1891 / 136 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

i ati E a Deter r E BI t R ermn R L Mi A D g e A R E rge B 1A C D Lar S ENRÓ Bi É Ati P E L I G M H, ia ifi A: L Er B ER I E Lte m

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erfüllt hätten. Sei die deutsche Landwirthschaft „potent genug, um den Verbrau Deuts{lands aus eigener Kraft zu decken?* Man baue jeßt niht mehr, sondern weniger Brotkorn in Deutschland als 1879. Deutschland fei nicht unabhängiger, sondern abbängiger geworden vom Ausland. Die Verarmung des Ostens und die Bevorzugung des Westens seien die Folgen der SchutzolUpolitik. (Lachen rechts.) Man habe seit 1878/79 allein in Bezug auf die Zölle die Lasten er- böht von 22 auf 74 J pro Kovf der Bevölkerung. Das sollte die Regierung do stuzig machen. Die Herren von der Rechten fürchteten denn au, daß der Bogen zu \traff gespannt sei. Im Gegensaß zum Reichskanzler meine seine Partei, daß die Getreidezölle kein Objekt für Handelsverträge und für die Finanzen seien. Diese ganze Politik hänge vom Regen, von Frost, von Wind und Wetter ab. Auf eine solche Politik könne man aber nicht die billige Ernährung eines ganzen, großen Kulturvolkes aufbauen. Im Parteiinteresse könne seine Partei ja nur wünschen, daß die Regie- rung recht lange und zähe bei ihrem Widerstande verharren möge. Um so mehr würde dann das Gebäude zusammenfallen, wenn die Noth unerträglih geworden fei. Hr. von Bennigsen habe #. Zt. davor gewarnt, daß die Agrarier die Getreitezölle auf eine un- gemessene Höhe brächten; ein paar unglückliche Ernten könnten das ganze Gebäude zum Schaden der Landwirthschaft zu Falle bringen. Der Reichskanzler habe gemeint, eine Regierung müsse auch gegen den Strom {chwimmen können, selbs wenn der Strom der Agitation noch wachsen sollte, Seine Partei erwarte aber, daß die eigene Ueber- zeugung die Regierung über kurz oder lang dahin bringen werde, mit diesen Getreidezöllen aufzuräumen. (Beifall links, Zischen rets.) Abg. Freiherr von Erffa: Seine Partei lehne es nit ab, in eine Besprechung dieses Antrags einzutreten, weil sie der freisinnigen Presse die oft gehandbabte Methode abschneiden wolle, als ob diefer Antrag geeignet sei, der konservativen Partei Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten zu bereiten. Wenn die Regierung zu der Ueber- zeugung gekommen wäre, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Brotfruht innerhalb der nächsten Zeit mit Schwierigkeiten verknüpft sein würde, daß ein Nothstand vorhanden oder au nur zu befürchten sein würde, und wenn die Regierung die Herabsetzung oder Aufhebung der Getreidezölle beantragt hâtte, so würde die Landwirthschaft in threr großen Mehrheit und die konservative Partei das von ihr geforderte Opfer bereitwilligst getragen haben. Wenn aber die Regierung dur ihre Informationen zu der Ueberzeugung gekommen fei, daß eine Schwierigkeit in der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Brotfrucht nicht zu besorgen sei, wenn die Ernteaussihten nit so {hlecht seien, wie sie der Abg. Rickert hinstelle, wenn sie ferner die Ueberzeugung gewonnen habe, daß bei dieser erheblihen Steigerung der Getreidepreise der einheimishe und internationale Getreidehandel eine kleine Rolle spiele (hôrt, bôrt! rechts), fo sei es nah Ansiht seiner Freunde ihre Pflicht, dem Drängen gewisser Parteien auf Herabseßung und Aufhebung der Getreidezölle nicht nachzugeben und der Landwirthschaft \chwere Schädigungen zu ersparen. Die Landwirtbschaft habe ja in den nähsten Wochen und Monaten nichts zu verkaufen, Es sei deshalb eine Unwahrheit, wenn behauptet werde, daß die Landwirthschaft und die Großgrundbesißer von den augenblickliten hohen Preisen Nutzen zögen. Die Sozialdemokraten hätten ihre Protestversammlungen hier in Berlin niht unter der Devise: „gegen die Junker und Brotvertheuerer“, sondern unter der Devise: „gegen die internationale Spekulation“ einberufen sollen, (Sehr richtig! rets.) Die Schutzollpolitik habe erreiht, daß die Landwirth: schaft niht bankerott geworden sei, (Zustimmung rechts!) und daß der deutshe Bauer noch heute die Regierung unterstüßte und das einzige Bollwerk gegen die Sozialdemokratie sei. (Beifall A Der Abg. Rickert meine, daß wir eine {chlechte Ernte zu erwarten hätten. Mit diesec Ansicht habe er der Versorgung Deutschlands mit Brotfrucht keinen guten Dienst geleistet. Er (Redner) halte diese Ernte nit für so \ch{lecht. Jedenfalls müsse man das Gnde der Ernte abwarten, und er danke der Regie- rung, daß sie die Landwirthschaft davor bewahrt habe, diese Mittel- ernte auch noch zu Sc{hleuderpreisen zu verkaufen. In ihrer bekannten Selbstshäßzung erklärten die Herren das Material der Regierung für falsch. Wenn die Regierung, welhe ihre Mittheilungen von den Zollämtern, den Schiffsrhedern und Konsulaten beziehe, troßdem sage, daß sie für die Zuverlässigkeit dieses Materials nit einstehen könne, so sei es für cine Privatperson und für eine Partei, au wenn sie vielleiht nahe Beziehungen mit der internationalen Speku- lation haben sollte, (schr gut! rechts), absolut unmögli, ein zu- verlässigeres Material zu erhalten. (Zustimmung rechts.) Dies be- weise, daß es der freisinnigen Agitation viel weniger um die Er- nährung und Versorgung des Volkes mit Brotfrucht zu thun fei, als um eine lebhafte politis#e Agitation. (Beifall rechts.) Die freisinnige Partei möge doch ehrlih eingestehen, daß sie den Moment für geeignet halte, um das jeßige Wirthschafts- system über den Haufen zu werfen und zu dem geliebten Freihandel zurückzukehren. Was sollten solche maßlosen Uebertrei- bungen, wie sie sich z3. B. das „Berliner Tageblatt“ in dem Abdruck eines Gedichts leiste, worin es zum Schluß heiße: und als das Brot gebacken war, da lag das Kind auf der Todten- bahr! (Zuruf des Abg. Richter: Altes Volkslied!) Das wisse er au, aber es fei hier niht am Plage. Man wolle eben durch starke Ausdrücke die Schwäche der Beweisführung ersetzen. Nur unter einer groben Fälshung der Wahrheit und der öffentlichen Meinung könne die freisinnige Partei aus der jetzigen Preis- steigerung einen allgemeinen Nothstand der gesammten Arbeiterbevöl- kerung herleiten in einem Augenblick, wo große Arbeitergruppen auf den Rath i5rer gewissenlosen Führer in leihtsinniger und frivoler Weise troß der hohen Löhne Arbeitseinstellungen anfingen. (Abg. Nichter: Wo denn?) In Bochum. Da der Abg. Richter au pro- vozire, so müsse er (Redner) etwas auf die „Freisinnige Zeitung“ ein- gehen. Er könne threm spiritas rector, dem Abg. Richter, ein gewisses Mitleid niht versagen wegen der großen persönlichen Niederlage, die er in dieser Frage erlitten habe. Wenn man, wie der Abg. Ri@ter, Sonntag Nachmittag auf dem Frankfurter freisinnigen Parteitag unter dem rauschenden Beifall der treuen Gefolashaft die Suêpension der Zölle für die allernächsten Tage in sichere Aussict gestellt habe, und dann am Montag Morgen, noch mit dem frischen Frankfurter Lorbeer um die olympishe Schläfe, vom Minister-Präsidenten erfahren müsse, daß eine Suspension der Zôlle nicht stattfinde, so sei das geeignet, recht unangenehme Gefüßble zu erweden. (Heiterkeit.) Er wolle deshalb mit der „Freisinnigen Zeitung“ nicht so abrechnen, wie sie es cigentlih verdiene. Die rreisinnige Presse übersehe ganz die Statistik der legten 30 Jahre, sonst würde sie zu der Ueberzeugung kommen, daß die jetzigen Preise, die die Konservativen ja ebenso wie die Freisinnigen als etwas Uner- wünschtes betrahteten, nibt so unerbört fecien. Von 1350 bis 1889 sei der Jabresdurhs{nittêpreis des Weizen in Preußen 9 Mal, der des Roggen 7 Mal höber gewesen, als er jeßt sei. (Hört! rechts.) Von diesen 9 Malen komme ein großer Theil auf die Aera des alleinseligmahenden Freihandels. (Hört! rets) Warum komme denn der Abg. Rickert erst jeßt mit seiner Fürsorge Bevölkerung? Er habe ibm (Redner) früber geantwortet: „Ja, wo waren Sie habe damals noch nit im öffent und seine Partei habe feiner Io! also au für das Nichtvorhandensein desselber bringen brauen. Dabei babe das Geld unt einen bedeutend höheren Werth gehabt und ici: bedeutend niedriger gewesen als jeßt. (Zuftimmu daß mit der Suspension der Getreidezölle dic Lebenên sofort sinken würden, seien die Herren den Beweis schuldig get Der Unterschied im Preise nah Aufhebung der Zölle würde der Spe: fulation, nicht den Konsumenten zu Gute kommen. Die Freisinnigen bewegten fich immer in dem Irrthum, daß die Brotvreise den (T treidepreisen folgten. (Zwischenruf des Abg. Rickert.) Er habe das wiederholt dem Abg. Rickert gesagt, und bedauere, daß es nicht haften geblieben sei. (Heiterkeit.) Seine Partei sage dagegen, daß die Brot- und Fleishpreise niht den Getreidepreisen folgten; ¿. B, dürfte bei cinem Fleischpreise von 30 46 pro Doppelzentner Lebend-

gewiht das Pfund Schweinefleis® im Detail nicht mehr als 55 „Z kosten, es koste aber in Wahrheit 70—80 S. Aehnliche Differenzen beftänden zwishen Getreide- und Brotpreisen. Die Gewerbefreiheit, die Aufhebung der Mahl- und S(la(tsteuer hâtten die Detailpreise nicht \o herabgeseßt, wie man es erwartet habe. Die Freisinnigen verhielten sich vor und na der Rede des Minister-Präsidenten vom 1. Juni inkonsequent; ihnen sei es viel mehr um Partetagitation, als um die Versorgung des Volkes mit Broftfruht zu thun. Vor jener Erklärung sei die Regierung wegen ihrer Unsicherheit gegenüber dên Getreidezöllen getadelt worden, weil fie den Handel lahm lege und den Getreideimport hindere. Der Abg. Alexander Meyer habe in einer Versammlung das große Wort gelassen auêsgesprochen: „Wir sind 28 Jahre lang an fehlerhafte Regierungshandlungen gewöhrt, aber sie wurden mit Sicherheit be- gangen ; Feblerhaftigkeit und Unsicherheit zugleich aber sind nicht zu ertragen.“ (Heiterkeit.) Nachdem aber der Minister-P-äsident unter voller Verantwortung der Regierung erklärt habe, sie ginge auf keine Aufhebung der Zölle ein, sodaß man sich von ihrer Entschlossenheit habe überzeugen können, hätten die Freisinnigen wieder Zweifel daran erregt, daß die Regierung an diesem Beschbluß stand- haft festhalten werde. Gerade dadurch brähten die Freisinnigen Unsitberbeit in die Verhältnisse des Handels. (Sehr richtig! rechts.) Mit Amsterdam solle der Abg. Rickert niht kommen. In dem Wochen- beriht des größten Handelshauses in Amsterdam von gestern heiße es: „Jedenfalls tragen die Zollfragen nicht zur Stabilität und zum nor- malen Stande des Verkehrs bei. Es unterliegt keinem Zweifel, e wenn nicht eine Zollermäßigung von gewisser Seite stets als not

wendig in Ausficht gestellt würde, der Handel die nöthigen Jm- porte nicht unterlassen hätte. Bei unseren deutschen Nachbarn foll die Regierung gut machen, was zum großen Theil der Handel felbst verschuldet hat.“ (Hört! bört! rechts) Wenn es der frei- sinnigen Partei mit ihrer Fürsorge, die arbeitenden Klassen mit Brot zu versorgen, wirkli ernst sei, so möchte er sie dringend bitten, mitzuhelfen, daß die ungesunde Spekulation der Minister- Präsident habe neulich gesagt, daß die Ee Spekulation im Ge- treidegeshäft nur bei \{chwankenden Verhältnissen prosperiren könne einer ruhigen Entwickelung des Handels Plaß mache. Das könne sie am Besten erreichen, wenn sie endli der demagogishen Pro- paganda in ihrer Presse und ihren Versammlungen ein Ende mae. Dadurch werde nur der Klassenhaß geshürt, aber dem Wohl des Baterlandes nicht genügt. (Lebhafter Beifall rets.)

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Meine Herren! Nath der Direktive, die der Herr Ministe: präsident gegeben bat, werde ich mich auf die Diskussion der in den Vorder- grund getretenen zollpolitischen Fragen nit einlafsen, mich vielmehr darauf beschränken, das statistishe Material, soweit wir es zu geben im Stande sind und soweit es sich auf die vorliegende Frage bezieht- mitzutheilen. Vorweg habe ih jedoch eine persönlihe Bemerkung gegenüber dem Hrn. Abg Rickert zu machen. Er citirte meine Worte vom 27. Mai 1891 und fuhte mich in Gegensay zu seßen bei meiner jeßigen und früheren Beurtheilung der Verbältnisse durch Hervor- hebung des Umstandes, daß ih im Jahre 1887 einen Antrag auf Erhöhung der Getreidezölle mit untershrieben habe. Ich gestehe, daß mir die näheren Umstände, unter denen der fraglihe Antrag ein- gebraht wurde, augenblicklich nicht gegenwärtig sind. Wahrscheinlich bin ih als Mitglied der Fraktion unter dem von der Fraktion ge- stellten Antrag aufgeführt, da ih bereits 1887 mih an den Verhand- langen des Hauses nur noch wenig aktiv betheiligt habe, weil ih anderweit zu sehr in Anspruch genommen war. Das nebenbei. Wenn jcdoch im Hinblick auf den Antrag de 1887 der Hr. Abg. Rickert mic die Berehtigung dazu abgesprocken hat, daß ih am 27, Mai von der Unsicherheit der Verhältnisse gesprochen babe, welhe von anderer Seite dadurch hervorgerufen sei, daß die Aufhebunz der Kornzölle gefordert wird, so mae ich darauf aufmerksam, daß es ein wesentliher Unterschied ift, ob ein derartiger Zollantrag in einem Moment, wie im Jahre 1887, wo keine außergewöhnlihen Verhältnisse bestanden, diskutirt wird oder ob dies geschieht in einem Moment, wie dem gegenwärtigen, wo gleichzeitig die Frage in den Vordergrund gestellt worden ist, ob unser Land bis zum Eintritt der nächsten Ernte Brodfrutt genug haben wird oder ob ein Mangel daran mit allen Konsequenzen des Mangels an Brodfruht bei uns in Aussicht steht. Ih habe in einer späteren Bemerkung, am 27. Mai, die der Hr. Abg. Rickert auch hâtte beachten können, ausdrücklich mißbilligt, daß man gerade im gegenwärtigen Moment mit der Forderung der Aufhebung der Kornzölle hervortritt, weil dadurch die Versorgung des Landes mit Brodkorn erschwert wird. Dies halte ich aufrecht, weil man dem Auslande dadurch den Glauben beibringt, es wäre bei uns nit so viel Frucht vorhanden, wie für die Ernährung unseres Volkes nothwendig ist.

Hr. Nickert hat sich ferner, anknüpfend an die Worte des Abg. Richter vom 27. Mai, mit den amtlihen Saatenstandsberichten und überbaupt mit der Erntestatistik beschäftigt und gewünscht, Auskunft in der Beziehung zu erhalten, welherlei Aussihten bezüglich der Ernte des laufenden Jahres bestehen. Meines Erachtens ist auch die eigentlih akute Frage, welche zu diesem Antrag und zu der gegenwärtigen Diskussion VeranlÎfsung gegeben hat, der Ausblick auf die nächste Ernte, von nicht erhebliHer Bedeutung. Meine Herren, ih erkenne vollständig an, daß durch die Spekulation dauernd hohe Preise nicht geschaffen werden können, ih erkenne ferner an, daß wir vorausfi{chtlich auch ferner noch hohe Preise behalten werden. Aber das, was wir im Herbst ernten werden, kann auf die Frage: Haben wir dea Bedarf zur Ernährung der Bevölkerung bis zur nächsten Ernte? nicht von entsheidendem Einfluß sein, sondern nur auf die Preisbildung im Ganzen, und da notiren Herbsttermine niedriger, wie die laufenden.

Um nun in diese aufgeregte, wenigstens im Beginn der Auf- regung befindlihe Diskussion einige ruhige Erwägungen hinein- zutragen, möchte ich, anknüpfend an die Wünsche des Hr. Abg. Rikert bezüglih der Mittheilung der Ernteaussichten, die ganze Frage unserer Erntestatistik etwas näher erörtern, weil ih glaube, daß das, was von der Regierung auf diesem Gebiete verlangt wird, möglicherweise zu weit geht. Ich bin der Ansiht, daß amtlihe Kundgebungen und Mittheilungen über voraussihtlihe Ernteergebnisse sich nur bewegen dürfen in gleihbleibenden, fich stetig zu bestimmten Zeiten wieder- holenden Mittheilungen, daß man aber in einem Moment, wie dem gegenwärtigen, wo man gerade ad hoc bestimmte Ermittelungen baben will, Bedenken tragen muß, folche Ermittelungen übereilt an- ¿uftellen und in die Diskussion mit amtlicher Autorität Prophezeiung über Ernteaussihten hineinzuwerfen, die sich mögliherweise niht be- stätigt. Deshalb habe ih mich au am 27, Mai sehr vorsichtig geäußert.

Unsere ganze Erntestatistik baut sich folgendermaßen auf. Wir baben zu untersheiden zwishen Preußen und dem Reih. In Preußen

werden im Juli jeden Jahres von den landwirthschaftlihen Vereinen die Ernteaussihten des laufenden Jahres mitgetheilt, und zwar nach

Prozenten einer Mittelernte. Diese Ernteaussihten werden vom Statistischen Bureau etwa zum 15. August veröffentliht. Dieselben ergeben naturgemäß noch kein klares Bild, sondern bieten dem Kauf- mann oder dem, der si fonst dafür interessirt, bloß einen ungefähren Anhalt, wie die landwirth\chaftlihen Kreise den Ernteausfall beurtheilen, Dann werden Ende Oktober in Preußen die vorläufigen Ernte- ergebnisse wiederum von den landwirth\chaftlihen Vereinen ermittelt, und zwar durch Probedrusch die Hektarerträge an Getreide. Auf Grund dieser Angaben wird vom ftatistishen Bureau der Jahres- ernteertrag vorläufig berechnet. Das Ergebniß dieser vorläufigen der Oktoberermittelung wird gewöhnlich im November mit- getheilt ; es ist für das Jahr 1890 am 20. November 1890 mitgetheilt worden, es wird zur Kenntniß allen Herren, die si füc die Angelegenheit interessieren, gelangt sein. Es ist um auf das laufende Jahr ein- zugehen in der Nr. 20 der Statistishen Correspondenz gegenüber- gestellt der Gesammtertrag nach der Oktoberermittelung im Jahre 1889, der Gesammtertrag nach der Oktoberermittelung im Jahre 1890; dann ift weiter mitgetheilt, wie sich der Gefsammtertrag dieser vorläufigen Ermittelungen nah zehnjährigem Durchschnitte zu dem definitiven - Ergebniß der Ernte stellt, und bieran angeshlossen, wie sich hiernach voraussihtlich das definitive Ergebniß der Ernte für das Jahr 1890 gestalten wird. Zum besseren Ueberblick is noch das definitive Ergebniß des Jahres 1889 daneben gestellt. Nun, meine Herren, ist es bekannt, daß die vorläufigen Ermittelungen im Oktober immer sehr viel höher {sind als die definitiven Ermittelungen. Der S{hwerpunkt dieser Oktober- November-Mittheilungen liegt deshalb nicht in dem Ergebniß der Oktoberermittelung, sondern in dem gleich daran geknüpften Sé@luß auf das definitive Ergebniß der Ernte, Um dies zu erhalten, wird im Februar jeden Jahres, und zwar auf Veranlaffung des Bundes- raths, im Reih eine Ernteertragsermittelung gemacht, und zwar dur die Ortsbehörden in jeder einzelnen Gemeinde. Das Material soll Seitens der einzelnen Staaten im Juni an das s\tatistishe Reichsamt eingereiht werden, wird von diesem aufgearbeitet und das Resultat seit 1884 in dem Monatshefte des statistishen Amts vom Juli veröffentliht. Also nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge konnte Niemand er- warten, daß er früher über das definitive Resultat der Ernte des Jahres 1890 Auskunft erhalten würde, als eben durch das Juliheft dieses Jahres.

Ich bin jedoch in der Lage, heute \{chon die definitiven Ernte- ermittelungen für das Jahr 1890 angeben zu können, und zwar zu- nächst für Preußen; ih werde mih dabei auf die Hauptbrotfru{t und auf die Kartoffeln beschränken. Nah der von mir erwähnten Mittheilung der Statistishen Correspondenz für Preußen vom 20. No- vember 1890 war für 1890 der vorausfihtlihe Ertrag an Winter- weizen angegeben ich gebe überall abgerundete Zahlen auf 13 758 000 Doppelzentner gegenüber dem im Oktober vorläufig er- mittelten Betrage von 16 378 000 Doppelzentnern. Gegenüber dem endgültigen Ergebniß pro 1889 von 12200000 Doppelzertnern Weizen beträgt für Preußen das endgültige Ergebniß pro 1890 auf Grund der Februaraufnahme 13 961 000 Doppelzentner, also un- gefähr 200 060 mehr wie die Oktobershätzung.

Für Winterroggen stellt fih tas Ergebniß so, daß im November v. J. unter Zugrundelegung des Umstandes, daß das definitive Er- gebniß der Ernteshäßung gegenüber der Oktoberermittelung 74,9 % nach zehnjährigem Durchschnitt beträgt, angenommen wurde, daß pro 1890 auf einen definitiven Ertrag von 37 180 000 Doppelzentnern zu rechnen sein werde. Nah dem jeßt vorliegenden Resultat der Februaraufnahme ift der definitive Ertcag an Roggen auf 38 646 000 Doppelzentner ermittelt.

Während somit beim Roggen das definitive Ergebniß die Schäßung im November um 1 460000 Doppelzentner übersteigt, ergiebt fich ein noch günstigeres Resultat bei den Kartoffeln. Es war als vermuthlihes Ergebniß pro 1890 ein Quantum von 123 945 000 Doppelzentnern in Aussicht genommen, es sind 141 778 000 Doppelzentner definitiv ermittelt, immerhin noch ca, 28 Millionen Doppelzentner Kartoffeln weniger wie im Jahr 1889.

Bei Beginn der heutigen Sitzung sind mir ferner Seitens des stati- stischen Reichéamts die vorläufigen definitiven Ernteergebnisse im Reich pro 1890 zugegangen, ih sage „vorläufigen“, weil die Angaben einzelner kleinerer Staaten noch fehlen. Nach dieser Aufitellung „hat die Ernte pro 1899 in Weizen betragen ich werde da immer drei Fahre angeben —: im Jahre 1888 25 300 000 Doppelzentner, im Jahre 1889 23 700 000, im Jahre 1890 28 170 000 Doppelzentner, und unter Hinzurechnung des Ueberschusses der Einfuhr blieben nah den gleich- artig aufgestellten Gesichtspunkten, nach denen diese Statistik auch früher aufgestellt ist, zum Verbrauch disponibel im Jahre 1888 28 600 000 Doppelzentner, im Jahre 1889 28 800 000 Doppelzentner, im Jahre 1890 34 870 00 Doppelzentner.

Für den Roggen ergeben si folgende Zahlen und ich werde jeßt, um durch die Zahlen nit zu ermüden, bloß die Summen nennen, wel(e dur diese Statistik als für den Verbrauch disponibel ermittelt find —, also die Ernte nach Zuzählung des Uebershusses der Cinfuhr. Da ergiebt s{ch im Jahre 1887 ein Quantum zum Verbrauch von 70 090 (00 Doppelzentnern, im Jahre 1888 von 61 660 0090, im Jahre 1889 von 64180 000 und 1890 von 67 289 000 Doppelzentnecn.

Dagegen bei den Kartoffeln 265 Millionen Doppelzentner im Jahre 1889 und 232 Millionen im Jahre 1890. Dies sind die Zahlen für das Deutsche Reich.

Ich habe diese Zahlen heute mitgetheilt, weil sie mir noch in leßter Stunde zugegangen sind. An sih konnte man nah dem gewöhn- lien Verlauf, wie diese Statistik geordnet ist, die Mittheilung dieser Zahlen erft in dem Julibeft der Neichsstatistik erwarten, und werden diese Zahlen bei der weiteren Bearbeitung auch wohl eine Berichti- gung erfahren.

Was i bisher hier mitgetheilt habe, ist die möchte ih sagen auf berufsmäßigen Ermittelungen beruhende Statistik, Neben der- selben laufen noch andere Nachrichten her, die sogenannten Saaten- \tandsberichte, die den Herren theilweise auch bekannt sein werden. Ich erwähne sie deshalb, weil der Hr. Abg. Richter mich am 27. Mai insofern angriff, weil ih gesagt hatte: die Nachrichten über den Saatenstand, die im „Staats-Anzeiger“ im Mai mitgetheilt waren, würden voraussichtlich auf älteren Angaben beruhen.

Mit diesen Saatenstandsnachrihten, die zeitweilig im „Reichs- Anzeiger“ erscheinen, verhält es fich folgendermaßen. Die Regierungs- Präsidenten haben für jedes Quartal einen allgemeinen Bericht an Seine Majestät zu erstatten; in demselben befindet si gewöhnlich auch ein Abschnitt über Ernteauesihten, über den Stand der Saaten

U. s w. Es ift in der Natur dexr Sache begründet, daß diese ? Berichte, wel@e Seiner Majestät erstattet werden und demnächst in Abschriften den vershiedenen Ressorts zugehen, bei diesen Leßteren erst später zur Vorlage kommen. Diese Berihte kommen auch zur Kenntniß der Redaktion des „Reichs-Anzeigers“ und wird der Inhalt theilweise im „Reichs-Anzeiger“ zum Abdruck gebraht. Die auf diesem Wege verbreiteten Saatenstandsnachrihhten sind naturgemäß verspätet und zur praktishen Beurtheilung der Situation nit viel werth. Ver- muthlich aus dieser Erwägung bat mein Herr Amtsvorgänger im Jahre 1882 die Regierungs-Präsidenten veranlaßt, ihm in den ersten drei oder vier Tagen jeden Quartals, unabhängig von den vorbesprochenen Berichten, einen Bericht über den Stand der Saaten, Ernteaussichten, U. \. w. vorzulegen. Diese Berichte wurden gewöhnlich seit der Zeit ungefähr in den ersten 10 Tagen des Quartalmonats im „Staats- Anzeiger“ veröffentliht als eine amtlihe Publikation des Landwirth- fchafilihen Ministeriums. Diese Berichte sind mir auch in diesem Jahre zugegaugen; ih habe aber von einer Veröffentlihung dieses Materials Abstand genommen. Wie es in den ersten Tagen des April einlief, war die Vegetation noch so weit zurück, daß von einer Beurtheilung der Saaten keine Rede fein konnte. Ich habe deshalb, um einen Ueberblick zu bekommen, zum 20. April nochmals berichten lassen. Aber auch diese Berichte gaben noch kein sicheres Urtheil, wie si die Verhältnisse gestaltet hatten. Vielfah \{chlummerte die Vegetation noch und die Berichte enthielten meist bloß Muthmaßungen; sie bestätigten in Uebereinstimmung mit der Tagesprefse, daß die Aus- Achten für die Wintersaaten {chle{cht seien.

Im Uebrigen enthielten fie, und konnten nah der Jahreszeit reihere Angaben enthalten, wie: das Mutterkorn muß zum fo und so vielsten Theil umgepflügt werden, „es wird umgepflügt werden müfsen“, oder „wirthshaftliherweise müßten die Bewohner das und das thun“. Dagegen fehlten positive Angaben darüber, welhe Flähen umgepflügt roorden seien, und wie diese Flächen wieder bestellt worden seien. I babe mir damals klar gemacht es war Ende April: wenn man diese Einzelangaben (die der Hauptsache nah bereits von der Tages- presse gebracht waren) zu einem Gesammtresultat zusammenstellt und veröffentlicht, so giebt es cin ganz schwarzes Bild, welhes sih mit Sicherheit demnähst als zu {warz herausstellt, weil in den ländlihen Kreisen die Befürchtungen immer {Glimmer find, als fe sich hernach herausstellen. Es war in dem Moment \ch{on eine Erregung über die Höbe der Kornpreise und die voraussichtlihe Gestaltung der Kornpreise entstanden, namentlih aber über die Frage, ob ausreihender Vorrath vorhanden sei. Für die Beurtheilung dieser [eßteren Frage war das, was sich über die Ernteauësihten damals mittheilen ließ, glei{gültig. Von baldigen erneuten detaillirten Er- mittelungen in allen einzelnen Gemeinden habe ich Abstand genommen, aus Rücksiht auf die ohnehin durch die verspätete Frühjahrsbestellung sehr in Anspruh genommenen Landleute, und habe mir demnäbst mein Urtheil über die Entwickelung der Aussichten auf anderem Wege

ebildet. : : Man muß sich bei Beantwortung der Frage, wie sich die nächste Ernte gestalten wird, gedulden. Wenn ich beute dieserhalb Rückfragen ver- anstalten wollte, so würde auch noch kein flares Bild herauskommen. Deshalb habe ich mich entschlossen, zur Zeit in den einmal geordneten Gang nicht einzugreifen und lediglich die Landräthe in der ganzen Monarchie zu veranlassen, den ohnehin zum 1. Juli fälligen Saaten- standsberiht {on einige Tage früher einzureichen, dabei aber diesmal genauere Angaben zu machen über bestimmte Verhältnisse, namentli über die Flächen, welche umgeadckert sind, wie viel davon wieder be- stellt ist mit Sommerkorn ; die Schäßungen über die Ernteaussihten gehen nebenher, außerdem sind Angaben zu machen über den voraus- sichtlihen Beginn der Ernte.

Meine Herren, das Material wird einen Ueber- blick geben, allerdings immer noch einen sehr unsitßeren. äFch lasse dahingestellt fein, ob und wann dies Material ver- öffentliht werden kann. Ih werde sehr vorsihtig sein- gerade in diesem Jahr, in der Mittheilung aller Schäßungen, Soweit ih positive Zahlen erhalte, steht der Mittheilung nichts im Wege. Ich wiederhole: wenn die Mittheilung von Ernteaussihten, die immer bloß auf Schäßungen beruhen können, eine praktische Bedeutung haben \chll, dann müssen sie auf ein für alle Mal feststehende Ermittelungen beruhen, welche das Publikum gewöhnt ist, zu bestimmten Zeiten zu empfangen und an welche das Publikum nachGber seinerseits seine eigenen S{häßungen anlegen kann. Ich verkenne darum nit, daß unsere ganze landwirth\chaftlihe Statistik niht auf dem Standpunkt steht, wie man vielleiht wünschen könnte, daß sie ehen müßte. Wenn auf Amerika hingewiesen ist, sowie daß man von dort in kurzen Zwischen- räumen ganz genaue Nachrichten über Anbauflähe und Ernteaussichten erhalte, se weiß ich in diefem Augenblick niht mit absoluter Sicherheit, ob diese Mittheilungen amtlihen Charakter gaben oder ob diese Mittheilungen auf Angaben von Vertrauen8männern beruhen. Mir sind diese Nachrichten, das muß ich ofen gestehen, ebenso wie die Mit- theilungen anderer Länder eigentlich zu detaillirl, zu genau, daß si die Ernteaussichten z. B. um 3 oder 4°/9 verändert haben, als daß ih ihnen zu viel Werth beilegen möchte. Jedenfalls kann ih die- selken nit kontroliren. (Sehr richtig! rechts.)

Da komme ih auf die weitere Frage: welhe Bedeutung haben überhaupt derartige amtli@e Prophezeiungen über Ernteaussichten und die fonstigen statistisG«a Ermittelungen über die Ernten für uns? Es is Ihnen ja bekannt, und, wenn ih niht irre, war e der Hr. Abg. Barth in der „Oftsee- Zeitung“, der neulich noch, wie ih anerkenne, eine schr un- befangene, offenherzige Kritik über diese amtlihe Statistik und Er- mittelungen geführt hat. Jh erkenne aber au an, daß die Regierung die Frage sehr ernsthaft überlegen soll, ob sie wohl thut, auf diesem Gebiet noch weiter zu gehen. Wenn derartige Nachrichten Nutzen haben sollen, so müssen sie mit großer Schnelle gebraht werden. Wenn die Regierung sie bringt, so übernimmt sie die Verantwortung für die Genauigkeit; um genaue Angaben für das ganze Land zu haben, würde das bei unserer deutshen Gründlichkeit, einen derartigen Apparat von Arbeit im ganzen Lande hervorrufen, sowie \{ließlich bei den Centralbehörden, daß diese Arbeit kaum zu bewältigen sein würde.

Dann sage ich auh weiter und erkenne vollständig an: es ist in erster Reihe die Aufgabe des Handels, diese Fragen zu prüfen. Der Handel hat die Aufgabe, das Land mit dem erfordérlihen Brotkorn zu versorgen Die Regierung thut in dieser Beziehung bisher nichts. Da ft es gewagt, mit amtlichen

betrag jeder Ernte, denn das steht in Frage. Unsere bisherigen land- wirth\{chaftliG-ftatistishen Ermittelungen, unsere landwirths{aftlihe Statistik befindet ich bezüglich der Verwerthbarkeit für den Handel noch in den Anfängen, sie if dazu noch nicht alt genug und kommt zu \pât zur Festftelung. Sie hat mehr einen wissenshaftlihen Werth und weniger Bedeutung für den Handel. Erft wenn wir noch eine längere Reihe von Jahren hinter uns haben, werden wir dazu kommen, daß wir wirklich mit Genauigkeit feststellen: was ift eine Mittelernte ? Mit dem Begriff der Mittelernte verbinden die verschiedensten Leute die vershiedensten Ansihten. So, wie es \sich mir darstellt, ist eine „Mittelernte“ im landwirthschafili - statistish - tehnishen Sinne eigentlich eine recht gute Ernte. Ich habe mich am 27. Mai meiner Ueberzeugung nach sehr vorsihtig darüber ausgedrüdckt, wie sich die Ecnteausfihten gestalten würden. Ich habe bloß gesagt : ih glaube, man kann im Allgemeinen feststellen, daß die Befürchtungen inzwischen dur die günstigen Witterungsverhältnifse der leßten Wochen abges{chwächt sind, und daß die Ausfihten für die Ernte in Preußen sehr viel bessere sind, als wie sie im Frühjahr waren. Es werden voraussihtlich diejenigen niht wohl gethan haben, welche zu früh, ver- anlaßt durch den \{chlechten Stand der Saaten, dieselben umgepflügt haben. es gilt dies besonders von den öôstlihen und mittleren, weniger viel- leiht von den westlihen Landestheilen. Aber nach den Eindcücken, die ih gewonnen habe, ist es niht ausgeschlossen, daß wir allerdings eine sehr viel geringere Strohernte, aber mögliherweise an Brod- frühten eine reihlich so gute Ernte wie im verflossenen Jahre in größeren Distrikten erlangen werden, Meine Herren, das halte ih au beute noch vollständig aufrecht. Meine Herren, dies ift ja auch nur eine Schäßung, aber man kann, wie ich dem Hrn. Abg. Rickert bereitwilligst zugebe, überhaupt bestimmte Angaben nicht mathen. Es hängt von Wind und Wetter ab. Ein Frost kann {haden ; ein Frost hat vielleiht \{chon geshadet. IH enthalte mi des Urtheils, ob und inwieweit er geschadet haben könnte; es sind alles Hypothesen. Aber daß die Ernte voraussihtlich besser werden wird, als man im Frühjahr dieses Jahres annehmen konnte, ist in meinen Augen sier. Es ist zweifellos, daß wir eine gute oder reihliche Ernte niht haben werden. Es wird eine Mittelernte werden, d. h. niht im tech- nischen Sinn, sondern in“ der Mitte zwishen gut und \{Glecht. Ein etwas sichereres Urtheil über den cigentlihen Umfang der Ernte wird man fich erst im Juli bilden können.

Ich habe geglaubt, meine Herren, diese vorher gemahten An- gaben über die ganzen ftatistischen Verhältnisse um deswillen hier aus- führen zu sollen, weil der Hr. Abg. Richter neulich ausführte, daß die Saatenstandsnachrihten im „Staats-Anzeiger“, die ich als vermuthlich veraltet bezeihnete, vom Mai datirten. Es iff rihtig, daß der „Staats-Anzeiger“ diese Nachrihten im Mai gebracht hat. Dieselben waren, wie ich mich in Folge der Bemerkung des Hrn. Abg. Richter überzeugt habe, den von mir erwähnten ODuartalsberihten entnommen. Jn diesen Quartalsberihten, die dem „Staats-Anzeiger“ zum Theil erst im Mai zugingen, waren die Nachrichten über den Saatenstand aus den im April uns erstatteten Saatenstandsberihten im Wesent- lihen übernommen. Da wir keine Geheimnißkrämerei treiben, habe ich keine Veranlaffung gehabt, die Redaktion des „Staats- Anzeigers“ darauf aufmerksam zu machen, daß es sich in diesem Jahre niht empfehle, diese von den Verhältnissen überholten Mittheilungen noch nahträglich zu bringen. Jch leugne aber nicht, daß es in meinen Augen erwünscht gewejen wäre, wenn diese Nachrichten niht in den „Staats-Anzeiger“ hineingekommen wären. Jch habe zum Shluß bei der Spannung, welche augenblicklih auf dem ganzen Gebiete des Getreidehandels besteht, nur den Wunsch, daß, nachdem ich beute die definitiven Ernteergebniffe des Jahres 1890 hier mitgetheilt babe, niht aus diesen Mittheilungen etwa nun wieder falshe Schlüsse ge- zogen werden. Die definitiven Ernteergebnisse und das pro 1890 disponible Verbrauch2quantum gestalten si besser, als nah dem Durchschnitt desVer- hâltnifses der definitiven Februarergebnisse zu den Oktoberermittelungen anzunehmen war. Aber ih würde es bedauern, wenn nun etwa aus diesen meinen günstigen Mittheilungen wieder die Meinung entstehen sollte: wir haben einen Ueberfluß an Vorräthen. Ich habe Ihnen diese Schäßungen mitgetheilt, weil Sie zu diesen Mittheilungen drängten. Ich verhehle mir nit, vielleiht wäre es ebenso gut gewesen, wenn wir nicht dazu gedrängt wären, diese Mittheilungen {on in diesem Moment zu machen. (Bravo! rechts.)

Abg. Richter: Der Abg. von Erffa habe seine Rede gegen die freifinnige Partei gerihtet. Er (Redner) habe allerdings in Frankfurt auf dem freisinnigen Parteitage die bestimmte Erwartung ausgesprochen, daß die Regierung gar nit anders können werde, als die Suspension der Zölle eintreten zu lafsen, und am Tage darauf sei hier von dem Reichskanzler die entgegengeseßte Erklärung abgegeben worden. Er babe aber wieder einmal zu günstig über die Regierung ge- urtheilt, er habe vernünftigere Erklärungen von ihr erwartet, als spâter erfolat seien. Der Abg. von Erfa meine, in voller Unkenntniß über die thatsählih vorbandenen Verhältnisse, die Strikes bewiesen, wie wohl den Arbeitern sei. Jeder, der irgendwie die Verhältnisse beobahte, wisse, daß die Arbeiterkomités gerade jetzt auf das Entschiedenste vom Strike abriethen und daß die Versuche, die gemaht würden, auf das Kläglihste scheitertea, weil in der That eine Depression in dem Geschäfts- und Erwerbsleben in großem Umfange vorhanden sei. Der Abg. von Erffa habe idann gemeint, man solle sich trôsten mit früberen Jahren, wo theilweise die Preise noch höher gewesen seien. Höhere oder gleihe Preise für Roggen habe man gehabt in den bekannten Hungerjahren 1816/17 und 1846/47, dann in dem Mißjahre und dem Jahre des Orientkrieges 1854 und 1856 und in den bekannten Nothstandsjahren 1867/68, 1873/74 und 1880/81. Jn allen diesen Jahren bätten aber Getreidezölle entweder niht bestanden oder sie seien suspendirt worden. Getreidezölle habe man noh nicht gekannt im ganzen Westen 1816/17, sie seien suspendirt worden 1846/47 und 1854/57, sie hätten nicht mehr bestanden 1867/68 und 1873/74; im Jahre 1880/81 hätten sie nur in Höhe von 10 4 bestanden. Die jezigen hohen Preise carakterisirten sich dadur, daß sie nahezu zu einem Viertel niht die Ursahe von Mißwahs, sondern der Zölle von 50 M seien, Roggen würde heute in Beclin ftatt 211 M ohne Zoll 157 bis 158 4 kosten, zu welchem Preise gestern russisher Roggen in Hamburg verkauft worden sei. Dur den Zoll werde Tünftlih die Preisvertheuerung herbeigeführt, wie wenn die Ernteverhältnisse auf der Welt noch ungünstiger wären, als sie {on seien. Der Abg, von Erffa habe mit Abscheu von der Agitation gesprochen. Er kenne den Abg. von Erffa nicht anders denn] als Agitator (Beifall links), er habe weiter nihts von ihm in der Oeffentlichkeit wahrgenommen, als eine Agitation für die Getreidezölle. Sei die Agitation für die Getreidezölle mehr berechtigt als die gegen die Getreidezölle? Gr hoffe, daß die Agitation gegen diese Zölle zunehmen und nicht eher aufhören werde, als bis das Ziel, die Beseitigung der Zölle, erreiht worden sei. Seine Partei nehme si nur diejenige Agitation zum Vorbild, die seiner Zeit für die Zölle getrieben worden sei (Beifall links). Der Reichskanzler habe gewünsch{t, daß keine Erregung in

Angaben hervorzutreten über den Bedarf, über den etwaigen Fehl- | die Sache getragen werde, Von feiner Partei sei die ganze Frage

e

überhaupt nicht sensationell ame: worden. Von Seiten der Regierung fei das Ungewöhnliche geschehen, daß sie außerb2lb der

Tagesordnung am 1. Juni die Erklärung abgegeben habe; die Kon-

servativen hätten dann das Sensationelle hinzugefügt, daß fie unter

Berufung auf die Geschäftsordnung eine unmittelbare Diskussion

abgeschnitten hätten ; dann sei heute wiederum das Ungewöhnliche er-

folgt, daß no vor der Begründung des Antrags seiner Partei der

Minister-Präsident gebeten habe, ihn abzulehnen; das sei auch

niht geeignet, Erregung fernzuhalten. Das Abgeordnetenhaus fei

für die Zollfrage keine dankbare Arena; hier säßen doppelt fo

viel Agrarier wie im Reichstag. Er verstehe es deshalb nit, wie

die Regierung es unbequem finden könne, daß das, was überall im

Lande erörtert werde, au hier zur Erörterung fomme. Im Lande

ständen Millionen in dieser Frage hinter seiner Partei ; hier set sie

nur eine kleine Minorität; auf einen von ihr kämen zwölf Konservative.

Wenn garnicht öffentlich über Zölle gesprohen würde, so würde die Frage

der Zollherabseßung do nicht aus der Welt geschaft werden. Der

Gedanke liege so nahe, daß alle Welt auch ohne Agitation {on an-

nehme, daß das an sich Richtige si durchbrehen und \chließlich

do die Suspension erfolgen werde. Die Unsiterheit der Zollfrage

spiele jeßt bei der Preisbewegung keine Rolle, niht einmal soviel,

als er anzunehmen früher bereit gewesen sei Die Preise seien so-

fort gefallen, als man Ursache gehabt habe, anzunehmen, daß diz Sus-

pension eintreten werde. Nah der Erklärung des Minister-Präsidenten

am 1. Juni seien sofort die Preise um 7 # an der Berliner Pro- duktenbörse gestiegen, und im Ganzen seien die Roggenpreise jeßt 4— A höher als an demjenigen Tage, wo der Minister von Heyden die Behauptung aufgestellt habe, daß an den bohen Preisen die Unsierheit der Zollfraze {huld fei. Die Preisbewegung lasse sih eben niht bestimmen dur ein „sic volo, sic jubeo“, fie frage nach der ratio. Seine Partei finde in der Er lärung des Minister-Präsidenten von Caprivi vom 1. Juni bedeutungsvolle Lücken, die ausgefüllt werden müßten, Widersprüche mit dem, was anderweitig verlautet habe, Shlüfse, die an si nicht richtig seien, und aus diesem Grunde habe sie nach dem weiteren Material verlangt. Ibn habe [ange keine Erklärung vom Regierungsti\ch derartig in Erstaunen ge« seßt, als die heutige des Reichskanzlers. Nachdem auth die „Kreuze zeitung“ am Sonnabend mitgetheilt habe, die Regierung werde den Antrag annehmen, habe man es für felbstverständlih gehalten, daß die Regierung alles Material veröffentlihen werde, bevor die parla- mentari\sche Verhandlung über den Antrag stattfinde. Man solle doch nicht immer von seinen Gegnern vermuthen, daß sie das Klügste thun würden, was sie von ihrem Standpunkt thun könnten ! (Heiterkeit.) Wenn Jemand nur das lâäse, was der Minister-Präsident gesprochen, so müßte er meinen, seine (des Redners) Partei habe eine Interpellation über diplomatishe Fragen in au®?wärtigen Angelegenheiten gestellt, während es fich thatsählih nur um Fragen des öôffentlihen Weltmarkts handele. Seine Partei habe annehmen müssen, daß die Regierung über ein großes Material verfüge, nah dem, was der Minister von Boettiher im Reichstage erklärt und heute Hr. von Caprivi bestätigt habe, daß {on seit April Er- hebungen stattgefunden hätten. Der Reichskanzler habe gesagt, daß die Regierung hon damals den Beschluß gefaßt habe, keine Sus- pension der Zolle eintreten zu lassen. Ja, dann begreife er die Gr- klärung des Ministers von Boetticher im Reichstage nicht, oder dieser habe dort aus irgend einem diplomatishen Grunde gesagt, was nit rihtig gewesen sei, daß darüber, ob die Suspension eintreten würde oder nit, die Regierung si noch niht \{chlüssig gemacht habe. Wenn ferner {or am 27, Mai der Beschluß der Regierung fest- gestanden habe, wozu dann noch die beshleunigten Erhebungen? Das lasse darauf ließen, daß an manhen Stellen, vielleiht beim Finanz- Ministerium, die Entschließung doch nicht so festgestanden habe. Nun habe der Minister-Präsident sid darauf gestützt, daß die Ent- \{ließung der Regierung auf Schätungen gegründet sei Habe etwa {hon Jemand deswegen, weil der Cours nur Schäßung sei, vorgeschlagen, den Cours geheim zu halten? Auf dem Gebiete, wo man nicht mathematisch \sihere Zahlen beibringen könne, bätten auch Säßungen einen ganz außerordent- lien Werth. Wenn Schätungen keinen Werth hätten, was fet dann der große Theil unserer Statistik, was sei überhaupt die ganze Erntestatistik werth? Aus allen Ländern wise man über Getreide, über den Handel mit Getreide mehr, als aus Deutsh- land. Man wisse, wie viel aus Ost-Asien zu erwarten sei, wie viel in Frankrei, in Amerika die Bestände an Brotgetreide betrügen. Man kenne die Erportverbältnisse von Rußland. Was wise man von uns? Bis heute niht einmal die Einfuhrlisten vom Mai. Da klettere die Statistik durch alle Instanzen hinauf. Wenn sie zur Veröffentlichung komme, habe sie ihren Werth zum größten Theil verloren. Ueber die Getreidevorräthe Auskunft zu geben, lehne der Minister-Präsident ab. Eben so gut wie die Kaufmannschaft in Berlin und in Danzig ihre Aufnahme mate, könne doch die Regierung die Summe sfelber aufnehmen, im ganzen Lande ver- öffentlihen. Die Regierung veröffentlihe doch allmonatlih die ganzen Verhältnisse der Branntweinproduktion. Warum könne denn dasselbe nicht mitgetheilt werden in Bezug auf das Getreide? Die Ver- fügung an die Aeltesten der Kaufmannschaft, von 8 zu 2 Tagen und später monatlih Berichte über vie Aufnahme einzureihen, tadle er durhaus niht. Wenn das aber Alles verheimliht werden solle, warum inkommodire man erft die Kaufmannschaft, daß sie das na oben be- rihte? Was die Veröffentlihung der Konsulatsberihte betreffe, so erscheine do das Handeisarchiv nur zu diesem Zwecke. Sie enthielten außerordertlich schäßbares Material über die ganzen Verbä!tnisse des betreffenden Landes, das für die Zollpolitik zur Direktive werde. Warum werde das, was die Konsulate und Genossenshaften über Getreide berichteten, der Ocffentlichkeit vorenthalten? Dann set von vertraulichen Berichten die Rede gewesen, Wie viel Hinz oder Kunz auf Lager habe, das zu erfahren interessire seine Partei nicht, ebensowenig, wie die Ernte auf diesem oder jenem Gute stehe. Was fe zur ee PaA eines Urtheils brauche, sei lediglih die Summe. Der Minister-Präsident habe die Mittheilungen der betreffenden Kauf- leute einen Aft des Patriotismus genannt, auf den man Rücksicht nehme müsse. Warum diese Zartheit? Nehme man irgend eine Zeitung in die Hand, so finde man, daß in ihrem Fa renommirte Händler über ihr Fach periodis%e Mittheilungen machten und zu- glei Gutachten abgäben auf dem Gebiete des Produktenhandels, des Cffektenhandels und anderer Handel8zweige. Diejenigen, die niht mit ihrem Namen eintreten wollten, hätten gegen sich die Ver- muthung, daß ihre Mittheilungen die öffentliche Kontrole nit vertragen könnten. (Sehr richtig! links; Unruhe rets.) Je mehr die Regierung an interessirte Personen ih wende, die vielleiht mit Spekulationen ver- bunden seien, die die Regierung zu übersehen nicht in der Lage sei, um fo mehr fei es nothwendig, daß die Mittheilungen zur öffentlichen Kontrole gestellt würden. Er habe aus den heutigen Erklärungen den Eindruck gewonnen, daß seine Partei zu Unreht geglaubt habe, die Entscheidung der Regierung ruhe auf besseren Unterlagen, als thatsählich der Fall sei. Sie habe das Material übershätt; wäre es nit so dürftig und lückenhaft, so würde die Regierung felbst das Interesse haben, damit herauszukommen. (Widerspru rechts.) Die Ansicht des Minister-Präsidenten wurzele eigentli darin: man solle an die Regierung glauben, Er habe darauf verzichtet, die Partei des Redners zu überzeugen; sie solle glauben, obglei sie die Unter- lagen nicht kenne, daß die Regierung das Rechte thue, In solchen irdishen Dingen sei aber der Glaube nicht am Playe. Allerdings ständen die Ausführungen des Minister-Präsidenten himmelhoch über der Weisheit, die man von der rechten Seite höre und die man früher von der Regierung in der Zollfrage gehört habe. Er habe gesagt, der Preis bei uns fei gleich dem Weltmarkt- preis -+ Zoll, etwas mehr oder weniger. Damit sei von ihm die An- sicht direkt widerlegt, als ob der Zoll vom Auslande getragen würde. erie rets.) Es sei damit ausgesprochen, daß der Preis ein willkürlihes Produkt der Börfe sei, sondern auf ganz bestimmten Faktoren beruhe. Dec Minisier - Präldent habe ausdrücklich gesagt, und seine Partei sci ihm dankbar dafür, daß die später eintretende dauernde Crmäßigung der Getreidezölle den arbeitenden Klassen bessere Lohn- und Brotverhältnisse bringen werde; man böre da zum