüber diesen günstigeren Meldungen wird aus La Louv ière vom gestrigen Tage telegraphirt, der Arbeiter- strikle greife weiter um sih. Jn der Kohlengrube von Mariemont seien nahezu sämmtliche Arbeiter ausständig. Man befürhte, daß das Walzwerk von Baume wegen Mangels an Feuerungsmaterial zum Stillstand gezwungen werden könnte.

In Framéries explodirte, wie ein Wolf {es Telegramm aus Mons berichtet, in der Na§t zum Mittwoch eine Dynamit-Bombe; außer der Zertrümmerung einiger Fenstersheiben richtete dieselbe indeß keinen Schaden an.

Aus Wattenscheid {reibt man der „Rh.-Westf. Ztg.", daß in Folge des Strikes im Ruhrgebiet und der damit zusammen- bängenden Arbeitslosigkeit vieler Bergleute in den leßten Tagen zahl- reie Arbeiter, darunter viele mit Familien von dort verzogen sind. Die fe der Abgemeldeten in Stadt und Amt beträgt 150 bis 200.

_In Leipzig bes{loß eine Bildhauerversammlung die Beschikung des zu Pfingsten in Berlin stattfindenden Kongresses der deutshen Bildhauer, der si mit der Organisationsfrage und der Verkürzung der Arbeitszeit beshäftigen und auch die dem deutshen Gewerks\chaftskongreß gegenüber einzunehmende Stellung berathen wird. Eine Versammlung der Steinmetzgehülfen wählte einen Vertreter für den Pfingstkongreß der deutschen Steinmezen in Stuttgart. Die Gültigkeit des mit den hiesigen Arbeitgebern vereinbarten Lohntarifs ist auf weitere zwei Jaßre verlängert worden.

Der Maurer- Kongreß zu Gotha beschäftigte \ich am Montag, dem dritten Verhandlungstage, mit dem Bericht über das Fachorgan „Der Grundstein“, ferner mit statistishen Erhebungen über die Lage der Maurer Deutschlands und endlih mit der Frage der Neuorgani- sation der Maurer Deutschlands. Der leßtere Punkt wurde, wie der Bericht des „Vorwärts“ ergiebt, nicht erledigt. Der Referent Stanning bemerkte:

Eine Aenderung der Organisation sei {on lange angestrebt worden. Auf Beschluß des leßten Kongresses habe die Geschäfts- leitung einen den Delegirten jett vorliegenden Entwurf aus- gearbeitet. Im Iabre 1884 habe der Kongreß in Berlin wegen des Sozialistengeseßes von einer Centralisation Abstand ge- nommen, dagegen habe der Kongreß in Halle, der Gewerk schafts- kongreß und selbft die jeßige Opposition die Centralisation befürwortet. Einer der Einwürfe sei: ein Centralverband könne das niht bieten, was die Einzelverbände böten, weil dann die Gewerkschaften keine volitishen Fragen mebr erörtern dürften. Es sei dies aber gar kein Schaden. Die Verquickung der Politik mit der ge- werkschaftlihen Agitation sei der Gewerkscaftäbewegung durchaus niht dienlich. Da werde am Meisten geleistet, wo man beides getrennt halte. Redner beleuchtete sodann noch vershiedene Einwände gegen die Gentralisation, und gab zum Schluß seiner Ueberzeugung