1891 / 125 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

lezung formaler Vorschriften solle man niht mit der vollen S{ärfe des Gesetzes einschreiten, sondern zunächst auf die Befolgung jener Vor- \chriften aufmerksam machen, aber man muß einschreiten, wenn Warnung nicht hilft, so muß ih sagen, der Polizei - Präsident von Berlin hat der „National-Zeitung“ gegenüber durhaus richtig gehandelt, denn am 11. März dieses Jahres war Letzterer bereits dieses selbe Versehen passirt. Daraufhin hat der Herr Polizei- Präsident die Aktiengesellshaft „National-Zeitung“ auf dieses Ver- sehen aufmerksam gemacht, hat sie hingewiesen auf diese Bestimmung ; sie hat aber nah kurzer Frist, nach Ablauf von etwa neun Wochen dasselbe Versehen gemacht, und da war der Polizei-Präsident meines Erachtens voll berechtigt, nunmehr, da diese Verwarnung erfolglos geblieben war, mit der Beschlagnahme vorzugehen. Hätte sich die eNational-Zeitung“ warnen lassen, hätte sie am 11. März die Maßnahmen ergriffen, die sie jegt nach der Beschlagnahme ge- troffen hat, daß sie einfah den Kopf des Blattes mit der betreffenden Angabe hat ftereotypiren lassen, dann würde diese Beschlagnahme nit eingetreten sein. So aber, nachdem die Zeitung sich nit hat warnen lassen, war der Polizet-Präsident dadurch allerdings in die Lage gebracht, die Beschlagnahme eintreten zu lassen. Um so mehr, meine Herren, als man meines Erachtens hier auch in dieser formalen Behandlung der Zeitungen volle Gleichheit eintreten lassen muß und niht den Unterschied machen kann, etwa daß man sozial- demokratishe Druckschriften mit Beschlag belegt, die „National- Zeitung“ aber oder die Preßorgane anderer Parteien dessenungeahtet frei läßt. (Sehr richtig !)

Meine Herren, ih möchte glauben, daß in diesem Falle der Polizei-Präsident aber auh in Betreff der Ausführung der Beschlagnahme durchaus korrekt gehandelt hat. Er hat nämlih einfa dekretirt: diese Nummer der ‘„National-Zeitung" ist zu beshlagnahmen. Für die Ausführung der Beschlagnahme sind ganz bestimmte Bestimmungen getroffen Die Anordnung der Beschlagnahme wird einfah an das Central-Bureau telegraphirt, dann gehen nach allen Seiten die Telegramme ab, dann wird in gleichmäßiger Weise die Beschlagnahme ausgeführt. Genau nach dieser Schablone ist auch hier bei der Beschlagnahme der „National-Zeitung*“ vom 16. d. M. vorgegangen worden. Jh kaan deshalb wiederholt die Anfrage des Hrn. Abg. Friedberg nur dahin beantworten: ich vermag in dem vorliegenden Falle das Ver- fahren des Herrn Polizei-Präsidenten nicht zu mißbilligen und habe deshalb au keinen Grund, anknüpfend an diesen Fall, cine allgemeine Verfügung zu erlassen. (Bravo !)

Abg. Dr. Friedberg: Das zweimalige Vergehen hätte den Polizei-Präsidenten noch nicht zum Einschreiten veranlassen sollen, er hâtte die „National-Zeitung“ nochmals auf das Verschen hin- weisen sollen. Die Absicht des Gesetzes sei nur, daß da eingegriffen werden solle, wo die Sache vermuthen lasse, daß Druckter und Ver- leger sich der strafrehtlihen Verantwortung entzögen. Davon könne hier nicht die Rede sein. In seiner Kritik sei er vielleiht zu weit gegangen, nach der Erklärung des Ministers müsse er sagen: es war ein überlegter Gewaltakt. (Heiterkeit.) :

Abg. Rickert: Er stimme dem Minister darin bei, daß ein Unterschied zwischen Zeitungen vershicdener Parteien nicht gemacht werden dürfe. Der Polizei-Präsident hätte aber immer noch ein- oder zwei Mal die „Nattonal-Zeitung“ verwarnen können. Früher, bei den berühmten Preßordonnanzen, sei drei Mal verwarnt worden, ehe man eingescritten sei. Und hier handele es sih zudem nur um ein absichtsloses Verschen. Die Rede des Abg. Fried- berg werde immerhin die gute Wirkung haben, daß die Behörde sch überzeugen werde, daß fe in der Volks- vertretung keine Zustimmung finde, Vor ein paar Monaten habe der PolizeiePräsident von Berlin sämmtli§e Kriegervereine in einer Verfügung aufgefordert, in ihre Saßungen die Bestimmung auf- zunehmen: „Die Mitglieder, welche sich durch ihr Verhalten mit dem Zweck des Vereins in Widerspru seten, insonderheit solche, welche den Anforderungen der Pflege und Bethätigung der Liebe und Treue zu Kaiser und Reih nit entsprehen, werden aus dem Verein ausgeschlossen." Der Kriegerverein, den er hier im Auge habe, habe bereits in seinen Satzungen folgende Bestimmung : 8 1: „Der unter dem Namen „Kamerad“ errihtete Berein ehemaliger 24er hat den Zweck, die Königstreue und Vaterlandsliebe zu stählen. Politik und Religion find in den Vereinsversammlungen ausge- \chlossen;" §. 10: „Der Vorstand hat über die pünktliche Befolgung des Statuts zu wachen, und ist deshalb jedes Mitglied ehrenhalber verpflihtet, sch seinen Anforderungen zu fügen, anderenfalls ift der Vorsiand berechtigt, die Kameraden zu ermahnen, event. einen Antrag auf Aussch{ließung zu stellen,“ Das entspreche vollkommen dem, was der Polizei-Präsident beabsichtigt habe. Es habe eine Zeit gegeben, wo jede politishe Thätigkeit , welche niht im Sinne der Regierung gewesen sei, als Feindschaft gegen Kaiser und Reich angesehen worden sei, und seine Freuude seien jahrelang mit dem Makel der Reichsfeindschaft behaftet gewesen. Diese Zeiten hätten sih glücklicher Weise geändert, diese Verfügung des Polizei-Präsidenten lasse aber deren Wiederkehr befürchten. Wer schließe die Mitglieder aus? Die Generalversammlung. Wenn sie es aber nicht thue, könne dann der Polizei-Präsident die Aus\chließung dekretiren? Der Minister solle eine ofene Erklärung abgeben, daß in Bezug auf die Thätigkeit der Kriegervereine endlih einmal Klarheit geschaffen werde, damit die unerwünschien Kämpfe im Reichstag dar- über endlich vermieden würden. Einzelne Kriegervereine hätten ihre Mitglieder bei den Wablen verpflichtet, für diesen oder jenen Kan- didaten zu stimmen. Seine Partei verurtheile das auch da, wo ein freisinniger Kandidat, wie in dem Fall Zangemeister, gegen einen Sozialdemokraten in Frage komme. Der Kriegerverein in Naumburg habe aber öffentli erklärt, daß seine Mitglieder verpflichtet seien, diesem Herrn ihre Stimmen zu geben. Nicht nur in den Versammlungen müsse die Politik ausgeschlofsen sein, sondern au außerhalb derselben müsse jeder politisWe Akt der Kriegervereine ver- mieden werden. Allerdings gehe seine Partei niht so weit, wie die in Offizierskreisen verbreitete Broshüre: „Die Kriegervereine gegen die Sozialdemokratie“, in welcher allen Pacteien die Politik der parteilosen Vaterlandbfreunde gegenübergestellt werde. Wenn das das Ziel der Kriegervereine sei, so würde es ein \{chdnes Vater- land geben. Aber auf dem Boden der Kriegervereine wolle seine Partei die Politik allerdings nicht, Er bitte den Minister, ein entsprechendes Rundschreiben an die Kriegervereine zu erlassen, und frage ihn, ob

dieses Vorgehen des Berliner Polizei-Präsidenten auf einer all- gemeinen Anordnung beruhe und ob er damit einverstanden sei.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Was zunächst die im Eingange der Rede des Hrn. Abg. Ritckert nochmals erwähnte Beschlagnahme der „National-Zeitung*“ anlangt, so halte ih dieselbe für gerehtfertigt, weil ih wiederhole das eine einmalige Verwarnung vor kurzer Zeit bereits erfolgt ist ; die Forderungen der Hrrn. Abgg. Dr. Friedberg und Ritert, welche mit Mephisto verlangen: „Du mußt es dreimal sagen“, kann ih nit für gerechtfertigt halten.

Was das Kriegervereinswesen anlangt, fo ist Hr. Rickert meines Gratens bei der Kritik der Maßnahmen, welche Seitens des hiesigen Polizei-Präsidiums hir. sichtlih eines einzelnen Kriegervereins getroffen sind, und der Maßnahmen, welche die Königliche Staatsregierung überhaupt hinsichtlih des Kriegervereinswesens getroffen hat, von

einer niht ganz zutreffenden Beurtheilung der thatsächlichen Umstände ausgegangen, insbesondere aber hat er meines Erachtens die rechtliche Grundlage, auf welcher unser ganzes Kriegervereins- wesen beruht, nicht hinreihend gewürdigt. Die Kriegervereine in Preußen sind solhe Vereine gedienter Soldaten, welche sich auf Grund einer ganz besonderen rechtlichen Bestimmung der Allerhöchsien Ocdre vom 22. Februar 1842 gebildet haben, welche besondere Vorrechte genießen, aber welche auch besonderen Beschränkungen unterworfen sind, Diese Ordre von 1842 besteht heute noch voll zu Recht. Ein Erkenntniß des Ober-Verwaltungsgerihts vom Jahre 1878 führt aus, daß dieselbe weder durch die Artikel 29 und 30 der Verfassung noch auch durch das Vereinsgeseß vom 11. März 1850 aufgehoben oder verändert worden ist. Meine Herrcn, es ist ja selbstverständlich, daß gediente Soldaten auch auf Grund des Vereinsgeseßzes sich zu Vereinen vereinigen können; sie können auch politis che Vereine bilden, sie stehen dann aber voll unter den Bestimmungen dieses Vereinsgeseßes und können die besonderen Vorrechte der Kriegervereine dann nicht für sich in Anspruch nehmen.

Diese besonderen Vorrechte der Kriegervereine bestehen zunächst in der Befugniß, in Versammlungen, bei ö“sffentlihen Auf- zügen, namentli*ß bei der Beerdigung von Kameraden, bewaffnet zu erscheinenz; sie dürfen in Uniform erscheinen, haben eine militärishe Organisation, unter gewissen Um- ständen kann ihnen die Fübrung von Fahnen mit dem heraldishen Adler und militärishen Enblemen gestattet werden; unter Umständen werden ihnen auch Fahnen von Allerhöchster Stelle verliehen, kurzum, sie haben insbesondere auch bei Paraden, öffentlihen Auf- zügen eine Reihe Vorrechte, die andere Vereine nicht haben. Aber sle sind auch wiederum besonderen Beschränkungen unter- worfen.

Eine Beschränkung liegt zunächst darin, daß folchen Vereinen als Mitglieder und Ehrenmitglieder nur gediente Soldaten beitreten können. Daß diese gerade aktiv an cinem Feldzug theil- genommen haben, ist nicht erforderlich, aber Jeder, der nicht Soldat war, ist von der Aufnahme ausges{lossen. Außerdem bestebt die Bestimmung, daß die Statuten dieser Kriegervereine der obrigkeit- lihen Genehmigung bedürfen, und daß diese versagt, sowie daß eine ertheilte Genehmigung zurückgezogen werden kann, wenn ein Verein durch sein Verhalten nicht den Vorausseßungen entspricht, unter denen die Genehmigung ertheilt is, wenn er die öffentlichen Interessen, zu deren Wahrung er berufen ist, nicht wahrt, sondern verleßt.

Nun kam vor einigen Jahren es mehrfach vor, daß man die Kriegervereine zu politishen Vereinen zu gestalten versuchte, es wurde von Persönlichkeiten innerhalb und außerhalb dieser Vereine der Versuch gemacht, Politik in diese Vereine hinein zu tragen, und dies mußte Seitens der Staatsregierung als ein Uebelstand erachtet werden. Denn der haupt\ächlihste Zweck und die erste Aufgabe dieser Vereine ist die Pflege der militärishen Traditionen, des kameradschaftlichen

Geistes, und darin liegt auch ihre hauptsächlichste, ihre soziale f

Bedeutung. Diese soziale Bedeutung aber würde gefährdet und ge- \chädigt, sobald man in diese Vereine die Diskussionen politischer oder religiöser Art hineinträgt. Diese Erwägung hat den damaligen Herrn Kriegs - Minister und mich veranlaßt, im November 1888 eine Verfügung folgenden In- haltes zu erlassen: es solle bei jeder Genehmigung der Statuten eines neu gebildeten Vereins und sobald ein bestehender Verein irgend welches neue Vorrecht nachsucht, die Forderung aufgestellt werden, daß in seine Statuten ausdrücklich die Bestimmung aufgenommen werde: erstens, daß der Verein sich die Pflege der Liebe und Treue gegen Kaiser und Reich, gegen König und Vaterland autdrücklich zur Aufgabe stelle, zweitens, daß jede Diskussion über religiöse und politische Fragen aus seinen Versammlungen unbedingt ausges{chlofsen bleibt.

Meine Herren, ich meine, durch diese Bestimmungen ist in positiver und negativer Weise richtig die Grenze gezogen, die diese Vereine inne halten sollen, und ihr Charakter genau bezeihnet. Sie sollen im Anschluß an ihre militärischen Traditionen die Liebe und Treue gegen Kaiser und Reich, die sie in ihrem Fakneneid gelobt haben, au im bürgerli@en Leben bewahren und alle diejenigen Elemente von fi fern halten, wele diese Treue zu halten niht gewillt sind, sie sollen aber anderecseits auch vermeiden, irgendwie politishe Vereine zu werden, fie sollen jede politishe und religiöse Diskussion aus ihren Versammlungen unbedingt fernhalten.

Meine Herren, es hat ih gezeigt, daß diese Verfügung zwar im Allgemeinen con gutem Erfolg gewesen ist, sie hat sich aber niht voll wirksam erwiesen, namentli gegenüber den Bestrebungen der Sozial- demokratie, welhe vor ungefähr Jahresfrist es direkt als ihre Auf- gabe bezeichnete, daß sie ihre Tendenzen womöglih in das Heer und jedenfalls in die Kriegervereine hineinzutragen bemüht sein müsse. Sie hat nah dieser leßteren Richtung leider hier und da nit ohne Erfolg gearbeitet. Das hat nun den Herrn Kriegs-Minister und mi veranlaßt, eine Ergänzung der vorgenannten Verfügung eintreten zu laffen, und zwar haben wir im Januar dieses Jahres folgende Verfügung erlassen: Es foll bei jeder Genehmigung eines Statuts eines neu gebildeten Vereins und, wenn ein bestehender Verein be- sondere Vorrechte in Anspruch nimmt, die Forderung aufgestellt wer- den, daß in Ergänzung der vorbezeihneten Bestimmung in das Statut hineingeshrieben werde, daß Jeder, welcher dur sein Verhalten der Aufçabe des Vereins entgegenstrebe, die Treue gegen Kaiser und Reih zu halten nit gewillt sei, aus dem Verein ausgeschlossen werde. (Sehr gut!)

Es ist am Schluß dieser Verfügung dann noch hinzugefügt, es solle in geeigneter Weise darauf hingewirkt werden, daß auch in die Statuten bestehender Vereine eine gleichartige Bestimmung aufge- nommen werden möge.

Meine Herren, diese leßtere Bestimmung das will ih hinzufügen ist hier und da unrichtig ausgeführt worden, ausgehend von dem Mißverständniß, als ob darin eine dispositive Vorschrift liege, und als ob sofort in jedes Statut diese neue Bestimmung aufgenommen werden müsse. Das ist nicht der Fall. Und wo eine solche mißver- ständlihe Auffassung stattgefunden hat, ist sie {hon berichtigt worden. Es ist vielmehr angeordnet worden: nur da, wo es sich um die Bildung neuer Vereine handelt, oder wo ein bestehender Verein besondere Vorrechte neu für \sich in Anspruch nehmen will, ift diese Forderung aufzustellen, ein Zwang aber nach dieser Richtung hin bei bestehenden Vereinen n i cht auszuüben.

Was nun die einzelnen Fragen des Hrn. Abg. Rickert anbelangt, so muß ih sagen, in dem Falle, den er angeführt hat, war in dem Statut eigentli die vorerwähnte Bestimmung bereits enthalten wenigstens sinngemäß. Ich nehme nah den Angaben des Hrn. Abg. Rickert an, daß dieser Verein niht irgend ein Vorreht nur für sich hat in Anspruh nehmen wollen, sondern daß ex officio er zur Aenderung seiner Statuten aufgefordert worden ift. Einen Zwang gegen einen solhen Verein auszuüben ift aber niht beab- sichtigt, und nah diesec Rihtung ist Remedur erfolgt. Eine ähnliche mißverständlihe Auffassung war bei einer anderen Behörde eingetreten ; diese Auffassung ift berihtigt und hiervon auch dem hiesigen Polizei- Präsidenten Mittheilung gemacht.

Was nun die Frage anbetrifft, in welher Weise die Aus- führung einer derartigen Bestimmung erfolgen soll, so versteht \sich ja von selbst, daß ein Aus\{chluß aus dem Verein nur dur den Verein selbst erfolgen kann, daß weder der Vorstand allein die Mit- glieder aus\ch{ließen soll, noch viel weniger die Aufsihtsbehörde dies thun kann. Das ist meines Erachtens ganz selbstverständlih. Nah dieser Richtung hin ist übrigens den Vereinen irgend eine Vorshrift nicht gemacht worden, sondern ihnen überlaffen worden, ihrerseits die Art und Weise des Auss{chlusses in den Statuten selber zu regeln. Im Vebrigen verfügt auch die Au{si@tsbehörde gegenüber diesen Krieger- vereinen über kein anderes Mittel als die Zurücknahme der Be- stätigung. Irgend ein disziplinarisches Mittel, irgend eine sonstige AufsiŸht steht ihr nit zu, und es ist deshalb, wenn es sich um geringere Versehen gehandelt hat, wenn hier und da vielleiht einmal der eine oder andere Berein etwas über die Grenzen, die sie festhalten sollen, hinau8gegangen ift, nicht ohne Weiteres immer diese ultima ratio zur Anwendung gebracht worden, Dagegen das muß ih allerdings sagen in einzelnen Gott sei Dank vereinzelten Fällen allerdings ist die Nothwendigkeit eingetreten, Kriegervereine aufzulösen, weil sie sozialdemokratishen Tendenzen dienst- bar gemacht worden waren, und weil dem Verlangen, daß die Mitglieder, welhe diese Tendenz in die Vereine hinein- gebracht hatten, ausgeschlofsen würden, niht stattgegeben worden ist. Nun aber, meine Herren, kann ich sagen, dieser Fälle sind mir augen- blicklich nur drei oder vier im Gedächtniß; ihre Zahl ist verschwindend gering gegenüber der Zahl von tausend und abertausend von Krieger- vereinen, welche sich innerhalb dieser Grenzen gehalten und welche innerhalb dieser Grenzen auf das Segenreihste gewirkt haben. Meine Herren, ih glaube, wir können im Großen und Ganzen unseren Kriegervereinen die Anerkennung nicht versagen, daß sie unter Fern- haltung religiöser und politisher Sonderbestrebungen bemüht gewesen sind, einen kameradschaftlihen Geist, die militärishen Traditionen, die Liebe und Treue gegen Kaiser und Reich, gegen König und Vaterland zu pflegen, und ih meine deshalb, sie verdienen die volle Sympathie derjenigen, welche in dieser Pflege der Liebe und Treue gegen Kaiser und Reih den Grundstein er- blicken, auf dem unser ganzes sffentlihes Leben im Staat und Reich basirt. (Bravo! rechts.)

Abg. Rickert: Mit der leßten Aeußerung sei er einverstanden aber man erreiche dieses Ziel am Besten, wenn man dafür sorge, daß die Kriegervereine nicht über ihre Grenzen hbinausgingen. Er freue ih, daß dec Minister in dem einen Fall Remedur geschaffen habe. Er hätte nur gewünscht, daß sich der Minister etwas entschiedener gegen den Mißbrauch einzelner Kriegervereine bei den Wahlen aus- gesprochen hätte, Der Minister habe gemeint, es würde hier nicht immer mit aller Schärfe des Gesetzes eingeschritten; diese Milde sollte er nur au in dem Fall der „National-Zeitung* roalten lassen. Er bitte den Minister, jeinen Einfluß dahin auszuüben, daß die Kriegervereine in ihren Grenzen blieben.

Abg. Johannsen (Däne): Am 22. Januar d. I. sei im An- {luß an einen Vortrag über einen dänishen Dichter in einem nord\chleswig\s{hen Verein das König Christian-Lied gesungen worden. Nach einer Polizeiverordnung von 1865 sei das Singen aufreizender dänischer Lieder verboten. Dem Wort „aufreizend“ gäben die Gen- darmen einé eigenthümliche Auslegung, das Singen dänischer Lieder ziehe die Gendarmen in Nordschleswig eigenthümlich an, wie die Flamme die Fliegen, nur mit dem Unterschied, daß sich die Gendarmen nicht die Flügel verbrennten. Auch das Ksnig Christian - Lied sei als aufreizend angesehen und die Sänger beim Amtsvorsteher angezeigt worden. Der kommissarische Amts- vorsteher habe die Sänger zu einer Geldstrafe von 10 46 verurtheilt, diese hätten Widerspruch erhoben, weil seit Erlaß jener Polizeiverord- nung vom Jahre 1865 das betr. Lied von keiner Behörde als aufreizend bezeichnet worden sei, das Schöffengericht aber habe sih der Auffassung des Amtsvorstehers anges{hlossen, nur einen Angeklagten freigesprochen, aber drei Angeklagte zu je 3, einen zu 30 4 verurtheilt. Gegen dies Urtheil hätten die Betreffenden leider die Einsprache versäumt: es sei rechtskräftig geworden. Das Komische an der Sache sei, daß der Sänger jenes Liedes freiwillig in der preußishen Armee diene, daß es immer gespielt werde, wenn der König von Dänemark den Deuischen Kaiser oder dieser jenen besuhe (Heiterkcit), man werde doch nicht annehmen, daß dann eine gegen die Deutschen aufreizende Melodie gespielt werde. Wenn jener Mann vielleiht bei einem folchen Empfang Posten gestanden und das Lied spielen gehört habe, und nun, weil er es singe, bestraft werde, wie folle der Mann sich das zusammen reimen? Der eine Mann sei daruimn besonders streng be- straft worden, weil er preußischer Soldat gewesen sei was sollten die Dänen in Nords{leswig denn thun? Dienten fie nit als Sol- daten, so würden fie ausgewoiesen, dienten sie, so müßten sie den Mund hâlten. (Heiterkeit.) Er bitte den Minister, zu veranlassen, daß die falschgedeutete Polizeiverfügung durch eine neue, den Gen- darmen und dec Bevölkerung ver\tändliche erseßt werde.

Minister des Junnern Herrfurth:

Von dem von vem Hrn. Abg. Johannsen sehr eingehend geschil- derten Vorfall ist mir bisher nichts bekannt gewesen, ich werde aber aus seinem Vortrage auh kaum eine Veranlassung entnehmen, auf diese Angelegenheit weiter einzugehen, Denn aus dem, was er gesagt hat, habe ih, wie ih glaube, mit voller Deutlichkeit entnommen, daß im vorliegenden Fall durchaus gesezmäßig verfahren worden ist, und daß eine Remedur überhaupt nicht mehr anders möglih ift , als auf dem Wege der Begnadigung der Bestraften,

Der Hr. Abg. Johannsen hat vorgetragen, daß auf Grund einer bestehenden Polizeiverordnung vom Jahre 1865 der Amtsvorsteher Die- jenigen, welche gegen dieselbe verstoßen haben, in Strafe genommen hat, daß gegen diese vorläufige Straffestseßung Einspruch eingelegt worden ist, und daß demnächst im rihterlichen Verfahren die Strafen festgeseßt wor- den find, Gegen die Festseßung hat weitere Berufung nit s\tatt- gefunden, Es handelt sih also hier um eine rechtskräftig abge- machte Angelegenheit, in welche einzugreifen ich keine Ver- anlassung habe.

Soviel mir erinnerlich ist das will i allerdings sagen: ih weiß es nicht mit voller Bestimmtheit —, is in der Polizeiverordnung bon 1865 vorgeschrieben, daß Alles vermieden werden müsse und eventuell unter Strafe gestellt werde, was zur Aufreizung dienktz

in dieser Beziehung eine entgegengeseßie Anordnung zu erlassen und ¿u fagen: die Aufreizung ift erlaubt, dazu kann ich mich unmög- li veranlaßt fühlen.

Abg. Knebel: In den 1866 an gt angegliederten Landes- theilen bestehe noch immer eine s{hâärfere Dieziplinarverordnung, als in den alten Provinzen; es sei dort mögli, eine ganze Reihe von hohen Beamten durch einfahe Verfügung zu entlassen, die im übrigen Preußen davor sicher seien. Das sei wohl bei Landestheilen zulässig, die einen Wechsel des Landes-Oberhauptes durchmahten, aber jebt sei das niht mehr nöthig, was {hon daraus folge, daß die ver- {ârfte Disziplinarverordnung seit etwa 20 Jahren überhaupt nicht mehr angewandt worden sei. Er bitte den Minister, bei Gelegenheit des bevorstehenden 25 jährigen Jubiläums der Angliederung dieser Burniyere die Aufhebung dieser Disziplinarverordnung anregen zu wollen,

Minister des Fnnern Herr furth:

Ih erkenne an, daß hier zweifellos ein Uebelstand vorliegt, welchen der Abg. Knebel zur Sprache gebracht hat. Ein innerer Grund zur Verschiedenheit der Behandlung von Beamten in den alten und ncuea Landestheilen liegt jeßt augenscheinlih niht mehr vor, und es hat die Königlihe Staatsregierung deshalb au, wie au der Abg. Knebel felbst anerkannt hat, seit langer Zeit, ih glaube seit mehr als zwanzig Jahren, von der ihr in den neuen Landestheilen hirsihtlich einzelner Beamtenkategorien zustehenden Befugniß nie- mals irgend welhen Gebrauch gemaht. Ih glaube aber, darin liegt zu gleiher Zeit auch der Beweis dafür, daß ein besonders dringendes Bedürfniß zur Aenderung dieses Gesetzes nicht vorliegt, und ih muß sagen, wir sind mit so vielerlei gesetz- geberishen Aufgaben von großer Wichtigkeit befaßt gewesen, daß wohl kein besonderes Verlangen vorgelegen hat, diesen Punkt noch dur eine Novelle neu zu regeln, und eine solhe geseßliche Regelung ist ja unbedingt erforderli, wenn jener Untershied abgescha|t werden soll.

Ich gebe aber zu, daß die Frage erwägen8werth is namentli au na einer anderen Richtung hin, welche der Abg. Knebel nit berührt hat, und zwar hinsihtlih der §öhe des Rußegebals Derjenigen, welche auf Grund dieses Gesetzes in den einstweiligen Ruhestand verseßt werden. Ich glaube, es ist ein Nachtheil für unsere preußishe Verwaltung, daß wir andere Bestimmungen baben, als im Reich in Betreff der Höhe des Rubegekßalts für diejenigen Beamten bestehen, welche in den einst- weiligen Ruhestand verscht werden. Wenn die von dem Hrn. Abg. Knebel angeregte Frage im Wege der Geseßgetung in Angriff genommen werden soll, so wird auc die zweite Frage in Erwägung gezogen werden müssen, ob in Betreff der Höhe des Ruhegehalts, welches den einzelnen quiescirten Beamten gewährt werden soll, nit diejenigen Grundsäße Anwendung finden sollen, welhe in dem Reih jeßt bereits, meines Erachtens mit Recht, Anwendung gefunden haben.

Abg. Johannsen: Er habe den Minister nicht gebeten, die Verordnung von 1865 materiell zu ändern, sodaß also das betreffende Lied zu singen erlaubt sei, sondern uur gebeten, daß die Verordnung klar und verständlih gefaßt werde.

Abg. Richter: Ein Hr. Boyen aus Gardingen in Schleswig habe ihm mitgetheilt, daß seine Wahl zum unbesoldeten Beigeordneten vom Negierungs-Präsidenten aus politishen Gründen nicht bestätigt fei, während seine Person und seine Beschäftigung als Gastwirth keinen Anlaß zu dieser Maßregel geboten habe, wie der Regierungs- Präsident einer Deputation und dem Betroffenen selbst mitgetheilt habe. Der Mann habe weiter Nichts gethan, als bei der Reichs- tagswabl für seinen Kandidaten Seelig agitirt, was die Pflicht jedes Mannes von bestimmter politisher Ueberzeugung sei. Er werde dem Mann rathen, Beschwerde beim Minister einzulegen, lenke aber hier die besondere Aufmerksamkeit des Ministers auf diesen Fall, da aus anderen Vorfällen die Absicht des Regierungs-Prä- fidenten von Swhleswig hervorzugehen seine, freisinnige Männer zu ächten, was allerdings zu einem früheren System gehört habe.

Abg. Dr. Krause: Ec komme noch einmal auf die Beshhlag- nahme der „National-Zeitung“ zurück. (Unruhe rechts.) Dur die Beschlagnahme seien nur die zahlreihen Leser geschädigt worden, während die Behörde wohl in der Lage gewesen sei, die Zeitungs- herausgeber dur eine Geldstrafe, die nah §8. 19 des Preßgesetzes zu- lässig sei, zu strafen. Dagegen würde Niemand eine Einwendung haben machen können, Die Beschlagnahme sei allerdings wohl zu- lässig, aber hier durhaus unangebracht. Was die Verloosungsliste anlange, fo sei, da diese ein abtrennbarer Theil der Zeitung sei, die Beschlagnahme überhaupt nur gerechtfertigt gewesen, wenn auch da der Name des Druckers und Verlegers gefehlt hätte.

Abg. von Rauchhaupt: Die Beshlagnahme dur die Polizei sei durhaus gerechtfertigt gewesen, zumal nachdem eine Verwarnung vorhergegangen sei.

Abg. Dr. Friedberg: Es handele ch darum, welche Strafe zweckmäßiger gewesen sein würde, und da glaube er ganz sicher, daß die Geldstrafe eher als die Beschlagnahme anzuwenden gewesen wäre.

Abg. Dr. Krause: Würde der Abg. von RauGhaupt auch die Beshlagnahme der Zeitung im März, als dec erste Fall vor- gekommen fei, für gerechtfertigt gehalten haben? Dieser lebte Fall sei aber fo lange her, daß bei einem Druckfehler und um einen folhen handele es sich doch diese Verwarnung wirkli niht mehr in Betracht kommen könne,

Abg. Freiherr von Huene: Er meine, daß das Vorgehen des Polizei-Präsidenten in weiten Kreisen einen ungünstigen Eindruck machen müsse, und bei dem Interesse der Bevölkerung an der Presse hätte er, da doch kein böser Wille, sondern nur ein Irrthum vor- gelegen, gewünscht, daß man anders verfahren wäre.

Abg. von Eynern: Wenn er gewußt hätte, daß eine Ver- toarnung son stattgefunden habe, so hâtte er cine andere Stellung zu dieser Frage eingenommen. Aber er müsse doch den Abg. von Rauchaupt fragen, wie er es empfunden haben würde, wenn er, auf seinem Gute sigend, hätte hören müssen, daß eine Nummer der »Kreuzzeitung* aus einem ähnlihen Grunde beschlagnahmt worden sei.

Abg. von Rauchhaupt: In solchem Falle würde er gesagt haben, der Polizei-Präsident habe ganz korrekt gehandelt. Er glaube, die Herren sähen ein, daß sie Unrecht hätten, und der Abg. Krause wolle wohl nur ein sehr geschicktes Arrièregefecht liefern; er sei aber völlig zurückgeshlagen worden. z ;

„Abg. Czwalina: Nach unwidersprochenen Zeitungsnachrichten sei in der Gemeinde UnterbruGß am Rhein kürzlih der Fall vorge- Tommen, daß der Staatsanwalt bei Revision der Standesamtsregister gefunden habe, daß sieben vor mehreren Jahren stattgefundene Cheschließungen von einem zur Führung des Standesamts nicht fiegetigten vorgenommen worden, also ungültig seien, und den

S en Eheleuten die nohmalige Eheschließung empfohlen. Dies Ver- bätten lasse aber eine grauenvolle Perspektive zu. Die Eheleute s ten gar keine Shuld an der Sache, sie hätten sich nicht dagegen [onven können, und es sei Sache der vorgesezten Behörde, diesen ormalen Fehler in der mildesten Form zu korrigiren. Das sei um 0 es geboten, als bei anderen Bestimmungen des bürgerlichen ï echts, wo es auch auf genaue Aufrechthaltung der Formen an- e eine Verlegung dieser Formen dur die Behörde das echtsges{chäft niht ungültig mache, sondern nur zur Bestrafung des ge enen Beamten führe, so bei Aufnahme von Testamenten durhch en niht zuständigen Richter, bei Aufnahme von notariellen Akten durch den nicht zuständigen Notar. Aut das kanonische Recht lasse durch se Fehler des Cheschließenden die Ebe nit ungültig werden, und die Inter- pretationen zum Standesamtsgesey \sprähen ih gegen das Ver-

fahren des Staatsanwalts aus. Hier sei das fiat justitia, pereat mundus durchaus nicht angebracht. Das Standesamts- geseß sei freilich Reichsgeseß, man könne hier also nur eine Anregung zu seiner Aenderung geben ; aber zu einer solchen Anregung sei das Haus um so mehr veranlaßt, als das Kammergericht, die bhöste preußishe Instanz für diese Sachen, mehrfah im Sinne des erwähnten Staatsxanwalts entschieden habe, und als sol&e Vorfälle fast nur in Preußen vorkämen, die Preußen also die Hauptleidtragenden seien. Diese Vorfälle ereigneten sich fast nur bei Neueintheilungen von Kreisen, man könne dann eben auch den Beamten nur ein verzeih- lihes Versehen zur Last legen.

Justiz-Minister Dr. von Schelling:

Das Standesamtswesen der Rheinprovinz fteht unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft; aus diesem Grunde nehme ich für mich den Vorzug in Anspru, auf die Anfragen und Anregung des Hrn. Abg. Czwalina zu antworten.

Das Sahverhältniß ist einfach dieses. Der Bürgermeister in der Gemeinde Unterbruch hatte die Verwaltung des Standesamtswesens in ge- setlich zulässiger Weise seinem Beigeordneten übertragen ; die Amtsperiode des Beigeordneten lief im Mai 1890 ab. Obgleih nun von Seiten der Ver- waltung Anordaungen getroffen sind und das bemerke ih gegenüber An- deutungen, die der Hr. Abg. Czwalina in dem leßten Theil seiner Rede gema@t hat, als wenn im Wege der Verwaltung niht das Erforderliche geshehen sei, um Uebelständen, wie sie hier zu beklagen find, vorzubeugen obwohl von Seiten der Verwaltung die An- ordnungen getroffen sind, daß der Staatsanwaltschaft von jeder Er- lôschung des Amtes eines Standesbeamten sfofort Mittheilung zu machen sei, so ist doch diese Mittheilung im vor- liegenden Falle unterblieben. Der Beigeordnete selbst befand sh in dem Irrthum, daß seine Amtsperiode niht {on im Mai 1890, fondern erst im Mai 1891 ablaufe, er blieb daber ruhig in der Verwaltung des Standesamts und hat noch sechs Ehen nit sieben, wie bemerkt worden ist abges{chlossen. Sobald die Staats- anwaltschaft von dem vorgekommenen Versehen Kenntniß erhalten hat, hat sie an sämmilihe Personen, welche diese Ehen ab- geschlossen hatten, die Mahnung geriŸtet, dieselben möchten die Eheschließung vor dem zuständigen Standesbeamten wiederholen ; dieser Aufforderung ist entsprochen worden, Füaf von den in Frage stehenden Ehen sind bereits mit geseßliher Gültigkeit umkleidet worden, indem der Cheschließungsakt von dem zuständigen Standes- beamten wiederholt worden ist. Jch muß annehmen, daß dies au Betreffs der sechsten Ehe geschehen ist. Denn nah dem zuleßt vor- liegenden Bericht vom 19. Mai dieses Jahres war der Aufenthalt der betreffenden Eheleute ermittelt, und das Standesamt in Aachen, wo sie sh aufhalten, war ersucht worden, den Eheschließung3akt zu vollziehen. Damit glaube ih, daß der vorliegende Fall als erledigt angesehen werden kann.

Nun hat der Hr. Abg. Czwalina noch einen sehr interessanten Ausblick auf die Lage unserer Gesetzgebung und Praxis auf diesem Gebiet geworfen und hat namentli die Frage sehr eingehend erörtert, ob die herrs{chende Annahme richtig sei, daß jede Verletzung der Form der Cheschließung die Nichtigkeit derselben nah {ih ziehe. Ih will auf diese Frage in dem weiten Umfange, in welchem sie von dem Herrn Abgeordneten erörtert worden ist, niht eingehen , ih beschränke mich nur auf den hier allein in Frage stehenden Fall, daß die Che von einem vermeintliGen Standesbeamten vollzogen worden isstt, während es sich naGher ergiebt, daß der Standesbeamte niht gehörig bestellt worden war. Ia, in diesem Falle läßt sich nicht leugnen, daß nach Lage der Geseßgebung die Ehe als nicht ges{chlossen anzusehen ist. Ich gebe dem Herra Abgeordneten vollständig zu, daß dieser Zustand ein sehr bedenklicher ist, obgleich ih ihn doch nicht für so gcfahrdrohend ansehen kann, wie er von ihm geschildert worden ist. Denn obgleich Verstöße in dieser Rich- tung wiederholt vorkamen, so ist mir doch kein Fall bekannt geworden, in welchem eine Ehe wirklich aufgelöst, auch nur angefochten worden wäre aus dem Grunde, weil der Standesbeamte, der sie vollzogen, niht der gehörig bestellte gewesea sei.

Ich kann dem Herrn Abgeordneten darin nicht Unrecht geben, daß es in der That am Plage sein möchte, die Gesezgebung zu dem Zwecke in Bewegung zu seßen, um die hier unzweifelhaft vor- handene Lüdke auszufüllen. (Sehr richtig!) Die Frage ist auch be- reits in meinem Ministerium einer eingehenden Erörterung unter- worfen worden, und ih habe, als ih Gelegenheit hatte, dem Herrn Reichskanzler meine Vorschläge in Bezug auf den Entwurf des bürgere- lihen Geseßbuchs zu unterbreiten, auch diese Frage in meinen Bemerkungen berührt und habe meinerseits den Vorschlag gemacht, in dem künftigen bürgerlichen Gescßbuh den Gedanken zum Ausdruck zu bringen, daß, wenn eine Ehe vor einem öffentlih funkitonirenden Standesbeamten ges{lossen worden if und die Eheleute in der That den Beamten au für den gehörig bestellten Standesbeamten gehalten haben, dann die Che nicht angefohten werden kann aus dem Grunde, weil {ih hinterher ergiebt, daß in der Bestellung des Standesbeamten irgend ein Mangel vorgefallen ist. Ja, ih bin noh weiter gegangen: ic habe dem Herrn Reichskanzler au vorges{lagen, in das Einführungs- geseß eine Bestimmung aufzunehmen, durch welche der Rechtssaß, den ih eben präzisirt habe, mit rückwirkender Kraft versehen würde, fodaß dieser Rehts\aß au Anwendung findet auf alle Ehen, die geschlossen worden sind vor dem Inkrafttreten des Ge- seßes. (Sehr gut!)

Ich möôhte also glauben, daß, wenn auh der Weg der Gesechz- gebung, auf welchen der Herr Abgeordnete nicht mit Unrecht hinge- wiesen hat, noch nicht förmlih betreten ist, doch meinerseits schon das Nöthige geschehen ist, um die Angelegenheit in diesen Weg zu le.ten. (Bravo !)

Abg. von Eynern wiederholt seine Beshwerde darüber, daß 21 Städten, darunter Berlin, die Polizeikosten durch den Staat er- leihtert worden seien, während die anderen Gemeinden die Kosten selbst tragen müßten. Redner fragt deshalb, wie es mit der Wiedervorlegung des Polizeikostengeseßes stehe.

Minister des Jnnern Herrxfurth:

Meine Herren! Nah dem äußerlihen Verlauf, welchen die Be- rathung des Gesetzentwurfs über die Aufbringung der Kosten der Königlichen Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden im Jahre 1889 genommen hat, kann es allerdings auffallend erscheinen, daß dieser Geseßzentwurf Ihnen nicht in der vorigen Session, oder doch wenig- stens in der jeßigen Session wieder vorgelegt worden is. Jch glaube allerdings, daß die Schilderung dieses Verlaufs Seitens des Abg. von Eynern, soweit sie die Berathung jenes Geseßentwurfs im Herren- hause betrifft, nicht ganz korrekt ist, Ungefähr aber ist seine Dar-

\stelung meines Erinnerns wenigstens soweit zutreffend daß

in diesem Haufe im Jahre 1889 das Geseh angenommen, daß die Kommission des Herrenhauses ebenfall® mit dem Gesetz, wie es hier beschlofsen worden, einverstanden war, daß demnächst die Berathung im Plenum des Herrenhauses zur Zurückweisung Behufs Erstattung eines schriftliGen Berichts geführt hat, und daß das Geseß niht zum Abschluß gekommen ist, weil unmittelbar darauf der Schluß des Landtages erfolgte.

Es kann auffällig ers{einen, daß Ihnen das Gesetz nicht wieder vorgelegt ist, nachdm im FJahre 1885 mit fehr großer Majorität die Vorlegung eines solchen Gefeßes von diesem Hause gefordert war, und nachdem das Prinzip des neuen Gesetzes durch die beiden Häuser insoweit Billigung gefunden hatte, als man die Zahlung eines Kopfbeitrages nah Maß- gabe der Civilbevölkerung der betreffenden Städte als eine genügende und zutreffende Grundlage für die Regelung anerkannt hatte. Andererseits, meine Herren, glaube ih, ift es wohl als communis opinio zu bezeihnen, daß das Gesetz in jener Fassung Niemanden recht befriedigte, weder die Städte, die die Zahlung leisten sollten, noch die Städte, die bisber aus kommunalen“ Mitteln die Kostea ihrer Polizei- verwaltung bestreiten mußten und von diesen Beiträgen nichts erhalten follten, noch endlih den Herrn Finanz-Minister, der statt 44 Millionen, wie es der erste Geseßentwurf im Jabre 1887 beabsihtigte, oder statt der 3 Millionen, welche die Vorlage der Regierung in Aussi{ht nahm, noch nit 1} Millionen bekommen haben würde.

Nun war in diesem Hause bei der Berathung des Gesetzentwurfs gleiWzeitig eine Resolution gefaßt worden, welhe einem Gedanken Ausdruck gab, der bei den Berathungen sehr vielfa {hon erörtert worden war, nämli daß man eine organi} che Aenderung in der Vertheilung der vershiedenen Funktionen der Polizei innerhalb der Städte mit Königlicher PolizeiverDaltung eintreten lassen solle nach der Richtung, daß die gesammte Sicherheitspolizei der Königlihen Polizei- verwaltung und die Wohlfahrts- oder Verwaltungspolizei wie Sie es nennen wollen in mögli{st großem Umfange den Städten übertragen werde. Sodann war der zweite Gedanke, daß man womögli® die Beiträge, welche die 21 Städte mit Königlicher Polizeiverwaltung zu zahlen haben würden, mit- verwenden folle zu Gunsten der Städte, welche ihre Polizeiverwaltung . aus eigenen Mitteln bestreiten.

Nah beiden Richtungen hin sind nun inzwishen umfangreiche Verhandlungen eingeleitet. Es ergab \ich, was die organische Gliede- rung der Polizeiverwaltung in den bezeichneten 21 Städten anlangt, zunächst, daß ein sehr erheblicher Theil der Siherheitspolizei, das Na ht - wachtwesen, in allen Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung #ch{ nicht in Händen der Leßteren, sondern in den Händen der Kommune befindet, ein Zustand, welcher zu Unzuträgli§keiten führt und prinzip- widrig ist. Denn wenn die Königliche Polizeiverwaltung am Tage für die öffentliße Sicherheit zu sorgen bat, so ist nit einzusehen, warum sie, wenn die Sonne untergegangen ist, ihre Funktionen ein- stellen und die Bewahrung der öffentlichen Sicherheit während der Nacht dem städtishen Nahtwächter überlassen soll.

Andererseits aber war neben der Sicherheitspolizei auc eine große Anzahl von Zweigen der Verwaltungêpolizei der Königlihen Polizeiverwaltung übertragen, während die Resolution dieses hoben Hauses ausdrücklich ausgesprochen batte, es sei wünshenswerth, daß die Bau-, Gewerbe-, Markt-, Hafen-, Feld-, Forst-, Jagd- und Swulpolizei in möglihst großem Umfange den Städten zur eigenen Verwaltung überwiesen werde. Da nun alle diese Zweige nicht meinem Ressort direkt unterstellt sind, fo habe ich mich mit den anderen Herren Ministern in Verbindung seßen müssen und habe demnähst mit den betreffenden Städten Unterhandlungen darüber eingeleitet, ob und inwieweit es thunlich sein wird, ihnen derar ‘7e Zweige der Polizei zu übertragen. Diese Verhandlungen find noch ntwr zum Abschluß gediehen; ih vermag aber schor jeßt übersehen, daß eine allgemeine gleihmäßige Regelung nicht möglich fein wird, weil ein großer Theil der Städte sich weigert, weitere Zweige der Polizei zu übernehmen. (Hört! hört !)

Nach der zweiten Richtung hin, was die Berücksictigung der Städte mit kommunaler Polizeiverwaltung anlangt, so war bisher nur in Aussicht genommen, daß die Beträge, welche die Städte mit Königlicher Polizeiverwaltung zu zahlen haben würden, dem allge- meinen Staatss\äckel zufließen sollten. Ih habe mich inzwischen aber mit dem Herrn Finanz-Minister darüber in Verbindung geseßt, ob es niht mögli fein würde, diese Beiträge zu verwenden cinmal zu den Mehrkosten, welche dur die Uebernahme des Nachtwachtwesens in den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung entstehen werden, und sodann zur Verstärkung der Polizei in den andern Städten, die allerdings nur dadur zu ermöglihen sein wird, daß man die Thätigkeit der Landgendarmerie auf jene Städte, welche daneben ihre eigene Kom- munalpolizei beibehalten müßten, ausdehnt. Au diese Frage wird fih nit einfach und gleihmäßig lösen lassen mit Rücksicht auf diejenigen Städte, welche einen eigenen Stadtkreis bilden. In Betreff der zu einem Landkreise gehörigen Städte wird dagegen eine folche Regelung, glaube ih, ohne weitere Unzuträglickeiten zu bewirken sein; in Betreff der Stadtkreise wird sie dagegen auf große Schwierigkeiten stoßen.

In beiden Richtungen sind die Verhandlungen ohne Unterbrechung weiter geführt, sie werden noch jeßt fortgeseßt, und ih hoffe mit ziem- liber Gewißheit, in Aussicht stellen zu können, daß im nätsten Jahre ein neuer Geseßentwurf vorgelegt wird, welcher ungefähr auf folgenden Grundlagen beruhen wird; Abschaffung des Unterschiedes zwishen persönlißen und sählichen Kosten der Polizei in Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung, Uebernahme des Nacht- wachtwesens, also der gesammten Sicherheitspolizei in diesen Städten Seitens der Königlichen Polizeiverwaltung, möglichst umfangreiche Ueber- tragung von Zweigen der Verwaltungspolizei an die Gemeinden innerhalb dieser Stadtgemeinden, Zahlung eines Kostenbeitrages Seitens der Ge- meinden mit KönigliherPolizeiverwaltung und Verwendung dieses dadurch gewonnenen Beitrages zur Deckung der Mehrkosten für die Ueber- nahme des städtishen Nachtwahtwesens auf die Königliche Polizei- verwaltung und zu einer Verstärkung der Gendarmerie Behufs Nuytbarmachung derselben für die übrigen Stadtgemeinden.

Das sind Gedanken, die mir für die künftige Regelung vorshweben, die allerdings nah verschiedenen Richtungen bin einer näheren Erörterung mit den betheiligten Ressorts bedürfen. Die Verhandlungen sind im vollsten Gange, und ih hoffe, daß sie bei Beginn der nächsten Session so weit gediehen sein werden, daß ein auf diesen Grundlagen basirender Gesehentwurf dem hohen

Hause wird vorgelegt werden können, (Bravo!)