1891 / 137 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 13 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

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no& keine Bewilligung eintreten lassen. Redner empfiehlt den Kom- missionsantrag. | I

Das Haus schließt sich diesem Antrage an. |

Auf Grund des mündlichen Berichts der Finanzkommission wird die Denkschrift über die Bauaus führungen an den Wasserstraßen durch Kenntnißnahme und die Pe- tition der Stadt Münden um Herstellung der Verbindung der Fulda mit der Weser dur den östlihen Fuldaarm dur Uebergang zur Tagesordnung erledigt.

Es folgt die Berathung über die geschäftlihe Behandlung des Sperrgeldergesetes. : .

Fürstbishof Dr. Kopp: Der Geseßentwurf habe die Bestimmung, eine {hon lange Unruhe und Unzufriedenheit erregende Angelegenheit zur Erledigung zu führen; um diefe Erledigung nit zu hindern, habe die Regierung selbst in die Aenderungen eingewilligt, welche das andere Haus in ihrem Entwurfe vorgenommen habe. Aus demselben Grunde hätten die katholiswen Mitglieder des anderen Hauses si enthalten, in die Berathung dieses Entrourfes irgend etwas hineinzutragen, was die Verständigung hindern könne. Denselben Standpunkt würden auch die fkatholishen Mitglieder dieses Hauses einnehmen. Eine kom- missarishe Berathung würde aber der friedlihen Verständigung nit förderlih sein. Deshalb bitte er, das Gese zur einmaligen S{hluß- berathung zu stellen, er selbst werde si darauf beschränken, zum §. 5 im Auftrage seiner Amtsbrüder eine kleine Erweiterung zu be- antragen.

Die einmalige Schlußberathung wird genehmigt, e bishof Dr. Kopp vom Herzog von Ratibor zum Berichterstatter

ernannt. Schluß 31/4 Uhr.

Saus der Abgeordneten, E 102. Sißgung vom Freitag, 12. Juni. S

Der Sizung wohnen der Präsident des Staats-Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, der Vize-Präsident des Staats- Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Justiz--Minister Dr. von Schelling, der Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Berlepsch und der Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden bei.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Königlichen Gewerbegerichte in der Nheinprovinz.

Minister für Handel und Gewerbe Berleps\ch:

Es ist Ihnen bekannt, meine Herren, daß in den Verhandlungen des Reichstages über das Gesetz, betreffend die Gewerbegerihte, der Wuns hervorgetreten ist, daß diejenigen Schiedsgerichte, die sh bisher bewährt und die Anerkennung der betheiligten Kreise gefunden haben, auch in Zukunft erhalten werden möchten. Dieser Wunsch hat in §. 80 des Reichsgeseßes scine Erfüllung gefunden und die verbündeten Regierungen haben ihm zugestimmt. Aus diesen Thatsachen leitet die preußische Staatsregierung für sih die Verpflihtung her, ihrerseits das Mögliche zu thun und die rheiniswen Gewerbegerichte, die für Preußen in Betracht kommen, zu erhalten und nicht durch Unthätigkeit die Vorausseßungen für das Eingehen dieser Gerichte zu hafen, was der Fall sein würde- wenn nicht bis zum 1. April des nächsten Jahres ihre Zusammen- seßung den Anforderungen des §. 12, Abs. 1 und 2 des Reichsgesetzes entspriht. Da nun auch die betheiligten Kreise im Rheinland den Wunsch ausgesprochen haben, die Gewerbegerichte zu erhalten, so darf ih wohl der Hoffnung Ausdruck geben, daß auch der Landtag der Monar(ie der Vorlage, die uns augenblicklich beschäftigt, zustimmen und damit die Möglichkeit schaffen wird, daß die rheinishen Gewerbegerichte in Kre- feld, Köln, München-Gladbach, Barmen, Elberfeld, Solingen, Lennep, Remscheid, Düsseldorf und Mülheim a. Rhein erbalten bleiben. Außer den hier genannnten Gewerbegerihten besteht noch ein solches in Aachen, welches die Gemeinden Aachen und Burtscheid umfaßt. Hier aber haben die betheiligten Kreise zu erkennen gegeben, daß sie auf das Fortbestehen dieses Gerichts keinen Werth legen. Die städtishe Vertretung von Aachen und Burtscheid und die Vertretung des Landkreises Aachen haben im Gegentheil die Absicht, ein Ge- werbeshiedsgeriht auf Grund des Reichsgesetzes einzurichten.

Der Gesezentwurf, meine Herren, der Ihnen vorliegt, stellt ih die Aufgabe, einerseits die rheiaishen Gewerbegerihte den reichs- geseßlichen Gewerbegerihten nah Möglichkeit gleih zu gestalten ins- besondere in Bezug auf ihre Zuständigkeit. Es kommen hier wesentlich die §8. 61 und 70 des Reichsgeseyes in Betracht, wo die Bunktionen der Gewerbegerihte als Einigungsämter und als Gutachter der gewerblihen Angelegenheiten geregelt worden sind. Andererseits sind diejenigen Eigenthümlichkeiten aufrecht zu erhalten, die die Gerichte den betheiligten Kreisen besonders werthvoll gemacht haben. Ich darf mi für beide Beziehungen im Allgemeinen auf die Begründung des Gesetzentwurfs berufen, ih gestatte mir nur bezüglih eines Punktes einige kurze Bemerkungen.

Na den bisherigen Bestimmungen mußte die Zahl der Vertreter der Arbeitgeber in dem Gerichtshof um einen der Zahl der Vertreter der Arbeiter überlegen sein; der Vorsitzende wurde von dem Gericht s- hof aus seiner Mitte gewählt, und zwar aus der Zahl der Vertreter der Arbeitgeber. Nun hat vor einiger Zeit in Köln eine Versammlung von Vorsitzenden und Sekretären der rheinishen Ge- werbegerihte stattgefunden, und in dieser Versammlung ist ein Gesetz- entwurf vereinbart worden, nah dem auch in Zukunft die Wahl des Vorsißenden durch den Gerichtshof selbs, und zwar aus der Zahl der Arbeitgeber, erfolgen soll.

Diesem Vorschlag glaubte die Königlihe Staatsregierung nit beitreten zu föôönnen, einerseits weil die Voraussetzung desselben, nämlich die überwiegende Zahl der Arbeitgeber im Geri{tshof, in Zukunft wegfällt, andererseits, weil es für eine dauernde ersprießliche Wirksamkeit und gegenüber der Nothwendigkeit, auch das Vertrauen der Arbeiter in eine unparteiishe Handhabung der Funktionen des Gerichts zu sichern, niht angängig erschien, den Vorsißenden aus\{ließlich aus der Zahl der Arbeitgeber zu entnehmen, Die Nothwendigkeit, das Vertrauen der Arbeiter für das Schieds- geriht zu sichern, bezieht sich namentli auch auf die Fälle, wo das Gewerbegeriht in seiner Eigenschaft als Einigungsamt thätig zu sein berufen ift. x

Ih bin weit entfernt davon, zu behaupten, daß bei der jetzigen Einrichtung eine Gefahr vorliegt für die unparteiishe Handhabung der Thätigkeit des Gerichtshofs; dagegen \pricht die bisherige Œr- fahrung, dagegen spricht die ungetheilte Anerkennung, die in den betheiligten Kreisen die Wirksamkeit der rheinischen Gewerbegerite gefunden hat, dagegen spricht das Vertrauen, was namentli die Personen der Vorsißenden bisher unuws{hränkt bei den Betheiligten

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sowohl, wie bei den Behörden gefunden haben. Meines Er- ahtens aber hat die Geseßgebung die Aufgabe, in ihren organischen Einrichtungen auch die Möglichkeit auszuschließen, daß eine Partei gegenüber der andern von ihrer Ueberzahl Gebrauh macht; sie muß diese Einrichtungen so gestalten, daß auch jeder Vorwand zu Miß- trauen in die unparteiische Thätigkeit des GBerihts genommen wird.

Dem entsprehend hat die Königlihe Staatsregierung es für nothwendig erachtet, bezügliß der Bestellung des Vorsitzenden das System der Ernennung in die Vorlage aufzunehmen, wie es auch das Reichsgeseß hat. Da die rheinischen Gewerbegerihte zum Theil fich weiter erstrecken, als auf den Bezirk einer Gemeinde, so \chien es rihtig, das Ernennungsrecht in die Hand des Regierungs-Präsidenten zu legen, bei dem es cine urparteiishe und sachgemäße Handhabung finden wird.

Ich habe nun nur noch auf einen Druckfehler in dem Entwurf aufmerksam zu machen, der sich im §. 1 Absay 2 findet. Es muß niht §. 15, sondern „S. 13* heißen.

Ich gestatte mir, den Gesehentwurf dem hohen Hause zur An- nabme zu empfehlen.

Abg. Lehmann dankt der Regierung für die Einbringung dieser Vorlage, bittet von einer kommissarishen Berathung abzusehen, und beantragt den Geseßentwurf en bloc anzunehmen.

Abg. Eberhardt erblickt in diesem Gesegentwurf insofern einen Vorzug, als er sich den bestehenden Vorschriften der jeßigen rhei- nishen Gewerbegerihte anschließe und andererseits, weil er diejenigen Bestimmungen aus dem Reichsgeseß aufgenommen habe, welche den Gesetzentwurf in Uebereinstimmung mit den bestehenden rheinischen Vorschriften brächten.

Abg. Dr. von Cuny begrüßt ebenfalls mit Freuden den Entwurf, der die rheinishen Gewerbegerihte als Vergleihskammern erhalte und auch die Bezirke derselben nicht nach Landestheilen, sondern nah Industrien begrenze. Redner bedauert, daß die Bestimmung auf- gegeben sei, wona einem Arbeitgeber der Vorsiß anvertraut werden müsse. Das habe in Kreisen der rheinishen Industriellen verstimmt, und es sei nunmehr wenigstens zu hoffen, daß Seitens des Regierungs- Präsidenten nur Industrielle zu Vorsißenden ernannt werden würden.

Der Geseßentwurf. wird in erster und sodann in zweiter Lesung en bloc angenommen.

Es folgt die Fortsezung der Berathung des Antrages der Abgg. Rickert und Genossen wegen Vorlegung des Materials über die verfügbaren Getreidebestände und die Ernteaussichhten.

Abg. Graf von Kani: Der Antrag Rickert sei in mancher Beziehung sehr erwünsht gekommen, denn er diene dazu, die Situation zu klären und das Interesse an dem Schvztzollsystem in weitere Kreise zu tragen. Er bedauere, daß solhe Anträge nicht öfter kämen. Nachdem die Herren vor circa 14 Jahren mit einem ähnlichen An- trage, bei dem sie die Unterstüßung der Sozialdemokraten im Reichs- tage gefunden hätten, unterlegen seien, glaubten sie hier einen besseren Boden dafür zu finden. Nun sage der Abg. Kickert freilih, dieses Haus sei noch agrarisher als der Reihstag, aber das Volk draußen denke anders. Er (Redner) behaupte aber, das Volk sei in feiner Mehrheit agrarisch gesinnt und stehe binter ihm und seinen Freunden und nicht hinter dem Abg. Richter. Die Herren hätten weiter nichts bezweckt als eine lebhafte Agitation, welhe der Abg. Rickert so \{chwungvoll mit den Wotiten eingeleitet habe, daß hinter ihnen Millionen von Familien ständen, die mit Spannung auf die Ber- handlungen dieses Hauses lauschten. Es sei aber für das Ansehen Deutsclands und seiner Regierung im Ausland nicht fördernd, wenn solche Angriffe gegen die Regierung gerichtet würden, wie gestern. Er wisse nicht, ob der Abg, Richter oder ein anderer Redner das Wort „un- vernünftig“ gegen die Regierung gebraucht habe. (Abg. Ri hter: Er habe dieses Wort niht gebrauht. Präsident von Köller: Er konstatire, daß der Abg. Richter den Ausdruck „unvernünftig*®“ nicht aebrauht habe; hâtte er es gethan, so würde er ihn zur Ordnung gerufen haben.) Er habe gesagt „nit vernünftig“. (Abg. Richter: Au das niht!) Er (Redner) habe das Stenogramm der Rede nit ge- lesen; aber jedenfalls sei das Wort „vernünftig“ gefallen. Der Abg. Richter habe gesagt, er hâtte {on vernünftigere Beschlüsse gehört. (Rufe rechts: Ja, das habe er gesagt.) Jedenfalls sei diese Art von Angriffen niht geeignet, das Ansehen der Regierung zu fördern, und derselbe Abg. Rickert, der ih vor einigen Wochen als Vertheidiger der Kronrechte hingestellt habe, habe gestern als Volkstribun, gefolgt von Millionen hungernder Einwohner, dagestanden. Die Unsicher- beit werde jedenfalls nur durch folhe Anträge gefördert, und damit auch die Preissteigerung, In Rußland nehme man an, daß durch solche Anträge die Regierung doch vielleiht zur Nachgiebigkeit gezwungen werde, und halte deêwegen mit den Vorräthen zurüdck, was eine weitere Steigerung der Preise zur Folge habe. Die Regierung würde auf Seiten der Landwirthschaft keinen Widerstand gefunden haben, wenn sie eine Suspension der Zölle auf eine gewisse Zeit bâtte einführen wollen. Troßdem mache er der Regierung keinen Vorwurf, denn sie habe bei ihren Entschließungen auf allerlei Faktoren Rüccksiht nehmen müssen, auf den berechtigten Getreide- handel, auf die Industrie und was für Faktoren noch mitsprächen. Seine Partei könne also nur wünschen, daß die Regierung bei ihren Ansichten stehen bleibe. Den Zankapfel, den der Abg. Richter zwischen die Regierung und die konservative Partei mit der Erwähnung des österreihishen Handelsvertrages habe werfen wollen, nehme er nicht auf. Allerdings gehe in Folge dieses Vertrages eine tiefe Erregung durch die ländlihe Bevölkerung, welhe auch durch die Stralsunder Rede des Ministers von Boetticher niht vermindert, sondern nur verschärft worden fei. Darum sei es aber hier bei den Getreidezöllen nicht zu thun. Hier handele es sich um einen Vorstoß der Sozialdemokratie und der demokratishen Partei gegen die Regierung, und da sei der Posten seiner Partei neben der Regierung, und die müsse und wolle sie vertheidigen. (Beifall rechts.) Die Herren könnten nicht leugnen, daß in den leßten 40 Jahren das Getreide mehrfach theurer gewesen sei als jeßt, so z. B. in Folge des leßten russisch- türkishen Krieges. Aber die Folge dieser hohen Preise sei keine Hungersnotb, sondern eine der günstigsten wirthschaft- lihen Perioden gewesen, also das Wort: „Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt“ habe sih auch damals als richtig erwiesen. Man solle nicht fo sehr die Ursachen als vielmehr die Felgen solcher Zustände berüdsihtigen. Die von dem Abg. Richter angegebenen hohen Kartoffelpreise entsprähen den Thatsachen nit. Der Abg. Schulß (Lupiß) habe noch kürzlih Kartoffeln für 2,60 M. nach Berlin geliefert. In Berlin seien an der Charlottenburger Brücke Kartoffeln für 3 #6 vro Neuscheffel zu haben. Die boben Preise des Abg. Ritter kämen also auf den Zwischenhandel. Uebrigens verlangten die Landwirthe gar nit jo hohe Preise, denn auch bei noch höheren Preisen seien die Autsihten für die Landwirthschaft in der nächsten Zeit sehr traurig. In den leßten drei Jahren seien 273 000 ha ländlihen Bodens in Preußen zwangsweise versteigert worden, 82 9/0 davoa in den östlichen Provinzen, wo die Landwirthschaft das Hauptgewerbe sei, Das spreche doch klar genug für die Nothlage der Landtwoirthschaft. Dagegen habe in den leßten Jahren der Wohlstand des ganzen Landes um 342 Millionen zugenommen. In den leßten zehn Jahren hätten sich die Wotenlöhne der Arbeiter durchschnittlich von 19—20 auf 33—36 M gehoben, freilich bei den vershiedenen Gewerben recht verschieden. Die geringste Steigerung sei bei den Schneidern ein- getreten. Wo sehe es also besser aus, in den großen Städten oder auf dem Lande? Man möge nur in die Vergnügungslokale gehen, nicht bloß in die, wo der Wohlhabende verkehre, sondern in die der Arbeiter, und fragen, ob es den Leuten \{chlecht gehe. (Abg. Richter : Ia wohl!) In Berlin liege das Geld auf dem Damm, da würden groze steinerne Häuser in frevelhaftem Uebermuth niedergerissen, wäßrend man auf dem Lande die elenden Strohdäher flicke.

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Die Kohlen bei einer neulich vorgekommenen Submission hätten so hoh bezahlt werden müssen, daß 23 Millionen, die aus den Taschen von fämmtlihen Steuerzahlern kämen, in die Hände der Zechen- besißer geflossen seien, Ja den großen Städten habe Jeder Ge- legenheit, seinen Bedarf zu verdienen , dem Landarbeiter sei das nicht möglich. Wenn man übrigens die Getreidepreise in ihrem Dur(- schnitt berechne, so erwiesen sie sich, wenn man die Terminspreise einrechne, als niht höher, als die im Vorjahre, wahrsheinlih sogar niedriger. Die Berliner Brotfabrik-Aktiengesellshaft reibe ihm, daß die Behauptung des Abg. Richter, es werde nur minder- werthiger Weizen mit Roggen vermischt verbacken (Abg. Richter: Nur ?), nit rihtig fei! Jn Leipzig have man eine städtishe Bäckerei im Interesse der ärmeren Bevölkerung eingerihtet, und der Preis des von dieser gebackenen Brotes, verglihen mit dem der übrigen Bäckereien, zeige, daß die Bäcker nah Abzug aller Unkosten 60% verdienten, was fich als 10 (A pro Doppelzentner Getreide berecne, alfo das Doppelte des Getreidezolles. Die genauen Untersuchungen des Dr. Gerlach bewiesen au, daß die Viehpreise stetig heruntergingen. Die hohen Brotpreise würden durch die vielen Hände veranlaßt, die Alle ihren Profit haben wollten, so daß \chließlich das Getreide um das Vier- bis Fünffaße des Zolles vertheuert werde! Wenn in cinem Zukunftsstaat nah den Absichten des Abg. Richter Kleidung, Nahrung, Arbeitsgeräth u. #. w. durch Aufhebung aller Zölle ver- billigt würden, so werde bald unsere ganze Industrie durch die englische Konkurrenz gelähmt werden; er wolle das nicht weiter ausführen. Nun, troß der hohen Textilzölle sei im vorigen Jahre eine große Menge von Stoffen aus England bei uns eingeführt worden. Würde der Zoll aufgehoben, so würden sämmtliche Spinne- reien bald ruinirt sein, und ebenso würde es mit allen Industrien gehen. Das gehe aber nur so lange, bis im Lande eben gar fein Geld mehr vorhanden sei. Das seien die Aussichten des Richter's{hen Zukunftsstaats! Die Herren behaupteten immer, daß in unseren Nachbarländern Oesterrei und Rußland das Getreide sehr billig fei, und wiesen darauf hin, daß die Grenzbevölkerung sich von dort ihr Getreide hole. Ja, warum blieben denn die Leute niht glei drüben? Warum kämen im Gegentheil noch immer russishe Einwoh- ner zu uns, wo doch die Preise höher seien? Das liege daran, daß dazu, Brot zu bekommen, nit bloß niedrige Getreidepreise gehörten, sondern aub Gelderwerb, und den hätten sie bei uns, niht aber drüben. Als vor zwölf Jahren das Schutzollsystem geschaffen worden sei, hätten seine Freunde genau gewußt, daß sie auch in Zukanft schweren Kämpfen entgegengehen würden, aber Kampf und Arbeit sei ihr Loos. Zu Hause auf ihrer Scholle arbeiteten sie, hier im Parla- mente kämpsten sie. Man sage: Noth breche Eisen, aber Noth breche nit nur, sondern füge auch zusammen. Das werde dahin führen, daß die Menschen sich im Kampfe zusammenschließen würden, und dieser Phalanx gegenüber werde jede andere zusammenbrehen. Seine Partei werde um fo zuversihtliher in den Kampf gehen, als sie wisse, daß ihre Bestrebungen nicht bloß ihrem Erwerbszweige und der Landwirth|haft, sondern dem ganzen Lande zum Besten dienten. Landwirth\chaft und Industrie hätten ein gemeinsames Interesse an den Zöllen. Beide brauchten sie Schuß dem Auslande gegenüber. Das werde auch in Zukunft gelten und die Produktion kräftigen den de- struktiven Elementen des Landes und ihren Verbündeten gegenüber. (Lebhafter Beifall rets. Zischen links.)

Abg. Broemel: Die Diskussion sei einigermaßen verschoben, in- sofern sie die Frage nach dem der Regierung zur Verfügung stehenden Material zu einer Streitfrage zwishen den politishen Parteien ge- macht habe. Auch der Minister-Präsident habe von diesem Stand- punkt aus darauf verzihtet, gewisse Leute zu überzeugen. Die Beibringung des thatsählihen Materials sei niht nur für die öffent- lihe Meinung von hervorragender Bedeutung, s\ondern auch für die gesammte Lage des Getreidehandels und in Folge dessen für die Ver- sorgung unseres Vaterlandes. Der Minister-Präsident habe am 1, d, M. gesagt, die Regierung sei davon unterrihtet, daß in Rußland noch sehr erhebliGe Vorräthe an Roggen in den Händen reicher Leute vorhanden seien. Der Abg. Richter habe gestern eine große Getreidefirma angeführt, welche gemeint habe, daß der Minister- Präsident angeben möge, wo diese Vorräthe zu finden seien, es würde für die Kaufleute von höhstem Interesse sein, sich in Besiß dieser Vorräthe seßen zu können, Das sei eine mit etwas sharfem Spott gewürzte Bemerkung, die si ein Geshäftsmann erlaubt habe. Aber wenn die Regierung mehr wisse als alle anderen Leute, so habe sie au die Pflicht, der Ges{äftswelt Kenntniß von den Vorräthen zu geben. Der Minister-Präfident würde sich ein Verdienst um den gesammten Getreidehandel der Welt erwerben, wenn er das ihm zur Verfügung stehende Material bekannt gäbe. Jn jedem civilisirten Lande beeile sih die Regierung, für den Handelsverkehr so wichtige Materialien so schnell und umfassend wie mögli bekannt zu machen. Das Verhalten der preußishen Regierung stehe beispiellos da. Alle Anzeichen sprächen dafür, daß in dieser Frage das agrarishe Interesse ebenso bei der Regierung wie im Hause ausshlaggebend sei. Was der Abg. von Erffa Über Amsterdam gesagt habe, komme von interessirter Seite, denn der deutsche Konsul, Hr. Hongarkt, dort sei selbs Interessent. In der ganzen Diskusfion sei das Wort „Nothstand®“ in durchaus unrihtigem, und zwar beschränktem Sinne gebraucht worden. Bei der Regierung und den Gegnern seiner Partei im Hause sei immer davon die Rede, ob die Vorräthe bis zur nächsten Ernte ausreihten. Ein Nothstand sei niht in dem Sinne vorhanden, daß wirklich Vor- un Mepschen zu ernähren. Bei den heutigen Verkehrsverhältnissen werde ein folcher Nothstand überhaupt nicht mehr über civilisicte Linder kommen, möge die Regierung thun, was sie wolle, Es handele \sih aber darum, zu welchem Preise Brotkorn zu beschaffen sei, und man habe jeßt thatsächlich Preise, wie man sie früher in den Jahren mit hohen Preisen als Nothstands- preise angesehen habe. Zu hohe Ausgaben des Volkes für Brotkorn führten zu vermindertem Konsum anderer Verbrauchsartikel, sie maten sfih also geltend in einer verminderten Arbeit in der Industrie und damit in einer verminderten Beschäftigung der arbeitenden Be- völkerung. Die Berliner „Börsen-Zeitung* führe zwei Fälle an, in denen große Jndustriefirmen in Folge der jeßigen Flauheit zu Grunde gegangen seien, Es spreche au Alles dagegez, daß die jeßigen Nothstandspreise nah der neuen Ernte verschwinden würden. Die Hoffnung der Regierung auf die neue Ernte werde von sach- verständigen Kreisen nicht getheilt. Das Land würde nah deren Urtheil vielmehr für den ganzen Herbst und Winter, ja für das ganze Erntejahr ähnlich hohe Preise haben. Wenn der Minister-Präfident gemeint habe, eine Zollermäßigung würde unsere handelspolitishen Verhandlungen ftören, so könne er sich dagegen auf das Urtheil des Hrn, von Matlekovih berufen, welher gemeint habe, daß eine folhe Maßnahme in Deutschland den deutsch-österreihishen Handels- vertrag nit beeinträhtigen werde. Der Abg. Frhr. von Huene habe behauptet, daß es sih beim Terminhandel gar niht um wirklih vorbandenes Getreide handle. Ein großer Theil der Herbstnotirungen rühre aber von den Produzenten selbs her; das beweise also, daß die Produzenten selbst aus dem Terminhandel Nupen zögen. Allerdings sei immer Spekulation dabei, aber eine berechtigte und mäßige Spekulation. Die Vorwürfe, die man seiner Partei wegen ihrer Agitation mache, seien nicht berechtigt. Er würde von dem politishen Ver- ständniß der deutshen Wähler eine sehr geringe Meinung haben, wenn nit auch ohne die Agitation seiner Partei aus der Wählershaf1 heraus sich Opposition gegen die jeßigen Zustände bemerkbar machen sollte. Diese Bewegung gegen die Kornzölle sei der rihtige Ausdruck regen politischen Lebens. In keinem anderen Lande, wo ein reges politishes Leben herrshe, würde man folhe Verhältnisse wie unsere jetzigen ruhig hin- nehmen. Es handele sih hier um eine Agitation für die allgemeinen Interessen und für die Wohlfahrt des Landes. Wie würden ih die Verhältnisse erst gestalten, wenn wir ein ganzes Jahr hindur so grofie Preise hâtten! Der Abg. Graf ganis mache die Bäcker und Schlähter mehr als- die Zölle für die hohen Preise verantwortlich. Gr habe sih aber den Beweis dafür sehr leiht gema§t. Der Absaß von Wohlthätigkeitsanstalten u. dergl. sei gar niht zu vergleichen mit dem Absaß der Bäereien für den Privatverbrauch. Die Fleischpreise seien thatsäblih seit Monaten ebenso zurück- gegangen, wie die Preise für Vieh im Großhandel. Wenn der Abg.

Graf Kaniß meine, daß die Bäcker und Fleischer so außerordentlichen Gewinn hätten, so liege der Rath nahe, daß man heutigen Tages in Deutschland, statt Majoratsherr zu werden und sein Dach mit Stroh zu decken, do lieber Bäker werden möge, der 609% Profit habe. Die Landwirthe solltea \sich doch lieber zu Bâckerei- und Fleischgenossenshaften vereinigen, um den Bäckern den Profit streitig zu machen. Der Uübg. Graf Kani ermahne seine - (des Redners) Freunde, nicht an dem Zoll zu rütteln: denn hohe De seien für das Getreide nothwendig, er sage, daß die andwirthe mühsam arbeiten müßten; die anderen Klassen im Vaterlande müßten sich auch mübsam ihr Brot erwerben. Der Minister-Präsident habe betont, ‘daß die Regierung ein warmes Herz für die Versorgung des Landes mit Brotkorn habe und ihr Alles daran liege, die Brotpreise für den armen Mann billig zu erbalten. Hätte er diese Worte niht selbst aus dem Munde des Minister- Präsidenten gehört, in den Thaten der Regierung würde er von dieser Tendenz nibts gefunden haben. Man könne das Interesse für billiges Brot des armen Arbeiters nihi bloß dadur bethâätigen, daß man Ermittelungen über die Ernte-Aussichten anstelle, dazu ge- hôre noch etwas Anderes. Der Abg. Freiherr von Huene habe es für erfreulich gehalten, daß der Minister-Präsident erkflârt habe, daß unter keinen Umständen auch nur eine zeitweilige Zoll- ermäßigung eintreten solle. Das habe der Minister-Präsident nicht erklärt, und kein Staatsmann könne erklären, daß unter keinen Umständen eine Zollermäßigung eintreten solle. Auch in den Er- klärungen des Minister-Präsidenten fei immer die naturgemäße, er möchte sagen die menshliche Vorausseßung gemacht, daß, wenn die Preise noch weiter ftiegen und das eintrete, was die Regierung einen Nothstand nenne, dann eine Ermäßigung der Zölle eintreten solle. Seine Partei verlange von der Regierung nicht feierlihe Betheuerungen, sondern Thaten, und die Herabsezung und Ermäßigung der Getreidezölle würde eine solhe That sein. Maa habe seit einer Reihe von Wochen Roggenpreise in Deutschland, bei deren Bestehen man früher zur Zeit des Bundestags die Zölle entshieden aufgehoben haben würde. Der Unterschied zwischen dieser früheren Zeit und jeßt sei nur der, daß die Regierung jeßt mit der altpreußischen Zollpolitik brehe und mit ungewöhnlicher Härte sich jeßt Erleichterungen verschließe; und das sei um so wuyderbarer gerade in jeßiger Zeit der fozialpolitishen Bestrebungen. (Beifall links).

Präsident des Staats-Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi:

Der Herr Abgeordnete hat den Namen eines der ersten Ge- treidehändler Amsterdams genannt und hat hinzugefügt, der Herr wäre Konsul, mit der Absiht, wie mir schien, dur diese Hinzufügung auszudrücken, daß dur diese seine amtlihe Stellung der Werth seiner Aussage beeinflußt würde. Ich theile die Ansicht zunähst nicht, daß Jemand dadur, daß er ein Amt bekommt, an Fähigkeit oder Redlichkeit Einbuße erleidet (sehr richtig! rechts), sondern ih legte auf die Aus\age des Hrn. Hoyack denselben Werth, wenn er ‘in der That Konsul wäre, wie so, da er es in der That nicht ift. (Heiterkeit rets.)

Hr. Hoyack ist bis zum Jahre 1887 Konsul in Amsterdam ge- wesen, und, wie das vor mir liegende Handbuch für das Deutsche Reich von 1891 nahweift, ist General-Konsul in Amstecdam zur Zeit Dr. Göhringz ihm attahirt ift Affessor Hr. Wunderlih und Sekretär Hr. von Stuckrad.

Der Herr Abgeordnete hat dann im Anfang seiner Nede es der Regierung ziemlich nahe gelegt, daß es doch ihre Sache wäre, die Nachrichten, die fie besißt, dem Handel zugänglih zu machen, damit der Handel sh danach richten könne. Jch glaube nit, daß das zu den Pflichten einer Regierung gehört. (Sehr richtig! rechts.) Wohin würde denn das führen? Der Handel würde auf Grund der Nahhrihten, die wir ihm geben, fich in diese oder jene Unter- nehmung einlassen; manche würde glücken, manche würde nicht glüden, und zweifellos würden alle nicht geglückten auf Conto der Regierung geseßt werden (sehr wahr! rets), aber vielleich@t auch manche geglückte, wenn sie niht ganz so gut geglückt wären, wie andere.

Der Hr. Abg. Richter hat gestern bemerkt, wir veröffent- lihten ja doch Konsularberihte periodish, und wir nähmen jeßt An- stand, Nachrichten, die wir von unseren Konsuln hätten, im Ein- zelnen vorzulegen. Ja, das ift ein Unterschied. Was der Konsul in seinem Monats- oder Jahresbericht berichtet, sammelt er auf Grund objektiven, theils von den fremden Regierungen offiziell heraus- gegebenen Materials. Diese Berichte sind geeignet und haben den Zweck, dem Handel Wege zu weisen, die er gehen kann, neue Gebiete zu eröffnen, ihn zu warnen vor solhen Gebieten, wo er niht mehr rentabel auftreten kann; diese Nachrichter. haben aber niht den Zweck, ad hoc den Handel auf gewisse Wege zu führen, ihn zu Speku- lationen nach der einen oder anderen Richtung zu veranlassen. (Sehr richtig! rets.)

Nun kommen die Herren immer wieder mit der Lage der Ver- hältnisse in Rußland und provoziren uns über das, was wir über Rußland wissen, am Meisten, und sie haben vollkommen Recht, weil der Roggen diejenige Getreideart ift, auf die es bei uns im Augenblick am Meisten ankommt, und weil wir den Roggen zumeist aus Rußland beziehen.

Ich habe gestern, als ih eintrat, und der Abg. Richter wird vielleiht die Güte haben, daraus zu entnehmen, daß die Maschine der Staatsbehörden niht ganz so langsam arbeitet, als er annimmt einen Haufen Berichte aus Rußland hier gehabt, der ungefähr einen Finger dick war; heute früh sind mir wieder Berihte aus Rußland zugegangen, und ich will aus ihnen nur eine einzige Stelle verlesen, ohne den Namen des Mannes zu nennen, und auch ohne den Ort zu nennen, an dem er domizilirt, aber mit dem Hinzufügen: Es ist ein Beamter, der unter den Beamten seiner Art für mi eine der höchsten Stellen cinnimmt, einer der zuverlässigsten und fähigsten, Er sagt:

Eine Gefahr, daß wir, selbst bei einer im Allgemeinen wenig günstigen Ernte in Rußland, von da aus nit genügend mit Roggen würden versorgt werden können, liegt nah meinem Dafür- halten gewiß nit vor.

Ich würde dem Hrn, Abg. Richter auch aus der Post, die ih heute früh aus Frankreih bekommen habe, den stenographischen Bericht des französishen Senats, auf dessen Urtheil er \sich gestern berufen hat, vorlegen können, wenn ih niht annähme, daß durch den inzwischen eingetretenen abweisenden Beschluß des französischen Abge- ordnetenhauses die Verhandlungen des Senats das Interesse für Hrn. Richter verloren haben. (Heiterkeit rechts.)

Der Hr. Abg. Broemel hat sich berufen auf einen hervorragenden Fachmann, auf Hrn. von Matlekowitsh. Hr. von Matlekowitsch ist ein au bei uns bekannter früherer österreihisher Beamter, der sich einer allgemeinen und hohen Achtung erfreut, und hat ein dies Buch geschrieben über handelspolitisGe Dinge und Zölle, dur das mi durchzuarbeiten ich mich au bemüht habe. Das Bu enthält vortreffliche Dinge. Wenn aber |. ieser Herr im vo.biegenden Falle in Bezug auf sein Urtheil citirt wird, um nachzuweisen, daß, [wenn

Hr. von Matlekowitsch sagt: Ihr könnt da sagen und thun, was Ihr wollt, den Handelsverträgen \{chadet das nichts, fo habe ich daran einen leisen Zweifel. Hr. von Matlekowitsch is seiner Stellung nah Freihandel8mann durch und durch, und ih habe die Besorgniß, daß, wenn man auf sein Urtheil in dieser Beziehung zu viel gäbe, uns doch S{hwierigkeiten erwachsen können, wie wir sie früher mit Beziehung auf Aeußerungen des Hrn. von Plener an anderer Stelle erlebt haben. (Sehr ri@tig! rets)

Nun mahnt uns Hr. Broemel weiter, wir sollten doch zeigen, was wir für die Arbeiter ‘thäten; wir bätten mit hohen Worten uns anheishig gemacht, das Wohl der Arbeiter läge uns am Herzen, wir wollten auch was für sie thun. Und ih kann noch einmal ver- sichern, daß das unsere Absicht ist, und daß ih mich jeder Gelegenheit, die sich dazu findet, freuen werde. Wir glauben aber, daß für die Arbeiter wir etwas thun können, wenn wir ruhige, feste, \tetige Verhältnisse in Handel und Wandel bringen. (Sehr richtig! rets.)

Wir glauben au, daß damit den Arbeitern am Meisten gedient ist, und ih möthte mi hier berufen auf ein Zeugniß, das die Herren von jener Partei doch vielleiht als vollwihtig annehmen werden. Der Ma- gistrat der Stadt Berlin hat vor einigen Tagen mir eine Denkschrift einzureichen die Güte gehabt, die sich mit der Fleishversorgung von Berlin befaßt. Sie is von cinem Fahmann aufgestellt und enthält zweifellos viel Interessantes. Jn der Denkschrift sagt der Herr ungefähr: Die Arbeiterfrage wird erst dann gelöst werden, wenn Gewerbe und Industrie von der s\prungweisen, fieberhaften An- spannung in ruhige Verhältnisse übergehen. (Sehr richtig! rechts und links.)

Diese fieberhafte Anspannung zu beseitigen, ist unfer Wunsch. Daß die Agitation, die von anderer Seite getrieben wurde, im Stande ist, dasselbe Ziel zu fördern, if mir zweifelhaft. (Sehr richtig! rets.)

Zuleßt hat der Abg. Broemel der Regierung den Vorwurf ge- macht, daß sie mit den Traditionen altpreußisher Zollpolitik bräche Ich weiß nicht, wie man uns einen Bruch mit einer Zollpolitik in dem Augenblick vorwerfen kann, wo wir an den bestehenden Zöllen nit zu rütteln gewillt sind. (Heiterkeit.)

Wir wollen sie niht aufheben, wir sind nicht die, die mit dieser Politik brechen.

Er ist dann in seinen historishen Reminiscenzen noch etwas weiter zurückgegangen und hat gemeint, der Bundestag würde unfehlbar anders gehandelt haben. Ih verzichte darauf, zu erkennen, wie der verflossene Bundestag in der heutigen Lage gehandelt haben würde. (Heiterkeit. Bravo! rechts.)

Abg. von Eynern: Bei der keute lang ausgedehnten Debatte werde vermutblih nihts Praktishes herauskommen. Der Antrag Rickert sei nur gestellt, um eine Besprehung hier im Hause über die Erklärung der Regierung vom 1. Juni hervorzurufen, um die Ziele dieser Agitationspartei zu fördern. Der Abg. Graf Kanitz habe sehr naive Ansichten über wirthshaftlide Verhältnisse vorgebraht, er habe natürli auch die Klagen über die Kölner Kohlenzehen nicht zurückhalten können, welche so böse mit ihren Preisen seien, nicht unter den Marktpreis herunterzugehen. Er babe si über die Zwischen- bändler beklagt, die Fleisher, Müller, Bätker; nach seiner Meinung solle Niemand verdienen als der Landwirth. Er habe ja nihts gegen den Zusammenhang zwishen Landwirthschaft und Industrie, wie ihn der Abg. Graf Kaniy konstruire. Aber wenn Leute wie der Abg. Graf Kaniß sih zu den Freunden der Industrie zählten, so müsse er doch sagen: Gott \{chüte uns vor diesen unseren Freunden! Der Abg. Broemel habe es so dargestellt, als ob er genauere Berichte über die Kornverhältnisse habe, als die Regierung selbst, aber er (Redner) fürchte, daß diese genaueren Berichte auch niht ershöpfender Natur sein würden Der Abg. Rickert verlange s{chnelle telegraphische Nachrichten über die statistishen Ergebnisse. Das werde, fürchte er, nur der wilden Spekulation eine Basis geben, wie es {hon öfter vorgekommen sei. Ueberhaupt sei die Statistik eine Wissenschaft, aus der Jeder herauslesen könne, was er wolle. Dem Abg. Frhrn. von Erffa gebe er nicht zu, daß der Brotpreis un- abhängig vom Kornzoll sei. Bei einem Lande, welches 15 Millionen Doppel- Centner Getreide zu seiner eigenen Ernährung einführen müsse, müfse der Zoll auf den Preis Einfluß a. üben, Wenn übrigens die Regierung bei ihrem Entschlusse festbleibe, ven Getreidezoll nicht herabzuseßen, und es entstehe ein wirklicher Nothstand, der doch jeden- falls nur partieller oder lokaler Natur sein könne, so müßte man erwägen, ob diesem Nothstande aus den nach der lex Huene zu über- weisenden Zollerträgen Abhülfe geschafft werden könnte. Nach der Debatte vom 26. Mai habe er den Eindruck gehabt, daß die Regie- rung die Tendenz habe, eine Zollsuspension eintreten zu lassen, und der Abg. von Erffa könne dem Aba. Richter aus seiner falschen Prophezeiung in Frankfurt keinen Vorwurf machen. Er (Redner) und viele Herren von der Rechten würden, wären sie in Frankfurt gewesen, dasfelbe prophezeit haben. Für ihn und seine Freunde sei der Hauptgrund, daß fie sih an der Agitation für Herabseßung der Getreidezölle niht betheiligten, in der Rüdksiht auf die Handels- verträge zu suhen. Sie sähen in den Handelsvertragêverhandlungen ein Zeichen für ein sehr weit vorausshauendes Verhalten unserer europäischen Staatsleiter gegenüber dem neuesten bandelspolitishen Verhalten von Nord-Amerika, das ja auch auf Süd-Amerika jeßt seine Hand zu legen beginne, und dem gegenüber nur ein nit in einzelne sich bekämpfende Staaten getheiltes Europa ankommen könne. Die Fraze, ob Freibandel, ob Schußzoll, könne nur nah Zweckmäßig- keitsgründen, mit Berücsihtigung der speziellen Orts- und Zeitverbält- nisse, entschieden werden, politische Parteien könne man nit dauernd nah der einen Seite hin festnageln. Den Schuß der nationalen Arbeit dürfe man niht nur dahin auffassen, .daß ibr cine Absaßzmögli&keit im Inlande geschaffen werde, sondern man müsse ihr auch durch Han- delsverträge Absaßgebiete im Auslande ershließen. Wolle die Re- gierung die Kornzölle niht aufheben, so müsse ße, die ja allein die Verhältnisse übersehen könne, auh die Verantwortung dafür tragen. Der Abg. Richter sage, Handelsverträge dürfe man nicht überschäßen, die Ernährung des Volks stehe in erster Reihe. Aber andererseits sage er, keine Partei würde der Regierung bei der Be- rathung der Handelsverträge mehr Hülfe leisten, als die seine. Bei jenem Wort komme es ihm also nur auf die augenblickliche Agitation an. Der Abg. Rickert sage noch energischer, Getreide sei überhaupt kein Zollobjekt für Handelsverträge. Aber man müsse h hier doch nah Thatsachen richten. Man habe es nit mit einem unbeschriebenen Blatt Papier zu thun, sondern müsse auf die Verhältnisse der anderen vertragschließenden Länder Rücksiht nehmen. Die Regierung werde, wie gesagt, für ihr Verhalten auch die Verantwortung tragen. Aus allen diesen Gründen müsse er sich Namens seiner Freunde gegen den Antrag Rikert erklären, Seine Parteifreunde möchten wohl jeder seine besonderen Gründe für ihr Verhalten haben, aber allen gemein- sam sei die Nücksiht, daß die Situation zu ernst, die Verantwortung zu groß sei, um die Regierung in ihrer Stellung zu ershüttern, wo es sih um eine so wihtige und für die Geshicke des Vaterlandes weittragende Frage handele, wie die der Handeléêverträge.

Abg. Rickert: Dem Abg. Eynera scheine diese Debatte zu lange zu währen, er selbst aber habe sie doch provozirt, denn er habe am 1. Juni gesagt, er hoffe, ein Antrag aus dem Hause werde Ge- legenheit zur Besprehung der Erklärung des Minister-Präsidenten geben. Die Rede des Abg. von Eynern habe nah rechts und nah links geschlagen, aber was er eigentlich wolle, sei nicht zu erkennen gewesen, wenn er nicht etwa einen europäishen Kongreß im Kampf gegenüber dem amerikanishen Koloß wolle. Während aber dieser europäische Kongreß erreiht werden folle, würde das Volk in Folge

der hohen Getreidepreise verhungern; und das gehe uns doh näher an. Jener amerikanishe Koloß, dem auch er (N-dner) ent- gegenwirken woile, würde am Besten zu bekämpfen sein von einem freibändlerischen Europa, während andererseits ein freibändlerisches Amerika Europa, wenn es an dem Schußzolle festhalte, tödten würde. Am Besten thue Deutschland, fo sehr er auch die Handels- verträge \{chäte, wenn es sh niht auf den Standpunkt des do ut des s\telle, sondern dem Freihandelsprinzip folge. Seine Partei theile die Haltung der Regierung in Bezug auf die Getreidezölle

. niht und werde im November nach dem Zusammentreten des Reichs-

tages ihre Konsequenzen daraus ziehen, Der Abg. von Eynern nenne seine (des Redners) Partei eine Agitationspartei, aber er glaube niht, daß alle seine Fraktionsgenossen im Lande ebenso urtheilten. Ein Telegramm aus Bremen bestätige, daß bei den dortigen Verhandlungen Mitglieder aller Parteien die von den Freisinnigen eingenommene Stellung theilten. Er be- daure, daß auch der Minister-Präsident heut wieder das Wort „Agitation“ in den Mund genommen habe; die Kornzölle seien do h auf einer ganz anderen Agitation aufgebaut. Jede Rede des Ministers, die in die Zeitungen komme, wirke agitatorisch und müsse es; habe doch Fürst Bismarck selbst im Reichstage gesagt, er rede niht zu uns, sondern zu dem Volke draußen. Sei das etwa keine Agitation? Der Minister von Heyden habe nicht nur 1887 einen Antrag auf Zollerhöhung unterschrieben,“ “sondern {on 1886 eine dasselbe anfstrebende Resolution; sei das keine Agitation? Die Herren hâtten Cirkulare erlassen, in denen sie gebeten hätten, die Petition für Zollerhöhung \o abzufafsen, daß man niht merke, daß fie von Centralstellen ausgehe, sondern Masseneindruckd mache; so \chlau seien die Herren gewesen. Sie hätten sich um Unterstüßung an die Amts- und Ortsvorsteher gewandt. ÎFhm selbst sei ein solches Cirkular von einem sfolden Ortsvorsteher zugegangen; doch habe er auf dessen Wunsch die Bezeichnung des Ortes weggeschnitten, denn wehe dem Manne, wenn man erfahren hätte, daß er ihm (dem Redner) das eingeshickt hâtte. Die Herren hätten freilih erreicht, was sie gewollt hätten; sie hätten die 5 #4 befommen, aber seine Partei werde nicht aufhören, daran zu rütteln; und das nenne man Agitation, Agitation! Die Hauptzeit des S{utzolls sei vorüber. Der Abg. Graf Kanitz werde den festen Bund der Landwirthschaft und Industriellen nicht wiederherstellen können. Seine (des Redners) Partei wolle, um auf Einzelnes einzugehen, nit, daß die Regierung solche Angaben veröffent- lihe, daß man iór naher die Schuld für irgend welche verfehlte Spekulation aufbürden könne, sondern wolle generelles Material vorgelegt haben. Dem Abg. Grafen Kanit gegenüber bemerke er, daß durch die neuere Gesetzgebung gerade das flahe Land den Städten gegenüber bevorzugt werde. Der Abg. Graf Kaniß irre, wenn er meine, die Mehrheit des Landes stehe hinter seiner Partei bei einer etwaigen Auflösung des Landtages würde fich das Gegentheil \{chnell erweisen. Als Paladin der Krone sei er übrigens bei der Landgemeindeordnung, die dem Abg. Grafen voa Kaniß noch so \chwer im Magen zu liegen scheine, nicht aufgetreten. Die Frage der Zölle werde nit eher zur Ruhe kommen, als bis sie im Sinne setner Partei entschieden sei; das liege namentlich im Interesse der kleinen Landleute, die von den Zöllen keinen Vortheil hätten. (Rufe rechts: Agitation!) Vier Millionen Landwirthe gebe es, die weniger als 5 ha besäßen, während 25 000 Landwirthe größeren Besitz hätten. Che man die Zölle beibehielte, würde es {on besser sein, man gäbe den nothleidenden Landwirthen baares Geld dus Staatsmitteln, dann würden wenigstens den Majoratsherren nicht aus den Taschen der Aermsten Vortheile zugewendet. Graf E bezeihne sh als produktiv, die Freisinnigen als destruktiv. Gewiß, an den Zöllen, da seien die Konservativen produktiv. Aber in der That wirkten sie mehr destruktiv, als feine Partei, welche jeßt das wahre konservative Element sei. Man möge doch die Resolution an- sehen, die hier in einer Versammlung nah einer Rede Bebel's angenommen worden sei, in der es heiße, daß, wenn die Landwirth- schaft ohne Vieh- und Getreidezölle nicht mehr in dem heutigen wirth\chaftlichen System bestehen könne, so müsse nothwendiger- weise die ganze Landwirthschaft verstaatliht werden. Und in der That sei das die richtige Konsequenz, Seine Partei vertrete die Politik, die die preußishen Könige seit Friedrih dem Großen befolgt hâtten. Hier in diesem Hause werde sie mit ihrem Antrage freilih niht durchdringen, im Reichstage sei der rihtige Boden dafür, am 22. November, oder wenn der Reichstag sonst zusammentrete, werde er die Sade wieder aufnehmen, und er wünshe dem Reichskanzler und dem Vaterlande bis dahin gutes Wetter und gute Ernteaussihten. Es werde mit der Herabsetzung der Kornzölle hier gehen, wie 1846 in England, wo der Antrag Peels auf Herabsezung von Kornzöllen im Ministerrath mit - allen gegen drei Stimmen abgelehnt worden sei neun Monate später habe dasselbe Kabinet die damals ab- gelehnte Zollherabsezung vorshlagen müssen. So werde es auch hier geben es sei zu hoffen, daß das Vaterland und die Bevölkerung bis dahin einen nit gar zu großen Schaden erlitten habe.

Abg. von Schalscha: Agitation an ih sei berechtigt, aber die jetzige freisinnige Agitation gegen die Getreidezölle beruhe auf Gntstellungen und Verdrehungen, Aufreizung und Beunruhigung des Volkes. (Beifall re@ts.) Jeder, der im öffentlichen Leben ftehe, mache allerdings Agitation. Aber mit der Agitation der freisinnigen Partei sei es etwas Anderes. Der ruhige Ton der Debatte gestern und heute habe wohlgethan bis zu dec heutigen Rede des Abg. Rickert. Was wolle es denn bedeuten, wenn zusammengelaufene Majoritäten in den Volksversammlungen diese Fragen entscheiden wollten. Die Redner in solhen Versammlungen sagten sih natürli, die Massen seien niht im Stande, diese Sache zu beurtheilen, über die die größten Gelehrten stritten. Diese Agitation sei es erst, welhe den Handel unsicher mache und shädige. Es sei der Ge- \{äftsordnung zu danken, daß innerhalb 14 Tagen zweimal dieses

aus zum Ausgangs8punkt einer wüsten Agitation geworden fei.

er Handel werde dur diese Debatte hier beunruhigt. Der Abg. Rickert habe gestern angeführt allerdings bona fde das nehme er bei dem Abg. Rickert immer an —, daß man in Leipzig gefordert habe, daß nur {utzölnerische Professoren an der dortigen Universität angestellt würden. An dem Rückgang unserer Verhältnisse sei die Entwerthung des Silbers iu Folge der Einführung der Gold- währung s{uld. Davon fei er bei den Zollfragen immer aus- gegangen. Für ihn sei der Zoll zunächst ein Mittel, die Schädigung unserer inländischen agrarishen Produktion durch den gedrückten Cours der Geldsorten in unseren Nachbarländern auszugleihen. Durch die Einführung der Goldwährung habe das Inland 25 % an den Preisen eingebüßt. Darum sei er Gegner der Goldwährung geworden. Er habe immer für die Zollerhöhungen gestimmt, in dem Bewußtsein, daß der Zoll noch. nicht ausreihe, um die Valutadifferenz auszualeihen. So lange die Zölle zur Aus- gleihung der Valutadifferenz dienten, würden sie auch vom Auslande getragen. Er wünschte, daß diejenigen, welche meinten, daß der Zoll auf die inländishen Preise geschlagen werde, die gegen- theiligen Argumente in dieser Beziehung mehr würdigten. Todt- s{chweigen könne man diese Argumente niht. Zum Mindesten sei diese Frage kontrovers. Weshalb wünsche denn das Ausland die Aufhebung unserer Zölle? Weil es sie dann nicht mehr zu tragen brauche. Die ausländi\chen Importeure hielten die Getreidevorräthe an der Grenze zurück bis zur Klärung unserer Zollfragen, aber niht, um dann zu billigen Preisen verkaufen zu können, sondern zu den bisherigen und dann für den Fall der Zollsuspension die Zölle in der Tasche zu be- halten. Der Abg. Broemel habe in einer Versammlung gesagt, bei der leßten Zollerhöhung habe das Fünfzigpfennigbrot ‘noch 5 Pfund gewogen, jeßt wiege es nur noch 33. Der Abg. von Erffa habe bereits gestern nachgewiesen, daß die Bäcker und Fleisher sh vereinigten, um die Preise hoh zu halten. Je mehr Bäcker und Fleischer also in einem Orte seien, desto theurer sei Brot und Fleis. Er sei überzeugt, daß keine Hungersnoth vorhanden sei, er set weiter überzeugt, daß, wenn eine Hungersnoth bestände, die Aufhebung der Zölle nicht , das Geringste daran ändern würde. Man sage, die Getreide-Importeure maten sich die Ernährung des Volkes zur Aufgabe. Was sehe man aber? Sie hielten die Getreide- Importe zurück, um die Preise zu bestimmen, sie gebrauchten ehrliche

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