1891 / 118 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 22 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

MLL G isi R t

O S

Wie gestern naG S@[luß der Redaktion im „R. u. St.-A.* son aus Saarbrüdcken mitgetheilt, ist es den Leitern des Rehtsshußzvereins gelungen, einen Theil der Belegschaft auf den Gruben Huttlingen (Viktoria) und Sulzbach zum Striken zu überreden. Von der 99 611 Mann betragenden Gesammtbelegschaft des dortigen Direk- tionsbezirkes sind bis jeßt 944 Mann auéständig. Die „Köln, Volksztg.* meldet aus Saarlouis, auf der Grube Louisenthal fuhren von 847 Mann 421 an; auf der Grube Sulzbah find 187 Mann ausständig. Von der Bergwerks-Direktion ist deshalb die nabfolgende Bekanntmachung erlassen: „Nachdem aller Warnungen ungeachtet heute ein Theil der Belegschaften unter WVer- tragsbruch die Arbeit niedergelegt hat, machen wir hierdurch bekannt, daß alle Bergleute, welhe bis zum 25. d. M. die Arbeit nicht wieder aufgenommen haben, unnachsictlih die Abkehr erhalten. * )

Die gestern gemeldete, der „Köln. Z.“ entnommene Mittheilung aus Kiel, die Germania-Werft habe wegen Differenzen mit ihren Arbeitern die Arbeit bis auf Weiteres eingestellt, ist, nah einem Be- riht der „N. Pr. Z.“, nicht richtig, Am Sonnabend vor Pfingsten, Nah- mittags 4 Uhr, stellten vielmehr die Arbeiter ohne Erlaubniß der Werft-Direktion die Arbeit ein und gingen nach Hause. Als die Arbeiter am Dienstag Morgen wieder zur Arbeit kamen, fanden sie sämmtlihe Werftthore verschlossen. Am Mittwoch wurde wieder wic gewöhnli gearbeitet. : :

Üeber den Ausstand der Wiener Buchdrucker wird dem „Vorwärts“ telegraphisch vom gestrigen Tage gemeldet, daß die Nah- rit, in Wien hätten 1000 Gehülfen die Arbeit wieder aufgenommen, falsch sei, Die Strikenden halten fest zusammen. Die deutschen Buchdrucker hätten den Ausständigen in Wien bis jeßt im Ganzen etwa 90000 # zur Verfügung gestellt. Nach demselben Blatt hat der Vercin der Berliner Buchdrucker und Schriftgießer den aus- ständigen Wiener Arbeitern und Arbeiterinnen 5000 H sofort zur Unterstüßung bewilligt und weitere Summen in Aussicht gestellt. Der Hauptvorstand des Unterstüßungsvereins hat bereits 5000 H ab- gesandt und weitere 5000 # werden folgen. Leipzig hat ebenfalls 5000 A gegeben. Eine gestern von etwa 2000 Segzern besuchte Ver- fammlung wurde, wie „W. T. B.“ meldet, aufgelöst.

Aus Mainz wird der „Köln. Ztg.“ vom 13, Mai geschrieben: Die Buchdruclkergehülfen der Gauvereine Frankfurt-Hessen und Mittelrhein hielten gestern hier eine Versammlung ab, an der etwa tausend Gehülfen Theil nahmen. Es wurde beschlossen, mit Rücksicht auf die Arbeitslosigkeit im Buchdruckergewerbe, welcher nur durch eine Verkürzung der Arbeitszeit abgeholfen werden könne, und mit Rücksicht auf die zu hohen Anforderungen an die physishe Kraft des Einzelnen, mit allen Mitteln für eine Verkürzung der Arbeitszeit auf neun Stunden zu wirken und diese Verkürzung bei der nächsten Tarif- revision zu beantragen und durch{zuführen. T

Am Sonntag, 7. Juni, findet in Speyer, wie wir dem „Vor- wärts* entnehmen, der zweite Parteitag für die Pfalz stait. Schon am Sonnabend, 6. Juni, Abends, ollen sich die Delegirten, soweit es mögli, dortselbst zu einer Vorbesprechung zusammenfinden. Sonntag, Morgens 10 Uhr, findet eine geschlossene Sißung statt, zu welcher nur Delegirte und Genossen gegen Karten Zutritt haben. Die Tagesordnung ist folgende: 1) Bericht über die agitatorisbe Thâtig- keit seit der Lambrechter Konferenz. 2) Organisation und Agitation. 3) Unsere Presse. 4) Anträge aus der Mitte des Parteitages. Nach- mittags 3 Uhr soll eine öffentlihe Versammlung statifinden mit der Tagesordnung : 1) Das Landtags- und Gemeinde-Wahlreht in Bayern. Referent: Genosse Grillenberger. 2) Die Thätigkeit unserer Fraktion im Reichstage. Referent: Genosse Dreesbah. 3) Der Bauern- sand und die Sozialdemokratie. Referent: Dr. . Rüdt.

Aus London wird dem „D. B. H.“ von gestern gemeldet: 5000 Shneidergesellen wurden heute ausständig. Sie ver- langen bessere Werkstätten sowie eine gleihmäßige Arbeitszeit.

Der im Rathhause von Westminster (London) tagende Arbeiter- Wahlkongreß faßte, wie der „A. C." mitgetheilt wird, den Beschluß : die Parlamentsabgeordneten der Arbeiter sollten für ein Gesetz eintreten, wona kein Arbeitgeber Stückarbeit ausgeben dürfe, ohne \chriftlich die Menge und den Preis der Arbeit mitzutheilen. Threlfall von Southport hielt eine Vorlesung Über die Vertretung der Arbeiter im Parlament, in welhem die besißenden Klassen durch 661, die Arbeiter durch 9 Abgeordnete vertreten wären.

Auf der am 18, Mai in Glasgow abgehaltenen Konferenz von Delegirten der \chottischen Bergarbeiter, über welche in Nr. 116 des „R. u. St.-A.* \{on berichtet worden ist, wurde weiter der Beschluß gefaßt, im Hinblick auf die günstige Lage des Handels eine allgemeine Lohnaufbesserung von 6 Pence für den Tag zu ver- langen. Die Anwesenden bes{lossen ferner, Sammlungen für die strikenden Bergleute auf dem Kontinent zu veranstalten und im Ein- klang mit ihrem auf der Pariser Konferenz abgegebenen Versprechen die Ausfubr von Koblen nach dem Kontinent nah Kräften zu be- \chränken, G

Ueber die gestern in diesem Blatt kurz erwähnte Versamm- lung von Bergleuten in Scottdale wird von dem „Bur. Reut.“ aus New-York mitgetheilt: Geaen Ende des Meetings kamen ernste Ruhestörungen vor. Ein Neger äußerte laute Drohungen gegen den Arbeiterführer Wise und sagte, daß er ihn erschießen wolle. Nur das Einschreiten der Polizei vermochte den Neger aus den Händen der erbitterten Menge zu retten. Später erregte ein anderer Arbeiter, welcher die Sache der Ausständigen aufgegeben hatte und die Versammlung verhöhnte, die Wuth der Menge. Er mußte \ich in ein Hotel flüchten, vor welchem sich sofort etwa 1000 Bergleute ansammelten, die nur dem Einschreiten der Feuerwehr wichen. Bald darauf versuchten zwei Hülfssheriffs ihre Autorität geltend zu mahen, ohne besonderen Er- folg zu haben. Der Pöbel griff sie vielmehr an und mißhandelte sie, worauf einer von den beiden Beamten seinen Nevolver abfeuerte und einen Mann in der S(ulter verleßte. Nur das rechtzeitige Eintreffen eines starken Polizeiaufgebots vermochte sie vom Tode zu retten. Gleichzeitig rihtete die Feuerwehr ein zweites Mal ihre Schläuche auf die Menge, diese durch ihr Manöver wieder auseinander treibend.

Kunst und Wissenschaft.

Fnternationale Kunstausstellung. ITI,

München. '

_L. K, Wer an der Hand unseres diesjährigen Kunst- ausstellungs-Katalogs, von dessen beklagenswerther Unübersicht- lichkeit und Unzuverlässigkeit wir dabei ganz absehen wollen, eine Geschichte der modernen Kunst auch nur der leßten zehn Fahre schreiben wollte, würde zu s{limmen Trugschlüssen fommen, etwa wie ein Literarhistoriker, der aus dem Leipziger Meßkatalog eines Jahres \ich ein Urtheil über das moderne Schriflthum bildete. Aeußere Zufälle und innere Schwierigkeiten sind stets bei derartigen Veranstaltungen

von großem Einfluß. Das Zusammentreffen unserer Ausstellung mit der internationalen in Stuttgart, der französischen in Moskau, der deutshen in London

und dem internationalen Salon in München bedeutet eine Unmöglichkeit, ein abgeshlossenes und einigermaßen voll- ständiges Bild von dem Kunstschaffen aller Kulturnationen zu geben. Dessen sollte Jeder eingedenk sein, der sich ein Urtheil Über das im Ausstellungspalast am Lehrter Bahnhof Gebotene bilden will. Aber au abgesehen von diesen äußeren Hinder- nissen, giebt es so manche andere, welche eine gerechte Abwägung der Verdienste einzelner Kunstschulen erschweren. Jst doh heute zum guten Theil unser Kunstshaffen inter- national geworden. Je nahdem wir den einzelnen Künstler als Angehörigen seines Volksstammes, der Schule, die er oft im Ausland durchmahte, oder aber als Förderer einer neuen

fün stlerishen Thätigkeit an dem Orte feiner augenblicklichen

Wirksamkeit betraten, wird sich das Bild von dem Können der einzelnen Völker und Kunststädte wesentlih verändern.

Wir müßten beispielsweise Paris, dessen autohthone Künstlerschast sih nur in äußerst beshränkter Anzahl an dem Berliner Wettstreit betheiligt, auf Kosten fast aller Schulen als den eigentlihen Mittel- und Ausgangspunkt der neueren malerishen Technik rühmen. Die überwiegende Mehrzahl unserer jüngeren Talente hat dort studirt. Und doc läßt si an der Art, wie der Deutsche, wie der Ungar, der Amerikaner die Errungenschasten der französischen Kunst ih aneignet, wie er sie oft erst durch die Vorzüge und Fähigkeiten seines Volks- stammes fruchtbar macht, deutlich die Eigenart der einzelnen Volksseele erkennen und studiren. Selbst der Süddeutsche

läßt sich vom Norddeutshen auf gleihem Kunst- gebiee und bei gleiher Abhängigkeit von Paris noch deutlih unterscheiden. Besonders die Münchener

Schule, die Hochburg gesunder künstlerisher Ueberlieferung in Deutschland, hat sich eine durchaus selbständige Stellung zu wahren gewußt, welche sie neben, oder besser gesagt, vor ihren deutshen Mitkämpfern in hohem Maße auszeichnet. as der Berliner Kunst an Tiefe der Empfindung, an frischer Natürlichkeit abgeht, finden wir in_ den Schöpfungen der Münchener Meister in reicher Fülle. Selbst die Jmpressionisten der Jsarstadt malen niht aus nackter Wirklichkeitsliebe, sehen nit die Natur mit dem nüchternen Blick des Forschers an ; eine gewisse Herzlichkeit des Kunstschaffens, eine seelische Theil- nahme am Dargestellten, Humor bis zur Derbheit, Ernst ohne geistreihe Grimasse, das sind die Hauptvorzüge, welche die Münchener Bilder auch unserer Ausstellung aus- zeihnen. Nur wenige derselben begegnen uns hier zum ersten Mal, das Meiste hat s{hon auf der Pariser Weltausstellung oder im vorjährigen Münchener Salon die Feuerprobe bestanden. Die im vorigen Jahre dort lautgewordene Klage, daß wihtige Koryphäen der Münchener Künstlerschaft, daß ein Diez, Loeffß, Leibl, Matthias Schmidt, Gabriel Max garnicht, Defregger und Grüßner nur unge- nügend vertreten sind, müssen wir wiederholen. Mehr noch als in der Berliner Abtheilung dominiren hier die jugend- lichen Kräfte und ihre selbständige Richtung. Freilich eine Leistung, wie diejenige Lenbahs in seinem Kaiserbildniß, wiegt Vieles auf. Das Brustbild Kaiser Wilhelm's Il. im Gardes du Corps: Helm und shwarzen Mantel dürfte wohl als das vorzüglichste des Monarchen gelten. Lenbach's Fähigkeit, den Zauber einer Persönlichkeit in mächtigen großen Zügen wiederzugeben mit Vernathlässigung alles Nebensächlichen, cheint noch immer im Wachsen begriffen. Ein wahrer Seelen- beschwörer évocateur d’âmes fo nannte ihn treffend ein französischer Kritiker, von unvergleichlicher Kraft des Ausdrucks in den aus gelbbraunem Dunkel hervorleuhtenden Gesihtszügen so steht der geniale Bildnißmaler auch in dieser neuesten Leistung unerreiht von allen seinen Genossen vor uns. Wie viel mehr Monumentalität liegt in diesem mit s{chlichten äußeren Mitteln gemalten Kopf, dessen Vor- zeihnung hie und da unter der dünnen Farbschiht noch her- vorshimmert, als in jenem großen Reiterbildniß des Kaisers, das von dem sonst tüchtigen Rudolf Wimmer in München gemalt und eine Hauptwand des Kaisersaales fast völlig be- deckt! Mit Recht hat man wenigstens der flüchtigen aber geist- \prühenden Farben/kizze zu Lenbach's Porträt, die im Gegen- saß zu dem ausgeführten Bilde in ganz lichten, in der Car- nation etwas fkreidigen Tönen gehalten is, an der gleichen Ehrenstelle ihren s angewiesen, Das zweite Bild des Meisters, welches die Züge einer fürstlichen Greisin verewigt, ist eine niht minder bewundernswerthe Meisterleistung besonders in dem Ausdruck des müden in die Vergangenheit gerihteten Blickes; ein Lächeln der Erinnerung umspielt die gefurhten Züge des vornehmen Frauenkopfes, der sih über einen Hermelinkragen von dem für Lenbah nun einmal typishen braungetönten Hintergrunde abhebt. Zwei Schritte davon lehren die Bildnisse F. A. Kaulbach's, daß Gewandt- heit der Mache und Kokettiren mit den van Dyck abgelauschten Farbenstellungen, das namentlich im Porträt der Frau des Malers deutlich zu Tage tritt, nicht für den Mangel tieferer Charak: teristik entshädigen. Exrfreuliher ist Kaulbah in anspruchs- loseren Darstellungen, wie den lahenden Buben im Pierrot- fostüm, die den Beschauer mit ihrer ausgelassenen Lustigkeit schier anstecken. Kaulbah's Schule oder doch sein Vorbild ist unshwer in den Porträts von Curt Hermann zu erkennen, deren eines die abstoßenden Züge eines Kunstgenossen in flotten Zügen und frischer Unmittelbarkeit des Ausdrucks à la Franz Hals festhält. Jedenfalls sind derartige Leistungen in ihrer herben aber energischen Charakteristik sym- athisher als die süßlihe Eleganz eines Albert Keller in inen troß aller technishen Kniffe uns kalt lassenden Damen- Porträts der vornehmen Welt, die der Künstler auch in ihrem Gesellschastsleben in dem kleinen Bilde „nach dem Souper“ nicht ohne Geist zu schildern weiß. Ernst Zimmermann zeigt ein Doppelgesicht, das ih in den beiden Porträts und einem ganz dunkel gehaltenen Orientalenkopf nah der alten Münchener Schule zurückwendet, während seine „heilige Fa- milie“ sich in einer durhaus impressionistish gefärbten Land- schaft niedergelassen hat. Fn Wilhelm Trübner möchten wir auch einen in seiner Richtung noch s{chwankenden Schüler der Diezschule vermuthen : die kühne aber recht unklare Farbenskizze einer Kreuzigung würde jedenfalls nicht, wie seine, Kartoffelernte“, eine goldene Medaille errungen haben, während der psycho- logisch durhdahhte „erste Versuh“/ eines Knaben, der eine Branntweinflashe aus dem Schrank entwendet, trog seiner etwas trübseligen Dunkelmalerei Achtung einflößt. Defregger ist mit zwei niht gerade zu seinen be- deutendsten Schöpfungen zählenden Bildchen aus dem von ihm nahezu ershöpften oberbayeristen Hochlandsleben ver- treten, von denen wir der Begrüßung vor der Almhütte den Vorzug geben möhten. Nach Auffassung und Stoffwahl steht ihm Adolf Eberle am Nächsten, während Rau und Prölls etwas derbere, aber von föstlihem Humor getragene Töne anshlagen, ohne in die Häßlichkeit der Formen, wie sie in Gabl's tehnish gewandtem Bilde „So groß“ oder in dem breit gemalten Dorfinterieur von Ethofer uns entgegen- treten, zu verfallen.

Auch Grüßgner's Erfolge, die ihn sicher auch bei den beiden ausgestellten Bildern niht im Stiche lassen werden, zumal das Klosterconcert zum Liebling des großen Publikums dur feine amüsante Schilderung prädestinirt erscheint, haben jüngere Künstler zur Nachahmung gereizt, wie E. Meisel, der uns indessen in seinem Klosterbild etwas- zu glatt und in dem Mädchen mit Blumen (im Ehrensaal) geradezu geistlos erscheint. Auch der mit großem tehnishen Geschick Meissonier naceifernde Carl Seiler, E Schachpartie ebenfolls im internationalen Ehrensaal aufgehängt ist, würde siher durch

ear Selbständigkeit gewinnen ; das beweist sein vorzügliches kleines Reiterporträt des Prinzen Arnulf von Bayern im Kaisersaal. München is} überhaupt in der Salle d’honneur nur spärlich und wenig glücklih vertreten ; Ron éph Brandt hat eine zu ausgesprohen polnische Physiognomie in seinem kleinen dort aufgehängten Meilterbildhen , als daß man ihn, obwohl er Schüler Piloty's war, als typischen Münchener Maler ansehen könnte. Auch er beweist, daß gewe künstlerijhe Besonderheiten im Rassenblut liegen und urch keine Schulmeisterei verdunkelt werden können. Mit Stolz darf man das auch von Friy von Uhde, dem Champion der impressionistishen Richtung inMünchen, behaupten; eine Zeitlang freilih erschien es, als hätte er aus Paris mit der hohen technischen Ausbildung auch die pessimistische, sich in sozialistishen Grillen gefallende Auffassung mitgedracht. Jn der Münchener Atmosphäre aber hat sich der Maler der Armuth, der Hoffnungslosigkeit, die nur bei ihm in ihrex Steigerung zu mystisher Askese einen besonders deutschen 2 erhielt, wieder zu froher Denkweise bekehrt. Das erfreulihste eugniß dafür besißen wir in dem entzückenden Frauenporträt das schon auf der lezten Münchener Ausstellung alle Welt dur seine unwiderstehlihe Anmuth und Liebenswürdigkeit über- rashte. Die Ungezwungenheit der Haltung des vor dem Fenster auf einem Sessel ausruhenden Mädchens, die aus dem im Schatten liegenden Gesicht hervorleuhtenden, halb \chelmish, s träumerisch blickenden Augen, der leise zu einem Lächeln geöffnete Mund, der eine Doppelreihe weißer ähne sihtbar werden läßt sie sind ebenso viel unnahahmliche orzüge dieses durch seine Unmittelbarkeit Jedermann fesselnden Bildnisses, an dem alle gegen die Shwächen der Hellmalerei gerichteten Vorwürfe zu Schanden werden. Daß si in hellen Os die Tiefe einer ernsten Stimmung nicht festhalten

asse, widerlegt auch Paul Hödler's „Nonne“, ein Bild, welches selbst der strengen Pariser Kritik Achtung abnöthigte. In einem tiefen Laubgang, desen Kronen sich oben zujsammenschließen, sitzt

gedankenvoll über den Rosenkranz in ihren Händen gebeugt eine Nonne, traurig, aber ohne gekünstelte Sentimentalität, der Einbildungskraft des Beschauers weitesten Spielraum lassend über den Gedankenkreis, in dem si ihre Erinnerungen oder Vorahnungen bewegen. Die Licht- fülle der Frühlingssonne, die selbst durch das dichte Laubdah des Gartens sih thren Weg bahnt und in unruhigen Lichtern auf dem Kieswege, der Steinbank und dem weißen Brusttuh der Ordensschwester spielt, mag wohl ihre Sehnsuht geweckt haben, aus den dunklen Klostermauern in die lenzfrohe Welt hinaus zu eilen, aber der Rosenkranz, den ihre Finger meha- nish bewegen, erinnert sie an ihre übernommenen Pflichten. Von diesem Seelenkampf spriht freilich kein Zug ihres feingeshnittenen Kopfes, er ist nicht mit breiter Absichtlichkeit in den Vordergrund gestellt und doch wird tein Beschauer im Zweifel bleiben über die Stimmung, welche dieses weiblihe Gemüth bewegt. Es ist das Wahr- zeichen echter Kunstwerke, daß ih die in ihnen zum Ausdruck gebrahte Stimmung unmerklich auf den Genießenden über- trägt und zum Quell neu angeregter eigener Empfindung wird. Firle geht in seinem umfangreihen Gemälde „im Trauerhause“ einen anderen Weg, indem er das Schmerzgesühl über den Verlust einer geliebten Angehörigen gewissermaßen in verschiedene individuelle Aeußerungen zerlegt; in jeder der Gestalten, welhe in das Sterbegemach des auf der Bahre liegenden Mädchens hineindrängen, ist eine andere Saite menschlihen Empfindens angeschlagen. Von der stummen Resignation der neben dem Sarge sizenden greisen Mutter bis zu dem Kampf zwischen Neugier und Scheu in den Köpfchen der ängstlich an die Eltern si anshmiegenden Kleinen durhläuft hier die Schilderung die ganze Stufenleiter seelisher Affekte. Und doch wirkt dieses Bild, weil es dem Beschauer gewissermaßen das Ausspinnen seiner eigenen Gedanken vor- weg nimmt, nicht so stark und tief wie Höcker's Nonne, die ein freundlihes Gegenstül in dem am Zaun eines Stadt- gärtchens stehenden Mädchen hat, welches den ersehnten Brief „von ihm“ in der Hand hält. Dies ganz liht gemalte Bild von Orrin Peck in München hat sein Hauptverdienst aller- dings im Landschaftlichen, den reizvollen, über die Hecken des Gemüsegartens herüberblickenden Zinnen und Thürmen einer alterthümlihen Stadt, den prächtigen Kürbisköpfen und Lattichblättern des Vordergrundes und dem bedeckten Himmel, der sih über dem Ganzen wölbt. Ï

Der talentvolle Sohn unseres Berliner Landschafters Bennewitz von Löfen hat neben seiner vielbewunderten Kinderprozession noch zwei andere Bildchen ausgestellt, welhe seine Zugehörigkeit zu der neuen Richtung der Malerei deutlich dokumentiren. E:

Auf dem Boden eines gesunden Jmpressionismus, der den Humor nicht völlig vershmäht, steht auch Gotthard Kühl, welcher Segelflicker in ihrer Werkstatt, deren kahle Wände von dem durch grüne Jalousien einfallenden Licht erhellt werde, in sehr feiner E Diese 00 aber niht ganz gelungener Perspektive darstellt. Diese, wie Alles, was irgend an Zeihnung erinnern könnte, hat Exter in seinem Kinderspielplag über Bord geworfen, dessen Hintergrund ein wirres dunfliges Chaos ohne Tiefe und Luft bildet. Jn dieser extremen Richtung folgen ihm Grobe in seinen holländishen Dünenbildern, T. T. Heine, Georg Buchner und Benno Becker in

einer geradezu fkomishen Anficht aus der Nähe von Florenz, Daß künstlerisher Ernst der Auffassung auh mit bedenklihen tehnishen Manieren versöhnen

kann, beweist das Frauenporträt des Grafen Leopold von Kalckreuth, dem Lebendigkeit und Sicherheit der Beobachtung niht abzusprehen ist, während der ganz dünne Farbenaustrag und die vor der Nüchternheit nit zurückshreckende Wahrhaftigkeit des momentanen Ausdrucks fast verlezend wirken. Vollends flößt uns die Leistung der Gräfin Marie von Kalckreuth, welche ihrem Gatten auf dieser Bahn nachstrebt, ein kleines Frauenbildniß, „in Gedanken“ genannt, Bedenken ein. Achnlih geht es dem Zeichner der „Fliegenden Blätter“ Th. Graeß, der Skarbina's Spuren ohne Geist und nennenswerthes tehnishes Geschick in seinem „Hirschgarten“ verfolgt. E | :

Zwei Münchener Künstler zeichnen sihch dur die Selbst- ständigkeit ihrer Auffassung besonders aus: Franz Stu, dessen spukhaft, aber nicht dämonisch wirkender Lucifer, das einzige von ihm ausgestellte Bild, unseres Erachtens nicht zu seinen besten Schöpfungen zählt, und Bruno Piglhein, dessen Neigung zum Absonderlichen in der Gestalt der halb blöde, halb sinnlih dreinblitenden Schwerttänzerin bei großer malerischer Technik immer noch etwas zu sehr in den Vorder- grund tritt, während die große Leinwand „Blind“, eine erblindete Orientalin, mit dem Wasserkrug ein roth\{chimmern-

des Mohnfeld dur(schreitend, im Ausdruck wie im Kolorit von reiner, ungetrübter Schönheit ist. Sicher wird das Bild, dessen Mädchengestalt unwillkürlich an die klassicistishen Marien Bougereau's im Ehrensaal erinnert, dem Maler des Jerusalem- Panoramas eine große Schaar neuer Bewunderer und Ver- ehrer zuführen. er große historishe Stil, welcher dieses Werk Piglhein's auszeichnet, ist ohnehin in unserer neuesten deutschen Kunst eine seltene Erscheinung; der Versuch des zur gei in Paris seßhaften jungen Münchener Malers Otto

riedrich in seinem Canossa, Délüg's großes Begräbniß des Goihenkönigs Alarih und die etwas eklektishe Kreuz- abnahme Gebhard S der dem seinem Vornamen gleichlautenden Düsseldorser Meister, wie auch Feuerbach und Zimmermann die Hauptvorzüge seiner Malerci zu verdanken scheint, stehen fast vereinzelt da. Die Kostüm- malerei des Diezshülers Räuber oder - die allzu- ahme Judith Papperiß' möchten wir kaum der eigent- lichen Historienmalerei zurechnen. Wohlthuender berühren die Landschaften der Münchener Schule, unter denen wir die flotte, dramatische Schilderung einer Uebershwemmung von H. E. von Berlep\ch, dem literarischen Vorkämpfer der Hell- malerei in München, und die mehr intimen Naturschilderungen Kubiershky's, Stroseny? und Carl Theodor Meyers hervorheben möchten.

Daß unsere Uebersicht über die auf der Ausstellung ver- einigten Leistungen der Münchener Schule viel Bedeutendes hat übergehen müssen, zeugt für den erfreulichen Reichthum an künstlerisher Kraft, den die führende deutsche Kunststadt an der Jsar in ihren Mauern gegenwärtig vereinigt.

M. Versammlung des Vereins Deutscher Philologen und Schulmänner in München.

II.

Die Festvorstellung am Mittwoch Abend vereinigte die Theil- nehmer des Philologentages sämmtli im Hostheater, dessen weite Räume bis auf den leßten Play gefüllt waren. Sophokles? „Oedipus in Kolonos*“ wurde in der Wilbrandt’shen Bearbeitung vor- geführt, und die Darsteller, namentlich Hr. Schneider als Oedipus, ernteten reihen Beifal. Am Donnerstag in der Frühe von 8 bis 10 Uhr fanden Sektionssißungen ftatt. : Am Meisten besucht war die pädagogische Abtheilung in der Aula des Polytechnikums, wo gegen 200 Personen dem Vortrage Oskar Jäger's über „Bleibendes und Vergänglihes am huma- nistishen Gymnasium* folgten. Direktor Jäger stellte fol- gende Thesen auf:

1) Das humanistisGe Gymnasium kann seine Aufgabe als Vor- bereitungsanftalt für akademishe Studien nur dazn lösen, wenn in seinem Lehrplan ein centraler Unterrichtsgegenftand, auf allen Klassen- stufen mit überwiegender Stundenzahl ausgestattet, vorhanden ift,

2) Die Gefahr, dur ein Vielerlei nebeneinander hergehender Unterrichtsgegenstände die geistige Kraft der Schüler zu zersplittern und dadurch zu \{chwächen, ist für das humanistishe Gymnasium in hohem Grade vorhanden. Sie ist dur die gegenwärtigen Reform- bewegungen, auch durch einzelne Beschlüsse der Berliner Dezember- Konferenz, erheblih gewachsen.

3) Eine Vermehrung der deutschen Unterrichtsstunden wird den nationalen Geist ebenso wenig stärken, als Vermehrung der Religions- unterrichtsftunden den religiösen, oder Vermehrung der Geschichts- unterri@ts\tunden den historishen Sinn stärken würde.

4) Der Betrieb des Lateinishen und Griechischen auf den deutshen Gymnasien unserer Tage leistet der Jugend mehr und Besseres, als er den Generationen früherer Jahrhunderte geleistet hat : dieses Studium bindet die verschiedenen Unterrichtsfäher zusammen, indem es für ihren wissenschaftlichen Betrieb die historishe Grund- lage und die psyologischen Vorausseßungen \{chaft.

5) Kenntniß des Französischen, Englishen, naturwissenshaftliche Kenntnisse sind jederzeit und für alle Kreise sehr wihtig gewesen und sind es heute nicht in höherem, aber in gleihem Grade, wie zu Goethe's oder Lessing's Zeit. Aber selbs wenn sie es in höherem Grade wären, so würde daraus nit folgen, daß sie für die Vor- bercitung zum akademischen Studium Knaben und Jünglingen vom neunten bis zum achtzehnten Lebensjahre das Studium der lateinischen und griehishen Sprache und Literatur ersetzen könnten.

Oberlebrer Ho rnemann (Hannover) glaubte, daß in den Re- formbewegungen nicht bloß eine temporäre Strömung vorliege. Die klassishen Sprachen nähmen gegeawärtig niht ganz mehr dieselbe Stellung ein, die sie früher gehabi haben. Aufnahme des Englischen in den Lehrplan der Gymnasien sei wünschenswerth und mögli. Direkior Uhlig (Heidelberg) beklagte, daß gegenwärtig in S@üÜl- fragen eine zu sharfe Betonung exttemer Standpunkte Plaß gegriffen babe. An der Erörterung nahmen noch Theil Geheimer Rath Wendt (Karlsruhe), Direktor Fries (Halle), Direktor Hartwig (Frankfurt a. M.) und Hofrath Ri hter (Iena). Die Versammlung \chloß fi in ibrer Majorität den Jäger’ schen Thesen an.

___ Um 10 Ukr eröffnete Gymnasial-Rektor Arnold (Mür cen) im Dzeonsfaale die zweite allgemeine Sitzung mit geshäftlihen Mittheilungen. Professor S. Günther (München) lud zur Theil- nahme an den Bestrebungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Shulgeshichte cin. Hierauf sprah Professor von Brunn (München) über den Apollo Giustiniani, den Repräsentanten eines Stückes antiker Romantik, dessen \chönes, leicht geneigtes Haupt \{chärfer als irgend ein antikes Kunstwerk zur Erscheinung bringe, was die Alten unter „dihterishem Wakbnsinn“ verstanden. Im Namen des Kaiserlih deutshen ar&äologishen Instituts theilte der General-Sekretär Professor Conze mit, daß die Görliger Anregungen , betreffend die Veranstaltung archäo- logisher Ferienkurse für Gymnasiallehrer, in Preußen durch das Entgegenkommen des Ministers bereits zur Durchführung gelangi und daß au Sritte gethan seien, um in den übrigen deutshen Staaten ähnlihe Einrichtungen herbeizuführen. Professor von Brunn hob hervor, daß das Bedürfniß nach archäologi- schen Anschauungsmitteln in ganz Deutschland überall das gleiche sei. Diesem Bedürfniß verdanken auch die „Denkmäler griechisher und römischer Kunst* (Verlag von Veutindan) ihre Entstehung, deren Beschaffung dur Vereinigung der höheren Lehranstalten Deutschlands

: ermözliht werden müsse.

Es folgte der Vortrag des Gcheimen Ober-Sculraths und Gymnasial-Direktors Dr, Schiller (Gießen) über „die pädago- gische Vorbildung der Gymnasiallehrer*. Die Noth- wendigkeit einer geordneten praktischen Vorbildung des Lehrerstandes ist seit langer Zeit übereinstimmend empfunden worden. Der Vor- tragende hielt die Errichtung Ppädagogisher Seminare an be- stehenden „Schulanstalten für den sichersten Weg zur Erreichung gs gewünschten Zieles und legte dar, wie nach seiner

N ein solhes Seminar beschaffen sein müsse. In der Debatte Kies Direktor Uhlig (Heidelberg) darauf hin, daß für den Lehrer L Hauptsache do die Begabung sei. Daraus erwachse für die Re- g Unge die Pflicht, begabte Persönlichkeiten für diesen Beruf zu ge- Biltnég bezw. zu erhalten durch Bcsserung der Rang- und Schaltsver- â E Hofrath Ri hter (Jena) wünschte die philolozishen Inter- Je Gl onskollegien an den Üniversitäten mehr dem Bedürfniß der ule angepaßt und empfahl dazu die Errichtung besonderer Frosesltiran für Shulmänner. Den legten Vortrag hielt Professor R er (München): „Die Dichtung des Lohengrin von O AES agner und ihre Quellen“. Im Anschluß hieran E L bends im Hoftheater Wagner's „Lohengrin“ aufgeführt. er Nahmittag wurde durch Sektionssitzungen ausgefüllt.

Wie die „M. Allg. Ztg.“ meldet, trat gestern im Akademiegebäude zu München die 32, Plenarversammlung der historischen

Kommission zusammen. Den Vorsiß übernahm der Sekretär Cornelius, da der Direktor der preußishen Staatsarhive, Wirkliche Geheime Ober-Regierungs-Rath Dr. von Sybel durch Unwohlsein in leßter Stunde verhindert wurde. Unter den Theilnehmern befinden si die Professoren Dümmler und Wattenbah-Berlin, Freiherr von Liliencron-Schleswia, von Kluckthohn-Göttingen, Baumgarten-Straß- burg, Wyß-Zürih, Sickel-Wien und mehrere bayerische Gelehrte. Der As, der Berathungen steht für Sonnabend, den 23. d. M, in

u i Auf der gestern in Mannheim abgehaltenen dritten Haupt- versammlung des deutschen Lehrertages sprachen, wie „W. L B.“ meldet, Oberlehrer Gärtner (München) über Schulbildung und Militärdienstzeit und Sculdirektor Dr. Bartels (Gera) über die hau8wirthshaftlihe Ausbildung der Mädchen. Hierauf erfolgte die Schließung des Lehrertages unter Hochrufen auf Seine Königliche Hoheit den Großherzog.

Die Ausschmückung des neuen kunsthistorischen Mu- seums in Wie n, des nachgelassenen unvollendeten Werks Gotifried Semper's, ist, wie man der M. „AUg. Ztg." von dort schreibt, soweit beendet, daß in Kurzem die Uebertragung der Gemäldegalerie des Belvedere in das neue Heim wird von Statten gehen können. Am 1. Juni soll die Belvederegalerie geshlossen und planmäßig mit der Ueberführung der 2000 Bilder begonnen werden.

Der Swöpfer des Denkmals für Walther von der Vogelweide, Bildhauer Heinrich Natter aus Wien, weilte in der verflossenen Woche in Innsbrudck, um an einer P des Andreas Hofer- Denkmal- Comités theilzunehmen. Das Modell für das in Bronze- guß „auszuführende Hofer-Monumert hat der Künstler, der M. „Alg. Zta. zufolge, nahezu vollendet. Dasselbe soll auf dem historischen Berge Isel, südlih von der Stadt Innebruck, errihtet werden.

—— Bei der Wahl eines Mitgliedes der französischen Akademie ist, wie ,W. T. B.“ aus Paris meldet, gestern im sechsten Wahlgange der Romanschriftsteller und Marine-Lieutenant Pierre Loti mit 18 von 55 abgegebenen Stimmen gewählt worden. Zola hatte im ersten Wahlgange 8 Stimmen erhalten.

…__— Die Redaktion der Münchener Kunst-Zeitshrift „Die Kunst für Alle* erläßt in ihrem neuesten (16.) Heft ein Preisgaus- \hreiben zur Gewinnung von drei künstlerishen Entwürfen und ¿war 1) Umschlag-Zeihnung „Die Kunst für Alle“ (Preis 300 46), 2) Zierleiste „Die Kunst för Alle“ (Preis 50 F) und 3) Zierleiste „Feuilleton“ (Preis 90 6). Die Entwürfe sollen ßch zur Repro- duktion durch Holzschnitt eignen und sind bis zum 15, Juli an die genannte Redaktion einzusenden, die Näheres auf Anfrage mittheilt Das Preisrichteramt haben Professor Franz von Defregger, Professor W. Lindensmit und Hofmaler Friedrih Pet übernommen,

Literatur.

x Sozialpolitik.

Bei Grunow in Leipzig werden, wie er anzeigt, in Kurzem die Aufzeichnungen des Generalsekretärs des evangelish-sozialen Kongresses cand. Göhre erscheinen, unter dem Titel „Drei Monate Fabrikarbeiter.“ Man wird sih erinnern, daß der Verfasser im Sommer des vorigen Jahres drei Monate lang unter die Fabrik - bevölkerung von Chemniy gegangen war. Als Handwerksburshe war er aus Dresden ausgewandert, hatte \sich dann immer in Gesellschaft von Arbeitern fast zwei Wochen Tags und Nachts in den ver- schiedenen, guten und s{lechten Herbergen von Chemniß und Um- gebung herumgetrieben, war endlich nach langem Arbeitsuchen un- erkannt als Handarbeiter in eine große Maschinenfabrik eines Chemnitzer Vororts aufgenommen worden und hatte bier als solher die Sommer- monate zugebrat, dieselbe Arbeit, wie seine Genossen verrihtend, von früh 6 Uhr bis Abends 6 Uhr, denselben Lohn wie sie erhaltend, in demselben Vorort wie sie als junger Bursche wohnend, auch außerhalb der Fabrik des Abends und Sonn- tags mit ihnen verkehrend Er ist in vielen ihrer Familien als einer ihres Gleichen auês- und eingegangen, hat ständig den Sißungen des sozialdemokratishen Wahlvereins beigewobnt, hat, als einer der Genossen, die sonntäglihen Parteifeste und Ausflüge mitgemacht und allsonntäglich Abends auf guten und \{lechten Tanz- böden sich mit ihnen herumgetrieben. Seine Veröffentlihungen in der „Chriftlihen Welt“ vom vorigen Jahre haben großes Aufsehen erregt. In dem im Druck befindlihen Buche berichtet er nun, wie der Verleger mittheilt, gründlich, liher Genauigkeit und ausführlih, was er gesehen und erlebt hat: er schildert den Weg, den er gegangen ift, mit manchen heiteren Ge- schihten; er theilt den Verdienst, die Wohnungszustände, die Er- nährungsverhältnisse seiner Arbeitsgenossen mit und zeigt daran, wie viel Schuld diese an der sozialen Verbitterung der Leute da unten haben; er führt dann den Leser in die Fabrik selbst, schildert die Arbeit der einzelnen Berufskategorien, prüft sie, wie ihren Einfluß auf die Menschen, berihtet und beurtheilt die Arbeits8ordnuna, unter der sie stehen, und giebt ein Bild von dem Verkehr der Leute unter si und mit ihren Vorgeseßten bei der Arbeit Alles unter ethish-sozialen Gesichtspunkten, zu geschlossenen Bildern vereinigt, mit abshließender allgemeiner Würdigung. Auf diesem Hintergrunde berichtet er dann, in einem neuen vietten Kapitel, von der intensiven und systematishen Agitation der Sozialdemokratie, um dann in den weiteren drei Kapiteln die Wirkung jener wirth- \caftlihen Zustände und dieser Agitation auf die politishe und soziale Gesinnung, auf die Bildung, die Religiosität und den sitt- lichen Charakter seiner Arbeitsgenossen zu zeigen, zu beweisen, daß durch diese Zuslände und Agitationen niht sowohl die Gefahr in der heutigen sozialistisch-republikanischen Gesinnurg der Massen, s\ondern in der neuen, unsäglich traurigen Bildung, dem gänzlichen Mangel an Religiosität und dem niedrigen Standpunkt der sittlihen Zustände unter ihnen liegt. Im leßten Kapitel entwickelt er endlih die Forde- e 2h i Ms EAA rik R UN besonders noth-

nen, ie rift wir nfan uni i voraussihtlich 2 M kosten, i 2E lar rei Aa

Gesundheitswesen, Thierkra"kheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Í L: Egypten. Der internationale Quarantänerath zu Alexandrien hat am Un A freien Wen ¿Mau Tis Ankünfte aus Kalkutta reien Verkehr zu .” (ergl. „Neichs- a Nr. 91 vom 17. April 1891.) zuzulassen. (Vergl. „Reichs-Anzeiger

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberswblesien. An der Ruhr sind am 21. Mai gestellt 10285, nicht rechtzeitig geste O OT, j n er esien sind am 20. d. M. gestellt 3499, nit rehtzeitig gestellt keine Wagen i E

/ Subhastations-Resultate.

Beim Königlichen Amitsgeriht T Berlin stand. am 21. Mai 1891 das| Grundslück in der Köpnickerstraße 129 und Adalbertstraße 45a, dem Fabrikanten Richard Jungbluth gehörig, zur Versteigerung. Das geringste Gebot wurde auf 169 000 M feftgeseßt. Ersteher wurde der Maurermeister E. Natho, Winterfeldstraße, für das Meistgebot von 336 000 4

Die näâchste Börsenversammlung zu Essen findet am Ds Mau 25, Mai, Nachmittags von 4 bis 57 Uhr, im „Berliner

of* statt.

Na dem Geschäftsbericht der Köln-Rottweiler Pulver- fabriken für 1890 betrug der Jahresumsaß 11849 109 „4, die Pulverhervorbringung 5 856 343 kg, die Ausfuhr bezifferte sich auf über 2 Millionen Mark gleich 18,5 “/o des gefammten Umschlags. An Neuaufwendungen für VBetriebsanlagen waren 1676 351 M er- forderlich. Für das laufende Rehnungsjahr wird ein ebenfalls be-

friedigendes Gesammtergebniß in Aussicht gestellt. Der Betriebs-

sachgemäß, mit pein- *

gewinn beziffert sich auf 2866751 #4, die Einnahme an Zinsen auf 996695 Æ, die Gesammteinnahme eirshließlih des gewinnantheilsfreien MReingewinnvortrags von 831740 M aus dem Vccjahre, auf 4695 186 4; hiervon gehen 802 578 4 Unkosten u, . w., 649 042 (6 Abschreibungen, 25 000 & Unterstützungskasse, 286 418 Æ Gewinnantheile, 2905 500 4 Dividende gleih 139% für 1890 und 6# %/o fürs zweite Halbjahr 1889 ab. Unter 30 796 953 4. Besißstücken befinden sh 10621 138 #4 Fabrikanlagen nebst Ein- rihtung, der Rest besteßt fat aus\{lteßlich} aus Vorräthen, Werth- papieren, Betheiligungen und Ausständen, sodaß insgesammt rund 20 Millionen Mark Betriebsmittel einshließlich der etwa 64 Mil- lionen Mark betragenden auswärtigen Betheiligungen gegenüber 24 Mil- lionen Mark Verpflichtungen und 16 500 000 (4 Aktienkapital vor- handen sind.

Allgemeiner Deutscher Versicherungs-Verein Stuttgart. Nah dem Geschäftsberiht für das Jahr 1890 sind in dem abgelaufenen Rechnungsjahr günstigere Resultate erzielt worden, als in irgend einem der Vorjahre. Die Zahl der bestehen- den Versicherungen hob \sich in 1890 auf 74065; die Prämien- einnahme von 1668 485,38 6 im Vorjahre auf 2281 451,40 M, die Zahl der versicherten Personen stieg von 321 375 auf 446 829, die Gesammtreserven, welche 1889 2 093 988,95 46 betrugen, beliefen sich Ende 1890 auf 2858 231,18 „6

Lebensversicherungsbank “für Deutschland zu Gotha. Im vorigen Jahre, dem zweiundsechzigsten Geschäftsjahre dec Bank, traten, wie wir dem Rechenschaftsberihte für das Jahr 1890 entnehmen, derselben 3863 neue Theilhaber mit einer Ver- siherungssumme von 28 3098 400 M bei. Außerdem wurden 742 Nach- versiherungen über 6 095 8C0 Æ auf das Leben bereits versicherter Personen abgeschlossen, sodaß der Gesammtzugang an Versicherungs- summe 34 404 200 (4 betrug. Auf jede neu versicherte Person kamen im Dur{schnitt 7328 4 Versiherungssumme (gegen 7453 4 im

Jahre 1889). Die Summe der Abgänge hielt sich auch im Jahre 1890 in sehr mäßigen Grenzen. Der Ab- gang bei Lebzeit:n betrug nur 0/67 % des gesammten

Versicberungsbestandes. Die Versidberungssummen, welhe der Bank durch Todesfälle entzogen ‘wurden, blieben hinter der rechnungsmäßigen Erwartung erheblich zurück. Nach Abzug des Abganges wurde ein reiner Zuwachs an Versicherungen von 18 0312006 #4 gewonnen. Im Ganzen waren im vorigen Jahr 10 843 800 A für 1589 Ge- storbene zu vergüten. Die Zahl dieser Sterbefälle beträgt 120 weniger, als die angenommene Sterblichkeitsliste erwarten ließ, und der dafür zu vergütende Betrag steht um 1 308 673 # unter der rechnungsmäßigen Erwartung. In beiderlei Beziehung blieb alfo die wirklibe Sterblichkeit wiederum erheblich hinter der erwartung8mäßigen zurück. Diese Thatsache ist um so erfreulicher, da die Influenza-Cpidemie, welche zahlreiche Opfer au aus den Reihen der Versicherten gefordert und allein e:ne Sterbefallausgabe von 1170400 # verursaht hatte, viel eher er- warten ieß, daß die Grenze der wahrscheinlihen Sterblichkeit im vorigen Jahre, wenn niht überschritten, so doch nahezu erreicht werden würde. Die Fonds lieferten troy des allgemeinen Rückgangs des Zinéfußes einen den rechnungsmäßigen Bedarf immer noch erheblich übersteigenden Zinsertrag. Dur einen Zuwachs von 7 311 457 M erhoben sie sih auf 166 877 463 & Darunter sind 30010012 4 reine UVebersGüsse enthalten, welhe in diesem und den näGsten vier Jahren (im Jahre 1891 mit 37% der Prämie nach dem alten Dividendensystem und mit 28%/ der Prämie und 2,3 °/o der Prämienreserve nah dem neuen „gemishten“ Dividenden- system) an die Versicherten zur Vertheilung kommen. Nachdem für voriges Jahc alle Ausgaben bestritten bezw. dur Zurückstellungen gedeckt worden sind, und sowobl die Prämienreserve (124 623 217 6) wie der Prämienübertrag (10 210 120 4) ihre rechnungsmäßige Be- stimmung gefunden haben, \chließt die Bilanz für 1890 mit einem reinen Üeberschuß von 6 831635 A Diese befriedigenden Er- gebnisse wurden mit einem Verwaltungskostenaufwande erzielt, der im Ganzen, einschließlich der Agenturprovisionen, nur 4,89 % der Jahres- einnahme beträgt.

Gotthardbahn. Die gesammten Betriebs-Ein- nahmen für das Jahr 1891 betrugen 3907151,28 Fr. gegen 4147 445,79 Fr. im Jahre 1890, waren also um 240 294,51 Fr, geringer als im Vorjahre, wobei indessen zu berücksichtigen ist, daß die Ziffern für die leßten drei Monate nur approximative sind. Im Einzelnen wurden in „dem Berichtéjahre eingenommen: aus dem Een 1312 654,52 Fr. (— 8376,45 Fr.), aus der Gepädck-

eförderung 118563,89 Fr. (— 83474774 Fr.), aus der Beförderung von Thieren 6116523 Fr. (— 60268,60 Fr.), aus der Beförderung von Gütern 2275 878,28 Fr. (— 16235858 Fr.), aus sonstigen Quellen 138 889,36 Fr. (— 5816,14 Fr.) Die Betriebsausgaben, bei denen für die vier leßten Monate nur approximative Zahlen eingestellt sind, beliefen sih auf 2095 009 Fr. gegen 2006 578 Fr. in 1890, überstiegen leßtere also um 8842171 Fr, Der Uebershuß der Betriebs8- einnahmen über die Betriebs8ausgaben betrug für 1891 1 812 151,28 Fr. gegen 2 140 867,50 Fr. in 1890, war mithin um 328 716,22 Fr. geringer als im Vorjahre.

Der Verwaltungsrath der Gotthardbahn beantragt, aus dem Erträgniß des Jahres 1890 na Abzug einer 64 9% Dividende dem Erneuerungsfonds 933 842 Fr, dem Reservefonds 267 011 Fr. zu überweisen und 23 648 Fr. auf neue Rechnung vorzutragen.

_ Frankfurt a. M, 21. Mai, (Getreidemarktbericht, mitgetheilt von Joseph Strauß.) Weizen ohne ausgesprochene Tendenz; ab Umgegend 24}—25 M, frei hier 25—t 1, kurhessisher und norddeutscher ebenso, frei Station der Oberhessishen und Weser- bahn-Route: Gelnhausen—Büdingen—Gießen—Friedberg 243—} M, Frankenweizen ab Ochsenfurt, Schweinfurt, Würzburg 24—2/10 #, russischer 244—25# # Spelzkorn 244 ( In Roggen hat die Frage die bescheidensten Grenzen nicht überschritten, hiesiger fehlt 21}—} H detaillirt, bayerisher 21è #, russische Sorten 21{—21 bezahlt und übrig. Gerste unbeachtet, die neulihe größere Kauflust unserer Händler ist vershwunden; Franken (Obsfenfurter Gau), Ried, Wetterauec und Pfälzer 18}—19ck4 4, rumänische 17} A, Mahlgerste 16—F F, Abputgerste anhaltend gefragt. Hafer hat seinen früheren Abzug noch nicht wieder- gewonnen, Tendenz träge, 17—} Mais beshädigtes La Plata, das Angebot hat eine Verstärkung erfahren, dagegen Kauflust \{wäcer, die Notiz bleibt 13 M, jedoch dürste ein Gebot à 123 #4 ein genecigtes Ohr finden, egyptishes circa 155 ( Malzkeime gesucht und höher bezahl 104—# Æ Spelzspreu (Ersay für Roggenstroh) hat seinen früheren \{leppenden Absay beibehalten, circa 14 per Ctr. Roggenkleie 12—F# #Æ, Weizenkleie 11—F} #Æ, Begehr still und schleppend, troß Offerten fehlen. Mehl, das Ge- {äft wies wenig Regsamkeit auf, nur für feine Marke stellte si bescheidene Frage ein, während das Angebot von den kleinen Provinz- mühlen zu unjeren Notirungen keinerlei Beachtung findet. Roggén- mehl ohne bekannt gewordene Abschlüsse; 0/1 per Sept.-Okt, nah Berliner Böcfenusance 252 H Hiesiges Weizenmehl Nr. 0 364— 382 MÆ, Nr. 1 36—38 4, Nr. 2 33—35 #4, Nr. 3 32—34 , Nr. 4 28—30 #, Nr. 5 23—25 # Milchbrot- und Brotmehl im Verbande 68—72 & Norddeuishe und westfälishe Weizenmehle Nr. 00 33—34 Roggenmehl loco hier Nr. 0 312—32) 4, Nr. 0/1 30—31 Æ, Nr. 1 287—294 H (Obige Preise verstehen sich per 100 kg ab hier, häufig jedoh auch loco auswärtiger Stationen und bei Partien von mindeslens 10 000 kg).

Köln, 21. Mai. (W. T. B.) Das Puddelroheisen- ge\chäft beginnt, wie die „Köln. Ztg.“ meldet, lebhafter zu werden. Die Zurückhaltung der Werke habe aufgehört, dieselben machten jeßt größere Schlüsse in Roheisen für das dritte Quartal, die Preise neigten sih zum Steigen; Luxemburger Eisen sei seit vierzehn Tagen um 1 bis 17 Fr. gestiegen.

Leipzig, 21, Mai. (W. T. B) Kammzug - Termin- handel. La Plata. Grundmuster B. pr. Mai 4,32) #4, pr. Juni 4,35 H, pr. Juli 4375 #, pr. August 4,40 4, pr. Sep- tember 4,423 4, pr. Oktober 445 #, pr. November 4,45 „6,

pr. Dezember 4,45 #4, pr. Januar 4,45 70 000 kg. Sas p é Umsay kg

E L M L F A S p Î i] Wi! g AN e A F 0 LN 5 i E 1 M d M B ch H j | f M9 1 __ 2ST l 5 E if 8 f 2A N 8 B A V # j E 4 u - | ¿i 5 f L 8 4 C y 1] s Z 1 Fi H 1 E S 4 2 s À N F ¿t 8 E 8 H a A C A Le À Li L É 4 f A 2 c M i F; E 4 E W 5