1891 / 200 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 26 Aug 1891 18:00:01 GMT) scan diff

vereinigten Königreih Großbritannien und Irland betrug im Dur{- \chnitt von 1857 bis 1881 der jährlihe Konsum von Branntwein 4,72, Wein 1,95 und Bier 130,52 1 auf den Kopf der Bevölkerung. In Schweden, wo der Branntweinkonsum im Jahre 1829 noh 46 1 betrug, sank derselbe im Jahre 1888 bis auf 6,90. In Norwegen belief sich der Branntweinkonsum im Durchschnitt der Jahre 1880 bis 1884 auf 35, der Bierkonsum 1882 auf 16,2 und der Wein- konsum etwa auf 1 1, in Dänemark 1880 der Branntweinkonsum auf 18,9 1, der Bierkonsum angebli auf 33 1, in den Niederlanden 1885 der Branntweinkonsum auf 9,26, der Konsum von Wein auf 4 und von Bier auf 39 1 auf den Kopf. In Belgien soll in dem Zeitraum von 1879 bis 1881 der Konsum geistiger Getränke im jährlichen Dur{schnitt betragen haben: 2401 Bier, 13 1 Branntwein und 3,90 1 Wein auf den Kopf. In Frankreih war 1885 der Verbrauch der einzelnen alkobolishen Getränke auf den Kopf: Wein 75, Obfstwein 18, Branntwein 3,85, Bier 22 1. Im Königreih Italien ist 1885 der folgende Konsum auf den Kopf der Bevölkerung jährlich ermittelt worden: Wein 86, Branntwein etwas mehr und Bier etwäß weniger wie ein Liter. In der Schweiz wird in neuerer Zeit mit einem gewissen Vorbehalt die Konsummenge für das ganze Land angegeben: Brannt- wein 9,40, Wein 55,0 und Bier 37,50 1. In der österreihisch-unga- rischen Monarchie sind 1880 5,76 1 Branntwein auf den Kopf der Bevölkerung verbrauchbt worden. Hiernach muß der Konsum geistiger Getränke in Deutschland auch im Vergleih mit dem Konsum der ebenerwähnten ausländis chen Staaten als ein recht beträchtlicher be- eichnet werden.

Rüksichtlich der Folge des Branntweingenusses mag hier darauf bingewiesen werden, daß die Trunksut die Krankheitsursachen und die Sterblichkeit vermehrt, daß ein großer Theil der Selbstmorde und ein noch größerer Theil der Geistesstörungen auf den übermäßigen Alkohol- genuß zurückzuführen ift, daß diejer sich auch als die ergtiebigste Quelle des Pauperismus erweist, das Familienglück vernihtct, die Prostitution fördert, den Sinn für öffentlihe Ordnung und Recbtssitte untergräbt, sowie daß seine Wirkungen auf das pbysishe und psychische Leben sich auf die Nathkommenschaft vererben und somit eine Degeneration her- beiführen.*) Nach den Ängaben in dem Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Branntweinmonopol (Nr. 165 der Drudcksachen des Reichstages, 6. Legislaturperiode, 11. Sefsion 1885/86, Anl. B Seite 64) und nah den Veröffentlihungen in den Arbeiten aus dem Kaiserlihen Gesundheitsamt IV. Band Berlin 1888 Seite 358 ff. : „Die Heilanstalten des Deutschen Reichs 2c.“ von Regierungs-Rath Dr. Rahts, find in die allgemeinen Krankenhäuser der Hauptländer Deutschlands an „chronishem Alkoholismus und Säuferwahnsinn“ zugegangen in den Jahren:

1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885

Land

Preußen . , 12925 2655 3092/2774/2821/3388 5207/7001 8163 Bayern . . . , 1285| 266| 253| 183| 150] 191| 197| 232/ 300 Gasen . . . , 1235| 259| 255] 269] 253| 274| 332| 318| 425 Württemberg . 4898| 60! 31| 59! 901 60 (O) 62 98 A 82| 60! 7595| 82| 86! 5898| 65| 88) 85

Deutsches Reich. . __ Darunter weib- lihe Personen

4272/4051 4540 4200 4143/5003 7040 8954 10360 276} 3111| 264| 372| 511| 678| 673

__ Noÿ deutlicher ist der Antheil des Alkoholiê#mus an der Mor- biditätéfrequenz in den einzelnen Ländern aus folgender, denselben Quellen entnommener Zusammenstellung zu ersehen. Von je 1009 000 Einwohnern kamen in Zugang in die allgemeinen Krankenbäuser an „chronischem Alkoholismus und Säuferwahnsinn“ im Jahre in den Hauptstaaten (nach--der Volkszählung von 1875 und 1880 berechnet) :

Staat, bezw. Landestheil

1877 1878 | 1879 | 1880 1881 | 1882 1883 |1884

Ostpreußen Westpreußen . Brandenburg inkl. Berlin . Berin . Pommern . Poien ; Schlesien . Sen Swleswig - Hol- itetn . ° Hannover . Westfalen . Hessen-Nafsau Rheinland . . Hohenzollern .

Preußen

Bayern . Sachsen. . . Württemberg . Baden . Velen Mecklenburg- S{werin Anhalt . é Sami Elsaß - Lothringen

Deutsches Reich . Darunter weib- lihe Personen

15,0 17,9 19/3 45,2

30,3 39,8 52,6 60,7 22/2 343 90,7 26,9 26,7| 36,2 10,1

24,8| 16,3

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9,2| 11,1 0,6) 0,8

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Es sind ferner zugegangen an „Delirium .potatorum* in die Irrenanstalten in den Jahren:

Staat 1877/1878 1879 1880 1881/1882 188318841885

Preußen... . | 642/850 8561| 819| 976/1222 1248 1198 1326 Dav. «+4 40 20 981 30 34 30 801 26 410 Saúsen. . . . . | 43| 53| 42/ 63| 51| 51| 75| 67| 100 Württemberg . . . | 11 8| 38| 15| 6 14/ 17| 15| 28 B. M A S

Deutsches Reich . __ Darunter weib» | | | | | | | lihe Personen. . «ls 1 00):500) 66] 721 8898| 88/84

Es sind demnach zugegangen im ganzen Deutschen Reich in die allgemeinen Heil- und Irrenanstalten an chronishem Alloholismus in

den Jahren: 1877; 5 085 1882: 6421 1878; 5 055 1883; 8584 1879: 5 579 1884: 10 401 1880 ; 5 208 1885; 11 974, 1881: 5 291

813 1004 1039 1008/1148 1418/1484 1447/1614 | | | j |

*) Baer: Der Alkoholizmus, Seite 268 bis 377, vergl. auc

Unter den Sterbefällen im preußishen Staat entfallen auf den

Säuferwahnsinn : *) 1877: 1077 M. und 88 W. 1882: 1100 M. und 90 W. 1833: 1134 140

1878: 1160 , „, 105 , 1884: 1 154 138 ,

1800: 2099 «O0 O 1880: 9600 , 120 18891 1281 o 100 & 1886! 1213 v s 121

18811 152-08

Nach einer amtlihen Quelle **) betrug die Zahl der Selbstmorde,

bei denen Trunkenheit und Trunksuht als Beweggrund angenommen ist, im jährliten Durchschnitt :

1875—1876: 327

1877—1882: 457

1883: 585

1884: 543

1885: 603 :

Nach Baer: Die Trurksucht 2c., Seite 38, darf man annehmen, s si in den deutschen Irrenanstalten durchschnittlich 25% Trinker efinden.

In ebenderselben Schrift wird hervorgeboben, daß für Kriminalisten und Gefängnißbeamte seit langer Zeit und an allen Orten die Ueber- zeugung gelte, daß die Unmäßigkeit und Trunksuht eine Hauptquelle und Hauvptursache für die Entstehung der Verbrehen und häufig au für die Rücffälligkeit der Verbrecher abgebe.

Wenn sih auch ein mathematisher Beweis für den Zusammen- hang zwischen Trunksuht und Verbreen niht erbringen läßt, so darf doch in dieser Hinsicht die Thatsahe für beweiskräftig gelten, daß diejenigen strafbaren Handlungen, bei welchen die Trunkenheit er- fahrungsmäßig einen unmittelbaren Einfluß ausübt, auch in einem boben Prozentsaß von Trinkern verübt worden. Aus einer Unter- sfuchung, welhe 1876 in 120 Gefangenanstalten des Reichs angestellt wurde und sih auf 32837 Gefangene ersftreckte, konnte Dr. Baer ermitteln, daß 41,7 9/0 derselben dem Trunke ergeben waren. Von diesen leßteren waren bei den Männern (30041) 53,6 9% Gelegenheits- und 464 %/% Gewohnheitstrinker; bei den Weibern (2796) 39,0 9% und 61,0 9%. Das Verhältniß der Alkobolunmäßigkeit zum Ver- brechen ift aus folçender Tabelle ersihtlih.

A, In Zuchthäusern für Männer:

Davon Unter den Trcinkern Ver- | Trinker waren Be

- A: Ge- Ges

über- über o legen- ; 0/0 wohn- 0% auvt| heitss | / heit3- | /

haupt 6 P trinker | trinker

Art des Verbrechens

Mord. ea L E Todtschlag E A 3481 220/ 63,2 129/586 Todtschlagsversuch . . 25921 128/ 50,81 78/ 60,9| 501/39, Raub und Straßenraub 898] 618/ 68,81 353/ 57,1 265 42, Diebstahl 110333 5 212! 51,912 513/ 48,2|/ 2 699/51, Körperverlegung . . 7731 575) 74,51 418! 72,7| 157/27, Drandstiflng 804] 338/ 47,6] 184/48,0| 199/52, Mein A 590f 157/266) 82/52,2/ 75/47,8 Noth- und Unzuht . . 954] 575! 60,21 352/61,2| 223/38,8 Verschiedene 1689] 712| 42,21 358|50,2| 354/49,8 B Sau Gefängnissen für Männer ¿f “] Davon | Unter den Trinkern Bér- | Trinker waren brecer übers Gez | | Ges faupt (baupt| | bia: | %o | fale: haupt [haupt trinker |trinker | 382.36,5 135 18,9 12/43,0

54 11,0 13| 5,8

98 41,

139/ 58,6 2 91 41,

Art des Verbrech{ens

Dieblall 3282/1 048 Körper verleßzung . . | 1130| 716/63, S 48} 28 Widerstand gegen dieStaats- | a S 652| 499 Hausfriedensbruch . 4 2235 Vergehen gegen die Sitt- B E 200 1541 77, Betrug, Fälsbung . .. 786] 194 24, Aufruhr und Landesfrieden8- O 34| 18/ 52,9 ; Brandstistuna 23 11/480 5 45,4 BeriMilcoe 826| 433 52,41 306! 70,7

Der Strafanstalts-Direktor Dr. K1ohne erklärte in einem im Berliner Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke 1883 ge- haltenen Vortrage :

„Von den Verbrechen gegen Leib und Leben sind die einfaGen und {weren Körperverleßungen sämmtli, die fabrlässigen Körper- verleßungen fast sämmtlich, Todishlag und fahrlässige Tödtung mit wenigen Ausnahmen auf den Branntwein zurückzuführen. Auch beim Mord ift ina sehr vielen Fällen der Branntwein die Ursache des Ver- brechens. Die Verbrehen gezen das Eigenthum haben ihre weiteste Ursabe fast ausnahmélos in einer momentanen oder dauernden materiellen Noth. Diese Noth ift aber in meistens 80 9/7 der Fälle eine durch den Thäter selbst oder dessen nächste Angehörige ver- ursachte. Und die Ursache dieser Noth ist fast regelmäßig der Brannt- wein. Die Verbrechen gegen die Sittlichkeit, mögen sie Nothzucht, Unzucht mit Erwachsenen oder Kindern heißen, baben fast aus\{hließlich ihre Ursache im Branntwein. Das ist meine Erfahrung seit 20 Jahren in Oldenburg, Schleswig-Holstein, in Hessen, in Brandenburg.“ .. „70 9% aller Verbrechen oder Vergehen stehen mehr oder werizer im ursächlihen Zusammenhang mit dem Branntwein.“

Auch anderweitig ist konstatirt, daß mit der Zunahme der Trunk- sucht die Zahl der Verbrechen steigt, während, wo sich eine Abnahme des Alkoholismus feststellen läßt, z. B. in Irland in Folge der Be- strebungen des Pater Mathew, in Schweden na cuergisben Repressiv- maßregeln der Geseßgebung, si sofort cine auffallende Verminderung dieser Zahl bemerkbar macht, ***)

Die bis 1886 erfolgte allmählihe Zunahme einiger bauptsählih unter dem Einfluß der Trunkenheit verübten strafbaren Handlungen im Deutschen Reich ergiebt \sih aüs der folgenden Tabelle :

48 Es betrug die Gesammtzahl der im Deutschen Reih Verurtheilten egen

666 6

0 7

| Einfacher Gefähr- | Sach- Haus- | Unzucht, | s * licher | frieden3-| Noth- eletbis | Kerpers | Körper- Lee bruch | zugt | Mng | vere | vere | schäbi | legung | legung | gung

L 8 «D S

| e Zt | 14 851| 3088| 42 959 18 374 55 223| 12 239 15 969 3169| 44 084 19 202| 55 821| 13 099 15 983| 3221| 42 586 19 334 53 759| 12 798 14855 2896 40 859 18 620 51 449 12 812 15 353| 2797| 42 616 18718 48 118| 12 379 1883 | 13 306 2771| 39911 17 116 40 933| 11 153

1882 [13 826/ 2918| 38 971/16 527! 38 291| 11 639

Ueber den Einfluß, den die Trunkenheit u. A. au auf die Zahl der bei gewerblihen Unternehmungen vorkommenden Unfälle Cn

1888 Dagegen im Jahre 1887 4 1886 1885 1884

*) Vergl, Preußishe Statistik XCV: Die Sterblichkeit na

Todesursachen und Altersklafsen 2c., Berlin 1888, S. VII1I ff. N

**) Bergl. S: Hans für den preußishen Staat, 5

*t*) Baer: Der Alkoholismus, Seite 339.

Baer: Die Trunksucht, Seite 5 bis 38.

giebt die für das Jahr 1887 Seitens der Berufsgenossenschaften auf-

genommene Unfallstatiftik Auskunft. ®)

Bei der Prüfung der Frage, ob und wieweit weitere gesez- geberische Maßnahmen gegen die Trunksucht geboten seic1, ift zu be- achten, daß die heutige Gestaltung unseres wirtbs{a\tlihen und sozialen Lebens eine im Verglei zu der Vergangenheit erhöhte An- spannung der körperlihen und geistigen Kräfte des Einzelnen und ge- steigerte Aufregungen zur Folge hat. Es ist ferner zu erwägen, daß mit der Vervielfältigung der Genüsse überhaupt und der zunehmenden Leichtigkeit, dieselben zu erlangen, auch die Neigung fast sämmtlicher Bevölkerungsklafsen zum Alkoholgenuß wächst. Die Ueberzeugung, daß den daraus \ih ergebenden Gefahrèn wirksamer als bisher ent- gegengetreten werden müsse im Interesse der Moralität, der Steigerung der Leistungsfähigkeit des Einzelnen, sowie des ferneren wirthschaft- lihen Aufs{wunges und der geistigen Entwickelung der Nation, ist in den weitesten Kreisen verbreitet.

_Nawhdem bisher von der Gesetzgebung versucht worden ift, einzelne Seiten dieser Angelegenheit zu ordnen, nachdem sodann zahlreihe Ge- suche wegen Ergreifung weiterer Maßregeln gegen den Alkoholismus an die Reichsregierung, den Reichstag und die Einzelregierungen ge- ribtet worden sind, ersheint nunmehr nach dem Vorgange anderer Staaten der Erlaß eines die Materie erschöpfenden Reisgeseßes geboten. Diese Art des Vorgehens empfiehlt sih, da sih die zu er- örternden Maßnahmen, wie auch der Bericht der Petitionskommission des Reichstages vom 3. März 1885 erkennen läßt Nr. 227 der Drucksacher des Reichstages, 6. Leg islaturperiode, I. Session 1884/85 —, nit auf ein einzelnes, bestimmt abgegrenztes Gebict, wie insbesondere daëjenige der Polizei, beziehen, son dern die vershiedenen Rechtsgebiete, namentli au diejenigen des Privatrechts und des Strafrechts, in Betracht kommen. Wollte die Vorlage nur einzelne Maßnahmen gegen den Mißbrauch geistiger Getränke vorschlagen, so würde daraus die Schwierigkeit erwachsen, daß, wie im Besonderen auch bei Be- rathung des 1881 dem Reichstage vorgelegten Gesetzentwurfs, be- treffend die Bestrafung der Trunkenheit Ne. 70 dec Drucksahen des Reichstags, 4. Legislaturperiode, IV. Session 1881 —, hervor- getreten ist, gegen die bezüglihe Einzelmaßregel der Einwand erhoben werden könnte, es dürfe aus dieser besonderen Veranlassung nicht in das betreffend? Rechtssyîtem eingegriffen werden. Derartige Ein- wendungen fallen fort, sobald es sih um ein Geseg handelt, welches den Zweck verfolgt, gegen die das Gemeinwohl s{ädigenden Folgen übermäßigen Genufses geistiger Getränke jede nah Rechtsgrundsätzen zulässige Abhülfe zu schaffen.

___ Na@ch den Ergebnissen der stattgehabten umfangreihen Er- örterungen und dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft ist kein Zweifel mehr darüber zulässig, daß der Zustand der Trunkenheit im Rechte eine befondere Behandlung erheischt und daß zur Abwehr der aus der Trunksucht für die davon Befallenen und für die Gesellshaft er- wachsenen Gefahren besondere Rechts\huteinrihtungen getroffen werden müssen, :

__ Der vorliegende Geseßentwurf fucht den Mißbrauch geistiger Ge- tränke auf dreifahe Weise zu bekämpfen.

Erstens werden die geseßlichen Borbedingungen für die Ausübung der den Vertrieb geistiger Getränke bezweckenden Gewerbe und die Folgen des Wegfalls dieser Bedingungen sowie die an die betreffenden Gewerbetreibenden im Interesse des Gemeinwohls zu stellenden An- E beziehurgsweise ihnen aufzuerlegenden Verpflichtungen geregelt.

Zweitens werden mehrere das Gebiet des Privatrehts berührenden Bestimmungen getroffen, und

__Drittens die Trunkenheit und bezw. die Trunksußt \trafre{chtlich bekämpft.

__ In Verbindung damit enthält der Entwurf Anordnungen über die Veranstaltungen, welhe Behufs Heilung der der Trunksucht Ver- fallenen und zur Abwehr der aus diesem Hange für den Trunksüchtigen und dessen Familie entspringenden Noth und Gefahr sich als noth- wendig erwiesen haben.

Zu den einzelnen Bestimmungen l Folgendes zu bemerken:

2 Zu §. 1.

_ Hinsihtli@ der Vorbedingungen zur Ausübung der den Vertrieb geistiger Getränke bezweckenden Gewerbe empfiehlt es ih, den §. 33 der Gewerbeordnung in der Weise zu vershärfen, daß die Ertbeilung der Erlaubniß für sämmtliche a. a. D. genannten Arten des Gewerbe- betriebs kraft Reich8geseßes von dem Nachweise des vorhand enen Be- dürfnifses abhängig gemaht werde.

Zur Begründung dieses Vorgehens kann zunähst auf das Er- gebniß Bezug genommen werden, zu welhem die auf Grund des Bez \chlusses des Bundesraths vom 22. Oktober 1885 eingeleitete Unter- fuhung über die Handhabung des. §. 33 Absay 3 der Gewerbes ordnung geführt hat.

Die nah der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 bereits zu- gelassene Abhängigkeit der Erlaubniß zum Ausshänken von Brannt- wein und zum Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus von dem Nachweise eines vorhandenen Bedürfnisses bestand bei Erlaß der Gewerbeordnung oder wurde unmittelbar nachher eingeführt in

folgenden Staaten: . Preußen, Königreih Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Streliy, Braunschweig, Sachsen-Altenburg, Anhalt, S{warzburg-Rudolftadt, Waldeck, Reuß ä. L., Reuß |. L., Schaumburg-Lippe, Lippe.

Nur für Scankwirthschaften, niht für den Kleinhandel mit Branntwein, galt dasselbe für Sachsen-Meiningen.

Für Lübeck wurde die bis dahin bestehende Abhängigkeit der Erlaubniß zur Errichtung von Schankwirth schaften und Kleinhandel mit Branntwein von einem vorhandenen Bedürfnisse im Jahre 1872 aufgeboben, im Jahre 1883 aber wieder hergestellt. Jn S{warz- burg-Sondershausen wurde dieselbe im Jahre 1876 eingeführt; das Gleiche geshah in Oldenburg na und nah für die verschiedenen Landestheile, mit Ausnahme der Städte Oldenburg und Jever, bis zum Jahre 1877, ;

In Hamburg bestand das gleihe Verhältniß für das Lan d- gebiet. In Hessen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg und Gotha und Bremen wurde bis zur Novelle von 1879 von der agung des §. 33 der Gewerbeordnung kein Gebrauch gemacht. Na Erlaß der Novelle vom 23. Juli 1879 haben sämmtliche Landesregierungen mit Ausnahme von Bremen nach und nach von der nunmehr erweiterten Befugniß in ihrem ganzen Umfange Ge- brauch gema@t. Für Hamburg beschränkte sih die Maßregel auf das Landgebiet. Es ergiebt sih mithin für Ende des Jahres 1886 folgender Rechtszustand: Der Betrieb der Schankwirthschaft und des Klein- handels mit Branntwein war im ganzen Geltungsbereihh der Gewerbeordnung mit Ausnahme von Bremen und Hamburg Stadt- 7 von dem Vorhandensein des Bedürfnisses abhängig gemacht. ür den Betrieb der Gastwirthshaft und das Ausschänken von anderen geistigen Getränken als Branntwein war gleichfalls im ganzen Geltungsbereihe der Gewerbeordnung mit Ausnahme von Bremen und Hamburg Stadtgebiet der Nachweis des Vor- handenseins eines Bedürfnisses erforderlih, in den Städten mit mehr als 15 000 Einwohnern jedoch nur, soweit dieselben ein dahin- gehendes Ortsftatut erlassen hatten. Da hiernach angenommz?n werden darf, daß bei den Landes- regierungen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit des Bedürfniß- nachweises als einer Vorausseßung zur Ertheilung der Erlaubniß zum Gewerbebetrieb fast allgemein besteht, so rechtfertigt es s, diese Vorausseßung von Reich8wegen obligatorisch zu machen. Seit der Novelle zur Gewerbeordnung vom 23. Juli 1879 if im Allge- meinen eine nicht unerheblihe Verminderung dec Zahl der Gast- und Schankwirthschaften eingetreten, während allerdings die Zahl der Kleinhandelbetriebe eine geringe Vermehrung erfahren hat.

*) Vergl. „Amtli®e Nachrichten des Reichs - Versicherungs- amts“ 1890 Seite 201 ff., im Besonderen Seite 246 Spalte 7, Seite

Band I, Berlin 1888, S. 1 „Zur Alkoholfrage“, Bern 1884, Seite 13 f., vergl. auch Baer : Die Trunksut, Seite 8,

429 leßter Absay, Seite 431 vorleßter Absaß am Schluß, Seite 432 leßter Absay, Seite 433 und 434 an mehreren Stellen 2c.

In dieser Beziehung liegen die folgenden Angaben vor:

1) In Preußen bestanden:

1B 8 1869 1879 gecen 1869 1886 gegen 1879 cha 3591 63550 N EODA 62720 oi E

Gastwirthschaften . 435 Bg O s

Sa scbetten 64721 76604 11883 73390 83214

Kleinhandel mit Branntwein . . 15337 16299 9682 16574 275 E

2) In B ayern bestanden : S s 1872

1879 gegen 1872 1886 gegen 1879

mehr weniger mehr weniger 34069 792 3597 69

Gast- und S{ank- wirthschaften . . 24776 34861 10085 Kleinhandel . . niht an- gegeben 3666 öni i bestanden : 3) Im Königreih Sa sen Ben: e gegen 1879 mebr weniger

Gastwirthshaften ohne Brannt- weinschank 137 124 13

4 896 5126 2830

Gastwirtbschaften ‘mit Brannt- Gz 6 E irths{aften ohne Vrannt- Í E bra? R «L490 1 438 52 fwirthschaften mit Brannt- S Ga) L e B008 8986 318 Sgwankwirth\chaften nur für : : Branntweinschank. . . 169 145 24 Kleinhandel mit Branntwein. . 497 498 31 S Von den 490 Stankstätten und Kleinhandelbetrieben, welche seit 1879 mehr errihtet waren, entfielen auf die Städte Dresden und Chemxiß, für welche Orctsstatute bis dahin nit errihtet waren, 324 —- 61 = 385. In der Stadt Leipzig, für welche ein Statut erriGtet ist, hat seit 1879 ein Zuwachs an Swankstätten um 335 stattgefunden. Die eingetretene Vermehrung beschränkt sih alfo auf die großen Städte. In den Bezirken der Amtsébauptmannschaften hat eine Verminderung der Schankstätten um 172 d. h, um 2,8 %%o agr A N E A emberg bestanden: a ies N 1879 1886 gegen 1879 mehr MEgse Gastwirthschaften . . 7686 7 579 C Schankwirths\chaften 8987 7934 1 053 Seinhandi e 800 L000 185 E Die Vermehrung des Kleinbandels mit Branntwein crilärt G hauptsählich daraus, daß die Erlaubniß dazu für Apotbeker und Zucker- bâter von dem Vorkandensein eines Bedürfnisses nicht abhängig ist. 5) In bestanden: 5) In Baden bestande as s

1878 / s mehr Wene ast und Schankwirthschaften . 9437 888 O A Im N 1883 waren 8860 Gast- und Schankwirthschaften vor- handen. Die seitdem eingetretene Vermehrung um 21 entfällt aus- \Mließlih auf dicjenigen Städte mit mehr als 15 000 Einwohnern, für welche ein Ortsftatut nit errichtet ist. 6) Für Hessen liegen keine Angaben vor. L 7) Für Mecklenburg-S@{werin sind nur die Verhältnisse in den Städten und auf den Domänen, niht aber auch die der Ritter- güter bekannt geworden.

Fs bestanden: : O 1879 1886

Scankstätten in den Städten. 950 1053 103 Spar bätien auf den Domänen 682 770 88 zusammen 2632 2823 191

8) Für Sachsen-Weimar sind keine Zahlen sondern nur tie Thatsache ermittelt worden, daß seit 1879 die bis dahin fortwährend im Wahhsen begriffene Zahl der Schankstätten zum Stillstand ge- kommen ift. A

9) In Mecklenburg- Streliß bestanden:

1879 188

Gastwirth\scchaften:

in Den Sade. « 50 79 29

auf Dan Lune . L199 184 1

zusammen 23d 263 28

S({ankwirthschaften : :

G den Städten . . . . 134 116 —- 18

Auf dent Lande 45 47 2

”_ zusammen 179 163 4165

Die Zunahme der Gastwirthscaften ist zum Theil darauf zurüd-

zuführen, daß in den Jahren von 1878 bis 1886 der Ausbau ver- schiedener Eisenbahnen stattgefunden hat.

10) In Oldenburg bestanden: 9 : 1879

gegen 1879 mehr weniger

gegen 1879 mehr weniger

1885 gegen 1879 mehr weniger

1 204 —— 37 1237 184 32

gegen 1884 mes weniger

a. Im Staatsgebiet mit Aus-

{luß der Stadt Oldenburg: Gastwirthscaften . , 1241 Schankwirthshaften . . 1421 S Kleinbandel. 289 257

b. In der Stadt Oldenburg . 18684 1885

An s (Ortéstatut von 1884) E Gasftwirthschaften. . . 54 57 Schankwirthschaften . . 139 128 11 Kleinbandel 30 30 11) Für Braunschweig lieat ohne Zablenangaben nur die Be- merkung vor, daß seit 1880 eine Abnahme der Zahl der Schankstätten eingetreten ift.

12) In Sawhsen-Meininaen bestanden: gegen 1878

1878 1885 : mehr weniger Gastwirthschafen . .., . 472 524 52 Schankwirth\sch{haften . p 791 146 ; n Kleinhandel... ermittelt 289 : ? ? 13) Für Sachsen-Altenburg liegt nur die Angabe vor, daß seit 1880 die Zahl der Schankstätten sich um 61 vermindert hat. 14) In Sachsen-Coburg und Gotha bestanden: a, Gothaischen Theils. , . , 1879 1886 gegen 1879 Gast- und Schankwirth- mehr weniger 1e an e e 20 714 1e NICInaudtl . . «402 419 33 b, Coburg’ schen Theils . . 1884 1886 gegen 1884 mehr weniger Gastwirthschaften . . . 177 179 2 Schankwirihshaften . . 252 258 6 Kleinhandel . .. , . 138 150 12 —- 15) In Anhalt hat vom 1. Oktober 1879 bis zum 1. Januar 1886 eine Vermehrung der Scankstätten und der Kleinhandlungen um 131 stattgefunden. 16) In Shwarzburg-Sondershausen bestanden: / 1876 91879 1886 gegen 1879 bezw. 1876 Gasft- und Schank- mehr weniger wirthshaften. . 398 420 376 22

nicht S Kleinhandel . . . 424 crinittelt. 361 63

17) In Schwarzburg-Rudolstadt bestanden: / 1869 1879 gegen 1869 1885

mehr weniger Gastwirthshaften . 1288 222 94 S(ankwirth\chaften

und Kleinhandel. 379 622 243 558 64

gegen 1879 mehr weniger 5

18 Walde ck beftanden: 10 1881 1885 gegen 1881 Z mehr weniger Gastwirthschaften . . . . . 279 254 25 Scankwirthschaften . .. . 45 45 Desgl. ohne Branntwein . . 27 21 S 6 Kleinhandel . E s BS 37 5 19) In Reuß älterer Linie ist seit 1879 die Zabl der Schank- stätten um 29, die Zahl der Kleinhandlungen um 7 gewachsen. 20) In Reuß jüngerer Linie haben die Schankstätten seit 1879 um 23 zugenommen. : 21) In Schaumburg-Livpe bestanden: L l gegen 1879

879 1885 mehr weniger Schank- und Verkoufsftätten . 192 184 8

22) In Lippe bestanden : 1870 1880 gegen 1870 1886 gegen 1880 mehr weniger mehr weniger In den Städten: Scankwirth\chaften 142 175 33 Miel. C 16 19 -— Auf dem Lande: Scankwirthschaften 243 298 55 Kleinhandel 25 914 49 23) In Lübe ck bestanden: 5 Gast- und Scankwirthschaften: - 1873 1882 gegen 1873 1883 gegen 1882 1886 gegen 1883 mehr weniger mehr weniger mehr weniger

435 580 145 566 14 524 42

24) Für Bremen liegen keine Angaben vor.

25) Bezüglih Hamburgs ist nur bekannt, daß die Zahl der Scanfkstätten im Landgebiet, welhe sh bis 1879 fortwährend ver- mehrt batte, scitdem zum Stillstand gekommen ift. .

Es bestanden mitbin, soweit vergleihbare Zahlen vorliegen, vor dem Inkrafttreten der Novelle zur Gewerbeordnung vom 23. Juli 1879 im Ganzen 226 722 Gaíst- und Schankwirihschaftsbetriebe, 27 697 Klein- handelbetriebe, zu Beginn des Jahres 1886 dagegen 220 395 Gasft- und Schankwirthschaftsbetriebe, 27 998 Kleinhandelbetriebe. i Die Gaît- und Schankwirtbschaften haben somit eine Verminde- rung um 6327, die Kleinbandelbetriebe eine Vermehrung um 301 erfahren. ;

Es fönnte noch in Frage kommen, ob in Anlehnung an die Vor- \{riften des §. 33 Absaß 3 lit. b eine Bestimmung dahin zu treffen sein möôdte, daß die Erlaubniz zum Betrieb der Gastwirthsaft oder zum Aus\{hänken von Wein, Bier bezw. anderen geistigen Getränken als sprithaltigen in den Ortschaften mit 15 000 Einwohnern und darüber nur dann von dem Nachweise eines vorhandenen Bedürfnisses abhängig zu machen sei, wenn ein entspcehendes Orts- statut erlassen ist. UÜeberwiegende Gründe \prechen indeß dafür, von einer solchen Ausnahme abzusehen Die Besiger solcher Lokale, welhe nur eine auf den Aus\chank nicht sprithaltiger Getränke beschränkte Konzession haben, pflegen in Folge der großen Konkurrenz im Dar- bieten mannigfaher Reizmittel zum Besuche ihrer Etablissements ih zu Überbieten und lassen sich hin und wieder au, ohne daß eine genaue Kontrole hierüber möglich wäre, zum fkonzessionswidrigen Verkaufe cigentliher Spirituosen verleiten. Es muß mithin zur Be- fämpfung des übermäßigen Genufses alkokbolhaltiger Getränke für angezeigt erachtet werden, daß au in den größeren Octschaften die unter §. 33 Absatz 3 lit. b der Gewerbeordnung fallenden Lokale auf eine mäßige Anzahl beschränkt bleiben, Dieser Zweck würde fh durch eine Bestimmung in dem erwähnten Sinne nicht erreichen lassen. Denn wie die im Jahre 1888 erfolgte Feststellung ergeben hat, fehlen in manten Gebieten des Reichs und namentlich auc in der preußischen Monarchie Ortsstatute vielfa gerade in solhen Städten, in welchen über den starken Hang einzelner Bevölkerungsklafsen zur Trunksucht geklagt wird. e J

Nath dieser Feststellung hatten Ortsftatute : L E n Dre erlassen 81, nicht erlassen 46 Städte L Ba e e Wie s Sachsen .. Ene Württemberg O s Mecklenburg-S{hwerin Sachsen-Weimar Oldenburg Brauns{bweig Sachsen-Altenburg. . Sachsen-Coburg und Gotha Aahalt L N e n - L

In Medcklenburg-Streliz, Sawsen-Meiningen, Schwarzburg- Sondershausen, S{warzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuß ä. L., Scaumburg-Lippe, Lippe waren Städte mit mehr als 15 000 Ein- wohnern nicht vorhanden, für Hessen, wo die Bestimmungen der Landesregierung auf Grund des §. 33 Absay 3 der Gewerbeordnung erst seit Kurzem erlassen waren, lagen Angaben nicht vor.

Abgesehen von der anderweitigen Regelung der Frage des Be- dürfnißnachweises soll inhaltlih an dem bestehenden §. 33 der Gewerbe- ordnung nihts geändert werden.

Zu 88. 2 und 3.

Bezüglich der Abgrenzung des Kleinhandels vom Großhandel enthält die Gewerbeordnung - keine Vorschriften; es sind daher die Landesgesetze sowie die zu denselben ergangenen Ausführungsverordnungen maßgebend, welche untereinander erheblich abweihen und vielfa unsicher und v A sind. Hier und da fehlen derartige Be- ftimmungen au ganz. : R : In Min alten Provinzen Preußens wird auf Grund von Ministerial- rceskripten aus den Jahren 1835 bis 1837 der Verkauf von Spirituosen, wenn er anders als in hölzernen Gebinden in Größe von mindestens 1 Anker (17,175 1) stattfindet, als Kleinhandel angesehen. Durch ein Ministerialreskcipt vom 20. November 1881 wurde diese Bestimmung dahin erweitert, daß der Handel mit Branntweindestillaten, deren Vertrieb nah einem für die jedesmal in Frage kommende. Gegend feststehenden Geschäftsgebrauche überbaupt nur in etikettirten versiegelten Flaschen zu erfolgen pflegt, bei Abgabe in folwen Flaschen und Gesammtquantitäten von jedesmal mindestens 5 Anker als ein von besonderer polizeiliher Erlaubniß abhängiger Kleinhandel fernerhin nit anzusehen ift. (Ministerialblatt für die innere Verwaltung 1881,

. 246. j 7 Für Bayern ist in §. 1 der Vollzugéverordnung vom 8. August 1879 (Geseßz- und Verordnungsblatt S. 777) bestimmt, daß als Klein- handel mit Branntwein 2c. der Verkauf in Mengen unter 21 gilt, sofern derselbe nicht in versiegelten Flaschen von mindestens 1/2 1

¡lat y Bie Ergänzung der in der Gewerbeordnung vorhandenen Lücke rsheint geboten. i ; A In Auielrón Theilen des Reichs haben sich in Folge einer wirth- \chaftlih unrichtigen Abgrenzung zwishen Groß- und Men Mißstände herausgebildet, deren Abstellung dringend nothwendig L : Fene Abgrenzung bat es ermöglicht, daß Kaufleute, „welche E als Branntweingrofhändler bezeiwnen, in Wirklichkeit Kleinhandel in der Weise betreiben, daß sie den Branntwein in Mengen, die die Grenze des Kleinhandels nur um ein Geringes überschreiten, direkt an den Konsumenten, im Besonderen die Landbewohner verkaufen. Es ist um so mehr geboten, einen derartigen Geschäftsbetrieb den für den Klein- handel gültigen Bestimmungen zu unterstellen, als fsich mit den erwähnten Verkäufen häufig auch andere verwerflihe, auf die Aus- beutung der niederen Volksklassen berechnete Geschäfte verbinden.

Zu diesem Zweck empfiehlt sich eine bobe Normirung der Menge, bis zu welcher der Branntweinverkauf als Kleinhandel zu betrachten ist. Den heutigen Handelsverkehrs- und sonstigen Verhältnissen s{heint es zu entsprehen, wenn die Grenze im Allgemeinen auf 501 angenommen wird. Damit abweichenden besonderen Verhältnissen in einzelnen

E sämmtlihe Städte 2, niht erlaffen

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Theilen des Reichs Rechnung getragen werden könne, soll die Grenze

nur als eine Mindestgrenze angesehen und eine dauernde oder vorüber- gehende Erweiterung bis zu 100 1 freigestellt werden. ; An der mebrfach bereits bestehenden Uebung, für den Handel mit solchen Arten von Branntwein, welche nah feststehendem Beschäfts- braue in versiegelten oder verkapselten und außerdem etikettirten Flaschen vertrieben werden, eine Ausnahme von der allgemeinen Ouantitätsgrenze zuzulassen, kann unbedenklich festgehalten werden ; dagegen empfiehlt es si, auch hier eine niht zu niedrig zu bemessende Mindestgrenze festzusetzen, unter welcher der Verkauf nicht ohne die Erlaubniß zum Kleinhandelbetriebe stattfinden darf. Neben der Abgrenzung der Begriffe Kleinhandel und Groß- handel ist auch eine Bestimmung darüber geboten, unter welhem Mas die Kleinhändler Branntwein niht abgeben dürfen, damit der Anrei; wegfällt, für jede auch noch fo geringe Geldsumme Brannt- wein zu kaufen, der ledigli n L auf der Stelle bestimmt ift. u S8. 4. Die Verbindung des Branntweinkleinhandels mit einem Klein- handel anderer Art verführt die Kunden, sh beim Kaufen der Gegen- stände des täglichen Bedarfs auch mit Branntwein zu versorgen oder denselben an Oct und Stelle zu genießen. Es hat i ferner viel- fa der Uebelstand herausgebildet, daß Kleinhändler, um Käufer an- zulodcken, dieselben anfcheinend ohne Entgelt mit Branntwein bewirthen, den Betrag für denselben aber auf den Preis der Waare sch{lagen. Aus einem der östlichen Regierung3bezirke der preußis{en Monarchie wird berihtet, daß die Verbindung“ der Schankwirths{chaft oder des Branntweinkleinhandels mit anderen Kleinhandelsge\{äften namentli auch auf die Frauen sehr ungünstig einwirkt, indem fie dieselben zum Branntweingenusse verleitet. Daneben führt die Zulässigkeit einer solhen Verbindung zu einem Drängen auf Vermehrung der Branntweinkleinhandlungen, welchem die zuständigen Bebörden erfahrungsmäßig {wer wider- stehen fönnen. Diejentzen Kleinbandlungen namentlich Kolonial- und Materialhandlungen —, welche der Erlaubniß zum Kleinhandel mit Branntwein entbehren, können mit denjenigen, welche dieselbe besitzen, nur {wer konkurriren und erheben daßer stets die Forde- rung, in eine gleich günstige Lage verseßt zu werden.

Diesen Uebelständen soll durch die im §. 5 vorgeschlagene Be- stimmung begegnet werden, der zufolge künftighin die Ertheilung der Erlaubniß zum Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus in Ort- schaften von mehr als 5900 Einwohnern an die Bedingung zu knüpfen ift, daß das Gewerbe niht mit einem Kleinhandel andecer Art verbunden werde.

Zur Herbeiführung größerer Sigterheit dec Befolgun1 einer derartigen Vorschrift muß gleiczeitig au die Lagerunz von Brannt- wein oder Spiritus in Verkaufsräumen, die einem anderen Handel, als dem mit diesen Getränken dienen, untersagt werden, :

In kleineren Ortschaften des platten Landes, in denen Klein- handelszeschäfte vorkommen, lassen sch indessen derartize Be- stimmungen nit wohl allgemein durchführen. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Kleinbändler auf dem Lande auch die Erlaubniß zum Branntweinkleinhandel zu erlangen suchen muß, da der Konsum in kleinen Ortschzften regelmäßig nicht groß genug ist, um zwei ge- sonderte Geschäfte, eines für den Vertrieb von Branntwein, das andere für den Kleinhandel mit fonstigen Waaren des alltäglihen Bedarfs, lebensfähig zu erhalten. Da der ersterwähnte Beschäftszweig durchweg mehr abwirft, als der leßtere, so würde die Folge des Verbotes der Verbindung beider Geschäfte für die kleineren Orte des platten Landes voraussihtlich die sein, daß die Kleinhandel8zeschäfte für die wirklichen Bedarfsgegenstände verdrängt werden und nur die Branntweinklein- bandlungen bestehen bleiben, was dem wirthschaftliwben Interesse der Einwohner nicht entsprehen, sondern dieselben nöthigen würde, Zeit und Geld für Reisen in die Stadt aufzuwenden. Es empfiehlt fi daber, das Verbot auf Ortschaften von mehr als 5000 Einwohnern im Allgemeinen zu beshränken. Gleichzeitig scheint es aber wünschenswerth, die Landesregierungen zur Einführung der fraglihen Beschränkungen auch auf Gemeinden mit 5020 und weniger Einwohnern zu ermächtigen und sie dadur in die Lage zu seten, den "Mißständen entgegen zu treten, welche: ih etwa in fleineren Gemeinden aus der Verbindung der beiden Arten des Gewerbebetriebs entwickeln möchten. :

In größeren Städten ift der Kleinverkauf von Branntwein, haupt- \äSlii von feineren Likören, welche zudem häufig in versiegelten Flaschen vertrieben werden, vielfach mit Delikatessenhandlungen, ferner mit Kon- ditoreien, Apotheken und Droguenwaarenhandlungen verbunden. Bei der- artigen Geschäftsbetrieben ist einerseits ein Vißbrau geistiger Getränke nit zu besorgen, andererseits würde durch ein Verbot des Klein- handels mit Branntwein eine \chwere Schädigung der Geschäfts- interessen des betreffenden Gewerbetreibenden berbeigeführt werden. Es s\Mheint daher geboten, Konditoreien und Delikatefsenhandlungen nicht unter das Verbot fallen zu lassen, während für Droguenwaaren- handlungen und Apotbeken eine Ausnahme dahin gehend gere{tfertigt sein möchte, daß mit denselben der Kleinverkauf und die Lagerung von Branntwein in versiegelten oder verkapselten und außerdem etikettirten Flaschen verbunden werden darf.

Zu SS 5 und 6. L

Zu den wirksamsten Mitteln der Bekämpfung des Mißbrauhs geistiger Getränke gehört es, daß an die Gast- und Scankwirthe insbesondere auch an diejenigen, deren Kundschaft zu der minder wohlhabenden Bevölkerungéklasse zählt. gewisse Anforderungen bezüglich der Einribtung der Räume in baulicher und gesundheitlicher Hinsicht, der Bewirthung der Gäste mit Speisen und Getränken, fowie der Aufrechterhaltung guter Sitte und Ordnung in den Lokalen gestellt werden. Aus der dadurch étwa entstehenden finanziellen Belastung der Wirthe kann um fo weniger ein Einwand hergenommen werden, als die Erlaubniß ¿um Betriebe der Gast- und Schankwirthschaft dem Konzessionirten einen erheblihen Vortheil bringt und die Ge- währung derselben mithin als eine Bevorzugung anzusehen ift. 5

Die im §. 5 des Gesetentrourfs enthaltene Bestimmung, daß Räume, die zum Betriebe eines anderen Gewerbes dienen, zum Be- triebe ciner Gast- oder Schankwirthschaft nit benußt werden, auch mit den für leßtere bestimmten Räumen nicht in unmittelbarer Ver- bindung stehen dürfen, beruht auf denselben Erwägungen, aus denen beraus im §. 4 die Verbindung eines Kleinhandels mit Branntwein oder Spiritus mit einem Kleinhandel anderer Art verboten ist. Ein Anlaß, das im §. 5 enthaltene Verbot auf Ortschaften über 5000 Ein- wohner zu beschränken, liegt nicht vor; dagegen ecsheint es angemeffen, besonderen Verhältniffen dadurch Rechnung zu tragen, daß den höheren Verwaltungsbehörden die Befugniß gegeben wird, im Einzelfalle Aus-

men zuzula}|en. : L = e Ungabl von Regierungen hat bereits nähere Bestimmungen über die in bauliher, gesundheitlicer und sittliher Beziehung an die Gast- und Schankwirthshaften zu stellenden Anforderungen erlaffen. Diese Maßnahmen haben si bewährt und versprechen, der Errichtung mangelhafter Gast- und Schankwirtbschaften einen starken Damm entgegenzuseßzen. Es empfiehlt si, den derartigen Bestimmungen zu Grunde liegenden Gedanken in dem vorliegenden Gefeßentwurf zum

ruck zu bringen. j P Bestimmungen des Absatzes 2 des §. 5 werden der höheren Verwaltungsbehörde u. A. au zu der Anordnung eine Handhabe bieten, daß die in sittliber Beziehung häufig zu Bedenken Anlaß gebende Benußung von Wohn-_ oder Haaswirthschaftsräumen zum Gewerbebetrieb der Gast- und Schankwirtbschaft unterbleiben.

Aus den oben dargelegten Gründen empfiehlt es fh ferner, den Gast- und Schankwirthen die Verpflichtung aufzuerlegen, dahin Vor- sorge zu treffen, daß neben geistigen andere Getränke und ferner Speisen verabfolgt werden können. Derartige Bestimmungen finden sich auch in ausländischen Gefeßgebungen vor. So ist beispielsweise für Canada durch das den Verkauf berauschender Getränke und die Ertbeilung diésbezüglicher Lizenzen regelnde Geseß vom 25 Mai 1883 vorgeschrieben, daß jedes Gasthaus und jede Schänke der Regel nach die nöthige Einrihtung zu Speisung von Gästen enthalte. Daß ein Bedürfniß vorhanden wäre, Wirthschaften zu haben, in denen aus\{ließlich Branntwein Behufs Verzehrens auf der Stelle

eshänkt wird, kann nicht behauptet werden. Das allgemeine wirth- schaftliche Interesse verlangt vielmehr nur, daß Denjenigen, weiche nicht in der Lage sind, ihre leiblihen Bedürfnisse nah Speise und