1891 / 143 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 20 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

petentes Urtheil über den Werth der Entdeckung und über das Mittel niht herausnehmen. Es ftehe aber fest, daß das Mittel ein außer- ordentlich wirksames und daß die Grundlage der wissenschaftlichen Forschung, durch welche man dasselbe gefunden, eine dur{aus richtige sei, Der Heilwerth des Mittels in seiner gegenwärtigen Anwendung sei aber zweifelhaft. Um dieses Mittel richtiger anzuwenden, empfehle si die bisher mit Unrecht zurückgeseßte homöopathishe Methode. Es gehöre zur Ehrenpfliht des preußischen Staates, alle Wege auf- zusuhen, welche \sih darböten, um das Koh'\he Mittel nußbar zu machen und die Gefahren desselben zu vermindern. Zahslrei e Mit- glieder des Hauses würden aus eigener Erfahrung bestätigen, wie segensreih die Homöopathie sowohl bei akuten, wie bei chronischen Krankheiten gewirkt habe. Die Statistik von 1883/84 habe bewiesen, daß bei der allopathishen Behandlung der Diphtheritis in Berlin die Sterblichkeit 282 9/0, bei der homöopathishen aber nur 4 9/0 be- tragen habe. Es sei an der Zeit, die Homöopathie von ihrer Aschen- “bröôdelstellung ‘endli zu befreien, Er möhte den Minister fragen, ob es nicht möglih sei, bei dem Institut für Infektionskrankheiten eine Abtheilung auch für die homöopathishe Behandlung der Krank- beiten nah der Koh'shen Methode einzurihten, um den Werth der Homóöopathie nah dieser Richtung hin kennen zu lernen.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedliß-Trüßschler: Meine Herren! Jch glaube versihern zu können, daß ih den Anregungen, die der Herr Freiherr von Durant eben gegeben hat, durhaus mit Wohlwollen gegenüberstehe und meincrseits sehr gern bereit sein werde, sie au so zu behandeln, soweit es seltstverständlih von denjenigen maßgebenden sachverständigen Organen für möglich erahtet wird, deren ih mih auf diesem Gebiete bedienen muß. Aus diesem Grunde, eben weil ich nicht Sachkenner bin, enthalte ich mich einer Ausführung über die ganze sogenannte Koch'\he Tuberkulinfrage, und ebenso über die Angelegenheit und das System der Homöopathie. Nur bitte ih, mir nah beiden Richtungen hin ein paar kurze Bemerkungen gestatten zu wollen, Sie wissen, meine Herren, daß ih der Koh'’shen Angelegenheit vollständig objektiv gegenüber- stehe und daß also das Urtheil, welches ich jt über die Sache aus- spreche, ja ledigli begründct ist auf einem Ergebniß des Studiums einer ganzen Reihe der verschiedenartigsten Beobachtungen. Jch çclaube, danach mit Bestimmtkeit erklären zu können, daß der wissenshaftlihe Werth der Koch’shen Entdeckung ganz allgemein anerkannt wird und außer Frage steht, und daß der therapeutische Werth dieser Entdeckung, wie man wenigstens in den betheiligten Kreisen stark hofft, in Kurzem eine ganz außer- ordentlihe Stcigecung erfahren wird, wenn es, wie es, glaube i, zweifellos ist, dem Geheimen Rath Koch gelingt, die Rein-Darstellung des wirksameu Stoffes in seinem Mittel herbeizuführen. Er ist seit Monaten mit dieser Aufgabe beschäftigt, er Zat mir vor Kurzem mitgetheilt, daß er hoffe, sie in einigen Wochen bereits beendet zu habea, und daß er dann, wie das ja auch eine von ihm aus- gegangene, in den medizinishen und in den politischen Tages- blättern veröffentlihte Mittheilung in Aussicht stellt, dieses Mittel durhaus sowohl sciner chemischen Zusammenseßung wie seiner Herstellungs8weise nah der Oeffentlichkeit und der allgemei- nen Prüfung unterbreiten wolle. Ist dies gesehen, dann erst wird die Frage endgültig zu lösen sein, ob mit dieser an sich vom wissen- schaftlihen Stant punkt aus unzweifelhaft bedeutenden Ertdeckung au der Heilwirkung nah ein großer Fortschritt und eine medizinische Errungenschaft erlangt ist. Jh hoffe es, aber soweit zu gehen, jeßt zu behaupten, daß diese Errungenschaft {hon erreiht sei, kann ih nit. Was nun das Institut für Infektionskrankheiten betrifft, so bemerke ih, daß in dem Regl: ment, welches für die Geschäfteführung in diesem Institut \{chon jeßt herausgegeben ist, ausdrücklich Folgendes bestimmt ift. „Der Gedanke, die Infektiouserreger im Innern des erkrankten Körpers zu vernihten, die Heilung der Irfektionskrarkbeiten hat cine greiftare Gestalt angenommen. Koh's Entdeckung eines Spezifiklums gegen die Tuberkulose ist nur der erste Schritt auf diesem Wege. Substanzen der von Koh entdeckten Art, wel@e eine s\pezifishe Wirkung auf ein bestimmtes kranfhastes Gewebe ausüben, waren bis dahin so gut wie unbekannt. Die wenigen bisher als s\pezifisch erkannten Heilmittel, wie Queksilber und Iodkalium bei Syphilis, Chinin bei leiten Fällen von Welhselfieber, die Salizy!säure bei manchen Formen des Gelenfrheumatismus verdankt die Medizin niht dem planmäßigen wissenshaftlihen Versu, während die Kohh'shen Entdeckungen die Möglichkeit gewähren, die im kranken ‘Körper sih abspielenden Heilbestrebungen der Natur zu erforschen und zielbewußt nach- zuahmen.“ Das ift also jeßt die Aufgabe dieses Instituts, auf dem ganzen Ge- biet der Infektionskrankheiten si nach dieser Methode hin wissen- shafilih zu vertiefen. Daß bei dieser Methode, die keine Form der medizinishen Behandlung aus\{ließt, eventuell au die homöo- pathische Heilform benußt werden kann, das halte ih für ganz zweifel- frei und ich würde dem Herrn Freiberrn von Durant anheimgeben, wenn er .sich dafür interessirt, G in diescr Beziehung mit dem zukünftigen Dirigenten dieses Instituts, Herrn Geheimen Rath Prof. Dr, Ko, in Verbindung zu seßen und ibm nach dieser Rich- tung hin Vorsläge zu machen. (Heiterkeit.) Nein, das meine ih wirklich errsthaft. (Große Heiterkeit.) Ich glaube fest, daß es mögli ift, wenn die homöopathische Heilferm überhaupt ridhtig ift, auf dem Wege, auf dem das Institut vorgehen soll, zu etwas zu ge- langen, ‘was ja der homöopathischen Metktode bis jeßt fehlt, rämlih die absolute Zuverlässigkeit in Bezug auf Beobatung und Heil- wirkung nachzuweisen. Es f{chlt ihr diese Basis, deswegen wird sie ja von den Allopathen nit anerkannt urd von der Wiffenschaft bestritten. Ih glaube, die Königlibe Staatsregierung ift dur- aus auf einem rihtigen Wege, wenn sie einem Institut, dem eine volle freie wissenshaftlißz Babn nach allen Richtungen hin gewährleistet ist, die Aufgabe giebt, jede an dasselbe herantretende Heilform in ihrer Grundlage zu erforshen. Daß die homöopathische Methode eine Heilform ist, ist ganz zweifellos, i glaube also, daß auch fie eine Berücksichtigung finden kann. Ich möchte mich auf diese Mittheilungen beshränken, weil ih auf die weiteren Ausführungen bezügli der Homöopathie leider vem Herrn Freiherrn von Durant nit folgen kann. Ich bin nicht sahverständig genug, namentlich kann ih nit beurtheilen, welchen objektiven Werth die statistischen Angaben haben, die der Herr vorher angeführt hat.

- ;eiherr von Durant dankt dem Minister für die Grfläcung,

Pa EE ausgesclofen sei, daß auch die Loberate, Methode

inuno- Die Initiative der Regierung werde aber viel (7 9 ¡Mena De wenn er sih mit Professor Koch verbände.

2 S L \ bei Ds S F \,

Beim Extraordinarium des Kultus-Etats berichtet

Referent Herr vo n Pfuel beri{tet über die im Abgeordnetenhause abgelehnte, den neuen Dombau in Berlin betreffende Forderung. Im Jahre 1890/91 seien für Vorarbeiten und Pläne für den Dombau 600 000 bewilligt; davon seien bisher 120 000 M auêgegeben, und der Rest sei in diesem Etat mit der Zwedckbestimmung „zur Er- bauung einer Interimskirhe, Ueberführung der Särge und Abbruch des alten Doms“ eingestellt worden. Wegen dieser veränderten Zweck- bestimmung fei die Petition vom Abgeordnetenhause abgelehnt worden, weil man mit der Bewilligung gleichzeitig eine Bewilligung des neuen Dombaues selbs ausgesprochen haben würde, dies aber nit habe thun wollen, bevor man sich über die definitive Lösung der Auf- aabe verständigt habe. Für den Dombau seien ursprünglih 10 Millionen vorgesehen worden, das Projekt des Prof. Raschdorf bedürfe aber 21 Millionen. Es komme die Schwierigkeit der Frage hinzu, ob der Fiskus überhaupt berechtigt sei, für den Dombau die Mittel zu geben. Das Abgeordnetenhaus habe also Alles beim Alten gelassen und die Kommission des Herrenhauses babe sich dem anges@lossen in der Hoffnung, daß die Schwierigkeiten sih irgendwie beseitigen lassen würden. Schon der botckselige Kaiser Wilhelm I. habe in einem Erlaß die Nothwendiakeit eines neuen Dombaues betont. Der Weg zur Beseitigung der Schwierigkeiten sei schon betreten und er enthalte si deéhalb besonderer Anträge.

Graf von Zieten-Schwerin: Es sei hier eine Ebrenschuld einzulösen, das sei man unserem unvergeßlichen Kaiser Wilhelm I. \chuldig. Er hoffe daher, daß die Regierung den richtigen Weg finden und daß der Landtag die erforderlichen Mittel, etwa bis zu 10 Millionen Mark, bewilligen werde. Einen üblen Eindruck im Lande würde es aber machen, wenn man einen Dom für 10 Millionen Mark bauen und daneben die fonstigen Kircennothstände in Berlin bestehen lasse. Man müsse vor Allem diesem trostlosen Zustand fest ins Auge sehen, den Weg zur Abhülfe suchen und si nit davor fürchten, wenn vielleiht eine enorm hohe Summe erforderli sei. Er würde dem Kultus-Minister sehr dankbar sein, wenn er verfügen wollte, daß das Könialiche Konsistorium sih einen Weg suchen solle, um zunächst den Nothstand vollständig klarzustellen und festzustellen , wie viel Mittel erforderli seien. Die Berliner Stadtsynode habe jeßt das Anleiherecht erhalten. Der Staat solle au nicht allein die Mittel zur Abhülfe des Nothstandes hergeben, wenn er auch zur Zeit die Schuld daran trage und es ihm ganz Recht set, wenn er aus seinen Mitteln Zuschüsse geben müsse. Die Interimskirhe für den Dom könne, da sih die Domgemeinde über ganz Berlin verbreite, sehr wohl an einer Stelle gebaut werden, wo sje spâter als Gemeindekirhe bleiben könne. Er hoffe zuversichtlich, daß der Minifter sih der Sache warm annehmen werde. Auch in anderen großen Städten beständen ähnliche Notbhstände wie in Berlin. Der Finanz-Minister habe gestern an- geführt, daß an einer Stelle bis zu 17 %/6 Kirchensteuern erhoben würden, ihm (Redner) fetien Fälle bekannt, wo Kircensteuern bis zu 100% der Staatssteuern erhoben würden. :

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedliz-Trüßschler: t

Ich bin dem Herrn Referenten für den Etat ganz besonders dankbar dafür, daß er in einer, wie ih hoffe, nah allen Richtungen hin fruchtbaren Weise die Erbauung des hiesigen Domes noch Mal in diesem hohen H2use in Anregung gebracht hat. Ich werde die Gesihtepunkte, die der Herr Refereit vorgetragen hat, na allen Seiten hin in Erwägung nehmen, und ih glaube, daß wir {on jeßt auf den Bahnen sind, die geeignet sind, einmal den Bedürfnissen zu genügen, andererseits aber auch und ‘das ift bier das Wesentlichste denjenigen Allerhöchsten Intentionen zu ent- sprechen, die in einer Berücksichtigung der Wünsche der beiden großen Kaiser, die vor unserm Allergnädigsten Herrn regiert haben, wurzeln, und die sih ja wesentlich au darauf richten, in dem neuen Gebäude eine Stätte zu bereiten, die den Heimgeshiedenen des erhabencn Hohenzollern-Geschlehts geweiht sein wird. i

Ich bitte mir zu erlassen, auf die Details dieser Frage ein- zugehen, weil sie sih, glaube ih, noch in einem Stadium befindet, daß nach dieser Nichtung hin Aeußerungen nit zweckmäßig erscheinen. Was die von dem Herrn Grafen Zieten-Shwerin angeregte Kirchen- baufrage in Berlin anbetrifft, so liegt es ja auf der Hand, daß es nit nur mein aufrihtiges Bestreben, sondern au meine ernste und sirengste dienstlihe Pflicht ift, dieser hoGwichtigen Frage jede Förderung angedeihen zu lassen, die mir nur irgend möglich ist. Aber in der Darstellung des gegenwärtigen Zustandes und der früheren Entwickelung befinde ich mich gegenüber dem Herrn Grafen Zieten- Schwerin doch in einigen Punïten nicht ganz in Uebereinstimmung. Es mag ja richtig sein, daß die Kirchennoth dieser großen Stadt, wie vieler anderen großen Stôödte, ia einer derartigen Verschuldung, d. h. in einer Gleichgültigkeit gegen die Bedeutung der Kirchbauten überhaupt ihren Grund hat; aber die Sade nun so darzustellen, als ob speziell für Berlin die Staatsregierung lediglih der Theil gewesen wäre, der allein die jeßigen Thatsachen als eine Versündigung auf seine S&ul- tern zu nehmen hat, das, glaube ich, ist doch gewiß niht richtig. In allen solhen Dingen, in allen gerade nah der ethishen Seite hin gerihteten Bestrebungen is mehr oder weniger die Staatsregierung stets nur das Organ dessen, was allgemein im Lande gefühlt und als nothwendig erkannt wird, und weil eben dieses Gefühl früher im Lande nit bestand, deswegen haben wir diese Kirhhennoth; jeßt haben wir das Gefühl und jeßt werden wir ihr au abhelfen.

Dann aber auch, meine Herren: ist es denn thatsählih so, daß in den lezten Jahren hier nihts gesehen ist ? Meine Herren, i er- innere daran, daß lediglich der Allerhöchsten“ Jnitiative 23 Kirchen seit dem Regierungsantritt des jeßt regierenden Kaisers Majestät entweder ihre Vollendung oder ihren Bauanfang oder die {hon recht weit ge- diehene Förderung der Vorbereitung ihres Baues verdanken. (Bravo !)

Ich meine, das ist doch eine Leistung, die wahrlih nicht zu unter- \{chäâgen ist, denn auch für eine Stadt wie Berlin sind 23 Kirchen schon etwas ganz ErhbebliGes.

Dann, meine Herren, der Plan für die Erfüllung der Bedürf- niffe. Ja, au dieser Plan ist längst erwogen. Mein Herr Amts- vorgänger hat in der eingehendsten Weise, wie ih aus den Akten dies ersehen labe, niht bloß eine, sondern mehrere Denkschriften über diese Frage zum Theil selbs verfaßt, zum Theil unter seiner Direk- tive verfassen lassen. Man i auch weiter gegangen, man hat die Kostenfrage bereits erörtert, und wenn das Gesetz wegen der Gewährung der Anleihebefugniß an die Synoden von Berlin in diesem Jahre eingebracht und verabschiedet werden konnte, so hat dieses Gese ja wesentlih seinen Grund darin, der Stadt Berlin selbst die Möglichkeit zu geben, diesem auch von ihr, wie ich glaube, doch in den überwiegenden Schichten der evangelischen Bevölkerung empfundenen dringenden Bedürfniß Rechnung zu tragen. Ih möchte also bitten, auf der eincn Seite die Sache nicht zu \{chwarz zu fehen, auf der anderen Seite anzuerkennen, und zwar mit Freuden anzuerkennen das, was von allen Seiten, insbesondere auch von Aller- bôchfter Stelle na dieser Richtung hin gesehen is, und sich ferner versichert halten zu wollen, daß sowohl die Staatsregierung, wie alle dabei betheiligten Inflanzen Hand in Hand gehen werden, um diesen

Graf von Zieten-S{chwerin: Er erkenne an, daß in der jüngsten Zeit gegen die Kirchennoth Mittel ergriffen worden scien. Die Schuld liege aber sehr weit zurück. Sie reiche bis ins vorige Jahrhundert. Damals hätte nah dem preußishen Landrecht die Staatsregieruna die Pflicht gehabt, die Kirhenpatrone auf den be- ginnenden Nothstand aufmerksam zu machen. Was in den lehten Jahren geschehen sei, sei ihm nicht unbekannt gewesen, da er ganz genau wisse, wie die Majestäten die Sache förderten. Gr bitte die Staatsregierung, das, was gestern der Finanz-Minister in dankenswerther Weise in Aussicht gestellt habe, eintreten zu lassen, daß der so s{ädlihe Dualismus auf dem Gebiet des Kirchenbau- wesens aufhöre, der es verschulde, daß jeßt so viele angefangene Kirchenbauten nicht vollendet werden könnten.

Das Etatsgeses und der Etat werden darauf ge- nehmigt, die Berichte der Eisenbahnverwaltung werden durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt. : i

Es folgt die Berathung der vom Ober-Bürgermeister Bräsicke (Bromberg) beantragten Resolutionen:

I. Der Staatsregierung ¿zu empfehlen, die im „Staats-An- zeiger“ vom 5. März d. I. in Aussicht genommene Reform der Personentarife nur mit folgenden Aenderungen einzuführen:

1) Die IITl. Wagenklasse hat aus einem Sig- und einem Steh- play zu bestehen; wer den leßteren wählt, hat das Recht, Trag- lasten frahtfrei mitzunehmen. i

2) Die Fahrpreife der I. und II. Wagenklasse sind auf weitere Entfernungen niht auszugleichen, sondern aus abgestuften Einheits- sätzen für das Kilometer zu bilden und demgemäß auf 300 bis 400 km um 209% und auf 500 bis 600 km um 8309/6 zu er- mäßigen.

ns Neben den gewöhnlichen Fahrkarten sind Nabattbillets zu

ermäßigten Preifen einzuführen, die für die T. und II. Klasse min- destens auf 400 bis 600 km und für die ITII. Klasse mindestens auf 1000 bis 1200 km zu lauten haben und beliebige Fahrunter- brebungen gestatten, aber in bestimmter Zeit abgefahrea werden müssen. : :

2 Die Gepäckfracht ift der Eilgutfracht gleihzustellen; die Eilgutfracht ist auf weitere Entfernungen aus gestufsten Einheits]äßen für 1 t und 1 km zu bilden.

I]. der Staatsregierung zu empfehlen: s i

in Erwägung, daß die gegenwärtige Bildung der Gütertarife der preußischen Staatseisenbahn-Verwaltuag au die Einrehnung der gleihen Einheitsfäße für 1 t und 1 km ohne Rücksicht auf die größere oder geringere Länge der ganzen Beförderungsstrecke nur mit einmaligen Zuschlägen für die Abfertigung für die weiteren Ent- fernungen viel zu hohe und wirthschaftlich ungereWte Tarife ere aeben hat und gegen das thatsählihe Bedürfniß, den wirthschaft- liben Werth der Zeit und das eigene Interesse und den Zwec der Eisenbahnverwaltung, bestehend in der thunlihsten Erleichterung des Waarenaustaus{es, verstößt, 1ER

in weiterer Erwägung, daß die Beseitigung der genannten Fehler in der Tarifbiloung im Interesse der wirthshaftliten Ge- rehtigfeit und des gedethlihen Waarenau®tauiches auf weitere Entfernungen dringend geboten und dur die allgemeine Ein- führung von Gütertarifen mit abgestuften Einheitssäßen, die auf weitere Eatfecnungen für 1 t und 1 km niedriger sind als auf nahe, zu erceihen ift, : : aus

die Bildung der Gütertarife mit geftuften Einheitsfäßen anzu- nebmen und sofort im Wege einer allgemeinen Tarifreform durchs zuführen, mit dem Anheimstellen, im Interesse der Ertragsfäbigkeit der Eisenbahn die Reform vorläufig auf Entfernungen über 400 km mit staffelweiser Nückwirkung bis zu 300 km zu beschränken

Ober-Bürgermeister Bräsicke zieht mit Rüksiht auf die Ge- schäftslage und die aestern vom Finanz-Minister abgegebenen Er- klärungen die erste Resolution zurück und führt zur Begründung der zweiten aus; Die s{wierige Aufgabe der Uebernahme der Eisenbahnen in die Staatsbahnverwaltung sei von der Regierung und dem an der Spitze dieser Verwaltung stehenden Mann glänzend gelöst worden ; Preußen habe ein großartiges, sicher arbeitendes uad für den Staat reihe Cinnahmen abwerfendes Staatseisenbahnsystem. Trogdem würden in weiten Kreisen der Bevölkerung noch lebhafte Klagen erhoben, nämli über die Gütertarife. Man klage über die Höhe der Tarife, welche die Benußung der Eisenbahn für weite Strecken unmögli mache, und über das Durcheinander von Normal- und Differenzialtarifen. Der Staat müsse die Tarife so ordnen, daß nicht_ nur gute Einnahmen entstängen, sondern auch wirthschaftlihen Bedürfnissen genügt werde. Nach dem vorgeschlagenen Tarifsystem könne sowohl der Staat größere Einnahmen erzielen, als auch die wirthshaftliche Thätigkeit unseres Landes auferordenilih gehoben werden. Jeßt gehe die Metertonne durchschniti- lich 15 Meilen weit, in den Jahren 1874 bis 1885 fei sie durh- \{nittlich 20 Meilen weit gegangen. Ein Güterverkehr von üder 400 km sei bei uns so gut wie ausgeschlossen, während in Oefter- reich-Ungarn, Rußland und Amerika Stückgüter bis 1000 km in großer Menge befördert würden. Unsere Kohle könne einen längeren Eisenbahnweg vertragen, weil für sie Differenzialtarife beständen. Man habe nun das System der Differenzialtarife, welches gar keine Bes rücsihtigung der Entfernung gekannt habe, beseitigt zu Gunsten eines womöglih noch schleckteren rein mechanisckcea Tarifs. Die Tarife müßten so eingerihtet werden, daß sie die Größe des Absatzes berücksihtigten, es müsse ein Rabattsystem im weitesten Umfang eingerichtet werden, Ein folhes System könne umsomehr empfohlen werden, als cs sichG in verschiedenen außerdeutscen Ländern aufs Beste bewährt habe. Er empfehle die Annahme seiner zweiten Resolution, E L A

Miniïterialdirekior Fleck: Die kilometrishe Frequenz im Güter- verkehr habe sich von 1879/80 bis 1889/90 auf dén preußischen Staatsbahnen um etwa 50 °/o gehoben, ein Resultat, welches kein anderer großer Eisenbahrkomplex zu verzeichnen habe. In Frankreich sei während dieser Zeit der kilometrische Verkehr zurückgegangen. G8 seten ferner im Laufe der Zeit Tarifermäßigungen und Ver- kehréerleihterungen eingeführt worden, welche in einer Broscwüre mit einem Jahuesbetrag von nahezu 100 Millionen berechnet seten. Der Vorredner sei über das Maß des Verkehrs über 400 km niht ganz genau unterrihtet, Nah dea statistishen Aufzeih- nungen, welhe für einen Monat gemacht seien, stelle sich die Tonnenkilometerzahl für die Transporte von über 400 km auf 21% Was nun die Resolution selbst bctreffe, so könne er im Namen der Staatsregierung eine bestimmte Stellung zu derselben nir kundgeben, die Resolution sei gestern unmittelbar vor der Plenarberathung des Etats in diesem Hause zur Kenntniß der Staatsregierung gelangt und sei namentlich in ihren finanziellen und wicthschaftlihen Wirkungen niht ohne Weiteres zu über- sehen. Die Bedenken gegen das vorgeschlagene System lägen nicht sowohl auf eisenbahntechnischem Gebiet, im Gegentheil, es sei niemals ein Zweifel darüber gelassen worden, daß die Eisen- bahnverwaltung die staffelmäßige Tarifbildung im __ eigenen Interesse für das Richtige halte. Die Bedenken lägen auf finanzielem und namentlih auf wirthschaftlihem Gebiet. In leßterer Beziehung sei in den westlichen und mittleren Pro- vinzen in der lezten Zeit lebhafter Widerspru erhoben worden, und er wisse niht, ob das Haus in der Lage sei, heute über diese Be- denken hinwegzugehen und für oder wider {on eine bestimmte Stellung zu nehmen. Er möchte deshalb dem Hause anheimstellen, die Resolution der Staatsregierung als Material zu überweisen.

Graf von Mirbach: Er empfehle aufs Wärmste auf Grund seines ausführlihen Studiums die Resolution, und zwar wegen der vorgerückten Zeit mit der Einschränkung, die der Negierungskommissar daran geknüvit habe. / i i

Die Resolution wird der Staatsregierung als Material

überwiesen. Schluß 51/4 Uhr.

schweren Mißftand, so Gott will, zu beseitigen. (Bravo !)

zum Deutschen Reichs-

M 143.

Zweite Beilage

Berlin, Sonnabend, den 20. Juni

Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Ta

1891.

Wenn man den Verkehr einer Groß Berlins schildern will, so genügt es nit, z nur die Zahl und Art der öffentlihen ihnen beförderten Personen anzugeben; au passirenden Fufigänger, Lafstwagen,

einigermaßen ; statistishe Aufzeicnun nit, theils nur wit in Berlin wie in and

gen in dem genannten Umfan so großen Kosten zu gewinne eren Groß städten von einer g des Gesammtverkehrs Abstand nehme L gewisses Zeiten

Zählungen (Stichproben) ftattge älteren gleihartigen Daten oder städten, als Ma gelten können. gewählten verkchrsreihen Ermittelung des Fuhrwerks- deren Ergebnissen wir einige 1887 gegenüberstellen wollen,

an der Ee der Friedrihstraße und der Straße He De Sen E in der Königstraße, unter der Stadtbahn in der Alexanderftraße, Ecke auf der Bellealliance-Brückcke. , in der Großen Frankfurterftraße auf dem Potsdamer Plate . in der Rosenthalerstraße . an der Ecke der König- auf der Oranienbrücke Ea R an der Ee der Chaussee- und Invaliderstraße 82 995 in der Leipzigerstraße, zwischen Kommandanten- straße und Spittelmarkt in der Leivzigerstrafe, z und Wilhelmstraße . durch das Brandenburger Thor Ueber die Art Stellen eine gewi

wischen Leipziger Plaß

e Auskunft gegeben. Platze verkehrenden Fuhrwerken befanden \chken; von den Wagen, fe an den Stichtagen

und 5499 Dro und Invaliden täglih 5893 Lastf N Verkehrsmitte

Leider scheint die anderen Punkten ftattg so fehlen bei den bis je Jahres die meisten der die Jahre 1882— 88

entnommenen Zusam Erhebungss\tellen,

Es wurden beobaciet

in der Leipzigerstraße, zwischen Jerusa- lemerstraße und Spittelmarkt

e Leipzigerstraße, zwischen Leipziger Plaß und Wilhelmstraße .

&riedrihfiraße, zwischen Behren-

Griedristraße, zwi und Georgenstraße auf der Oranienbrücke .

L Dani in der Gertraudtenstraße, zwishen Ger-

e und Petrikirchplay 1887 den Fufßgängerverkehr

\ chenDorotheen-

traudtenbrück 17 berihtet dieselbe

Leipzigerstraße, Plaß und Wil Jannowißbrück SITANICN Ede Münzstraße, zwischen Grenadier- u, Kaiser Wilhelmstraße . Gertraudtenstraße, zwishen Ger- , traudtenbrücke und Petrikirhplaßz . Bringt man für die zwei Erhebungsftellen, neuere Angaben vorlie raum von 16 Stunde straße der Fußgän um 21399 Köpfe dagegen nur um 470 Gefährte oder Oranienbrücke von 71051 auf 8395 oder um 12904 bei dem Wagenverkehr trat sogar in derselben von 5826 auf 5702 oder um 124 (2,1 %/0) e daß die beiden Erbebungen in verschiedenen Fahres- wie durch die Aufhebung der Wocenmärkte auf fowie durch die Eröffnung neuer Verbindungen ften und den angrenzenden Stadttheilen erfkärt

helmstraße .

Verkehr

sowohl dadurch, zeiten stattfanden dem Oranienplat, zwishen dem Südo werden kann,

Wie verbält fiG nun der arren Großstädten? Darübe Nah einer Angabe im Central 1882) ift die Zabl der wie folgt ermittelt : 79 198, Westminster Bri Veber den gemacht : Es verkehrten

in der Prinzeß Street Neadenhall Street . Gracehurch Street .

Strand und Fleet Street Easton Road dei arliament Street . ew Gate Street Moorgate Street King William Str.

auf der London 5 N Blackfriars Bridge .

‘bei Lndon

Der Verkehr in Berlin und seine Opfer.

wollte man Leider sind

Fußgänger Fuhrwerke

120 016 100 807

Holzmarktstraße : 91 530

91 125 88 689 87 266 86 668

und ‘Spandauerstraße ° 84 975

83 955

78 300

60 234 43 070

des Wagaenverkehrs is wenigstens bei f Unter den auf dem Potsdamer

fi 3147 Pferdebahnwagen welche die Eke der Chaufsee- kreuzten, waren durchschnittlich und unter den das Brandenburger Thor In wurden 1523 Privat-Personenfuhrwerke

im 20d

während Fuhrwerke Jahre Stunden

1881 16 1881 16 1881 16 1884 16

1883 13 1883 13

täalich

Jaßre während Fußgänger

Stunden 1878 18 1883 18 1883 18 1884 16

1884

4,30% zugenommen. bei den Fußgängern Köpfe bezw. 18,2 °%; Beit cine Verminderung in, eine Thatsache, die

täglich

Jahre während Fuhrwerke

Stunden 1873 12 1878 17 1878 17 1881 12 1878 17 1878 17 1878 17 1879 12 1879 12

1881 12 1881 á 1881

n muß.

in

ftadt von dem Umfange ur Kernzeihnung desselben Verkehrsmittel und der von u die Menge der die Privatfuhrwerke u, \ jenes

Straßen . w. müßte Bild _ regelmäßige ge theils überhaupt n, daß man sowohl zahlenmäßigen Dar- Dagegen an wichtigen Verkehrsmittel punkten funden, die immerhin, verglihen mit ähnlihen Angaben in anderen Groß- stab für die Beurtheilung des Verkehr8umfanges erst im März dieses Jahres an einigen aus- Pankten der Reichshauptstadt eine polizeiliche und Fußgängerverkehrs bewirkt worden, ältere Zahlen aus den Jahren 1878 bis Es verkehrten 1891 durhschnittlich ch während 16 Stunden (von 6 Uhr Morgens bis 10 Uhr

13 479 10 016 8 823 8 984 6 697 17 368 5 950 9 984 9 702 13 449

7 861

11 345 8 026

neueste Verkehrszählung fast dur&gängig an efunden zu haben als die früheren Grhebungen ; bt bekannt gewordenen Ergebnissen des laufenden in der folgenden, dem Magistratsberihte für menstellung angegebenen

11 360 10 875 9 036

6 246 4734 3 322

4 445, Quelle: Es

43 014 39 836 79 932

58 743

16 47 506.

für welche ältere und

gen, erstere auf den glei{en Beobachtungszeit- n, so hat im westliden Theile der L gerverkehr in 8 Jahren von 38 235 auf 60 bezw. 57 %, der Wagenverke

eipziger- 234 oder hr in 10 Jahren Auf der

Verkehr in Berlin zu demjenigen in r geben folgende Zablen Auskunft. blatt der Bauverwaltun ußgänger für einige Brücken

ndon Bridge 110525, dge 44460, Waterloo Bridge 32 815 Per- Wagenverkehr wurden folgende Beobachtungen

g (Jahrgang in London Blakfriars Bridge

6 574 6 128 12 148 10 599 16 208 12 132 14 306 8 749 7529

17 861 22 242 13 875

olgenden

In dem Werke „Les Traveaux publics de France“ (Paris 1874) wird in Bezug auf den Pont neuf in Paris bemerkt, daß {on im Jahre 1842 die Zahl der diese Brücke Ueberfchreitenden sid auf 80 000 in 24 Stunden beziffert und diese Zahl bis zur Ab- fassung der Schrift sich verdoppelt habe. Zählungen, die in Paris vom 1. Mai 1881 bis ebendahin 1882 in 43 Straßen statt- gefunden haben, und zwar in 22 stündigen Beobachtungen, lassen auf theilweise ao erheblich größeren Wagenverkehr als in London \{ließen. Leider sind nicht die Wagen, sondern die Pferde ermittelt worden. Um einen Vergleih mit den vorstehenden Angaben zu er- möglichen, ist nah früheren Veröffentlihungen die Zahl der Wagen aus der der Pferde berechnet worden. Hiernah verkehrten, innerbalb 24 Stunden in der Rue de Rivoli an der Ecke des Louvre 23 000 Fuhrweike, in der Avenue de l’Opéra 24 000, in der ziemli engen Rue du Pont neuf 16409, in der ebenfalls nibt breiten Rue St. Honoré etwa 13 100, in der Rue Montmarte 7200, auf dem Pont de la Concorde mit 9,75 m breitem Fahrdamm 7500 U, [1:40

Statiftik und Volkswirthschaft.

Handel und Industrie im Iahre 1890.

, Die Handelskammer für Barmen leitet ihren Jahres- beriht mit folgenden allgemeinen Bemerkungen ein ;

Mit vollèm Vertrauen und berechtigten Hoffnungen waren In- dustrie und Handel in das neue Jahr eingetreten, denn das Jahr 1889 war unter günstigen Aufpicien zu Ende gegangen, und es lagen Anzeichen vor, daß die nächste Zukunft eine lebhafte Thâtigkeit bringen werde. Leider fab man si bald in seinen Erwartungen getäusht. Schon das Frühjahr brachte die erste Erttäushuug durch das Eintreten der Influenza, welche die Arbeiter zeitweise massenhaft arbeits8unfäbig machte und, wo sie sich zeigte, sehr störend auf Handel und Wandel wirkte, Es folgte dann ein gänzlich verregneter Sommer, eine große Geldknappheit im Herbst fowie Kohlennoth und Ueber- s{wewmmung im Winter. Während der ersten Hälfte des Jahres machten sich ferner große beunruhigende Lohn- arbeiterbewegungen aller Orten, besonders in den Koblenbezirken, geltend. Au der Barmer Bezirk wurte von einem Strike beim- gesucht, an welhim si etwa 600 ‘Arbeiter betheiligten. Zu gleicher Zeit ershienen unter dem Namen „Mac K inley* die Gesetzentwürfe zu der bekannten neuen ZoUgeseßgebung der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika und warfen ihre Schatten vorauf. Die erste Wirkung dieser Shutzollbestrebungen war eine allgemeine Stockung der Aufträge aus den Vereinigten Staaten. Als dann, was faum für mögli gehalten, jene Bestrebungen feste Gestalt ‘angenommen und zum Geseg geworden waren, entwidckelte ih auf der ganzen Linie unserer für die Vereinigten Staaten arbeitenden Industrie während einiger Zeit eine fieberhafte Thâtigkeit, denn es galt nunmehr, vor Inkrafttreten des Gesetzes an Waaren not hinüber zu \caffen, was nur möglih war. Auf diese spekulative, ungesunde Thätigkeit folgte, da inzwischen die Mac Kinley-Administrativ- und Tarif-Bill in Kraft getreten war, der naturgemäße Rückschlag, welcher fich zunächst in fast gänzlicher Geschäftslosigkeit für die Vereinigten Staaten äußerte, ein Zustand, der indessen gegen Ende dés Jahres si) wieder gebessert hatte. Als drittes Moment im Bunde der nordamerifanishen Zoll- politi? wirkte die amcrikfanishe Silberbill. Dieselbe hatte eine maßlose Spekulation auf dem Silbermarkte und dadurch beispielloîe Preis\hwankungen der Silberwerthe hervorgerufen. Große Unsicherheit des internationalen Geldmarktes und cine gegen den Herbst sehr fühlbare allgemeine Geldknappheit war die Folge davon. Zu allen diesen Einflüssen aus Nord-Ämerika kamen endli die politishen Wirren in den La Plata-Staaten und besonders die zerrütteten finanziellen Verhältnisse in Argentinien, und fo endigte das Jahr 1892, ohne die Erwartungen eingelöst zu haber, die man an dasfelbe im Anfange genüpft hatte, unbefriedigend in allen seinen Resultaten, und nur vereinzelte Industrien bildeten erfreuliche Ausnahmen. Erfreulich dagegen sind in weltpostalisher Beziehung cine Reihe wichtiger neuer Postverbindungen und Erweiterung bestehender Posteinri{tungen im Auélande, von welchen wir besonders den Ab- \chluß eines Poftvertragis mit Nord-Amerika berrorbeben, dur welchen vom 1. April 1891 ab nach dem Muster der in Deutschland auf den Eisenbahnen fahrenden Postbureaus das Institut ter S ee- posten vermittelst der deutsden Postdampfer eingeführt ist. Den großen Wurf des Jahres bildete die Vorbereitung zuc Ein- führung der Invaliditäts- und Altersversicherung der Arbeiter. Soweit wir zu beurtbeilen vermögen, ift die Einführung des Geseßes am 1. Jaruar 1891 ohne sonderlihe Schwierigkeiten vor si gegangen.

Zur Arbeiterbewegung.

__JIn Bommern hat si, wie der „Elb. Ztg.“ berichtet wird, ein „O rtsverein für Bergleute“ im Gegensaß zu dem jozialdemokratishen Bergarbeiterverband gebildet. Dem neuen Verein sind bereits zahlreiche Fachgenossen beigetreten.

Aus Nordenham wird der „Köln. Zrg.* telegraphish gemeldet, daß die Lohnkommission der Ausständigen von der Direktion des Norddeutschen Lloyd neuerdings abs{lägig beschieden worden sei, da die \{lechte Geschäftslage der Gesellschaft Lohnerhöhungen unmöglich mache. ; 4

Aus der Provinz Sachsen {reibt man demselben Vlatt unter dem 17. d. M. über die Entwickelung der nach dem Ausstande der Schuhmacher in Erfurt von den Arbeitern begründeten Shuhwaaren fabrik:

Die nah dem unglücklihen Verlauf des Ausstandes mit Hülfe des „Genossen“ Bock aus Gotha in Erfurt gegründete sozialdemo- kratise Genossenschaftsfabrik {eint nit gerade befonders gute Geschäfte zu machen. Die Genoffen machen die Erfahrung, daß zum Betriebe eines größ-rn Fabrik-Etablissements doc nit nur Arbeiter nötbig sind, fondern au diejenigen Leute, die angeblih nihts thun und sh dafür vom fauren Schweiße der Arbeiter nähren. Schon hört man, daß die in jener Fabrik beschäâftigten Arbeiter darüber klagen, daß es dort noch viel \{limmer hergehe, als bei den übel beleumdeten fkapitalistischen Arbeitgebern. Ueberdies wolle Jeder befehlen und Keiner fi unter- ordnen, wodur eine fortlaufende Kette von Zwistigkeiten entstehe.

In Leipzig fand am Mittwoch eine öffentliche, von der sozial- demokratischen Partei berufene Volksversammlung statt, welche zu dem internationalen Arbeiterkongreß in Brüssel Stellung nehmen sollte. (Vgl. die gestrige Nr. 142 d. Bl) Es wurde der „Chemn. Ztg.* zufolge der Vorschlag gemacht, nur für größere Bezirke der Kosten- ersparniß halber einen Delegirten zu diefem Kongresse zu wählen, für das ganze Königreih Sasen drei und für die Kreishauptmann- \chaft Leipzig einen Delegirten. Die Versammlung beshloß, für den 12. und 13. sächsishen Reichstacswahlkreis einen Delegirten zu ent- senden und nahm die Wahl eines solchen vor. Der Gewählte soll, wenn die betreffenden Wahlkreise damit einverstanden sind, au die Vertretung des 11. und 14, Reichstagswahlkreises mitübernehmen.

Aus Paris wird der „Köln. Ztg.“ geschrieben : Der Gesegentwurf über die Regelung des Arbeiter-

lohns, welchen der Handels-Minister der Deputirtenkammer vorgelegt hat, enthält folgende Bestimmungen :

,_ Der Arbeitslohn soll monatlich mindestens zweimal in Geld und nicht in Zablungsmarken ausbezahlt werden. Die Gläubiger eines Arbeiters können nur den zehnten Theil seines Lohnes mit Beschlag belegen. Im \{limmsten Falle verbleiben ihm sieben Zehntel dessen, was er mit feiner Arbeit verdient, Der Gesetzentwurf ermäßigt ferner die Kosten für die Beschlagnahme soviel wie möôglich. Die S{hriftstücke auf Stempelpapier werden durch einfache eingeshriebene Briefe erseßt, und der Friedensrihter wird für zuständig erklärt, über Lohn- fragen zu enticheiden und mit Vertheilung der zurückget altenen Gelder betraut, wenn mehrere Släubiger vorhanden sirid.

Die Pariser Gasthofskellner es giebt 11000 Gasthöfe mit 20 000 Kellnern in Paris haben ebenfalls beshlossen, die Abschaffung der Stellenvermittelungs- Bureaus zu verlangen. Die Wirthe sind mit ihnen ein- verstanden, da die Arbeitgeber wie Arbeitnehmer die Bureaus für ein großes Uebel halten.

Die Pariser Bâäâckergescllen beshlossen am Mittwoch Morgen in etner stürmishen Versammlung, den Ausstand guf acht Tage zu verschieben, um alsdann, wenn die ihnen gemabten Ver- sprechungen über die Stellenbureaus bis dahin nicht erfüllt \eien, cine endgültige Entscheidung zu treffen.

Die Salzproduktion Englands.

„Im Vorjahre betrug die Salzproduktion Ençlands, wie ein soeben veröffentlihter Berit besagt, 1764000 t Gegen das vorhergehende Jahr ergab sich kcine merklice Differenz, dahingegen war die Förde- rung um 1290 t fleiner als in 1888, Nähere Details finden nch in der nachstehenden Tabelle:

Ge 914858 6 Borch. SO8488 S 6500 t Un Od s 310000 E Sd L a ees 10740 t So e s 8478 t

08 ¿ 1764 664 t

Ein Dritiel des vorstehenden Gefammtbetrages gelangte zum Export. Von dem Rest wurden drei Viertel in der Soda-Industrie und etwa 320 000 t für den gewöhnlihen Konsum verwendet,

Die Volkszählung in England und Wales,

Das vorläufige Ergebniß der leßten Volkszäblung liegt nunmehr vor. Die Gesammtbevölkerung beträgt 29 000000, gegen rund 26 000 000 Seelen in 1888. Es ist somit ein Zuwaths von 11,54 % zu verzeichnen. Nachstehende Tabelle veraushauliht die Resultate der englifchen Volks ählungen seit Beginn dieses Jahrhunderts :

/ Zunahme od. Zunahme Iahr Bevölkerung Abnahme per Decade

4 per Decade in % 1801 8 892 536

1811 10 164 256 1 261 723 14,30 1821 12 000 236 1835 980 18,06 1831 13 896 797 8 896 561 15,80 1841 15 914 148 2017351 14,52 1851 17 927 609 2013 461 12,65 1861 20 066 224 2138615 11,93 1871 22 772 266 2 646 042 13,19 1881 25 974 439 3 262 173 14,36 1891 29 000 000 3 025 561 11,64

Kunst und Wissenschaft. Sizung der Gesellschaft für Erdkunde am 4. Iuni 1891,

Der Vorsitzende Dr. W. Reiß matte darauf aufmerksam, daß am 28. Juni in Stendal die Erthüllung des Nahtigal-Denk- mals stattfinden wird und daß das Comité die Mitglieder der Gesellschaft zur Betheiligung an der bevorstehenden Feter einladet. Der Scaßmeister der Gesellshafr hat den Rechnungsabs{hluß für das Jahr 1890 übergeben, aus dem hervorgeht, daß das vergangene Jahr mit einem Defizit von 1020 4 abs{ließt.

Geheimer Regierungs-Rath Professor Dr. Bastian, Direktor des Königliben Museums für Völkerkunde, berihtet über seine eineinhalbjährige Reise nah Central-Asien, Ost-Afrika, Ost-Indien und Australien Redner vertritt die Ansicht, daß die Rußland in Central- Asien gestellten Kulturaufgaben dessen Gesammtkräfte zum allseitigen Besten auf Jakbrhunderte beanspruhen und festlegen werden. Der russische Kolonist bleibe in seiner Heimath, au wenn schon in die erweiterten Grenzen derselben verseßt. Die nachgiebige Smiegsamfeit des flavischen Volkscharakters werde bier die geeignete Vermittelung abgeben zur Assimilirung und Vers{melzung der centralasiatishen Völker. Mit der Realisirung des Schreckbildes einer Invasion nach Indien die hiergegen von englischer Seite ergriffenen Maßregeln hat Redner in Quetta und am Bolanpaß auf seinen Kreuz- und Quer- zügen durch Indien selbst kennen gelernt werden ch die Ruffen nach Professor Bastian's Ansiht aus eigener Verständigkeit nicht ernftlich befassen wollen, da ihrem Naturell das Kastenwesen der intishen Bevölkerung in keiner Weise zusagen würde, wäbrend gerade die aristokratishe Abgeschlossenbeit der englischen Herrschaft für die Verhältnisse der Inder am Besten paßt. Immerhin lasse sid aber ni&t verkennen, daß aub Indien in ein kritishes Stadium des Üeber- ganges getreten fei, seitdem es nah Eröffnung des Suezkanals in so enge Berührung mit Europa gekommen ist. In die seit Jahrtausenden unveränderte Stabilität der Sitten Und Gebräuche ist eine Masse fremder Gährungs8tofe bineingeworfen worden. Als wätigste Nivellirmaschine wirkt die Eisenbahn. Denn trotz der im Allgemeinen zugestandenen Sonderung der einzelnen Kasten in besonderen Waggons wird bei der gelegentlich doch unvermeidbaren Ueberfüllung der Eisenbahnzüge die sonst übliche strenge Kaiten- scheidung über den Haufen geworfen und wird unter Umständen ein Brahmane neben einem Paria oder Chandala zu sitzen komtnen, die ibm sonst auf mindestens 69 Fuß fernbleiben müssen. Den nationalen jungindischen Ideen steht zu ihrer Verwirklichung die Buntscheckigkeit der indischen Verhältnisse, die Zersplitterung der Bevölkerung nach Rassen, Sprachen, Religion und klimati1hen Verhältnissen als ein für absehbare Zeiten wohl unüberbrückbares Hinderniß entgegen

Dr. Krets{chmer berichtete sodann über seine im Auftrag und mit theilweiser Unterstüßung der Gesellshaft den wesentlichsten Theil der nöthigen Geldmittel hatte seiner Zcit der Minister von Goßler zu bewilligen die Geneigtheit gehabt urters- nommenen Studien und Forschungen in den Bibliotheken Italiens nach noch unbekanntem kartograpbischen Material aus dem Mittel- alter. Es ift dem jungen Gelehrten gelungen, eine Anzahl noch unbe- kannter sog. Rad- und Kompaßkarten aufzufinden, und es werden diese neus gewonnenen Materialien zur Geschichte der Kartographie des Mittel-

alters von Seiten der Gesellschaft in Form einer Festshrift zur Feier

der vierhundertjährigen Entdeckung Amerikas im nächsten Jahre ver-

öffentliht werden.

Wie wir den „Sißungsberichten der Königlih preußishen

Akademie der Wissenschaften zu Berlin“ entnehmen k=+ die phyfikalisch-mathematishe Klasse der Akademiae, dings zur Ausführung. wifsenshaftliher Untern«.

folgende Summen bewilligt: 2500 4 zur Fortsetzung deu ©-

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