der Mangel an Lebensmitteln und an Heizmaterial sich immer mehr fühlbar mate, au die Beschießung einzelner Sri der Südfront in äußerst wirksamer Weise erfolgt war.
__ Den Schluß des meisterhaft geschriebenen Werkes bildet die Kapitulation von Paris, der durch die Operationen des Generals von Manteuffel veranlaßte Uebertritt der 80 000 Mann starken Bourbaki'shen Armee auf Schweizer Gebiet, der Waffenstillstand, der Ls in Paris, ein kurzer Rücblick auf den Aufstand der Kommune und der Rückmarsh der deutschen Truppen. Ueber die Leistungen und die Opfer der Deutschen äußert sih der Feldmarschall folgendermaßen :
„Der mit Ausbietung gewaltiger Kräfte von beiden Seiten
geführte Krieg war bei rastlos schnellem Verlauf in der kurzen
eit von sieben Monaten beendet. Gleich in die ersten vier Wochen allen aht Schlachten, unter welchen das franzöfische Kaiserthum PUOEES und die französishe Armee aus dem Felde ver- chwand. Neue „massenhafte, aber geringwerthigere Heeresbil- dungen glichen die anfängliche numerische Üeberzahl der Deutschen aus, und es mußten noch zwölf neue Schlachten geschlagen werden, um die entscheidende Belagerung der feindlichen Haupt- stadt zu sichern. Zwanzig feste Pläße sind genommen worden, und kein Tag ist zu nennen, an welhem niht größere oder kleinere Gefechte stattgefunden haben. Den Deutschen hat der Krieg große Opfer gekostet, fie verloren: 6247 Offiziere, 123 453 Mann, 1 Fahne und 6 Geschüße. Der Gesammtverlust der iris entzieht sich der Berehnung, aber allein an Ge- angenen befanden si in Deutschland 11 860 Offiziere, 371 981 Mann, in Paris 7456 Offiziere, 241 686 Mann, entwaffnet in der Schweiz 2192 Offiziere, 88381 Mann, im Ganzen 21 508 Offiziere, 702047 Mann. Ecobert wurden 107 Fahnen und Adler, 1915 Feldgeschüße, 5526 Festungsgeshüße. Straß- burg und Meg, in Zeiten der Shwäche dem Vaterlande ent- fremdet, waren wieder zurückgewonnen und das „deutsche Kaiserthum war neu erstanden.“
Eine dem Werke beigegebene Uebersichtskarte ermöglicht es genau die Operationen zu verfoigen. Für das ein-
ehendere Studium der Shlachten und Gefechte wird die. Denußung der Karten des Generalstabswerkes über diesen Feldzug anheimgestellt. Der Aufsay „Ueber den angeblichen Kriegsrath in den Kriegen König Wilhelm's T.“ beseitigt ein für alle Mal in der bestimmtesten Weise die früher weit ver- breitete Ansicht, daß den größeren Kriegshandlungen stets ein Kriegsrath vorangegangen sei. Zum Beweise dafür schildert der Feldmarschall die Ereignisse, die zu dem Beschluß, die Schlacht von Königgräßg zu \{hlagen, geführt haben. Prinz Friedrich Carl, der am 2. Juli- 1866 den Befehl hatte, etwaige größere Streitkräfte des Feindes vorwärts der Elbe unverzüglich anzu- greifen, ließ am Abend dieses Tages um elf Uhr dem General von Moltke, der sih hon zur Ruhe begeben hatte, dur den General von Voigts-Rhet in Gitschin die Mittheilung machen, daß das ganze österreihishe Heer an der Bistriß aufmarschirt stehe und er die Versammlung der ersten und Elb: Armee nahe dem Feinde gegenüber in aller Frühe des folgenden Morgens angeordnet habe. General von Moltke ging sofort zum König, der au bereits ruhte und nah höchstens zehn Minuten dauernder Unterredung sih mit dem Vorschlage, am folgenden Tage mit Heranziehung aller drei Armeen die Schlacht zu s{hlagen, einverstanden erklärte.
Auch während des deutsh:französishen Krieges von 1870/71 hat nah der Versiherung des Feldmarschalls niemals ein Kriegsrath stattgefunden. Seinem Vortrag bei Seiner Majestät haben zwar der Chef des Militärkabinets, der Kriegs- Minister und in Versailles, solange das Hauptquartier der IIT, Armee dort lag, au der Kronprinz, alle jedoch nur als Zuhörer beigewohnt. Graf Moltke sagt darüber wörtlich : „Der König forderte von ihnen zuweilen Auskunft über das Eine oder das Andere; aber ih erinnere mih nicht, daß er sie jemals um Rath gefragt hätte, die Operationen oder die von mir gemachten Vorschläge betreffend.“
Den weiteren Veröffentlihungen der Denkwürdigkeiten des Feldmarschalls Moltke, welche in „Briefen“ und „Ver- mishten Schristen“ bestehen, wird man mit um so größerer Spannung entgegensehen, als der vorliegende Band ein glänzendes Zeugniß ist für die universelle Bildung, den feinen Takt, das lebhafte Jnteresse für alle Zeit und Menschen be- wegenden Fnteressen und den fkösilihen Humor, welche den großen Mann auszeichneten.
Revisionsentscheidungen, Bescheide und Beschlüsse - des Reichs-Versicherungs8amts, Abtheilung für JFuvaliditäts- und Altersversicherung.
49) Das Reichs - Versiherungëamt hat ia einer Revisions- entsbeidung vom 4. Juli 1891 den Grundfaß aufgestellt, daß der Vorstand einer Versicherungsanstalt niht berechtigt if, gegen ein ihn nicht besdwerendes Urtbeil des Sciedsgerihts zu Gunsten des Ver- sicherten Revision einzulegen. In den Gründen heißt es: Es läßt sih vielleicht geltend machen, daß der Wortlaut des §. 79 des In- validitäts- und Altersversiberungsgeseßes dem Vorstande der Ver- sierungéanftalt ohne Einschränkung das Recht der Revision gebe, und daß 1n der Stellung dieser Behörde kein Hinderniß liege, von diesem Recht au zu Gursten des Ver- . fihherten Gebrauch zu machen ; denn es hôre der Vorstand aub nah
Anftrergung eines Prozesses nicht auf, ein öffentlihrechtliches Organ zur Wahrung der Rechte der Versicherten zu sein. Dem gegenüber ift aber hervorzuheben, daß, wenn man dem Anftaltsvorstande das R-ckcht zur Revisionéeinlegung zu Gunsten des Versicherten, also seines Gegrers im Streitverfahren, — vergleiche §. 8 der Kaiserlihen Ver- ordnung vom 1. Dezember 1890 — gewähren wollte, dies die Ein- führung eines durWaus neuen, jedem sonstigen Prozeßoerfahren fremden Rechtsmittels bedeuten würde. Schon bei Durch- führung der Unfallversiherung if darauf hingewiesen worden, daß für das dort in Betraht kommende, ebenfalls öffentlihre@tlihe Gebiet die Zulassung der Rekarseinlegung zu Gunsten des Versicherten umsoweniger geboten erscheine, als die Be- rufsgenossenshaft als Träger der Ünfallversiherung troß des Vor- liegens eines s{iedsgerichtlichen Urtheils nit behindert sei, in der Sache selbst einen dem Rentenberehtigten günstigeren neuen Bescheid dann zu erlassen, wenn sie annimmt, daß thatsählid Anlaß zur Ge- währung einer höheren Rente vorliegt (zu vergleihen Bescheid 660,. „Amtlihe Nawrichten des R.-V.-A.* 1889 Seite 140). Zu dieser auch für den Bereich der Invaliditäts- und Altersversicherung zutreffenden Erwägung kommt aber hier noch der weitere Grund, daß gemäß §S. 63, 77, 79 des Invaliditäts- und Alters- © versiherungsgesetzes in dem Staatskommifsar eine behördlihe Stelle geschaffen ist, welcher das Recht zusteht, zu Gunsten des Versicherten, au ohne dessen Zuthun, Rechtsmittel eipzulegen. In dieser Hinsicht führen die Motive zum Gesetzentwurf (Stenographishe Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 7. Legislaturperiode IV. Session 1888/89 4, Band Seite 82) aus, es sei Aufgabe des Staats-
dasjenige in vollem Umfange hrt wird, was sie auf Grund des Gesehes zu fordern haben.“ o hätte auch im vorliegenden Falle die in der Revisionsschrift erörterte Rehtsfrage — außer von dem Kläger selbs — dur eine Revision des Staatskommifsars zur Gnt- scheidung des Reichs-Versicherungsamts gebraht werden können; die von dem Vorstand der Versicherungsanstalt eingelegte Revision aber mußte als unzulässig zurückgewiesen werden.
50) In einem Fall, in welchem es fih um den Alterêrenten- anspruch eines bei einem Königlih preußishen Amtsgeriht be- \{äftigten Kanzleigehülfen (Lohnschreibers) handelte, hat das Reis - Versicherungsamt in der Revisionsentsheidurg vom 12. Juni 1891 über die Gesichtspunkte, welhe für die Beurtheilung der Frage, ob eine Petson zu den im §. 4 Abfay 1 des Invaliditäts- und Altersversiherungsgesezes bezeihneien Reichs- oder Staatsbeamten gehört, maßgebend sind, unter besonderer Erörterung der Verhältnisse der bei den preußishen Gerichtsbehörden beschäftigten Lohnschreiber Folgendes ausgeführt: Nach §. 4 Absay 1 tes Invaliditäts- und Altersversiherung8geseßes unterliegen Beamte des Reis und der Bundesstaaten und die mit Pensionsberehtigung angestellten Beamten von Kommunalverbänden der Versicherungspflicht nicht. Der Wortlaut dieser Bestimmung ergiebt, daß bei Beamten der beiden erstgenannten Arten die Versicherungspfliht nicht von der Frage na der Berechtigung zum Penfionsbezuge abhängig ift, daß diese Beamten vielmehr in allen Fällen, gleihviel ob pensions- bere{tigt oder nit, von der Versicherung ausgeschlossen sind. Der Gefeßgeber ist hierbei, wie die Motive (Stenographishe Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 7. Legislaturperiode IV. Sesfion 1888/89 4. Band Seite 67) erkennen lassen, von der Erwägung ausgegangen, daß das Reich und die Bundesstaaten in der Regel au bei ihren nit pensionsberechtigten Beamten die Fürsorge für den Fall des Alters und der Invalidität zu übernehmen pflegen. Hängt hiernah die Entscheidung im vorliegenden Falle von der Beantwortung der Frage ab, ob der bei einem Königlich preußishen Amtsgeriht beschäftigte Kläger preußischer Staatsbeamter ift, so erscheint es ferner unbedenklich, daß für die Beurtheiluug der Beamterqualität einer Person das öffentlihe Recht desjenigen Staats maßgebend ift, in dessen Diensten sie steht, und daß ferner in den Staaten, in welchen es an allgemeinen, für sämmtliche Ressorts gleilmäßig geltenden festen Merkmalen fehlt, die dienstvragmatischen Vorschriften, das heißt die von den zuständigen Stellen für die einzelnen Zweige der Staatsverwaltung ausdrücklih Ege da Normen, von entscheidender Bedeutung sind. Denn zum Begriffe des Beamten gehört unstreiiig seine „Anstellung“ auf Grund öffentlihen Rechts, und es muß daher, soweit nit besondere Gesetze, namentli die Verfaffungen, Plah greifen, dem Staate und seinen Centralorganen die freie Bestimmung darüber vorbehalten bleiben, ob die zur Verrichturg gewisser Dienste zu berufenden Personen auf Grund einer folhen öffentlihrechtlihen Anstelung oder nur in Kraft eines privatrechtlichen Vertragsverhältnifses anzunehmen sind und ob die in Dienst getretenen Personen — sei es na bestimmten Klafsen, sei es im Falle des Zutreffens gewisser allgemeiner Momente — die Eigenschaft von Staatsbeamten haben sollen oder niht. Nah diesen Regeln der Dienfipragmatik haben sih nit nur die den ein- zelnen Refsort- Chefs unterstellten Behörden zu richtenz; sie sind au, als dem öffentlichen Recht angehörig, für die mit der Entscheidung von Verwaltungsstreitigkeiten betrauten Gerichtshöfe derart bindend, daß insbesondere au die Frage, ob eine von der Staatsbebörde be- s{häftigte Person von der Versicherungspfliht gemäß § 4 Absatz 1 des Invaliditäts- und Altersversiberungsgeseßes und damit von der Er- langung einer Altersrente ausges{los|en ift, von dem Inhalt der einshla- genden dienstpragmatischen Bestimmungen abhängt. Was den vor- liegenden Fall anlangt, so kommen, da es an diesbezüglihen generellen Normen in der preußischen Staatsverwaltung fehlt, die besonderen Vorschriften in Betracht, welche von dem Königlich preußischen Justiz- Minister über die Beamteneigenshaft der bei den Justizbehörden beschäftigten Kanzleigehülfen (Lohnschreiber) erlassen sind. Solche finden sich zunähst in dem Kanzlei-Reglement vom 23. März 1885 („Justiz - Ministerialblatt*“ Seite 120) vor: dana werden die für ein dauerndes Bedürfniß angenommenen Kanzleigehülfen nah den für Staatsbeamte bestehenden Vor- shriften vercidigt (8. 3); es kann ihnen nach längerer Dienst- zeit ein Mindesteinkommen bewilligt werden (§. 7), welches sie au während einer Krankheit fortheziehen (§. 12) und welches im Falle ihres Todes den Hinterbliebenen für ein Gnadenquartal gewährt wird (8. 13). Ferner is sowobl nach Nr. VI 2 der unter dem 22. Februar 1875 bekannt gemachten Ausführungsbestimmungen des Bundesräths zum Militärpensionsgeseßz vom 27. Juni 1871 (,Juftiz- Ministerialblatt“ Seite 175), wie aub unter Ziffer 5 der Anlage zur Ministerialanwcisung vom 10. April 1883, betreffend die Ausführung des Reliktengeseßes vom 20. Mai 1882 (,Justiz- Miristerialblatt “ Seite 139), die Beamteneigenshaft der dauernd beschäftigten Lohnschreiber im Sinne der vorbezeihneten Geseße avsdrüdlih anerkannt. Im Anschluß hieran bat endli der preußishe Justiz-Minister, unter besonderer Berüksihtigung der Frage der Versicherungspfliht nah dem Invaliditäts- und Altersversiherungs- geseß, dur Runderlaß vom 22. Dezember 1890 bestimmt, daß die bei den Justizbehörden beschäftigten Kanzleigehülfen (Lohnschreiber) als Juftizbeamte jedenfalls dann anzusehen sind, wenn sie zur Be- friedigung eines dauernden Bedürfnisses und mit der Aussicht auf dauernde Veschäftigung angenommen find, daß dagegen diejenigen Lohnschreiber, welhe nur vorübergehend und aushülfsweise bei den Justizbehörden : beschäftigt werden, zu den Beamten im Sinne des Inbaliditäts- und Altersversicherung8geseßes nit gerechnet werden sollen. Dieser Ministerialerlaß bildet nach den obigen Ausführungen die Grundlage für die Beurtheilung der Beamteneigenschaft des Klägers, und es kommt ledigli darauf an, zu welcher der beiden in dem Erlaß bezeibneten Arten von Lohn- \hreibern er nah den obwaltenden Verhältnissen thatsählid gehört. Da diese Verhältnisse bisher niht genügend aufgeklärt sind, so hat das Reichs-Versicherungsamt die Sache, unter Aufhebung des auf der unrihtigen Anwendung bestehenden Rechts beruhenden \chied8geri{t- lichen Urtheils, zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Scieds8geriht zurückverwiesen.
Entscheidungen des Reichsgerichts.
Unter dem „Betriebs- und Arbeitsaufseher*, welcher nach §. 96 des Unfallversicherurgsgescßes für vorsäßliche bezw. fahr- lässige Herbeiführung eines Unfalls der O oder der Krankenkasse für alle Aufwendungen haftet, ist, nah einem Ur- theil des Reichsgerichts, VI. Civilsenats vom 4. Juni 1891, zur ein folcher Betriebêbeamter zu verstehen, welher vom Betriebsunternehmer angestelt it und bestimmte Pflichten in dessen Betriebe zu erfüllen hat. Ein von dritter Seite, insbesondere von dem Bauherrn mit Zustimmung des Bau- unternehmers aufgestellter Aufsihtsbeamter (der selbstverständlih nicht unter die Kategorien des §. 9 des Unf.-Vers.-Ges. fallen darf) ift als Betriebébeamter im Sinne des §. 96 nicht anzusehen.
— Ein in Preußen von einer Gemeindebehörde angestellter, aber von der Staatsregierung niht bestätigter Nahtwächter ist, nah einem Urtheil des Reichsgerihts, 1V. Straffenats, vom 5. Juni 1891, kein Beamter im Sinne des Strafgeseßbuchs.
Statistik und Volkswirthschaft. Statistisches Jahrbuch.
kommiffars, auch darüber zu wachen, „daß den Berechtigten, sobald die thatsählihen Vorausseßungen ihres Anspruchs, nämlih das er-
forderlihe Lebensalter oder die Erwerbsunfäbigkeit, anerkannt sind,
er & Müblbrecht in
Landwirthschaft und Gewerbe, l und Verkehr, über Geld und §
wesen und Preise, bringt die Ergebnisse der Berechnung Berhenedits einer größeren Anzahl von Waaren, theilt die Resultate Reichstags- wahlen mit und giebt Nachrihten über das Jastiz-. Medizinal- Kriègs- und Finanzwesen, über die Kranken- und Unfallversi ng der Arbeiter sowie über die öffentliGe Armenpflege. Diese gedrängten Uebersihten bilden zum größten Theil Auszüge aus den vom Statistishen Amt herausgegebenen Quellenwerken „Statistik des Deutschen Reihs* und „Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs“, stammen aber theilweise, wie namentli in den Abschnitten über __den Post- und Telegraphenbetrieb, über die Eisenbahnen, über das Geld- und Kreditwesen. über Medizinal-, Kriegs- und Finanzwesen, aus anderen amtlichen Quellen. Ueber die Herkunft if bei jeder Nahweisung unter der Ueberschrift M E g gens gegeben, wont ualeih E Ort bezeihnet wird, l e zur weiteren Crforschung des Gegenstandes erforder- lichen spezielleren Daten zu finden sind. : maE E
Zur Arbeiterbewegung.
In der vorgestrigen Dona trat der inter- nationale Arbeiterkongreß in Brüssel in die Ver- handlung über die Strike- und Boykottfrage ein. Es wurde eine Resolution von den deutshen Delegirten ein- gebracht, die gestern angenommen wurde und nach der Ber- liner „Volks8ztg.“ im Wesentlichen folgenden Wortlaut hat:
Unter den heutigen ökonomischen Verhältnissen sind Strikes und Boykotts eine unumgänglihe Waffe für die Arbeiterklasse, einmal, um die auf ihre materielle oder politisbe Schädigung gerihteten Be- strebungen ihrer Gegner zurückzuweisen, dann aber au, um ihre foziale und politishe Lage nah Möglichkeit innerhalb der bürgerlihen Gesellshaft zu verbessern. Da aber Strikes und Boykotts zweishneidige Waffen find, die, am unrechten Orte oder zur unrechten Zeit angebracht, die Interessen der Arbeiterklafse mehr \chädigen als fördern Fönnen, empfiehlt der Kongreß den Arbeitern sorgfältige Erwägung der Um- stände, unter welchen sie von diesen Waffen Gebrau machen wollen. Insbesondere betrachtet es der Kongreß als zwingende Nothwendig- keit, daß die Arbeiterklasse zur Führung solcher Kämpfe sich gewerk- aftli organisire, um sowohl durch die Wut der Zahl, wie au der materiellen Mittel die beabsichtigten Zwecke erreîihen zu können. Von diesen _ Auffassungen ausgehend, empfiehlt der Kongreß allen Arbeitern kräftige Unterstüßung der gewerk|chaftlihen Organisation, zugleih erhebt er Protest gegen alle Versuhe der Regierungen und der Unternehmerklasse, das Recht der Vereinigung der Arbeiter irgendwie zu beschränken. Zur Sicherung des Koalitions- rechts verlangt der Kongreß: Beseitigung aller Geseße, welche ge- eignet sind, dem Koalitionsrecht irgend welche Schranken zu ziehen, desgleihen Bestrafung aller Derjenigen, welche die Arbeiter in der Ausübung dies es Rechts verhindern. Der Kongreß matt es allen Arbeitern zur Pflicht, in diesem Sinn kräftig zu wirken. Da eine gesetzliche inter- nationale Verbindung der Organisationen der vershiedenen Länder unter den heutigen Gesehen nit mögli ift, so empfiehlt der Kongreß den Orga- nifationen der einzelnen Länder, ihr Solidaritätsgefühl im Bedarfsfalle
Form muß den einzelnen Ländern überlassen werden. So wünschens- werth eine internationale Organisation auÿ sein mag, so stehen ihr doch Hindernisse entzegen. Der Kongreß empfiehlt daher überall, wo es inôglih ift, die Errichtung eines internationalen Sekretariats, welches bei Konfliften zwishen Arbeitern und Unter- nehmern Behufs gegenseitiger Verständigung einzugreifen hat.
Jn der gestrigen Sizung sprach der deutsche Delegirte Liebknecht über die Stellung und Pflihten der Arbeiterklassen zum Militarismus. Ec bemerkte u. A. nah der Wiedergabe eines Berichterstatters Folgendes :
. - G8 ist allerdings der Vorschlag gemaht worden : bei Aus- bruch eines Krieges eine Grève zu veranstalten, d. h. die Soldaten zu veranlassen, si zufweigern, gegen den Feind zu marschiren ; anderer- seits wurde der Vorschlag gemat : diz Soldaten zu veranlassen, \ich bei Beginn jeder Schlaht sofort dem Feinde zu ergeben und si gefangen nehmen zu lassen, doch es is sofort eingewendet worden, daß diese Vorschläge unausführbar und. deshalb ab- zulehnen seien. Es ist alsdann weiter der Vorschlag gemacht worden: neben dem 1. Mai noH einen Feiertag festzuseßen, an dem eine Demonstration für die Völkerverbrüderung stattzufinden bätte. Es wurde jedo erklärt, daß in Deutschland am 1. Mai keine Versammlung statt- gefunden habe, in der nit neben der Demonstration für den Achtstunden- tag eine Demonstration für die Völkerverbrüderung stattgefunden habe. Eine übereinstimmende E:klärung wutde auch von den fcan- zösishen und den Delegirten aller andern Länder abgegeben. Aus diesem Grunde wurde auch dieser Vorschlag abgelehnt. Daß der Militarismus eine soziale Frage sei, beweise der Umstand, daß die liberale Bourgeoisie, die früher den Militarismus heftig bekämpft habe, jeßt für denselben eintrete. Die: Bourgeoisie wisse, daß das viele Militär niht dazu da sei, um gegen den äußeren Feind sondern gegen die Sozialdemokraten zu marschiren. Das Proletariat der ganzen Welt sei einig und kenne keinen äußeren Feind. Das- selbe sei in allen Ländera der Fall. Es sei nothwendig, {on heute gegen den Krieg zu protestiren. — Vaillant (Paris) äußerte si ganz im Sinne Liebknet's,
Wie ein Wolff’ sches Telegramm berichtet, wurde von der Kommission eine Resolution beantragt, in welcher es heißt, der Kongreß betrachte es als die Pfliht und das Jnteresse aller Derjenigen, welche dem Kriege entgegenwirken wollen, in die sozialistishe Partei einzutreten, welche einzig und allein eine Partei des Friedens sei. An- gesihts der Aar as Lage Europas und der Auf- reizungen der herrschenden Klassen appellire der Kongreß an die Arbeiter der ganzen Welt, allen Kriegsbestrebungen und Bündnissen entgegenzuwirken und dur eine Weiterentwicke- lung der internationalen Organisation des Proletariats den Sieg des Sozialismus zu deGloutriget. Der Antrag wurde einstimmig angenommen von sämmtlihen Theilnehmern an dem Kongreß mit Ausnahme der holländischen.
In Herford tagte, wie der „Vorwärts“ berihtet, am 16. August eine sozialdemokratische Konferenz zur Besprehung der länd- lichen Agitation, welche aus verschiedenen Orten der Wahlkreise Bielefeid-Wiedenbrück, Herford-Halle, Minden-Lübbecke, Lippe- Letmold und Schaumburg-Lippe von im Ganzen 36 Delegirten besucht war ;. diesen hatten sich aus Herford und Bielefeld noch andere „Ge- nossen* angeschlossen, sodaß an den Berathungen, über 100 Per- sonen theilnahmen. Die Nothwendigkeit einer systematisch betriebenen Agitation unter der ländlihen Arbeiterbevölkerung wurde anerkannt und als zweckmäßigstes Mittel die Verbreitung von Flug- blättern bezeihnet. Man beschloß, daß die Parteigenossen in jedem Wahlkreis für sich den örtlihea Verhältnissen entsprechend die O betreiben follen und in jedem Ort, wo die Partei eine geshlofsene Anhängerschaft besigt, der Vertrauensmann sich der Auf- gabe zu unterziehen hat, die geschäftlihe Seite der ländlihen Agita= tion zu regeln.
In Plauen i. V. haben nah demselben Blatte die Stein- metßgehülfen der Firma Beyers Wittwe u. Co. wegen rück- ftändigen Lohnes die Arbeit niedergelegt.
Im Zusammenhang mit der Berliner Arbeiterinnen- bewegung ift, wie die „Voss. Ztg.“ mittheilt, in den führenden Kreisen angeregt worden, auch die weiblihen Dienstboten zu „organisiren“. Es wird beabsichtigt, Versammlungen zum Zweck dieser Organisation des Sonntags Nachmittags abzuhalten.
Der Fusf\tand im Jsergebirge (vergl. die gestrige Nr. 196
Der soeben erschienene 12. Jahrgang (1891) des vom Kaiserli Statistischen Amt ai A Stat. iti en ate baa Fin das Deutsche Reich (205 Seiten nebst 3 graphishen Dar-
E E E E E E T
d. Bl ) ist der Berliner „Volksztg.* zufolge vorläufigz beigelegt. Die Glasarbeiter verlangen binnen vierzehn Tagen endgültige Rege-
S e E A M
stellungen, V von Puttkamm Berlin Í 2 M6) enthält de Hauptabschnitten Nahhweisungen über Beväiterung j
durch gegenseitige materielle und moralische Unterstüßung zu beweisen. Die j
zihrer Lobnverbältnifse widrigenfalls aufs Neue die allgemeine
I l, Arb Ti rbrbes Telegramm aus Paris meldet, griffen
beiter gestern im Bois de Boulogne Ar-
aner E midt an vem. Ausstand betbeiligten, mit Steinen und Stöcken an und verleßten mehrere derselben \chwer. Die Polizei ußte einen harten Kampf wit den Ausständigen bestehen, ehe es gelang, sie zu zerstreuen. Zahlreiche Verhaftungen wurden vor-
genommen. Kunst und Wissenschaft.
Internationale Kunstausstellung in Berlin. VIII,
Ftalien.
älte, den Eindruck s{hmetternden Fanfaren-
¡ube daa tar Sphäre des Gehörs in diejenige des Gesichts- finnes zu übertragen —, man müßte einen der heutigen italienishen Maler mit dieser Aufgabe betrauen. Blendender Farbenshimmer begrüßt uns gleih einer prächtigen Girandola im italienischen Ausstelluygssaale. Es scheint, als befänden ih diese Künstler in offener Opposition zu der leider sonst fa überall verbreiteten Auffassung, als sei in der modernen arbenwelt nur Play für trübselig graue oder im besten Mille gleichgültig unbestimmte Tonwerthe. Die Thatsache, daß die esperishe Sonne reiches und kräftiges Farbenleben weckt, läft allein shon das jeßt von den nordischen Künsilern zu- meist stolz vershmähte Jtalien noch immer als eine Stätte fünstlerisher Verjüngung und Kräftigung erscheinen. Die Jüngsien unter den Modernen, welche die sentimentale Ztalien- \{hwärmerei älterer Geschlechter für abgethan erklären und ausshließlih ihre Blickde nah der Dunstsphäre von Paris wenden, müssen sih die beshämende Lehre gefallen lassen, daß die Kunstgenossen jenseits der Alpen dem noch nicht gegen jeden kräftigen Farbenreiz abgestumpften Auge weit mehr zu bieten haben, als sie. Darum is ihre Kunst keineswegs in der technishen Vervollkommnung zurügeblieben; aber das südländishe Temperament hat sich mit den neuen Problemen anders abgefunden, als nordische Blasirtheit und Tüstelei. Daß hier und da diese Auffassung für den be- dächtigen Deutschen etwas spielerish und grell erscheint, darf nicht Wunder nehmen, aber da sie sih fast durhweg auf die Darstellung der italienishen Natur und des einheimischen Volkslebens beschränkt, bleibt fie durhaus immer in den Grenzen ihrer Berechtigung. Von der faden Süßlichkeit, mit der man früher die Typen des südlichen Volkslebens zu parfümiren liebte, hat sih die italienische Kunst in den legten Jahrzehnten glücklih emanzipirt. Das lehrt ein Vergleich der noch in der alten Eleganz steckengebliebenen beiden Bilder von F rancesco Vinea, historisches Genre ohne rechte Kraft und Saft, sowie der „Grasmüde“ Pennacchini’'s mit den Schöpfungen eines Micchetti, Segantini u. A. Freilih ganz is} die Liebhaberei für das Zierlih:Empfindsame noch nicht ges{chwun- den. Das beweisen außer den hon genannten Arbeiten Vinea’s und Pennacchini’'s au die „Wäscherinren am Garda- see“ von Ettore Tito, die gleihwohl dem modernen Empfin- den weit mehr Konzessionen machen, als seine „Venezianerin“, die in einem der engen Gäßchen ihrer Vaterstadt Einlaß in ein Haus begehrt (2377a), sowie das tehnish sehr gewandte Aquarell Augusto Corelli's, der ein jugendlihes musika- lishes Genie, umringt von seinen bäuerishen Genossen, sih vor einem nachdenklich dreinblickenden Kenner produziren läßt, sowie die Aquarelle von Simoni und Bompiani, die in einem Nebenjaal ihre Aufstellunggefunden haben. Auch die wenigen Are wie die troß aller Sorgfalt oberflächlihe Madonna arabbino’s, die ehrenwerthen aber durhaus langweiligen Arbeiten von Guglielmo de Sanctis und Facovacci in Rom, die grell theatralishe und do innerlih leblose Dar- stellung des gewaltsamen Todes der Virginia von Camillo Miola, und die in Ansehung des Stofflichen virtuos gemalte Ausstellung der Leiche Maria Spinelli’s von Erol i verleihen der Physiognomie des italienischen Saales keine sonderlich her- vorstehenden und fi lebhaft einprägenden Züge. Wir müssen die Schilderer der Landschaft und des Landlebens aufsuchen, um über das Können der modernen italienishen Maler uns ein rihtiges Urtheil zu bilden. Am Selbständigsten erscheint hier der Mailänder GiovanniSegantini, dessen ausgestellte elf Bilder zugleich einen ausreichenden Ueberblick über den Umfang seiner Fähigkeiten gewähren. Sein Farbensinn hat sih in dem reinen und kalten Licht der Hochalpen gebildet, deren Landleben ex mit Vorliebe \childert. Eine breite Pinsel- führung, belebt dur kleine in die Hauptmassen hineingeseßte Lilhter und Farbenstrichelhen, Vorwiegen blaugrauer Töne und ein ungewöhnlih sicheres Formgefühl zeihnen seine Bilder aus. Wir fühlen in dem großen Bilde aus dem Engadin, das in vielen Stücken an ein auf der internationalen Aus- stellung zu Paris 1889 ausgestelltes Bild erinnert, die schnei- dend kalte Luft der von Schneebergen umsäumten Hoch- gebirgsthäler aus diesen Farbentönen von unerbittlicher Schärfe und Härte heraus; der Künstler verschmäht jede Vermittelung, wie auch in den Typen der Menschen und Thiere, welhe er in diese Umgebung gestellt hat. Die in dieser Beherrshung des ungewöhnlichen Farben- problems sich aussprehende Sicherheit empfinden wir auch in den übrigen Schilderungen \{weizerijhen Landlebens, wie in der „Rückkehr in den Schafstall“, die nur dur das Ueber- wiegen graublauer Töne etwas einbüßt, in der „braunen Kuh“, „Winter im Engadin“ und dem „Mädchen an der Quelle“, einer schr keck gemalten Studie. Wo sih der Künstler da- gegen von der Wiedergabe der Natur abwendet und sih ins Mystishe verliert, sind seine Leistungen weit weniger er- freulih. Das ganz lit gehaltene „Ave Maria“, die Madonna mit dem Christuskinde in einer Frühlingslandschaft, auf einem Baumstamm ausruhend, zeigt sehr störende Härten in der Karnation und eine keineswegs tiefe Auffassung; in dem „Nirwana“ genannten Bilde stellt er ein Hochalpenthal dar, hinter dessen Shneebergen die Sonne versunken ist, während sih die aufsteigenden Wölkchen des Abendnebels, noch theilweise von den leßten Strahlen des Tagesgestirns beschienen, zu Jung- frauengestalten in langwallenden Gewändern verdichten, die in seliger Ruhe dahinshweben. Bei dieser an si sinnig er- dachten Aufgabe versagen dem Maler derb realistischer Motive durchaus die Kräfte, und die All-gorie verflüchtigt sih gleich jenen Nebelwölkhen vor dem Blick des Beschauers, ohne einen tieferen Eindruck zu aria Paolo Michetti kennt die Grenzen seiner Kraft weit besser und bewegt si innerhalb derselben mit einer Sicherheit und Frische, die ihm allseitige Bewunderung einträgt. Die Freuden der heimath- lichen Bevölkerung am Abhang der Abruzzen, jenes s{önen, leihtsinnigen und abergläubischen Volksstammes, der die besten
ungern seine Freiheit dem Kriegsdienste opfert, sind es, die
Midchetti mit unerschöpfliher Lustigkeit und einem verblüffen-
den Farbenreichthum zu \{hildêrn unternimmt. Auch Michetti
hat ih erst allmählich von dem Hange, diese Volkstypen
dur zierliche Feinmalerei gewissermaßen \alonfäbig zu machen,
frei gemacht. Die drei kleinen Bildchen, welche die Königliche
Gemäldegalerie zü-Monza für die diesjährige Ausstellung her-
gegeben hat, „Hirtin mit Truthühnern“, „Hirtenmädchen mit
Schafen“, „Bauern und Bäuerinnen in den Abruzzen“, be-
weisen das. Die Gesichter scheinen in die keck, aber in zarten
Tönen gemalte Umgebung wieEmailplättchen eingeseßt. So zierlich
vertrieben ist die Pinselführung, so glatt und gläsern die Modelli-
rung. Aber schon die 1878 gemalte „Serenade“ bezeichnet einen
bemerkenswerthen Fortschritt zu freierer Farben- und Formen-
gebung. Auf einer unmittelbar über der Stadt gelegezen An-
böhe, wo sih der Blick auf das weite tiefblaue Adriatishe Meer
öffnet, hat sih am Spätnachmittag eine Schaar von Burschen
und Dirnen zusammengefunden, die den zur Mandoline er-
klingenden Gesang mit lebhaften charakteristishen Geberden
begleiten. Ein s{lichtes Alitagsbild, und doch von so er-
frischender Leuchtkraft der Farben, die in kecksten Kombinationen
zusammengestellt sind, daß man die frohe Stimmung wie die
eines Fesitages, zu dem Natur und Menschen sich besonders
geschmüdckt, mitempfindet. Der ouiginelle, einen Eisenbe)chlag
imitirende Rahmen verzeihnet zum Ueberfluß noch die Noten der übermüthigen Canzoretta, die in die klare südlihe Luft hinausklingt. — Die Fronleihnamsprozession in einer kleinen Landstadt der Abruzzen — wohl in Francavilla a Mare, dem Wohnsiße des Künstlers selbst — \hildert uns .das daneben hängende Bild Michetti’'s: Aus dem Portal der Kirche wird das Sakrament unter prähtigem Baldachin herausgetragen, ihm voraus schreitet eine Schaar nackter, nur mit Goldkeiten und anderm Flilter behangener Bambini die breite Freitreppe herab, auf der links die wenig disziplinirte Musikbande, rechts die Shaar der Weiber er- wartungsvoll dem Umzuge des Allerheiligsten entgegensieht, während ein Feuerwerker eine Rakete zur Feier des böchsten Festes abbrennt. Das Alles is in ein s{wirrendes Farben- geglißer aufgelöst, welches den Festjubel direkt in Far- ben umsezt, ohne doch zu verwirren oder die Klar- heit der Komposition irgendwie zu beeinträhtigen. Seine Majestät der Kaiser hat dieses. von der Jury durch die große goldene Medaille aus- gezeichnete Bild erworben und damit seinen Sammlungen ein überaus charakteristishes Bild italienischen Lebens zugleich mit einer hervorragenden Leistung italienisher Kunst einverleibt. Zarter in der Stimmung und noch feiner empfunden ist der „Kirchgang“ Midchetti's: ein junges Paar, das von neugieriger Begleitung bestaunt, bei seinem ersten Kirhgang am Portal des Gotteshauses von dem Küster und einer Musikbande empfangen wird, deren Clarinettist Mühe hat, den vorlaut dem Zuge vorauseilenden Hund durch sein Blasen vom Eintritt in die Kirche abzuhalten. Die feinfinnige Abwägung der Tonwerthe in diesem Bilde ist niht weniger bewundernswerth, als die scharfe Beobahtung und Wiedergabe der dargestellten Charaktere. Hoffentlich begegnen wir diesem originellen Künstler aus den Abruzzen roch ret oft in unseren deutschen Ausstellungen, wo ihm eine freundliche Aufnahme Seitens des Publikums nach der diesmal abgegebenen Empfehlungskarte sicher ist. Ein phantastischer, die Erinnerung an Böcklin warufender Zug zeichnet die Eberjagd eines Kentauren, der über ein antikes Gräberfeld dahinstürmt, von Marius de Maria aus. Die vom leßten Sonnenstrahl beschienenen Cypressen des Friedhofes geben einen wirkungsvollen Hintergrund für den abenteuerlihen Vorgang ab. Jn dem von dem Katalog etwas räthselhafst benannten Bilde „Alte Sachen von der Sonne erneui“, das der Künstler selbst als „Frati che burlano“ d. i. „Scherzende Mönche“ bezeichnet, kommt der Humor Maria's zu seinem Rechte: ein Bettelmönch trollt mit seiner Beute von seinen Brüdern verspottet den Abhang eines Franziskanerklosters herab. Neben den trefflich carak- teristishen Physiognomien der wohlgenährten Mönche fällt besonders die Meisterschaft ins Auge, mit der _die breiten Massen der Klosterarchitektur wiedergegeben sind. — Mit derberen Mitteln, aber nicht ohne Geshmack, arbeitet Angelo dall’ Dca Bianca, dessen großer „Frühling“ genannter Marktplay in Verona, von [iebens- würdigen Marktgängerinnen belebt, bei dem großen Publikum reihen Beifall findet, während er bei öfterer Betrachtung eine gewisse Oberflächlichkeit offenbart, von der auch die ihm ver- wandtea Schöpfungen Favretto's nicht ganz frei sind. Dem Manktbilde des Leßteren schadet insbesondere die Nachbar- haft von Michetti's oben gewürdigtem Kirhgang. Auf das Gebiet der eigentlihen Landschast leiten die dur ihre \s{mutigen Töne in ihrer vollen Wirkung beeinträdltigten Bilder Carcano’'s, der als Seemaler in seiner der National-Galerie zu Rom gehörigen Marine glücklicher er- sheint, als in seiner shmußzig gelben „Maisernte zu Chioggia’ und der eintönigen „Fernsicht über die lombardische Ebene“, und die in volem Sonnenlicht gemalte „Rülckehr der Reser- visten von Lo jacono, welche von ihren bei der Ernte beschäftigten Angehörigen empfangen werden, hinüber. Die Mehrzahl der italienischen Landschaften mit Ausnahme der s{hon geschilderten Segantini?s leidet an einer gewissen Aengstli(hkeit in der Aus- führung, für welche die zarte Stimmung nicht immer vollen Ersay bietet. Das gilt namentlich von den venezianischen Veduten Ciardi's und den neapolitanischen Carlo Bran- caccio's, der vor nit langer Zeit in einer Sonderausstellung bei Gurlitt ein besseres Bild seiner Fähigkeiten entrollte, als die drei Proben auf unserer Ausstellung zu geben vermögen. Bezzi's „Sonnenuntergang an den Ufern der Etsch“ ist von einer süßlichen Sentimentalität ebenfalls nit ganz frei. Aus- \{ließlih reihe Naturstimmung geben auh Petiti's „leyte Blätter“, die zu einem Vergleich mit Coose- man's Bild in der belgischen Abtheilung heraus- fordern, sowie der impressionistish zarte „Walwreiher von Calderini wieder, wozegen sich Delleani in seinen „hundertjährigen Schatten“ zu kiräftigerer Haltung auf- raff und Achille Vertunni die Ds be Sümpfe im hohen historishen Landschaftsstil auffaßt. Um den Leistungen der italienishen Künstlèr auf diesem Gebiet gereht zu werden, muß man auch die zahlreichen Landschaftsstudien in Wassser- farben von Sartorio, die ein großes engen für Farben- wirkungen verrathen, und die ebenfalls in Aquarell aus- geführten etwas derberen Landschaften von Cipriani heran- i en. ° . , . ,
E So bietet uns denn die italienishe Malerei ein Bild dar, das sich in mehr als einer Beziehung der modernen italienischen
gelassenheit; Fehlen eines wirklih großen, durhgebildeten Stils finden wir hier wie dort, und doch ist die italienische Kunst auf beiden Gebieten eines Erfolges sicher durch die Liebenswürdigkeit des südländischen Temperaments, das die Klippen der Flachheit und Brutalität mit sicherem Takt zu vermeiden versteht.
Handel und Gewerbe.
Fondsbörse, Geld- und Kapitalsmarkt.
Seit einer langen Reihe von Monaten hatten die Börsen, und zwar nicht nur die deutschen, unter einer nur zeitweise unterbrochenen rückläufigen Tendenz gestanden, als dur das Roggen-Ausfuhrverbot der russischen Regierung ein erneuter Beweggrund für die Spekulation à la baisse gegeben wurde. Man darf das langdauernde vorherige Sinken des all- gemcinen Courêniveaus nicht durch eine“ einzelne That- jache begründen wollen; die alläemeine Werthverminderung stellt sich vielmehr dar als das Resultat aller wirth- \chaftlihen Vorgänge der . leßten Jahre, sie bildet die Reaktion gegen die stürmishe Aufwärtsbewegung auf allen Gebieten des Handels und der Jndustrie, gegen die Ueberspekulation in Effekten und die Ueberanspannung des Kredits am Ende der achtziger Jahre, und sie wurde -genährt von all den historisch auf einander folgenden einzelnen Katastrophen und Kalamitäten, welhe bald die Finan- zen eines ganzen Landes, bald den Bestand von Welthandelshäusern in Frage stellten. Nach dieser Auffassung konnte die langdauernde Baisseperiode als eine normale Er- scheinung betrahtet werden; denn in der wirthschaftlichen Ent=- wicklung kann eine Wellenbewegung zu allen Zeiten beobachtet werden, kleine Schwankungen in kleinen, große Bewegungen in langen Zeiträumen; es bedurfte nur der Entscheidung der Frage, wann der tiefste Punkt des wirthschaftlichen Rükganges erreicht sein würde, um zuglei den Zeitpunkt zu erkennen, von dem an alle Gebiete des Handels und der Jndustrie fich aus jungen Trieben neu beleben würden. Noch in der leßten Zeit erfuhr der Gesundungeprozeß durch mancherlei kleine Vorkomm- nisse auf dem engeren Handels8gebiet, durch Jnsolvenzen, Beamten- untreue und ähnliche Einzelheiten unwillkommene Unter- brehungen ; aber s{härfer wirkt auf die gesammte wirthschast- liche Lage die Ungunst der Witterung, die die Ernten weiter Gebiete beeinträchtigt und die nächste Veranlassung zu der er- wähnten Maßnahme der russishen Regierung war. Es ist natürli, daß das Roggen-, Roggenmehl: und Kleie-Ausfuhr- verbot sehr bedeutende Wirkungen auf den gesammten Handel Deutschlands haben wird und namentlich in seinen Folgen für den Geld- und Kapitalsmarkt vorläufig noch garnicht zu üder- sehen ist. IA Soweit die Börse — was bei normaler Entwickelung eine ihrer Aufgaben is — als ein Gradmesser des gleich- zeitigen wirthshaftlihen Gesammtzustandes - des staatlichen Gemeinwesens auch gezenwärtig gelten kann, hat sie den Druck, der auf Handel und Gewerbe lastet, sehr scharf zum Ausdruck gebracht. Denn abgesehen von den aus inneren Gründen berehtigten Preisrückgängen solher Papiere, welche industrielle Unternehmungen zur Grundlage haben, zeigte sich auch in der Bewerthung aller Bankpapiere und der eigentlihen Anlagewerthe bis zu den vornehmsten und in ihrer Rente unanzweifelbaren ein ernster Coursdruck. Die Preisentwickelung der wenigen folgenden Werthpapiere genügt zur Ans der großen Bewegung. Man notirte an der Berliner Börse: : Aktien Ende 1889 Ende 1890 31. Juli 1891 der Laurahütte 139,00 115,75 des Hibernia-Bergw. 193,75 159,10 der Darmstädter Bank 155 40 131,10 Anth. d. Disconto- ? O 213,40 170,30 Aktien der Ostpreußischen Südbahn . der Lübeck-Büchener atl E E 49/4 Reichs: Anleihe 31/59/9 Preuß. Consols 98,10 98,60 39/4 Preuß. Consols : S 8490 Das russische Roggenausfuhrverbot seßte die Spekulation in eine aufgeregte Thätigkeit; großen Steigerungen des Geireide- preises an der Produktenbörse entsprachen starke Blanco-Abgabea der Contremine an der Fondsbörse. Naturgemäß wurden von dieser ebenso heftigen wie plößlichen Bewegung in erster Linie die Eisznbahnwerthe betroffen, denen der Getreide- Export aus Rußland obliegt; demnächst aber konnte ein Einfluß auf die russishe Valuta und damit zugleih auf alle russishen Werthpapiere niht ausbleiben, endlih mußte aber auch der Werth der Bankpapiere in Mitleidenshaft gezogen wecden, da jene Maßregel in ihren Folgen den gesammten Gelodverkehr in seinen gewohnten Bahnen zu stören und zu hemmen droht. ; / : j Erfahrungsgemäß \chießt die Spekulation bei solchen un- vorhergesehenen, das wirthschaftliche Leben stark nah einer be- stimmten Richtung hin beeinflussenden Nachrichten und Ereig- nissen in ihren Unternehmungen zunächst über das Ziel hinaus, weil die Zeit zur Ueberlegung fehlt und weil Jeder aus der neu geschaffenen Lage so fhnell und so viel als mögli Nutzen ziehen will. Es pflegt dann aber sehr bald auch die Korrektur des Uebereifers einzutreten. Auch das Roggen- ausfuhrverbot wurde in seiner Tragweite zunächst offenbar überschäßt; man brachte nicht die bis zum Beginn der Wirksam- feit des Verbots mögliche vermehrte Ausfuhr aus Rußland in Rehnung, man untershäßte wohl au wegen der damals noch fortdauernden Ungunst der Witterung die Leistungsfähig- keit des eigenen Landes, und man würdigte niht hinreichend die Erleichterung der Versorgung Deutschlands mit Brotkorn, eventuell Weizen, welhe durch die ungewöhnlih gute Ernte anderer Getreide exportirender Länder, namentlich Amerikas, dargeboten wurde. An der Berliner Börse kam das Aus- fuhrverbot am 12. August zuerst zur Wirkung; der Preis des „lieferbaren“ Roggens stieg von 226 6 am 11. d. M. auf 255 4 am 15. August, der Preis des Weizens von 226 6 am 11. auf 250 4 am 17. d. M. Znzwischen sind beide Getreidearten schon wieder wesentlih im Preise ge- sunken. Die Wirkung auf die Fondsbörse wurde durh den Umstand verschärft, daß das Verbot nicht ledig- lih auf wirthshaftlize Beweggründe zurückgeführt wurde und so ein gewisses Mißtrauen in die Gesammt- (age zum Ausdruck kam; aber auch am Werthpapiermarkt hat fi inzwischen eine wesentlihe Besserung vollzogen, weil jenes
84 00
166,00 105,30
380,50
148,75 106,00
Musik vergleichen läßt: Schwanken zwischen wéeichlicher
Rekruten für die italienishe Reiterei liefert, und do nur
Empfindung und lebhaftester, niht gerade vornehmer Aus-
Mißtrauen \{chnell geshwunden ist und dur den über Er-