1891 / 140 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 17 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Ich mötte den Herrn Vorredner nur darüber berubigen, daß die Verhandlungen über die Materie noch mehrere Jahre in Anspru nehmen könnten. Dies fürchte ih nicht, und ih habe au Nichts dagegen, wenn sein Antrag angenommen wird; nur möthte ih dabei von der Voraussetzung ausgehen, daß die Annahme dieses Antrages keine gebundene Mars{route für die Regierung sein soll (Heiterkeit), und ich bin in dieser Annahme beftärkt durch die Ausführungen des Vorredners, der ja den Kreis möglichst ausgedehnt wissen will (Zu- stimmung des Herrn von Woyrfch).

Darauf wird der Antrag des Herrn von Woyrsch in der vom Berichterstatter beantragten Fassung angenommen.

Es folgt die einmalige Schlußberathung des Geseßz- entwurfs über die zeitlihe Begrenzung der geseß- lihen Vorausleistungen zu den Kosten der Unter- haltung oder des Neubaues öffentliher Wege und die Verjährungsfristen bei diesen Leistungen.

Der Berichterstatter, Wirklihe Geheime Rath Persius beantragt: :

Das Herrenhaus wolle beschließen:

dem vorgenannten Gefeßzentwurfe mit Ausnahme des S. 1 in der vom Hause der Abgeordneten bes{chlofenen Faffung unverändert, dem §8. 1 dagegen in der aus der nabfolgenden Gegenüberstellung ersibtlihen Faffung die verfassungsmäßige Zustimmung zu ertheilen.

S. 1 soll lauten:

Die gesezlihen Voraus[eistungen zu den Kosten der Unter- baltung oder des Neubaues eines Weges, welber in Folge der An- legung von Fabriken, Bergwerken, Steinbrüchen, Riegeléten oder ähnlichen Unternehmunaen vorübergehend oder durch deren Betrieb dauernd in erbeblibem Maße abgenutßt wird, dürfen nur vom Beginn deéjenigen Kalenderjahres ab in Anspru genommen werden, welches dem Iabre, worin die Klage erhoben wird, unmittelbar vorausgeht. Auf rückständig gebliebene oder fkreditirte Vorausleistunzen finden die Bestimmungen des §, 8 des Gesetzes über die Verjährungsfristen bei öôffentlihen Abgaben vom 18. Juni 1840 (Gefez-Samml. für 1840 S. 1409 ff ) Anwendung,

Regierungskommissar, Geheimer Ober-Regierungs-Rath Freiherr von Zedlitz erklärt, daß die Regierung prinzipielle Bedenken gegen diese Aenderung nit bege. Was den von dem anderen Hause dem Gesetze cingefügten §. 3 anbelange, fo stimme die Regierung demselben zu, da derselbe nichts Anderes bedeuten solle, als daß man mit Rück- idt auf die bekannten Entscheidungen des Ober-Verwaltung8gerihts den Meta gigen Nachweis der Koftenlast des Einzelnen aus\{ließen wolle.

Der Geseßentwurf wird mit der vom Referenten be- antragten Aenderung angenommen. ; j

Das Haus spricht darauf die Entlastung aus für die allgemeine Rehnung für 1887/88 und für die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben für 1889/90, für leßtere unter Vorbehalt der endgültigen Rehnungslegung.

Es folgt die einmalige und Sthlußberathung des Geseßt- entwurfs, betreffend die Beförderung der Errich- tung von Rentengütern.

Beri@terstatter Herr von Wiedebach: Die Vorlage sei eine nothwendige Ergänzung des Rentengütergesezes vom vorigen Jahre. Das vorjährige Geseß würde den Zweck der Erleichterung der An- siedelung nit erreiben, wenn nihr durch diese Vorlage Kredit gesbaffen werde dur Vermittelung der Rentenbanken. Dadurch solle die Bildung von Rentengütern besonders im Osten und die Herstellung mittleren und kleineren Besitzes erleihtert werden, und zwar unter Mitwirkung der Generalkommissionen, welhe die Be- fugniß baben sollten, niht allein die Vermittelung von Renten- gutsgeschäften, sondern aud die Au®führung derselben zu übernehmen. Darin liege der Kerr punkt des ganzen Geietzes, und er habe zu dem Finanz-Minister und dem Landwirthschafts-Minister volles Vertrauen, daz die Auéführunresbefstimmungen, welhe sie an die General- koinmissionen erlaffen müßten, diesem Geseh zum Segen ge- reihen würden. Prinzipiele Bedenken gegen das Geseß seien im anderen Hause nit erhoben worden. Die Bedenken aegen die Un- ablôëbarfkeit der Rente und gegen das Risiko des Staates seten in so s{lagender Weise widerlegt worden, daß er nicht mehr darauf eingebe, Das Gesetz, welches eine Vermirderung der großen Lati- fundien und cine Vermehrung des kleineren Besitzes herbeiführen werde, set für den Freisinn nur deshalb unannehmbar, weil, wie der Abg. Rickert gesagt habe, dieses Gesetz ret eigentli eine S{öpfung des Herrenhauses und der jeßigen Majorität des Abgeordnetenbauses sei. Er meine, daß eine solhe Schöpfung dem Lande zum Segen gereide und durch daëselbe dem Lande nüßlihe Einwohner erbalten blieben, die sonft zur Auëwanderung würden gedrängt werden. Er hoffe, daß diese Gesetzgebung no& nicht abgesclofsen sei, und die Regierung an sie berantretenden Wünschen ein günsftizes Ohr leihen werde. Im Uebrigen danke er der Regierung, daf sie der vor- jährigen Resolution dieses Hauses so {nell Folge gegeben habe. Graf von Mirbach: Für die Bildung von Rentengütern würden in einzelnen Fällen Shwierigkeiten entstehen bei solWen Großgrund- besißern, wele in einer finanziell ni6t sebr günftigen Lage seien. Es komme da bâufig vor, daß die Kündigung der ganzen eirgetra- genen Hypothek ftipulirt werde, wenn auch nur ein BruBtheil des Gutes seinen Besizer wechsele. Er wise nit, ob die Gesetzgebung Kautelen enthalte, daß durch einen solhen Vertrag nicht die Wirkung der Vorlage beeinträhtigt werde. Er bitte den Finanz- Minister, dem Minifterium die Frage vorzulegen, ob nit eventuell in diesem Sinne eine gesetlihe Bestimmung zu treffen sei, daß sole Verträge bezügli der Kündigung einer ganzen Hypotbek wirkungslos seien, Er glaube übrigens nit, daß die Vorlage unter allen Um- ständen eine Zerslagung des größeren Grundbesitzes herbeiführen werde. Er könne ih wozl denken, daß Jemand an einer Stelle Grundbesiß veräußere, aber an der anderen Grundbesig erwerben wolle, Die Bildung von Rentengütern werde nur da von Vortheil sein, wo das Interesse des Erwerbers und Verkäufers zusammenliefen. Das materielie Interesse sei immer der wirksamste Hebel in dieser Beziehung.

Finanz-Minister Dr, Miquel:

Meine Herren! Eine ähnlihe Frage, wie sie Herr Graf von Mirbach anregt, die allerdings für die Wirksamkeit dieses Gesetzes von großer Bedeutung ift, wurde bereits bier im Herrenbause aufs geworfen und diskutirt bei der Berathung des Rentengütergeseßes vom 27. Juni v, J, und es wurde, ih glaube auf Antrag des Herrn von Kleist-Reßow, gerade der legte Absaßz des § 1 dieses Gesetzes be- s{lofsen, und demgemäß auch dabin der Gesetzentwurf formulirt. Da heißt es im legten Absay des § 1 :

«Auf die Veräußerung zum Zwecke der Bildung von Renten- gütern finden die geseßlihen Bestimmungen über den erleihterten Abverkauf von Grundstücken Anwendung mit der Maßgabe, daß das Unschädlichkeitsattest au bei der Abveräußerung größerer Trennstücke ertbeilt werden kann, wenn die Sicherheit der Realberetigten da- durch nicht vermindert wird,“

Nun wird doch wohl ia der Regel, wenn an Stelle des ab- getrennten Stückes bei der Bildung von kleineren und mittleren Rentengütern entweder unablösbare Renten , oder aber Rentenbriefe treten und leßtere zur Deponirung gelangen, damit eine genügende Unterlage zur Ertbeilung des Unschädlichkeitsattestes gegeben, sein, weil man in der Regel wird annehmen können, daß diese Werthe

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dem Werrß des Trennfstücks in vollem Maße äquivaliren. Was nun aber die Wirkung sein würde in einem solchen Fall auf Privatverträge, die der Besißer mit Hypothekengläubigern gemawt hat, das ift allerdings {wer zu sagen. Bei der Landschaft ift ja die Kündigung ausge\sch{lofsen, aber bei Privatbypothekengläubigern, die etwa noch binter den Hypotheken der Landschaft kommt, würde allerdings durch diesen Paragraphen na meiner Meinung, die ih vorläufig ausspreche, die vertragsmäßige Stipulation niht alterirt werden. Man wird die Erfahrung abwarten müssen, in welhem Maße derartige Verträge mit Privathypothekengläubigern ‘überhaupt bestehen, und ob sie ein wesentlihes Hinderniß für die Erreichung des Zieles bilden, welches dieser Geseßentwurf ih stellt, und danach später in die Erwägung der Frage eintreten können, ob man bier irgendwie durch die Gesetzgebung Abhilfe {hafen kann. Leicht wird es allerdings nit sein; denn es wird immer großes Bedenken haben, durch die Geseßgebung in folche private Verabredungen einzugreifen.

Meine Herren, ih habe im Uebrigen zu dem Referat des ver- ehrten Herrn Referenten, der die Sache ja sehr klar und erschöpfend dargestellt hat, nihts hinzuzufügen. Ih gebe mi der Hoffnung bin, daß dur dieses Gese einem thatsählih vorhandenen weitverbreiteten wirth\{aftliGen und sozialen Bedürfniß niht bloß in den öftlihen, sondern zum Theil au in den westlihen Provinzen, nah Vermehrung und Befestigung der kleineren und mittleren ländlihen Besitzungen eine sehr wesentlihe Förderung erwachsen wird. Darüber ift auch bei Berathung des Rentengütergeseßzes hier im Herrenhaus kaum ein Zweifel gewesen, daß abgeschen von dem Fall der Bildung von Rentengütern durch den Staat, vielleiht auch durch große Kommunen und Stiftungen, eine wesentlihe Wirkung desselben für tie Bildung von Rentengütern durch Private nicht erwartet werden konnte, (sehr richztig !) und daß daber die Vermittelung des Staates dabei eingeri{tet werden müßte, um diejenigen Kapitalien, die bei solchen Bildungen von Rentengütern zu beschaffen sind, im Interesse des Renten- gutsgründers und des RentäÄgutsempfängers zu beschaffen. Daß die bewährte Form der Rentenbriefe und der Mitwirkung der Rentenbanken hier fich von vornherein naturgemäß empfabl, das bedarf kaum ciner weiteren Beweisführung. Die Befürchtungen, die man etwa hegen könnte in Beziehung auf die Sicherheit des Staates bei dieser ganzen finanziellen Operation, sind durch eine Reibe xon mir ausführlich in der Kommission des Abgeordnetenhauses und im Plenum dargelegten Kautelen so fehr abges{chwäht, daß ich meine, es bleibt im Ganzen bei einer verständigen Handhabung des Gesetzes eine irgend wesentli@e Gefahr für die Staatsfinanzen nit über. Außerdem wird diese ganze Entwiklung nur eine allmäßli fort- \hreitende sein, und man kann daher, wenn nöthig, diejenigen Erfahrungen, die man im Fortgange der Entwikelung mat, ih zu nuße maten, um noch weitere etwa nothwendige Kautelen für die Staatsfinanzen hier eintreten zulassen. Ich gehe aber selbst als Finanz-Minister soweit, zu sagen, daß die soziale Aufgabe, die wir uns bier stellen, von so großer Bedeutung ift, daß der Staat es auch wobl verantworten kann, ein gewisses finanzielles Risiko zu übernehmen. (Bravo!)

Was aus diesem Gesetze wird, meine Herren, das wird von zwei Um- ständen abhängen: einmal von der Richtigkeit der Behauptung, daß hier ein wirths{chaftliches und foziales Bedürfniß vorhanden ift und fch noch mehr erweitern wird. Jch habe dies selbst früber als Mitglied des Herren- hauses oft genug begründet und komme darauf nicht zurück. Sodann aber wird das S{hwergewicht der Frage, ob und welcher Erfolg ein- treten wird, in der Art der Dur@führung des Gesetzes dur die Behörden liegen. Die Eencralkommissionen sind zweifellos diejenigen Behörden, die uns von vorn herein gegeben waren, die in diesen Sahen besonders bewandert find, Ihre Aufgabe wird allerdings eine andere und von derjenigen verschieden sein, der fie bisher gedient baben, und die Generalkommissionen werden bier niht bloß diejenigen Geschäfte zu erledigen haben, die an sie berantreien werden, sondern sie müssen si durchdringen lassen davon- daß sie ihrerseits eine große ftaatliche Aufgabe zu erfüllen haben, wobei sie auch fördernd und im Wege eigener Initiative einzutreten baben. Daher ist in dem Geseß die Vorsorge getroffen, daß die ge- sammte Biltung des Rentengutes, die Vorbereitungen, die Dur(- füßrung und s{ließlich Erledizung aller Formalitäten in der Hand der Generalkommissionen liegen follen, wodurch Weiterungen, Kosten urd S{wierigkeiten für die Betheiligten ecspart werden.

Bei allen diesen Gesezen kann man nicht momentane glänzende Erfolge erwarten, aber die Erfahrung in unserer preußishen Agrar- gesetzgebung bat doch bewiesen, wie ein konsequentes und planmäßiges Vorgeben mit der Zeit zu großen Erfolgen führt, und ih hoffe, daß das auch mit diesem Geseß der Fall sein wird. (Lebbaftes Bravo !)

Graf von Mirbach: Die Artwort des Herrn Finanz- Ministers beweise, daß seine Bedenken ibre volle Berechtigung bâätten. Es kônne dur einen Privatvertrag die Abzweigung von Renten- gütern verbindert werden bei solhem Besig, der über die Landschaft binaus verschuldet fei, und das würden 28 % des gesammten Grundbesitzes sein. Man sehe also, daß unsere Römische Kapitals- \{uld don mit der Bildung des Rentenguts kollidirte. Daß an deren Stelle die Rentenshuld treten solle, sei vor mebreren Jahren schon gefordert worden. Er babe das Vertrauen zum Finanz- Minister, daß, was auf diesem Gebiete gemacht werden könne, dur seine Mitwirkung gesehen werde, Daß die Generalkommissionen die Initiative selbt ergreifen foUten, fei außerordentli erfreulih; er weise die Regierung für die Begründung von Rentengütern auf die vielen ab- gebolzten Waldfläben in den östlihen Provinzen hin, diese würden ein fehr werthvolles und umfassendes Objekt für die Kolonisation bilden. Da die Besitzer, welche hätten abforsten müssen, sehr vers@uldet seien, werde bierbei allerdings die von ihm geschil- derte Schwierigkeit eintreten. Dur cine Umfrage bei den Gerichten werde leicht zu ermitteln sein, in welchea Privatverträgen eine solche Klausel vorhanden sei. Der Waldbesis im Often sei in anderthalb Dezennien von 20 auf 13% der Gesammtfläße zurückgegangen, daber würden si diese devastirter Waldflähen besonders zur Kon- stituirung von Rentengütern eignen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ob si solche devastirten Waldflähen zur Bildung von Rentengütern eignen, wird von einer Reihe von Vor- bedingungen abbängen, von der Bodenbeshaffenbeit, Belegenheit, den Verkebréverbältnifsen u. st w. Der Herr Minister für Landwirthschaft und ich werden es uns jedenfalls angelegen sein lassen, eine ausführ- liche, thunlichst eingehende Instruktion über die Durhführung diejes Gesetzes der General-Kommission zuzustellen. Man wird si aber dabei, glaube i, sehr büten müfsen, allzuviel zu generalisiren (sehr richtig !), denn die Frage, ob die Rentengutbildung mit Aus\iht auf dauernden Besitz der Rentengüter durchführbar ist, wird eine wesentli lokale sein,

Beispielsweise bört man fehr viel sagen, es müßten die bäuer- lihen Stellen besonders guten Boden haben. Von anderer Seite

wird das, glaube ih, mit Recht bestritten ; besonders \{chwerer Boden, der namentli viel Meliorationen, Drainage u. f. w. erfordert, wird sih weniger eignen als Boden mittlerer Qualität, der ohne Weiteres in Kultur genommen werden kann. Das hat si in denjenigen Landes- theilen, wo freiwillig derartige Parzellirungen ftattgefunden baben, gezeigt, und es wird der alte Saß des amerikanishen National- ôökonomen Carey hier bewahrbeitet, daß bei Ansiedelungen nit der beste Boden, fondern derjenige zuerst in Kultur genommen werde, der am Leichtesten in Kultur zu seten ist.

Ob nit gerade in solhen Provinzen, wo diese bedauerlihen Walddevasftationen stattgefunden haben, von denen Hr. Graf Mirbach gesprochen hat und die allerdings in hohem Grade die Aufmerksam- keit der Königlichen Staatsregierung verdienen, es erwünschter ift, folche Waldfläßen mit staatlihen Mitteln wieder aufzuforsten, als sie in vielleiht weniger besonders gut geeigneter Weise in Rentengüter zu verwandeln, das wird wohl zu erwägen sein. Es ist sehr mögli, daß wir mit unserer ganzen Domanialverwaltung auch in finanzieller Beziehung eine ganz gute Operation machen würden, wenn wir in denjenigen Landestheilen, wo nach den gesammten wirth- {aftlichen Verhältnifsen ein kulturelles Interesse gar niht vorhanden ift, übermäßig viel Domanialbesig zu haben, namentli, wenn es si nicht um Güter handelt, die als Musterwirthschaften dienen könnten wenn wir da den Domanialbesiß vermindern und die daraus gewonnenen Mittel benußen, um in großem Maße in solhen Provinzen Aufforstungen eintreten zu lassen, wo das ein dringendes Bedürfniß ift. Dieser Frage werden wir gewiß einmal in einer planmäßigen Weise näher treten müssen, und dann werden si alle die Fragen, die hier angeregt sind, von selbst daran knüpfen. (Bravo !)

Darauf gelangt das Gesetz einstimmig zur Annahme.

Schluß 31/, Uhr.

Haus der Abgeordneten. 105. Sißung vom Dienstag, 16. Juni.

Der Sißung wohnt der Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden bei.

Die Wegeordnung- für die Provinz Sachsen gelangt in dritter Berathung zur Annahme.

Hierauf wird die Berathung des vom Herrenhause in abgeänderter Fassung zurückgelangten Entwurfs eines Wild- shadengeseßes fortgeseßt, und zwar bei §. 14a, dessen Einschaltung hinter §8. 14 von den Abgg. Freiherrn von Huene u. Gen. beantragt ift. 7

Derselbe lautet :

Genügen diese Maßregeln nicht, so hat die Aufsihtsbehörde den Grundbesißern und fonstigen Nutzungskerechtigten felbst na Maßgabe der §8. 23 und 24 des Gesetzes vom 7. März 1850 (Gesez-Samml. S. 165) die Genebmigung zu ertheilen, das auf ihre Grundstücke übertretende Roth- und Damwild auf jede erlaubte Weise zu fangen, namentlich auch mit Anwendung des Schießgewehrs zu erlegen. \ :

Abg. Rintelen beantragt, hinzuzufügen :

Das von den Grundbesizera oder Nuzungsbere{tigten in Page IOes Genehmigung gefangene oder erlangte Wild verbleibt denselben.

Und ferner folgende Bestimmung (§8. 14 aa) aufzunehmen:

Leistet ein Jagdberechtigter der an ihn ergangenen Aufforderung (S. 14) feine oder nicht genügende Folge, so haftet er den Grund- besißern und fonstigen Nußungsberechtigten für den durch Wild der in der Aufforderung bezeihneten Gattungen ferner rerursachten Schaden.

Abg. Rintelen: Wenn der Jagdberechtigte aufgefordert und angehalten werde, . den Wildabs{huß vorzunehmen, und darin nah- lässig fei, so könne eine geraume Zeit vergehen, bis durh Zwangs- maßregeln der Abschuß bewirkt sei. Für den in der Zwischenzeit entitehenden Schaden müsse der Betreffende baftbar gemacht werden. Nachdem der Regreß im Allgemeinen abgelehnt sei, bitte er, wenigstens einen Rückgriff auf Grund von Verschulden zuzulassen.

Abg. Freiherr von Waderbarth: Der Antrag Rintelen ent- halte einen Rückgriff auf den Jagdberechtigten, der juristish unzweifel- haft Tonftruirbar sei, aber mit Rücksicht auf das Herrenhaus, das dem so normirten §. 14a nicht zustimmen werde, und mit Rücksiht darauf, daß der Jagdberectigte niht Herr des Wildes sei und keine freie Verfügung darüber besißze, mödbte er um Ablehnung des An- irages bitten. Konsequenter Weise müßte man au den durch Flug- wild, wie Reiber, Enten 2c. entstandenen Schaden von dem Besitzer der Standreviere und Seen fordern.

Der Antrag Rintelen wird abgelehnt, der §8. 14a an- genommen. : S

Die Abgg. Freiherr von Huene und Genoffen s{lagen sodann folgenden §. 14b vor:

S{warzwild darf nur in folchen Einfriedigungen gehegt werden, aus denen es nit ausbrechen fann.

Außer dem Jagdberetigten darf jeder Grundbesiger oder Nuztzungezbere{tigte innerhalb seiner Grundftückde Schwarzwild auf jede erlaubte Art fangen, tödten und behalten. / 7

Die Aufsihtsbehörde kann die Benußung von Schießwaffen für eine bestimmte Zeit gestatten. '

Die Aufsichtsbehörde hat außerdem zur Vertilgung uneingefrie- digten Schwarzwildes alles Erforderlihe anzuordnen, sci es durch Polizeijagden, sei es durch andere geeignete Maßregeln oder Auf- lagen an die Jacdberehtigten des Bezirks und der Na®barforsten.

Abg. Rintelen beantragt hierzu folgenden Zusaß:

„Der JIagdberechtigte haftet für den durch das ausgetretene Swhwarzwild verursahten Schaden.“ :

Dieses Amendement wird vom Abg. Freiherrn von Huene zur Annahme empfohlen, während Abg. Freiherr von Wackerbarth die Ablehnung vorschlägt, da \{chließlich eine für Schwarzwild absolut undurhdringliche Einfciedigung niht möglich sei. i y

Mit dem Amendement Rintelen wird der Antrag von Huene genehmigt. : s

Außerdem beantragen die Abgg. Freiherr von Huene und Genossen die Schaffung eines §. 14e „Wilde Kaninchen unterliegen dem freien Thierfange.“

Abg. Freiherr von Loë bringt dazu das Amendement ein, daß der Fang mit S@hlingen verboten fein solle. Man müsse den Wild- dieben, welche Rehe und anderes Wild mit S{lingen fingen, die Möglichkeit der Ausrede entziehen. A /

Der §. 14e wird hiernach mit dieser Einschränkung an- genommen. : Á

Nach §. 15 soll die Aufsichtsbehörde die Befiger von Obst-, Gemüse-, Blumen- und Baumschulanlagen ermächtigen dürfen, Vögel und Wild, welche in den genannten Anlagen Schaden anrichten, zu jeder Zeit mittels Shußwaffen zu erlegen.

Ohne Debatte wird der Paragraph genehmigt. E

§. 16 bestimmt, daß gegen die Anordnung oder Versagung der im 8. 15 erwähnten Ermächtigung nur die Beschwerde an den Bezirksausshuß und gegen dessen Entscheidung die Be- {hwerde an den Minister des Jnnern und an den Minister für Landwirthschaft gehen soll.

Abg. Dasbach bofft, daß, nachdem der Regreßparagraph ab- gelehnt sei, do% wenigftens der Fiskus für den von aus Staatsforsten austretendem Wild angerihteten Schaden in böherem Grade Erfatz leisten möge, als es bisher in einzelnen Fällen gesehen sei.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Der Herr Vorredner hat, wenn ih ihn rihtig verstanden habe, ausgeführt, daß im Kreise Daun viele kleine Grundbesiger vollständig verarmt seien, und zwar in Folge des ihnen durch solches Rehwild zugefügten Schadens, welches aus den fiskalischen Forsten beraustritt. I glaube, es ift bereits in einem früheren Stadium der Verband- [lungen dem Herrn Vorredner anheimgegeben worden, die Fälle, welche zu derartigen Beschwerden Veranlaffung geben, zu meiner Kenntniß zu bringen. Mir ist nicht bekannt, daß diesem Folge gegeben sei. J kenne die Verhältnisse im Kreise Daun zwar niht genau, glaube aber soweit unterrihtet zu sein, daß große zusammenhängende fiskalishe Wal- dungen in diesem Kreise überhaupt nicht bestehen, sondern daß die- selben im Gemenge liegen mit kommunalen und Privatwaldungen. Ih wiederhole, wenn wirkli derartige Vorkommnisse im Kreise Daun bestehen, so möge es dem Herrn Abgeordneten gefallen, dieselben mit bestimmten Angaben zu meiner Kenntniß zu bringen.

Abg. Dr. Langerhan 8: NaGdem die Regreßpfliht und die Aufhebung der Schonzeit abgelehnt worden sei, könne sich seine Partei B große Wirkung von dem Gesetz versprehen und werde dagegen timmen.

Abg. Conrad (Pl:5) fürhtet, daß die Sozialdemokraten den Wegfall der Regreßpfliht, für welche §. 14 keinen genügenden Ersatz biete, sehr ausbeuten würden, und bittet die Staatsregierung, zu er- wägen, ob der Entwurf in der gegenwärtigen Gestalt verdiene, Gesetz zu werden. y

. 16 wird genehmigt.

17 lautet: j: s

Sofern das gegenwärtige Geseß dem JagdpäWter größere als die bisherigen Verpflihtungen auferlegt, kann er den Pactvertrag innerhalb drei Monaten nach Verkündung dieses Gesetzes derart fündigen, daß das Pachtverbältniß mit Ende des laufenden Pacht- jahres erlischt. 3 2 :

Das gleiche Ret steht dem Verpächter zu, sofern der Pätter nit für die Zeit bis zum Ablauf der bestehenden Pachtverträge die Vergütung der dur das Gese dem Verpähhter auferlegten Wild- \châden auf sich nimmt. Diese leßtere Verpflibtung darf jedo für jedes Pachtjahr die Hälfte des jährlihen Jagdpahtgeldes, be- andi des Werthes der vereinbarten Leistungen nicht über- teigen.

Auf bestehende Jagdpachtverträge, in welSen Seitens des Pächters eine Wildscadenvergütung über nommen ift, findet das dem Verpächter gewährte Kündizungsreht (Abs. 2) keine An- wendung, j L

Abz. Graf zu Limburg-Stirum: Er habe zu erklären, daß die überwiegende Mehrheit seiner Partei für das Gesetz, wie es sich in dritter Berathung gestaltet habe, stimmen werde. Einzelne sciner Freunde seien gegen das Gefeß, einmal, weil auch für Schäden an Horftgrundstücken Ersaß geleistet werden solle, und dann wegen der Faffung des §. 14, welcher die Schonzeit so ordne, daß sie z. B. für Hirse so gut wie gar nit mehr existire. Jm Uebrigen meine er, daß die aufgenommenen Bestimmungen besser für einen Wildschaden- ersaß sorgen könnten, als der von anderer Seite vorgeschlagene Regreßparagrapb. : / h i

Abg. Frandcke: Es könne leiht kommen, daß Jagdpätter, die den ihrer Zagd aus diesem Gesetz entsteherden Schaden erst übersähen, wenn die hier vorgezeihnete Präklusivfrist verstrihen sei, noÿ lange obne Entschädigung in dem Jagdpawhtkontrakt festgehalten würden. Er bitte die Regierung, die Verwaltungsbehörden hierbei zur Hand- habung einer mögli{ft milden Praxis anzuhalten. _ ;

Abg. Dr. Langerhans: Er halte die Faffung des Gesetzes für eine folche, daß danach die Zustände in Zukunft noch \chlechter fein würden, als in der Gegenwart. :

_Abg. Freiherr von Huene: Er halte im Gegensaß dazu das Gese, wie es aus den Beschlüssen des Hausès hervorgegangen sei, für eine entschiedene Verbesserung und werde dafür stimmen.

Abg. Conrad: Die einzelne» hier angenommenen Bestim- mungen, namentli aber das Streichen des Regreßparagraphen, matten das Gefeß zu einem wilkommenen Agitationsmittel für die Umsturz- partei, und \chon aus diefer Rücksicht, neben der Rücksicht auf die ge) QVigten Grundbesißer, müsse er sich gegen das ganze Gesetz erllären.

Danach wird §. 17 angenommen.

s Rintelen beantragt folgenden §. 17a:

„Der S. 29 des Forstpolizeigeseßes „ein geseßliher Anspruch pl Oos für Wildschaden findet nicht statt“ wird auf- gehoben.“

Abg. Frhr. von Huene sieht in dem Geseh, wie es jegt be- \{lossen sei, den entwidelungsfäbigen Keim des Wildschadenersates und betont den großen Fortscritt, der in dem Geseßze gegenüber den jetzigen Zuständen liege. Das Geseß werde ferner dem Minister den Anlaß bieten zu der Ueberlegung, ob der Forstfiskus der große Sünder, als welcher er bier hingestellt worden, sei, und ob nicht die Einstellung einer Etatsposition für die Vergütung von Wildschaden angebracht sein würde.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Wenn die beantragte Aufhebung des §. 25 des JIagdpolizei- Gefeßes mit Sicherheit die Bedeutung hat, daß demnähst Wild- schaden bloß nach Maßgabe des uns jeßt beschäftigenden Gesetz- entwurfs beansprucht werden kann, fo. wrden der Aufhebung in meinen Augen keine großen Bedenken entgegenstehen. Die Frage der Aufhebung des §. 25 ift jedo erst in diesem Moment an mi beran- getreten; und ih gestehe ofen, daß ih mir niht ganz flar darüber bin, ob die vorformulirte Ansiht, welcher ja der Hr. Abg. von Huene wie der Antragsteller Aus- druck gegeben haben, eine zutreffende ist, und ob nicht demnähst der Fall eintreten könnte, daß, wenn ledigli die Aufhebung des 8 25 ausgesprochen wird, auß wenn das Hohe Haus voraussetzen sollte, daß Wildschaden dann blos gemäß des jeßt emanirten Gesetzes zur Geltung gebracht werden kann, daß doch ein Geriht die Auslegung als ri&tig anerkennen würde, daß nunmehr nah vermeintlichen allge- meinen Nechtëgrundsäßen jeder Wildschade, der von irgend einer Art Wild verursacht if, zum Ersaßanspruh angemeldet und auch mit Erfolg durchgeführt werden könne. Sollte diese Konsequenz eintreten, dann würde ih eine Streichung des §. 25 nit für zulässig und erwünscht erahten. Ist man aber darüber einig, daß *ie von dem Herrn An- tragsteller hervorgehobene Konsequenz mit der Streihung des §. 25 verbunden ift, dann ist die Streichung in meinen Augen gerechtfertigt. Ih bin aber nicht im Stande, in diesem Moment eine bestimmte Antwort auf diese Frage zu geben.

Wenn demnächst der Hr. Abg. von Huene an mich die Auf- forderung gerihtet hat, sofern dieses Gesey durch überein- stimmende Entschließungen sämmtlicher bei der Gesetzgebung betheiligten Faktore* verabschiedet werden sollte, dann das- selbe in dem Sinne auszuführen, daß den Wildschadenbeshwerden und der darüber bestehenden Erregung Abhülfe geshaffen wird, \o kann ich demselben die Versicherung geben, daß ih in diesem Be- streben fortfahren werde, auch dann, wenn das Geseg n:ht zur Ver- abshiedung kommen sollte,

Es if angeführt worden, die Aufhebung des §8. 25 des Jagdpolizei-Geseßzes sei auch deshalb nothwendig, um es er- möglichen zu ‘können, daß ein etatsmäßiger Titel dem Leiter der Forstverwaltung zur Disposition gestellt werde, um aus demfelben Wildschadenansprüce zu begleihen. Ih möchte glauben, daß zu diesem Zweck die Aufhebung diescs Paragraphen nicht nothwendig iff. Ih werde in Verfolgung der hier aus8gesprohenen Wünsche Veranlaffung nehmen, die Zustimmung des Herrn Finanz-Minifters dazu zu erbitten, daß, wenn au der §. 25 bestehen bleibt, doch dem landwirtbschaft- lihen Minister ein Diepositionsfonds ¿ur Verfügung gestellt werde, um in erheblichen Beshwerdefällen dem Geshädigten Seitens der forst- fiskalischen Verwaltung eine Ents%ädigang zu Theil werden lasen zu können, was aber nit aus\{ließt, daß in erster Reihe meinerseits darauf hingewirkt wird, daß durch Verminderung des Wildstandes, welches zu den Beschwerden Veranlassung giebt, die Schädenberbeiführung über- haupt herabgemindert wird. (Bravo! rechts.)

Abg. von Jagew bittet, den Antrag Rintelen abzulebnen.

Geheimer Justiz-Rath Humperdinck: Das Gese solle auch noch für andere Gebiete gelten als für die, für welhe das Jagd- polizeigeseß maßgebend sei, so z. B. für das Herzogthum Naffau und Herzogthum Lauenburg. Wenn der Antrag Rintelen Annahme finden sollte, so môöhte er anbeimstellen, auch die bezüglichen sonstigen Be- stimmungen außer Kraft zu setzen.

_Abg. Rintelen erklärt ih bereit, seinen Antrag in dieser Richtung aus;udehnen.

Abg. Dr. Langerhans giebt seiner Freude darüber Ausdruck, daß sorobl aus den Ausführungen des Ministers, wie aus denen des Hrn. von Huene die Nothwendigkeit der Regreßpfliht hervor- gegangen fei.

__ Abg. Smidt (Warburg) hält das Bestehenbleiben des §. 25 für unbedenkli.

_ Abg. von Jagow beantragt folgenden Zusaß zu dem Antrage Rintelen: „Wildschadenersay kann nur na Maßgabe dieses Gesetzes gefordert werden. * : Î

Der Antrag Rintelen wird mit dem Antrag von «Jagow angenommen.

i Nach §. 18 soll das Gesey am 1. Januar 1892 in Kraft rêten.

Abg. Brandenbura: Das Gesetz, welhes in der Haupt- fache eine Exemtion des Forstfiskus und der größeren Forstbesitzer vom Wildscadensersaß daritelle, während von jezt an kleine Besißer zu soldem Ersay verpflichtet seien, werde viel bôöses Blut machen; insofern sei der zukünftige Zustand s{limmer als der frühere, wo eben für alle Jagdbesizer keine Ersaßpfliht bestanden habe. Dies Geseß werde der öffentlißen Meinung nicht dauernd Widerstand leisten und fi nicht fünf Jahre lang in Kraft halten können. Er bitte den Minifter, einen Ersay für Schaden, den fiskalishes Wild verursache, nicht bloß im Gnadenwege eintreten lassen, sondern eine geseßlihe Verpflichtung des Fitkus dazu {afen zu wollen.

Abg. Conrad {ließt sih diesen Ausführungen an und bittet, das Geseg abzulehnen.

Die Abgg. Knoch und Schnatsmeier erklären, daß die Ab- lehnung des Regreßanspruhs sie veranlafse, gegen das Gese im Ganzen zu stimmen. :

8. 18 wird danach genehmigt.

Die Gesammtabstimmung über das ganze Geseg wird tros des Wunsches des Abg. Freiherrn von Huene, welcher diejelbe noch in der heutigen Sizung vorgenommen zu sehen wünscht, erst morgen vorgenommen werden; diese Gesammt- abstimmung wird auf Antrag der Deutschfreisinnigen eine namentliche sein. F :

Es folgt der Bericht der Budgetkommission über den bei der Berathung des Lotterieantrages des Abg. Korscch von einer früheren Kommission gemachten Vorschlag, die Zahl der Lotterieloose zu vermehren.

Abg. Dr. Lieber beantragt als Referent der Budgetkommission, die Vermehrung niht zu genehmigen, vielmehr über den bezüglichen Antrag zur Tage8ordnung überzugehen, da eine ‘Anregung zur Ver- mehrung der Lotterieloose wegen des darin liegenden Momentes der Vermehrung der Staatseinnahmen der Regierung überlassen bleiben müsse. :

Abg. Rickert: Mit Rücksiht auf die Geschäftslage des Hauses verzichte seine Partei darauf, die Ausführun-en, die sie an diesen Gegenftand bätte knitbfen können, jet vorzubri ‘gen, sie werde einfach für den Kommissionsvorschlag stimmen.

Abg. Cremer: Er körne nit übersehen, ob die Regierung eine Vermehrung der Lotterieloose für nôthig halte, und stimme de8halb für den Kommissionsantrag. Er bitte aber die Regierung, kleinere Loosantheile auszugeben und unbeschadet eines großen Haypt- gewinnes mehr Gewinne von kfleinerem Betrage einzuri{ten.

Der Kommissionsvorshlag wird darauf genehmigt.

Den leßten Gegenstand der Tagesordnung bildet der mündliche Bericht der verstärkten Agrarkommission über den Antrag der Abgg. Walther und Genossen auf Annahme eines Geseßentwurfs, betreffend die Beseitigung der durch die Hochwasser im Sommer und Herbst des Jahres 1890 herbeigeführten Verheerungen.

Die Kommisfion beantragt durch ihren Referenten, den Abg. Schlabißt:

1) Mit Rückicht auf die Erklärungen der Königlichen Staats- regierung, zunächst keiner außerordentlihen Mittel zur Beseitigung der in den Jahren 1880 bis 1891 dur Hochwasser herbeigeführten Verheerungen zu bedürfen, eintretenden Falls aber ihrerseits die Anregung zur Bewilligung derselben geben zu wollen, über den Antrag der Abgg. Walther und Genossen zur Tagesordnung überzugehen.

2) Der Königlichen Staatsregierung die auf den Gegenstand des Antrages und gleichartige Fragen bezüglichen Petitionen als Material zu überweisen. .

3) Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Grundsätze über den Wasserbau unter gleichmäßiger Berücksichtigung der Inter- esen der Schiffahrt und der Landeskultur einer Prüfung zu unter- ziehen und eine einbeitlihe Regelung des Wasser-Bauwesens, insbefondere auch durch Einseßung einer alle Zweige desselben um- fafsenden Behörde herbeizuführen. S

Abg. von Schenckendorff: Er werde für die Kommissions- vorshläge stimmen, bitte aber gleichzeitig die Regierung, baldigst ein Gesetz, betreffend die Bereitstellung von Staatsmitteln zu Fluß- regulirungen einbringen und dabei besonders die \{chlesis{hen, einer OUEEUAY so dringend bedürftigen Privatflußläufe berücksichtigen zu wollen.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Ih beschränke mih gegenüber der Anregung und den Wünschen des Herrn Vorredners: daß die Königliche Staatsregierung mögli{chst rash das Gesez zur Bereitstelung von Mitteln für die Fluß- regulirungen durchfühbre, auf die Erklärung, daß in diesem Gesetz blos „Beihülfen* zur Verfügung gestellt sind. Es muß also, da es sich hier bet diesen Fällen zunähst lediglich um Privatflüsse handelt, Jemand da sein, der bereit ist, von diesen Beihülfen Gebrauch zu machen. Nachdem das Gese wegen der \ch{chlesischen Privatflüsse seiner- zeit nicht hat zur Verabschiedung gebraht werden können, fehlt es noch heute troß aller Bemühungen der Behörden an den- jenigen Verbänden, welche bereit und geneigt wären, unter Zuhülfe- nahme von Beihülfen eben diese Flußregulirungen eintreten zu lassen.

(Zaruf.) Auch Provinzen dürften ohne Zwang kaum dazu geneigt sein. Es wird deshalb an der Hand des bestehenden Rechts ein bal- diger Ausbau der Privatflüfsse kaum in Ausficht genommen werden können, wenn man nit daran denkt, die Regulirung und Unterhaltung

sämmtlicher Privatflüfse auf den Staat zu übernehmen. Meine

Herren, dies ift eine so kolofsale Last, daß dieser Weg wohl nicht gangbar ift.

Abg. Kno bittet um \{nelle Besserung der Flußregulirungs- verbältniffe der Oder, welche jeßt so lägen, daß bei irgend gefteigertem Wasfsserzulauf Uebershwemmungen entfteben müßten.

Abg. Barth wüns@t in erster Reihe diejenigen Gemeinden berüdck- siStigt zu sehen, die sich mit Gesuben um Unterstüßung bei der Wiedererbauung von durch Hochwasser zerstörten oder beschädigten Sthulbauten an die Staatsregierung gewandt hätten.

Abg. von Christen bittet, die Regierung môge die Wasser- baubeamten, welche Flußregulirungen vornähmen, nicht durch Stockungen in der Flüssigmahung der Geldmittel in Verlegenheit bringen.

Abg. Halberstadt betont, im Anshluß an die Ausführungen des Abg. von Swenckendorff, daß die Flußanwohner ohne Staats- beihülfe nit im Stande seien, die Flußregulirungen vorzunehmen.

__ Abg. Sch midt (Warburg) bittet, die westfälishen Flußläufe, die der Uebers{hwemmungsgefahr jeßt- sebr -ausgesezt scien, baldigst reguliren zu wollen. i :

Die Debatte wird ges{hlossen, die Kommissionsvorshläge werden genehmigt.

Schluß 3 Uhr.

Statiftik und Volkswirthschaft.

Zur Invaliditäts- und Altersversicherung.

Wie die „Köln. Ztg.“ mittheilt, hatte der Ober-Präsident Graf Eulenburg am Sonnabend sämmtlihe Landräthe des Regierungs- bezirks Wiesbaden in Langenshwalbah versammelt. In einer län- geren Sißung, an welcher auch Regierungs-Präsident von Tepyer- Laski Téeil nahm, wurde über die gleihmäßige Behandlung der Invaliditäts- und Altersversierung berathen.

Bekämpfung der Wanderbettelei,

_ Der Brandenburgische Provinzial-Verein zur Be- kämpfung des Vagabundenthums hielt gestern Nachmittag im Ständehause der Provinz in der Matthäikirhstraße seine IV. Ge- neralversammlung ab, nabdem zuvor eine Geshäftsßzung des Vor- standes an derselben Stelle stattgefunden. Der Vorsitzende Graf von Zieten-S{@werin, welcher die Versamwlung leitete, be- grüßte, die anwesenden Vertreter der Königlihen Staatsregierung, Regierungs - Rath von Meusfel als Vertreter des Ober- Präsidenten und den Regierungs - Präsidenten Srafen Hue de Grais, und erstatiete darauf den Geschästsberiht, welcher sch auf den Zeitraum vom 1. April 1889 bis zum 31. März 1891 erstreckte. In beiden Berichtsjahren i|t die Arbeit des Vereins von sichtbaren Erfolgen begleitet gewesen, wenn au die Zahl der Mitglieder in der Abnahme begriffen ist : ein Umstand, der darin seinen Grund hat, daß in größerem Umfange die Kreise und Korporationen als folche felbst dem Verein beitreten und durch feste Beiträge den regelmäßigen Fort- {ritt der Arbeit sihern. Der Provinzial-Landtag und der Kur- märkische Kommunal-Landtag haben in beiden Jahren Beiträge in Hôhe von je 6000 bezw. 7500 M geleistet. Die Bewirthschaftung der Arbeiterkolonie Friedrichswille nimmt einen gedeihlihen Fortgang. In seiner Sißung vom Dezember v. J, beschäftigte sich der Vorstand mit der Frage, ob die Kolonisten versiherungs- pflihtig seien. Während diese Frage damals mit überwiegender Mehrheit verneint wucde, hat der Vorstand, nahdem das Reichs- Versicherungsamt auf das Gesuch um Entscheidung dieser streitigen Angelegenheit das Vorhandensein der Versiherungspflicht für die Kolonisten ausgesprochen, vorgestern bes{lossen, die Kolonisten zu versichern und von Vereins wegen die Kosten der Versicherung zu übernehmen. Innerhalb der Vereinsorgane sind nur un- wesentlihe Veränderungen vor sich gegangen. Die Ver- mögenslage des Vereins ift eine befriedigende; das Gesammt- vermögen des Vereins beträgt 3093000 ## Im Ganzen sind feit der am 23. November 1883 erfolgten Eröffnung der Kolonie bis zum 31, März 1891 aufgenommen worden 4087 Mann ; entlafsen wurden während dieses Zeitraums 3951 Mann, fodaß am 1. April 1891 ein Bestand von 136 Mann verblieb. Seitdem fand ein Zugang von 461 Personen statt. Unter Leßteren war besonders die Provinz S(hlesien stark vertreten; 213 Mann waren ohne Domizil, 112 hatten ihrer Militärpfliht genügt, 258 waren nicht Soldat gewesen. Von einer eigentlihen Ueberfüllung der Kolonie konnte während der Berichtszeit nicht die Rede sein, wiewohl vorübergehend auch Ställe und Scheunen zur Unterbringung der Wanderer benußt werden mußtea. Der durchschnittlihe Ver- pflegungssaß stellte sich pro Kopf und Tag auf 51,81 s. Ueber das Verhalten der Kolonisten, wurden besondere Klagen nit laut, Eigentlihe Strafen giebt es in der Kolonie niht; wo durch Zureden und Mahnen nicht zu helfen ist, da giebt es nur eine Strafe die Entlassung der Kolonisten, und wenn in dem Zeitraum eines Jahres von 403 Mann wegen s{chlechter Führung nur acht ent- [lassen werden mußten, so kann man das wohl als ein recht zufrieden- stellendes Ergebniß bezeihnen. Der Gesundheitszustand der Kolonisten war im Allgemeinen ein sehr günstiger. Der geistlihe Insvektor der Anstalt fut dur persönliche Rücksprache mit jedem neuen Kolonisten auf diesen seelsorgerisch einzuwirken, und derselbe seßt sih auh nah der Entlaffung der Kolonisten mit den betreffenden Pastoren in Verbin- dung, in deren Gemeinden jene in Arbeit bezw in Stellung gebracht worden sind, damit es an einer persönlihen Seelsorge nit fehle. Auch diese Bestrebungen find von Erfolg begleitet gewesen. Nach eizer weiteren Besprechung der Thätigkeit der Verpflegungsftationen, welche sich zu einem gemeinsamen Provinzialverbande zusammen- geschlossen haben, dankte der Herr Vorsitzende für alle dem Verein zugewendete thatkräftige Unterstüßung und {loß die Versammlung mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß Gott dem Liebeswerk der Be- kämpfung der Wanderbettelei und der Vagabondage, wie bisher, au in Zukunft seinen Segen leihen werde.

Zur Arbeiterbewegung.

Ueber die Ausbreitung der Sozialdemokratie in der Provinz Sachsen bietet der leßte Jahresbericht des landwirthshaftlihen Centralvereins der Provinz SaWhsen folgende von der „Nordd. Alg. Ztg.“ wiedergegebenen Mit- theilungen dar :

Ganz befondere Beahtung Seitens der Arbeitgeber und der Ver- waltungsbehörden erfordert das Vorgehen der Sozialdemokratie auf dem platten Lan de. Als Herde der fozialdemokratischen Agitation find in erster Linie zu nennen: Magdeburg, Burg, Halberstadt, Côthen, Dessau, Nordhausen, Mühlhausen, Frankenhausen, Erfurt. Als besonders stark von der Sozialdemokratie durchseßte Bezirke müssen genannt werden: die Kreise Gardelegen, erihow T. und II., Halberstadt, Osterburg, Wanzleben, Neuhaldensleben, Delißsch, Bitterfeld, Saalkreis, Weißenfels, Naumburg, Mansfelder Gebirgskreis, Erfurt, Mühlhausen, Ziegenrück. In allen diesen Be- zirken wird die Agitation der Sozialdemokratie von einzelnen Personen

ewerbsmäßig betrieben. Auch aus den Kreisen Querfurt, Sanger- ausen, Torgau und Wittenberg wird gemeldet, daß die Sozial- demokratie immer weitere Kreise der ländlihen Bevölkerung durch ihre Lehren anzustecken beginne. Der Kontraktbruch ist an der Tages- ordnung, viele Arbeiter sind bereits sittlih so verwildert, daß die- selben von der Verwerflichkeit einer solhen Handlung das Bewußtsein verloren haben.