1891 / 127 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 02 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

mi für verpflihtet erahte. Ih habe aber auc gegen jeden weiteren Abänderungsantrag, der Seitens des Herrenhauses namentlich in der Kommission gestellt war, meinerseits entshieden Wider- spruch erhoben. In der Kommission des Herrenhauses sagte man: mit der orts\tatutarischen Regelung ist überhaupt nichts gewonnen, denn die Gemeindeversammlung und Gemeindevertretung wird eben derartige Beschlüsse ni cht fassen, wo es nothwendig ift, cine andere Ordnung zu treffen, als das Gefeß der Regel na& vor- geschricben hat. Immer wird in \folhen Fällen verlangt, daß Die- jenigen, welche zur Zeit ein Stimmrecht besißen, von diesem Stimmre{t etwas abgeben; dazu werden sie sich nicht ent- \chlicßen; ein folches Statut wird niemals und nirgends zu Stande kommen. Es ist auch nit zweckmäßig, diese Frage überhaupt in die Gemeindeversammlung oder die Ge- meindevertretung hineinzubringen; so etwas muß durch das Geseg geregelt werden, oder wenn man mit Rücksicht auf lokale Verbältaisse eine Aenderung zulassen will, von irgend einer ganz unabhängigen Fnastanz, von der man die unbedingteste Unparteilichkeit erwartet. Man wollte Anfangs in der Kommission die Möglichkeit eines Zwangsstatuts einführen und zwar auf Antrag des Kreis- aus\{chusses dur den Bezirksauë\{chuß, ein Antrag, der ia auc, wie ih hier sehe, in diesem Hause auf keiner Seite Anklang gefunden haben würde. G

Nun kam man aber gleichzeitig au in der Kommission und

daran knüpfte das Plenum allerdings in einer wesentlich anderen Fassung an auf den Gedanken, dur denProvinzial-Landtag gewisse Normativbestimmungen festzustellen, und zwar war der erste Gedanke, daß man provinzielle Normalzahlen feststellen oder wenig- stens die Möglichkeit der Feststellung provinzieller Normalzahlen fest- stellen, und daß man eine Definition der „Ackernahrung“ nah Maßgabe der lokalen Verhältnisse cinführen und dadurch gewisser- maßen nach den Einzelverhältnissen der Provinz diese Frage des Stimmrechts anders [regeln wollte. “Im Plenum wurde demnähst sowohl gegen diese Regelung als gegen den Beschluß der Kommission Widerspruch erhoben und wurde gesagt : wir können uns an sih derRegel nach mit dem Geseß benügen, mit der Bestimmung, wie sie in Absay 2 Nr. 1 eingeführt ist. Wir müssen aber, da allerdings in einzelnen Provinzen und in einzelnen Kreisen, ja in einzelnen Kreistheilen diese Zahlen nit passen können, die Möglichkeit geben, durch irgend eine gänzli unbetkbeiligte Instanz eine Aenderung da herbeiführen zu können, und das veranlaßte den Antragsteller, diejenige Bestimmung, welche jeßt in die Beschlüsse des Herrenhauses aufgenommen worden ist, seinerseits dem Hause zur Annahme vorzushlagen. Ich habe ihm sofort ent- gegnet, ih vermöhte niht zu übersehen, ob er lediglih eine pro- vinzielle oder wenigstens eine gleichmäßige Regelung für einen ganzen Kreis haben wolle. Darauf wurde mir in der Erklärung, die der Hr. Abg. von Rauchhaupt vorgelesen hat , gesagt: nein, es ist die Absiht dieses Antrags, daß diese Regelung erfolgen könne für den ganzen Kreis, für einen Theil des Kreises, ja, für den kleinsten Theil, für eine einzelne Gemeinde. Wir wollen aber keine ortsstatutarische Regelung, denn wir wollen niht den Streit und die Uneinigkeit über die Frage der Erweiterung des StimmreŸts oder die Beschränkung desfelben in die Gemeinde selb hineinwerfen. Wenn nun also der Hr. Abg. von Rauchhaupt sagt, es kämen da ungeheuerlihe Konstruktionen heraus, daß hier gewissermaßen ein Beschluß der Gemeinden der Bestätigung des Provinzial-Landtages unterworfen werden soll, so ist das ni cht zutreffend. Die Gemeinden sollen nah der Absihht des Herrenhauses überhaupt hierüber nicht Be- \chlü}se fassen können, sondern der Kreisausschuß soll seinerseits den Antrag stellen, und dann kann für den ganzen Kreis, für einen Theil des Kreises, ja für cine einzelne Ge- meinde eine derartige Ordnung stattfinden. Nun gebe ih Hrn. von Rauch haupt ja zu, daß der Kreisausshuß die Gemeinde- versammlung darüber hören kann und daß, wenn die Gemeindever- sammlung damit einverstanden ist, es ja für die demnächstige Be- \{lußfafung des Provinzial-Landtages ein wesentlides Moment sein würde, wenn der Kreisaus\{chuß sagt: Diese Zahlen passen niht, das erkennt die Gemeinde selber an, und deswegen bitten wir, eine Aenderung der Beschlüsse des Provinzial - Landtages eins treten zu lassen. Meine Herren, daß das aber nicht eine Be- stätigung des Ortsstatuts durch den Provinzial - Landtag ift, darüber is wohl ein Zweifel nit zulässig. Das, was das Herren- haus gemeint hat, steht meines Erachtens nah dieser Definition un- bedingt fest. Sie wollen keine ortsstatutarishe Regelung, weil e sagen: wir wollen nicht in die Gemeinde diese immerhin zur Uneinigkeit führende Erörterung über die Beschränkung des Stimmrechts, welches besteht, hineintragenz wir wollen, wenn eine Nothwendigkeit ist, eine Aenderung herbeizuführen, -diese in eine möglichst hohe Instanz legen, bei der man ganz unbedingt sicher ift, daß ledigli% objektive Gründe den Ausschlag geben, die auch eine gleiGmäßige Regelung nicht blos für einen Kreis, sondern für die gesammte Provinz in Ausführung zu bringen ge- eignet ist,

Nun, meine Herren, i& habe im Herrenhause erklärt, und ih erkläre das hier wiederum, die Staatsregierung würde ihrerseits kein Bedenken gehabt haben, wenn das Herrenhaus dem Beschluß des Ak- geordnetenhauses beigetreten wäre, auch ihrerseits diesem Beschluß die Allerhöch{ste Sanktion zu erwirken, Nun liegt aber die Sache fo, daß das Herrenhaus mit vollem Bewußtsein und ih glaube, man fann ihm nit den Vorwurf machen, daß cs etwas bes#lossen hâtte, dessen Tragweite es selbst nicht verstehe mit vollem Bewußtsein diese ortsftatutaris@e Regelung ver- worfen und statt dessen die Regelung dur den Provinzial- Landtag eingeführt hat. Ich habe ausdrücklich erklärt, daß mir dieser Beschluß au nah anderen Richtungen hin gar nicht unbedenklih er- scheint, namentlich insoweit, als er die Grenze der Herabsetzung von 1/3 auf 1/2 enthält, aber ih glaube s{ließlich mich auch meinerseits den Ausführungen des Hrn. Abg. von Dzembowski und des Hrn. Abg. von Huene nur anschließen zu können. Ich meine, es wird auch auf diese Weise eine voll genügende Möglichkeit gegeben, den besonderen Bedürfnissen in einzelnen Kreisen, Kreistheilen oder Gemeinden Rechnung zu tragen; denn wenn ein begründeter Antrag des Kreisaus\{usses an den Provinzialaus\{uß oder demnächst an den Provinzial-Landtag gelangt, so bin ic allerdings überzeugt, daß der Provinzial-Landtag diesem Antrage stattzugeben keinen Anstand nehmen wird.

Was nun die einzelnen Abänderungêanträge anlangt, die hier corliegen, so is zunächst der Antrag des Hrn. Abg. Rickert sowohl

in seiner prinzipalen aïs in seiner eventuellen Fassung meines Erachtens zurGenehmigung nicht geeignet. Ich möthte, was f einenPrinzipalantrag an- langt, ihn erinnern: es ist doch wohl ein Versehen, daß er mit solcher Animosität gegen die Gewerbtreibenden vorgeht, daß er den- selben unter keinen Umständen eine Mehrheit von Stimmen zugestehen will, au wenn die Grundbesiger sie haben, denn er will ausdrüdcklih die ganzen Absäße 3 und 4 mit streichen.

Was aber den Eventualantrag anlangt’, so habe ih das Bedenken, daß er gerade dasjenige, was das Herrenhaus vermeiden will, nämli die Beschlußfassung, die Verhandlung innerhalb der Gemeinde, seinerseits hereinbringt. Und wenn die Gemeindeversammlung das beantragt und man das nehmen will, dann ist der Weg des Orts- statuts offenbar der viel rihtigere. Also dieser Antrag ist meines Erachtens zur Genehmigung nit geeignet.

Die Anträge des Hrn. von Rauchhaupt, das habe ich wiederholt gesagt, sind nur eine Wiederholung der früheren Beschlüsse dieses Hohen Hauses in drittor Lesung. Da fragt es sich: ist überhaupt in Ausficht zu nehmen, daß das Herrenhaus dem beitritt ? JFch kann nach den Verhand- lungen meinerseits eine derartige Ueberzeugung nicht gewinnen. I glaube vielmehr, daß, namentlich wenn der Antrag des Hrn. Abg. von Dziembowski angenommen werden follte, das Herrenhaus um so mehr bei seinen Beschlüssen stehen bleiben wird und die Ueberzeugung gewinnt, daß es damit den richtigen Weg eingeshlagen hat. Was zun diefen Antrag anlangt, so bin ih nicht in der Lage, Bedenken gegen denselben erheben zu können, denn ih muß anerkennen, daß das Einschreiten des Ober-Präsidenten in Beziehung auf Beschlüsse des Provinzial-Landtages in den Gesezen lediglich auf ganz bestimmte Fälle, nämlih auf solche beschränkt ist, wo die Beschlüffe des Provinzial-Landtages die Gesege verlegen oder die Befugnisse desselben überschreiten , und da, wo der Provinzial-Landtag in seinen Beschlüssen Verpflichtungen, welche der Provinz rechtlich obliegen, nit erfüllen will, der Ober-Präsi- dent zur Zwangs-Etatisirung schreiten kann. Damit ist eine Genehmigung von Beshlüssen des Provinzial-Landtages meines Erachtens überhaupt nah der ganzen Konstruktion des Geseßes, wo es ih um die Frage der Zweckmäßigkeit handelt, niemals in die Hände des Ober-Präsiden- ten, sondern stets nur in die Ministerial-Instanz gelegt und nur da, wo es s{ch um Beschlüsse von so großer weittragender Bedeutung handelt, daß man eine ministerielle Genehmigung bei- behalten zu sollen geglaubt hat. Hier aber, wo es ih um eine auf eine Frage lediglich lokaler Natur gerihtete Beschluß- fassung über Zweckmäßigkeitsfragen handelt , die der Kreis- Aus\chuß, der Provinzial-Ausshuß und der Provinzial-Landtag voll ausreichend zu beurtheilen im Stande sind, ist es meines Erachtens niht erforderliG und mit der Konstruktion unserer Gesetze ganz ritig niht wohl vereinbar, daß die Genehmigung des Ober-Präsi- denten vorgeschrieben werde. Ih habe meinerseits gegen einen solchen Antrag im Herrenhause keinen Widerspruch erhoben, denn es ist ja immerhin eine Befugniß, welche einer Staatsbehörde einge- räumt wird. Und, meine Herren, etwas anders ist dieser Beschluß des Herrenhauses do gestaltet, als die Bestimmung des S. 86 der Kreisordnung, der er nachgebildet ist. Denn dort ift sowohl die Er- höhung, als au die Ermäßigung beschränkt auf eine be- stimmte kleinere Quote, auf ein Drittel, während hier die Ermäßigung auf die Hälfte begrenzt, die Erhöhung aber un- beschränkt ist. Aber ih wiederhole, ih habe meinerseits gegen die Annahme der Anträge des Hrn. Abg. von Dziembowski nichts zu erinnern.

Im Uebrigen möchte ich gegenüber den Ausführungen des Hrn. Abg. von Rauchhaupt, der behauptet, der bestehende Rehtszustand wäre eigentlich {on die \{önste Landgemeindeordnung, die man si wünshen könne, nicht auf weitere Details eingehen, und nur cin. Beispiel von der S{önheit dieses bestehenden Rechts- zustandes anführen, welhes mir do etwas sehr auffallend war, als es in der Kommission des Herrenhauses zur Erörterung fam. Ein Mitglied dieser Kommission führte in Betreff der Stimmenzahl der größeren Besißer in der Gemeindeversammlung ih felbst als Beispiel an und erzählte, daß ihm in der Gemeinde, an welcher sein Gut grenzt, auf Grund seines bäuerlichen Besißes in derselben 144 Stimmen in der Gemeindeversammlung zustehen. (Hört, Hört !)

Abg. Hobrecht: Dem Antrag von Dziembowski stimme seine Partei zu, er unterscheide sih nur unwesentlich von dem Beschlusse des Herrenhauses. Ferner würde sie auch heute ihrem Wunsche ent- sprechend, in Uebereinstimmung mit den Konservativen die Landgemeinde- ordnung zu Stande zu bringen, dem Antrag Rauchhaupt zustimmen, wenn sie nicht die Ueberzeugung bätte, daß sie damit das Zustande- kommen des Gesetzes überhaupt gefährde. Aus materiellen Gründen würde sie an ihrem mit den Konservativen bei der dritten Lesung geschlossenen Kompromiß festhalten, wenn sie freie Wahl hätte, aber das Entscheidende fei für se der Wunsch, das Geseß zu Stande zu bringen. Sie glaube auch nicht, daß durch den Herrenhaus- beschluß die konservativen Grundsäße verleßt würden, dean das Herrenhaus werde doch diese Grundsäße ebenso wahren, wie die Kon- servativen hier. i

Abg. Rickert: Ueber diesen Vechandlungen s{chwebe etwas, was den Uneingeweihten nit klar gemacht werden könne, Der Abg. von Rauchbaupt sei tief verstimmt, so verstimmt, daß er sogar drohe, die ganze Landgemeindeordnung in der SHlußabstimmung abzulehnen, wenn man ihm den Willen nicht thue, Was habe den Abg. von Nauchbaupt so verstimmt? Er bedauere, daß er zu den Eingewethten nit gehöre. Der Abg. von Rauchhaupt habe es für gut befunden, ibn und seine Freunde zu den VorbespreWungen nit hinzuzuziehen. Daher babe er aber den Vortheil, jeßt unbefangen über die Sache urtbeilen zu können, ohne zur weiteren Verstimmung des Abg. von Rauchhaupt beizutragen. Ein außergewöhnliher Vorgang fei es, wenn der Abg. von Nauchhaupt sage, das Herrenhaus habe es selbst nit verstanden, oder es habe nit verstanden zum Ausdru zu bringen, was es wolle, oder das Herrenhaus habe das Abgeordnetenhaus oder wenigstens den Abga. von Rauchhaupt nicht verstanden; deshalb müsse die Sache nohmals zurückgehen, jeßt werde das Herrenhaus wiffen, was der Abg. von Rauchhaupt gewollt habe. Er (Redner) habe das Herrenhaus ganz gut verstanden, nämlih in dem Sinne, wie der Minister auscinandergeseßt habe. Dieser Paragraph sei einer der wichtigsten, wenn nicht der wihtigste. Er bedauere, daß die Regierung Scritt für Schritt zurückgewihen sei, Was jeßt angenommen werde, sei bei Weitem nicht so gut, wie die Regierungévorlage. Wenn seine Partei troß der erheblihen Vershlechterung und troß der Vor-

gänge im Herrenhause für die Landgemeindeordnung eintrete, so thue

sie es in dec festen Zuversicht, daß dann die Reforrz \chneller kommen werde, als man es na dem Geseß von 1856 gesehen habe. Allerdings liege das Ortsre@t de-n Bauern mehr in den Knochen, als eine fodifizirte Landgemeindeordnung. Da liege der Haken. Die Herren wollten Ortsrecht und seine Partei wolle Landesrecht. Habe man erst Landesrecht, so habe man au den Hebel, alle jetzigen Unnatürlichkeiten zu beseitigen. Der Minister des Innern sei den Konservativen der unangenehmste Mann in der ganzen Re-

gierung, weil er die Landgemeindeordnung eingebracht habe. Aber da sie 1G nicht ganz dagegen siräuben könnten, machten sie gute Miene zum bösen Spiel und sagten tolerari posse. Seinen Freunden sei die Landgemeindeordnung immer noch lieber als der chaotishe Zustand mit dem Ortsre(t. Schlecht sei dieser Paragraph allerdings, aber nach den Erklärungen des Abg. von Rauchhaupt wolle er lieber mit den Nationalliberalen und dem Centrum gehen, als sich von ihm führen lassen, denn seine Wege seien dunkel. Un efährliher im Sinne seiner Partei sei der DerrenbausLel ln Ginge es nach ihm, so würde er sagen: Auf Antrag der Gemeindes- vertretung unter Zustimmung des Kreisaus\{@usses kann der Provinzial - Landtag das machen unter Zustimmung des Ober- Präsidenten und des Staats - Ministeriums. Er möchte den Ausnahmen so viel Hindernisse wie möglich in den Weg legen. Die Herren hätten den Minister des Innern fortgeseßt fngeariffen, weil er die Bauern dagegen verwahrt habe, daß sie nicht mit Niedrigerstehenden auf derselben Bank sigen wollten, uvd dies als Bauernhbochmuth bezeihnet habe. Aber die Herren von Kleist - Reßzow und von Wiedebah hätten im Herrenhause den Bauern das \chlechteste Zeugniß ausgestellt: sie würden sich bei der Wahl des Gemeindevorstehers nur von kleins liden persönlihen Rücksichten, nie von sachlihen leiten lassen. Es sei also nicht weit her mit ihrer Liebe zum Bauernstande und ihrer Vertheidigung desselben. Er hoffe, daß nach Annahme der Landgemeindeordnung troß der s{lechten Bestim- mungen derselben in den Landgemeinden ein neues Leben beginnen werde, daß der Bauer sich seiner Rehte und seiner Lage bewußt werden und dann mit seinen (des Redners) Freunden gemeinsam die Sthritte ergreifen werde, um diese Landgemeindeordnung zu verbessern. Seine Partei stimme daher für das ganze Geseß.

Abg. Weber (Halberstadt) hält vom geseßgeberishen Standpunkt den Beschluß des Herrenhauses für besser, als den Beschluß des Ab- geordnetenhauses. Wenn ein Bedürfniß vorhanden fei, lokale, von der allgemeinen Gesezgebung abweichende Normen festzuseßen, so set der Provinzial-Landtag die geeignetste legislative Körperschaft dazu.

Der Paragraph wird in der Fassung des Herrenhauses mit der vom Abg. von Dziembowski beantragten Aenderung angenommen. i

m §. 75 hat das Herrenhaus die Amtsdauer des Gemeindevorstehers auf 12 Jahre verlängert. Ein Kom- promißantrag (von _Dziembowski und Genossen) stellt die A ährige Wahlperiode wieder her mit der Maßgabe, daß er Gemeindevorsteher nah dreijähriger Amtsdauer auf weitere neun Jahre gewählt werden kann.

Abg. Dr. von Gneist: Die zu Schulzen geeigneten Personen seien sehr selten und sehr gesucht, weil dies ein sehr shwieriges Amt sei, und die Wahl auf zwölf Jahre würde geradezu abschreckend wirken, oder man müsse die Dienstbezüge so erhöhen, da sie einer festen Besoldung fast glei kämen, und das würde dem errenhause noch weniger annehmbar sein, als die Wabl auf sechs Jahre. Bei der Wahl auf zwölf Jahre müsse man einen unfähigen Mann, den man einmal erwählt habe, eine so lange Zeit an der Spiße der Orts- verwaltung belassen. Ueberall sei sonst die Verpflichtung zur Ueber- nahme von Ehrenämtern auf sechs8 Jahre beschränkt, und es werde feinen Eindruck von Bauernfreund\haft machen, wollte man gerade diese Lasten vermehren. Er bitte, die Schwierigkeiten, die mit einer neuen Landgemeindeordnung nothwendig verbunden seien, nit unnöthig zu vermehren und den Beschluß des Abgeordnetenhauses wieder herzustellen. 3

Abg. Freiherr von Huene: Er sei sa{lich durchaus mit dem Abg. von Gneist einverstanden, um aber dec Auffassung des Herren- hauses so weit, wie es ihm sahlich zulässig erscheine, entgegen- zukommen, bitte er, den Antrag von Dziembowski änzunehmen.

Abg. Rickert: Er bitte, nur den ersten Theil dieses Antrags anzunehmen, sodaß die Wahl auf drei Jahre beschränkt bleibe. Für den Beschluß des Herrenhauses seien dort keine sach- lien Gründe geltend gemacht worden. Man habe nur eine Bestim- mung der Kreisordnung rückwärts revidiren wollen. Man lege ja sonft auf amtlihe Autoritäten so viel Gewicht. Hier habe der Minister nun gesagt, daß außer einem einzigen Regierungs - Präsidenten und wenigen Landräthen sich alle diese Beamten für die Wahl des Schulzen auf sechs Jahre ausgesprochen Eätten. Die Befürchtung, daß das Herrenhaus sich den Beschlüssen dieses Hauses nicht fügen möchte, sei hier ausges{chlossen, weil Hr, von Kleist-Reßow selber gesagt habe, es handle sich nicht um einen prinzipiellen Antrag, sondern um einen Versuch, diese Aenderung dur{zubringen. Gelinge dieser Versuch nicht, so werde {ih eben das andere Haus fügen. Er bitte also, den ursprünglichen Beschluß aufre{cht zu erhalten. :

Darauf wird §. 75 mit dem Antrag von Dziembowski

angenommen. O BD E |

8. 109 handelt von der Oeffentlichkeit der Gemeinde- versammlung und Gemeindevertretung- Nach dem Beschluß des Herrenhauses soll eine beschränkte Oeffentlichkeit stattfinden, es sollen nur die mit dem Gemeindereht ausgestatteten Personen zugelassen werden. .

Abg. von Dziembowski beantragt den §. 109 wie folgt zu fassen: i

„Bei den Sitzungen der Gemeindeversommlung (Gemeinde- vertretung) findet beschränkte Oeffentlichkeit statt. Denselben können als Zuhörer alle zu den Gemeindeabgaben herangezogenen männlichen großjährigen Personen beiwohnen, welche sih im Besiß der bürgerlichen Ehrenrehte bcfinden und Gemeindeangehörige (8. 7) oder Stimmberecchtigte auf Grund des §. 45 Absaß 1 oder Vertreter von Stimmberecchtigten (S. 46 Ne. 1, 2 und 4) sind. Für einzelne Gegenstände u. #. w. (unvecändert).

Abg. Dr von Heydebrand und der Lasa: Der _Antrag von Dziembowski sei ihm nit annehmbar; seine Partei wünsche, nur den Stimmberechtigten das Recht zu geben , den Verhandlungen beizuwohnen. L : :

Abg. Dr. von Gneist: Er bitte, den guten alten Erfahrungen nicht entgegentreten, sondern die unbeschränkte Oeffentlichkeit einführen zu wollen. Den \{limmen Verwaltungszuständen der früheren Zeit habe der Fchr. vom Stein ein Eade dadurch gemacht, daß er die Nerantwortlickeit der Beamten und Vertrauenêpersonen eingeführt habe, die Lebensluft dieser Verantwortlichkeit sei aber die Oeffentlichs keit des Verfahrens, und zwar die unbeschränkte Deffentlichkeit. Fedes Bedenken, das man früher gegen die unbeschränkte Deffent- lichkeit gehabt habe, habe si als irrig erwiesen; j:de Einschränkung sei unnöthig und unpraktisch.

Minister des Juanern Herr furth:

Meine Herren! Wäre die Annahme des Antrages des Hrn. Abg. von Dziembowski, der zu §. 109 gestellt ist, der cinzige Differenz- punkt zwischen den Beschlüssen der beiden Häuser, so würde ih Sie um Ablehnung bitten ; ih glaube, cin aus\chlaggebenbves Ge- wicht auf die Annahme oder Ablehnung des Antrages nicht legen zu sollen.

Im Gegensaß zu dem Hrn. Abg. von Gneist habe ich früher {hon in diesem Haufe und auch im Herrenhause ausgeführt, daß ih an sih mit Rücksicht auf die von vielen Seiten geltend gemahten Bedenken meinerseits nihts dagegen zu erinnern hätte, daß sowohl bei der Gemeindeversammlung als bei der Gemeindevertretung nur eine beschränkte Ocffentlichkeit eingeführt wird.

Prinzipiellen Werth lege ih darauf, daß überhaupt diese Verhandlungen öffentlich sind; ih lege Werth darauf, daß sie nicht hinter ges{lossenen Thüren vorgenommen werden, fondern daß die Thüren ofen stehen, daß Jemand zu der Thüre hineinkommen kann wie viel und wer hineinkemmt, das i} eine mehr oder minder nebensächliche Frage.

Nachdêm aber nunmehr noch andere Differenzpunkte gegenüber den Beschlüssen des Herrenhauses vorgekommen sind, sehe id in dem Antrag des Hrn. Abg. von Dziembowski doch eine erwünschte Verbesserung, weil nah den Beschlüssen des Herrenhauses der Fall eintreten kann, daß die Oeffentlihkeit nur auf dem Papier steht und daß Niemand vorhanden ist, welcher überhaupt von dieser beschränkten Deffentlichkeit Gebrau machen könnte. Ich glaube, daß der Kreis derjenigen, die man als Zuhörer zulassen muß, ganz richtig von dem Hrn. Abg. von Dziembowski auf die unmittelbaren Interessenten beschränkt ist, und daß dur die Hinzufügung, daß nur männliche, großjährige Personen, welche im Besiy der bürgerlihen Ehrenrehte sich befinden, die Mögli(keit haben sollen, der Verhandlung beizuwohnen, jedes Be- denken in Betreff der Störung durch folche Perfonen ausgeschlossen erscheint.

Fh kann Sie daher nur bitten, den Antrag des Hrn, von Dziembowski anzunehmen.

Abg. von Dziembowski: Er habe seinen Antrag gestellt," weil nach dem Beschluß des Herrenhauses es leiht kommen könne, daß nur Diejenigen zum Zuhören berechtigt sein würden, welche ohnehin als Mitglieder der Gemeindevertretung diese Verbandlungen anhören müßten, so daß also thatsählih die Oeffentlichkeit niht bestehen würde. Diese Rücksicht sei so wichtig, daß, seiner Ansicht nah das Herrenhaus sich nicht widerseßen werde.

Abg. von Strombeck tritt ebenfalls für den Antrag von Dziembowski ein. j __ Abg. Rickert: Die Gründe des Herrenhauses seien durchaus nit dur{schlagend. Das Herrenhaus lasse ih wesentlich dur Befürchtungen vor Ruhestörungen leiten, dagegen habe aber der Vor- steher der Gemeindevertretung ohnehin genügend gefeßlihe Mittel an der Hand. Was für ein Widerspruch liege übrigens darin, daß das Herrenhaus den Gemeindevorsteber auf 12 Jahre wähle und ihm nachber niht die Macht zutraue, Störungen der Gemeindeversamm- lungen zu verhindern ! j

Abg. Dr. Krause: Seine Partei habe den Kompromißantrag zu Stande gebracht, um die Sahe dem Herrenhaufe annehmbar zu machen; dieser Antrag entspreche übrigens durchaus der sonstigen Stel - lung der rechten Seite dieses Hauses. : i

Danach wird §. 109 mit dem Antrage von Dziembowski angenommen.

Bei §. 149, welher von der erstmaligen Verleihung des StimmreŸts handelt, liegt 1) der oben bei 8. 13 mitgetheilte Antrag des Abg. von Dziembows ki, und 2) ein Antrag des Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa vor, wona, wenn die Censiten unter 900 H zu den Gemeinde- abgaben herangezogen werden sollen, es dazu eines förmlichen Beschlusses der Gemeinde bedürfen soll.

Abg. Hobrecht: Seine Freunde seien mit dem Inhalt des Antrages einverstandenz sie hielten es aber für überflüssig, eine Be- stimmung einzufügen, deren Sinn sich von selbs verstehe. Der Minister des Innern habe ja seine Zustimmung ebenfalls erklärt. Durch die Annahme des Antrages werde nur die Zahl der Differenzen mit dem Herrenhause vermehrt werden. Ohne diese praktishe Rük- sit würde gewiß der Antrag einstimmige Annahme finden.

Die Abgg. Freiherr von Zedliß, Freiherr von Huene und R ickert schließen sih diesen Ausführungen an.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa: Er hakte das Wort der Zustimmung des Ministers zu dem Inhalte des Antrages nit gehört und deswegen gerade den Antrag gestellt.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Meine Herren! Vielleiht befriedige ich Hrn. von Heydebrand mit dem Bemerken, daß ih, ganz einverstanden mit den Auffassungen des Hrn. Abg. Hobrecht, keinen Werth darauf legen würde, ob Sie diesen oder jenen Antrag annehmen, und ih für die Ablehnung ledigli das praktische Moment geltend mache, daß es niht wünsdens- werth ist, neu e Differenzen mit dem Herrenhause herbeizuführen.

Der Antrag von Heydebrand wird abgelehnt und darauf 8. 149 mit dem Antrage von Dziembowski angenommen.

Bei der Ueberschrift des Gesetzes erklärt

Abg. von Rauchhaupt: Seine politishen Freunde würden gegen die Landgemeindeordnung im Ganzen stimmen, wenn es ihnen auch nicht leiht werde. Sie seien dazu cinmal genöthigt, weil in den SS. 48 und 109 ihnen diejenigen Grundsäße, die sie für eine förder- li wirkende Landgemeindeordnung für unerläßlih hielten, nicht be- willigt seien. Ein zweiter Grund sei für sie die Erklärung des Ministers im Herrenhause. Er habe dort gesagt, daß alierdings die Absicht der Konser- vativen im Abgeordnetenhaus gewesen fei, grundsäßliche und prinzipielle Aenderungen an der Regierungêvorlage vorzur ehmen, daß aber dieseAnträge sämmtlich abgelehnt worden seien, und feine Ausführung mit der Wiederholung ges{lofsen, daß die Vorlage prinzipielle Aenderungen an den Grundfäßen nit erfahren habe. In den Zwischensätßen habe der Minister ausgeführt, daß die drei Ziele: Erleichterung der Zu- sammenlegung der Gutsbezirke mit Gemeinden, Zulassung der Nicht- Eingesessenen zum Stimmrecht und Zwang8-Zweckverbände, erreicht seien. Damit in dem Lande nicht die Auffassung entstebe, daß seine Partei diefen drei Zielen widerstrebt habe, konstatire er zunächst, daß sie diese drei Ziele voll theile und durchaus billige. Die Wege aber, um zu diesen Zielen zu gelangen, seien für sie grundsäßlih von denen des Staats - Ministeriums verschieden. Sie müsse Werth darauf legen, dur die Eiklärung des Ministers niht in den Verdacht zu kommen, daß bie Thätigkeit der Konservativen bei den Verhandlungen an den Prinzipien der Borlage nichts geändert habe und pro nihilo gewesen sei. Bei zahlreichen Punkten babe seine Partei viel- mehr ihrer Auffassung Play zu \chaffen versucht und gewußt. Zu- nächst bei der Verbindung von Gutebezirken und Gemeinden habe sie den maßgebenden Einfluß der Selbstverwaltung8organe wieder- herzustellen versucht und theilweise auch erreicht. Zweitens habe sie bei der Gemeindebesteuerung zwar zugestimmt, den Staatssteuerfuß ein- zuführen, dies aber grundsätlic dahin geändert, daß die Gewerbe- steuer der Grundsteuer nit gleichgestellt werde. Dann babe sie die niedrige Heranziehung der Waldungen beseitigt. Ferner habe se da- durch, daß sie die Heranziehung der Leute über 660 bis 900 M zu den Gemeindelasten als Bedingung des Stimmrechts herbeigeführt habe, bezügli der Autonomie der Gemeinden eine grundsäßlihe Aenderung erreiht. Dann habe sie den Häuslern ihr Stimmrecht wiedergegeben, das die Staatsregierung ihnen habe nehmen wollen, ferner habe sie das Ueber- gewicht der Angesessenen anders regulirt, als die Regierung gewollt habe. Es sei sodann die Verleihung des Einzelftimmrehts dur Orts\tatut regulirt worden, Schulze und Schöffen, die von dem Stimmret ausges{lossen gewesen seien, habe sie wieder hbineinkorrigirt, ein kol- legialer Gemeindevorstand, den die Staatsregierung gar nit gekannt habe, sei eingeführt, es fei bestimmt worden, daß die Amtsvorsleher ge- hôrt würden vor der Bestätigung der Ortsvorsteher und Sch{öffen. Die BVeschlußfähigkeit in der Urversammlung sci von der Hälfte auf ein Drittel herabgeseßt, die Beschränkung der Oeffentlichkeit wenigstens für die Urversammlung durchgeführt. Also die Behauptung des Ministers, daß die Konservativen pro nikhilo gearbeitet hätten, treffe nit zu. Sie könnten aber nit weitergehen, als sie gegangen seien, sie müßten darauf sehen, daß der Minister ihre Zustimmung zu dem Gesetze nit wiederum im Herrenhaus verwerthe, und würden sih des- halb ablehnend gegen das ganze Gesetz vcrhalten.

Minister des Jnnern Herrfurth:

JIch will cffen gestehen, ih verstehe die Deduktionen des Hrn. Abg. von Rauchaupt nit, wenn er zur Rechtfertigung des Ent- \chlufses, daß er und scine politisden Freunde gegen die ganze Land- gemeindeordnung stimmen wollen, eine Reihe von Aenderungen an-

führt, die er als erhebliwe und zwar prinzipielle Verbesserungen der Regierungsvorlage bezeichnet und von denen er den Ruhm der Verbesserung ih und seiner Fraktion zuschreibt. Jh könnte es verstehen, wenn er sagte: nachdem wir alles dies erreiht haben, stimmen wir für die Landgemeindeordnung, obwohl darin Verschiedenes uns nicht be- sonders gefällt. (Sehr wahr!) So aber muß ih sagen ver- stehe ih diese Deduktionen nicht ganz, und nahdem ih meinerseits alle diese Beschlüsse, die er angeführt hat, Namens der Staatsregierung im Herrenhause vertreten habe, ist dieser Angriff doch in etwas auf- fallender Weise ich möhte sagen improvisirt, wenn er nicht so sehr gut vorbereitet wäre. (Heiterkeit, Bravo! links und bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren! Ich will zunächst erklären: als politische Freunde des Hrn. von Kleist-Regow habe ih weder die Herren von der freikonservativen Partei, noch die Herren Nationalliberalen jemals im Gedanken gehabt; ih habe nit einmal die gesammte Fraktion der Konservativen in Gedanken gehabt, als ich jene Aeußerung gethan habe.

Meine Herren! Aber was meine Aeußerung über pcinzipielle Aenderungen anlangt, so erinnere ih daran, daß ih allerdings, und ih glaube in niht mißz uverstehender Weise, genöthigt gewesen bin, gegen gewisse Beschlüsse, welche bereits in der Kommission gefaßt worden waren, Front zu machen, sowie gegen Anträge, welche von jener Seite in der Kommission und im Plenum gestellt worden sind, und die ich nomine der Staatsregierung für unannehmbar erklären mußte. Ih wiederhole nur, wenn der §. 2 so gefaßt worden wäre, wie er nach den ursprünglien Anträgen und Be- \{chlüfsen sich gestaltet haben würde, daß aus\ch{ließlich dur Beschluß des Kreisausshusses, oder wie es hier in der ersten Lesung hieß, sogar nur auf Antrag des Kreisaus\{husses eine zwangsweise Vereinigung von Landgemeinden und Gutsbezirken mit anderen Ge- meinden und Gul!sbezirken herbeigeführt werden könne, wenn die Regelung des Stimmrechts lediglich und aus\chließlich dem Ortsfstatut überlaffen worden wäre, dann würde ich nicht in der Lage gewesen sein, Allerhöchsten Orts die Sanktionirung eines folchen Gesetzes zu befürworten.

Das sind die Fragen, die ih bei jener Aeußerung als prinzipielle in’'s Auge gefaßt hatte. Denn, meine Herren, für die übrigen von Hrn. von Rauchhaupt erwähnten Aenderungen habe ich hier in der größten Mehrzahl als Minister die Zustimmung erklärt und habe \{ließlich als Abgeordneter für dieselben gestimmt, und ih vermag nicht anzuerkennen, wenn ih sachlich für alle diese Beschlüsse im Herrenhause eingetreten bin und Beschlüsse, welche ih früher bier in diesem Hause für unannnehmbar erklärt habe, auch in dem anderen Hause als solche gekennzeihnet und deren Ablehnung für erfreulih er- achtet habe, daß das ein genügender Grund, ja nit einmal ein genügender Vorwand scin könne, gegen die Landgemeindeordnung als solche zu stimmen. (Sehr richtig !)

Meine Herren, es ist früher, als die Herren, welche heute nah jenem Vorwande suchen, für die Gemeindeordnung zu stimmen sich bereit erklärten, von ihnen doch immer uns ein „tolerari posse“ aus- gesprochen; sie haben gewissermaßen auf die Goethe'she Frage: Dir fehlt etwas? gesteh? es frei! mit Achselzucken geantwortet; „Zu- frieden bin ih, aber es ist mir nicht wohl dabei.“ Bei dem Beschlusse gänzliher Ablehnung {eint ihnen wohler zu sein.

Meine Herren, ih für meine Person habe auch, wenn ih die Be- \chlüsse, wie sie in der dritten Lesung gefaßt worden sind, übershaue, zuzugestehen, daß sie mir keineë#wegs sämmilih unbedingt gefallen; allein, wenn ih daran denke, welhe Behandlung die Vorlage in der ersten Lesung und Anfangs in der Kommission gefunden hat, so kann i das Gefühl der Befriedigung nicht unterdrücken und bin in der Lage, sagen zu können: ich bin zufrieden und mir ist au wohl dabei! (Bravo!)

Abg. Rickert: Diese Ueberrashung habe er nit erwartet, nah- dem der Abg. Graf Kani vor wenigen Tagen erklärt hatte, er werde in der vierten Lesung für die Landgemeindeordnung stimmen. Wenn seine Freunde wegen der VerschleWterungen si gegen die Vorlage erklärt hätten, so würde das verständlich sein. Seine Freunde würden für das Gesetz stimmen in dem vollen Bewußtsein, daß ihre kleine Schaar hierbei vielleicht den Ausschlag gebe. Er bitte den Minister dringend, daß ibm bei dieser Unterstüßung nicht unbeimlih werde (Heiterkeit) und er den Antheil, den seine (des Redners) Freunde an dem Zustandekommen der Reform nähmen, auf ihr Kredit schreibe und sie nicht so bald vergesse. Wer sei denn überzeugt, daß die heutigen Beschlüsse diese Sinnesänderung des Abg. von Rauchhaupt herbeigeführt hätten? §, 48 sei ersi bei der dritten Lesung in die Vorlage hinecingekommen, und bei §. 109 fei von der Kommisßon, welche unter dem Vorsitz des Hrn. von Rauhhaupt getagt habe, nit ein- mal die volle Oeffentlichkeit angefochten worden. Nicht einmal als Vorwand seien dieje Gründe gut genug, das könne keinem Menschen im Lande selbst der Abg. von Rauchhaupt weismahen. Die Konfer- vativen wüßten ganz gut, wohin fie gezielt hätten. (Beifall links.) Das Gesetz sei ja noch in den Händen des Herrenhauses. Er hoffe aber, daß troßdem im Herrenhause soviel Verständniß für die Be- dürfnisse des Landes vorhanden sein werde, daß diese Vorlage troydem in das Gesectblatt kommen werde.

Abg. von Rauchhaupt: Bei §. 48 habe seine Partei den Standpunkt, den sie jeßt einnehme, immer vertreten und nur im “nteresse des Kompromisses diefen Standpunkt etwas zurückgedrängt.

Abg. Richter beantragt Angesibts der politishen Bedeutung, welche die Gesammtabstimmung über das ganze Geseß jeßt gewonnen habe, dieselbe namentlih vorzunehmen.

Dieser Antrag wird von den Nationalliberalen und darauf auch von den Konservativen unterstüßt.

Die namentliche Abstimmung ergiebt die Annahme des Gesezes mit 206 gegen 99 Stimmen. Gegen das Geseß stimmen geschlossen die Konservativen, ferner die Abgg. von Schalsha und Spangenberg; für das Geseß stimmen die Freisinnigen, die Nationalliberalen und die Polen geschlossen, ferner das Centrum und die Freikonservativen mit den be- zeihneten Ausnahmen, endlih die Abgg. von Köller und Cremer- Teltow.

SWhluß 4 Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

Ueber die wirthschaftlihen Verhältnisse im Jahre 1890 läßt si der Zahresberiht der Handelskammer zu Off en- bach a. M. wie folgt aus: i ;

Die Gestaltung der wirthschaftlichen Verhältnisse im Jahre 1890 bat die Anschauung bestätigt, daß der Höhepunkt des seit mehreren Fahren im Gange gewesenen allgemeinen wirthschaftlichen Auf- \hwungs erreicht sei. In feinem Gesammtergebniß mag indeß au wobl das Jahr 1899 noch nicht als eine Etappe wirthschaftlichen Rückschrittes anzusprehen sein; es {eint vielmehr, wenigstens na der industriellen Entwickelung in unserem Bezirk zu urtheilen, daß die gewerbliche Produktion im Großen und Ganzen mit dem gleichen

Erfolg gearbeitet hat wie im Jahre 1889, und daß es im Allgemeinen zum Mindesten gelungen ist, den früheren Stand zu behaupten, hier und da auch noÿ die in normalen Zeitläufen aus dem eigenen natür- lihen Watsthum der gesammten Volkswirthschaft sich ergebende Er- weiterung troß mancerlei Ungunst der Verhältnisse durchzusetzen.

Für diese Auffassung \spribt vor Allem die Thatsache, daß, neben allerdings nicht unbedeutenden Ausfällen in den Rohwaaren-Importen einzelner Industriezweige, nah Auêweis der Anschreibungen des Kaiser- lichen Stalistishen Amts über die Ein- und Ausfuhr-Mengen in anderen Branchen und zwar vielfa auch in solen, in welchen ein Stillstand oder gar ein Rückgzang in der Ausfuhr zu verzeihnen war, ein fort- \chreitend größerer Verbrau an Rohwaaren für diese Jadustrien statt- gefunden bat. Auch die Berkehrs-Statistik läßt darauf \{ließen, daß zum Wenigsten eine Verminderung des Waaren-Austausches im Jahres- durchscnitt nicht zu verzeichnen war. Während nämlich die Seepläße zum Theil eine erhebliche Erweiterung des Waaréenverkehrs zu ver- zeihnen hatten, welche die Handelskammer Hamburg ausdrücklich u. A. au auf die gesteigerte industrielle Thätigkeit in den Kulturstaaten zurückführen zu müffen glaubt, haben auch die im „Heichs-Anzeiger“ zur Veröffentlihung gelangenden Zusfammenstellungen der Betriebs- ergebnisse deutsher Eisenbahnen eine weitere Steigerung des Gesammt- Güterverkehrs im Jahre 1890 gegen die Ergebnisse des Jahres 1889 nacbgewiesen. Desgleichen ließen die weiteren Symptome für die Beur- theilung der wirthscaftlihen Entwickelung im Jahresdurhschnitt das Jahr 1890 als seinem Vorgänger ebenbürtig ersheinen. Die elementaren Kräfte im Dienst des Maschinenwesens sind in nit minder lebhafter Thätigkeit in Anspruch genommen gewesen als im Vorjahre, wie einer- seits die NaGweisung der Ein- und Ausfuhrmengen in Maschinen und Mascinentheilen und andererseits die fortgeseßt starke Beschäftigung der Montan-Industrie bei steigenden Marfktpreisen für ihre Produkte zeigten, und dementsprehend hat \fich auch der Bedarf an Arbeits- leistungen der menschlichen Hülfékräfte im Durschnitt nit verringert, was ja au die Strikestatistik mit ihrem Nachweis einer fortgesetzt lebhaften Bewegung auf dem Gebiet der Lohnkämpfe, wie sie nur in wirthshaftlich günstigen Zeitläufen einzutreten pflegt, zu bestätigen geeignet ist. i

Wenn vorhin von mancherlei Ungunst der Verhältnifie die Hede war,

welche zu überwinden gewesen ift, fo gilt dies vor Allem binsichtlih der Preisbildung, die zumeist zu Lasten der gewerbliwen Produktion vor sih ging. Während nach den gleichfalls vom Kaiserlichen Statistischen Amt veröffentlichten Großhandelspreisen wihtiger Waaren an deutschen Plägen für die meisten Rohstoffe der Industrien im Jahresdur{schnitt gegen das Vorjahr eine weitece Steigerung der Preisansäne, namentlich auch binsihtlich der für zahlreiwe Branchen so wichtigen Steinkohle, eingetreten ist, entsprach dieser Erscheinung durchgängig keineswegs die gleihe Bewegung in den Fabrikatpreisen. Dabet wurde der Weltmarkt durch politische und wirth\chaftliche Störungen an vershiedenen Punkten stark beunruhigt. In dieser Bezichung is zunähst an die neue Zollgeseßgebung der Vereinigten Staaten von Nord - Amerika und an die in den einzelnen Gebieten von Süd - Amerika einanber ablösenden politischen Wirren und Krisen zu erinnern, welche das Geschäft mit diesem Welttheil stark beeinträhtigten. Insbesondere aber wurden die Schwierigkeiten der in den leßten Jahren erheblich kostspieliger geworderen Lebenshaltung weiter Kreise der Bevölkerung, wel(e dur den frühzeitig eingetretenen harten Winter mit seinen erhöhten Anforderungen an den Haushalt jedes Einzelnen noch ver- \{ärft wurden, \chwer empfunden. Dieselben führen auf der einen Seite nothwendiger Weise zu einer weiteren Vertheuerung der durch die fortgeseßt steigenden staatsseitigen Anforderungen zu Gunsten der Arbeiter schon so wie so niht unbedeutend belasteten nationalen Arbeit un» s{chwächen auf der anderen Seite fortgeseßt die Kaufkraft der Menge, sie üben somit eine doppelt ungünstige Wirkung für die industrielle Produktion aus, Wenn troy alledem auch das Wirthschaftsjahr 1890 für die industrielle Produktion noch nicht als unbefriedigend bezeihnet zu werden braucht, so ist dies ohne Zroeifel nur ermögliht worden durch Anspannung aller Kräfte und ausgiebigste Benußung aller Hülfs- mittel, wie sie kaufmännisder Geschäftsgeist, Kapital und tehnische Kenntnisse in Verbindung mit den rationellsten Betriebseinrihtungen für die Fabrikation darbieten. Der Verfolg des Wirthschaftsjahres 1890 zeigt indeß im Einzelnen, wie eine das nicht ungünstige Ge- sammtergebniß bedingende regere Geschäftsthätigkeit in Handel und Gewerbe hauptsächlich nur in der ersten Jahreshälfte herrschte, im weiteren Verlauf dagegen bereits eine rückscrittlihe Tendenz der wirthshaftlihen Entwickelung vorhanden war. Dies geht unseres Erachtens in unzweifelhafter Weise aus den im „Reichs-Anzeiger“ veröffentlichten Monatsausweisen der Verkehrs - Statistik deutscer Eisenbahnen hervor, welche in den leßtea Monaten des Jahres 1890 aus dem Güterverkehr stets höhere Mindereinnahmen nahwiefen, als sie dur die Verkehréstörungen in Folge der Witterungsverhält- nisse gere{chtfert gt erscheinen.

Zur Arbeiterbewegung.

Ueber den Ausstand der belgishen Bergarbeiter wird der O Sn Widerspruch mit dem gestern mitgetheilten Bericht der „Köln. Z.“, unter dem 31, Mai aus Brüssel berichtet :

„Trotz aller Abmahnungen der Arbeiterpresse verbarren die Berg- arbeiter des Beckens Charleroi im Ausitande und fordern unent- wegt die Verkürzung der Swhichtzeit, die Erhöhung oder wenigstens die Aufrechterhaltung der jeßigen hne. Noch find im Been Charleroi 20 465 Bergarbeitec und im Mittelbecken 1700 Bergarbciter ausftändig, Die Zechen lehnen jedes Zugeständniß unbedingt ab. Der Bergarbeiterverband des Beckens Charleroi i|ff gut organi- firt ; die Kasse der „Ritter der Arbeit“, zu welher Jeder der 25000 Bergarbeiter außer dem Eintrittsbetrage von 5 Fr. monatlich einen Franken \{on seit Jahren beizusteuern hat, gilt als gut gefüllt. Man ift also nit in der Lage, über die Dauer des Ausstandes irgend etwas zu bestimmen.“

Fn Völklingen fand, wie die „Saarb, Z“ mittheilt, am 31. Mat eine Versammlung von Mitgliedern des Rehtss{chußvereins statt, in welher der abgelegte Vertrauenêmann Doerr und ficbzig Bergleute ihren Austritt aus dem Rehtsschußverein erklärten. Aus B ild t ock wird gemeldet, daß außer Doerr au der NVertrauenémann des Rechtsschußvereins und Grubenausshußmitglied Andreas Peter von Neunkirhen aus der Arbeit entlassen worden ist.

In Hamburg wurde nach einer Mittheilung des „H. C.“ in der letzten Sißuna des Evangelisch-sozialen Arbeiter-

! Vereins folgende Resolution mit allen geg:n eine Stimme gefaßt:

„Der evangelisch-soziale Arbeiterverein spricht sich, ohne damit ein Urtheil über den Tabakarbeiter - Strike fällen zu wollen, dahin aus, daß es weder im Interesse der Gesammtheit noch auch nur in dem- jenigen der Arbeitgeber liegt, Arbeiter wegen ihrer Theilnahme an gewerkschaftlißen Vereinen zu entlassen, ebenso wie der Verein das Verlangen der organisirten Arbeiter mißbilligt, daß die Arbeitgeber diejenigen Arbeiter entlassen sollen, die sh den Bestrebungen der organisirten Arbeiter nit angeshlofsen haben,“

Eine öffentlihe Versammlung der Quai-Arbeiter Ham- burgs fand, nah demselben Blatt, am Sonntag Morgen in Jacobs Tivoli statt. Es wurden in erster Linie die neuen Arbeitsordnungen, die scit dem 19, Mai d. I. an den s\tädtischen Quaibetrieben in Kraft getreten sind, durhberathen und mit einigen Ab- änderungen und Streichungen, die dem Arbeiteraus\{uß zur Ge- nehmigung unterbreitet werden sollen, unter Vorbehalt angenommen, Die Bestimmung, daß die Quai ‘Arbeiter si ihren Vorgeseßten gegen- über eines anständigen und höfliwen Benehmens zu befleißigen haben, soll auch im umgekehrten Fall Anwendung finden. Ferner soll die Wählbarkeit zu vem Elfer-Ausschuß niht von einem dreißigjährigen Alter und von einer dreijährigen Wirksamkeit an den Quais ab- hängig gemacht werden _u. st. w. Sodann wurde die Entlassung einer beträhtlihen Anzahl Quaiarbeiter, die die Arbeit8ordnungen wegen ihrer verschiedenen Mängel nicht hatten unterschreiben wollen, einer sehr